Julia präsentiert Weiße Weihnachten Band 4

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Heilung ist das schönste Geschenk – besonders zu Weihnachten! Engagiert kämpfen Ärzte und Ärztinnen in Edinburgh und London um die Gesundheit ihrer kleinen und großen Patienten. Und finden dabei im Great Northern und Great Southern Hospital überraschend die große Liebe …

TANNENDUFT UND KINDERLACHEN von KARIN BAINE

Wie glücklich die Kinder im Waisenhaus strahlen! Tamsin ist zu Tränen gerührt. Der schottische Chirurg Max Robertson zeigt ihr, was ihm zum Fest der Liebe wirklich wichtig ist: die Kinder zu beschenken – und in der stillen Nacht unter den Sternen von Edinburgh Tamsin zu küssen …

NEUANFANG UNTERM MISTELZWEIG von LOUISA HEATON

In klirrender Kälte heiße Schokolade trinken, Hand in Hand Schlittschuh laufen und sich zärtlich unterm Mistelzweig küssen – Lauren findet ein zweites Glück mit ihrem Ex-Mann Oliver, einem ambitionierten Mediziner. Bis eine Katastrophe ihren Neuanfang in Gefahr bringt …

WIE SONNENSCHEIN IM DICHTEN SCHNEE von SCARLET WILSON

Für einen medizinischen Vortrag braucht Skye unbedingt Dr. Jay Bannermans Unterstützung. Warum muss er nur so abweisend sein? Gerade jetzt, wo Edinburgh im Winterzauber so atemberaubend schön ist? Skye setzt alles daran, das Herz des frostigen Docs zum Schmelzen zu bringen …

DAS WEIHNACHTSWUNDER VON LONDON von ANNIE CLAYDON

Die erste Wehe – am Weihnachtsabend kommt ihr Baby! Gemeinsam fahren Poppy und Dylan in das Londoner Krankenhaus. Doch als Poppy wenig später ihre Tochter im Arm hält, ist Dylan wie ausgewechselt. Versteht er nicht, dass das Schicksal ihnen das schönste Geschenk der Welt gemacht hat?



Leseprobe

Karin Baine, Louisa Heaton, Scarlet Wilson, Annie Claydon

JULIA präsentiert Weiße Weihnachten BAND 4

Karin Baine

1. KAPITEL

Wenn Tamsins Herz weiter so raste, wäre sie bald diejenige, die ein neues benötigte. Das war natürlich ein schlechter Scherz. Chirurgen hatten jedoch einen Hang zum schwarzen Humor. Ohne den ließe sich ihre Tätigkeit, bei der es meist um Leben und Tod ging, kaum ertragen.

Tatsächlich lag die Verantwortung für das Leben eines Menschen buchstäblich in ihren Händen, was sie keineswegs als selbstverständlich betrachtete – trotz ihrer großen Erfahrung. Ihr Beruf würde nie zur Routine werden. Schon gar nicht, wenn es sich bei der Patientin um ein zehn Jahre altes Mädchen handelte. Genau in dem Alter war sie damals selbst erkrankt. Sie hatte am eigenen Leib erfahren, wie ein erfolgreicher Eingriff die Zukunft eines Kindes zum Positiven wenden konnte. Gleichzeitig behielt sie immer im Hinterkopf, dass es auch zu schweren Komplikationen kommen konnte. So wie bei ihrer älteren Schwester, von der sie die Knochenmarkspende erhalten hatte, als sie an Leukämie erkrankt war.

Nicht zuletzt deshalb hatte Tamsin schon früh den Wunsch gehabt, Chirurgin zu werden. So konnte sie selbst dafür sorgen, anderen Kindern eine zweite Lebenschance zu geben. Das Schicksal ihrer Schwester belastete sie trotzdem noch immer.

„Grüß dich, Oliver. Wir haben uns ja ewig nicht gesehen“, begrüßte sie den Gesichtschirurgen im Foyer des Great Southern Hospital. Eine willkommene Ablenkung von ihren belastenden Gedanken.

Kurz vor einer Nierentransplantation konnte sie nicht im Selbstmitleid versinken.

„Wir sind eben beide sehr beschäftigt, Tamsin. Freut mich, dich zu sehen. Du scheinst in Eile zu sein“, fügte er mit Blick auf ihren zugeknöpften Mantel hinzu.

„Ja, tut mir leid. Ich bin auf dem Weg zum Great Northern.“

„Führst du eine Transplantation durch?“

Tamsin nickte. „Eine Zehnjährige mit akutem Nierenversagen.“

„Wenigstens ist sie bei dir in den besten Händen.“ Aufmunternd lächelte Oliver ihr zu.

„Danke.“

„Weißt du schon, dass Lauren demnächst vom Great Northern zu uns wechselt?“

Sie hatte davon gehört, wollte jedoch nicht indiskret sein. Lauren war nämlich seine Exfrau.

Da Oliver selbst das Gespräch darauf gebracht hatte, vermutete sie, dass ihm Laurens Wechsel nichts ausmachte.

„Wie geht es dir damit?“, fragte sie trotzdem.

„Lauren ist eine brillante Wiederherstellungschirurgin. Wir können uns glücklich schätzen, sie bei uns in London zu haben.“

„Sehr diplomatisch ausgedrückt, Oliver.“

„Ach wo. Wir werden uns schon vertragen. Außerdem arbeiten wir ja auch mit Willow zusammen.“

Willow war Olivers und Laurens Tochter, die ebenfalls als Ärztin am Great Southern arbeitete. Die Shaws waren eine richtige Arztfamilie. Schwer vorstellbar für Tamsin, die ans Alleinsein gewöhnt war.

Ihre Familie lebte in Nordirland. Der Flug dorthin dauerte nicht lange. Doch Tamsin war so auf ihre Arbeit fokussiert, dass sie keine Zeit hatte, ihre Familie zu besuchen. Ein Privatleben gab es für sie praktisch nicht, selbst wenn sie es gewollt hätte.

„Ich wünsche dir, dass du mit der Situation klarkommst, Oliver. Vielleicht haben wir Zeit für einen Plausch, wenn ich aus Edinburgh zurück bin.“ Jetzt musste sie an ihre kleine Patientin denken. Sowie die Spenderniere vorbereitet war, ging es auf zum Great Northern.

„Das wäre schön. Dann lasse ich dich jetzt gehen. Da drüben steht Poppy Evans. Dann werde ich jetzt eben ihr Ohr abkauen.“

Lachend winkte Tamsin ihm nach, als er sich auf den Weg zu der schwangeren rothaarigen Neurochirurgin aufmachte. Dann eilte sie hinauf aufs Klinikdach, wo gleich der Hubschrauber landen würde, um sie und die lebenswichtige Fracht nach Schottland zu fliegen.

Nachdem sie einige freundliche Worte mit dem Piloten gewechselt hatte, setzte sie sich auf ihren Platz und wartete aufgeregt, dass der Helikopter abhob. Es war bei Weitem nicht ihr erster Flug zu einer lebensrettenden OP, doch zu reiner Routine würde es wohl nie werden.

Oftmals waren Organspenden die Folge tragischer Umstände. Tamsin musste sicherstellen, dass aus etwas Negativem Positives hervorging. Das setzte sie bei jeder Transplantation unter enormen Druck. Nicht nur die beteiligten Familien erwarteten ein Erfolgsergebnis, auch sie selbst stellte diesen Anspruch an sich selbst. Ihre Schwester hatte noch heute darunter zu leiden, ihr Knochenmark gespendet zu haben. An dieser Last trug Tamsin schwer, obwohl es nicht ihre Schuld gewesen war.

Nachdenklich blickte sie aus dem Fenster. Schon bald lagen die modernen Bauten und gepflegten Gärten hinter ihnen. Stattdessen überflogen sie nun volle Autobahnen und saftig grüne Wiesen auf dem Weg gen Norden.

Schließlich erkannte Tamsin die schottische Landschaft. Die sanften Hügel und pittoresken Ortschaften erinnerten sie an ihre nordirische Heimat.

Kaum hatten sie an diesem kühlen Septembernachmittag auf dem Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach des Great Northern Hospitals aufgesetzt, brach die übliche Hektik aus. Jetzt musste es schnell gehen. Sie und die aus London mitgebrachte Spenderniere wurden bereits im OP erwartet.

