Berauschend wie die Liebe

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Ihre Karriere am Theater im australischen Sydney bedeutet der Schauspielerin Kirsty viel - aber noch wichtiger ist ihr Unabhängigkeit! Deshalb soll sie auf keinen Fall erfahren, dass ihre besorgten Eltern einen Bodyguard für sie eingestellt haben. Ganz "zufällig" begegnet sie so dem attraktiven Ryan Harris eines Abends im Theater wieder. Ryan war es, der sie vor einigen Jahren aus den Händen von Entführern gerettet hat - und in den sie sich damals heftig verliebte. Jetzt flammt Kristys Liebe sofort wieder auf. Zunächst bleibt Ryan zurückhaltend - bis er Kristys Charme nicht länger widerstehen kann. In einer breauschenden Liebesnacht finden sie zueinander. Doch am nächsten Tag ändert sich alles: Beglückt geht Kristy zur Vorstellung - wo eine bedrohliche Botschaft auf sie wartet ...


  • Erscheinungstag 28.03.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513821
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Die Beerdigung tags zuvor war schlimm genug gewesen, aber die Sachen ihrer Mutter zusammenpacken zu müssen war noch schlimmer.

Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte, obwohl es nur ein Zimmer war … in einer schäbigen Pension in den schmuddeligen Seitenstraßen von Kings Cross, wo in Sydney Unterschlupf suchte, wer nicht auf der Sonnenseite des Lebens stand. Ein jämmerliches Zimmer. Nicht gerade viel, was nach einem Leben von siebzig Jahren übrig geblieben war.

Sie atmete tief ein und fing einfach mit dem wackeligen Kleiderschrank an. Sämtliche Kleidungsstücke ihrer Mutter stopfte sie in einen großen Plastiksack, um sie später in einen Altkleidercontainer zu werfen. Mit dem Inhalt der alten Kommode in der Ecke war es nicht ganz so einfach, abgesehen von der ramponierten Wäsche in der obersten Schublade, die ebenfalls in einen Plastiksack kam und in den Müll wandern würde. Aber die übrigen drei Schubladen waren mit Krimskrams vollgestopft, der sicher genauso geschmacklos und nutzlos war wie seine ehemalige Besitzerin, aber er würde wohl durchgesehen werden müssen.

Seufzend machte sie sich an die Arbeit. Die erste Schublade enthielt „modische Accessoires“, wenn man es denn so beschreiben wollte. Schals, Gürtel und Schmuck … ausnahmslos billig, aber noch zu gebrauchen, weshalb sie in den Kleidersack sortiert wurden. Dann eine Schublade voller Handtaschen, die meisten schon ziemlich schäbig und ein Fall für den Müllsack. Aber ein ganz hübsches, Perlen besticktes Abendtäschchen war darunter, das sie fast behalten hätte.

Sie wollte keine Erinnerungsstücke an ihre Mutter. Sie wollte vergessen, dass eine Frau namens Lorna Manson je existiert hatte. Sie hatte sogar ganz offiziell ihren Nachnamen geändert, damit auch in dieser Hinsicht keine Verbindung mehr bestand.

Die perlenbestickte Handtasche wanderte in den Altkleidersack.

Die letzte Schublade enthielt einen Berg alter Fotos. Es waren einige ganz nette Fotos von ihr als Baby und als kleines Mädchen darunter, die sie behalten würde. Die sortierte sie auf einen Stapel zusammen mit einigen wenigen, die sie zusammen mit ihrer Mutter zeigten.

Die übrigen warf sie auf einen Stapel für den Müll. Auf den meisten war ihre Mutter mit wechselnden Männerbekanntschaften abgelichtet … oftmals spärlich bekleidet und in provokanten Posen, die Männer meist mit nacktem Oberkörper.

Kopfschüttelnd betrachtete sie diese schier endlose Männerparade. Bis ihr plötzlich der Gedanke kam, dass einer davon durchaus ihr Vater sein konnte. Da sah sie sich die Gesichter der Männer genauer an. Doch keiner sah ihr auch nur im Entferntesten ähnlich. Es war nicht einmal einer mit blonden Haaren darunter, und in Anbetracht der Tatsache, dass ihre Mutter so dunkel gewesen und sie so blond war, musste ihr Vater ja wohl blond gewesen sein.

Es war dumm, auch nur danach zu suchen. Wahrscheinlich war ihr Vater eine von Lornas flüchtigen Bekanntschaften für eine Nacht gewesen. Ihre Mutter hatte, bis ihre Schönheit endgültig verblasst war, regelmäßig als Prostituierte gearbeitet, wenn sie Geld brauchte. Die Schwangerschaft war ein Fehler gewesen. Ein großer Fehler, wie Lorna oftmals gesagt hatte, wenn sie zu viel getrunken hatte. Was in den letzten Jahren eigentlich immer der Fall gewesen war.

Kein Wunder, dass der Alkohol Lorna Manson am Ende getötet hatte. Wenngleich nicht ganz so, wie ihre Tochter es erwartet hatte. Ein Autofahrer hatte Lorna zu spät gesehen, als sie im Suff auf die William Street getorkelt war. Kein schöner Tod. Aber immer noch besser, als an Leberzirrhose dahinzusiechen.

Nachdem sämtliche Fotos gesichtet waren, warf sie den größeren Stapel in den Müllsack und steckte den kleineren in ihre teure Lederhandtasche. Jetzt war auch die letzte Schublade leer bis auf eine Zeitschrift. Es war eines jener typischen Hausfrauenmagazine mit Rezepten, Modetipps und Klatschgeschichten über Prominente, und sie wollte es schon in den Müllsack stopfen, als ihr auf dem Titelblatt die Ankündigung eines Artikels über Nathan Whitmore auffiel … der Autor des Theaterstückes, für das sie augenblicklich probte.

