Bianca Exklusiv Band 388

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Er will alles zerstören, was ihr wichtig ist – nie wird Bailey zulassen, dass Justin McMillan das alte Hotel dem Erdboden gleichmacht! Sie nimmt den Kampf gegen den Immobilientycoon auf – doch der fällt ihr immer schwerer. Denn Justin ist verwirrend attraktiv und anziehend …

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  • Erscheinungstag 24.05.2025
  • Bandnummer 388
  • ISBN / Artikelnummer 0852250388
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Melissa McClone, Katie Meyer, Teresa Southwick

BIANCA EXKLUSIV BAND 388

Melissa McClone

1. KAPITEL

Das Klingeln ihres Handys riss Bailey Cole aus ihrem Traum. Verschlafen rieb sie sich die Stirn und versuchte, ganz wach zu werden, während ihr Handy weiterhin klingelte.

Als ihr Blick auf die Uhr fiel, zuckte sie zusammen. Viertel vor sechs – viel zu früh für einen normalen Anruf. Es musste etwas passiert sein.

Sie tastete nach dem Handy auf dem Nachttisch und las auf dem Display: Grandma.

Hastig drückte sie die Annahmetaste. „Grandma? Ist alles in Ordnung?“

„Ida Mae hat mich gerade angerufen und mir erzählt, dass vor dem Broughton Inn eine Abrisskolonne steht!“

„Was meinst du mit Abrisskolonne?“, fragte Bailey verwirrt.

„Anscheinend tragen sie seit gestern Nacht Sachen aus dem Hotel und verladen sie auf einen großen Lkw.“ Ihre Großmutter sprach so schnell, dass Bailey kaum folgen konnte. „Vor dem Haus stehen eine Planierraupe und ein Kran mit einer Abrissbirne.“

Erschrocken setzte Bailey sich im Bett auf. „Was soll das denn? Ich habe doch erst vor zwei Tagen mit Floyd gesprochen. Da hat er kein Sterbenswörtchen von Bauarbeiten gesagt.“ Sie beeilte sich, aus dem Bett zu kommen. „Ich muss sofort herausfinden, was da los ist!“

Im Gehen zog sie sich das Nachthemd über den Kopf, stolperte über die Teppichkante und stieß mit dem Fuß hart an den Bettpfosten. Ein plötzlicher Schmerz schoss durch ihren großen Zeh. So stechend, dass sie aufschreien musste und dass ihr unwillkürlich Tränen in die Augen schossen. Fluchend ließ sie das Handy aufs Bett fallen.

„Bailey?“ Die besorgte Stimme ihrer Großmutter tönte aus dem Lautsprecher – Lilah Cole war seit fünfzehn Jahren verwitwet und kümmerte sich hauptsächlich um ihre Enkel. „Ist alles okay bei dir?“

Nein, so konnte man das nicht gerade nennen. Bailey war nackt und ihr geschundener Zeh pulsierte im Takt ihres Herzschlags. Sie griff nach dem Handy.

„Ich ziehe mich gerade an, Grandma. Und ich versuche dabei, nicht in Panik zu geraten. Wenn ich nur daran denke, dass sich gerade Kunst im Wert von fünfundzwanzigtausend Dollar im Hotel befindet! Ich muss sofort los, ich ruf dich später an!“

Sie humpelte zur Kommode und zog nacheinander die Schubladen auf. Bis auf das Fach mit der Unterwäsche waren alle leer. In der letzten Woche hatte sich Bailey so intensiv mit ihrem neuen Gemälde beschäftigt, dass sie überhaupt nicht zum Waschen gekommen war. Bailey hüpfte ins Bad, wo der Wäschekorb dementsprechend überquoll. An der Wand hing an einem Haken ein farbverschmierter weißer Overall. Sie schnupperte daran und stellte fest, dass der Anzug stark nach Lösungsmitteln roch. Nun ja, den hätte sie heute sowieso zur Arbeit anziehen wollen. Immerhin trug sie saubere Unterwäsche. Es könnte schlimmer sein.

