Brennende Versuchung

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Bis jetzt ist das Leben an der verträumte Ava vorbeigezogen: ohne Liebe, stets im Schatten ihres mächtigen Bruders. Doch als sie dem dunkelhaarigen Vince begegnet, spürt Ava, dass sie sich durch seine Stärke und Leidenschaft verändern kann. Für ihn will sie erfolgreich und schön sein, zu sich selbst stehen - und zu ihrer Liebe zu Vince!


  • Erscheinungstag 07.03.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513791
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Ava saß vor ihrer Staffelei, den Pinsel in der Hand, aber in Gedanken weit, weit weg, als ihr Bruder in ihr Atelier stürmte.

„Ava! Ich kann meinen Lieblingssmoking nicht finden. Ich habe schon überall gesucht. Hast du eine Ahnung, wo er ist?“

Unsanft aus ihren Tagträumen gerissen, errötete Ava schuldbewusst. „Ich … äh … habe ihn vor ein paar Wochen in die Reinigung gebracht, Byron. Du weißt doch, nach Jades Hochzeit war ein Weinfleck auf dem Jackett …“

„Und?“, grollte Byron.

„Na ja, ich … habe vergessen, ihn wieder abzuholen.“

Byron erwiderte nichts. Er sah sie nur kopfschüttelnd an, drehte sich auf dem Absatz um und stürmte verärgert wieder hinaus.

Ava sprang auf. Die Palette glitt von ihrem Schoß und fiel krachend auf das Parkett. Unglücklich zögerte Ava und entschied sich dann, die Palette liegen zu lassen und erst einmal ihren Bruder zu besänftigen. „Es tut mir leid, Byron“, rief sie ihm nach, als er den langen Flur im Obergeschoss entlangstapfte. „Es wird nicht wieder vorkommen, versprochen!“

„Das sagst du jedes Mal.“ Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. „In den vergangenen sechs Wochen, seit Melanie gekündigt hat und mit Royce Grantham nach England ist, folgt hier eine Katastrophe auf die andere. Keine Ahnung, warum ich mich von dir überreden ließ, dir die Chance zu geben, diesen Haushalt allein zu führen. Wahrscheinlich war es dein Argument, da mit uns beiden nur noch zwei bemitleidenswerte alte Whitmores in diesem riesigen Haus wohnen würden, würdest du sicher ohne Hilfe zurechtkommen. Doch das war reines Wunschdenken.“

„Du magst vielleicht bemitleidenswert und alt sein“, entgegnete Ava, aufgebracht wie selten. „Aber ich nicht! Ich bin gerade erst dreißig, und ich meine, ich habe mich wacker geschlagen, wenn man bedenkt, dass ich keine Erfahrung in Haushaltsführung habe. Es ist reichlich übertrieben, eine kleine Vergesslichkeit wie das mit der Reinigung als Katastrophe zu bezeichnen. Ehrlich gesagt, Byron, hatte ich gehofft, du würdest mich etwas ermutigen, anstatt noch mehr zu tyrannisieren. Melanie hatte mir versichert, du hättest dich seit jenem tragischen Unfall geändert, aber ich stelle fest, dass du immer noch der gleiche gefühllose, unsensible Chauvi bist, der du immer warst!“

Erschrocken über diesen für sie ganz untypischen Ausbruch hielt Ava inne und sah Byron unsicher an. Seine Reaktion verblüffte sie vollends. Ihr Bruder lachte.

Spätestens wenn Byron Whitmore lachte, wirkte auch er alles andere als bemitleidenswert und alt. Sehr groß und breitschultrig, war er mit fast fünfzig immer noch ein stattlicher und attraktiver Mann, der sich durch regelmäßiges Training im hauseigenen Fitnessraum in Form hielt. Sein dichtes schwarzes Haar war an den Schläfen reizvoll ergraut, und seine auffallend blauen Augen konnten immer noch jede Frau in Bann schlagen, vor allem wenn sie so amüsiert blitzten wie jetzt.

Seit einem Bootsunfall vor einigen Monaten, der seiner Frau Irene das Leben gekostet hatte, war Byron verwitwet. In jüngster Zeit hatte er allerdings ein Verhältnis mit einer gewissen Catherine begonnen, einer sehr attraktiven, geschiedenen Frau von Mitte dreißig. Ava konnte Catherine nicht leiden, denn die Frau war in ihrer Art fürchterlich versnobt und überheblich. Offensichtlich sah sie sich schon als die nächste Mrs. Byron Whitmore und probte kräftig für diese Rolle, nachdem Byron ein paar Mal über Nacht bei ihr geblieben war.

