Bianca Exklusiv Band 256

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UNSER RENDEZVOUS MIT DER LIEBE von FERRARELLA, MARIE
Voller Wut stellt Miranda den Sportjournalisten Mike Marlowe zur Rede. Wie kann er nur so schlecht über ihren Vater, eine Baseballlegende, schreiben? Auge in Auge mit Mike wandelt sich ihr Zorn jedoch in heißes Begehren. Was bleibt, ist ihre Angst, ihm wirklich zu vertrauen …

TRÄNEN DER TRAUER - TRÄNEN DES GLÜCKS von HANNAY, BARBARA
Nell und Jacob waren jung, glücklich und auf dem besten Wege, eine perfekte Familie zu werden. Bis Nells Vater alles zerstörte. Erst 20 Jahre später führen der Tod ihrer Tochter und die Suche nach dem Vater von deren Baby sie wieder zusammen. Und auf den Weg ins späte Glück?

WO WARST DU, MATT? von GREEN, CRYSTAL
Matt Jones erinnert sich nach seinem Gedächtnisverlust an nichts: Hat er die zauberhafte Rachel mit ihrer gemeinsamen Tochter wirklich sitzen lassen? Sie ins Elend gestürzt? Er schämt sich zutiefst und möchte alles wieder gut machen. Wenn Rachel ihm noch eine Chance gibt …


  • Erscheinungstag 27.03.2015
  • Bandnummer 0256
  • ISBN / Artikelnummer 9783733730178
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Marie Ferrarella, Barbara Hannay, Crystal Green

BIANCA EXKLUSIV BAND 256

MARIE FERRARELLA

Unser Rendezvous mit der Liebe

Stundenlang hat Mike in einer Sportsbar auf jene Frau gewartet, die ihn zur Rede stellen will, weil er ihren Vater, eine Baseballlegende, in einem Artikel kritisiert hat. Als er gerade gehen will, erscheint sie: Miranda Shaw, eine Frau wie ein Gedicht! Einen Drink lehnt sie jedoch ab – genauso wie seine heißen Avancen. Dabei begehrt sie ihn doch auch, oder?

BARBARA HANNAY

Tränen der Trauer – Tränen des Glücks

Der Wind fährt Nell sanft durchs Haar, als sie auf Jacobs Pferd durch die Weiten von Queensland galoppiert. Ist endlich jenes Glück perfekt, das ihr Vater ihr und Jacob vor 20 Jahren verweigerte? Über allem liegt dennoch ein Schatten der Trauer: Um ihre gemeinsame Tochter. Und Angst um deren süßes Baby. Was soll nur aus ihm werden? Und was aus Jacob und ihr?

CRYSTAL GREEN

Wo warst du, Matt?

Ist dieser wundervolle Mann wirklich jener Matthew, der sie vor zwei Jahren wortlos verließ? Angeblich erinnert er sich an nichts. Nicht an das Geld, das er stahl. Nicht an ihre gemeinsame Tochter. Nicht an die große Liebe, die sie verband – und die bei Rachel gleich wieder lichterloh entflammt. Aber kann sie ihm das alles glauben und ihm verzeihen?

1. KAPITEL

„Dieser scheinheilige, aufgeblasene, elende Mistkerl …“

Halb vor Überraschung, halb vor Empörung entfuhr Miranda Shaw diese wenig schmeichelhafte Beschreibung, bevor sie sich beherrschen konnte. Die wütende Beschimpfung passte so gar nicht zu der klassischen Musik, mit der ihr Arbeitsplatz im pharmazeutischen Labor dezent beschallt wurde.

Ihre Wangen röteten sich hektisch, und ihr Atem ging schneller. Erst vor wenigen Minuten, wenn auch anderthalb Stunden später als gewöhnlich, hatte sie ihre Pause begonnen und die Los Angeles Times aufgeschlagen. Den Sportteil der Zeitung las sie, seit sie vier Jahre alt war. Weil es ihr immer zu lange dauerte, bis ihre Mutter ihr die sehnlichst erwarteten Baseball-Ergebnisse vorlas, hatte Miranda sich selbst das Lesen beigebracht – indem sie die Namen der gegnerischen Mannschaften laut buchstabierte.

Für Baseball interessierte sie sich, weil sie ihren Vater vergötterte. Steven Orin Shaw, den seine unzähligen Fans nur „SOS“ nannten, galt als einer der besten Werfer, die es im Baseball jemals gegeben hatte. Leider hatte ein Skandal seine Karriere abrupt beendet.

Aber nicht Mirandas Treue zu ihm. Sie war jetzt vierundzwanzig, und nur der Tod – und zwar ihr eigener – konnte ihr die tiefe, unerschütterliche Loyalität nehmen.

Genau die flackerte jetzt zusammen mit dem Zorn in ihr auf, als sie las, was Mike Marlowe in seiner Kolumne geschrieben hatte. Von allen Sportreportern war er ihr immer der liebste gewesen. Sicher, hin und wieder war sie anderer Meinung, trotzdem hatte sie nicht nur sein breites Wissen, sondern auch seinen lebendigen Stil bewundert. Wenn er ein Spiel schilderte, sah man es vor sich ablaufen.

Aber in diesem Moment hätte sie den Mann umbringen können. Ganz langsam und genüsslich.

Es war mal wieder die Jahreszeit, in der die Leute den Weihnachtsschmuck wegräumten und über ihre guten Vorsätze für das neue Jahr die Stirn runzelten, weil sie schon jetzt gegen die meisten davon verstoßen hatten. Es war auch der Monat, in dem die Vereinigung der Baseball-Reporter sich mit der wichtigen Frage beschäftigte, welcher Spieler in die Ruhmeshalle des Baseballs in Cooperstown aufgenommen werden sollte.

Lange vor der eigentlichen Abstimmung wurden die Kandidaten für diese höchste Ehrung des Baseballs bekannt geben. Miranda hatte sich längst damit abgefunden, dass ihr Vater es niemals auf eine der Vorschlagslisten schaffen würde.

Aber jetzt besaß dieser Idiot, dieser Supertrottel, der sie so kolossal enttäuscht hatte, die unglaubliche Frechheit zu erwähnen, dass ihr Vater seit einer Ewigkeit aus dem Baseball verbannt war. Über mehrere Absätze seiner Kolumne hinweg beklagte er sich darüber, dass die einst so saubere Sportart von immer mehr Skandalen heimgesucht wurde. Und dann zählte er auch noch all die Gründe auf, warum SOS niemals für die Ruhmeshalle infrage kommen würde.

Das zu wissen war schlimm genug. Aber musste der Mann auch noch lang und breit und mit spitzer Feder erläutern, wie SOS seine Fans enttäuscht und Schande über ihr geliebtes Spiel gebracht hatte?

Na gut, ihr Vater hatte einen schwachen Moment gehabt und gewettet. Na und? Das taten viele Menschen, und SOS hatte nie Geld auf eine gegnerische Mannschaft gesetzt. War das etwa unverzeihlich? Wohl kaum. Auf jeden Fall war es kein Vergehen, für das man so an den Pranger gestellt werden durfte.

Aber genau dort stand er jetzt.

Ob er es schon gelesen hatte? Das wäre das Letzte, was er brauchte. Erst der Skandal und dann der schreckliche Unfall sechs Monate später. Seitdem lebte er praktisch wie ein Einsiedler. Miranda hatte Jahre gebraucht, um ihn aus dem Schneckenhaus zu holen, in das er sich damals zurückgezogen hatte. Inzwischen wagte er sich sogar wieder unter Menschen.

Dieser unverschämte Artikel konnte alles zunichte machen, wofür sie so hart gearbeitet hatte!

Als nun Mirandas wütender Ausruf durch das fast leere Labor hallte und die gedämpfte Musik übertönte, nahm Tilda Levy den Blick von ihrem Computerbildschirm. Sie rieb sich die Stirn, bevor sie sich zu Miranda umdrehte. „Hast du deinen Gehaltsscheck vorzeitig bekommen?“, fragte sie trocken.

Dass die Chemiker im Forschungslabor von Promise Pharmaceuticals unterbezahlt waren, stand für alle Kollegen fest. Für den Dauerstress und die vielen Überstunden verdienten sie entschieden zu wenig.

„Wie?“ Miranda brauchte einen Moment, um sich von der Zeitung loszureißen und Tildas Frage zu verarbeiten. „Nein. Es ist dieser verdammte Artikel.“

Sie stand auf und pfefferte das Blatt so heftig in den Papierkorb neben ihrem Schreibtisch, dass er umkippte. Miranda murmelte etwas nicht Druckreifes, während sie ihn wieder aufstellte.

Tilda beugte sich vor und reckte den Hals. Sie beide waren befreundet, seit sie auf der Highschool im Chemielabor ein Team gebildet hatten. Auch wenn Tilda sich kein bisschen für Baseball interessierte, wusste sie, welchen Teil der Zeitung Miranda als Erstes überflog.

Sie speicherte ihre Arbeit ab und zeigte auf den Papierkorb. „Was ist denn? Glaubt dein Lieblingsreporter etwa nicht daran, dass die Angels in diesem Jahr Meister werden?“ Die Angels waren Mirandas Lieblingsmannschaft – für die hatte ihr Vater in den letzten sieben Jahren seiner Karriere gespielt.

Miranda antwortete nicht, sondern starrte mit finsterer Miene auf die zerknüllte Zeitung.

„Es geht also um deinen Dad, stimmt’s?“, fragte Tilda besorgt.

Miranda schob die Hände in die Taschen ihres Kittels. Sie wäre gern auf und ab gegangen, aber das Labor war nicht dazu ausgelegt, aufgestauten menschlichen Unmut herauszulassen. Es diente allein dazu, chemische Experimente zu beschleunigen.

Miranda seufzte. „Das kann man wohl sagen.“

Achselzuckend wandte Tilda sich wieder ihrem Computer zu. „Vergiss es einfach. Spätestens morgen liegt der Artikel in irgendeinem Vogelkäfig – oder er wartet im Mülleimer auf die Abfuhr.“

Aber heute wurde er von vielen Leuten gelesen. Und höchstwahrscheinlich auch von ihrem Vater. Darauf kam es an.

Miranda straffte die Schultern. Es herunterzuschlucken half nicht. Sie musste sich Luft machen.

„Er hat geschrieben …“ Sie zog die Zeitung aus dem Papierkorb und schlug sie mit spitzen Fingern auf. Es dauerte einen Moment, bis sie die richtige Seite fand. „Steve Orin Shaw, von seinen Fans und gegnerischen Spielern nur SOS genannt, verkörpert leider alles, was an diesem Sport schlecht und käuflich ist …“ Sie schluckte mühsam und wehrte sich gegen die Tränen. „Und das ist noch nicht alles“, brachte sie nur noch heraus und räusperte sich.

„Das habe ich mir gedacht.“ Tilda stand auf, ging zu ihrer Freundin und legte den Arm um ihre Schultern. „Jetzt hör mir mal zu. Die Leute reden immer, auch wenn gar nichts dran ist. Und wenn doch, wird umso mehr gelästert. Dagegen kann man nichts machen.“

Miranda schüttelte den Arm ab und kniff trotzig die Augen zusammen. „Doch, das kann man.“

Tilda seufzte nur. „Dir ist hoffentlich klar, dass Mord in allen fünfzig Bundesstaaten strengstens verboten ist.“

„Es gibt mildernde Umstände“, entgegnete Miranda. Sie wollte Marlowe nicht mehr umbringen, aber er sollte seine gehässigen Worte zurücknehmen – öffentlich, damit ihr Vater wenigstens etwas von seinem Stolz bewahren konnte.