Ein Blick in den Spiegel genügte – es war schlimmer. Nein, sie sah nicht sexy mit vom Schlaf zerzausten Haaren aus, sondern eher wie eine zerknitterte Vogelscheuche. Ihr naturkrauses Haar stand in alle Richtungen ab. Wenn sie sich jetzt noch einen Besen unter den Arm klemmte, hätte Haley’s Bay ganz schnell eine neue Gruselsaga.

Sie strich sich mit den Fingern durch die Haare und drehte ihre Locken dann zu einem unordentlichen Knoten zusammen. Dadurch verbesserte sich ihr Aussehen zwar nur dürftig, aber schließlich war es ihr wichtiger, so schnell wie möglich zum Broughton Inn zu kommen.

„Autsch, autsch, autsch.“ Ihr schmerzender Fuß lief langsam blau an, der große Zeh war bereits dick geschwollen. Normale Schuhe konnte sie vergessen. Das Einzige, was passte, waren ihre übergroßen Plüschhausschuhe.

Sie streifte sich den rechten über und schlüpfte dann vorsichtig in den Linken. Der Schmerz, der durch ihre Zehen schoss, strahlte bis ins Schienbein aus.

Bailey hüpfte zum Schreibtisch und griff nach dem Ordner mit den Unterlagen für das Broughton-Inn-Hotel, falls Floyd mit ihr diskutieren wollte, und steckte den Ordner zusammen mit ihrer Handtasche in eine gelbe Einkaufstasche mit bunten Punkten. Auf dem Weg zu ihrem Auto überlegte sie sich in groben Zügen eine Strategie.

Nicht in Panik verfallen. Nicht auftreten, als gehöre ihr das Gebäude. Und vor allem: Floyd nicht verärgern.

Logisch und vernünftig vorzugehen, war hier der sicherste Weg. Schließlich gab es gesetzliche Regelungen. Niemand würde das Broughton Inn oder die darin befindlichen Kunstgegenstände anrühren. Nur über ihre Leiche.

Justin McMillian stand vor dem Broughton-Inn-Hotel, dem neuesten Ankauf seines Unternehmens McMillian Resorts. Heute würde er seine neue Immobilie in Besitz nehmen.

Das Umbaufiasko in Seaside an der Küste von Oregon letzten Winter hatte das Vertrauen seiner Eltern in Justin und in seine beiden Schwestern schwer gestört. Die McMillians senior stellten ernsthaft infrage, ihren erwachsenen Kindern die Firma wie geplant zu übergeben. Das Seaside-Projekt hatte sowohl den Zeitrahmen als auch das Budget gesprengt, als unerwartete Schäden am Fundament erst nach Baubeginn ersichtlich geworden waren.

Seine Eltern hatten Justin und seinen beiden Schwestern die Schuld daran gegeben, obwohl zwei Bauinspektoren die Schäden nicht bemerkt hatten. Die McMillians senior hatten gedroht, die Firma an den höchsten Bieter zu verkaufen und ihre drei Kinder zu feuern, wenn das nächste Projekt nicht exakt nach Plan lief.

Heute jedoch konnte Justin keinerlei Probleme erkennen. Seine Eltern würden sich bei ihm entschuldigen müssen, wenn das neue Broughton Inn im kommenden Jahr pünktlich eröffnete. Bei diesem Projekt gab es keine verstecken Hindernisse. Seine Eltern würden dementsprechend einsehen, dass er und seine Schwestern alles im Griff hatten, und die Einwohner von Haley’s Bay würden wiederum feststellen, was Luxus und erstklassiger Service eines McMillian-Resorts bedeuteten.