Eines stand für Ava fest: Sollte es wirklich zu dieser Heirat kommen, würde sie, Ava, Belleview, den inzwischen fast verwaisten Familiensitz der Whitmores, verlassen. Nur, wohin sie gehen würde, wusste sie nicht. Bis zu ihrer eigenen – höchst unwahrscheinlichen – Hochzeit wurde ihr beträchtliches Erbe von Byron treuhänderisch verwaltet. Inzwischen blieb Ava nur ein recht bescheidener monatlicher Betrag, wobei allerdings Jade, Byrons Tochter, ihr vor einiger Zeit den gesamten Schmuck ihrer verstorbenen Mutter geschenkt hatte. Doch die Juwelen lagen immer noch unangetastet im Safe in der Bibliothek, denn ähnlich wie Jade widerstrebte es auch Ava, irgendetwas anzunehmen, das einmal Irene gehört hatte.

„Ich wusste doch, dass Temperament in dir steckt, Ava“, sagte ihr Bruder nun anerkennend. „Du bist schließlich meine Schwester! So, so, Melanie meint also, ich hätte mich verändert, ja? Ausgerechnet Melanie! Ich habe mich immer noch nicht von dem Schock erholt, dass sich unsere sittsame brave Haushälterin als versteckter Vamp entpuppte und einen der berühmtesten Rennfahrer unserer Tage in den Hafen der Ehe locken konnte. Als Nächstes werde ich wohl entdecken, dass du die ganze Zeit hinter meinem Rücken eine Affäre mit dem Chauffeur hast!“

„Wir haben gar keinen Chauffeur“, entgegnete Ava. „Obwohl das gar keine schlechte Idee wäre. Du würdest nicht bei irgendwelchen Damen übernachten müssen, nur weil du etwas getrunken hast, und ich hätte jemanden, der mich für die vielfältigen Besorgungen, die mit der Haushaltsführung zusammenhängen, herumfährt.“

Zugegeben, der Gedanke ließ Avas Herz schneller schlagen. Sie flüchtete sich oft in romantische Fantasien, und in einem ihrer Lieblingsträume war sie eine schöne reiche Erbin, die einen aufregenden Italiener als Chauffeur einstellte und sich unsterblich in ihn verliebte. Überhaupt spielten Italiener in Avas Träumen eine große Rolle, denn sie fand Männer von südländischem Aussehen und mit Macho-Gebaren ungeheuer sexy.

Natürlich blieben ihre Fantasien in erotischer Hinsicht recht harmlos, da es ihr an jeglicher Erfahrung mit Männern fehlte. Oder lag es vielleicht auch daran, dass sie sich nicht vorstellen konnte, sich vor einem Mann auszuziehen und ihm mit ihrer vollbusigen, molligen Figur zu gefallen?

„Nur über meine Leiche!“, wehrte Byron ihren zaghaften Vorschlag gar nicht mehr amüsiert ab. „Die meisten dieser jungen Burschen, die sich als Chauffeur bewerben, sind schmierige, skrupellose Gigolos. Ich würde dich nicht in ihre Nähe lassen.“

„Als ob irgendein gut aussehender junger Mann mich auch nur eines Blickes würdigen würde“, murrte Ava. „Ich bin doch nicht Celeste Campbell!“

Sie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, aber es war zu spät. Der Name war heraus: Celeste Campbell, Halbschwester von Byrons verstorbener Frau Irene und als geschäftsführende Direktorin von Campbell Jewels Hauptkonkurrentin von Whitmore Opals im Opalschmuckgeschäft. Byrons Miene verfinsterte sich sofort.

Nur einmal, vor Wochen, hatte er mit einer gewissen Bewunderung von seiner skandalträchtigen Schwägerin gesprochen: nach jenem denkwürdigen Jahresball von Whitmore Opals, auf dem das „Heart of Fire“, ein schwarzer Opal von unschätzbarem Wert, versteigert worden war und eine Gruppe von Maskierten einen Überfall mit Geiselnahme versucht hatte. Mutig und unerschrocken hatte Celeste sich als geübte Kampfsportlerin erwiesen und zwei der Gangster allein überwältigt, wofür ihr sogar Byron Respekt zollte. Vielleicht hatte aber auch die Tatsache, dass ausgerechnet Celeste das „Heart of Fire“ ersteigert hatte – den Opal, der dem Gerücht zufolge die Ursache für die alte Fehde zwischen den Whitmores und den Campbells gewesen sein sollte – in Byron den Entschluss geweckt, die Vergangenheit endlich ruhen zu lassen.