„Die Patientin ist vorbereitet und wartet auf Sie“, teilte ihr jemand mit, als würde sie sich nicht sowieso schon beeilen.

„Gut. Dann richten Sie aus, dass ich gleich da sein werde“, antwortete Tamsin.

Bei einer Organtransplantation wirkten große OP-Teams mit. In diesem Fall sogar aus zwei Kliniken. Da waren die Chirurgen, die die Transplantation vornahmen, die Koordinatorin, Anästhesisten, Pflegekräfte und Assistenzärzte. Letztere waren anwesend, um zuzusehen und etwas zu lernen. Die Verantwortung lag bei den beiden Chirurgen, somit bei ihr und dem Kinderchirurgen des Great Northern Max Robertson.

Normalerweise führte Tamsin vor einer Transplantation ein Gespräch mit der Organempfängerin beziehungsweise dem -empfänger und führte abschließende Tests durch, um sicherzustellen, dass der Gesundheitszustand gut genug für die OP war. Es gehörte zum Standardprocedere mehrere infrage kommende Patienten in petto zu haben, falls der potenzielle Empfänger erkrankte oder andere unvorhergesehene Komplikationen auftraten.

In diesem speziellen Fall kannte Dr. Robertson die Patientin gut und hatte bereits alle erforderlichen Vorbereitungen getroffen.

Soll mir recht sein, dachte Tamsin, denn so konnte es direkt losgehen. Die OP würde mehrere Stunden dauern. Für eine erfolgreiche Transplantation spielte der Zeitfaktor eine wichtige Rolle. Insbesondere, wenn es sich um das Spenderorgan eines Verstorbenen handelte.

Der Kinderchirurg trug bereits seine OP-Kluft, als Tamsin den OP-Bereich betrat. Sie arbeitete zum ersten Mal mit ihm zusammen, hatte aber schon von ihm gehört und wusste, dass seine kleinen Patienten ihn liebten. Im Kollegenkreis stand er allerdings in dem Ruf, schwierig zu sein. Er war ein hochgewachsener athletischer Schotte mit schwarzem Haar und gesunder Gesichtsfarbe und definitiv eindrucksvoll. Ein interessanter Kontrast zu ihrem sehr hellen Teint und den honigblonden Locken.

„Tamsin O’Neill“, stellte sie sich vor, als sie den Operationssaal betrat, in dem sich das Team bereits versammelt hatte.

„Die Vorstellungsrunde ist bereits abgeschlossen. Jeder weiß, was er zu tun hat. Wir haben auf Sie gewartet“, beschied sie der Kinderchirurg brüsk, als hätte sie getrödelt. Dabei hatte sie sogar auf den Gang zur Toilette verzichtet, um so schnell wie möglich in den OP zu gelangen. Hoffentlich bereute sie das nicht während der nächsten Stunden. So eine Transplantation dauerte lange.

„Ich bin mit der Spenderniere aus London eingeflogen“, gab sie sachlich zu bedenken. Sie wollte ihn nicht noch mehr gegen sich aufbringen. Er hatte sich ihr nicht einmal vorgestellt! Beste Freunde würden sie wohl nicht so bald werden. Auch gut, dachte Tamsin. Sie hatten sich ja hier versammelt, um ein Leben zu retten. Solange der Mann seinem Ruf als ausgezeichneter Chirurg gerecht wurde, war sie bereit, ihm seine mangelnden Umgangsformen nachzusehen.

Konzentriert machte sich das Team an die Arbeit. Tamsin setzte den ersten Schnitt über der Leiste. Die Nieren der kleinen Patientin verblieben in situ. Die neuen wurden an den Blutkreislauf angeschlossen. Das war Präzisionsarbeit, erforderte viel Geschick und Geduld. Trotz des holprigen Starts arbeiteten sie und Dr. Robertson sehr gut zusammen.

„Die Klemmen können jetzt geöffnet werden“, sagte Tamsin schließlich, als die letzte Naht gesetzt war.

„Das ist immer ein magischer Augenblick“, meinte Max, als das Blut begann, durch die neue Niere zu fließen.

Er kann also doch menschlich sein, dachte Tamsin. Auch sie war jedes Mal erleichtert, wenn dieser Punkt erreicht und die Transplantation gelungen war. Die Mühe hatte sich gelohnt.

Dr. Robertson machte zu. Die OP war beendet. Tamsin fühlte sich vollkommen erledigt. Sie war müde und durstig, und ihr taten alle Glieder weh. Außerdem waren ihre Nerven zum Zerreißen angespannt.

Selbst wenn die OP planmäßig verlaufen war, konnte es immer noch zu Komplikationen kommen. Auf der Aufwachstation würden der kleinen Patientin ein Katheter und ein Zugang gelegt werden. Sie erhielt Schmerzmittel. Die Nierenfunktion wurde überwacht.

Die neue Niere könnte sich entzünden oder sogar abgestoßen werden. Die Nachsorge war sehr wichtig für die Gesundheit der Patientin. Leider hatte man die bei ihrer Schwester vernachlässigt, und sie konnte kein normales Leben mehr führen.

„Gute Arbeit“, bedankte sich Tamsin bei dem OP-Team, als sie sicher war, dass die Patientin stabil war, und sie alles für sie getan hatten. Auf Small Talk mit Dr. Robertson verzichtete sie, weil sie keinen Grund dafür sah.

Umso überraschter war sie, als er auf dem Flur auf sie wartete, nachdem sie sich umgezogen hatte. Statt OP-Anzug und Maske trug er nun einen blauen Kaschmirpulli, der seinen athletischen Oberkörper umschmeichelte. Der Mann wirkte wie verwandelt. Als er ihr zulächelte, bildeten sich hinreißende Grübchen in seinem Gesicht.

„Entschuldigung.“ Sein verlegenes Grinsen löste ein erregendes Prickeln bei Tamsin aus. Das passte ihr überhaupt nicht. Sie hatte ihn schon als Miesepeter abgestempelt, dem sie möglichst nie wieder begegnen wollte.

„Wofür …?“ Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. War dieser zerknirschte Alpha-Mann wirklich ihr Typ?

Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie auf einen bestimmten Männertyp flog. Männer hatten in ihrem bisherigen Leben nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Ihr Liebesleben rangierte ganz unten auf der Prioritätenliste. Der Fokus lag auf der Arbeit und den Patienten. Außerdem wäre es unfair gewesen, mit Mann und Kindern glücklich zu sein, wenn ihrer Schwester dieses Glück versagt war, weil sie Tamsin vor Jahren ein großes Opfer gebracht hatte, dessen Folgen ihr in ihrem Alter damals überhaupt nicht bewusst gewesen sein konnten. Tamsin Knochenmark zu spenden, sollte sich auf den Rest ihres Lebens auswirken. Wie hätte sie das damals voraussehen können?

Schon seltsam, wie ein einziges Wort gerade ihre Einstellung zu diesem Mann hier drastisch verändert hatte. Ob es an seiner überwältigenden Erscheinung lag? Tamsin war sich gar nicht bewusst gewesen, so oberflächlich zu sein.

„Weil ich vorhin im OP so kurz angebunden gewesen bin. Ich wollte einfach nur meinen Job machen.“

„Ich auch. Aber es ist mehr als ein Job, oder?“

„Allerdings.“ Wieder dieses verlegene Lächeln. „Ich bin wohl mehr an den Umgang mit Kindern als mit Erwachsenen gewöhnt.“

„Ich kann nur hoffen, dass Sie mit ihnen geduldiger sind als mit einer neuen Kollegin“, erwiderte sie trocken.

Max zuckte zurück. Der Hieb hatte gesessen. „Ich kann mich nur noch einmal entschuldigen. Ashlyn McDonald und ihre Familie sind mir schon lange bekannt. Ich wollte einfach niemanden enttäuschen. Das Wohl meiner Patienten liegt mir offenbar mehr am Herzen als neue Freunde zu gewinnen.“

Eine bewundernswerte Einstellung, fand Tamsin. Obwohl sie heute die Leidtragende gewesen war.

