Baccara Exklusiv Band 265

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VERLOBT, VERFÜHRT – UND VERLIEBT von JESSICA LEMMON

Erst erfährt Milliardär Tate Duncan, dass er adoptiert wurde, dann verlässt ihn seine Braut. Ruhe findet er bei der Yogalehrerin Hayden. Spontan überredet er sie, ihn als seine Scheinverlobte zu seinen leiblichen Eltern zu begleiten! Ein gewagtes Vorhaben mit ungeahnten Folgen …

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  • Erscheinungstag 15.11.2025
  • Bandnummer 265
  • ISBN / Artikelnummer 0858250265
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Jessica Lemmon, Jules Bennett, Silver James

BACCARA EXKLUSIV BAND 265

Jessica Lemmon

1. KAPITEL

Tate Duncan stand unter dem Vordach des Brass Pony, eines Fünf-Sterne-Restaurants, und starrte in den strömenden Regen. An der Bar dieses Restaurants hatte er schon so einiges an Whiskey getrunken. Sollte er auch jetzt lieber drinnen den Regen abwarten und sich von innen aufwärmen?

Nicht gerade ein idealer Abend zum Spazierengehen.

Spazierengehen war hier jedoch angesagt in der Spright Wellness Community, kurz SWC genannt, einer Luxussiedlung für Leute, denen es auf ein gesundes Leben ankam. Überall gab es breite Bürgersteige, außerdem gut befestigte Pfade durch die Anlagen und Wäldchen, sodass es wesentlich bequemer war, zu Fuß zu gehen, als die gewundenen Straßen mit dem Auto zu bewältigen.

Vor fünf Jahren hatte er zusammen mit einem sehr engagierten Team von Architekten und Bauleuten diese Wellness Community auf Spright gebaut, einer Insel vor Seattle im Staat Washington, die mit einer Fähre in einer halben Stunde von der Stadt aus zu erreichen war. Tates Adoptiveltern hatten ihm die Insel zu seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag geschenkt, ein bisher unbebautes Stückchen Erde, und er hatte darauf geachtet, dass möglichst viel von der ursprünglichen Natur erhalten blieb. So war ein friedliches und naturnahes Paradies entstanden, das besonders die Städter anzog.

Seine Rechnung war aufgegangen. Die wohlhabende Job-Elite von Seattle sehnte sich nach dem Leben in einer Gegend, wo die Nachbarschaft noch intakt war und man mit und in der Natur leben konnte. Die Spright Wellness Community war bald der heiße Tipp für diejenigen, die sich nach einem gesunden und naturnahen Leben, wenn auch durchaus im Luxus, sehnten.

„Regenschirm, Mr. Duncan?“

Jared Tomalin, der Manager des Brass Pony, lehnte sich aus der Tür und hielt ihm einen Schirm hin. Sein Lächeln schwand jedoch ziemlich schnell, denn Mr. Duncan wollte heute in Ruhe gelassen werden, das hatte Jared bereits gemerkt, als er Small Talk zu machen versuchte. Dabei hatte es durchaus Zeiten gegeben, in denen Tate so ein Angebot lächelnd angenommen hätte.

Heute warf er dem Manager nur einen missmutigen Blick zu, schlug den Jackenkragen hoch und trat in den Regen. Der Weg von etwa zwanzig Minuten in diesem kalten, nassen, ja, einfach miesen Wetter entspricht meinem miesen Leben, dachte er verbittert. Wie konnte das sein? Noch bis vor Kurzem war es immer nur aufwärtsgegangen, stetig und verlässlich, bis …

Ja, bis.

Er schob die Hände in die Taschen seiner Lederjacke, drückte das Kinn auf die Brust und hielt die Augen auf die Pfützen gerichtet. Das Restaurant lag quasi in der Mitte der kleinen Stadt und war unter anderem von Geschäften, Galerien, Yoga-Studios, Salons und Wellness-Anlagen umgeben, die Produkte und Service in bester Qualität anboten. Einerseits war in der SWC höchster Luxus angesagt, andererseits war man hier aufgehoben wie in einer familiären Gemeinschaft. Tate fühlte sich hier zu Hause.

Ein Auto fuhr vorbei, und unwillkürlich hob er den Kopf. Dabei fiel sein Blick auf Summer’s Market, den großen Supermarkt gegenüber, der nur frische und ausgesuchte Produkte anbot. Im Schaufenster leuchtete Gemüse und Obst in allen Farben. In den Holzregalen dahinter waren ganze Käseräder zu sehen und eine exzellente Auswahl an Weinen. Wie oft hatte er sich hier mit Nachbarn und Freunden zur Weinprobe getroffen. Und wie sehr hatte er es genossen, dass er dieses Leben führen konnte.

Ja, da war mir auch noch klar gewesen, wer ich war. War mit mir im Reinen.

Und jetzt? Er war immer davon ausgegangen, dass er der Sohn von William und Marion Duncan war, geboren und aufgewachsen in Kalifornien. In den letzten Wochen jedoch musste er sich mit der Frage abquälen, wie es überhaupt dazu gekommen war, dass er bei den Duncans aufwuchs. Und in genau dieser Zeit hatte die Frau, die er heiraten wollte, ihn sitzen gelassen.

Ich komme damit nicht zurecht, Tate, hatte Claire gesagt und ihm den Verlobungsring zurückgegeben. Das war vor zwei Wochen gewesen. Seitdem hatte er unerträglich schlechte Laune, seine Freunde erkannten ihn nicht wieder und fingen an, ihm aus dem Weg zu gehen.

Der Regen trommelte auf seinen unbedeckten Kopf. Die teuren italienischen Lederschuhe waren längst durchweicht. Vielleicht hätte er den verdammten Schirm doch annehmen sollen. Er kam an einem Yogastudio vorbei, in dem noch Licht war. Er blieb vor dem Fenster stehen und wünschte, er wäre da drinnen in der Wärme. Mit seinem schimmernden Holzboden und den bunten aufgestapelten Yogamatten wirkte Haydens Yogastudio sehr einladend.

Er war bisher nur einmal im Studio gewesen, und zwar, um die junge Frau zu begrüßen, die die Räume gemietet hatte. Hayden Green war seit etwa einem Jahr hier. Hin und wieder sah er sie auf der Straße, hatte jedoch seit damals nicht mehr mit ihr gesprochen, obgleich von ihr etwas Helles und Strahlendes ausging. Fast immer lächelte sie, grüßte jeden freundlich, und er fragte sich, ob das eine Wirkung von Yoga war. Wenn ja, sollte er es vielleicht auch mal mit dieser Therapie versuchen. Dr. Schroder hätte dafür sicher nur ein müdes Lächeln übrig, aber die würde er sowieso nicht so bald wieder aufsuchen.

Die Probleme, die er früher mit seiner Therapeutin besprochen hatte, waren lächerlich im Verhältnis zu dem, was ihn jetzt bedrückte. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie ihre sorgfältig gezupften Augenbrauen hob und ihn mit großen, perfekt geschminkten Augen ansah, wenn er ihr erzählte:

Ja, ich habe herausgefunden, dass ich mit vier Jahren entführt worden bin und dann für viel Geld adoptiert wurde. Meine biologischen Eltern leben in London. Nein, meine Adoptiveltern wussten nicht, dass ich entführt worden war. Ja, London. Und ja, ich habe einen Bruder. Wir sind sogar Zwillinge.

Einfach verrückt, das Ganze. Und irgendwie auch unheimlich. Wie eine Geschichte, die man sich nachts am Lagerfeuer erzählt. Und die er eigentlich nicht glauben konnte, wahrscheinlich weil er sie nicht glauben wollte. Vielleicht war es nur die Erinnerung an einen Albtraum, in dem er auf seiner eigenen Geburtstagsparty weggeschleppt worden war, ohne dass es anfangs jemand bemerkt hatte. Ein Albtraum, aus dem er bald aufwachen würde, sodass ihm klar werden würde, dass er mit George und Jane Singleton genauso wenig verwandt war wie mit der Königin von England.