Ihre Kollegin schüttelte den Kopf. „Ich bezweifle, dass ein Gericht Marlowes Artikel als mildernden Umstand ansehen würde.“ Sie wurde ernst. „Lass es gut sein, Miranda.“

Das konnte Miranda nicht. Ihr Vater brauchte jemanden, der sich für ihn einsetzte und das tat, wozu er selbst nicht mehr fähig war. SOS war wehrlos. Der Ausschluss aus seinem geliebten Baseball hatte ihm den Kampfgeist genommen. Als Kind hatte sie ihn nur selten zu Gesicht bekommen, weil er dauernd unterwegs war. Und nach Ariels Tod war alles kaputtgegangen. Erst die Ehe ihrer Eltern, dann ihre Mutter. Aber an einem hatte Miranda immer festgehalten: an der Loyalität zu ihrem Vater.

Jetzt brauchte er sie mehr denn je.

„Ich kann es nicht einfach hinnehmen“, sagte sie, bevor sie sich zu ihrem Computer drehte und zu schreiben begann. Fieberhaft. Statt Zahlen und Formeln tanzten Buchstaben über den Bildschirm. Zum Glück konnte die Tastatur keine Laute von sich geben, sonst hätte sie gestöhnt und gewimmert, so heftig hämmerte Miranda auf ihr herum.

Neugierig schaute Tilda über die Schulter. „Was machst du da?“

Miranda tippte weiter. „Ich schreibe Mike Marlowe, was ich von ihm und seinem arroganten Artikel halte“, erwiderte sie trotzig.

„Sagst du ihm, wessen Tochter du bist?“, fragte ihre Freundin.

Das würde ihrer E-Mail zwar mehr Gewicht verleihen, aber sie musste sachlich bleiben, auch wenn der Trottel es gar nicht verdiente.

Miranda strich sich den blonden Pony aus den blauen Augen, die dunkler wurden, wenn sie zornig war. „Nein. Nur dass er ein Idiot ist.“

Lachend kehrte Tilda ihrer Freundin wieder den Rücken zu. Sie wollte nicht indiskret sein. „Für den Hinweis ist er dir bestimmt dankbar.“

Mike Marlowe hatte mit Reaktionen der Leser gerechnet. Die kamen immer, wenn er etwas für die Times schrieb. Bei diesem Artikel war er allerdings sicher gewesen, dass jeder echte Baseball-Fan ihm nur zustimmen konnte.

Eigentlich war es traurig. Shaw hatte mal als bester Pitcher aller Zeiten gegolten. Bei ihm machte der Ball alles, was er sollte – seine Anhänger wären nicht verwundert gewesen, wenn die Lederkugel im Flug die Nationalhymne gesungen hätte. Mike hatte den Mann selbst erlebt und jedes Mal über die Präzision seiner Würfe gestaunt.

In einer Sportart, in der 3000 Strikeouts als phänomenal angesehen wurden, hatte SOS im Laufe seiner Karriere 4002 geschafft. Und von 300 Siegen träumte jeder Anfänger. SOS hatte 377 hinter sich, als er gesperrt wurde und die Handschuhe an den Nagel hängen musste.

Der Mann war in fast jeder Hinsicht ein Baseball-Gott gewesen.

Aber eben nur fast.

Es gab im Baseball nur ein einziges unverzeihliches Vergehen, und das war nicht, ein entscheidendes Spiel zu verlieren oder seine Mannschaft mit einem Fehlwurf um den Sieg in der World Series zu bringen. Es war Doping oder Wetten.

Man musste nicht einmal gegen sein eigenes Team wetten, was stets den Verdacht nahelegte, dass man absichtlich verlor. Es reichte schon aus, Geld auf das Ergebnis eines Spiels zu setzen. Genau das hatte SOS getan. Ein einziges Mal. Es war herausgekommen und hatte Schande über ihn gebracht.

Dass Shaw es nicht leugnete oder nach einer billigen Ausrede suchte, hatte Mike imponiert. SOS hatte nicht auf zeitweilige Unzurechnungsfähigkeit plädiert oder behauptet, vor lauter Begeisterung für seinen geliebten Sport den Verstand verloren zu haben. Nein, der Mann stand zu dem, was er getan hatte, und fand sich widerspruchslos mit der lebenslangen Sperre ab.

Mike konnte sich noch immer gut an den Tag erinnern. Kurz vor dem Abendessen hatte er den Nachrichtensprecher gehört. Für immer gesperrt, das waren die schrecklichen Worte, die ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen waren. Als sein Vater den Fernseher ausschaltete, rannte Mike ins Wohnzimmer und stellte ihn – mit einem mulmigen Gefühl im Bauch – wieder an. Er war doch erst zwölf. Viel zu jung, um einen Helden an die hässliche Realität zu verlieren.

Sein Vater öffnete den Mund, um ihn zu tadeln, doch Kate, die wunderbare Frau, die Mikes Stiefmutter geworden war, schüttelte den Kopf und bat ihren Ehemann, ihr in der Küche zu helfen. Kate wusste, wie sehr Mike Baseball und gerade diesen Spieler liebte.

Natürlich liebte er auch seinen Vater, obwohl Bryan Marlowe oft fort gewesen war, bevor Kate in ihr Leben trat. Aber Helden … davon gab es für ihn nur einen. Nämlich Steven Orin Shaw. SOS.

An jenem siebten August hatte Mike sein Idol verloren. Und seine Unschuld. SOS war von dem himmelhohen Sockel gestürzt, auf den Mike und zahllose andere Jungen und Männer ihn gestellt hatten. Geblieben war eine Mixtur aus den unterschiedlichsten Gefühlen: Fassungslosigkeit, Verleugnung, Bestürzung, Enttäuschung.

Die Enttäuschung hatte alle anderen Emotionen überlagert, und der Schmerz war so gewaltig gewesen, dass er ihn kaum noch ausgehalten hatte. Seine Brüder hatten ihn zu trösten versucht, genau wie sein Vater. Aber es war Kate gewesen, die ihn schließlich aus dem schwarzen Loch geholt hatte.

„Wir werden nie wissen, was wirklich passiert ist“, sagte sie, als sie später am Abend auf seiner Bettkante saß. „Mr Shaw hat niemandem verraten, warum er es getan hat. Und bis jetzt war er immer ein guter, anständiger Mensch, der mit Leib und Seele Baseball gespielt und alles dafür gegeben hat.“

„Woher willst du wissen, dass er ein guter, anständiger Mensch war?“, fragte Mike und versuchte, nicht zu weinen. Das taten nur Babys. „Vielleicht hat er ja etwas anderes getan, von dem wir nichts wissen.“

„Das kann natürlich sein.“ Kate strich ihm über das hellblonde Haar, und die Berührung tat Mike gut. „Aber ich glaube es nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil ich den Schmerz in seinen Augen gesehen habe“, erwiderte sie leise. „Einen tiefen Schmerz. Er hat etwas sehr Tragisches durchgemacht und es überlebt. Solche Menschen sind ehrenwert.“

Verwirrt schaute er sie nun an. „Etwas Tragisches? Was denn?“

„Seine ältere Tochter Ariel ist an Krebs gestorben. So etwas kann einen Menschen zerstören, aber er hat es verkraftet und weiter Baseball gespielt. Weil eine Menge kleiner Jungen wie du sich auf ihn verlassen haben.“

„Warum hat er dann das hier getan?“, rief er ziemlich verzweifelt.

„Ich weiß es nicht, Mike. Aber ich bin sicher, dass er es zutiefst bereut. Es tut ihm leid, dass er euch Jungen enttäuscht hat. Und die Mädchen auch.“ Ihr Lächeln versprach ihm, das alles gut werden würde.

Und das wurde es.

Irgendwann.

Dass sein Held vom Sockel gestürzt war, änderte nichts an Mikes Liebe zu seinem Sport – auch das hatte er mit seiner Stiefmutter gemeinsam. Er besuchte andere Spiele, und nach einer Weile ertrug er es sogar wieder, den Angels zuzusehen. Ohne dass Shaw auf dem Platz stand.

Wie alle Jungen hatte er mal davon geträumt, Baseball-Profi zu werden. Aber er war nicht gut genug, um es in eins der Nachwuchsteams zu schaffen. Also ging er aufs College, machte einen Abschluss in Journalistik und begnügte sich mit dem, was für ihn gleich nach dem Baseball kam – er schrieb über den Sport und die Spieler, die ihn mit Leben erfüllten.

Mike hatte wirklich geglaubt, er hätte die Enttäuschung über Shaw hinter sich gelassen – bis er diesen Artikel begann. Es war, als wäre tief in ihm jemand freigelassen worden. Der kleine, fassungslose Junge steckte noch immer in ihm und wollte endlich wissen, warum Shaw ihm das angetan hatte.

Erst wenn er die Antwort kannte, würde er dem Mann verzeihen können. In den letzten Jahren hatte er oft versucht, Shaw zu interviewen, aber der hatte seine Anrufe nicht mal erwidert.

In jedem Januar setzten sich die Mitglieder der Vereinigung der Baseball-Reporter zusammen, um die Liste ehemaliger Spieler durchzugehen und zu entscheiden, ob darunter Kandidaten für die Ruhmeshalle waren. In diesem Jahr kursierte das Gerücht, dass einige Journalisten die Vergangenheit ruhen lassen und einen Mann vorschlagen wollten, der längst darin aufgenommen worden wäre – hätte er nicht etwas Unverzeihliches getan.

Für Mike war es ein gewaltiger Unterschied, ob jemand freiwillig den Handschuh an den Nagel hängte oder in Schimpf und Schande davongejagt wurde.

Als ihm das Gerücht, dass SOS rehabilitiert werden sollte, zum dritten Mal zu Ohren kam, konnte er nicht mehr schweigen. Er musste sich dazu äußern. Öffentlich. In seiner Kolumne. Aber jetzt fragte er sich, ob es vielleicht der kleine, enttäuschte Junge und nicht der gestandene Journalist gewesen war, der den Artikel geschrieben hatte. Aber selbst wenn, er hatte es zu Papier bringen müssen und fand es nach wie vor richtig.

Ganz offenbar ist „Miranda“ aus Bedford anderer Ansicht, dachte Mike lächelnd, als er ihre neueste E-Mail überflog. Es war die zehnte, und auch dieses Mal nahm sie kein Blatt vor den Mund. Verblüfft schüttelte er den Kopf. Wer hätte gedacht, dass es zehn verschiedene Arten gab, ihm ein und dasselbe an den Kopf zu werfen?

Vermutlich war die Frau ein altes Baseball-Groupie. Die gab es schon so lange, wie es den Sport gab. Sie folgten einem Team von Stadt zu Stadt, um einfach nur auf der Tribüne zu sitzen und einen bestimmten Spieler anzuhimmeln. Manchmal auch die ganze Mannschaft. Mike war sicher, dass diese Miranda SOS irgendwann mal nähergekommen war – der Mann war schließlich auch nur ein Mensch. Und jetzt fühlte sie sich ihm persönlich verbunden.