Hatte ihre Mutter die Zeitschrift deswegen gekauft? Nachdenklich setzte sie sich aufs Bett und blätterte das Magazin durch, bis sie den Artikel gefunden hatte, der aus vielen Fotos und wenig Text bestand. Sie betrachtete gerade eines der Fotos, auf dem Nathan Whitmore mit seiner schönen jungen Frau abgelichtet war, als es an der Zimmertür klopfte.

„Ich bins … Joan. Kann ich hereinkommen, Liebes?“

Das alte Muttchen von nebenan. „Die Tür ist offen“, rief sie und überflog rasch den Artikel über Nathan Whitmore. Aber „Sisters in Love“, das aktuelle Stück, in dem sie eine Hauptrolle spielen würde, war überhaupt nicht erwähnt. Warum also hatte ihre Mutter diese Zeitschrift aufgehoben? Der Artikel enthielt lediglich die üblichen Klatschgeschichten über angebliche Eheprobleme des prominenten Paares. Anscheinend hatte Nathan Whitmores Frau ihn kürzlich nicht nach New York zur Verleihung des „Tony Award“ begleitet, den er für sein berühmtestes Stück „The Woman in Black“ erhalten hatte, das am Broadway immer noch ein Kassenschlager war.

„Die drucken einen Müll in diesen Blättchen, nicht?“, sagte sie zu Joan, die zögernd an ihre Seite gekommen war. „Nehmen Sie zum Beispiel diesen Artikel … alles Gerüchte und Spekulationen. Ich wette, Nathan Whitmores Ehe ist völlig glücklich. Seine Frau ist eine Schönheit. Natürlich ist sie viel jünger als er, aber was solls? Er ist immer noch ein atemberaubend attraktiver Mann … und steinreich dazu.“

„Sind Sie ihm je begegnet?“, erkundigte sich Joan, die seltsam herumdruckste, als hätte sie irgendetwas auf dem Herzen.

„Nein. Er hat mit der Produktion, in der ich spiele, nichts zu tun. Er führt sowieso nur noch sehr selten Regie. Irgendwo meine ich gelesen zu haben, dass er nicht so lange von seiner Frau und seiner Familie getrennt sein möchte – was für mich nach dem perfekten Ehemann und Vater klingt. In diesem Artikel wird er wie eine Art Blaubart dargestellt, dem keine Frau vertrauen sollte. Du meine Güte, er war erst einmal vorher verheiratet, was heutzutage doch schon normal ist. Ich habe jedenfalls nie davon gehört, dass er von einem Bett ins andere springt. Und wenn er ein Weiberheld wäre, hätte sich das unter uns Theaterleuten herumgesprochen, glauben Sie mir.“

„Das klingt, als würden Sie ihn bewundern, Kindchen.“

„Das tue ich auch. Er ist ein brillanter Autor, ein kreatives Genie. Und wer weiß? Vielleicht werde ich ihn eines Tages ja tatsächlich persönlich kennenlernen.“

„Das … sollten Sie wahrscheinlich sogar.“

„Das sollte ich? Wie meinen Sie das, Joan?“

Joan seufzte. „Ach herrje, jetzt ist es endlich heraus.“

„Was, Joan? Reden Sie nicht um den heißen Brei herum!“

„Es … wird ein Schock für Sie sein …“

„Was denn, um Himmels Willen?“

„Nathan Whitmore … er ist Ihr Vater.“

„Mein Vater?“

„Ja.“ Die alte Joan nickte.

„Aber … das ist unmöglich!“

„Nein, nein, es ist schon wahr. Lorna hat es mir eines Nachts erzählt, als sie betrunken war … und sie hat immer die Wahrheit gesagt, wenn sie betrunken war. Am nächsten Morgen musste ich ihr versprechen, es Ihnen nie zu sagen, und ich habe dieses Versprechen gehalten. Aber jetzt ist Lorna tot, und ich meine, Sie haben ein Recht, es zu wissen.“

„Aber denken Sie doch einmal nach, Joan. Ich bin siebenundzwanzig, Nathan Whitmore ist dreiundvierzig. So steht es in diesem Artikel.“ Sie schlug mit der Hand auf die Seite. Ihr Herz pochte wie wild. „Meine Mutter war bei meiner Geburt schon dreiundvierzig – wollen Sie behaupten, Nathan Whitmore habe mich mit sechzehn gezeugt?“

„Ich weiß ja, dass es unwahrscheinlich klingt, Liebes. Glauben Sie mir, ich war auch geschockt. Aber es ist wahr.“

„Aber meine Mutter hatte Unmengen von Liebhaber. Warum sollte sie sich an einem halben Jungen vergreifen? Das ergibt doch keinen Sinn.“

Joan zuckte die Schultern. „Ich nehme an, Nathan Whitmore war mit sechzehn kein normaler Teenager … sondern schon ziemlich erwachsen und sehr attraktiv.“

„Das ist keine Entschuldigung. Meine Mutter wäre alt genug gewesen, seine Mutter zu sein, du liebe Güte!“

„Lorna wusste genau, dass sie verwerflich gehandelt hatte. Was glauben Sie, warum sie es Ihnen nie erzählt hat? Sie hat sich geschämt.“

„Aber … wie hat sie ihn überhaupt kennengelernt? Jeder weiß doch, dass er von diesem millionenschweren Philanthropen adoptiert worden ist, als er noch ein Junge war. Meine Mutter wird kaum in solchen Kreisen verkehrt haben.“