Doch es war ganz anders gekommen. Melanie, die ehemalige Haushälterin auf Belleview, war bei dem Überfall angeschossen worden, und beim Besuch an ihrem Krankenbett erschien Celeste in Begleitung ihres neuen Chauffeurs. Allen übrigen Besuchern, darunter Byron und Ava, wurde schnell klar, dass dieser hübsche junge Mann das neueste Spielzeug der berühmt-berüchtigten Chefin von Campbells Jewels war. Damit war jede Hoffnung auf eine Versöhnung zerschlagen, denn Byron hatte während der gesamten Heimfahrt vor Empörung getobt. Celestes skandalöses Verhalten sei wieder einmal Beweis dafür, dass diese Frau eine Schande für ihr Geschlecht sei.

„Eine Frau wie Celeste kann sich selbst beschützen“, sagte er nun heftig. „Aber ein unschuldiges Geschöpf wie du, meine Liebe, wäre ein leichtes Opfer für jenen Typ von gewissenlosen jungen Burschen, wie Celeste sie zum Frühstück verspeist. Es wird keinen Chauffeur auf Belleview geben! Bitte, sprich dieses Thema nicht noch einmal an.“

„Es würde mir im Traum nicht einfallen“, flüsterte Ava unglücklich.

Byrons Miene wurde deutlich sanfter. „Arme Ava, ich bin manchmal wirklich gemein zu dir. Aber ich meine es nicht so, Liebes. Ehrlich. Du weißt doch, dass ich immer nur dein Bestes will, oder?“ Er legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. „Verzeihst du mir, dass ich dich so angefahren habe, hm?“

Ava blinzelte gegen Tränen an. „Ja.“

„Schön, dann muss ich jetzt los. Catherine erwartet mich gegen acht. Ach ja, mach dir wegen Frühstück keine Gedanken. Ich fahre morgen früh direkt von … äh … dort ins Büro. Du kommst doch allein zurecht, oder?“

„Natürlich“, sagte sie beleidigt. „Ich bin eine erwachsene Frau, Byron. Warum sollte ich nicht allein zurechtkommen?“

Byrons begütigendes Lächeln verriet, dass sie in seinen Augen immer noch ein kleines Mädchen war. „Gut, dann bin ich jetzt weg. Unten ist alles abgeschlossen und verriegelt. Ich habe mich zweimal vergewissert. Dann bis morgen Abend.“

Ihr großer Bruder hatte sich also zweimal vergewissert! Ava hatte Mühe, ihre Empörung zu verbergen. „Gute Nacht“, sagte sie steif. „Hoffentlich amüsierst du dich gut.“

„Das werde ich.“

Ich bezweifle es nicht! dachte Ava trotzig und verärgert, als sie ihrem Bruder nachblickte. In jüngster Zeit schienen alle aus der Familie außer ihr vom Glück begünstigt zu sein: Byron hatte seine Affäre mit der schönen Catherine. Melanie, die als Haushälterin praktisch zur Familie gehört hatte, lebte glücklich verheiratet mit ihrem rasanten Exrennfahrer in einem prächtigen Herrenhaus in England. Jade hatte ihren Freund, den Milliardär Kyle Gainsford, geheiratet und freute sich auf ihr erstes Kind. Und auch Byrons Adoptivsohn Nathan war es in seiner noch jungen Ehe mit Gemma bislang anscheinend gelungen, die dunklen Seiten seines Charakters vor seiner unschuldigen Kindfrau zu verbergen.

Als sie die Tür zur Garage hinter Byron ins Schloss fallen hörte, wurde Ava erst richtig bewusst, dass sie nun den ganzen Abend und die ganze Nacht in diesem riesigen leeren Haus allein sein würde. Der Gedanke machte sie nervös, was sie nur noch mehr ärgerte. Du liebe Güte, was konnte denn schon passieren? Wenn wirklich irgendein verrückter Sittenstrolch einbrechen würde, würde er doch nach einem einzigen Blick auf sie freiwillig die Flucht ergreifen!

Spöttisch lachend wandte Ava sich ab und kehrte in ihr Atelier zurück. Dort hob sie die Palette vom Boden auf und warf sie achtlos auf den kleinen Tisch neben der Staffelei. Prüfend betrachtete sie das Aquarell, an dem sie gearbeitet hatte, und fand wie stets keinen Gefallen daran. Vielleicht lag es an der Wahl der Farben oder auch am Motiv. Sie hatte schon zu oft versucht, diese spezielle landschaftliche Szenerie zu malen.

Unzufrieden riss sie das Bild von der Staffelei und stellte es unsanft zu den anderen unfertigen Gemälden, die an der gegenüberliegenden Wand lehnten … natürlich mit dem Gesicht zur Wand, damit sie sie nicht ansehen musste.