Schön wär’s.

Die eiskalten Regentropfen waren längst auf seiner Kopfhaut angekommen. Tate zitterte. Vor zwei Monaten war die Bombe geplatzt, seitdem hatte er keine Ahnung, ob sein Leben jemals wieder in normalen Bahnen verlaufen würde. Wenn er denn überhaupt noch wusste, was normal war.

Diese neue Situation war irgendwie surreal. Nach seinem geregelten, erfolgreichen Leben in Seattle hatte es ihn kalt erwischt, und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Allein schon dieser Zufall! Zwei Zwillingsbrüder aus London, die getrennt voneinander aufgewachsen sind, begegnen sich nach dreißig Jahren in einem Coffeeshop in Seattle? Blühende Fantasie eines B-Movies? Nein, die Wahrheit.

Tate konnte es immer noch nicht fassen. Er blickte trotz des Regens nach oben. Die Straßenlaternen hatte er selbst entworfen und in der Werkstatt eines Metallkünstlers anfertigen lassen. Die Lampe war die Blüte, der Laternenpfahl der Stängel, umrankt von Blättern. Ihm schwindelte ein wenig. Ob sich an die Blüte ein Schmetterling heranwagen würde, ging ihm durch den leicht vernebelten Kopf. Doch dann atmete er ein paarmal tief durch.

Reiß dich zusammen, Duncan.

Duncan? Er war ja gar kein Duncan. Er war ein Singleton.

Was auch immer das bedeuten mochte.

Als der Teekessel pfiff, schrak Hayden Green von ihrem Buch hoch. Schnell lief sie in die Küche, drehte das Gas ab und griff nach ihrer Teetasse. Dabei warf sie einen Blick aus dem Fenster und blieb neugierig stehen. Zwar konnte sie im strömenden Regen nichts so richtig klar erkennen, dennoch war sie sicher, dass da jemand war. Sie kniff die Augen zusammen. Ja, ganz bestimmt. Vor ihrem Studio stand ein Mann in einer schwarzen Lederjacke. Sie drückte die Stirn gegen die Fensterscheibe, um genauer sehen zu können. Da sie das Licht in der Küche ausgemacht hatte, war sie selbst von unten nicht zu sehen.

Jetzt legte der Mann den Kopf zurück und ließ sich den Regen aufs Gesicht prasseln. Das war doch … „Tate Duncan, was machst du denn hier in diesem Sauwetter?“, flüsterte Hayden.

Tate Duncan, wer kannte ihn nicht auf dieser Insel? Er war der Eigentümer von Spright und ihn umgab eine geradezu mystische Aura. Auch sie hatte davon gehört, in welcher Form er sich für sein naturnahes Paradies hier eingesetzt hatte, wie er vor Gericht für schöne Straßenlampen gestritten und nichts unversucht gelassen hatte, seine ästhetischen Vorstellungen durchzusetzen.

Hayden hatte sich gleich in SWC verliebt. Es war eine wunderschöne und unglaublich entspannende Umgebung, vor allem für Menschen, die des hektischen Lebens in der Stadt überdrüssig waren. Sie selbst war in Seattle geboren, und ihr Familienleben war alles andere als harmonisch gewesen. So hatte sie sich immer danach gesehnt, einmal in einer Gegend zu wohnen, wo man gelassen und freundlich miteinander umging.

Als sie vor eineinhalb Jahren das erste Mal von der Spright Wellness Community gehört hatte, war sie gleich hergekommen, um sich das Ganze anzusehen. Wenige Tage später hatte die Bank ihr einen Geschäftskredit bewilligt, mit dem sie einen Mietvertrag für das Studio über einige Jahre abschließen konnte. Daraufhin kündigte sie ihren Job beim YMCA und ihre Wohnung und zog auf die Insel.

Kurz danach suchte Tate sie in ihrem Studio auf, um sie persönlich zu begrüßen, und lud sie zu einer Weinprobe im Summer’s Market ein, die am folgenden Wochenende stattfinden sollte. Die Geste rührte sie, und es war eine gute Gelegenheit gewesen, die Nachbarn kennenzulernen.

Da sich Männer selten in ein Yogastudio verirrten, war ihr Tate Duncan besonders im Gedächtnis geblieben. Hinzu kam, dass dieser legendäre Tate tatsächlich unverschämt attraktiv war. Gleich bei seinem ersten Lächeln waren ihr die Knie weich geworden.

Danach waren sie sich hin und wieder im Ort begegnet, entweder bei Summer’s oder im Restaurant oder in ihrem Lieblingscafé. Immer hatte er ihr zugelächelt, allerdings hatte sie jetzt schon länger nicht mehr mit ihm gesprochen. Das letzte Mal, es musste ungefähr drei oder vier Wochen her sein, hatte sie ihn gesehen, als sie aus der Post kam. Er telefonierte, und offenbar war es kein erfreuliches Gespräch, denn er hatte seine Augenbrauen fest zusammengezogen und sah nicht gerade glücklich aus. Als sein Blick zufällig auf sie fiel, winkte sie ihm zu, doch er reagierte nicht. Weder hob er die Hand noch lächelte er. Sehr seltsam, aber jeder hat mal einen schlechten Tag, hatte sie sich gesagt.

Als sie ihn jetzt da im strömenden Regen stehen sah, sicher durchnässt bis auf die Haut, fragte sie sich, ob das damals wirklich nur ein schlechter Tag gewesen war. Vielleicht bedrückte ihn tatsächlich etwas. Unwillkürlich warf sie einen Blick auf den Teekessel. Sollte sie ihn zu einer Tasse Tee einladen? Schließlich hatte er sie bei ihrem Einzug so nett begrüßt. War es da nicht nur recht und billig, dass sie seine Freundlichkeit erwiderte?

Sie ging an der Eingangstür vorbei und öffnete eine zweite Tür, die zu einer Treppe und hinunter in ihr Studio führte. Das war ihr eigener Zugang zu ihrem Apartment, das im ersten Stock lag. Darauf hatte sie Wert gelegt, denn in dem Gebäude waren mehrere kleine Firmen untergebracht, und ihr war ihre Privatsphäre wichtig.

Als sie im Studio das Licht anmachte, riss Tate auf der anderen Seite der großen Glaswand die Augen auf. Dann schien er sie zu erkennen, denn er hob kurz die Hand, wirkte aber irgendwie verlegen. Wahrscheinlich weil sie ihn ertappt hatte, wie er regungslos im Regen stand.

Da war Hayden instinktiv klar, dass er nicht nur eine heiße Tasse Tee brauchte, sondern vielleicht auch jemanden, der ihm zuhörte. Entschlossen machte sie die Tür auf. „Kein ideales Wetter für einen Spaziergang, was?“

Er strich sich das klatschnasse Haar zurück und brachte ein halbes Lächeln zustande. Seine schwarze Hose war vollkommen durchnässt, den Reißverschluss der Lederjacke hatte er bis oben zugezogen. Glücklicherweise hatte sie tagsüber Einkäufe gemacht und trug noch ihre normale Jeans und einen cremefarbenen Pulli. Wenn er sie in ihrem üblichen Outfit – Leggings mit übergroßem T-Shirt und ohne BH – angetroffen hätte, wäre das mehr als peinlich gewesen.

„Mein Teekessel hat sich gerade gemeldet“, sagte sie lächelnd und machte eine einladende Handbewegung. „Da habe ich Sie hier unten bemerkt. Und ich finde, Sie sehen aus, als könnten Sie eine Tasse Tee gebrauchen.“

„Tatsächlich?“ Er blickte kurz hinter sich, als wäre er unsicher, ob er gemeint war.