„Ich kann das gut verstehen. Wir stehen unter dem Druck, Leben zu retten. Das hat oberste Priorität. Sie müssen aber bedenken, dass wir im selben Team spielen und ich diejenige war, die alles stehen und liegen gelassen hat, um herzufliegen und die Transplantation vorzunehmen. Ich habe mich so beeilt, in den OP zu kommen, dass ich mir sogar den Gang zur Toilette verkniffen habe.“

„Ich weiß. Bitte verzeihen Sie mir.“

„Ich werde darüber nachdenken, Dr. Robertson.“ Sie musterte ihn aus schmalen Äugen. Er sollte sich bloß nicht einbilden, sie so schnell besänftigen zu können, indem er mit seinen langen schwarzen Wimpern klimperte. Zumal sie sich in der nächsten Zeit ja regelmäßig über ihre gemeinsame kleine Patientin besprechen mussten. Da war es besser, die Fronten von Anfang an zu klären.

„Ich heiße Max. Hast du schon etwas gegessen? Vielleicht hilft ein Abendessen, deine Verärgerung über mich zu beseitigen.“

Er ist ja wie verwandelt außerhalb des OP-Saals, dachte Tamsin. Offensichtlich tat ihm sein Verhalten vorhin aufrichtig leid, und er wollte es wiedergutmachen.

Blasiert war er jedenfalls nicht – im Gegensatz zu vielen Chirurgen, die durch ihre Tätigkeit mit der Zeit richtig abgehoben waren. Max und sie waren auf einer Wellenlänge, was ihre Arbeit und die Sorge um das Wohl ihrer Patienten betraf. Das hatte Potenzial.

Vielleicht hatte er wirklich keine richtigen Freunde. Oder wieso wäre er sonst bereit, mit einer flüchtigen Bekanntschaft zusammen zu Abend zu essen? Oder war er auf ein Abenteuer mit einer Kollegin aus, die nur auf Stippvisite in Edinburgh war?

Bei dieser Vorstellung spürte sie ein verräterisches Prickeln im Nacken. Zwar stand sie nicht auf Romanzen, und ein One-Night-Stand kam schon gar nicht infrage, aber ein Keuschheitsgelübde hatte sie schließlich auch nicht abgelegt. Trotzdem bedurfte es mehr als ein ansprechendes Äußeres, die Nacht mit einem Kollegen zu verbringen, den sie gerade erst kennengelernt hatte.

„Ich habe noch nicht einmal im Hotel eingecheckt. Das Abendessen ist bei meinen Dienstreisen meist inbegriffen.“

Sie befand sich ja ständig auf Reisen – von einer Transplantation zur nächsten – und Leben zu retten war natürlich wundervoll. Aber nach einem langen Tag im OP entspannt zu Abend zu essen und in ein gemachtes Bett zu sinken, gehörte auch zu den angenehmen Seiten ihrer anstrengenden Tätigkeit.

„Ich bin mit dem Wagen hier und könnte dich zu deinem Hotel fahren“, bot Max an.

Sie fing seinen erwartungsvollen Blick auf und nickte zustimmend. Die Vorstellung, den Abend mit einem gut aussehenden Schotten zu verbringen, hatte was.

Doch dann fiel ihr ein, dass sie nicht zum Vergnügen in Edinburgh war. „Ich werde wohl ein Taxi nehmen müssen, weil ich noch mal nach der Patientin sehen will, um mich davon zu überzeugen, dass die Nachsorge gut funktioniert“, sagte Tamsin daher bedauernd.

„Ich begleite dich.“ Max machte sich bereits auf den Weg. „Anschließend gehen wir essen.“ Höflich hielt er ihr die Tür auf, ließ Tamsin den Vortritt.

„Sollten Komplikationen auftreten, rufen Sie mich bitte sofort an. Ich fliege dann umgehend wieder her“, instruierte sie die Nachtschwester am Bett der kleinen Ashlyn. Tamsin hatte bereits alle Werte studiert, die im Aufwachraum aufgezeichnet worden waren. Sie lagen alle im Normbereich.

Es war offensichtlich, wie sehr ihr das Wohl ihrer Patientin am Herzen lag. Für Tamsin war dies mehr als nur ein Job. Sie war nicht die arrogante Starchirurgin aus London, wie einige andere Kollegen, die Max kennengelernt hatte. Ihr weicher nordirischer Akzent hatte ihn ebenso überrascht wie ihr Interesse an der Nachsorge für die Patientin. Für Tamsin war der Job nicht beendet, wenn sie den OP verlassen hatte. Diese Hingabe nötigte ihm großen Respekt ab. Insbesondere, weil ihm die Kinder auf seiner Station selbst sehr wichtig waren.

Er selbst war als Kind in einer Reihe von Pflegefamilien aufgewachsen. Viele Erwachsene hatten ihn belogen. Dadurch misstraute er ihnen automatisch. Mit Kindern kam er wesentlich besser klar. Sie gaben keine Versprechen, die sie nicht halten konnten und erwarteten keine emotionale Bindung von ihm. Nur Kinder fanden ein offenes Ohr bei ihm. Ein einziges Mal hatte er eine Ausnahme gemacht und eine Frau in sein Leben gelassen. Er hatte Mairi kennengelernt, als seine Krankenhauskarriere begonnen hatte. Sie hatte ihn betrogen und nicht nur sein Vertrauen missbraucht, sondern ihm auch das Herz gebrochen.

Seitdem hatte er sich gefühlsmäßig abgeschottet und war nie wieder eine Beziehung eingegangen.

Tamsin zum Abendessen einzuladen, war also vollkommen untypisch für ihn. Zwar lebte er nicht wie ein Mönch, aber mit einer Kollegin auszugehen, entsprach überhaupt nicht seinen Gewohnheiten.

Genau genommen war sie ja gar keine Kollegin, denn sie lebte und arbeitete in London. Vielleicht hatte er seine Prinzipien deshalb über Bord geworfen und sich eingestanden, dass sie ihm gefiel. Tamsin war leidenschaftlich, nicht nur, was ihre Arbeit betraf, sondern auch wenn es darum ging, ihre Meinung zu sagen. Sie hatte ihm ja deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr sie seine unfreundliche Begrüßung im OP verärgert hatte.

Morgen war sie wieder fort. Eine Beziehung war also ausgeschlossen, falls sie so etwas mit ihm überhaupt in Erwägung ziehen würde.

Fürs Erste wäre es schön, Gesellschaft beim Abendessen zu haben. Sie schienen viele Gemeinsamkeiten zu haben. Außerdem war sie weder beeindruckt noch eingeschüchtert von ihm, ganz im Gegensatz zu anderen Leuten. Er konnte sich so geben, wie er tatsächlich war, brauchte sich nicht zu verstellen. Sie hätte ihn schon merken lassen, wenn er ihr unsympathisch gewesen wäre. Dann hätte sie seine Einladung zum Abendessen niemals angenommen.

„Du weißt, dass ich hier alles im Auge behalte“, versicherte er ihr, als sie zögerte, die Station zu verlassen.

„Ja, sicher. Ich möchte einfach kein Risiko eingehen. Bei der geringsten Komplikation …“

„… bin ich sofort hier. Ich bin genauso engagiert wie du, Tamsin“, sagte er leise. Auch er hielt sich gewissenhaft an die Standards der Nachsorge und freute sich, dass ihr das ebenso wichtig war.

„Okay.“ Offenbar war sie nun bereit, die kleine Patientin dem Pflegeteam des Great Northern zu überlassen. „Ich hole meine Reisetasche, dann können wir los.“

Interessiert sah Max ihr nach, als sie im Personalraum verschwand. Dieser Hüftschwung in den hautengen Jeans … Tamsin war eine wunderschöne Frau mit Tiefgang. Fast wünschte Max sich, mehr Zeit mit ihr verbringen zu können, um sie besser kennenzulernen.

Er konnte verstehen, dass sie am liebsten rund um die Uhr für ihre gemeinsame Patientin dagewesen wäre. Ihm ging es ja ähnlich. Nach all den Jahren in Pflegefamilien, wo er den Menschen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert gewesen war, behielt er die Zügel am liebsten selbst in der Hand. Ohne Tamsins familiären Hintergrund zu kennen war ihm eins klar: Sie beide hatten die gleiche Einstellung zum Leben und zur Arbeit.