Frustriert warf Ava sich auf ihr gemütliches Sofa und stauchte die zahlreichen Kissen zurecht. Verdammt! Warum konnte sie nicht einmal bei irgendetwas Erfolg haben? Sie hatte wirklich geglaubt, sie könne den Haushalt allein führen …

Das Zuschlagen einer Tür irgendwo im Untergeschoss ließ sie aufschrecken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Hatte Byron irgendetwas vergessen? Oder sollte sie vielleicht einsam und allein hier oben in ihrem Atelier ermordet werden?

„Ava! Tantchen!“, ertönte im nächsten Moment eine weibliche Stimme von unten. „Wo steckst du? Ich bin’s, Jade.“

Ava hatte kaum Zeit, sich von ihrem Schreck zu erholen, da steckte ihre temperamentvolle Nichte auch schon den Kopf zur Tür herein. „Ah, das bist du ja!“ Tiefblaue Augen strahlten aus einem schmalen, ebenmäßigen Gesicht, das durch einen weißblond gefärbten, extrem kurzen Bürstenhaarschnitt und große goldene Ohrringe auf extravagante Weise zur Geltung kam.

Jades Begrüßungslächeln wich jedoch einem Ausdruck der Verwunderung, als sie Avas Atelier betrat und sich suchend umblickte. „He, Tantchen, dir ist doch klar, dass dein Fernseher gar nicht läuft, oder?“

Ava erhob sich seufzend von dem Sofa. Die übersprühende jugendliche Energie ihrer Nichte gab ihr einmal mehr das Gefühl, schon ziemlich alt zu sein, auch wenn sie sich über die Gesellschaft freute. „Ich habe mich nur etwas ausgeruht.“

„Geht es dir nicht gut?“, fragte Jade besorgt.

„Doch, doch, aber es würde mir noch besser gehen, wenn dein Vater etwas leichter zufriedenzustellen wäre.“

„Das kann ich gut verstehen, Tantchen. Du tust mir leid. Mach es wie ich: Such dir einen Mann und verschwinde aus diesem Mausoleum!“

Ava lachte wider Willen. „Ich bin sicher, Kyle wäre nicht begeistert zu hören, dass du ihn nur geheiratet hast, um von hier fortzukommen.“

„Oh, er weiß genau, dass ich andere Gründe hatte“, erwiderte Jade schelmisch lächelnd und streichelte ihren schon sanft gerundeten Babybauch. Ein unerwartet heftiges Neidgefühl traf Ava wie ein Dolchstoß mitten ins Herz.

„Komm, Tantchen, lass uns ein wenig plaudern“, fuhr Jade fröhlich fort, „während ich in meinem alten Zimmer nachsehe, ob ich noch ein paar Sachen finde, die einer werdenden Mutter passen könnten.“

Gutmütig folgte Ava Jade in ihr früheres Zimmer, setzte sich auf die Bettkante und schaute zu, wie ihre Nichte in Schränken und Schubladen zu kramen begann.

„Na, wie klappt’s mit der Haushaltsführung?“, fragte Jade, betrachtete prüfend ein übergroßes T-Shirt und warf es über einen Stuhl. „Kommst du zurecht?“

„Ganz gut, allerdings ist dein Vater sicher anderer Ansicht. Natürlich sind meine Kochkünste noch nicht so toll, weshalb abends immer eine Köchin kommt. Montags und freitags habe ich die Hilfe einer Zugehfrau für die Bügelwäsche und die Grundreinigung des Hauses. Aber ansonsten erledige ich alle anfallenden Hausarbeiten selbst.“

„Ich bin beeindruckt, Tantchen. Schließlich hattest du ja bislang so gut wie keine Erfahrung in Haushaltsdingen, oder? Genauso wenig wie ich. Ich schaffe es kaum, Wasser zu kochen.“

„Stell dein Licht nicht unter den Scheffel, Jade. Du bist ein sehr kluges Mädchen. Dein Vater ist stolz auf dich und das, was du inzwischen für Whitmores leistest. Er sagt, du seist die geborene Marketingexpertin.“

„Ach ja? Na, wenn Dad das sagt, muss ich ja wirklich gut sein“, entgegnete Jade trocken, wobei sie weitere Kleidungsstücke aussortierte und auf den Stuhl warf. „Schön, erzähl, Ava, womit hat mein lieber Vater dich so geärgert, abgesehen von seiner üblichen Nörgelei?“

„Na ja, zum einen hat er eine Affäre … mit dieser Catherine, mit der er seit einiger Zeit ausgegangen ist.“

„Deswegen kannst du ihm doch keinen Vorwurf machen“, sagte Jade überrascht. „Er ist ein attraktiver Mann im besten Alter. Was stört dich denn so an dieser Frau?“