„Er war sechzehn, als Byron Whitmore ihn adoptierte … also kurz nach seiner Affäre mit Ihrer Mutter, Kindchen. Lorna hat mir erzählt, dass sie Nathan kennengelernt hat, als er ungefähr zwölf war. Seine Mutter war eine dieser jugendlichen Ausreißer, wie sie sich Ende der Fünfzigerjahre bis in die Siebzigerjahre hinein viel hier am Kings Cross herumtrieben. Sie lebten von Sex, Drogen und Rock and Roll. Nathan war also das uneheliche Kind dieser jungen Frau, die dann kurz nach seinem sechzehnten Geburtstag an einer Überdosis starb. Lorna nahm den Jungen bei sich auf … ursprünglich in bester Absicht, wie sie mir schwor. Sie wollte sich um ihn kümmern, ihn bemuttern.“

Joan lachte kläglich. „Doch dann muss sie erfahren haben, dass er noch nie mit einer Frau geschlafen hatte, und von da an war sie wohl besessen von der Vorstellung, ihn zu verführen. Sie gestand mir, eines Nachts habe sie ihn unter Drogen gesetzt und es mit ihm gemacht, als er sich nicht mehr wehren konnte. Sie sagte auch, nach dem ersten Mal sei er dann auf den Geschmack gekommen und bald richtig sexbesessen gewesen … was Lornas Wünschen sicherlich entgegenkam.“

„Du liebe Güte, hören Sie auf, Joan! Bitte!“

„Tut mir leid …“ Joan fuhr sich verlegen durch die grauen Locken.

„Wusste er, dass … er meine Mutter geschwängert hatte?“

„Nein. Lorna merkte erst, dass sie ein Baby bekam, als Byron Whitmore Ihren Vater schon längst hier herausgeholt hatte. Er hat nie von Ihnen erfahren.“

„Ich … ich kann das alles nicht glauben!“

„Ich weiß, Kindchen, ich weiß.“ Joan gutmütiges, aber verlebtes Gesicht verzog sich bekümmert. „Es tut mir auch leid, dass ich einfach so damit herausgeplatzt bin, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es wahr ist. Heutzutage kann man das auch mit Tests beweisen. Und vielleicht sollten Sie Mr. Whitmore aufklären. Er könnte Ihnen doch bei Ihrer Karriere als Schauspielerin helfen. Immerhin ist er Ihr Vater. Die Umstände Ihrer Zeugung ändern daran nichts.“

Nein, in diesem Punkt hatte die gute Joan sicher recht. Trotzdem würde er sie wohl kaum mit offenen Armen in seinem Leben und seiner Familie aufnehmen … die uneheliche Tochter mit einer viel älteren Frau, die ihn praktisch vergewaltigt hatte, als er fast noch ein Kind gewesen war. Seine angebliche „Sexbesessenheit“ entsprang wohl eher einer von Lornas kranken, sexuellen Fantasien. Nathan Whitmore war ein armer, verwirrter Junge gewesen und hatte vermutlich die meiste Zeit gar nicht gewusst, was er tat … zumal Drogen im Spiel gewesen waren. Glücklicherweise hatte Byron Whitmore ihn aus diesem Sumpf gerettet, obwohl nicht rechtzeitig genug, wie es aussah.

Seufzend betrachtete sie erneut das größte Foto von Nathan Whitmore in der Illustrierten – das Foto des erwachsenen Mannes, nicht des Jungen. „Mein Vater“, flüsterte sie benommen. Langsam ließ sie die Fingerspitzen über die markanten Züge gleiten und entdeckte zum ersten Mal die unverkennbaren Ähnlichkeiten: das dichte blonde Haar, der Wirbel im Haaransatz über der Stirn, die ausdrucksvollen grauen Augen, der sinnliche Mund.

Sie konnte es immer noch kaum glauben, aber der Beweis war offensichtlich. Nathan Whitmore war ihr Vater.

Eine überwältigende Vorstellung. Du liebe Güte, er war einer der berühmtesten zeitgenössischen Theaterautoren und natürlich ein sehr einflussreicher Mann in der Theaterwelt!

„Sie werden es ihm sagen, nicht, Kindchen?“, erkundigte sich Joan sanft.

Die Vorstellung, Nathan Whitmore mit der Tatsache zu konfrontieren, dass sie seine Tochter sei, machte ihr mehr Angst als jedes Vorsprechen für eine Rolle in einem seinem Stücke. Sie war es gewohnt, als Schauspielerin zurückgewiesen zu werden. Die Schauspielerei war kein Beruf für Zaghafte. Aber als Tochter zurückgewiesen zu werden … vielleicht sogar als Lügnerin oder Erpresserin beschimpft zu werden … Nein, das konnte sie sich nicht antun.

„Nathan Whitmore hat bereits drei legitime Kinder“, antwortete sie deshalb auf Joans Frage. „Zwei Söhne aus seiner zweiten Ehe und eine ältere Tochter aus seiner ersten.“ Eine Tatsache, die, laut ausgesprochen, gänzlich ungebetene Gefühle in ihr wachrief: Eifersucht, Verbitterung, Groll.

Wie anders wäre ihr Leben verlaufen, wenn sie Nathan Whitmores legitime Tochter gewesen wäre! Mit ihm als liebenden Vater wäre ihr Weg in eine Karriere als Schauspielerin nicht so dornig gewesen. Er hätte ihr helfen können, ihr richtigen Schauspielunterricht bezahlen können … ja, vielleicht sogar Stücke nur für sie geschrieben. Es war nicht fair.

Aber das Leben war eben nicht fair. Das zumindest hatte die Erfahrung als Lorna Mansons Bastard sie gelehrt.

„Was werden Sie also tun?“, fragte Joan mitfühlend.

„Ich weiß es noch nicht. Irgendetwas. O ja … ich werde irgendetwas tun!“, sagte sie verbittert. Denn auch das hatte sie als Lorna Mansons Bastard gelernt: Wenn Mädchen wie sie es im Leben zu etwas bringen wollten, mussten sie zäh und zielstrebig sein … und gelegentlich rücksichtslos.