„Alles verladen, Boss. Wir können losfahren!“ Justins Fahrer machte eine Handbewegung zu dem Lkw, der am Straßenrand parkte. „Ich hab noch nie so viel Sperrmüll auf einem Haufen gesehen. Altmodische Möbel und viel zu viele Bilder für so ein kleines Hotel.“

„Sag Bescheid, wenn du in der Lagerhalle angekommen bist“, erwiderte Justin. „Und fahr lieber langsam. Ich will nicht, dass den Bildern was passiert. Die, die halbwegs ordentlich aussehen, können wir immer noch an ein paar örtliche Galerien verkaufen.“

Der Fahrer tippte an den Rand seiner Baseballmütze. „Geht klar.“

Wyatt, der Vorarbeiter, trat auf Justin zu. „Wir sind so weit. Kann es losgehen?“

„Jederzeit.“ Der erste Tag bei einem neuen Projekt war immer etwas Besonderes. Justin rieb sich die Hände. „Weg mit dem alten Zeug und Gemäuer.“

Johlend machte sich die Crew auf den Weg zu ihren Maschinen. Motoren sprangen an. Der Kran mit der Abrissbirne fuhr langsam auf das Hotel zu, dicht gefolgt von der Planierraupe.

Endlich – das ganze letzte Jahr über hatte Justin in jeder freien Minute Pläne für das neue Broughton Inn entworfen, auch wenn bis zuletzt nicht klar gewesen war, ob seine Schwester Paige, die Rechtsanwältin bei McMillian Resorts, den Deal mit Floyd Jeffries durchziehen können würde. Dann aber war das Wunder geschehen, und Floyd hatte sich von heute auf morgen entschieden, doch zu verkaufen.

Dieses Projekt würde beweisen, dass seine Schwestern und er die Firma genauso gut führen konnten wie ihre Eltern – wenn nicht sogar besser. Schließlich waren sie nicht umsonst in Hotels aufgewachsen. Sie kannten das Geschäft in- und auswendig.

Irgendwo bellte ein Hund.

Was? Wieso hörte er Hundegebell statt Maschinenlärm?

„Was ist los bei euch!?“, rief er.

Wyatt deutete auf die vorgebaute Veranda, wo jemand mit in die Seiten gestemmten Händen und einem äußerst grimmigen Gesichtsausdruck breitbeinig vor der Eingangstür stand. „Das da ist los!“

War diese Gestalt mit der gelben Einkaufstasche über der Schulter eine Frau oder eine entlaufene Irre? Sie trug einen weißen Maleranzug, der aber so farbverschmiert war, als hätte sie an einer Paintball-Schlacht teilgenommen.

„Wo kommt die denn her?“

„Keine Ahnung.“

„Hm, wahrscheinlich eine verwirrte Obdachlose oder eine dieser militanten Denkmalschützerinnen. Ich geh mal fragen, ob sie irgendwelche Forderungen hat.“

„Forderungen?“, fragte Wyatt.

„Niemand stellt sich vor eine Abrissbirne, es sei denn, er möchte auf dem schnellsten Weg in Jenseits befördert werden oder er will irgendetwas anderes. So, wie die Dame angezogen ist, tippe ich auf Letzteres. Ruf die Polizei an, falls ich falsch liege, und sie sich umbringen will.“

Justin ging zum Eingang.

„Halt! Kommen Sie nicht näher.“ Die Stimme der Frau klang normaler, als er erwartet hatte. „Sie können das Inn nicht abreißen.“

Jetzt streckte sie die Hände aus, die Handflächen ihm zugewandt, als könne sie ihn auf diese Weise aufhalten.

Also Forderungen – langsam ging Justin weiter auf die Frau zu. So, wie die verrückte Lady aussah, würde er mit ihr fertigwerden. Er zeigte sein charmantestes Lächeln, mit dem er immer bekam, was er wollte – sei es geschäftlich oder privat.

„Hallo, hallo.“ Mit zwei großen Schritten erreichte er die große Veranda und fragte freundlich: „Kann ich Ihnen helfen?“

Ein Blick aus jadegrünen Augen traf ihn. Wow – das war mal eine umwerfende Augenfarbe.