„Es sei denn, Sie warten hier auf jemanden.“ Sie hatte ihn ein paarmal im Ort mit einer hübschen Blonden gesehen. Sie hieß Claire, wie man ihr erzählt hatte, und war Tates Freundin und seit Kurzem auch mit ihm verlobt. Die Blonde hatte immer sehr ernst und ein bisschen steif gewirkt, ganz im Gegensatz zu Tate, der für jeden ein Lächeln und ein freundliches Wort hatte. Jetzt allerdings nicht.

„Nein, nein. Ich war im Pony“, er wies auf das Restaurant oben auf dem Hügel, „und bin vom Regen überrascht worden.“

„Ich würde Sie ja nach Hause fahren, aber ich habe kein Auto.“ Ihren Wagen hatte sie verkaufen müssen, um sich das neue Leben hier leisten zu können, doch sie hatte es nie bereut. Hier im Ort war alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erreichen. Und sollte sie mal ein Auto brauchen, könnte sie sich immer ein Taxi rufen.

„Aber ich habe heißen Tee.“ Sie öffnete die Tür weit.

„Danke.“ Er trat über die Schwelle. Seine Schuhe hinterließen feuchte Flecken auf der Fußmatte im Eingang. „Oh, das tut mir leid.“

„Macht gar nichts.“ Sie schloss die Tür hinter ihm und nahm ein Handtuch aus dem Regal neben sich. „Wie wäre es mit einem sauberen flauschigen Handtuch?“

„Danke.“ Er griff danach und fing an, sein Haar trocken zu rubbeln.

„Tee gibt’s oben bei mir in der Wohnung.“ Hayden wies auf den Treppenflur. „Und machen Sie sich keine Sorgen wegen der Wasserflecken. So was stört mich nicht.“

Tate folgte ihr die Treppe hinauf und betrat ihr Apartment. Glücklicherweise hatte sie gestern ihren Putztag gehabt und alles blitzte und blinkte. Das war nicht immer so. Manchmal war sie einfach zu müde oder hatte keine Lust, ihr Apartment aufzuräumen.

Als er mitten im Wohnraum stand und sich umsah, kamen ihr plötzlich Zweifel. Was hatte sie sich dabei gedacht, ihn zu sich einzuladen? Bei seiner beeindruckenden Gestalt, groß und muskulös, wurde der Raum irgendwie immer kleiner, und sie fühlte seine Nähe umso deutlicher. Und seinen Sexappeal, den sie schon gespürt hatte, als er ihr das erste Mal die Hand gab.

Hayden Green, hatte er lachend gesagt, Sie haben den idealen Nachnamen für unsere Anlage.

Jetzt sah er sie mit einem fast verzweifelten Blick an. Nein, irgendetwas war mit ihm ganz und gar nicht in Ordnung. Am liebsten wäre sie quer durch den Raum auf ihn zugegangen und hätte ihn in die Arme genommen. Aber das kam nicht infrage. Er war schließlich verlobt. Außerdem war sie nicht an einer Liebesbeziehung interessiert.

Und wenn er noch so sexy war.

„Tee“, erinnerte sie sich leise und ging an ihm vorbei in die Küche.

2. KAPITEL

Tate zog die Lederjacke aus und hängte sie auf den Garderobenständer gleich neben der Tür. Sein Hemd war noch einigermaßen trocken, und er schlüpfte schnell aus den durchweichten Schuhen. Schlimm genug, dass sie nasse Spuren auf dem Teppich hinterlassen hatten.

Da er den Bau der gesamten Anlage komplett überwacht hatte, kannte er dieses Gebäude und die einzelnen Wohnungen. Wie erwartet war das Apartment modern eingerichtet, aber Hayden hatte ihm eine besondere Note gegeben. Mit den Kissen in sanften Farben, den Bildern und den Blumen wirkte es nicht nur frisch und gemütlich, sondern auch ein bisschen meditativ-esoterisch. Was bei einer Yogalehrerin wahrscheinlich nicht überraschend war.

„Gefällt mir gut, was Sie aus dem Apartment gemacht haben“, sagte er. Während er sich das Haar trocknete, sah er sich die Bilder auf dem Kaminsims an. Zu seiner Überraschung waren es nicht Fotos von Familienangehörigen oder von Haydens Freund, sondern gerahmte Sprüche unter Glas. Auf einem Bild war eine Frau in Yogapose zu sehen. Darunter stand: Sich biegen ist besser als brechen. Und in einem anderen Rahmen stand in weißer Schrift auf schwarzem Grund: Wenn du stolperst, mach daraus einen Tanzschritt.

„Was möchten Sie für einen Tee?“, rief Hayden aus der Küche.

„Mir egal.“

Normalerweise trank er keinen Tee. Vielleicht sollte er mal damit anfangen. Schließlich kam er ja aus bloody London.

„Ich habe grünen Tee, Pfefferminztee und Chai. Was möchten Sie?“

„Chai ist okay.“

„Gut.“

Er beobachtete sie, wie sie in der Küche hin und her ging, mit leichtem, ja, beinahe tänzerischem Schritt. Dabei summte sie vor sich hin. Tate schüttelte lächelnd den Kopf. Seltsam, er hatte das unbestimmte Gefühl, in einer therapeutischen Praxis zu sein, nur dass alles heiter und gelöst war. Und er irgendwie versucht war, loszulassen und sich zu öffnen.

Eigentlich erstaunlich, dass sie ihn eingeladen hatte. Schließlich kannten sie sich nicht besonders gut, und er musste einen merkwürdigen Eindruck gemacht haben, da draußen im strömenden Regen direkt vor ihrem Studio. Sollte er sie danach fragen?

Mit zwei Bechern, aus denen es dampfte, kam sie aus der Küche und stellte sie auf den Couchtisch. Als sie seinen zweifelnden Blick auf das Sofa bemerkte, lachte sie leise.

„Setzen Sie sich ruhig. Ich glaube, Ihre Hose ist trocken genug.“

Sie nahm ihm das Handtuch ab, brachte es ins Schlafzimmer und kam zurück. Ihr leichter eleganter Gang erinnerte ihn an Claire.

Claire. Vor zwei Wochen hatte sie die Verlobung gelöst, und ihre Abschiedsworte verfolgten ihn noch im Traum: Ich kann damit nicht umgehen, Tate. Ich habe einen anspruchsvollen Job und mein eigenes Leben. Ich bin sicher, auch du brauchst Zeit, dein Leben neu zu ordnen.

Ja, vielleicht. Aber er kam sich so entsetzlich allein vor, vor allem jetzt vor Weihnachten. Seine Adoptiveltern machten sich große Sorgen, obwohl er ihnen immer wieder versicherte, dass sich nichts ändern würde. Besonders seine Mutter fühlte sich schuldig.

Hayden entzündete eine Kerze und setzte sich dann neben ihn. Nein, der Vergleich mit Claire haute überhaupt nicht hin. Hayden war vollkommen anders. Schon äußerlich mit ihrem dunklen Haar und dem durchtrainierten wohlproportionierten Körper.

Er wies auf die Sprüche über dem Kamin. „Sie sind in Ihrem Leben bestimmt noch nie gestolpert.“

Hayden hob ihren Becher hoch, pustete und trank einen Schluck. Dann sah sie ihn lächelnd an. „Oh, doch, sogar schon häufiger. Wissen Sie, wie schwierig ein Kopfstand in Yogaposition ist?“

Er schüttelte den Kopf. „Wie läuft das Studio eigentlich? Ich habe mal überlegt, zu einem Ihrer Kurse zu kommen.“ Blöder Einstieg, aber vielleicht erklärte das, wieso er vor ihrer Tür gestanden hatte. „Äh, ich meine, ich habe ziemlich viel Stress in der letzten Zeit. Und da soll Yoga doch guttun.“

„Allerdings, sehr gut sogar. Ich gebe Gruppenkurse, aber auch Einzelunterricht.“

„In dem Fall haben Sie nur einen Schüler zurzeit?“ Wahrscheinlich war sie sehr gut in ihrem Beruf und hatte viel zu tun. Er war erst ein paar Minuten hier und fühlte sich bereits viel besser als vorher.