Mike ging der Gedanke nicht aus dem Kopf. Der Spieler hatte stets als vorbildlicher Familienvater gegolten – bis zum Tod seiner Tochter. Shaws Ehefrau hatte den Verlust nicht verkraftet und war gestorben, aber erst nachdem sie sich von ihm hatte scheiden lassen.

Das war eine harte Zeit für den Pitcher gewesen, aber er hatte weitergespielt. Manche behaupteten, er sei damals besser als je zuvor gewesen. Als hätte er nur in seinem Sport Trost gefunden. Abseits des Spielfelds war von Frauen und wilden Partys die Rede gewesen, aber dafür gab es keine Beweise.

Mike vermutete, dass diese Miranda SOS aus jener Zeit kannte.

Er straffte die Schultern und begann zu tippen.

Liebe Miranda, ich fürchte, Sie lassen sich zu sehr von Ihren Gefühlen leiten. Niemand behauptet, dass SOS zu seiner Zeit kein begnadeter Spieler war. Aber er war auch eine riesige Enttäuschung für die Jungen und Mädchen, die ihn vergötterten und als ihren Helden ansahen. Helden, die ein Skandal von ihrem Sockel geholt hat, sind keine Helden mehr. Egal, wie gut sie auf dem Spielfeld waren. Das ist meine Meinung, und dazu stehe ich. SOS hat es nicht verdient, dass man ihm seine Sünde vergibt. Er gehört nicht in die Ruhmeshalle des Baseballs, neben die Männer, die es wert sind, dort zu stehen.

Er überflog noch mal, was er geschrieben hatte, war damit zufrieden und schickte seine Antwort ab.

Als Miranda auf dem Bildschirm sah, dass sie tatsächlich eine E-Mail von Mike Marlowe bekommen hatte, öffnete sie sie sofort. Eigentlich hatte sie gar nicht mit einer Antwort gerechnet.

Mit zusammengebissenen Zähnen überflog sie den Text. Sekunden später hämmerte sie erneut in die Tasten.

Waren Sie schon immer so ein eingebildeter Mistkerl oder sind Sie das erst durch Ihren sogenannten Beruf geworden? Ich lese Ihre Kolumne seit einiger Zeit. Bis heute dachte ich, Sie hätten nicht nur ein Gehirn, sondern auch ein Herz. Aber offenbar ist Ihnen beides abhanden gekommen.

Ohne nochmals zu lesen, was sie Marlowe geantwortet hatte, schickte sie die E-Mail ab. So unüberlegt reagierte sie sonst nie, aber dieses Mal klickte sie Senden so heftig an, dass ein Fingernagel abbrach. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Tilda sie beobachtete. Miranda atmete tief durch und stieß die Luft langsam aus, um sich zu beruhigen. Aber kaum schlug ihr Herz etwas langsamer, erschienen auch schon neue Worte auf ihrem Monitor.

Hübsch formuliert. Aber offenbar wollen Sie mich nicht verstehen. Das ist in Ordnung. Meinungsverschiedenheiten sind das Salz in der Suppe des Lebens. Einigen wir uns einfach darauf, uns nicht einig zu sein.

Dieser arrogante Kerl! Wer war hier starrsinnig? Sie doch nicht!

Einig? Mit Ihnen? Niemals! Sie wollen nicht begreifen, wie falsch Sie liegen. Seien Sie froh, dass Sie jetzt nicht vor mir stehen, sonst würden Sie Ihre Frechheit bereuen.

Frechheit? Mike lehnte sich zurück und las dann ein zweites Mal, was Miranda ihm geantwortet hatte. Keine Frage, die Frau war wütend. Er musste einen wunden Punkt getroffen haben. Sollte er ihr das letzte Wort lassen? Wahrscheinlich war es sinnlos, mit ihr zu diskutieren. Aber sowohl sein Vater als auch seine Mutter hatten ihm beigebracht, für das einzustehen, woran er glaubte. Seitdem wich Mike keinem Streit aus – selbst wenn es ein so unbedeutender wie dieser war.

Egal, wo ich stehe, ich stehe immer zu dem, was ich denke.

Nach kurzem Zögern zog er die Samthandschuhe aus, die er bei seiner ersten Antwort noch getragen hatte. Wenn sie es nicht anders wollte …

Verzeihen kann man einen verworfenen Ball, verwerfliches Handeln ist unverzeihlich. Falls Sie diese Diskussion Auge in Auge fortsetzen möchten, nennen Sie mir Ort und Zeit.

So, das sitzt, dachte er zufrieden und schickte die E-Mail ab. Er erwartete keine richtige Antwort, höchstens ein paar ausgewählte Schimpfworte. Umso erstaunter war er, als Mirandas knapper Text auf dem Bildschirm erschien.

Bailey’s Sports Bar. Achtzehn Uhr. Heute.

2. KAPITEL

Mike starrte auf den Monitor und wartete darauf, dass mehr kam.

Einige Sekunden vergingen. Mirandas kurze Antwort blieb, wie sie war. Die schwarzen Buchstaben schienen vor dem weißen Hintergrund zu pulsieren. Wie eine Herausforderung. Sie erinnerte ihn an einen frechen Teenager. Mit kämpferisch erhobenem Kinn, bereit zu einer Prügelei.

Aber diese Worte stammten von einer erwachsenen Frau. Und zwar von einer, die Baseball über alles liebte und dafür lebte – oder rettungslos auf Steven Orin Shaw fixiert war.

Kein Zweifel, sie war nicht ganz normal.

Eine Sekunde lang überlegte Mike, ob es vernünftig wäre, sich mit ihr zu treffen. Offenbar hatte sie ein gestörtes Verhältnis zur Realität, und er hatte keine Lust, sich mit einer Verrückten einzulassen. Andererseits herrschte in Bailey’s Sports Bar immer viel Betrieb, selbst an einem Montag um achtzehn Uhr. Wenn die Frau SOS tatsächlich kannte, konnte sie ihm vielleicht etwas Wissenswertes über den Mann erzählen. Das wäre fast so gut wie ein Gespräch mit ihm selbst.

Und wenn er seine Karten richtig ausspielte und sie sogar noch Kontakt zu Shaw hatte, würde er möglicherweise doch noch sein Interview bekommen.

Als er die Hand auf die Tastatur legte, erschien auf Mikes Monitor ein einzelnes Wort. Angst?

Volltreffer, dachte er. Sie hatte einen Nerv getroffen. Das konnte er unmöglich auf sich sitzen lassen.

Abgemacht, gab er ein. Dann fiel ihm ein, dass er keine Ahnung hatte, wie Miranda aussah. Wie erkenne ich Sie?

Die Antwort fiel nicht so aus, wie er erhofft hatte. Ich erkenne Sie, schrieb sie zurück.

Miranda war gern im Vorteil. Das war vielleicht nicht sehr höflich, aber der Artikel lag noch auf ihrem Schreibtisch, und daher war ihr nicht nach Höflichkeit zumute. Außerdem wollte sie es diesem Besserwisser nicht unnötig leicht machen.

Es sei denn, das Foto über Ihrer Kolumne ist nicht mehr aktuell, fügte sie spontan hinzu.

Das war gut möglich. Viele Leute in den Medien verwendeten schmeichelhafte Aufnahmen von sich, die mit der Gegenwart nicht mehr viel zu tun hatten.

Er antwortete sofort. Es ist nur ein Jahr alt.

Also sieht er gut aus, dachte Miranda. Oder der Fotograf hatte ein ausgefeiltes Bildbearbeitungsprogramm auf seinem PC. Wie auch immer, wichtig war nur, dass sie dem Mann die Meinung sagen konnte. Ohne so nachtragende Menschen wie Mike Marlowe hätte ihr Vater längst die Auszeichnung bekommen, die ihm zustand. Er hatte ihr zwar versichert, dass er keinen Wert darauf legte, aber sie wusste es besser. Wie konnte ihm so etwas gleichgültig sein? Jeder Baseball-Profi träumte davon.

Gut, gab sie ein. Dann sehen wir uns um sechs.

Vielleicht wäre halb sieben besser, antwortete Mike nach kurzem Nachdenken.

Aber es war zu spät. Die Frau am anderen Ende des E-Mail-Duells war nicht mehr im Netz. Sie reagierte nicht, und sein letzter Satz stand einsam und unbemerkt am Ende der Seite. Der Dialog war vorbei.

Mike überflog ihre E-Mails, angefangen mit der ersten Reaktion auf seinen Artikel. Diese Miranda – oder wie immer sie in Wirklichkeit hieß – musste älter sein, denn sie verwendete keine der Abkürzungen, die bei der elektronischen Korrespondenz üblich waren. Obwohl er es nicht wollte, freute er sich darüber. Als Journalist ging er gern mit seiner Muttersprache um und fand es schrecklich, wenn jemand sie aus reiner Bequemlichkeit verstümmelte. Die meisten seiner Kollegen sahen das anders, aber die waren alle Ende zwanzig oder Anfang dreißig.

Vermutlich war die Frau, mit der er sich gerade verabredet hatte, irgendeine fanatische Spinnerin um die vierzig – oder noch älter. Bestimmt stand in ihrem Schlafzimmer eine Art Schrein für Steven Orin Shaw, vor einer Wand voller Fotos. Wahrscheinlich hatte sie auch noch Kerzen aufgestellt.

Mike lehnte sich in seinem Drehsessel zurück, verschränkte die Hände am Hinterkopf und überlegte, was er jetzt tun sollte.

Und wenn er einfach nicht hinging?

Er hätte eine gute Ausrede. Heute war erst Montag, aber am Wochenende musste er Ryan Wynters vertreten. Laut Howard Hilliard, seinem Redakteur, lag der Chefreporter mit einer schweren Grippe im Bett. Ryan war für den Super Bowl am Samstag eingeplant, und daher fiel Mike die ehrenvolle Aufgabe zu, über das Football-Endspiel zu berichten. Eigentlich müsste er längst zu Hause sein und die Reisetasche packen, anstatt seine Zeit am Tresen einer Sports Bar zu vergeuden – noch dazu mit einer Verrückten, die ihm unbedingt persönlich die Meinung sagen wollte.

Wer immer diese Miranda war, er würde sie nicht überzeugen. Und sie ihn nicht. Wozu sollte er sich also mit ihr treffen?

Mike runzelte die Stirn.

Der Punkt war, er hatte es versprochen. Und er hielt Wort. Immer.

Er seufzte frustriert.

Lance Matthews, der Theaterkritiker, der ihm gegenübersaß, hob den Kopf. Sein hageres Gesicht war vollkommen ausdruckslos.

„Was für ein bühnenreifer Laut!“, rief Lance begeistert. „Sag bloß, Ryan hat angerufen und dir gesagt, dass er doch zum Soup Bowl fahren kann?“

„Super Bowl“, verbesserte Mike automatisch, obwohl er wusste, dass Lance sich absichtlich versprochen und aus der heiß begehrten Trophäe eine „Suppenschüssel“ gemacht hatte. Jeder in der Redaktion wusste, dass es Ryan schlimm erwischt haben musste, wenn er ein Endspiel verpasste. „Nein. Ich überlege gerade, ob ich mich mit diesem Fan in einer Sports Bar treffen soll.“

Ein Hauch von Neugier huschte über Lance’ blasses Gesicht. „Fan von was? Von dir?“

Mike entging der ungläubige Unterton nicht. Wenn hier jemand eingebildet war, dann sein Kollege. „Nein, von Steven Shaw.“

Lance hasste Sport. Für den Mann war es schon eine körperliche Anstrengung, die Platznummer auf seinen Theaterkarten zu finden. Aber offenbar nahm er doch wahr, was um ihn herum passierte. Er schien sogar zu wissen, wer Steven Shaw war.