1. KAPITEL

Ryan duschte lange und ausgiebig. Es drängte ihn nicht, in das Hotelschlafzimmer zurückzukehren, denn er hatte das unangenehme Gefühl, dass die Frau, mit der er soeben eine – zugegeben sehr heiße – Stunde im Bett verbrachte hatte, es nicht dabei belassen wollte.

Als er schließlich aus dem Bad kam, eines der weißen Hotelbadetücher um die Hüften geschlungen, saß Leanne rauchend im Bett. Sie war bis zur Taille nackt, und ihre zerzauste blonde Lockenmähne war nicht lang genug, um die vollen Brüste zu bedecken.

„Ich will dich wiedersehen“, sagte sie, wie befürchtet.

Ryan warf ihr einen kompromisslosen Blick zu, während er zielstrebig zu dem Stuhl ging, über dem seine Sachen hingen. Sie war sehr schön. Aber dies war schon das zweite Mal, dass er sich in diesem Hotel mit ihr getroffen hatte, und es würde das letzte Mal sein. „Die Bedingungen waren klar, Leanne.“ Er begann, sich anzuziehen. „Ich schlafe aus Prinzip nicht mehr als zweimal mit derselben Lady. Auf diese Weise vermeide ich unnötige Gefühlsverwicklungen und hässliche Szenen, wenn ich Adieu sage. Und glaub mir, Leanne, ich sage immer Adieu.“

Sie lachte. „Von meiner Seite besteht ganz bestimmt keine Gefahr irgendwelcher Gefühlsverwicklungen, Ryan. Dazu bist du nicht annähernd reich genug. Nein, es geht mir nur um Sex. Du bist der beste Liebhaber, den ich je hatte. Aber das weißt du natürlich, stimmts?“

„Übung macht den Meister“, erwiderte er ungerührt.

Leanne lachte erneut. „Du bist ein arroganter, rücksichtsloser Schuft, Ryan Harris. Und genau so mag ich meine Liebhaber.“

„Ich fühle mich geschmeichelt, Leanne. Trotzdem bleibt es bei meinem Nein.“

„Und wenn ich dir tausend Dollar plus Spesen zahlen würde? Ich weiß von Harold, dass du ihm das neulich als Tageshonorar für deine Dienste als Bodyguard berechnet hast.“

Ryan horchte überrascht auf. „Harold erzählt dir immer noch von seinen Privatgeschäften, obwohl ihr jetzt geschieden seid?“ Die Vorstellung war ihm unbegreiflich. Er hätte seiner Ex-Frau jedenfalls niemals etwas von sich anvertraut. Im Gegenteil, er war froh, sie seit über zwei Jahren nicht einmal mehr gesehen zu haben … was immer noch nicht lange genug war.

Leanne lächelte selbstzufrieden. „Harold neigt dazu, im Bett zu plaudern.“

„Er schläft sogar noch mit dir?“

„Natürlich.“ Sie nahm genüsslich einen Zug von ihrer Zigarette. „Für mich findet man schwer Ersatz … genau wie für dich. Also, selbe Uhrzeit, selber Ort nächste Woche? Ich bringe das Geld mit. In bar.“

Ryan zog sich unbeeindruckt weiter an. „Tut mir leid, mein Schatz. Ich lasse mich ja für viele Dienste mieten, aber Sex gehört nicht dazu.“

Leanne winkte verächtlich ab. „Jeder hat seinen Preis, Ryan, Darling. Auch du!“

Ihm kam gerade in den Sinn, dass er für seine Talente als Liebhaber bereits einen viel zu hohen Preis gezahlt habe, als sein Handy läutete. Er nahm den Anruf entgegen. „Ryan Harris.“

„Keith am Apparat, Ryan. Tut mir leid, wenn ich Ihre ziemlich ausgedehnte Mittagspause stören muss“, meldete sich sein Boss trocken, „aber es gibt Arbeit. Ein Notfall.“

„Ich höre.“

„Nick Gregory wird morgen aus dem Gefängnis entlassen … auf Bewährung.“

„Wie bitte? Nach nur vier Jahren? Er war doch zu zehn Jahren verurteilt!“

„Schon, aber er war sehr jung, und sein älterer Komplize war der eigentliche Kopf bei der Entführungsgeschichte. Sie meinen, Gregory sei völlig rehabilitiert.“

„Wer sind ‚sie‘?“, höhnte Ryan. „Die Weltverbesserer aus dem Bewährungsausschuss? Die haben doch keine Ahnung! Wenn man im Knast sitzt, sagt man alles, um wieder rauszukommen.“ Er wusste, wovon er sprach. Zwar war er glücklicherweise nie in einem richtigen Gefängnis gelandet, aber er hatte mehr Zeit in Jugendstrafanstalten verbracht, als ihm im Nachhinein lieb sein konnte.

„Der Vorsitzende des Bewährungsausschusses ist zufällig Byron Whitmore“, informierte ihn sein Boss nun.

Ryan zog überrascht die Brauen hoch. Byron Whitmore war der „Weltverbesserer“ gewesen, der ihm damals zur rechten Zeit geholfen hatte, sein Leben wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Wenn es einen Menschen gab, vor dem Ryan Hochachtung hatte, dann war es Byron Whitmore.

Was er damals für ihn, Ryan, getan hatte, war keineswegs eine einmalige Aktion gewesen. Der reiche Geschäftsmann hatte schon vielen Jugendlichen geholfen, die in Schwierigkeiten steckten, weil sie auf der Schattenseite des Lebens geboren worden waren. Einen Jungen davon hatte er sogar adoptiert.