„Bist du dann soweit?“, fragte er, als sie mit Reisetasche in einer Hand und Mantel über dem anderen Arm zu ihm kam.

Sie sah ihn einen Moment lang forschend an. „Eigentlich verkrieche ich mich nach so einer OP am liebsten in meinem Hotelzimmer und nehme auch von einem Chirurgen, den ich gerade erst kennengelernt habe, keine Einladung zum Abendessen an. Du kannst dich also sehr glücklich schätzen.“ Sie warf ihr Haar über die Schultern und stolzierte Richtung Ausgang.

„Das ist mir nur zu bewusst“, murmelte Max vor sich hin.

2. KAPITEL

„Ich bedaure, aber das Restaurant ist schon geschlossen. Der Zimmerservice kann Ihnen jedoch gern Sandwichs oder Salate bringen.“ Der Empfangschef sah sie entschuldigend an, als sie sich wegen des Abendessens erkundigten.

Man hatte Tamsin in einem Sternehotel in elegantem Art-deco-Stil untergebracht. Max fand es erstaunlich, dass es in einem so hochklassigen Haus nicht möglich war, den Hotelgästen eine warme Mahlzeit zu servieren. Wäre er der Hotelgast gewesen, hätte er sich beschwert. Doch es war ein langer anstrengender Tag gewesen, und er wollte keinen Streit vom Zaun brechen.

Beim Blick auf seine Armbanduhr runzelte er die Stirn. „Mir war gar nicht bewusst, dass es schon so spät ist. Ich sollte besser gehen, damit du dich ausruhen kannst.“ Er wandte sich zum Gehen. Mit etwas Glück würde er auf dem Nachhauseweg an der Tankstelle noch etwas Essbares finden. Keine besonders anheimelnde Vorstellung. Viel lieber würde er mit Tamsin zu Abend essen. Er sah auf, als sie ihn am Arm zurückhielt.

„Bleib ruhig hier. Wir lassen uns Sandwichs bringen.“ Sie machte dem Empfangschef ein Zeichen, griff nach der Schlüsselkarte und hakte sich bei Max unter. „Wir sind müde, hungrig, und haben gerade ein Menschenleben gerettet. Ich finde, wir haben uns etwas zu essen verdient.“

Wie auf Kommando knurrte Max der Magen. Gleichzeitig befürchtete er, es könnte anrüchig aussehen, wenn er Tamsin in ihr Hotelzimmer begleitete, so als ginge es um mehr als ein Abendbrot.

Sie schenkte ihm ein verschwörerisches Lächeln. Da wurde ihm klar, dass er nichts dagegen hätte, wenn sie mehr wollte. Trotzdem fragte er lieber nach.

„Bist du sicher?“

„Ja“, antwortete sie unmissverständlich.

Schon folgte Max ihr zum Lift. Als sie ihn betraten, schien sich die Atmosphäre zwischen ihnen zu verändern. Sie beide spürten, dass sie sich nun auf gefährlichem Terrain befanden.

Max hatte schon länger nicht mehr mit einer Frau geschlafen. Beziehungen waren auch nicht sein Ding. Er war einfach zu misstrauisch und konnte sich nie vollkommen auf eine Partnerin einlassen. Das würde Tamsin auch nicht von ihm erwarten. Sollte tatsächlich etwas zwischen ihnen geschehen, wäre es eine einmalige Angelegenheit, denn Tamsin kehrte ja schon am Morgen nach London zurück.

Er griff an ihr vorbei, um den Knopf für die dritte Etage zu drücken und hörte Tamsin zitternd einatmen. Wie sie ihn anschaute … als wäre er für sie viel mehr als nur ein Kollege. Sofort hob sich sein Selbstbewusstsein, weil sich diese bildhübsche Frau für ihn interessierte. Instinktiv fiel sein Blick auf ihre leicht geöffneten Lippen. Schon beschränkte der Hunger sich nicht mehr allein auf den Magen.

Max neigte den Kopf und küsste diese verführerischen Lippen leidenschaftlich. Adrenalin pumpte durch seinen Körper – wie vorhin im OP. Die Energie, die sich bei der komplizierten Operation aufgestaut hatte, brach sich nun Bahn. Tamsin und er drängten sich fordernd aneinander. Sie umschlang seinen Nacken, Max legte eine Hand auf ihre Taille, schob Tamsin zu sich heran, sodass sie seine Erektion spüren musste.

Tamsin zu schmecken, ihren erregenden Körper an seinem zu fühlen, gab ihm einen neuen Energieschub.

Das Liftsignal verkündete das Erreichen der gewünschten Etage, und Max musste widerstrebend den heißen Kuss beenden.

„Wir sollten hier aussteigen“, schlug er frech grinsend vor, griff nach ihrer Hand und führte Tamsin zu ihrer Zimmertür.

„Soll ich den Zimmerservice abbestellen?“ Fragend wandte sie sich Max zu, bevor sie die Zimmertür öffnete. Wollte sie ihm eine letzte Chance geben, einen Rückzieher zu machen?

Intuitiv wussten sie beide, dass es hier nicht mehr allein ums Essen ging, wenn sie gemeinsam das Zimmer betraten.

Der Verstand forderte ihn auf, sich aus dem Staub zu machen, wurde aber von allen anderen Körperteilen zum Schweigen gebracht. Sie forderten, den nächsten Schritt mit Tamsin zu gehen.

Max gab nach, schob seine Angst vor Nähe beiseite, wollte einfach den Moment ausleben, vorausgesetzt, es gab am nächsten Tag kein Nachspiel oder gegenseitige Schuldzuweisungen.

„Das musst du entscheiden, Tamsin“, sagte er daher. „Wir wissen beide, was passiert, wenn ich mit dir aufs Zimmer gehe. Ich muss dich aber warnen: Es wird bei dieser einen Nacht bleiben.“

„Ich sehe das genauso. Wir machen uns Appetit auf die Sandwichs.“ Sie schob die Schlüsselkarte in den Schlitz und stieß die Tür mit der Hüfte auf.

Max war froh, dass Tamsin und er auf einer Wellenlänge waren. Erleichtert folgte er ihr ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Es knisterte immer heftiger zwischen ihm und Tamsin. Gespannt warteten sie beide auf den nächsten Schritt, der ein wahres Feuerwerk der Lust entzünden würde.

Wer die Initiative ergriff, konnte er nicht sagen, denn im nächsten Moment lagen sie sich wieder in den Armen und machten da weiter, wo sie im Lift aufgehört hatten. Wieder fanden sich ihre Lippen zu einem leidenschaftlichen Kuss. Fieberhaft entkleideten sie sich gleichzeitig gegenseitig.

Flüchtig durchzuckte Max der Gedanke, dass es wohl keine gute Idee war, mit einer Kollegin zu schlafen, doch er schob ihn schnell beiseite. Diese eine Nacht wollte er seinem Instinkt folgen, statt alles und jeden zu analysieren. Er wollte einfach nur Spaß haben.

Als er Tamsins Hände auf seiner nackten Brust, ihre weichen Lippen auf seinem Hals spürte, war es um ihn geschehen. Nur mit schwarzen Dessous bekleidet, stand sie vor ihm.

Ausgerechnet jetzt klopfte der Zimmerservice an die Tür, um die Bestellung zu servieren. Max konnte jetzt keine Unterbrechung gebrauchen und kommandierte barsch: „Stellen Sie es vor die Tür!“

Tamsins Kichern an seinem Ohr machte sie noch unwiderstehlicher. Heißes Verlangen pulsierte durch seinen Körper. Max überließ sich ganz seinem Instinkt, lebte den Moment – jeden Moment mit Tamsin.

Mit jedem Kuss, jeder Liebkosung entfernte er sich weiter von der vorsichtigen Zurückhaltung, die sonst seinen Umgang mit anderen Erwachsenen bestimmte. Als Tamsin ihn nun Richtung Bett und dann auf sich zog, wurde sein Begehren noch heftiger. Max spürte ihre verführerisch vollen Brüste an seinem Oberkörper. Schnell löste er den BH-Verschluss, zog ihr das störende Dessous aus und stöhnte lustvoll, als er nun die nackten Brüste liebkosen konnte. Hingerissen umschloss er sie und ließ die Zunge über die rosa Nippel spielen, die sofort hart wurden.