„Ja, die sind ein kleiner, treuer Haufen. Loyal bis zum Ende, wie man hört. Dachte ich mir doch, dass sie nach deinem Lasst-Steven-Shaw-in-der-Hölle-schmoren-Verriss aus ihren Löchern kommen.“ Lance grinste selbstgefällig.

„Das habe ich nie gesagt“, protestierte Mike. „Ich habe nur geschrieben, dass wir unsere Wertmaßstäbe verraten, wenn wir ihn in die Ruhmeshalle wählen. Und dass es kein gutes Vorbild für die jüngeren Fans wäre.“

Lance hob die Hand. „Schon gut, schon gut. Du brauchst nicht den ganzen Artikel zu zitieren. Ich kann dir versichern, ich habe begriffen, worauf du hinauswillst.“ Er machte eine Kunstpause. „Übrigens, ich sehe das genauso wie du.“

Verblüfft starrte Mike ihn an. Er konnte sich nicht erinnern, wann sein Kollege und er zuletzt einer Meinung gewesen waren.

„Aber vielleicht solltest du einen Pfefferspray mitnehmen. Die Frau … es ist doch eine Frau, oder?“ Lance lächelte. „Sie könnte geistesgestört sein. Wie jeder, der sich für etwas so Primitives wie Sport interessiert, wenn du mich fragst.“

„Danke für deine Besorgnis, aber ich kann selbst auf mich aufpassen.“

Der Theaterkritiker schüttelte den Kopf. Armer Kerl, schien er damit ausdrücken zu wollen. „Ich nehme an, du hast noch nie Misery gesehen.“

Das muss der Film über den durchgedrehten Fan sein, dachte Mike. Der seinem Idol ein Bein abhackte. „Doch, das habe ich. Falls diese Miranda mit einem Beil in der Hand auftaucht, verschwinde ich durch den Hinterausgang.“

Lance kniff die Augen zusammen. „Ich hoffe, dir bleibt die Zeit dazu.“

Mike zuckte mit den Schultern. „Das Risiko gehe ich ein“, erwiderte er und beugte sich über seine Notizen für die morgige Kolumne.

Etwa fünf Stunden später Mike saß auf einem Barhocker, vor sich ein warmes Bier, den Blick auf die Tür gerichtet. Aber jedes Mal, wenn sie aufging, kam jemand herein, der unmöglich Miranda sein konnte. Wer nannte sein Kind bloß so?

Das Glas war fast leer.

Er war seit zehn vor sechs hier, weil er sich erst ein Bild von ihr machen wollte, bevor er mit ihr sprach. Warum kamen Frauen nie pünktlich? Jedenfalls keine, die er kannte. Außer Kate.

Mike sah auf die Uhr. Sechs Uhr. Ich wette, sie kommt nicht, dachte er und trank einen Schluck. Er stellte das Glas ab und wischte sich mit dem Daumen den Schaum von den Lippen. Noch fünfzehn Minuten, dann würde er verschwinden.

Als eine ältere Frau allein eintrat, war er sicher, dass es Miranda war. Sie musterte ihn ohne jede Scheu und ließ dabei den Blick an ihm hinabwandern, als wäre er ein großes Glas mit eiskaltem Wasser und sie gerade erst aus der Wüste gerettet worden. Und dann, nach einem kurzen, bedauernden Zögern, ging sie an ihm vorbei.

Verdammt, er hatte keine Zeit für das hier. Er leerte das Glas und schob es entschlossen von sich. Er hatte seinen Artikel noch nicht fertig, und außerdem musste er für die Reise packen. Mike bezahlte und stieg vom Hocker.

Doch bevor er den Ausgang ansteuern konnte, fühlte er eine Hand an seinem Arm. Als er sich danach umdrehte, stieß er gegen einen weichen, aber nicht zu weichen Körper. Überrascht machte er einen Schritt zurück.

Automatisch entschuldigte er sich, denn gute Manieren hatte er schon als Kind gelernt. „Tut mir leid, ich habe Sie nicht gesehen.“ Wow, sie sah wirklich gut aus, und er versuchte, sie nicht anzustarren. Es war eine Weile her, dass ihm eine so perfekte Kombination von Gesicht und Körper über den Weg gelaufen war. „Mein Hübsche-Frauen-Radar muss kurz ausgefallen sein.“

„Zusammen mit Ihrem Verstand“, entgegnete die Frau schlagfertig. Respekt, dachte Mike. Ein spöttisches Lächeln umspielte ihren Mund. Oder bildete er sich das nur ein? „Erzählen Sie mir nicht, dass Sie mit dem Spruch schon mal Erfolg hatten“, fügte sie hinzu.

„Das ist kein Spruch“, beteuerte er. Es gab nur wenige Frauen, die ihm den Atem raubten. Und das, obwohl sie in Südkalifornien waren, wo mehr reizvolle Exemplare herumliefen als in jedem anderen Bundesstaat. Schließlich war Hollywood nicht weit. Aber die hier war eindeutig Extraklasse. „Nur eine ehrliche Feststellung.“

Sie schaute ihn durchdringend an, und er kam sich vor wie unter einem Mikroskop. „Wie Ihre sonstigen Feststellungen auch?“, fragte sie schließlich.

War ihr Lächeln gerade verächtlich geworden? Warum? Sie kannten sich nicht. Oder doch? Nein, eine Frau, die eine kaum verhüllte Sexualität ausstrahlte, hätte er bestimmt nicht vergessen. Das lange blonde Haar war locker hochgesteckt. Er musste sich beherrschen, um die Nadeln nicht herauszuziehen, damit die Locken ihr in das anmutige Gesicht fielen. Eigentlich mochte er glattes Haar lieber, aber zu ihr passten eindeutig Locken besser.

Fast so gut wie die Kurven unter dem schlichten blauen Kostüm.

Aus irgendeinem Grund ertappte er sich bei einer jener Männerfantasien, in denen aus einer strengen, wie eine Lehrerin aussehenden Frau – mit etwas Verführungskunst – eine leidenschaftliche Tigerin wurde.

Ich sollte wirklich häufiger ausgehen, dachte Mike und ärgerte sich über sich selbst.

Noch immer sah sie ihn an, als wären sie einander schon mal begegnet. Aber wo? Du meine Güte, wenn er sich an eine Frau wie sie nicht mehr erinnerte, wurde er langsam alt.

„Kenne ich Sie?“, fragte Mike. So verlockend es auch war, er fügte nicht hinzu, dass er sie unbedingt besser kennenlernen wollte. Es hätte wie ein Spruch geklungen. Und zwar wie ein schlechter.

Miranda ließ sich absichtlich Zeit. Es machte ihr Spaß, ihn zappeln zu lassen. Langsam ließ sie den Blick über den Journalisten wandern. Das hatte sie von ihrem Vater gelernt. SOS hatte vor jedem Wurf den gegnerischen Fänger gründlich gemustert, bis der arme Kerl immer nervöser wurde.

„Ich bin Miranda“, sagte sie schließlich.

Seine Augen wurden groß. Ungläubig starrte er sie an.

Sie sind Miranda?“ So viel zu deiner Theorie, dachte Mike selbstkritisch. Diese Frau war höchstens fünfundzwanzig. Oder Stammkundin bei einem begnadeten Schönheitschirurgen.

Sie lächelte belustigt und freute sich über seine Verwirrung, obwohl sie nicht sicher war, warum er sie so überrascht ansah.

„Ja, die bin ich.“ In ihrem Beruf hatte sie gelernt, sofort zur Sache zu kommen, wenn sie Antworten brauchte. „Wen haben Sie denn erwartet?“

Vor Mikes geistigem Auge verblasste das Bild eines fanatischen Groupies, das in Gesundheitsschuhen hinter Shaw herrannte. Wie hatte der Mann es geschafft, eine so junge Frau für sich zu gewinnen? Sie war nicht alt genug, um viele seiner Spiele gesehen zu haben.

„Sie jedenfalls nicht“, gab er zu.

Die Worte schienen wie in Zeitlupe über seine Lippen zu kommen. Was exakt das Tempo seiner Gehirnwellen war. Das kam bei Mike selten vor. Bei den Sportreportern war die Jobkonkurrenz mörderisch. Sein messerscharfer, blitzschneller Verstand – und das dazu passende Mundwerk – hatte ihm den bei der Times eingebracht. Wieso machte eine zugegeben hinreißende Frau ihn plötzlich sprachlos?

Unter normalen Umständen hätte Miranda sich vielleicht geschmeichelt gefühlt. Es war lange her, dass sie ausgegangen war. Und noch länger her, dass jemand ihr ein Kompliment gemacht hatte. Reagenzgläser und Zahlenkolonnen neigten zur Schweigsamkeit. Aber dies war der Mann, der einen Kreuzzug gegen ihren Vater führte. Das machte ihn eindeutig unsympathisch. Egal, wie hübsch seine blauen Augen waren.

„Baseball-Fans gibt es in allen Größen und Formen“, erwiderte sie spitz und versuchte, nicht zu reagieren, als sein Blick sie abzutasten schien. Er sah sie an wie ein Schneider, der für einen Bikini Maß nahm.

„Das kann man wohl sagen“, murmelte er.

Eigentlich hätte er nicht so erstaunt seinen dürfen, aber er war es trotzdem. Er kannte ein paar Fans von SOS, die trotz des Wettskandals zu ihrem Idol hielten. Diese Miranda war viel zu jung dafür. Andererseits bewiesen ihre E-Mails, dass sie Shaw vergötterte. Mike verstand es nicht. Die meisten Leute ihres Alters wussten überhaupt nicht, wer – oder was – SOS war.

Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er seine guten Manieren vergessen hatte. Kate wäre nicht erfreut gewesen. Hastig zeigte er zum hinteren Teil der Bar, wo einige runde Tische und Stühle standen. „Möchten Sie sich an einen Tisch setzen?“

Miranda glitt auf den Hocker neben seinem. „Nicht nötig.“

Mike nahm wieder Platz und spürte ihre Nähe. Die Temperatur im Raum stieg um einige Grade.

Er hob die Hand, um nach dem Barkeeper zu winken. „Was möchten Sie?“

„Eine Entschuldigung wäre nett.“

Mike ließ die Hand wieder sinken und wandte sich der zarten, anmutigen Frau neben sich zu. Nicht nur der Reporter, auch der Mann in ihm war neugierig. Und als Eröffnung eines journalistischen Hintergrundgesprächs war seine nächste Frage gar nicht mal so schlecht.

„Ist Ihr Vater SOS-Fan?“

Fast hätte Miranda laut aufgelacht. Wenn es jemanden gab, der keinen Wert auf Ruhm und Medienrummel legte, dann war es ihr Dad. Er war kein sehr umgänglicher Mensch, eher in sich gekehrt und verschlossen, aber das wusste sie von ihm. In einer Welt, in der jeder sich nach öffentlicher Anerkennung sehnte, hatte ihr Vater stets das Rampenlicht gemieden. Er war jeder Publicity aus dem Weg gegangen, der guten wie der schlechten, und hatte nur für den Sport gelebt, den er über alles liebte.