„Ich suche Floyd.“ Es klang ein wenig verunsichert.

Offenbar wusste sie nichts davon, dass Floyd das Hotel verkauft hatte. Nun gut, das war nicht sein Problem.

Ihre beeindruckenden Augen hatte er ja nun schon bemerkt, aber wieso konnte er trotzdem den Blick nicht von ihr abwenden? Was die Kleidung, die Haare oder das komplette Auftreten anging, war diese Frau nämlich sowas von nicht sein Typ – man konnte schon gar nicht mehr von Typ sprechen.

Ein laut bellender brauner Hund rannte in großen Achten um die Planierraupe und den Kran herum. Wo kam der nun schon wieder her?

„Ach herrje, der ist ja völlig abgemagert!“ Das Mitgefühl der Frau überraschte ihn. „Fangen Sie ihn ein! Der Hund sieht ja aus, als wäre er am Verhungern.“

Oh nein, nicht schon wieder. Die Jungs lachten ihn immer noch aus, weil er einmal einen Abriss wegen eines verloren gegangenen Frettchens abgebrochen hatte. Fünfeinhalb Stunden hatte es gedauert, das Tierchen wiederzufinden.

„Bitte“, sagte sie. Ihr Blick verdüsterte sich.

Forderungen und eine Bitte – hinter seiner Stirn formierte sich eine gewaltige Kopfschmerzattacke zum Angriff. „Kennen Sie den Hund?“, fragte er.

„Nein.“ Sie ließ den Hund nicht aus den Augen, der immer noch herumrannte und bellte. „Aber ich sehe kein Halsband. Vielleicht ist er ein Streuner. Oder er hat sich verlaufen.“

Justin hatte nicht vor, hinter dem Hund herzurennen, aber er konnte ihn auch nicht innerhalb des Bauzauns herumlaufen lassen, während die Abrissarbeiten im Gange waren.

Er wandte sich zu Wyatt um, der auf halbem Weg zwischen der Veranda und dem Kran stand. „Bitte gib dem Hund einen von den übrig gebliebenen Donuts.“

„Aber ohne Schokolade!“, rief sie entrüstet. Ihre Augen blieben besorgt. „Die vertragen Hunde ganz schlecht.“

„Na schön, nichts mit Schokolade. Vielleicht ein Sandwich!?“, sagte er zu Wyatt. Wann konnte die Arbeit endlich weitergehen? Diese lästigen Unterbrechungen machten ihn ganz kirre. „Und dann schaff den Hund hier weg.“

Er blickte die Frau an. „Wo waren wir stehen geblieben?“

„Floyd Jeffries. Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?“

„Belize.“

Sie zog die Nase kraus. „Von Urlaub hat er nichts gesagt.“

„Vielleicht erzählt Floyd seinen Kunden auch nicht sein ganzes Privatleben.“

„Ich bin keine Kundin.“ Sie hob das Kinn. „Ich bin seine Geschäftspartnerin in der Galerie.“

Galerie. Justins Kopfschmerzattacke weitete sich zu einem Großangriff aus. Das erklärte die vielen Gemälde, die gerade auf dem Weg nach Oregon waren, den farbverschmierten Overall der Grünäugigen und den Geruch nach Lösungsmitteln, der sie umgab. „Sie sind Künstlerin?“

„Malerin.“ Sie betrachtete ihn misstrauisch. „Was machen Sie hier, wenn Floyd nicht da ist?“

„Ich bin der neue Besitzer des Broughton-Inn-Hotels.“

Bei seinen Worten zuckte sie zusammen und ihre Augen wurden noch größer.

„Floyd hat das Inn verkauft!?“, fragte sie ungläubig.