„Ja. Viele Menschen hier wollen Einzelunterricht. Andere wollen das, was sie gelernt haben, auch mal allein praktizieren. Für die, sofern sie Mitglied sind, öffne ich das Studio einmal pro Woche.“

„Da gibt es ja eine Menge Möglichkeiten.“ Tate war beeindruckt.

„Hier wohnen ja auch viele Menschen. Oder haben Sie das noch nicht bemerkt, Mr. Spright?“

Sie zwinkerte ihm zu, und ihm fielen ihre dichten dunklen Wimpern über den schokoladenbraunen Augen auf. War sie immer schon so hübsch gewesen und war es ihm bei ihren bisherigen kurzen Begegnungen nur nicht aufgefallen?

„Doch, das habe ich bemerkt“, sagte er lächelnd. Fast neunhundert Häuser gab es auf der Insel. Also genügend Klienten für Hayden.

„Ich kann nicht glauben, dass Sie sich über Yoga unterhalten wollen.“ Sie sah ihn ernst an und hob fragend die schmalen dunklen Augenbrauen. „Da unten im Regen sahen Sie so aus, als beschäftigte Sie etwas ganz anderes.“

Konnte sie Gedanken lesen? Tate fühlte sich zu ihr hingezogen, empfand Nähe und gleichzeitig erregende Spannung wie schon lange nicht mehr. „Ich hatte eigentlich nicht vor, darüber zu sprechen …“, begann er zögernd. Als sie den Kopf leicht zur Seite legte und ihn mit ihren großen Augen ernst ansah, wobei ihr das Haar in sanften Wellen um das Gesicht fiel, fasste er Mut. Doch wie sollte er beginnen? Er versuchte, sich zu sammeln, während er sie betrachtete, dieses herzförmige Gesicht, die gebräunte Haut, den zierlichen Hals … Sie war auf eine beunruhigende Art und Weise schön.

„Entschuldigen Sie“, unterbrach sie ihn in seinen Gedanken und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Das geht mich gar nichts an.“

Sie wollte ihre Hand wegziehen, doch Tate hielt sie fest. „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich bin momentan nur in einer verwirrenden Lage. Noch vor sechs Wochen gab es bestimmte Dinge in meinem Leben, an denen ich nicht zweifelte.“ Wie unbewusst streichelte er Haydens Handfläche. „Zum Beispiel, dass meine Eltern William und Marion Duncan heißen.“

Als er ihren erstaunten Blick auffing, lächelte er. „Legal sind sie nach wie vor meine Eltern, das schon. Aber irgendwie auch nicht. Sie haben mich adoptiert.“

Sie schob die Lippen vor und runzelte die Stirn.

„Ich habe erst vor Kurzem erfahren“, fuhr er fort, „dass die Adoptionsagentur“ – oder, besser gesagt, die Entführer – „in Bezug auf meine biologischen Eltern gelogen haben. Sie sind nicht tot, sondern sehr lebendig und leben in London. Und ich habe einen Bruder“, er räusperte sich, „sogar einen Zwillingsbruder.“

Hayden blieb der Mund offen stehen. „Wow!“

„Wir sind zweieiige Zwillinge, sehen uns aber ziemlich ähnlich.“

Sie drückte ihm die Hand. Eigentlich sollte das Claires Job sein.

„Für mich war immer klar, dass mir die Insel gehört und diese Anlage“, sagte er und bemühte sich um einen nüchternen Tonfall. „Und daran hat sich nichts geändert. SWC ist und bleibt eine Art Zuflucht für alle, die der hektischen Welt entfliehen wollen. Der Ort hat eine Ausstrahlung, die einmalig ist und die man auf dem Festland nicht findet.“

„Ja, das empfinde ich auch so. Als ich das erste Mal den Fuß in das Studio setzte, habe ich diese positive Energie gleich gespürt. Hört sich das für Sie seltsam an?“

Nicht seltsamer als in einem anderen Land entführt worden zu sein und sich daran nicht erinnern zu können. „Nein, überhaupt nicht.“ Er war stolz auf das, was er hier geschaffen hatte und in das er Herz und Energie gesteckt hatte. Warum sollte davon nicht etwas spürbar sein?

„Es gibt noch mehr, woran ich nie zweifelte“, fuhr Tate leise fort. „Zum Beispiel, dass Claire Waterson meine Frau werden würde.“

Hayden entzog ihm ihre Hand und schloss die Finger um den Teebecher.

„Als ich herausfand, unter welchen Umständen William und Marion mich adoptiert hatten und dass meine biologischen Eltern in London leben, hat sie mir den Laufpass gegeben.“ Er senkte den Kopf. „Damit hatte ich nicht gerechnet.“

Tate strich sich das feuchte Haar zurück. Es tat gut, ihr all das zu sagen, was er so lange in sich verschlossen hatte. „Sie haben mich zum Tee eingeladen, weil ich einen bedrückten Eindruck auf Sie machte.“ Er lachte unfroh. „Aber bestimmt haben Sie nicht mit so was gerechnet.“

Ihr Lächeln ermutigte ihn. „Ich brauche nur … ich brauche …“ Er brach ab und stützte seinen Kopf in die Hände. „Verdammt, ich weiß einfach nicht, was ich brauche.“

Sie rutschte näher an ihn heran und strich ihm langsam und beruhigend über den Rücken. „Glauben Sie mir, ich habe selbst so einiges an Familienproblemen erlebt. Wenn auch nicht so dramatisch wie in Ihrem Fall. Es ist vollkommen verständlich, dass Sie sich unsicher und verloren fühlen.“

Er wandte ihr wieder sein Gesicht zu und sah sie an. Erst jetzt fielen ihm die kleinen goldenen Flecken in ihren dunklen Augen auf, dazu der sanfte Duft nach Lavendel … Er konnte kaum glauben, dass er hier bei ihr auf der Couch saß und ihr sein Herz ausschüttete. Das hatte er ganz sicher nicht geplant. Sie waren doch nicht befreundet und kannten sich nicht näher. Und dennoch taten ihm ihre Berührung und ihre verständnisvollen Worte so wohl, vor allem nachdem Claire ihm das Herz gebrochen hatte.

Vielleicht brauchte er so jemanden wie Hayden.

Er rückte näher, den Blick auf ihre Lippen gerichtet. Fast spürte er schon die Befriedigung, die der Kuss ihm bringen würde, da drehte sie sich weg.

„Tate …“

Er zuckte zurück. „Oh, Entschuldigung …“ Was hatte er sich nur dabei gedacht? Dass sie ihn eingeladen hatte, damit er hier mit ihr auf der Couch herummachte? Dass seine traurige Geschichte sie irgendwie antörnte? Als ob eine Frau an einem Mann interessiert sein konnte, der sich an ihrer Schulter ausweinte.

Er stand auf, sie auch.

„Tate, bitte …“

„Ich hätte nicht hereinkommen sollen.“ Er nahm seine Jacke vom Haken und zog sie an. Die Schuhe waren noch feucht, aber da es sich um Slipper handelte, konnte er hineinschlüpfen. „Danke, dass Sie mir zugehört haben.“

„Warten Sie.“

„Ich muss gehen.“ Er wandte sich um, um sich ein letztes Mal zu entschuldigen – und es hätte ihn fast umgehauen. Denn Hayden packte ihn bei der feuchten Jacke, stellte sich auf die Zehenspitzen – und küsste ihn.

3. KAPITEL

Hayden spürte Tates kräftige Hände, die er auf ihren Rücken legte, ehe er sie an sich zog. Ihre Brüste drückten sich gegen seinen breiten Oberkörper, und ihr Kopf war plötzlich wie leergefegt. Durch ihren dünnen Pullover hindurch spürte sie die Feuchtigkeit seiner Jacke, und Hayden erschauerte leicht, aber immer noch küsste sie ihn.