„Sie ist ein Snob.“

Jade lachte. „Dad doch auch.“

„Ja, aber anders. Byron hat Stil und … Niveau.“

„So? Ich glaube, es ist höchste Zeit, dass ich diese Catherine selbst mal unter die Lupe nehme. Ich weiß auch schon, wann. Kyle und ich möchten für Dad zu seinem fünfzigsten Geburtstag eine Party geben. Das ist schon nächste Woche …“

„Ach, du meine Güte, das habe ich ganz vergessen!“, rief Ava schuldbewusst aus. „Byron hat recht, ich vergesse ständig wichtige Dinge. Erst heute Abend hat er sich beschwert, dass ich seinen Lieblingsanzug noch nicht abgeholt habe, obwohl er schon eine Ewigkeit in der Reinigung ist. Oder gestern, da bin ich einkaufen gegangen, obwohl montags immer der Mann kommt, der den Rasen mäht. Natürlich konnte er nicht aufs Grundstück und hat eine ganze Weile vergeblich auf mich gewartet. Später rief er an und wurde so unhöflich, dass ich ihm sagte, wir würden in Zukunft auf seine Hilfe verzichten. Ich habe noch gar nicht gewagt, Byron davon zu erzählen. Der denkt sowieso, dass ich ein hoffnungsloser Versager bin“, fügte sie unglücklich hinzu.

„Dummes Zeug!“, wehrte Jade energisch ab. „Du bist kein Versager. Jeder kann mal etwas vergessen. Was dir fehlt, ist etwas mehr Selbstvertrauen, Tantchen.“

Selbstvertrauen? Ava seufzte. Hatte sie das je besessen? Hatte sie jemals voller Zuversicht und Optimismus in die Zukunft geschaut? Sie konnte sich nicht erinnern.

Warum nur? Sie war ein wunderhübsches, aufgewecktes Kind mit großen blauen Augen und braunen Locken gewesen. Mit nur drei Jahren hatte sie bereits lesen können, und jedermann hatte sich bewundernd darüber geäußert, wie intelligent sie sei. Auch körperlich war sie anmutig und begabt gewesen. Sie hatte wie ein Fisch geschwommen, kaum dass sie laufen konnte. Heute verging kein Tag, an dem sie nicht über irgendetwas stolperte, und was das Schwimmen betraf … schon seit Jahren hatte sie nicht mehr gewagt, einen Badeanzug anzuziehen.

Was war nur falsch gelaufen, dass sie sich zu einem so reizlosen, übergewichtigen, tollpatschigen und verzagten Geschöpf entwickelt hatte?

„Du hältst dich nur deshalb für einen Versager, weil meine liebe Mutter es dir genau wie mir tagtäglich eingeredet hat“, erklärte Jade, als habe sie Avas Gedanken gelesen. „Bei mir erzielte sie nicht den gewünschten Erfolg, weil ich aus dem gleichen Holz geschnitzt bin wie Dad. Du hast ein viel empfindsameres Gemüt, sodass sie dich mit ihren hässlichen Gemeinheiten viel mehr verletzen konnte. Aber sie ist tot, Tantchen. Sie kann dir nicht mehr wehtun. Und was Dad angeht: Hunde, die bellen, beißen nicht. Beachte ihn gar nicht. So, jetzt muss ich mir eine Plastiktüte holen, um die Sachen einzupacken. Ich bin gleich wieder da.“

Ava war froh, einen Moment mit ihren Gedanken allein zu sein. Jade war ein wahrer Wirbelwind. Blitzgescheit und beneidenswert selbstsicher. Ava hatte immer schon bewundert, mit welchem Mut sie sich behauptet hatte, auch wenn sie sich als Teenager einige haarsträubende Kapriolen geleistet hatte. Dieses Selbstbewusstsein, dieser Mut zu rebellieren fehlte Ava … oder war schon in jungen Jahren bei ihr unterdrückt worden.

Das Schicksal hatte es so gewollt, dass sie als kleines Mädchen die geliebten Eltern verlor. Ihr Vater war an Krebs gestorben, als sie fünf war, ihre Mutter zwei Jahre später an einem Herzanfall. Mit nur sieben Jahren war die kleine Ava der Fürsorge ihres zwanzig Jahre älteren Bruders anvertraut worden, leider zu einem Zeitpunkt, da Byron rund um die Uhr schuften musste, um das Familienunternehmen vor dem Bankrott zu retten.

Zwei Jahre später hatte Byron Irene Campbell geheiratet. Gerüchten zufolge hatte er gehofft, durch diese Heirat eine Fusion von Campbell Jewels und Whitmore Opals zu bewirken und auf diese Weise seiner Firma aus der finanziellen Bedrängnis zu helfen. Wie sich herausstellen sollte, hatte er sich jedoch verkalkuliert. Stewart Campbell hatte seinen ganzen Besitz einschließlich der Firma Adele, seiner zweiten Frau, hinterlassen, die ihre Stieftochter Irene nicht ausstehen konnte. Sie zögerte nicht, die Erbfolge zugunsten ihrer eigenen Kinder, Celeste und Damian, zu ändern und Irene mit einem Pflichtteil abzuspeisen.