„Der Vertrag wurde vor Kurzem unterzeichnet.“

„Und wo sind die ganzen Ausstellungsstücke? Die Bilder und Skulpturen?“

„Weg.“

Entsetzt blickte sie ihn an. „Wo?“

In diesem einen Wort steckte so viel Gefühl, dass er einen Schritt näher trat. Die Frau sah verzweifelt aus. Natürlich, ob Sperrmüll oder nicht, in den Kunstobjekten, die er gesehen hatte, steckten hunderte von Arbeitsstunden. Wenn sich jemand mit seinen Blaupausen aus dem Staub gemacht hätte, wäre er auch Amok gelaufen.

Sich über die Frau lustig zu machen, kam ihm jetzt nicht mehr so lässig vor. Lieber hätte er sie tröstend in den Arm genommen.

Er zwang sich, nicht noch näher zu treten. Schließlich war sie eine Fremde und noch dazu eine äußerst lästige. „Das Inventar war Teil des Kaufvertrags.“

Sie biss sich auf die Lippe, dann kämpfte sie sichtlich mit den Tränen und fuhr sich über die Augen.

Oh nein, hoffentlich fing sie jetzt nicht tatsächlich an zu weinen, denn damit kriegten ihn seine Schwestern immer rum, seine Exfrau ebenfalls. Taryn hatte ihm die Schuld gegeben am Scheitern ihrer Ehe – weil er angeblich seine Arbeit mehr geliebt hatte als sie. Offenbar war ihr nicht klar gewesen, dass es ausschließlich seinem Arbeitseifer zu verdanken gewesen war, dass sie in einem luxuriösen Haus wohnten. Weil er viel arbeitete, hatte sie ihre teuren Einkaufstouren und ihre häufigen Ausflüge nach Portland oder Seattle überhaupt machen können, während er auf einer Baustelle zu tun gehabt hatte.

Sein Mitgefühl verflog auf der Stelle. Er würde nicht zulassen, dass diese Frau ihn manipulierte. Es war an der Zeit, sie loszuwerden.

„Reden Sie mit Floyd. Mein Büro sagt Ihnen, wo Sie ihn erreichen können“, erklärte er und reichte ihr seine Visitenkarte. Seine Stimme klang so distanziert und neutral wie beabsichtigt. „Und jetzt müssen Sie gehen, damit wir hier weitermachen können.“

Sie umfasste das Treppengeländer und setzte sich dann auf die oberste Stufe. „Ich gehe nirgendwohin.“

Natürlich nicht.

Es war klar, dass sie nicht so leicht aufgeben würde, aber was wollte sie schon ausrichten? „Wir haben hier einen engen Zeitplan. Sie müssen jetzt gehen.“

„Sie können das so oft wiederholen, wie Sie wollen, aber Sie werden immer dieselbe Antwort bekommen. Ich lasse nicht zu, dass Sie Hand an das Hotel legen und damit das zweitälteste Gebäude in Haley’s Bay zerstören.“

Ihre überhebliche Art reizte ihn.

„Die Polizei ist schon verständigt“, informierte er sie.

Es schien sie nicht zu beeindrucken. „Sehr gut“, erwiderte sie. „Sie machen sich nämlich des Diebstahls schuldig.“

Justin lachte. Die Frau hatte Nerven. „Ich habe einen Vertrag!“

„Genau wie ich. Sie haben vielleicht das Broughton Inn gekauft, aber nicht den Rest.“

„Na gut. Sagen Sie, was Sie zu sagen haben.“

„Die Kunstgegenstände im Hotel gehören weder Floyd noch dem Broughton Inn. Floyd hat die Werke in Kommission verkauft, für örtliche Künstler wie mich.“

„Die Inneneinrichtung des Broughton Inns ist Bestandteil meines Kaufvertrages …“

„Die Künstler haben auch Verträge! Und die sind nicht übertragbar. Wie ich sehe, haben Ihre Baumaschinen Kennzeichen aus Oregon. Ich hoffe für Sie, dass der Lkw, den Sie vorher beladen haben, nicht auf dem Weg zur Brücke nach Astoria ist.“ Sie blickte ihn kampflustig an. „Angesichts des Werts der geladenen Kunstwerke machen Sie sich damit eines schweren Diebstahls schuldig. Die Polizei, die Sie netterweise selbst gerufen haben, kann Sie dann gleich dafür in Gewahrsam nehmen.“

Entweder die Frau sagte die Wahrheit oder sie war vollkommen verrückt. Vielleicht war das aber auch nur eine Finte, um die Abrissarbeiten zu stoppen?