Kurz tauchte ein Bild von Claire Waterson vor ihrem geistigen Auge auf, doch sie schob es schnell beiseite. Kein Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben. Die beiden hatten sich getrennt. Tate brauchte eine gute Freundin, jemanden, der ihn verstand. Und dieser Jemand war jetzt sie, einfach nur eine gute Freundin. Nicht mehr.

Sie löste sich aus dem Kuss und atmete heftig. Ihre Glieder waren schwer, und sie bebte innerlich. Tates Atem kam schnell, ein ungläubiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

Auch sie musste lächeln. „Fühlst du dich besser?“

Sein leises, dunkles Lachen spürte sie bis in die Zehenspitzen. Er legte sich kurz die Finger auf die feuchten Lippen, als wollte er dem Kuss nachspüren. Bei dieser Geste wurden ihr die Knie weich und sie schloss die Augen. Am liebsten hätte sie sich fest in seine Arme geschmiegt. Hätte ihn wieder geküsst und ihm angeboten, ihn seinen Kummer vergessen zu machen.

„Ich wollte deine Gastfreundschaft nicht ausnutzen, wirklich nicht.“

Seine blauen Augen schimmerten im milden Kerzenlicht.

„Das hast du auch nicht. Männer, die ich zum Tee einlade, werden immer geküsst. Das gehört quasi dazu.“

Er lachte leise. „Super Deal.“ Zärtlich strich er ihr über die Wange. „Danke.“

„Ich ruf dir ein Taxi“, sagte sie schnell, bevor sie ihn bitten konnte zu bleiben. „Es gießt in Strömen.“

„Wenn ich ehrlich bin“, er öffnete die Tür zur Seitentreppe, die ins Studio führte, „könnte ich etwas Abkühlung gebrauchen. Nach diesem Kuss.“

Sie lächelte geschmeichelt. Es kam schließlich nicht jeden Tag vor, dass sie einen scharfen Typen antörnte.

„Ich ziehe die Studiotür hinter mir zu, aber vielleicht solltest du sie abschließen. Es sind die seltsamsten Leute unterwegs.“

„Das kann man wohl sagen!“ Sie lachte.

Er öffnete die Tür und wandte sich zu ihr um. „Du küsst doch nicht jeden, mit dem du Tee trinkst, oder?“

„Das möchtest du wohl gern wissen!“ Am liebsten hätte sie ihm noch einen Kuss auf den Mund gedrückt, aber er hatte die Tür bereits geschlossen, und sie hörte seine Schritte auf der Treppe. Verblüfft starrte sie auf das Holz, wo eben sein Gesicht gewesen war. War alles nur ein Traum?

„Hayden, Hayden“, sagte sie kopfschüttelnd, ging nach unten, schloss die Tür ab und trug dann oben die fast vollen Teebecher in die Küche. Tate hatte seinen wohl kaum mit den Lippen berührt.

Aber ihren Mund.

Dieser spontane Kuss hatte ihre Welt aus den Angeln gehoben. Hayden stürzte ans Fenster und blickte nach draußen. Tate stand unter der Straßenlaterne, die Schultern hochgezogen, das Haar glänzend vor Nässe. Dann machte er ein paar Schritte rückwärts und sah an dem Gebäude hoch in Richtung ihres Apartments. Auf die Entfernung konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber sie stellte sich vor, dass er lächelte.

Unwillkürlich berührte sie ihre Lippen. Sie lächelte ebenfalls.

Nach drei Tagen wurde aus dem heftigen Regen immerhin ein leichtes Nieseln. Noch gestern war Hayden auf dem kurzen Weg zum Supermarkt vollkommen durchnässt worden. Ihr war eiskalt gewesen, als sie schließlich zu Hause war. Das Haar hing ihr in nassen Strähnen ums Gesicht.

Natürlich hatte sie gleich wieder an den Kuss denken müssen. Seit dem Abend hatte sie Tate nicht wiedergesehen. Das hatte sie auch nicht erwartet, aber ein bisschen enttäuscht war sie trotzdem. Zu genau erinnerte sie sich an den Druck seiner festen Lippen, an die Wärme seiner Hände auf ihrem Rücken, an sein ungläubiges Lächeln. Und an das erregte Glitzern in seinen Augen.

Für eine kurze Zeit hatte sie ihn von seinen traurigen Gedanken abgelenkt. Davon war sie überzeugt und das machte sie stolz. Aber irgendwie sehnte sie sich nach ihm, was seltsam war. Denn vor dem Kuss wäre sie nie auf die Idee gekommen.

Obwohl der Regen nachgelassen hatte, war es kalt und ungemütlich, wenn auch normal für November. Auf dem Weg zum Café schlug Hayden den Mantelkragen hoch. In einer Stunde hatte sie einen Yogakursus und eigentlich keine Lust dazu. Vielleicht brauchte sie nur einen starken heißen Kaffee.

Da es nur noch leicht regnete, trauten sich einige Spaziergänger heraus. Und viele hatten wie sie die Idee, sich bei einem Kaffee aufzuwärmen. So saßen sogar draußen auf dem überdachten Patio vereinzelt Paare, meist unter den Heizpilzen. Hayden ging hinein, die Schlange war nicht lang. Sie bestellte sich einen großen Milchkaffee mit einem Schuss Karamell und trat zur Seite. Kaum hatte sie eine halbe Minute gewartet und auf den Glaskasten mit Donuts gestarrt, als hinter ihr die Stimme aus ihren Träumen sagte: „Sie sehen aus, als wollten Sie etwas und trauten sich nicht, Ms. Green.“

Lächelnd drehte sie sich um. Und obgleich sie glaubte, vorbereitet zu sein, haute sein Anblick sie einfach um. Tate trug einen anthrazitfarbenen Anzug, darüber einen helleren Mantel. Sein Haar war feucht und lässig zurückgestrichen. Hatte er gerade geduscht? Kurz stockte ihr der Atem, als sie sich ihn nackt unter der Dusche vorstellte. Warmes Wasser floss über seine breiten Schultern, den flachen muskulösen Bauch, seine langen kräftigen Beine …

„Ist das so offensichtlich?“

Er wies auf die Donuts. „Welchen möchtest du denn? Oder bedauerst du, dass du dir vorgenommen hast, standhaft zu bleiben?“

„Hm …“ Sie tat, als müsse sie überlegen. „Vielleicht bedauere ich ja mein spontanes Verhalten vor drei Tagen.“

Überrascht hob er die Augenbrauen, was sie wiederum verwunderte. Er musste doch wissen, dass sie nicht zimperlich war. Schließlich war der Kuss von ihr ausgegangen.

Er wollte gerade etwas sagen, als eine dünne Blonde um die Ecke kam und sich einen Handschuh anzog. Claire.

„Von mir aus können wir gehen“, unterbrach sie das Gespräch, und nicht nur Hayden war von ihrem Benehmen befremdet.

Tate nickte Claire stirnrunzelnd zu und wandte sich dann an sie: „Hayden, dies ist Claire Waterson. Und, Claire, dies ist Hayden Green. Sie hat das Yogastudio hier in der Straße.“

„Angenehm.“ Claire sah sie noch nicht einmal an, während sie sich den anderen Handschuh anzog.

„Auf Wiedersehen.“ Tate hob die Hand und verschwand mit Claire nach draußen.

Hayden sah den beiden hinterher, die ihren Wagen direkt vor dem Café geparkt hatten. Also war Tate nicht zu Fuß gekommen. Die blonde Ziege hatte es sicher nicht erlaubt.

„Hier, Ihr Kaffee.“ Die junge Frau reichte ihr den großen Pappbecher.

Hayden nickte lächelnd und nahm den Kaffee mit nach draußen. Tate saß hinter dem Steuer und fuhr gerade an. Er sah sie und warf ihr ein kurzes Lächeln zu. Immerhin.