Nein, er, Ryan, würde nie etwas gegen Byron Whitmore sagen. Trotzdem, was fiel ihm ein, die Entlassung des Kidnappers seiner eigenen Enkelin abzusegnen? „Kirstys Vater wird Amok laufen“, sagte er resigniert.

„Was glauben Sie, wer eben angerufen hat, Ryan? Nathan Whitmore. Er will Sie sehen. Pronto.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Während der Verhandlung hatte Gregory damals gedroht, sich an Kirsty zu rächen, sobald er wieder frei sein würde. Kirsty war während ihrer dreitägigen Gefangenschaft von den Entführern nicht wirklich Gewalt angetan worden. Aber man hatte sie gefesselt und ihr die Augen verbunden, und Gregory hatte sie mit seinen schmutzigen Reden geängstigt. Die arme Kleine hatte noch Monate nach ihrer Befreiung unter Albträumen gelitten. Ryan wollte lieber nicht daran denken, wie Nathans Tochter auf diese Neuigkeit reagieren würde.

„Können Sie sofort zu Nathan fahren, Ryan?“, fragte Keith.

„Natürlich. Wohnt er noch in der Villa in St. Ives?“

„Ja ... ich werde ihn wissen lassen, dass Sie auf dem Weg sind.“

Ryan steckte sein Handy weg und bemerkte, dass Leanne inzwischen im Bad verschwunden war. Er zog sein Sakko an, nahm seine Krawatte und betrat, ohne anzuklopfen, das Badezimmer. Leanne schien es nichts auszumachen. Sie stand unter der Dusche und genoss es offensichtlich, ihren schönen Körper zur Schau zu stellen.

„Ich muss weg“, sagte Ryan und band sich seine grau gestreifte Seidenkrawatte, die auf seinen eleganten grauen Anzug farblich genau abgestimmt war. „Ich habe das Zimmer im Voraus bezahlt, und am Empfang hat man meine Kreditkartennummer, falls du dir vom Zimmerservice ein Mittagessen bringen lassen möchtest.“

Sie lächelte ihm verführerisch zu. „Danke. Und du darfst mich wieder anrufen … jederzeit.“

Ryan wusste, dass er dieses Angebot nicht annehmen würde. Offen gestanden, war Leanne im Bett nicht halb so gut, wie sie meinte.

Nathan knallte den Hörer auf die Gabel und atmete tief ein. Er musste einen klaren Kopf bewahren. Es brachte nichts, sich die Sicht durch väterliche Sorge zu verstellen.

Schön, Nick Gregory würde morgen also aus dem Gefängnis entlassen werden. Daran ließ sich nichts ändern. Aber war er wirklich eine Gefahr?

Byron hatte ihm versichert, dem sei nicht so. Und Byron war nicht dumm. Aber Byron war auch nicht wie er, Nathan, durch persönliche Erfahrung zum Zyniker geworden. Byron hatte nie Tür an Tür mit dem letzten Abschaum gelebt. Typen wie Gregory logen und betrogen, ohne mit der Wimper zu zucken. Man durfte ihnen niemals blind vertrauen.

Einmal ein Schurke, immer ein Schurke. Das stand für Nathan fest.

Er eilte aus seinem Arbeitszimmer in die große Eingangshalle der Villa und öffnete per Fernbedienung die hohen, schmiedeeisernen Sicherheitstore. Dann wandte er sich in den vorderen Salon und ging an die Bar, die er hatte einbauen lassen, nachdem er Belleview vor einigen Jahren von Byron gekauft hatte. Nathan schenkte sich einen doppelten Whisky ein, um seine Nerven zu beruhigen, bevor Ryan eintreffen würde.

Verdammt, der Zeitpunkt für diese Geschichte hätte nicht ungünstiger sein können! Morgen würde er mit Gemma zu einer Kreuzfahrt aufbrechen … zu dringend nötigen zweiten Flitterwochen. Er konnte diese Komplikation jetzt wirklich nicht gebrauchen, denn während der kommenden neun Tage und acht Nächte wollte er sich ausschließlich auf die Frau konzentrieren, die er liebte.

Seine Heirat stand auf zunehmend brüchigen Füßen seit Richards schwieriger Geburt vor fünf Jahren. Damals hatte er sich sterilisieren lassen, ohne vorher mit Gemma Rücksprache zu halten. Das hatte sie ihm sehr übel genommen. Er hatte geglaubt, mit der Zeit würde sie sich beruhigen und die Vernünftigkeit seiner Entscheidung einsehen. Doch stattdessen zeigte sie ihm die kalte Schulter. Zwar wies sie ihn nicht ab, wenn er mit ihr schlafen wollte, aber sie ließ ihn fast teilnahmslos gewähren und gelangte selbst nur noch selten zum Höhepunkt … geschweige denn, dass sie, wie früher so oft, die Initiative ergriffen und aktiv an ihrem Liebesspiel teilgenommen hätte.

Verdammt, wie er das vermisste! Gemma schien jetzt all ihre Liebe und Aufmerksamkeit auf die beiden Jungen zu konzentrieren, und Nathan war manchmal richtig eifersüchtig auf seine Söhne.

Der Gedanke, dass Gemma ihn nicht mehr lieben könnte, erschreckte Nathan mehr, als er gedacht hätte. Das Leben war für ihn nichts wert ohne Gemmas Liebe. Sie war der ruhende Pol für das quälende Chaos seiner Gefühle. Deshalb war er froh und erleichtert gewesen, als sie zu dieser Kreuzfahrt Ja gesagt hatte. Aber vielleicht hatte sie auch nur eingewilligt, weil er sie vor ihren Eltern gefragt hatte, vor denen sie einen guten Eindruck machen wollte. Und welche gute Ehefrau hätte es ihrem Mann abgeschlagen, mit ihm romantische zweite Flitterwochen auf einer kleinen Kreuzfahrt die australische Ostküste hinauf zu verbringen?