„Nein, ein Fan ist er nicht gerade“, antwortete sie. Wäre ihr Vater stolz auf seine Leistung – oder noch wichtiger, auf sich selbst – gewesen, hätte er sich verteidigt, anstatt die lebenslange Sperre widerstandslos hinzunehmen. „Aber er kann SOS gut verstehen.“ Wenn es jemand kann, dann er selbst, fügte sie stumm hinzu.

Ihre Antwort machte Mike nur noch neugieriger. „Heißt das, er wettet auch?“

Das Lächeln verschwand, und ihre Augen verdunkelten sich. Schade, dachte er. Vor einer Sekunde hatte ihr Blau ihn noch an einen Sommerhimmel erinnert.

„Nein, das tut er nicht“, erwiderte sie scharf.

Abgesehen von dem einzigen Mal, das ihn die Karriere gekostet hatte, war ihr Vater noch nie in einem Wettbüro gewesen. Als sie ihn fragte, warum er es getan hatte, wollte er nicht darüber reden. Sie sprach es nie wieder an, aber es ließ ihr keine Ruhe.

Mike fühlte sich, als würde er sich durch einen nächtlichen Irrgarten tasten. „Also sind Sie ganz allein auf die Idee gekommen, sich für Steven Shaw einzusetzen.“ Er beugte sich vor. „Darf ich fragen, warum Sie das tun?“

„Weil der Mann es nicht verdient hat, dass man sich nur wegen eines einzigen schwachen Moments an ihn erinnert. Immerhin war er einer der besten Spieler in der Geschichte des Baseballs.“

Das stimmte, aber für Mike änderte es nichts an den Tatsachen. „Das liegt in der menschlichen Natur. Die Leute erinnern sich nun mal eher an das Schlechte als an das Gute. Vor allem wenn sie das Gefühl haben, verraten worden zu sein.“

Miranda hob das Kinn. Ihm gefiel, wie ihre Augen plötzlich blitzten. „Er hat niemanden verraten“, widersprach sie energisch.

Da irrte sie sich. „Seine Fans haben das anders gesehen. Sie haben an ihn geglaubt“, entgegnete Mike ebenso nachdrücklich.

„Und ein einziger Verstoß macht alles zunichte, was er geleistet hat? Was sind das für Fans?“, fragte sie empört. „Er hat doch niemanden umgebracht! Er hat sich zu einer dämlichen Wette hinreißen lassen, mehr nicht!“

Bei jedem anderen wäre das entschuldbar, aber nicht bei einem Profisportler. Das musste sie doch verstehen. „Der Mann hat gegen eine der wichtigsten Regeln verstoßen.“

„Ich kann mich nicht erinnern, dass ‚Du sollst nicht wetten‘ zu den zehn Geboten gehört.“

„Im Baseball schon. Jedenfalls für Spieler“, beharrte Mike.

„Und Gott verzeiht – aber das Sportgericht nie?“, fragte Miranda spitz. Auf dem Weg hierher hatte sie sich fest vorgenommen, kühl und sachlich zu bleiben, aber sie hatte ihre Gefühle lange genug unterdrückt. Niemand, absolut niemand schien auf der Seite ihres Vaters zu stehen.

„So ungefähr“, bestätigte Mike. „Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich das sage … aber Sie sehen nicht aus wie ein Baseball-Groupie.“

Miranda hatte die Bezeichnung immer gehasst. Für sie verbanden sich damit unkritische, geistlose Menschen, die ein Team oder einen Spieler anhimmelten. Zu einem wahren Fan des Sports gehörte weit mehr als das.

„Das bin ich auch nicht“, versicherte sie. „Ich liebe Baseball, das ist alles. Und ich hasse Ungerechtigkeit.“

„Sie glauben also, Shaw ist übel mitgespielt worden.“

„Ich weiß es“, verbesserte sie. „Der Mann hat in jedem Spiel alles gegeben. Nichts, gar nichts war ihm wichtiger als sein Sport. Dieses sogenannte ‚Vergehen‘ hat vor über zehn Jahren stattgefunden. Bis auf Mord verjährt jede Straftat irgendwann. Wäre es nicht fair, ihn endlich zu begnadigen?“

Vielleicht hätte diese Frau vor dem Sportgericht etwas für SOS erreichen können. Leidenschaftlich genug war ihr Plädoyer jedenfalls. „Wie gesagt, im Baseball gelten andere Regeln.“

Miranda schüttelte den Kopf. „Baseball ist der amerikanische Sport, und Amerika steht für Gerechtigkeit. So haben wir es in der Schule gelernt, oder etwa nicht?“

„Warum setzen Sie sich so für Shaw ein?“, fragte Mike. „Soweit ich weiß, lebt der Mann vollkommen zurückgezogen.“

„Das hat er mal“, widersprach sie und klang dabei fast ein wenig stolz. „Direkt nach dem Autounfall.“

Es war knapp gewesen. Ihr Vater hatte sogar im Koma gelegen, und die Ärzte waren nicht sehr zuversichtlich gewesen. Aber er war daraus erwacht. Genauer gesagt, sein Körper hatte sich erholt. Trotzdem hatten sie ihn in den letzten zehn Jahren noch fünf Mal operieren müssen. Physisch war er wieder fit, seine angeschlagene Psyche war nicht so einfach zu reparieren.

„Er will ein Kinderteam trainieren und freut sich riesig darauf. Endlich taut er ein wenig auf“, erzählte sie.

Mike dachte an seine vielen vergeblichen Versuche, SOS zu interviewen. Die Frau schien den in Ungnade gefallenen Mann gut zu kennen. Vielleicht konnte er über sie an ihn herankommen. „Das klingt, als würden Sie viel über ihn wissen.“

Miranda war versucht, es zu bestreiten, aber das wäre gelogen. Und es sähe so aus, als würde sie sich für ihn schämen, und das stimmte nicht. Sie glaubte an ihren Vater, hatte es immer getan. Sie war stolz, seine Tochter zu sein. Stolz auf das, was er erreicht hatte. Dass er lebenslang gesperrt war, änderte nichts daran.

Nichts auf der Welt war ihr wichtiger, als dass ihr Vater endlich in die Ruhmeshalle des Baseballs aufgenommen wurde. Er gehörte zu den besten Spielern aller Zeiten. Er hatte es verdient.

Der Sportreporter wartete auf eine Antwort. „Ich habe mich lange mit ihm beschäftigt“, erwiderte sie und sah, wie Mike Marlowes blaue Augen aufleuchteten.

Miranda war noch nie ein spontaner Mensch gewesen. Warum hatte sie zugestimmt, sich mit dem Mann zu treffen? Etwas sagte ihr, dass es ein Fehler gewesen war.

3. KAPITEL

„Kennen Sie SOS persönlich?“, fragte Mike.

Er fühlte, wie sein Puls sich beschleunigte. Bleib ruhig, befahl er sich. Zu hoffen, dass Miranda ihm zu einem Gespräch mit Shaw verhelfen konnte, war unrealistisch.

Er tat es trotzdem. Mike hielt sich für einen zuversichtlichen Menschen. Nur auf einem Gebiet hatte er kein Glück – dauerhafte Beziehungen waren nicht seine Sache. Aber beruflich gesehen war er ein unverbesserlicher Optimist, und diese Zufallsbegegnung konnte durchaus die Chance seiner noch jungen Karriere sein.

Mike warf der Frau neben sich einen Blick zu. Er war ziemlich sicher, dass er mit seinem Verdacht richtig lag. Wer so viel über SOS wusste, musste den Mann gut kennen.

Miranda seufzte. Kein Zweifel, das hier war ein Fehler. Sie hätte sich nie auf dieses Treffen einlassen dürfen. Sicher, sie hatte es selbst vorgeschlagen, aber es war trotzdem leichtsinnig.

Sie war selbst schuld. Warum hatte sie ihre Gefühle nicht besser im Griff? In der Hinsicht kam sie nach ihrer Mutter, nicht nach ihrem Vater. Sich so widerstandslos in sein Schicksal zu fügen wie SOS lag einfach nicht in ihrer Natur.

Dabei hatte sie es oft genug versucht. Aber der Vorsatz war in der Sekunde verflogen, in der sie Marlowes Kolumne aufgeschlagen hatte. Jemand musste für ihren Vater Partei ergreifen.

Und was hatte der spontane Entschluss ihr eingebracht? Sie saß in einer Sports Bar, druckste herum und versuchte, zu einem viel zu neugierigen, viel zu gut aussehenden Reporter auf Abstand zu bleiben.

Es war höchste Zeit, von hier zu verschwinden.

Miranda glitt vom Hocker und hängte sich die Tasche über die Schulter. „Ich muss gehen“, verkündete sie mit fester Stimme.

Mike war erfahren genug, um die Wahrheit herauszuhören. Ihr überstürzter Aufbruch war Antwort genug. Jetzt war er froh, dass er auf ihre E-Mail reagiert hatte. „Sie kennen ihn persönlich, stimmt’s?“, fragte er gespannt.

Sie wollte nicht lügen, aber sie durfte auch nicht zugeben, wie gut sie SOS kannte. Und erst recht nicht, dass er ihr Vater war. Sie hatte mehr als ein Mal erlebt, wozu so viel Offenheit führte.

Trotzdem brachte sie das Nein nicht über die Lippen.

„Und wenn?“, wich sie aus.

Mikes Herz schlug schneller. „Dann falle ich vor Ihnen auf die Knie und flehe Sie an.“

Damit hatte sie nicht gerechnet. „Das könnte interessant sein, aber wozu sollten Sie sich so viel Mühe machen?“, fragte sie belustigt.

Er kam sich vor wie Aladin, der die Wunderlampe in den Händen hielt. Jeden Moment konnte der Geist erscheinen und ihm einen Wunsch erfüllen. „Damit Sie Ihren Einfluss auf SOS nutzen und mir ein Interview mit ihm verschaffen.“

Ein Interview? Miranda wusste, dass ihr Vater sich niemals mit einem Reporter treffen würde. Es war schwer genug, ihm mehr als ein paar knappe, präzise Worte zu entlocken. Er war kein Mensch, der gern mit Fremden sprach, schon gar nicht mit neugierigen Journalisten. Im Grunde war er ein sehr schüchterner, scheuer Mann. Das war er immer gewesen. Sie konnte sich nicht erinnern, dass er jemals ein Interview gegeben hatte. Jedenfalls nicht nach Ariels Tod.

Und nach jedem erschütternden Ereignis – der Verlust seiner Tochter, die Scheidung, der Tod ihrer Mutter, der Skandal und schließlich der Autounfall – hatte ihr Vater sich mehr in sein Schneckenhaus zurückgezogen. Er war schon vorher niemand gewesen, der gern seiner eigenen Stimme lauschte. Er handelte lieber, als dass er redete.

Miranda sah Mike an und schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, da haben Sie kein Glück …“

„Allein sicher nicht“, sagte er rasch. „Aber ich bin noch nie jemandem begegnet, der tatsächlich Zugang zu dem Mann hat.“

So leicht war Miranda nicht hereinzulegen. „Ich habe nicht behauptet, dass ich den habe“, erinnerte sie ihn.