Glücklicherweise erlebte Whitmore Opals in den folgenden Jahren, ehe Celeste Campbell die Leitung von Campbell Jewels übernahm und die alte Familienfehde wieder aufleben ließ, einen immensen Aufschwung. So war es letztlich unbedeutend gewesen, dass Irene in ihre Ehe nichts als ihre eigene liebenswerte Person mit eingebracht hatte.

Ava lächelte verächtlich. Ihre verstorbene Schwägerin war allenfalls Byron gegenüber liebenswert gewesen, und selbst da wirkte das Wort unpassend. Irene hatte Byron mit krankhafter Besessenheit geliebt. Er war ihr Prinz, ihr Gott, ihr Daseinsgrund gewesen. In seiner Gegenwart war sie ein völlig anderes Wesen gewesen, in seiner Abwesenheit hatte sie allen, die mit ihr auf Belleview wohnten, das Leben zur Hölle gemacht.

Ja, Jade hat recht, dachte Ava. Die systematische Zerstörung ihres Selbstbewusstseins war allein Irenes Werk. Diese boshafte Frau hatte es verstanden, anderen Menschen mit ihrem verletzenden Sarkasmus das Gefühl zu geben, Versager zu sein. Ihre Hauptopfer waren Jade, ihre eigene Tochter, und Ava, ihre kleine Schwägerin gewesen, die sie als gefährlichste Rivalinnen um Byrons Liebe betrachtet hatte. Jade hatte sich schon frühzeitig zur Wehr gesetzt. Ava dagegen war wie eine zarte Blume dahingewelkt. Sie hatte in Süßigkeiten Trost gesucht und sich in eine Traumwelt geflüchtet. Auf diese Weise hatte sie es Irene leicht gemacht, Byron einzureden, seine kleine Schwester sei ein reizloses Dummchen und jeder Mann, der sich für sie interessiere, müsse ein Mitgiftjäger sein.

Es tat Ava weh, als sie an die Sache mit James dachte. Sie war damals gerade zwanzig gewesen, und in dem Fall hatte sich Irenes Behauptung leider als wahr erwiesen. Danach hatte Ava nur noch mehr Kuchen, Schokolade und Chips in sich hineingestopft. Ihr Leben war zu einem Teufelskreis aus erfolglosen Diäten und umso erfolgreicheren Fressorgien verkümmert. Da war es das Einfachste, sich zu Hause zu vergraben und davon zu träumen, eines Tages eine große Künstlerin zu werden. Byron hatte sogar den Raum neben ihrem Zimmer zu einem Atelier für sie ausbauen lassen, sodass sie sich einbilden konnte, wirklich eine Malerin zu sein.

Obwohl Ava aber tief in ihrem Unterbewusstsein überzeugt war, ein gewisses Talent zu haben, war sie mit keinem ihrer Werke wirklich zufrieden. Sobald sie in die Gefahr kam, eines ihrer Aquarelle tatsächlich zu vollenden, erregte irgendetwas daran ihr Missfallen, und sie stellte es beiseite. Nicht ein einziges ihrer Bilder hatte sie richtig fertiggestellt!

„Da bin ich wieder.“ Jade kam ins Zimmer und stopfte die aussortierten Kleidungsstücke in eine große Plastiktüte. „Ich muss jetzt los, Tantchen. Ich werde Dad morgen im Büro wegen der Geburtstagsparty ansprechen und dich dann irgendwann anrufen. Halte dir den Freitag in einer Woche auf jeden Fall frei. Wenn Dad keine Party will, dann gehen wir zusammen essen.“

Ava begleitete Jade hinunter zur Tür und vergewisserte sich, nachdem ihre Nichte fort war, dass sämtliche Türen und auch die Tore zum Grundstück verschlossen waren. Der Anblick des Rasens erinnerte sie daran, dass sie unbedingt jemanden finden musste, der ihn mähte. Sie hätte nicht vergessen dürfen, dass der Mann für gestern angesagt gewesen war!

Glücklicherweise konnte ihr das mit dem Gärtner nicht passieren. Mr. Pott, der nur ein Stück die Straße herunter wohnte, arbeitete schon eine Ewigkeit für sie, hatte einen eigenen Schlüssel und kam und ging, wie er wollte. Zur Not würde er vielleicht ein- oder zweimal den Rasen mähen, wenn sie ihn lieb darum bat. Aber er wurde allmählich alt, und die Rasenflächen von Belleview waren beträchtlich. Nein, sie konnte es nicht von ihm verlangen.