Als Tamsin sich unter ihm wand, fing er ihren lustvollen Seufzer mit dem Mund auf. Hemmungslos erwiderte sie den Kuss und lieferte sich ein erregendes Duell mit seiner Zunge. Offensichtlich teilte Tamsin sein heißes Verlangen, was Max dazu bewog, ihr das Seidenhöschen und sich die Boxershorts abzustreifen. Schon pulsierte seine harte Erektion vor ihrem heißen, feuchten Inneren. Es kostete ihn einige Selbstbeherrschung, sich zurückzuziehen, um sich ein Kondom überzuziehen. Ein Rest Verstand hatte sich im letzten Moment gemeldet. Zum Glück, denn Max wollte ganz sichergehen, dass er seine wilde Lust nicht bereuen musste.

Er wollte sich Zeit lassen, jede Sekunde dieses unerwarteten Zusammenseins genießen, denn die Wahrscheinlichkeit, Tamsin wiederzusehen, tendierte ja gegen Null. Tatsächlich hatte er der Versuchung allein aus diesem Grund nachgegeben. Die Vorstellung eines bedeutungslosen One-Night-Stands erlaubte ihm, seine Vorsicht über Bord zu werfen und einfach Spaß zu haben. Er musste nicht befürchten, dass seine Partnerin ihn enttäuschte, sein Vertrauen missbrauchte oder zu viel von ihm erwartete. Hier ging es ausschließlich um Sex. Begehren und Befriedigung. Das bestätigte sich im nächsten Moment, als Tamsin mit beiden Händen seinen Po umfasste und sich an der harten Erektion rieb.

Nun gab es kein Halten mehr. Max drang mit einem mächtigen Stoß ins wunderbar heiße, feuchte Innere. Sie beide keuchten auf. Max musste sich einen Augenblick besinnen, Tamsin entspannte sich nach dem ersten Kontakt. Vielleicht hatte sie auch lange keinen Sex mehr gehabt. Ihr Körper musste sich erst wieder auf den Liebesakt einstellen. Ein Zeichen des Vertrauens, das er nur für jemanden aufbringen konnte, den er nie wiedersehen würde.

Max fragte sich, ob er wohl jemals wieder tiefe Gefühle für jemanden entwickeln und eine langfristige Beziehung eingehen könnte.

Jetzt spürte er, wie Tamsins Muskelring sich um ihn zusammenzog. Sie küsste ihn verlangend, und nur das zählte in dieser Nacht.

Tamsin hatte keine Ahnung, wie dies hatte geschehen können, doch sie genoss jeden Moment des Zusammenseins mit Max. Vermutlich weil ihr klar war, dass sie nur diese eine Nacht mit ihm hatte. Sie brauchte sich also um nichts Sorgen zu machen, konnte das lustvolle Vergnügen voll auskosten. Morgen stand dann ihr Job wieder an erster Stelle. Nur ihrer Arbeit konnte sie sich voll und ganz widmen.

Dieses Intermezzo mit Max war eine angenehme, vollkommen überraschende Abwechslung.

Nach Edinburgh war sie nur wegen ihrer Arbeit gekommen. Jemanden kennenzulernen und sogar die Nacht mit diesem Kollegen zu verbringen, hatte sie ganz sicher nicht erwartet.

Sie hatte ihren Job gemacht, die Transplantation war gut verlaufen. Da hatte sie sich zur Belohnung doch wohl ein wenig Spaß verdient. Eigentlich sollte sie sich das viel öfter gönnen. Der Sex mit Max war fantastisch.

Die starken, geschickten Hände, die sie im OP beobachtet hatte, widmeten sich nun ihrem Körper. Max knetete ihre Brüste, packte ihre Hüften, um noch tiefer einzudringen. Dann wurden ihre Gedanken verdrängt, denn gleißendes Licht explodierte hinter ihren Augen, als die Ekstase sie überwältigte und sie einen unglaublichen Orgasmus erlebte, den sie Woge für Woge genoss. Max folgte ihr gleich darauf, stieß einen Lustschrei aus, der sich mit ihrem vereinte.

Zutiefst befriedigt grinsten sie einander an.

Erst als sie Seite an Seite lagen und langsam wieder zu Atem kamen, meldeten sich bei Tamsin Zweifel an dem gerade Erlebten. Nicht weil es ihr keine Freude bereitet hatte, sondern weil es ihr zu viel Spaß gemacht hatte. Wenn sie, was selten genug vorkam, mal mit jemandem zusammen war, verabschiedete sie sich in der Regel, sobald ihre körperlichen Bedürfnisse befriedigt worden waren. Als Max sich ihr nun zuwandte und kuscheln wollte, geriet sie in Panik. Die zärtliche Geste drückte ihrer Meinung nach emotionale Nähe aus. Sofort schrillten bei ihr die Alarmglocken, weil sie vermutete, Max erwartete mehr als Sex von ihr, und weil sie sich danach sehnte, sich an ihn zu schmiegen und die Nacht in seinen Armen zu verbringen. Das stand jedoch im krassen Gegensatz zu den Regeln eines One-Night-Stands.

Vielleicht reagierte sie so, weil sie wusste, wie wichtig auch ihm seine Arbeit und seine Patienten waren. Diese Gemeinsamkeit verband sie beide. Deshalb hatte sie ihn wohl gebeten zu bleiben. Nun hatten sie miteinander geschlafen, und mehr durfte daraus nicht werden. Sie konnte sich auf keine Beziehung einlassen.

Tamsin dehnte sich und tat so, als müsste sie gähnen. „Das war fantastisch. Aber ich muss morgen früh raus.“

Max sah sie ungläubig an. „Willst du, dass ich jetzt gehe?“

„Ja, tut mir leid. Mehr als Sex sollte es doch nicht werden. Nimm es nicht so schwer“, fügte sie lächelnd hinzu. Dabei fand sie es schrecklich, dass es so enden musste. Aber es war die einzige Möglichkeit, ihm zu vermitteln, dass es keine Wiederholung geben würde. Auch wenn ihr Körper sich noch so sehr nach einer Zugabe sehnte.

„Na gut.“ Kopfschüttelnd stand Max auf. „Dabei bin ich doch der mit den Bindungsängsten“, knurrte er, als er sich missvergnügt wieder anzog.

„Tut mir leid. Ich halte es für das Beste.“ Max sah das offensichtlich anders. Die Atmosphäre im Zimmer hatte sich plötzlich merklich abgekühlt.

„Schon gut. Trotzdem danke.“ Er zog sich das Hemd über, knöpfte es aber nicht zu, griff nach seinen Schuhen und ging zur Tür.

Tamsin befürchtete, ihn in seinem männlichen Stolz verletzt zu haben. Vermutlich passierte es Max zum ersten Mal, vor die Tür gesetzt zu werden. Aber es ging nicht anders. Sie konnte sich einfach keine feste Beziehung leisten.

Erleichtert ließ sie sich in die Kissen fallen, als Max das Zimmer verlassen hatte.

Doch dann kehrte er mit dem Tablett zurück, auf dem das bestellte Abendbrot angerichtet war. „Du musst etwas essen, damit du für deine nächste Lebensrettungsaktion bei Kräften bist.“

Sein schiefes Lächeln weckte heftige Sehnsucht in ihr nach dem Mann, der sogar jetzt an ihr Wohlergehen dachte. Hätte sie doch nur Platz für ihn in ihrem Leben. Doch das war auf Arbeit und Patienten fokussiert, denn sie wollte wiedergutmachen, was ihrer Schwester geschehen war.

3. KAPITEL

Zwei Monate später

„Besonders bei einer Transplantation ist die Nachsorge mindestens ebenso wichtig, wie die eigentliche Operation. Das Risiko von Komplikationen – Infektionen oder die Abstoßung des Transplantats – muss bei der Behandlung des Patienten stets bedacht werden. Der Job eines Transplantationschirurgen beginnt und endet nicht im OP. Vielmehr schließt er auch die langfristige engmaschige Überwachung des Organempfängers ein. Es ist also keineswegs damit getan, bei Nachuntersuchungen Ja/Nein-Fragen auf einem Formular anzukreuzen.“

Tamsin machte eine kurze Pause, um einen Schluck Wasser zu trinken. Ihr Mund war ganz trocken, die Hände klamm, und sie war aufs Äußerste angespannt.