„Aber Sie haben auch nicht behauptet, dass Sie keinen haben.“

Stimmt, dachte Miranda. Er hatte sie erwischt. Also musste sie zu einer kleinen Notlüge greifen. „Ich kenne ihn überhaupt nicht.“

Mike lächelte. „Zu spät, Miranda. Das glaube ich Ihnen nicht.“

In ihr zog sich etwas zusammen, als er ihren Namen aussprach. Die Reaktion gefiel ihr nicht. Sie sollte jetzt wirklich gehen. „Das ist mir egal.“

Als sie aufstand, verblüffte Mike sie. Er tat genau das, was er angekündigt hatte. Er fiel vor ihr auf die Knie und versperrte ihr damit den Weg. Dann griff er nach ihrem Handgelenk – damit sie nicht um ihn herum zum Ausgang gehen konnte.

„Bitte“, flehte er.

Miranda war sich bewusst, dass alle im Raum sie beide anstarrten. Die Szene war ihr äußerst peinlich. Sie war nun mal die Tochter ihres Vaters und hasste es, in der Öffentlichkeit aufzufallen.

„Stehen Sie auf“, fuhr sie Mike an und versuchte vergeblich, ihren Arm aus seiner Hand zu ziehen. „Sonst denken die Leute noch, Sie machen mir einen Heiratsantrag.“

Ich habe sie aus der Fassung gebracht, dachte er zufrieden. Vielleicht konnte er sie ja doch noch überzeugen. „Das Missverständnis nehme ich gern in Kauf, wenn ich dafür ein Interview mit SOS bekomme …“

Ihre Augen wurden noch größer. Warum musste sie bei ihrem Einsatz für ihren Vater ausgerechnet an einen Geistesgestörten geraten? „Sie sind verrückt. Das ist Ihnen doch klar, oder?“

Ohne sie loszulassen, erhob sich Mike. „Hören Sie, ich habe mindestens ein halbes Dutzend Mal – wenn nicht sogar öfter – versucht, SOS zu interviewen, aber er erwidert meine Anrufe nicht mal.“

Das war kein Wunder. Ihr Vater wollte nicht ausgefragt werden. „Er ist sehr verschlossen.“

„Aber Ihnen hat er sich geöffnet.“

„So würde ich es nicht nennen.“ Ihrem Vater Informationen zu entlocken, erforderte viel Zeit und Geduld.

Auch dieses Mal deutete Mike ihre Antwort richtig. Er war stolz auf seine Menschenkenntnis. Sein Blick für Körpersprache ließ ihn selten im Stich. „Ich verstehe. Sie wollen den Mann beschützen. Das ist ehrenwert. Aber Sie sind auch überzeugt, dass Shaw ungerecht behandelt …“

„Allerdings“, unterbrach Miranda ihn. Dann schaute sie auf ihr Handgelenk. Er hielt es noch immer fest. „Geben Sie mir meine Hand irgendwann zurück?“

„Das kommt darauf an“, antwortete er.

„Worauf?“

„Ob sie davonlaufen, sobald ich sie loslasse.“

Ihre Augen wurden schmal. Sie mochte solche Spielchen nicht, aber das hier hatte sie sich selbst eingebrockt. Schließlich hatte Marlowe sie nicht aufgespürt, sondern sie hatte ihn in diese Bar gelockt.

„Ich laufe nicht weg“, versprach Miranda.

Langsam nahm er die Finger von ihrem Arm und sah ihr dabei in die Augen. Als sie blieb, wo sie war, sprach er weiter. „Okay, sagen wir, ich in bereit, meine Haltung gegenüber SOS zu überdenken. Öffentlich. In meiner Kolumne. Aber dazu muss ich mit dem Mann reden. Können Sie mir das ermöglichen?“

„Und wenn … was nicht heißt, dass ich es kann“, schränkte Miranda hastig ein. „Woher weiß ich, dass Sie das Interview nicht dazu nutzen, ihn endgültig fertigzumachen?“

Die Frage kränkte Mike, aber er wusste, warum sie so misstrauisch war. Seit dem Skandal war viel über Shaws Motive spekuliert worden. „Lesen Sie meine Kolumne schon länger?“, fragte er nur.

Seit ein paar Jahren. Seit es sie gab, um genau zu sein. Aber das sagte sie ihm nicht. Es würde ihm einen Vorteil verschaffen. „Ja.“

„Hat darin jemals – vor dem Artikel über SOS – etwas gestanden, das unfair oder unbegründet war?“, fragte er leise. „Glauben Sie, dass ich nicht objektiv bin oder mich an jemandem rächen will?“

Miranda zögerte. Dann schüttelte sie den Kopf. Seine Kolumne war immer fair gewesen. „Nein.“

In Mikes Ohren klang sie nicht hundertprozentig überzeugt. „Erkundigen Sie sich nach mir, wenn Sie wollen. Jeder in der Branche wird Ihnen sagen, dass ich nur das schreibe, was ich denke, und mir dabei von niemandem dreinreden lasse.“ Er hielt den Atem an. „Bekomme ich nun mein Interview mit dem Mann?“

Das konnte sie ihm unmöglich versprechen. „Das entscheide nicht ich, sondern er.“

„Also haben Sie einen gewissen Einfluss auf ihn.“

„Das würde ich so nicht sagen“, wehrte sie ab.

„Was sind Sie, seine Assistentin?“, fragte er.

Dass sie SOS kannte, war offenbar nicht mehr zu bestreiten. „Ich bin, was immer er braucht.“

Mike erstarrte. Ihre Antwort ließ sich auf verschiedene Weise deuten. Und eine der denkbaren Interpretationen gefiel ihm ganz und gar nicht. Wenn sie eine Liebesbeziehung mit dem ehemaligen Profispieler hatte, war sie für ihn absolut tabu.

Seiner Meinung nach war Miranda Wie-immer-sie-mit-Nachnamen-hieß entschieden zu jung für Shaw. Aber was bedeutete das heutzutage schon? Außerdem ging es ihn nichts an.

„Ich verstehe.“ Ihr Privatleben hatte ihn nicht zu interessieren. Mike konzentrierte sich auf das Wichtige. „Also? Fragen Sie ihn?“

„Versprechen Sie mir, dass Sie einen fairen Artikel schreiben, wenn Sie ein Interview bekommen?“

„Ja.“ Wie ein kleiner Junge legte er die Hand aufs Herz. Dann lächelte er. „Großes Indianerehrenwort.“

Mirandas Lächeln fiel kühl, fast drohend aus. „Wenn Sie mich anlügen, werden Sie es bereuen.“

Dieser Shaw musste im Privatleben ein verdammt imponierender Mann sein, wenn er bei seinen Mitmenschen eine so große Loyalität wecken konnte. Und ich werde ihn interviewen, dachte Mike und konnte sein Glück kaum fassen.

„Wann kann ich ihn treffen?“, fragte er.

„Nicht so schnell“, warnte sie. „Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn frage. Und selbst wenn ich es tue, kann es durchaus sein, dass er ablehnt. Er mag Reporter nicht“, erklärte sie. Reporter sind wie Geier, hatte er mal gesagt. Aber im Unterschied zu den Vögeln warten sie nicht ab, bis ihre Beute tot ist, bevor sie drüber herfallen.

„Ich bin nicht nur Reporter, sondern auch Journalist“, verbesserte er.

Für Miranda machte das keinen Unterschied. „Wie Sie sich nennen, ist ihm egal.“

Mike entschied sich, ihr etwas anzuvertrauen. „Sagen Sie ihm, dass er als Kind mein Held war. Dass ich noch genau weiß, wo ich war und was ich gerade getan habe, als ich das erste Mal von dem Wettskandal und seiner lebenslangen Sperre gehört habe.“ Er zögerte. „An dem Abend habe ich mich in den Schlaf geweint. Das habe ich nicht mal meinen Brüdern erzählt.“

Ja, das könnte helfen, dachte Miranda. Wenn es stimmte. Vielleicht suchte er wirklich nach Argumenten, mit denen er den Ruf ihres Vaters wieder reinwaschen konnte. Und wer konnte das besser als ein anerkannter Sportjournalist, der früher mal ein echter Fan gewesen war?

Sie nickte langsam. „Es tut mir leid, dass Sie Ihren Helden verloren haben.“

„Ja, mir auch. Aber wer weiß, vielleicht finde ich ihn wieder.“ Wenn SOS ihm erklärte, warum er gewettet hatte, obwohl es gegen die Regeln verstieß, würde er den Mann vielleicht endlich verstehen. Mike wehrte sich gegen die Aufregung, die in ihm aufstieg. Er durfte sich nicht zu früh freuen. Möglicherweise erlaubte die Frau sich mit ihm nur einen bösen Scherz. „Sie bitten ihn also, mir ein Interview zu geben?“

„Ich werde sehen, was ich tun kann.“

„Schön. Großartig.“

Verdammt, fast fühlte er sich wieder wie ein Kind, das am Kabinenausgang Autogramme seiner Lieblingsspieler sammeln durfte. Kate hatte immer dafür gesorgt, dass er in der ersten Reihe stand, wenn die Mannschaften herauskamen. Sie hatte sich durch die Menge gedrängt und ihn nach ganz vorn mitgenommen.

Mike war nach Feiern zumute. „Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht zu einem Drink einladen soll?“

Sie schüttelte den Kopf. „Bin ich.“ Sie hatte die Sports Bar vorgeschlagen, weil sie in der Nähe lag, nicht weil sie gern Bier trank. Sie mochte Drinks, die mit kleinen bunten Papierschirmen serviert wurden – aber sie war mit dem Wagen hier. „Ich muss gehen.“

„Richtig. Oh, warten Sie.“ Fast hätte er vor lauter Begeisterung das Allerwichtigste vergessen. „Wie kann ich Sie erreichen?“

Offenbar war er ein wenig durcheinander, sonst hätte er an ihre E-Mail-Adresse gedacht. Aber sie wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen, also erinnerte sie ihn nicht daran.

„Ich melde mich bei Ihnen“, erwiderte Miranda. Es war besser so. Sie hatte gern alles unter Kontrolle. Das kam in ihrem Leben selten genug vor. „Haben Sie eine Visitenkarte?“

„Ja, sicher.“ Mike tastete nach seiner Brieftasche.

Er holte sie heraus und klappte sie auf. Abgesehen von Zetteln mit diversen Informationen, zwei Kreditkarten, mehreren Zwanzig-Dollar-Scheinen, dem Führerschein, dem Presseausweis und einem Foto seiner Familie enthielt sie … nichts. Er hatte vergessen, das Fach mit den Visitenkarten nachzufüllen.

„Aber leider habe ich keine dabei“, murmelte er und sah Miranda entschuldigend an. „Tut mir leid. Ich habe die letzte vor ein paar Tagen weggegeben.“ Er nahm eine Serviette vom Tresen, holte seinen Kugelschreiber heraus und schrieb sämtliche Telefonnummern auf, unter denen sie ihn erreichen konnte. „Hier haben Sie meine Handynummer und die Festnetzanschlüsse in der Redaktion und bei mir zu Hause.“ Er zeigte auf jede einzelne. „Sie können jederzeit anrufen. Tag und Nacht.“

Miranda faltete die Serviette zusammen und steckte sie in ihre Handtasche. Dabei fiel ihr Blick auf das Foto, auf das er bei der Suche nach einer Visitenkarte gestoßen war.

„Ist das Ihre Familie?“ Sie sehen fröhlich aus, dachte sie und fragte sich, wie es sein musste, eine große Familie zu haben. Sie hatte nur noch ihren Vater.