„Floyd hat nie erwähnt, dass die Kunstwerke nicht zum Hotel gehören.“

„Und was ist mit der Sorgfaltspflicht, Mr. …?“

„Justin McMillian.“ Ihre Wortwahl verriet ihm, dass sie sich im Geschäftsleben auskannte. Ihre Arroganz reizte ihn bis aufs Blut, aber dummerweise hatte sie einen wunden Punkt getroffen. Hatte seine Schwester ein paar „Abkürzungen“ genommen, um den Deal endlich festzuzurren? So, wie ihre Eltern Paige unter Druck gesetzt hatten, war das durchaus möglich.

Er streckte der Frau die Hand hin. „McMillian Resorts. Und wer sind Sie?“

Die Frau schürzte die Lippen, während sie ihn abschätzig betrachtete. Verdammt, er sah eine Menge Ärger auf sich zukommen.

Nach etwas zu langem Zögern schüttelte sie ihm die Hand. „Bailey Cole.“

Warme, raue Haut – kein Wunder, wenn sie viel mit Farben arbeitete. Aus der Nähe sah sie ganz nett aus mit ihren rosigen Wangen und vollen Lippen. Wenn sie sich etwas besser zurechtmachte, konnte sie womöglich ganz passabel wirken.

Bailey nahm ihre Tasche von der Schulter. „Ich zeige Ihnen gern die Vertragskopien, die uns als rechtmäßige Eigentümer der Kunstgegenstände ausweisen. Ich habe die Unterlagen alle hier.“

Unterlagen? Mist. Verrückt war sie also keineswegs. Der Ärger mit den Fundamenten im Seaside-Projekt kam ihm plötzlich im Vergleich geradezu lächerlich vor. Immerhin hatten sie das Projekt dann doch noch abgeschlossen und besaßen nun ein gut laufendes Hotel an einem sehr begehrten Standort. Aber wenn das stimmte, was diese Frau sagte, dann steckten seine Schwestern und er schon wieder in Schwierigkeiten. Ihre Eltern würden ihnen die Firma womöglich niemals übertragen. Wahrscheinlich würden sie nicht einmal seine Kaution fürs Gefängnis bezahlen.

Also sofort umorganisieren – Justin musste den Lkw umgehend zurückbeordern, seine Schwester Paige anrufen und sie überprüfen lassen, ob an der Geschichte dieser Frau etwas dran war. Justin blickte sich um, konnte aber niemanden von seiner Mannschaft entdecken. Er schickte Wyatt eine SMS.

„Ich rufe die Künstler an, um …“

Justin unterbrach Bailey. „Die Kunstwerke werden in Kürze wieder hier sein.“

Kampflustig reckte sie das Kinn vor. „Sie wissen aber schon, dass es ein eigener Anklagepunkt ist, wenn man Diebesgut von einem Bundesstaat in den anderen bringt!?“

„Die Kunstgegenstände befinden sich noch in Washington.“ Das hoffte er zumindest.

Sirenengeheul ertönte in der Ferne und kam rasch näher. Sehr gut, die Polizei würde die Frau vom Grundstück entfernen, damit er und seine Crew endlich weiterarbeiten konnten.

Ein junger, hochgewachsener Beamter in Uniform stieg aus dem Wagen und kam mit großen Schritten auf sie zu. Justin lächelte seinem Retter freundlich zu. Der Beamte blieb vor der Veranda stehen und blickte Bailey Cole stirnrunzelnd an. Offenbar war die Frau als Unruhestifterin stadtbekannt.