Sie hatte nicht erwartet, so bald nach ihrem Intermezzo mit Max wieder im Great Northern zu sein, das zu ihrer Überraschung bereits im November in weihnachtlichem Glanz erstrahlte. Jede Station hatte ihren eigenen festlich geschmückten Weihnachtsbaum. Tamsin fühlte sich wie im Winterwunderland.

In allerletzter Minute war sie für den Transplantationschirurgen eingesprungen, der eigentlich für diese Fortbildung vorgesehen gewesen war. Er hatte sich eine Lebensmittelvergiftung zugezogen. Normalerweise machte es ihr nichts aus, Vorträge zu halten. Doch dieses Mal war sie nervös, weil sie heimlich nach dem Chirurgen Ausschau hielt, den sie vor Wochen aus ihrem Hotelzimmer geworfen hatte. Das war ihr noch immer sehr peinlich. So ein unterkühltes Verhalten sah ihr gar nicht ähnlich. Als Entschuldigung konnte sie nur vorbringen, dass sie Angst gehabt hatte, aus dem One-Night-Stand könnte mehr werden. Dem hatte sie von vornherein einen Riegel vorschieben wollen. Die Aussicht, Max wieder gegenübertreten zu müssen, behagte ihr ganz und gar nicht, denn sie schämte sich sehr, ihn so rüde behandelt zu haben. Das war wirklich nicht besonders klug gewesen, denn in ihrem Beruf war die Wahrscheinlichkeit hoch, einander wieder über den Weg zu laufen. Zumal sie eine gemeinsame Patientin hatten. Einfach war es nicht gewesen, Max aus dem Weg zu gehen, wenn es um Ashlyns Nachsorge ging. Über eine Kontaktperson am Great Northern hatte sie sich regelmäßig über den Gesundheitszustand der kleinen Patientin informieren lassen.

Glücklicherweise waren bisher keine Komplikationen aufgetreten, sodass Tamsin keine weitere Behandlung vornehmen musste.

Nun allerdings war sie wieder in Edinburgh und wurde an die Stunden mit Max erinnert.

In ihrem Beruf wurde sie oft an andere Kliniken gerufen, wenn eine Organtransplantation anstand. Dieses Mal war sie für den erkrankten Kollegen eingesprungen, um das Mentorenprogramm zu übernehmen. Bis Weihnachten vermittelte sie Ärzten am Great Northern, worauf es in der Transplantationsmedizin ankam.

Sie konnte nur hoffen, Max bis dahin nicht über den Weg zu laufen. Es fiel ihr sowieso schwer, mit ihren Gefühlen klarzukommen. Immer wieder dachte sie an das heiße Liebesspiel mit ihm, jede Sekunde hatte sich in ihrem Gedächtnis eingebrannt. Es war ihr nicht leicht gefallen, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren und zu verdrängen, dass sie eine heißblütige Frau war. Die hatte Max in ihr geweckt. Sie sehnte sich sehr danach, mehr aus ihrem Leben zu machen, wusste jedoch, dass sie sich das versagen musste.

Sie hatte keine Zeit für eine Beziehung. Und sie verdiente sie auch nicht, denn ihretwegen war ihrer Schwester so viel versagt geblieben.

„Gibt es Fragen?“ Tamsin warf einen Blick in die Runde, um sich von ihren Gedanken abzulenken, bevor die Schuldgefühle überhandnehmen konnten.

Heutzutage war eine Knochenmarkspende relativ sicher. Vor zwanzig Jahren, als Emily Tamsin Knochenmark gespendet hatte, um ihr das Leben zu retten, war das allerdings noch komplizierter gewesen. Emily hatte bei der Knochenmarkentnahme eine Sakralnervenwurzelverletzung erlitten – eine äußerst seltene Komplikation. Deshalb waren ihre Beschwerden nach dem Eingriff wahrscheinlich nicht ernst genug genommen worden. Die nachlässige Nachsorge hatte zu dauerhaften Schäden geführt.

Obwohl ihre Eltern immer wieder darauf bestanden hatten, dass die behandelnden Ärzte Emilys Beschwerden ernst nahmen, war nichts geschehen. Die Ärzte hatten ihre Sorgen für übertrieben gehalten und Emily lediglich Schmerzmittel verabreicht.

Als man nach achtzehn Monaten endlich zu dem Schluss kam, dass es mit Schmerzmitteln nicht getan war, hatte Emily bereits dauerhafte Funktionsstörungen der Hüften und Beine davongetragen. Außerdem hatte sie so gut wie keine Kontrolle über Blase und Schließmuskel. Und Kinder würde sie wohl auch nicht bekommen können.

Dieses Schicksal darf nie wieder jemanden ereilen, dachte Tamsin, als sie in die wissbegierigen Gesichter der Assistenzärzte blickte.

„Wie hoch ist die Erfolgsrate bei Transplantationen?“, wollte ein ernsthafter junger Brillenträger wissen.

Es gab immer Typen, die sich nur für Zahlen und Statistiken interessierten und sich nicht mit potenziellen Misserfolgen befassen wollten. In der Transplantationsmedizin ging es jedoch nicht darum, sich mit Ruhm zu bekleckern, sondern vielmehr darum, den Patienten die Möglichkeit zu geben, ein normales Leben zu führen. Tamsin ging lieber ein Risiko ein, als gar keinen Versuch zu unternehmen. Letzteres führte nämlich in den meisten Fällen zum Tod der Patienten. Sie wollte wenigstens versuchen, ein weiteres Leben zu retten.

So lautete Tamsins Antwort also: „Jeder operative Eingriff birgt Risiken. Bei einer Organtransplantation liegt das Risiko höher. Wie hoch, hängt von mehreren Faktoren wie Krankengeschichte, Alter des Patienten und Art des zu transplantierenden Organs ab. Durch verbesserte OP-Methoden steigt die Erfolgsquote stetig. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt auf, dass neunzig Prozent aller Organempfänger ein Jahr nach der OP noch am Leben sind. Siebzig Prozent leben mindestens noch fünf Jahre mach der Transplantation.“

Mit diesen Zahlen schien der junge Mann sich zufriedenzugeben. Er nickte und machte sich Notizen.

„Was hat Sie bewogen, sich für dieses Operationsgebiet zu entscheiden?“ Diese Frage kam von einer gleichfalls wissbegierigen jungen Frau.

Das war eine sehr persönliche Frage, die Tamsin unvorbereitet traf, denn es ging nicht um die erforderlichen Berufsqualifikationen, sondern viel tiefer. Da Tamsin keine Zeit hatte, sich eine plausible Geschichte zurechtzulegen, antwortete sie wahrheitsgemäß, auch wenn es alte Wunden wieder aufriss. Ihr einziger Trost war, dass ihre Motivation vielleicht den einen oder anderen Zuhörer inspirierte, auch in die Transplantationsmedizin zu gehen.

Unauffällig betrat Max das Audimax, in dem zahlreiche Assistenzärzte und Medizinstudenten wie gebannt an den Lippen des Transplantationsspezialisten hingen, den das Great Northern für ein Mentorenprogramm hatte gewinnen können.

Leider war ihm ein Notfall dazwischengekommen, sonst wäre er nicht zu spät gekommen.

Zwar arbeitete er ja selbst als Chirurg, aber es war immer gut, auch mal die Erfahrungen anderer Kollegen zu hören. Wissen anzusammeln war nie verkehrt und konnte bei zukünftigen Fällen helfen. Mit Transplantationschirurgie war er kürzlich zum ersten Mal in Berührung gekommen. Er fand dieses Fachgebiet sehr spannend und hatte seine zehn Jahre alte Patientin sozusagen auf ihrer Reise begleitet, die immer wieder für Überraschungen sorgte und noch lange nicht zu Ende war. Dadurch hatte sich eine enge Beziehung zu der Kleinen und ihrer Familie entwickelt.