Bei dem Gedanken hätte sie sich ohrfeigen mögen. Sie hatte sich einfach idiotisch benommen. Wie hatte sie auf ihn hereinfallen können? Sie hatte ihm geglaubt, als er ihr, fast mit Tränen in den Augen, erzählt hatte, die Sache mit Claire sei vorbei. Wenn sie auch nur die leiseste Ahnung gehabt hätte, dass sie ihm drei Tage später im Café mit Claire begegnen würde, hätte sie ihn nie geküsst. Und wie er Claire beim Hinausgehen die Hand auf den Rücken gelegt hatte. Das sah nun ganz und gar nicht so aus, als hätten sie sich getrennt.

Hayden kochte vor Wut, als sie die Straße überquerte. Wie hatte sie nur so blöd sein können!

Ihr Handy klingelte. Sie zog es aus der Tasche und blickte auf das Display. Ihre Mutter. Das hatte gerade noch gefehlt. Sie ignorierte den Anruf und steckte das Telefon wieder ein.

Ihr Umzug auf die Insel war beinahe so etwas wie eine Flucht gewesen. Sie hatte die familiäre Situation nicht mehr ausgehalten. Ihre Mutter Patti war von ihrer Großmutter Winnie zu Tode gestresst. Winnie war Alkoholikerin und hielt Patti fest im Griff, die sich daraus einfach nicht lösen konnte. Oder nicht lösen wollte, weil es ihr eine Art von perversem Lebenssinn gab. Haydens Vater Glenn hielt sich aus allem heraus und war keine Hilfe für Hayden, die sich nach Ruhe und Sicherheit in ihrem Leben sehnte.

So hatte Hayden schließlich keine andere Möglichkeit gesehen, als die verkorkste Familiensituation und Seattle hinter sich zu lassen und auf die Insel zu flüchten.

Als es Zeit war, sich für die Yogastunde umzuziehen, war ihr Kaffee kalt und ihr Kopf wie benommen. Sie legte sich eine Hand aufs Herz und atmete tief durch. Es hatte keinen Sinn, wütend auf Grandma Winnie zu sein, die alkoholkrank war. Und sie sollte sich auch nicht ständig Gedanken um ihre Mutter machen, die sich von Winnie ausnutzen ließ. Oder um ihren Vater, der sich um nichts kümmerte.

„Sie können alle nicht aus ihrer Haut“, sagte sie halblaut vor sich hin, als sie die Treppe hinunterging. Gleichzeitig war ihr klar, dass es durchaus jemanden gab, den sie nicht in diesem milden Licht betrachten konnte. Und das war Tate, der sie auf sehr eindeutige Weise geküsst und sie damit ganz durcheinandergebracht hatte. Der ihr eine tränenreiche Story erzählt hatte und dann mit der Frau im Café aufgetaucht war, die ihm angeblich das Herz gebrochen hatte.

„Hallo, Hayden“, begrüßte Janice sie, als sie die Tür öffnete.

Hayden zwang sich zu einem Lächeln. Sie war es ihren Kursteilnehmern schuldig, nicht mit einem traurigen Gesicht herumzuhängen, sondern sie positiv aufzubauen. Und das würde sie tun.

Alles andere, die Dramen mit ihrer Familie und mit Tate, musste warten, zumindest so lange, bis die Stunde vorbei war.

4. KAPITEL

Die Klingel über der Eingangstür schepperte.

Die Teilnehmer des Abendkurses hatten das Studio bereits verlassen, das hatte Hayden zumindest angenommen. Aber offenbar nicht alle. Interessiert sah sie hoch, und das Lächeln erstarrte auf ihrem Gesicht. Niemand ging hinaus, sondern jemand kam herein. Und dieser Jemand war genau der Mann, an den sie in den letzten Tagen viel zu oft hatte denken müssen, sosehr sie sich auch bemüht hatte, ihn zu vergessen.

Tate zog seine Lederjacke aus – die, die er angehabt hatte, als sie sich geküsst hatten – und stand dann lächelnd vor ihr. Ganz in Schwarz und atemberaubend sexy in seiner schmalen Sporthose und einem langärmeligen schwarzen T-Shirt, das eng anlag.

Hayden schluckte. „Hallo“, stieß sie schließlich hervor.

„Hallo.“ Er hob entschuldigend die Schultern. „Ich habe es leider nicht rechtzeitig zur letzten Stunde geschafft, aber vielleicht hast du Zeit für Einzelunterricht?“

Sofort musste sie an die Situation vor fünf Tagen denken, als sie auch mit ihm allein gewesen war. Diesen Kuss würde sie nie vergessen. „Für Einzelstunden muss man vorher einen Termin machen“, sagte sie so streng wie möglich. Die Erinnerung an die Begegnung mit Claire vor zwei Tagen war noch zu frisch.

„Tatsächlich?“ Er trat an den Schreibtisch. „Und da gibt es keine Ausnahme?“

Sie ging nicht darauf ein. „Falls du gekommen bist, weil du meinst, mir etwas erklären oder dich entschuldigen zu müssen …“

„Nein“, unterbrach er sie.

Sie sah ihn fragend an.

„Ich habe in letzter Zeit den Eindruck, mein Leben nicht mehr im Griff zu haben. Kennst du dieses Gefühl, die Kontrolle über alles verloren zu haben, was noch vor Kurzem so einfach zu sein schien? So als ob dir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde?“ Er senkte den Kopf und blickte auf seine Jacke, die er verkrampft in den Händen hielt.

Sie wusste genau, was er meinte. Das war auch ihr passiert, nur quasi anders herum. Von Geburt an war ihr Leben unberechenbar gewesen, und sie hatte keinen Platz in ihrer Chaos-Familie gefunden. Erst als sie hier auf die Insel gezogen war, normalisierte sich alles und sie fand endlich Frieden. Um diesen Frieden zu erhalten, sollte sie Tate eigentlich wegschicken, aber sie konnte es nicht.

„Und du meinst, dass Yoga dir hilft, die Kontrolle über dein Leben zurückzugewinnen?“, fragte sie leise.

„Na ja, nicht ganz.“

Verlegen rieb er sich den Nacken und sah sie dann so eindringlich und traurig an, dass ihr Herzschlag kurz aussetzte.

Er grinste. „Ich glaube, ich habe eine eindeutige Wirkung auf dich. Servierst du immer noch Küsse zusammen mit Tee?“

Was? Hayden umklammerte die Kante der Schreibtischplatte und starrte ihn an. Natürlich hatte er eine eindeutige Wirkung auf sie, wie er das nannte. Vor allem wenn er so wie jetzt vor ihr stand und sie mit seinem Dackelblick ansah. Weshalb war er wirklich gekommen? Was wollte er? Sex?

„Tut mir leid. Das Angebot gilt nicht mehr.“ Obgleich sie nichts dagegen gehabt hätte, ihn noch mal zu küssen. „So was wie eine Nebenfrau zu sein, ist nicht mein Ding, Tate. Und das wäre Claire auch bestimmt nicht recht.“

„Das mit Claire ist vorbei. Endgültig. Das, was du da im Coffeeshop gesehen hast, war nur der Abschluss. Sie hat mir einen Karton mit meinen Sachen gebracht und gemeint, wir sollten einen Kaffee trinken. Ich fand ja, sie könnte das, was sie mir zu sagen hatte, auch bei mir zu Hause loswerden, aber ihr war neutraler Boden lieber.“

„Oh …“ Dann waren die beiden tatsächlich auseinander. „Warum bist du nicht zu mir gekommen und hast mir die Sache erklärt? Du wusstest doch, dass ich euch zusammen gesehen habe und falsche Schlüsse ziehen würde. Stattdessen tauchst du nach zwei Tagen hier auf …“

„Ich dachte, wir könnten das bei einer Yogastunde klären.“ Er senkte den Kopf. „Falls du Zeit hast, am besten jetzt.“

Am besten nie … Das brachte sie jedoch nicht fertig. Tate Duncan war einfach unwiderstehlich, was er leider sehr genau wusste. Sie blätterte mit fliegenden Fingern in ihrem Terminkalender. „Morgen. Wie wäre es mit morgen? Gegen Mittag?“

„Okay.“

„Ich brauche noch deine Kreditkarte. Die erste Stunde muss im Voraus bezahlt werden. Das Geld wird nicht zurückerstattet, falls du es dir anders überlegst.“

„Sehr vernünftig.“

Dessen war sie nicht so sicher. Der Mann interessierte sie allerdings zu sehr, als dass sie ihn hätte wegschicken können.