Wen aber sollte sie fragen? Ava hatte schon Melanies Notizbuch zurate gezogen, in dem die frühere Haushälterin Namen und Telefonnummern von Aushilfen notiert hatte, deren Hilfe sie gelegentlich in Anspruch genommen hatte. Leider war kein Mann zum Rasenmähen darunter gewesen. Byron hätte einfach in der Nachbarschaft angerufen und sich jemanden empfehlen lassen. Doch Ava schreckte davor zurück. Sicher würde man dann hinter ihrem Rücken über sie lachen … die arme dumme Ava, die versuchte, ihrem Bruder den Haushalt zu führen!

Nein, sie würde lieber in den Gelben Seiten nachschlagen und einen Schuss ins Blaue wagen. Was konnte schon passieren? Schlimmstenfalls war der Mann unfähig oder unzuverlässig. Dann würde sie ihn eben feuern und es noch einmal versuchen.

Mit klopfendem Herzen, aber dennoch fest entschlossen, ging Ava in die Küche, wo in einem Schrank die Telefonbücher aufbewahrt wurden. Fünf Minuten später blätterte Ava immer noch in dem Branchentelefonbuch. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie viele Firmen Rasenmäherdienste anboten. Unschlüssig fiel ihr Blick auf eine eingerahmte Anzeige.

„Morellis Haus- und Grundstückspflegeservice. Alle anfallenden kleinen und großen Arbeiten. Vernünftige Tarife und zuverlässige Arbeiter.“

„Morelli“, flüsterte Ava entzückt und ließ den Namen förmlich auf der Zunge zergehen. Italienische Namen fielen ihr stets sofort ins Auge. Lange blickte sie auf die Anzeige und spürte, wie ihr Herz pochte. Natürlich war es lächerlich, eine Firma zu beauftragen, nur weil sie einen italienischen Namen trug. Andererseits, irgendjemand musste den Rasen mähen …

Nervös wählte Ava die angegebene Nummer und wartete mit angehaltenem Atem.

„Morellis Haus- und Grundstückspflegeservice. Was können wir für Sie tun?“, meldete sich eine weibliche Stimme mit starkem italienischen Akzent.

Die Tatsache, dass sich eine Frau meldete, brachte Ava etwas aus dem Konzept. „Oh … ich, äh …“

Die Frau am anderen Ende der Leitung seufzte verärgert. „Hören Sie, wenn Sie eine von Vincentes Freundinnen sind, dann sage ich Ihnen eines: Mein Sohn ist mit einem netten italienischen Mädchen verlobt und wird nicht länger in fremden Betten schlafen!“

Ava schnappte nach Luft und blickte fassungslos auf den Telefonhörer, aus dem nun gedämpfte Geräusche eines hitzigen Wortgefechts drangen … leider oder glücklicherweise auf Italienisch.

„Hallo?“, meldete sich schließlich eine sehr angenehme männliche Stimme, wenngleich Ava zu ihrem Bedauern keine Spur von einem Akzent heraushörte. „Hier spricht Vince. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen und darf Ihnen versichern“, fügte er trocken hinzu, „dass ich weder eine italienische noch irgendeine andere Verlobte haben. Mit wem spreche ich bitte?“

„Oh, mein Name ist Ava Whitmore“, antwortete Ava stockend. „Wir … wir brauchen jemanden zum Rasenmähen, und ich wollte mich erkundigen, ob …“

„Darf ich fragen, wo Sie wohnen?“, unterbrach er sie.

„St. Ives.“

„Welchen Umfang haben die Rasenflächen? Wie lange braucht man normalerweise, um sie zu mähen?“

„Nun, sie sind schon ziemlich groß. Drei bis vier Stunden braucht man mindestens.“

„So groß, ja? Wir berechnen zwanzig Dollar pro Stunde.“

„Das geht in Ordnung.“

„Welcher Tag wäre Ihnen denn recht?“

„Na ja, der Mann, der es bisher gemacht hat, kam immer montags …“

„Um diese Jahreszeit müssen Rasenflächen in der Regel nicht jede Woche gemäht werden. Warten Sie … ja, ich kann Sie noch für nächsten Montag neun Uhr einplanen.“

„Erst nächsten Montag?“, wiederholte Ava unglücklich. „Aber … der Mann ist schon letzten Montag nicht gekommen, und der Rasen hat es wirklich nötig. Wenn er nicht bald gemäht wird, wird Byron etwas merken, und dann ist die Hölle los!“

Schweigen am anderen Ende der Leitung. Ava bedauerte es schon, nicht den Mund gehalten zu haben. Was sollte Mr. Morelli von ihr denken?