„Wie bitte?“ In Gedanken schon beim Interview, brauchte Mike einen Moment. „Das Foto, meinen Sie? Ja, das ist meine Familie. Meine Brüder, meine Schwester, mein Vater und meine Stiefmutter.“

Sie betrachtete es genauer. „Du meine Güte, Ihre Brüder sind ja absolut identisch“, entfuhr es ihr. Zunächst hatte sie geglaubt, sich getäuscht zu haben.

„Nicht wenn man sie besser kennt“, entgegnete Mike. Als Kind hatte er sich so sehr an seine Brüder gewöhnt, dass er nicht mehr daran dachte, dass sie Drillinge waren. Er schob das Foto in die Brieftasche zurück und steckte sie ein. „Was ist mit Ihnen?“

Miranda warf ihm einen verwirrten Blick zu. „Was soll mit mir sein?“

„Haben Sie eine Visitenkarte?“

Sie hatte. Mit ihrem Namen, ihrer Position und dem schmucken Logo von Promise Pharmaceuticals. Aber sie wollte nicht, dass Mike Marlowe so viel über sie erfuhr. Schon gar nicht ihren Nachnamen. Es war besser, wenn sie einfach untertauchen konnte, falls ihr Vater ein Interview ablehnte.

Aber je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie, dass Marlowe etwas für ihn tun konnte. Die Leute würden ihre Meinung über ihn nur ändern, wenn jemand sich öffentlich dafür aussprach, die Vergangenheit ruhen zu lassen und SOS nur nach seinen sportlichen Leistungen zu beurteilen.

Bedauernd schüttelte sie den Kopf. „Ich habe leider keine mit.“

Mike nahm eine weitere Serviette und reichte sie ihr zusammen mit seinem Kugelschreiber. „Kein Problem.“ Er lächelte. „Wir tauschen einfach Papierservietten aus.“

Miranda legte ihre Hand auf seine und drückte sie sanft auf den Tresen zurück. „Es reicht, wenn ich Ihre habe.“

„Mit anderen Worten, rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie an?“

„Ich meine es nicht ganz so entmutigend“, erwiderte sie und straffte die Schultern.

Mike hätte nicht gedacht, dass eine Frau zugleich energisch und so sexy sein konnte. Verdammt, Shaw hatte wirklich Glück. Fast beneidete er den Mann.

„Ich melde mich bei Ihnen“, sagte sie.

„Ich nehme Sie beim Wort“, rief er ihr nach, als sie davonging.

Miranda drehte sich nicht um, sondern hob nur eine Hand über den Kopf und winkte ihm zu.

Er widerstand der Versuchung, ihr zu folgen und sie zum Wagen zu begleiten. Wahrscheinlich würde sie das als typisch männliches Machtspielchen deuten, und er wollte das Interview auf keinen Fall gefährden. Also lehnte er sich gegen den Hocker und sah ihr nach. Ihre Hüften bewegten sich anmutig, ganz leicht … zu einem Rhythmus, den nur sie hörte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es am Tresen viel voller geworden war, seit sie die Bar betreten hatte. Offenbar war er nicht der Einzige, der Miranda attraktiv fand.

Sie verschwand aus seinem Blickfeld. Was immer man Shaw auch vorwerfen konnte, bei Frauen hatte der Mann jedenfalls einen ausgezeichneten Geschmack.

4. KAPITEL

„Ver…flixt!“

Mit einem verstohlenen Blick nach links verbesserte sich Mike im letzten Moment. Eigentlich hatte er „verdammt“ sagen wollen, aber er saß in der Küche seiner Stiefmutter. Und Kate mochte es nicht, wenn er fluchte.

Vor zwanzig Jahren war sie in sein Leben getreten. Mit zwei Welpen im Arm, ihrer warmherzigen Art und guten Absichten. Sie hatte ihn und seine Brüder aufgezogen. Aber nicht als Kindermädchen, als das sie ins Haus gekommen war, sondern als ihre neue Mutter. Und nebenbei hatte sie es sogar geschafft, seinem Vater wieder ein Lächeln abzuringen.

Mikes leibliche Mutter war bei einem Flugzeugabsturz gestorben. Damals war er fünf Jahre alt gewesen, seine Brüder vier. Sie alle hatten nicht geglaubt, dass sie jemals wieder glücklich werden würden. Jeder von ihnen war mit seiner Trauer allein gewesen. Bis zum heutigen Tag spürte Mike den Verlust. Zu wissen, dass seine Mutter niemals zurückkehren, durch die Haustür kommen und ihn in die Arme nehmen würde, tat noch immer sehr weh.

Aber das schmälerte Kates Verdienst in keiner Weise. Blond, fröhlich und unglaublich einfühlsam, hatte sie sich liebevoll um die einsamen kleinen Jungen gekümmert, die Dunkelheit aus ihrer Kindheit vertrieben und sie alle wieder zu einer richtigen Familie gemacht. Obwohl es zu Mikes Beruf gehörte, die passenden Worte zu finden, hatte er ihr noch nie sagen können, wie viel sie ihm bedeutete.

Mike gab sich einen Ruck, kehrte in die Gegenwart zurück und starrte auf den Text auf seinem Bildschirm. Er hatte Shaws Namen in die Suchmaschine eingegeben, und jetzt überflog er den Lebenslauf des in Ungnade gefallenen Baseballstars. Danach kam er sich vor wie ein Trottel. Warum war er nicht gleich darauf gekommen, wer die rätselhafte Miranda war?

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Kate halb belustigt, halb besorgt und drehte sich vom Herd weg, an dem sie gerade das Abendessen zubereitete. Sie interessierte sich für alles, was im Leben ihrer Söhne passierte, und wenn einer von ihnen reden wollte, hörte sie aufmerksam zu.

Die kleinen Jungen, als deren Kindermädchen sie damals eingestellt worden war, waren längst erwachsen und aus dem Haus. Aber noch immer gab es für Kate nichts Schöneres, als sie alle zu bekochen und mit ihnen an einem Tisch zu sitzen. Deshalb sprachen die vier sich ab und kamen ein Mal im Monat zu ihr zum Essen.

Mikes Brüder und sein Vater waren noch nicht hier. Er selbst war schon vor einer ganzen Weile eingetroffen. Ausnahmsweise hatte Kate ihm erlaubt, sich Arbeit mitzubringen. Die letzten beiden Treffen hatte er verpasst, weil er auf Reisen gewesen war, und sie freute sich riesig, ihn endlich wiederzusehen.

Vertieft in seine Recherche, brauchte er einen Moment, um auf ihre Frage zu reagieren.

„Wie?“ Mike hob den Kopf und schüttelte ihn. „Nein, nein, alles in Ordnung.“ Er schaute wieder auf den Monitor. „Hoffe ich jedenfalls.“

„Könntest du mir das etwas näher erläutern?“, bat Kate.

Er runzelte die Stirn. „Ich glaube, sie ist seine Tochter.“

„Wer ist wessen Tochter?“

„Shaws. Steven Orin Shaws.“ Er sah seine Stiefmutter an. „Ich glaube, jemand, mit dem ich vor ein paar Tage gesprochen habe, ist Shaws Tochter. Ich wusste nicht, dass er mehr als eine hatte. Als die eine, die gestorben ist“, ergänzte er, weil Kate sich bestimmt nicht daran erinnerte. „Aber hier steht, dass er zwei hatte. Ariel … das ist die, die gestorben ist … und Miranda.“

„Und du kennst eine Miranda?“

„Ich kenne sie eigentlich gar nicht, ich habe mich nur kurz mit ihr getroffen“, erklärte er. „Sie hat mir eine wütende E-Mail geschickt …“

Kate lachte. „Höre ich da etwa schon die Hochzeitsglocken läuten?“

„Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss, aber so ist es nicht, Kate.“

„Du könntest mich nie enttäuschen, Mike“, erwiderte sie ernst. „Und deine Brüder und Kelsey auch nicht.“

Vielleicht nicht, aber er und die Jungs wussten, dass ihre Stiefmutter sie unbedingt verheiraten wollte. Nichts wäre ihr lieber als ein Haus, in dem Enkelkinder herumtobten. Vielleicht taten seine Brüder und seine kleine Schwester ihr ja den Gefallen, aber auf ihn konnte sie in der Hinsicht nicht zählen.

Mike erinnerte sich nur zu gut daran, wie sein Vater ausgesehen hatte, als man ihm die Nachricht vom Flugzeugabsturz überbrachte. Wie erschüttert er gewesen war. Wer heiratete, konnte die Frau, die er liebte, wieder verlieren. Das wollte er nicht riskieren. Er war nicht sicher, ob er es überleben würde.

„Es hat mit meinem Job zu tun“, sagte er. „Ich habe einen Artikel darüber geschrieben, warum Steven Shaw nicht in die Ruhmeshalle des Baseballs gehört, und sie hat darauf reagiert.“

Kate nickte. „Steven Shaw. Der Spieler, der dich so schwer enttäuscht hat.“

„Du erinnerst dich daran?“ Überrascht starrte er sie an.

Sie streute Parmesankäse über das Kartoffelpüree und drehte sich zu Mike um. „Natürlich erinnere ich mich.“ Ihr Blick wurde mitfühlend. „Ich weiß noch genau, wie traurig du über seine Sperre warst. Das war das Jahr, in dem du alles, was mit Baseball zu tun hatte, wegwerfen wolltest.“

„Du hast mich daran gehindert, seine Autogrammkarte in Stücke zu reißen.“ Daran hatte er seit einer Ewigkeit nicht mehr gedacht.

Sie hatte das Foto in letzter Sekunde gerettet. Er hatte es aus dem Rahmen genommen und wollte es gerade zerfetzen, als sie sein Zimmer betrat. „Ich dachte mir, dass du es vielleicht irgendwann bereust. Wenn du nicht mehr so wütend auf ihn bist.“

„Ja, das hätte ich“, gab Mike zu. Nicht weil es Shaws Unterschrift trug, sondern weil es ein Teil seiner Kindheit war. „Ich habe mich nie bei dir bedankt.“

Kate zuckte mit den Schultern. „Wir sind eine Familie, da muss man sich nicht für alles bedanken. Aber hin und wieder wäre es ganz nett.“ Sie drehte sich wieder zum Herd und griff nach der Dose mit dem Käse. „Wer ist denn nun diese Miranda, die dir eine E-Mail geschickt hat?“

„Wie es aussieht, seine Tochter.“ Er dachte an die junge Frau aus der Sports Bar. Warum hatte sie es ihm verheimlicht? Er verstand es nicht. Und Mike hasste es, wenn er etwas nicht verstand. „Ihr Name ist Miranda, und hier steht, dass Shaw eine Tochter namens Miranda hat. Das ist nicht gerade einer der beliebtesten Namen der letzten zehn Jahre. Wie viele Mirandas kann es dort draußen geben?“

Schmunzelnd wischte Kate sich die Hände an der Schürze ab. „Keine Ahnung, aber sehr viele dürften es nicht sein.“ Sie ging zu ihm, legte liebevoll den Arm um seine Schultern und schaute auf den Lebenslauf des Spielers, den er im Internet gefunden hatte. „Ist das gut oder schlecht? Dass sie seine Tochter ist, meine ich.“

„Gut. Wenn sie mir das Interview ermöglicht.“ Leider war Mike da nicht mehr so zuversichtlich. „Aber ich habe seit ein paar Tagen nichts mehr von ihr gehört.“

„Ruf sie an“, schlug Kate vor.