Am späten Vormittag des nächsten Tages machte Tate sich auf den Weg zu Haydens Studio. Es war trocken, wenn auch kühl. Die kalte Luft tat ihm gut, als er mit schnellen Schritten den Pfad durch den Wald nahm.

Gestern hatte er nur ein paar Sachen im Supermarkt einkaufen wollen, als er sah, wie Haydens Abendkurs das Studio verließ. Ohne dass es ihm so recht bewusst gewesen war, hatte er die Straße überquert und die Tür zum Studio aufgestoßen. Und als er dann vor Hayden stand, musste ihm schnell eine Begründung einfallen. Eine andere als die, die ihn zu ihr geführt hatte.

Seit Tagen dachte er an kaum etwas anderes als an sie. Was einerseits gut war, weil er sonst wie besessen von den Gedanken an seine Eltern, an seine Adoptiveltern und seinen Zwillingsbruder war und an das ganze Durcheinander in seinem Leben.

Weshalb hatte er ihren Kuss erwidert? Stand er noch unter Alkoholeinfluss? Sehnte er sich so sehr nach Nähe nach dem Desaster mit Claire? Aber warum brannte der Kuss nach wie vor wie ein Feuer in ihm, das gelöscht werden wollte? Sollte er nach den Erfahrungen mit Claire diesem Feuer nicht lieber aus dem Weg gehen?

Hayden war anders. Sie war für ihn da gewesen, hatte ihm zugehört, als er sich aussprechen musste. Und das hatte seine quälende Grübelei durch ein sehr viel besseres Gefühl ersetzt.

Begierde. Verlangen. Nach Sex.

Er begehrte sie. Er wollte sie nackt an sich drücken, wollte ihr Stöhnen hören, wenn er in sie eindrang, und ihre Fingernägel spüren, wenn sie sie in seinen Rücken krallte, während sie zum Höhepunkt kam. Irgendwie erregte sie eine tiefe fleischliche Lust bei ihm, wenn sie in seiner Nähe war, ein animalisches Empfinden, das er genoss. Er hasste das Gefühl der Hilflosigkeit, der Verwirrung, es machte ihn schwach. In Haydens Gegenwart fühlte er sich stark. Als sie sich küssten und sie dabei in seinen Armen dahinschmolz, da spürte er diese Stärke. Und sie hatte ihm gutgetan.

Er wusste, dass er Hayden verletzt hatte, gleich in dem Augenblick, als er mit Claire das Café verließ. Aber er hatte Claire das Treffen nicht abschlagen können. Schließlich waren sie drei Jahre zusammen gewesen und hatten sich vor kurzer Zeit sogar noch verlobt, wenn auch vor allem deshalb, weil alle anderen es von ihnen erwartet hatten. Sie hatten nie zusammengelebt, weil Claire es nicht wollte. Sie fühlte sich auf der Insel nicht wohl. Hatte mit dieser besonderen Art von Nachbarschaft nichts anfangen können.

Im Gegensatz zu Hayden, die die Insel liebte. Der Kuss war mehr gewesen als sexuelles Begehren. Er hatte Tate gezeigt, dass er sich bisher nicht darüber im Klaren gewesen war, was er wirklich wollte.

Das war früher auch nicht nötig gewesen. Ihm war im Leben so einiges in den Schoß gefallen. Sein Vater hatte ihm die Insel geschenkt, und er hatte hier seinen Traum verwirklicht, zwar mit Rückschlägen, aber alles in allem ohne große Probleme.

Als er dann feststellte, dass er einen Bruder hatte und ein zweites Paar Eltern, hatte er das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen. Er war unfähig gewesen, mit der Situation umzugehen. Das Leben hatte es bisher einfach zu gut mit ihm gemeint. Er fühlte sich hilflos und den Umständen ausgeliefert. Wie in einem schlechten Film.

Dann kam der Kuss. Und mit ihm das Bewusstsein, dass er für sein eigenes Leben verantwortlich war und dafür kämpfen musste.

Tate lief über die Straße und blieb verblüfft vor der Tür zum Yogastudio stehen. Geschlossen stand auf einem großen Schild. Das konnte doch nicht wahr sein! Er rüttelte an der Tür. Zu. Er blickte auf seine Uhr. Kurz nach zwölf. War er zu spät?

Jemand tippte ihm auf die Schulter, und da war sie, wunderschön anzusehen in ihrer dunkelblauen Leggins und dem leuchtend grünen T-Shirt. Schnell schloss sie auf und ließ ihn hinein. Sofort musste er wieder an diese Regennacht denken, in der sie die Tür für ihn geöffnet hatte, ehe sie sich auf die Zehenspitzen gestellt und ihn geküsst hatte … An diesen Kuss, der sein Leben verändert hatte.

„Entschuldige“, sagte sie und atmete tief durch. „Normalerweise bin ich sehr pünktlich.“

Oh Gott, wie gern würde er sie jetzt küssen … Aber Geduld. Bisher hatte sie ihn noch nicht angesehen, sondern wich eher seinem Blick aus. „Ich dachte schon, du hättest deine Meinung geändert.“ Er hängte seine Jacke an den Garderobenständer und wies auf die aufgestapelten Yogamatten und den Kasten mit Wasserflaschen. „Ich muss mir noch eine von diesen Matten kaufen.“

„Nimm dir eine“, sagte Hayden. Bevor sie die Tür schloss, warf sie einen Blick nach draußen und atmete dann erleichtert auf. „Da ist sie ja!“

Eine blonde Frau, wahrscheinlich in ihren Vierzigern, kam auf das Studio zugerannt, eine Yogamatte unter dem Arm.

„Sherry hat angerufen und wollte dringend noch einen Termin. Da alles sonst voll ist, vor allem so kurz vor Weihnachten, habe ich sie für heute mit dazugenommen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.“

Natürlich hatte er etwas dagegen. Er hatte Einzelunterricht gebucht, und nun musste er die Stunde mit Sherry Baker teilen, die er sehr gut kannte. Sie war die bekannteste Maklerin auf der Insel.

„Hallo, Tate!“ Sherry klopfte ihm munter auf die Schulter und hängte ihre Sachen neben seinen auf. „Ich wusste gar nicht, dass du Yoga machst.“

Er sah kurz zu Hayden hinüber, die die Tür schloss und ganz eindeutig ein Lachen unterdrückte. Also hatte sie das mit Absicht getan. Erst wollte er wütend sein, aber dann fragte er sich, warum sie das getan hatte. Hatte sie Angst vor ihm? Oder Angst vor sich selbst?

Er sah Sherry strahlend an. „Du kennst mich ja. Bin ständig am Überlegen, wie ich die örtliche Geschäftswelt unterstützen kann.“

„So, so. Hier, nimm die hier.“ Sherry reichte ihm eine schwarze Yogamatte. „Die wirkt männlich und passt zu dir. Außerdem ist es die gleiche Marke wie meine.“

„Okay, danke.“ Tate nahm die Matte unter den Arm und drehte sich zu Hayden herum. Er hatte tausend Fragen und konnte ihr keine davon stellen. „Einverstanden, wenn ich hinterher bezahle?“

Sie wollte etwas erwidern, sah aber, dass Sherry bereits ihre Matte ausrollte. „Ja, ja, ist schon in Ordnung.“

„Gut.“ Er suchte sich einen Platz und breitete die Matte aus. Also hatte er einen Grund hierzubleiben, wenn Sherry gegangen war. Dann konnte Hayden seinen Fragen nicht mehr ausweichen. Die erste Runde ging an ihn.