Möglicherweise war sein Interesse auch durch die Transplantationschirurgin geweckt worden, mit der er letztes Mal am OP-Tisch gestanden hatte.

Obwohl sie ihn damals sehr rüde verabschiedet hatte, war es ihm bisher nicht gelungen, sie aus seinen Gedanken zu verbannen. Das unerwartete Intermezzo mit ihr war unglaublich heiß und leidenschaftlich gewesen. Unvergesslich – im Gegensatz zu manch anderen Sexabenteuern. Er hatte es darauf geschoben, dass sie beide stundenlang mit einer sehr komplizierten Operation beschäftigt gewesen waren und wohl einfach ein Ventil gebraucht hatten, die Anspannung abzubauen.

Insgeheim hatte Max gehofft, mit ihr in Kontakt zu bleiben, nicht zuletzt wegen ihrer gemeinsamen Patientin. Doch Tamsin hatte sich nicht gemeldet. Es war eben nur ein One-Night-Stand gewesen. Damit musste er sich schweren Herzens abfinden, statt sich einzubilden, ihre Stimme zu hören, als er sich hinsetzte.

„Mein Interesse wurde wohl bereits in meiner Kindheit geweckt.“

Max riss den Kopf hoch. Es war gar keine Einbildung! Tamsin stand tatsächlich ganz vorn und richtete das Wort an das Auditorium. Offensichtlich hatte sie sein Eintreffen nicht bemerkt. Er machte sich auf dem Stuhl so klein, wie seine Größe von gut einem Meter achtzig es erlaubte. Fast kam er sich wie ein Voyeur vor. Egal, wenigstens konnte er nun in aller Ruhe ihre Schönheit bewundern.

Sie war businesslike mit einer eleganten weißen Bluse und einem dunkelblauen Hosenanzug bekleidet. Zuletzt hatte er sie nackt im Bett gesehen.

Bei dieser Erinnerung wurde er sofort hart und rutschte auf dem Stuhl hin und her. Tamsin musste die Vertretung des Kollegen übernommen haben, der eigentlich für das Mentorenprogramm vorgesehen gewesen war. Ich muss mich wirklich zusammenreißen, dachte Max energisch. Was fiel ihm eigentlich ein, sie mit Blicken auszuziehen?

Tamsin räusperte sich. „Ich war als Kind an lymphoblastischer Leukämie erkrankt und habe eine Knochenmarkspende erhalten, und zwar von meiner älteren Schwester. Unglücklicherweise ließ die Nachsorge sehr zu wünschen übrig. Als Folge ist die Lebensqualität meiner Schwester leider sehr beeinträchtigt. Sie leidet unter einer Vielzahl gesundheitlicher Probleme. Ihre selbstlose Bereitschaft, mir Knochenmark zu spenden, um mein Leben zu retten, hat sie ihre Gesundheit gekostet, sodass sie selbst kein normales Leben führen kann.“

Max hörte, wie ihre Stimme zitterte. Leicht fiel es Tamsin augenscheinlich nicht, einen Einblick in ihr Privatleben zu geben. Was damals passiert war, hatte ihr Schicksal und das ihrer Familie drastisch verändert. Er hatte ja nicht ahnen können, was sie schon alles durchgemacht hatte. Insbesondere für ein Kind war es nicht leicht, sich einer Chemotherapie und weiteren Prozeduren zu unterziehen. Allerdings wunderte es ihn nicht, dass Tamsin mit ihrer Charakterstärke und ihrem festen Willen das alles überstanden und Karriere gemacht hatte. Diese Eigenschaften waren ihm gleich aufgefallen, obwohl sie nur wenige Stunden miteinander verbracht hatten.

Dieser kurze Einblick in ihren familiären Hintergrund erklärte auch, wieso Tamsin so leidenschaftlich für ihre Arbeit und ihre Patienten brannte. Ihr hundertprozentiger Einsatz lag zweifelsohne darin begründet, dass bei der Nachsorge ihrer Schwester erhebliche Mängel aufgetreten waren, die zu folgenschweren, dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hatten. Es war bestimmt schwer auszuhalten, dass ihrer Schwester dieses Schicksal erspart geblieben wäre, wenn das medizinische Personal damals seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen wäre.

Natürlich war Max froh, dass Tamsin überlebt hatte, sein Mitgefühl galt aber auch ihrer Familie, die so sehr unter der mangelnden medizinischen Nachsorge zu leiden hatte.

Er bewunderte Tamsin, weil sie ihre eigenen gesundheitlichen Probleme überwunden hatte und jetzt in der Lage war, dafür zu sorgen, dass ihre Patienten rund um die Uhr engmaschig versorgt wurden.

Wie gefasst sie jetzt ihren langen Weg zur Transplantationschirurgin beschrieb. Vermutlich hoffte sie, einige der Anwesenden zu inspirieren, ihrem Beispiel zu folgen.

„Wie gelingt es Ihnen, die emotionale Distanz zu Ihren Patienten zu wahren?“, fragte jemand aus der ersten Reihe.

Tamsin lächelte. „Wenn Sie glauben, dass emotionale Distanz möglich ist, dann ist dies wahrscheinlich das falsche Fachgebiet für Sie. Die Transplantationschirurgie ist per se emotional. Die Patienten und deren Familien brauchen die behandelnden Ärzte, Chirurgen und Pfleger an ihrer Seite, um das Gefühl zu haben, nicht nur eine Nummer zu sein. Dieser Job verlangt Empathie und Mitgefühl. Es ist nicht unprofessionell, wenn Sie eine gewisse Nähe zu Menschen entwickeln, deren Leben buchstäblich in Ihrer Hand liegt. Das macht Sie menschlich und ist sehr wichtig für die Patienten. Sie müssen über jeden Schritt informiert werden, damit sie Vertrauen zu Ihnen fassen können. Sie werden sie nämlich über einen langen Zeitraum begleiten.“

Sie warf einen Blick in die Runde und entdeckte Max. Er sah es ihr sofort an. Sie riss die Augen auf, die Kinnlade fiel ihr herunter und sie schien den Faden verloren zu haben.

„Ich … äh …“ Hektisch blätterte sie in ihren Unterlagen.

„Haben Sie sich vollkommen erholt?“ Auch diese – vorsichtige Frage kam aus der ersten Reihe.

Max fing ihren missbilligenden Blick auf, der ihm zu verstehen gab, er hätte hier nichts zu suchen, und er sollte nichts aus ihrem Privatleben erfahren. Aber er hörte ihr genauso gebannt zu, wie die anderen Anwesenden.

Tamsin richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Fragesteller und zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. „Ja, vielen Dank. Meiner Schwester habe ich es zu verdanken, heute ein ganz normales Leben führen zu können.“

Hatte er sich getäuscht, oder war sie bei den Worten fast unmerklich zusammengezuckt? Fühlte sie sich schuldig, im Gegensatz zu ihrer Schwester, die für ihre großzügige Spende so schrecklich bestraft worden war, gesund und unbeeinträchtigt zu sein? Hinderten diese Schuldgefühle sie daran, ihr Leben voll auszukosten? Offensichtlich widmete sie ihr Leben den Patienten. Für ein Privatleben blieb kein Platz, nur für einen gelegentlichen, leidenschaftlichen One-Night-Stand.

Max hatte plötzlich einen schalen Geschmack im Mund. Zählte er zu den Zufallsbekanntschaften, mit denen sie im Bett gelandet war? Ex und hopp? So hatte sie ihn jedenfalls behandelt. Aber jetzt war sie wieder in Edinburgh, und er hatte jede Menge Fragen und Gefühle, mit denen er sich plötzlich auseinandersetzen wollte.

„So, das war’s für heute von mir. Für Fragen stehe ich aber gern noch zur Verfügung.“ Tamsin schob ihre Unterlagen in die Tasche. Max würdigte sie keines weiteren Blickes. Wenn er sie noch erwischen wollte, musste er sich beeilen.

Bis er unten angekommen war, hatte sich schon eine Menschenmenge um Tamsin gescharrt. Er wollte sie aber unbedingt unter vier Augen sprechen. Also setzte er sich unten hin und wartete ab. Sie streifte ihn mit einem schnellen Blick und wirkte daraufhin angespannt. Es freute Max, dass sie ihn offenbar nicht vergessen hatte. Diese Frau war ihm nämlich unter die Haut gegangen.