Nathan war zu allem bereit, um die Gunst seiner Frau zurückzugewinnen. Hatte er sich nicht schon sehr bemüht? Und in den folgenden neun Tagen wollte er sich noch mehr ins Zeug legen. Aber dabei wollte er sich keine Sorgen um Typen wie Nick Gregory machen müssen.

Hoffentlich hatte Byron Recht, dass sich der junge Mann geändert hatte … oder zumindest in seinem eigenen Interesse so klug war, sich nicht in Kirstys Nähe zu wagen. Bittere Erfahrung hatte Nathan jedoch gelehrt, stets nur das Schlechteste von seinen Mitmenschen anzunehmen und entsprechend Vorsorge zu treffen. Auf diese Weise ließen sich viele hässliche Überraschungen verhindern.

Nathan schenkte sich den zweiten Whisky ein, ging zum Fenster und blickte ungeduldig hinaus. Genau in diesem Moment passierte ein schwarzer Porsche das offene Tor und fuhr vor den Eingangsstufen der Villa vor. Wie es aussah, hatte Ryan Harris inzwischen seinen Weg gemacht. Laut Byron war er jetzt Chef der Sicherheitsabteilung von IAS … zweifellos eine verdiente Beförderung. Ryan war genau der richtige Mann für den Krisenfall. Einmal abgesehen von seinen beeindruckenden körperlichen Fähigkeiten, behielt er stets einen kühlen Kopf. Darüber hinaus besaß er eine Klugheit, die auf Lebenserfahrung beruhte und deshalb oftmals erfolgreicher war als bloß akademisches Wissen.

Und er sieht dazu noch gut aus, dachte Nathan, als Ryan jetzt aus seinem Sportwagen ausstieg. Kein Wunder, dass Kirsty sich damals nach ihrer Rettung bis über beide Ohren in ihn verliebt hatte. Nathan hegte den Verdacht, dass sich zwischen den beiden etwas entwickelt hätte, wenn Ryan nicht verheiratet gewesen wäre. Kirsty war mit siebzehn ein überaus reizvolles kleines Ding gewesen, eine unwiderstehliche Kombination aus voll entwickelter Weiblichkeit und mädchenhafter Unschuld. Und Ryan war damals selbst erst drei- oder vierundzwanzig gewesen. Es musste für ihn eine ernsthafte Versuchung gewesen sein, wie Kirsty ihn förmlich angehimmelt hatte.

Plötzlich fiel Nathan ein, dass Ryan nicht mehr verheiratet war. Byron, der sehr gern von seinem zweiten erfolgreichen Schützling erzählte, hatte erwähnt, dass Ryan sich vor ein oder zwei Jahren von seiner etwas ordinär wirkenden Frau hatte scheiden lassen und jetzt in einer luxuriösen Wohnung mit Blick auf Bondi Beach sein Junggesellenleben genoss. Er stand in dem Ruf, ein ziemlicher Playboy zu sein, was Byron natürlich mit einiger Skepsis beobachtete.

Nathan dagegen, der das Milieu, aus dem Ryan stammte, aus eigenem Erleben kannte, verstand nur zu gut, warum dieser sich erst einmal die Hörner abstoßen wollte, nachdem er viel zu jung die falsche Frau geheiratet hatte. Letztendlich aber, auch das stand für Nathan fest, gab es für einen Mann nur Ehe und Familie, wenn er nicht vollends seiner dunklen Seite erliegen wollte. Ryan musste einfach nur die richtige Frau kennenlernen.

Und während Nathan zusah, wie Ryan schwungvollen Schrittes die breiten Eingangsstufen von Belleview emporstieg, kam ihm eine Idee. Vielleicht konnte er ja zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen … Kirsty während seiner Abwesenheit beschützen und seiner eigensinnigen Tochter den Mann präsentieren, der ihr möglicherweise klar machte, dass sie ihr persönliches Glück nie darin finden würde, sich geradezu neurotisch an ihre Jungfräulichkeit zu klammern oder ihr Leben als Schauspielerin zu vergeuden. Denn, und auch davon war Nathan überzeugt, Frauen waren für die Liebe und für die Ehe geschaffen. Allerdings mussten sie dazu zuallererst die Fähigkeit zur Liebe und zum Lieben entwickeln.

Kirsty war einmal in Ryan verliebt gewesen. Vielleicht war sie es ja immer noch. Er, Nathan, musste die beiden nur zusammenführen.

Ryan läutete und blickte sich, während er wartete, neugierig um. Es war über fünf Jahre her seit seinem letzten Besuch, aber Belleview war immer noch eines der großartigsten Häuser, die er kannte. Die weiße, zweigeschossige Villa beeindruckte mit einer stuckverzierten Fassade und einem imposanten Säulenportal und war umgeben von einem makellos gepflegten, parkähnlichen Anwesen. Zum Haus gehörte eine Garage für sechs Autos und ein solarbeheizter Swimmingpool auf der rückwärtigen Seite.

So jedenfalls hatte Ryan es in Erinnerung. In seiner Anfangszeit bei IAS hatte ihn der Reichtum mancher Klienten gelegentlich wirklich vom Sockel gehauen, aber im Lauf der Jahre hatte er sich an die Villen, Jachten und Luxuslimousinen gewöhnt. Und inzwischen besaß er selbst einen teuren Sportwagen und ein Luxusapartment am Bondi Beach.