„Klingt nach einem Notfall“, sagte er schließlich, und Ava atmete auf.

„Ja, das ist es tatsächlich. Byron ist sehr pingelig.“

„Ich vermute, Byron ist Ihr Mann?“

„Oh nein, mein großer Bruder. Sie wissen sicher, wie große Brüder sein können“, fügte sie mit einem kleinen Lachen hinzu.

„Eigentlich nicht“, erwiderte er bedächtig. „Ich bin in meiner Familie der große Bruder, und ich kann Ihnen versichern, das ist kein leichter Job. Nun zu Ihrem Rasen, Miss Whitmore. Ich fürchte, ich habe morgen keinen Mann frei, es sei denn …“ Es folgte erneut ein kurzes Schweigen. Ava hielt den Atem an, ohne zu wissen, warum. „In Ordnung, Miss Whitmore“, meldete sich Vince Morelli dann wieder. „Ich komme selbst. Kein Problem. Geben Sie mir einfach Ihre Adresse, dann geht die Sache klar.“

Ava unterdrückte einen Seufzer der Erleichterung und gab Adresse und Telefonnummer von Belleview durch. Dann legte sie den Hörer auf und ging gedankenversunken nach oben in ihr Schlafzimmer. Doch ein Blick in den Spiegel riss sie aus ihren Träumen und brachte sie auf den Boden der Wirklichkeit zurück.

Was war sie doch für eine Närrin! Eine törichte, von romantischem Kitsch beseelte Närrin! Traurig sank Ava auf die Bettkante, verbot es sich aber zu weinen.

Wenigstens würde der Rasen gemäht sein, ehe Byron morgen Abend nach Hause kam. Und immerhin würde sie Gelegenheit haben, einen leibhaftigen italienischen Casanova zu sehen. Ehe Ava einschlief, fragte sie sich, in den Betten wie vieler Damen Mr. Vincente Morelli wohl schon geschlafen haben mochte.

2. KAPITEL

In dem Moment, als Gemma die Tür zu ihrer Wohnung mit Blick auf die Bucht aufschloss, spürte sie, dass Nathan zu Hause war … und dass er nicht allein war. Das Parfüm, das sie roch, gehörte nicht zu ihren. Da dieser exotische teure Duft auch nicht Kirstys Geschmack war, konnte Gemma sich auch keine Hoffnung machen, ihr Mann habe vielleicht seine halbwüchsige Tochter aus erster Ehe zu Besuch.

Instinktiv wusste sie, dass der Gast niemand anderer als Lenore, Nathans Ex-Frau, war. Natürlich war es unmöglich, ihr ganz aus dem Weg zu gehen, selbst wenn sie nicht Kirstys Mutter gewesen wäre. Schließlich führte Nathan augenblicklich Regie in einem seiner Theaterstücke, in dem Lenore die Hauptrolle spielte. Aber musste er sie unbedingt mit nach Hause bringen, wenn sie, Gemma, nicht da war?

Äußerlich gefasst ging Gemma durch die doppelten Glastüren, die von der großen Eingangsdiele in den geräumigen Wohnbereich führten. Die Szene, die sie dort erwartete, hätte durchaus harmlos sein können, aber Gemma betrachtete sie voller Eifersucht.

Nathan und seine Ex-Frau saßen auf einem der beiden blau-weiß gestreiften Sofas, die zu beiden Seiten des offenen Kamins standen. Die Art, wie sie einander zugewandt waren, verriet eine tiefe Vertrautheit, die Nathans Beteuerungen, dass er nichts mehr für Lenore empfinden würde, Lügen strafte.

Bei Gemmas Eintreten blickte Lenore auf. In ihren schönen grünen Augen schimmerten Tränen. Nathan erhob sich und ging mit unergründlicher Miene auf seine Frau zu.

„Du kommst spät, Darling“, sagte er, strich sich eine blonde Locke aus der Stirn und begrüßte Gemma mit einem Kuss auf die Wange.

„Nicht sehr“, erwiderte sie steif. „Hallo, Lenore.“

Von nahem betrachtet war Lenore anzusehen, dass sie heftig geweint haben musste. Sofort vergaß Gemma ihren Argwohn. Vielleicht war ja etwas Schlimmes passiert?

Autor

Miranda Lee
Miranda Lee und ihre drei älteren Geschwister wuchsen in Port Macquarie auf, einem beliebten Badeort in New South Wales, Australien. Ihr Vater war Dorfschullehrer und ihre Mutter eine sehr talentierte Schneiderin. Als Miranda zehn war, zog die Familie nach Gosford, in die Nähe von Sydney.

Miranda ging auf eine Klosterschule. Später...
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