Schließlich waren alle Fragen beantwortet, und im Audimax befanden sich nun nur noch Tamsin und er.

„Ich hatte nicht erwartet, Sie hier zu sehen, Dr. Robertson.“

Nach kurzer Enttäuschung, dass sie ihre Beziehung offensichtlich wieder auf die professionelle Schiene schieben wollte, war er dann doch ganz froh darüber, denn in seinem Leben war sowieso kein Platz für romantische Verwicklungen.

„Ich auch nicht.“ Seit September hatte sie jeden Kontakt zu ihm vermieden.

„Ich bin im letzten Moment für einen erkrankten Kollegen eingesprungen“, erklärte sie kühl.

„Ach so. Ich habe schon gedacht, Sie hätten Ihre Identität gewechselt, um mich zu meiden“, witzelte er, um die angespannte Atmosphäre etwas aufzulockern.

Der Schuss ging ins Leere.

„Meine Arbeit ist mir wichtiger als jemandem aus dem Weg zu gehen, mit dem ich mal das Bett geteilt habe, Dr. Robertson. Ich bin Profi und kann Beruf und Privates trennen. Das hatte ich auch von Ihnen erwartet.“

Au, das hatte gesessen. Max fing sich schnell. „Tatsächlich würde ich gern über unsere gemeinsame Patientin sprechen. Ich hatte noch keine Gelegenheit, Sie über Ashlyns Fortschritte zu informieren.“ Das war nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich gab es nichts zu berichten, denn die Kleine erholte sich prächtig. Wäre es anders gewesen, hätte er Tamsin angerufen, und die hätte den nächsten Flug nach Edinburgh genommen.

Beunruhigt sah Tamsin auf. „Ist alles in Ordnung mit ihr? Wenn nicht, hätten Sie mich sofort informieren müssen.“

Jetzt hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er sie beunruhigt hatte. Dabei wollte er doch nur etwas Zeit mit ihr verbringen.

„Alles läuft, wie erwartet. Aber Sie haben mehr Erfahrung. Ich würde mich gern mit Ihnen austauschen. Telefonisch konnte ich Sie ja leider nicht erreichen.“

Oje, das war ein Schlag unter die Gürtellinie. Tamsin zuckte zusammen. „Ich hatte befürchtet, es könnte unangenehm zwischen uns werden.“

„Auch ich kann Berufliches und Privates trennen“, versicherte er ihr. Sie musste ja nicht wissen, dass er ständig an sie gedacht hatte …

„Schon gut. Ich wollte nur vermeiden, dass es Missverständnisse zwischen uns darüber gibt, dass es nur ein One-Night-Stand war.“

Max funkelte sie an. „Das haben Sie ja wohl unmissverständlich klargemacht, als Sie mich aus dem Zimmer geworfen haben.“

„Tut mir leid.“ Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Ich habe gleich eine Besprechung mit dem Klinikvorstand. Aber wenn Sie mit mir über die Patientin sprechen wollen, könnte ich Sie später zum Abendessen oder auf einen Drink im Hotel treffen – streng beruflich.“ Tamsin zwinkerte ihm zu.

„Selbstverständlich. Um acht?“ Er hätte ablehnen und einen neutralen Treffpunkt vorschlagen sollen. Aber er konnte ihrer Einladung einfach nicht widerstehen.

„Prima. Ich bin wieder im selben Hotel untergebracht. Die machen übrigens einen ziemlich guten Salat. Um acht Uhr sollten wir aber ein warmes Abendessen bekommen“, fügte sie mit einem trockenen Lächeln hinzu und machte sich auf den Weg.

Max sah ihr nach. Ihre Anspielung setzte sein Kopfkino in Bewegung. Ganz und gar nicht streng beruflich …

4. KAPITEL

„Wie lange wird dein Aufenthalt hier sein?“, fragte Max und schob sich ein Stück Steak in den Mund. Automatisch war er wieder zum Du übergegangen.

Tamsin hatte sich für gegrilltes Hähnchenbrustfilet an Couscous und Ratatouille entschieden. Sie hoffte, das leichte Gericht würde ihren nervösen Magen beruhigen, der zu rebellieren begonnen hatte, als sie vorhin im Audimax Max entdeckt hatte.

Wahrscheinlich war es unausweichlich gewesen, ihm wieder zu begegnen, wenn sie ihren Fuß ins Great Northern setzte. Es musste eine unterbewusste Entscheidung gewesen sein, die Vertretung für den erkrankten Kollegen anzunehmen.

Max Robertson war seit langer Zeit der erste Mann, der ihr Interesse geweckt hatte und mit dem sie sich mehr als einen One-Night-Stand vorstellen konnte. Trotzdem hatte sie ihn aus ihrem Hotelzimmer geworfen. Seitdem hatte sie jeden Tag an ihn gedacht.

„Bis Neujahr. Ich beabsichtige, praktische Unterweisungen zu geben, nicht nur über meine problematische Kindheit zu lamentieren.“ Sie spülte ihre Verlegenheit mit einem Schluck Weißwein hinunter.

Die Frage der jungen Frau vorhin, was sie dazu bewogen hatte, in die Transplantationsmedizin zu gehen, hatte sie aus der Bahn geworfen. Sie hätte niemals damit gerechnet, über ihr eigenes Schicksal als Knochenmarksempfängerin berichten zu müssen, schon gar nicht vor Publikum, noch dazu wenn Max anwesend war. Ihm etwas so Persönliches anzuvertrauen, kam ihr intimer vor, als mit ihm zu schlafen. Es verwischte die emotionalen Grenzen, die sie für Beziehungen gezogen hatte.

Max dauerhaft auf Distanz zu halten, hätte sowieso niemals funktioniert. Ihr war nämlich bewusst geworden, dass sie gern mit ihm zusammenarbeitete und auch privat in seiner Gesellschaft sein wollte. Deshalb hatte sie vorgeschlagen, sich zum Abendessen zu treffen. Über ihre gemeinsame Patientin hätten sie auch in irgendeinem Büro in der Klinik sprechen können.

Bereitwillig war er auf ihren Vorschlag eingegangen – trotz ihres rüden Benehmens vor zwei Monaten. Entweder bedeutete sie ihm auch etwas oder er wollte sie in Verlegenheit bringen.

„Ich war sehr erstaunt, als du erzählt hast, du hättest eine Knochenmarkspende erhalten. Das hattest du vorher gar nicht erwähnt.“ Eindringlich schaute er ihr in die Augen.

Tamsin wurde unruhig. Sie hatte sich das Image der hochqualifizierten, erfolgreichen Transplantationschirurgin hart erarbeitet und wollte nicht, dass jemand hinter der Fassade das verängstigte Kind entdeckte.

„Normalerweise hänge ich das nicht an die große Glocke. Aber ich wollte der jungen Frau eine ehrliche Antwort geben. Auch um zu veranschaulichen, wie wichtig die Nachsorge ist. Sie muss mit größtmöglicher Sorgfalt durchgeführt werden.“

Aus gutem Grund vermied sie, über ihre Kindheit zu reden. Zu viele Emotionen, Schuldgefühle, Machtlosigkeit überfielen sie dabei und setzten ihr so zu, dass sie sich am liebsten im Bett zusammengerollt und sich die Augen ausgeweint hätte. Es war eine schreckliche Zeit gewesen, und ihre Familie litt noch heute. Daher war es einfacher, dies alles zu verdrängen. Ihre Arbeit erforderte volle Konzentration. Da blieb sowieso kein Raum für andere Dinge. Es war leichter, das Kindheitstrauma auszublenden, als sich daran zu erinnern, wie sehr ihre Schwester ein Leben lang darunter leiden musste, dass ihre Eltern sie gezwungen hatten, Tamsin Knochenmark zu spenden.

„Es muss damals sehr hart für dich und deine Familie gewesen sein.“

Das war die Untertreibung des Jahrhunderts! Die Tränen, die schlaflosen Nächte, die Schuldgefühle, die sie und ihre Eltern plagten, hatten sie alle an die Grenzen der Belastbarkeit gebracht. Und taten es noch heute.

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Autor

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