Erfolg, davon war er überzeugt, ließ sich am besten daran bemessen, wie man angefangen hatte. Als Byron ihm mit siebzehn einen Job als Botenjunge beim IAS besorgt hatte, hatte er, Ryan, nichts besessen – kein Geld, keine Ausbildung, kein Selbstvertrauen. Nicht einmal allzu viele Muskeln. Zwölf Jahre und viele Abendkurse später war er Chef der Sicherheitsabteilung beim IAS und besaß einen Körper, der den vielschichtigen Anforderungen seines Berufs voll und ganz gewachsen war. Er, Ryan, war ein erstklassiger Schütze, besaß den schwarzen Gürtel in Kung-Fu und Karate, konnte zehn Meilen laufen, ohne zu ermüden, und fuhr, wenn es darauf ankam, Auto wie ein Stuntman. Er knackte jedes Schloss und spürte jede Wanze auf.

Längst war er zum gefragtesten Bodyguard beim IAS avanciert, aber als Chef der Sicherheit übernahm er persönlich nur noch den Schutz der wichtigsten und prominentesten Klienten. Ansonsten lagen seine Aufgaben in der Einsatzplanung, der Ausbildung neuer Mitarbeiter und der Delegierung von Tätigkeiten.

Wenn der Klient jedoch Nathan Whitmore hieß, kam Delegieren nicht infrage.

Die Tür ging auf, und der Besagte erschien auf der Schwelle. Ryan konnte ihn vielleicht besser einschätzen als die meisten anderen dank Nathans Verhalten damals, als seine Tochter entführt worden war.

Die Polizei war nicht eingeschaltet worden, Nathan hatte lediglich Byron und Ryans Boss Keith informiert. Schließlich war auch noch er, Ryan, eingeweiht worden. Das geforderte Lösegeld in Höhe von zwei Millionen Dollar war diskret organisiert und ohne Zwischenfall am bezeichneten Ort deponiert worden. Dann war Ryan, verkleidet als Motorradfahrer, dem älteren Entführer unbemerkt zu einem verfallenen Farmhaus am Stadtrand von Sydney gefolgt, wo dieser zusammen mit seinem jüngeren Komplizen Kirsty gefangen gehalten hatte.

Im Schutz von Bäumen und Büschen war es Ryan gelungen, so dicht an das Gebäude heranzuschleichen, dass er die Lage gut einschätzen konnte. Die beiden Entführer saßen am Küchentisch und zählten die Beute, das weibliche Opfer lag an ein Bett gefesselt im vorderen Schlafzimmer. Ryan war durch ein zerbrochenes Fenster lautlos ins Haus eingestiegen, hatte die Entführer überwältigt und die völlig verängstigte Kirsty befreit. Einmal abgesehen davon, dass sie gefesselt gewesen war, ihr die Augen verbunden gewesen waren und sie wie Espenlaub gezittert hatte, war sie körperlich unversehrt gewesen.

Dank seines kühnen Plans und seiner eisernen Nerven hatte Nathan Whitmore damals seine Tochter und sein Geld zurückbekommen.

Ein höchst ungewöhnlicher Mann, nach Ryans Ansicht. Ein Mann, den man respektieren, aber vielleicht auch ein wenig fürchten musste.

„Ryan“, grüßte Nathan und trat zur Seite.

„Mr. Whitmore.“ Ryan nickte höflich.

„Danke, dass Sie so schnell reagiert haben. Und nennen Sie mich Nathan. Bitte, treten Sie ein.“

Die große, mit Marmor ausgelegte Eingangshalle von Belleview war angenehm geheizt. Denn obwohl draußen die Sonne schien, war es ein typischer Junitag in Sydney: kühl und empfindlich frisch.

„Hier entlang.“ Nathan schloss die Eingangstür und wandte sich einem Flur zu. Ryan folgte ihm in ein Zimmer, an das er sich noch sehr gut erinnerte. Es war das Arbeitszimmer, wo er, Keith, Byron und Nathan Kirstys Befreiung geplant hatten.

„Setzen Sie sich.“ Nathan deutete auf einen der beiden schweren Ledersessel vor dem massiven antiken Schreibtisch am Fenster.

Antike Möbel passten zu Nathan. Rein äußerlich war er der Typ, der als Schauspieler den romantischen Helden in alten Mantel- und Degenfilmen hätte spielen können. Das dichte, gewellte Blondhaar und der sinnliche Mund ließen ihn fast stutzerhaft gut aussehen. Lediglich seine Augen verrieten, dass sich unter der eleganten Oberfläche ein Mann von eiserner Entschlossenheit verbarg: grau und hellwach, konnten sie in Sekundenschnelle alle Freundlichkeit vergessen lassen und einen eiskalten Ausdruck annehmen. Ryan mochte Nathan respektieren, aber hinsichtlich seines Charakters machte er sich keine Illusionen. Nathan Whitmore war nicht der feine Gentleman, der sein Adoptivvater war.

„Hat Keith Sie unterrichtet, worum es geht?“, fragte Nathan und setzte sich an seinen Schreibtisch.

„Ja. Gregory wird ab morgen früh wieder frei sein.“

„Dann verstehen Sie meine Sorge?“

„Absolut. Ich kann nicht verstehen, dass sie ihn so bald entlassen haben.“

„Byron meint, er sei rehabilitiert.“

„Byron glaubt an die Rehabilitation“, erwiderte Ryan trocken, und Nathan lachte.

„Schön, einen Mann vor sich zu haben, der denkt wie ich.“

Das ging Ryan zwar etwas zu weit, aber er schwieg dazu. „Was erwarten Sie jetzt von mir?“, fragte er stattdessen.