Mike schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht.“

„Warum nicht?“

Er lächelte verlegen. „Ich habe ihre Nummer nicht.“

„Das ist nicht dein Ernst, oder?“ Kate kannte sich mit dem Internet nicht besonders aus, aber sie wusste, dass man dort so gut wie alles herausfinden konnte. „Ein Mann mit deinen Verbindungen wird doch wohl die Tochter eines der besten Baseball-Spieler aller Zeiten aufspüren können.“

Mike kannte ein paar Leute, die ihm helfen konnten. Einer davon war praktisch mit seinem Computer verkabelt. „Ich kümmere mich nach dem Endspiel darum.“

Die Football-Meisterschaft. Kate unterdrückte einen Seufzer. Mike sollte nicht merken, wie enttäuscht sie war. „Richtig, du fliegst ja hin. Du Glücklicher. Aber wir werden dich auf der Party vermissen.“

Eigentlich wäre er lieber hiergeblieben, anstatt nach Florida zu fliegen. Wie jedes Jahr veranstaltete seine Familie eine Super-Bowl-Party, um sich das Spiel gemeinsam anzuschauen. Mike staunte noch immer darüber, wie Kate es geschafft hatte, seinen Vater – der sich nie für Sport interessiert hatte – und seine Söhne zusammen vor den Fernseher zu bekommen. Kate glaubte fest daran, dass eine Familie in allem zusammenhalten musste.

Bevor er antworten konnte, betrat Travis die Küche. Er küsste Kate auf die Wange und nickte seinem älteren Bruder zu.

„Genau!“, griff er ihren letzten Satz auf. „Wir alle werden auf unsere Pizza weinen, weil der arme Mikey im Stadion sitzen und aus nächster Nähe zusehen muss, wie die Packers gegen die Chargers antreten.“ Travis klang wehmütig. „Ich würde sonstwas dafür geben.“

Er nahm sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, öffnete sie, lehnte sich gegen die Tür und trank einen Schluck. „Wirklich schade. Wenn Trevor oder Trent Sportreporter wären, könnte ich ihn fesseln, in seine Wohnung sperren und an seiner Stelle nach Florida fliegen. Das würde kein Mensch merken.“

„Bis du den Artikel anfängst und herauskommt, dass du Analphabet bist.“ Lächelnd musterte Mike den ältesten Drilling. „Du hast dir echt Gedanken darüber gemacht, was?“

„Wundert dich das?“, entgegnete Travis ernst. „Ich bin grün vor Neid.“

„Wir werden auch hier viel Spaß haben“, versprach Kate. „Jetzt deck den Tisch für mich.“

Travis stellte seine Flasche ab und tat empört. „Mike war vor mir hier. Wieso muss er nicht den Tisch decken?“

„Weil ich arbeite.“ Mike zeigte auf seinen Laptop.

„Arbeiten?“, wiederholte Travis und ging zum Geschirrschrank. „Dass ich nicht lache! Ich wette, du suchst nur wieder nach irgendwelchen seltenen Stücken für deine Baseball-Sammlung.“

„Lass ihn doch.“ Kate legte den Servierlöffel ab und strich ihm über die Wange. „Du bist ordentlicher als er.“

„Allerdings“, bestätigte Travis und holte sieben Teller heraus.

„Du hast deinen Beruf verfehlt“, sagte Mike zu seiner Stiefmutter, als sein Bruder ins Esszimmer ging. „Statt Kinderpsychologin hättest du Diplomatin werden sollen. Unser Land könnte jemanden wie dich gut gebrauchen.“

„Die Wogen in unserer Familie zu glätten ist für mich Herausforderung genug“, versicherte Kate dem Erstgeborenen ihres Ehemanns. Sie liebte ihn und seine Brüder, als hätte sie jeden von ihnen selbst zur Welt gebracht.

Mike klappte den Laptop zu und stand auf. „Besser, ich helfe ihm, sonst fängt er noch an zu weinen.“

Sie lächelte zufrieden. „Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.“

Als Miranda auf den Parkplatz der Grundschule von Greenwood einbog, hielt sie nach der umgebauten schwarzen Großraumlimousine ihres Vaters Ausschau. Dass er trotz seiner Behinderung selbst fahren konnte, war ihm sehr wichtig.

Genau wie das hier, dachte sie, als sie ausstieg. Auf dem Rasen saß bereits eine Gruppe von neun und zehn Jahre alten Jungen und Mädchen, die aufgeregt darauf warteten, endlich mit dem Training zu beginnen.

Ihre hohen Absätze versanken im Gras, obwohl sie versuchte, auf den Zehenspitzen zu gehen. Sie hatte sich nicht umgezogen, weil sie rechtzeitig Feierabend gemacht hatte und direkt von der Arbeit hergekommen war. Sehr zu Tildas Überraschung, denn normalerweise legte Miranda eine oder zwei Überstunden im Labor ein, wenn sie an einem wichtigen Projekt saß.

Sie liebte ihren Beruf und war stolz darauf, dass sie als Chemikerin Menschen helfen und Medikamente entwickeln konnte, die Krankheiten heilten oder sie wenigstens erträglich machten.

Nur ihren Vater liebte sie noch mehr.

„Das ist jetzt schon das zweite Mal in dieser Woche, dass du pünktlich gehst“, hatte Tilda erstaunt gesagt. „Die Leute werden denken, dass du ein Privatleben hast.“

Miranda überprüfte, ob ihr Computer wirklich ausgeschaltet war. In letzter Zeit wechselte er manchmal nur in den Stromsparmodus.

„Heute trainiert mein Vater zum ersten Mal seine Baseball-Kinder.“ Es war erst Ende Januar, aber seit einigen Jahren begann die Saison früher, damit die Mannschaften vor Beginn der Meisterschaft mehr Trainingsspiele absolvieren konnten. Sie war froh darüber, denn es lenkte ihren Vater ab.

„Und du willst sicher sein, dass er auch wirklich kommt“, erwiderte Tilda.

Miranda gestand es sich nur ungern ein, aber ihre Kollegin hatte recht. „So ungefähr.“

Auf dem ganzen Weg vom Labor zum Sportplatz betete sie, dass ihr Vater sie und die erwartungsvollen Kinder nicht enttäuschte.

Er bestand darauf, sich selbst ans Steuer zu setzen, anstatt sich von seinem Assistenten Walter, einem ehemaligen Football-Profi, chauffieren zu lassen. Der behindertengerechte Wagen gab ihm nicht nur seine Unabhängigkeit, sondern auch ein Stück Würde zurück. Miranda wusste, wie ihr Vater darüber dachte. Ein Mann, der Auto fahren konnte, bestimmte über sein Schicksal, jedenfalls zum Teil. Ein Mann, der gefahren wurde, nicht.

Der schreckliche Unfall hatte ihm nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch das Gefühl vom Hals abwärts geraubt. Langsam, wie durch ein Wunder hatten die Operationen die Lähmung im Oberkörper beseitigt. Aber schon vorher hatte Miranda ihrem Vater immer wieder eingetrichtert, dass Steven Orin Shaw mehr als die Summe seiner Teile war. Wie ein Mantra hatte sie es wiederholt. Als er dann endlich aus der Rehaklinik entlassen wurde, hatte sie es bereits geschafft, seinen Stolz zu wecken. Und der wiederum gab ihm den Lebensmut zurück.

Ohne den hätte er nicht einmal den ersten Monat zu Hause überstanden. Dank seines eisernen Willens hielt er nicht nur durch, sondern kämpfte – auf seine Art.

Das hier ist das Beste für ihn, dachte Miranda, als sie sich dem eingezäunten Bereich näherte, in dem eine kleine Gruppe von neun und zehn Jahre alten Jungen und Mädchen es kaum abwarten konnte, endlich aufs Spielfeld zu dürfen. Wir üblich trugen sie die Trikots, in denen sie zu den richtigen Spielen auflaufen würden. Zu Beginn der Saison suchte jede Mannschaft sich ein Profi-Team als Vorbild aus und kleidete sich wie die großen Stars.

Die Trainerkarriere ihres Vaters begann mit den Cubs. Für die echten Cubs hatte er sich nie begeistert, denn deren Nachwuchsteam hatte ihn als jungen Spieler verschmäht. Aber es war ein Anfang, und Miranda drückte ihm heimlich die Daumen.

„Hi! Wie läuft’s?“, rief sie ihm zu.

Er legte sich das Klemmbrett auf den Schoß und drehte sich mit dem Rollstuhl zu ihr. „Gar nicht“, knurrte Steven Shaw. „Ich habe keine Ahnung davon, wie man Kinder trainiert“, antwortete er so leise, dass seine neuen Schützlinge es nicht hören konnten. Er wusste, dass seine Tochter ihm nur helfen wollte, aber der Weg in die Hölle war nun mal mit guten Vorsätzen gepflastert. Dies war einer davon. „Das hier war eine schlechte Idee, Randy.“

Wenigstens nannte er sie bei ihrem Spitznamen. Das machte ihr Mut. „Ganz im Gegenteil. Es ist eine tolle Idee“, entgegnete sie aufmunternd. „Vergiss nicht, es soll dir Spaß machen. Das ist die Hauptsache.“

Das sah er anders. Er hatte zwar nie zu denen gehört, für die der Sieg alles war, aber wer verlor schon gern? „Ich will auch gewinnen.“

„Natürlich willst du das.“ Mit einem strahlenden – und hoffentlich ansteckenden – Lächeln klopfte sie ihm auf die Schulter, aufmerksam beobachtet von fünfzehn Augenpaaren. Sie beugte sich zu ihm und senkte die Stimme. „Du schafft es. Du bist ein Naturtalent.“

„Und du bist eine Überredungskünstlerin, Randy.“

„Ich bin immer das, was ich gerade sein muss.“ Ihre spontane Antwort erinnerte Miranda an das Versprechen, das sie Marlowe gegeben hatte. Das hatte sie erwidert, als der Sportreporter sie fragte, ob sie SOS’ Assistentin war. Vermutlich war der Zeitpunkt nicht ideal, aber sie musste mit ihrem Vater darüber reden, bevor sie den Mut verlor.

Sie holte tief Luft. „Dad?“

Steve sah seine Tochter an. „Ja?“

„Da gibt es einen Sportreporter …“ Schlagartig verfinsterte sich die Miene ihres Vaters. Als sie jünger gewesen war, hatte genau dieser Gesichtsausdruck sie sofort verstummen oder sogar aus dem Zimmer gehen lassen. Aber sie war kein kleines Mädchen mehr. „Er möchte dich interviewen.“

„Nein.“ Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch.

„Vielleicht wäre es keine schlechte Sache. Er hat gesagt, du warst sein Idol.“

Shaw schnaubte abfällig. „Reporter sagen alles Mögliche, um einen herumzukriegen. Sie schmeicheln, sie lügen, was auch immer. Hauptsache, sie bekommen ihr Interview – und dann machen sie daraus, was sie wollen.“

Miranda dachte an den Mann, mit dem sie sich getroffen hatte. „Ich glaube ihm“, sagte sie und hoffte inständig, dass sie sich nicht täuschte.

Ihr Vater machte eine abfällige Handbewegung. „Dann gib du ihm das Interview.“

Autor

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Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...

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