5. KAPITEL

Für Hayden war Yoga so lebenswichtig wie Atmen. Ohne Schwierigkeiten glitt sie von einer Position in die andere, hielt allerdings immer wieder inne, um Tate und Sherry bei den einzelnen Bewegungsabläufen zu helfen.

Sherry war Mutter von zwei Teenagern. Ihr Sohn war gerade ausgezogen, um sein Studium zu beginnen. Ihre dreizehnjährige Tochter hatte sich mit ihren ehemals besten Freundinnen Callie und Samantha zerstritten. Das wusste Hayden, weil Sherry unentwegt davon redete. Außerdem natürlich darüber, dass sie unbedingt zwanzig Pfund abnehmen müsse und koffeinabhängig sei. Von Yoga versprach sie sich wahre Wunder, nicht nur abzunehmen und ihren Kaffeekonsum einzuschränken. Sie hoffte auch, zu einem gesünderen Arbeitsrhythmus zu finden.

Tate schwieg, aber Hayden bemerkte, dass er leicht schmunzelte, wenn er von einer Position in die andere wechselte. Beim herabschauenden Hund kniete sie sich neben Sherry. „Versuch, dich auf den fünf Fingerspitzen und nicht auf der ganzen Handfläche abzustützen. Das ist besser für deine Handgelenke.“

Danach wandte sie sich Tate zu, wobei sie sich immer wieder daran erinnern musste, dass sie die Lehrerin war. Dass sie professionelle Hilfestellung zu leisten hatte und sexuelle Empfindungen dabei nichts zu suchen hatten.

Das war bisher auch nie der Fall gewesen. Bis heute.

Ein Blick auf Tates knackigen Hintern, auf seine muskulösen Arme und Beine genügte, und das Blut stieg ihr in die Wangen, und sie atmete schneller. Und nun musste sie ihn auch noch anfassen, um ihn in die richtige Position zu bringen.

Mist …

Sie legte ihm eine Hand auf den Rücken, die andere auf die Hüfte und wies ihn an, die Fersen möglichst weit abzusenken. Dabei atmete er schwer, und sie überlief ein Schauer, als sie seinen warmen Atem auf ihrer Haut spürte. Und das, obwohl sie doch extra Sherry dazu genommen hatte, damit sie diesen Gefühlen nicht ausgesetzt war.

Das war wohl nichts.

Bei der Kobra-Position ermutigte sie Sherry, sich auf ihre Knie niederzulassen, wenn sie sich dabei besser fühlte. Als sie auch Tate dazu auffordern wollte, grinste er nur und machte mühelos gleich zehn Push-ups nacheinander. Bewundernd starrte sie ihn an, was er leider bemerkte. Er blinzelte ihr triumphierend zu.

Angeber!

Hayden ging zu ihrer Matte zurück und beendete die Folge mit der Berg-Position, aufrecht stehend und die Hände vor der Brust aneinandergelegt.

„Wow! Das war anstrengend, Hayden!“ Sherry fächelte sich Luft zu. Ihr Gesicht war gerötet. „Ich fürchte allerdings, ich habe ein bisschen viel geredet. Oder, Tate?“ Sie warf ihm eine Kusshand zu, und Hayden musste lachen.

Sherry war glücklich verheiratet und behandelte ihn wie einen guten Freund, den sie schon lange kannte.

Und genau das sollte ich auch tun.

„Ich muss zurück ins Büro“, wandte sich Sherry jetzt an sie. „Kann ich dich anrufen und was für nach Weihnachten ausmachen?“

„Ja, wann immer du willst.“ Hayden brachte Sherry zur Tür und blieb mit ihr im Gespräch stehen, in der Hoffnung, Tate würde seine Sachen zusammenpacken und gehen. Doch er dachte nicht daran. Mit zusammengerollter Matte stand er vor dem kleinen Schreibtisch und wartete.

Mist. Sie hatte vergessen, dass er die Matte noch bezahlen musste.

„Auf Wiedersehen!“ Sherry winkte ihr zum Abschied fröhlich zu, und Hayden blieb nichts anderes übrig, als Tate gegenüberzutreten.

„Wenn du zugibst, dass du Sherry absichtlich bestellt hast, damit du nicht mit mir allein sein musst, dann sei dir vergeben“, sagte er lächelnd.

„Wie kommst du denn darauf?“, wich sie aus. Er hatte recht, da brauchte sie sich nichts vorzumachen, aber sie hatte genügend Psychodramen in ihrem Leben. Neue Verwicklungen konnte sie wirklich nicht gebrauchen. Und dennoch, Tate war wie das zweite Stück Kuchen, das sie eigentlich nicht essen sollte und doch so gern hätte.

„Zweiunddreißig Dollar.“

Er reichte ihr seine Kreditkarte.

„Es ist wirklich eine sehr gute Matte“, erklärte sie schnell, nur um etwas zu sagen.

„Das bezweifle ich gar nicht. Ist vollkommen in Ordnung.“

„Ich meine nur …“ Verlegen senkte sie den Kopf. Für ihn sind zweiunddreißig Dollar wahrscheinlich so viel wie für mich zweiunddreißig Cent.

„Was ist los, Hayden? Bitte, sieh mich an. Hast du Schwierigkeiten mit mir? Bin ich dir unsympathisch?“

„Nein, nein, entschuldige.“ Sie gab ihm die Karte zurück, ließ ihn den Beleg abzeichnen und verstaute ihr Tablet in der Schublade. Erst dann sah sie ihn an.

Er stand da, ruhig wie ein Fels.

„Ich habe Sherry nicht nur deshalb dazu bestellt, weil ich nicht mit dir allein sein wollte. Ihr seid beides Anfänger, da passte das gut.“

Er nickte.

„Außerdem, was hast du denn erwartet, als du hier hereingeplatzt …“

„Hereingeplatzt?“

„Und verlangt hast …“

„Verlangt?“

Sie wusste selbst, wie herbeigesucht sich das anhörte, obgleich ein Körnchen Wahrheit darin war. „Ich war in der Woche extrem ausgebucht. Wahrscheinlich wollten alle vor Thanksgiving noch mal kommen.“

„Und du hast mich trotzdem reingepresst.“ Wieder setzte er dieses unverschämte unwiderstehliche Lächeln auf. „Weil du mich nicht abweisen wolltest.“

„Pah … Weil ich damit mein Geld verdiene. Ich habe schließlich keine Millionen auf dem Konto.“ Wie andere Leute, hätte sie beinahe hinzugefügt.

„Stimmt.“ Er griff nach seiner Jacke. „Und danke. Für die Matte, meine ich.“ Er klemmte sich die zusammengerollte Matte zwischen die Knie und zog sich die Jacke an.

Irgendwie hatte sie ein schlechtes Gewissen. „Ich habe zu danken. Dass du gekommen bist. Vielleicht möchtest du Mitglied werden?“

Er ging auf die Tür zu, drehte sich dann aber überraschend um, eine Hand auf dem Türdrücker. Hayden, die ihm gefolgt war, stand plötzlich dicht vor ihm.

„Kann sein“, sagte er vieldeutig. „Erst einmal denke ich an ein anderes Wiedersehen. Hast du Lust, mit mir ...

Autor

Jules Bennett
<p>Jules Bennett, die ihren Jugendfreund geheiratet hat, ist Mutter von zwei Mädchen – und, natürlich, Autorin. Voller Tatkraft managt sie ihr Leben. Wenn sie sich erst einmal ein Ziel gesetzt hat, hält nichts sie davon ab, es zu erreichen. Davon kann ihr Mann ein Lied singen. Jules Bennet lebt im...
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