„Nun, zunächst wünsche ich, dass Sie Gregory beschatten lassen von dem Moment an, wenn er das Gefängnis verlässt. Ich will rund um die Uhr wissen, was er macht und wohin er geht.“

„Für wie lang?“

„Für so lang, bis ich die Gewissheit habe, dass er keine Gefahr mehr darstellt … für Kirsty oder für den Rest meiner Familie. Geld ist kein Problem.“

Ryan zuckte die Schultern. „Schön, betrachten Sie es als erledigt.“

„Aber ich möchte nicht, dass Byron davon erfährt. Er würde mich nur für paranoid halten.“

„Nun, ich sehe Mr. Whitmore eigentlich nur sehr selten. Aber sollte ich ihm aus irgendeinem Grund über den Weg laufen, werde ich schweigen wie ein Grab. Mein Boss allerdings verkehrt gelegentlich mit ihm. Weiß er denn, dass er nichts sagen soll?“

„Ja, Keith weiß Bescheid. Und noch etwas … leider breche ich morgen mit meiner Frau zu einer neuntägigen Kreuzfahrt entlang der Küste von Queensland auf. Meine beiden Söhne bleiben für die Zeit bei ihrer Tante Jade. Gemma bringt sie gerade dorthin.“

„Warum leider? Das scheint mir eine sehr gute Idee … vor allem, wenn Sie Kirsty mitnehmen würden. Schaffen Sie sie für eine Weile aus der Stadt. Bei Ihren Beziehungen können Sie sicher noch eine Kabine für sie buchen.“

„Das wäre zwecklos, denn sie würde sowieso nicht mitkommen. Seit Kirsty vor ein paar Jahren ausgezogen ist, um Schauspielerin zu werden, reden wir kaum noch miteinander. Glauben Sie mir, sie würde immer jeden meiner Vorschläge von vornherein ablehnen, aber schon gar jetzt, da sie endlich eine gute Rolle ergattert hat. Ironischerweise in einem meiner Stücke, verdammt! Die Premiere war letztes Wochenende, und die Kritiken waren ganz freundlich, deshalb wird die ursprüngliche Spielzeit von sechs Wochen sicher verlängert. Glauben Sie mir, Kirsty geht im Moment nirgendwohin.“

„Verstehe ich Sie richtig, dass Sie nicht gerade begeistert davon waren, dass Ihre Tochter Schauspielerin werden wollte?“, erkundigte sich Ryan.

„Ganz recht. Nein, ich wollte nicht, dass sie in die unseligen Fußstapfen ihrer Mutter tritt. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, als sie es mir eröffnet hat. Wie Sie sich denken können, hat Kirsty eine ganze Weile gebraucht, um sich von dem Schock der Entführung zu erholen. Lange Zeit konnte man sie nicht einmal bewegen, auch nur das Haus zu verlassen. Als sie dann endlich so weit war, sagte sie mir, sie wolle nicht mehr zur Schule zurückgehen und ich solle ihr stattdessen Schauspielunterricht bezahlen.“

„Und sie hatte vorher nie davon gesprochen, dass sie Schauspielerin werden wolle?“

„Kein Wort. Nun, ich sagte ihr offen und ehrlich, dass ich es für besser hielte, wenn sie ihre Schule beenden und sich einen richtigen Job in der richtigen Welt suchen würde. Ich warnte sie vor den Gefahren einer Schauspielkarriere, den Intrigen, den Gemeinheiten. Nur die wenigsten schaffen es, wirklich groß herauszukommen, vielleicht sogar als Filmstar Karriere zu machen. Und selbst dann ist einem kein glückliches Leben garantiert. Die Filmwelt ist ein Dschungel, in dem viel zu viele Raubtiere herumlaufen, für die ein Mädchen wie Kirsty ein leichtes Opfer ist. Aber sie weigerte sich natürlich, auf mich zu hören. Meinte, ich sei besessen davon, alles unter Kontrolle zu haben … aber ich könne nicht über ihr Leben bestimmen. Die Schauspielerei läge ihr nun einmal im Blut, und sie würde Schauspielerin werden, ob es mit gefiele oder nicht.“

Ryan hätte fast gelacht. Allein die Vorstellung, dass irgendjemand Nathan Whitmore derart die Stirn gezeigt hatte … und dazu noch dieses niedliche kleine Ding! Er wäre gern dabei gewesen, denn Nathan kochte bei der bloßen Erinnerung schon wieder vor Wut.

„Als ich meiner lieben Tochter dann erklärte, ich hätte nicht die Absicht, diese Zeitverschwendung auch noch zu finanzieren, meinte sie, sie käme auch ohne mein Geld klar. Sie hat sogar einen anderen Nachnamen angenommen und sich das Haar brünett gefärbt, damit niemand in der Theaterwelt sie erkennen und ihr womöglich Rollen anbieten würde, nur weil sie meine Tochter ist.“

„Wow, das war konsequent! Aber das klingt gar nicht nach der Kirsty, die ich damals gerettet habe.“

„Das war nicht die wahre Kirsty“, meinte Nathan resigniert, „sondern ein vorübergehend traumatisiertes Mädchen. Die wahre Kirsty ist eine ziemliche Pest. Sie war immer ein schwieriges Kind … na ja, vielleicht trifft das nicht ganz zu. Bis zu Lenores und meiner Scheidung war sie ein Sonnenschein, aber danach ging es bergab.“

„Wie alt war sie denn, als Sie sich scheiden gelassen haben?“

„Bei unserer Trennung war sie ungefähr zwölf und vierzehn, als ich wieder geheiratet habe.“

„Ein problematisches Alter.“

„Richtig. Glauben Sie nicht, Ryan, dass ich die Auswirkung unterschätze, die eine Scheidung auf die betroffenen Kinder hat. Alles, was Eltern tun, wirkt sich auch auf ihre Kinder aus.“

Autor

Miranda Lee
Miranda Lee und ihre drei älteren Geschwister wuchsen in Port Macquarie auf, einem beliebten Badeort in New South Wales, Australien. Ihr Vater war Dorfschullehrer und ihre Mutter eine sehr talentierte Schneiderin. Als Miranda zehn war, zog die Familie nach Gosford, in die Nähe von Sydney.

Miranda ging auf eine Klosterschule. Später...
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