„Was zum Teufel machst du hier, Bailey? Und was ist mit deinem Fuß passiert?“

Erst jetzt bemerkte Justin, dass sie ihr Knie so hielt, dass ihr linker Fuß die Stufen nicht berührte. Kein Wunder, dass sie ihn gebeten hatte, den streunenden Hund einzufangen.

„Du bist nicht meinetwegen hier“, erwiderte sie und stand auf, wobei sie vor Schmerz das Gesicht verzog. „Ich habe dich nicht angerufen. Das war dieser Kerl hier, obwohl er es ist, der die Kunstwerke aus dem Hotel gestohlen hat.“

Der Beamte wandte sich Justin zu. „Stimmt das?“

Justins Lächeln fror etwas ein. Natürlich hätte er wissen müssen, dass sie ihn beschuldigen würde, aber er bemühte sich um einen respektvollen Ton. „Meine Firma, McMillian Resorts, hat das Hotel von Floyd Jeffries gekauft. Das Inventar ist Bestandteil des Kaufvertrages. Diese Frau hält sich widerrechtlich auf meinem Grundstück auf.“

„Welchen Gesichtspunkt der Kommissionsregelung verstehen Sie nicht?“ Bailey hatte die Hände wieder in die Hüften gestemmt. „Die Kunstwerke gehören den Künstlern. Floyd hat nur eine Provision bekommen, wenn er ein Stück verkauft hat. Die Kunstwerke gehörten ihm nicht, also konnte er sie auch nicht an Sie verkaufen. Also handelt es sich um Diebstahl.“

Justin zwang sich zur Ruhe. Sie mussten hier zu irgendeiner Lösung kommen. Er blickte zu dem Beamten hinüber, der skeptisch dreinblickte. Seltsamerweise sah der Mann Bailey ziemlich ähnlich. Auch er hatte rotbraunes Haar und grüne Augen.

Mittlerweile hatte sich Justins Mannschaft wieder eingefunden und hörte zu. Keine Spur von dem Hund. Offenbar hatte das Sandwich geholfen. Immerhin ein kleiner Fortschritt.

„Wir können die Rückgabe der Kunstgegenstände – falls überhaupt nötig – in Ruhe besprechen, wenn die Dame mein Grundstück verlassen hat.“

Justin war zwar über die ganze Galeriegeschichte nicht im Bilde, aber Paige hatte garantiert einen wasserfesten Vertrag über das Gebäude und dessen Inventar aufgesetzt.

„Nicht so schnell!“, sagte Bailey. „Ich bin hier, um mein Eigentum zu schützen, aber auch das Hotel, Grady. Der Bauantrag wurde dem Denkmalschutzausschuss nicht zur Genehmigung vorgelegt!“

Und woher wollte sie das wissen? Justin blickte zwischen ihr und dem Polizisten hin und her und bemerkte jetzt das Namensschild auf dessen Brust: Cole stand darauf.

„Ich bin Grady Cole. Bailey ist meine Schwester. Sie weiß mehr über das Genehmigungsverfahren als jeder andere in der Stadt, ausgenommen vielleicht Floyd Jeffries.“

Geschwister, auch das noch. Aber egal, dieses Projekt würde kein Desaster werden.

„Kein Problem.“ Justin griff in seine hintere Hosentasche. „Ich habe die Baugenehmigung hier.“

„Mal sehen.“ Grady blätterte zwei Mal durch das Formular und runzelte dann die Stirn. „Die wurde von Long Beach ausgestellt. Genau wie die Zustimmung des Denkmalschutzes.“

„Ja, dorthin sollte ich mich wenden.“ Justins Kopf drohte zu zerspringen, und es fiel ihm schwer, freundlich zu bleiben. Wie lange sollte die Veranstaltung hier noch dauern?

Baileys Lächeln dagegen wurde breiter, und das war kein gutes Zeichen. Sie wusste etwas, was er noch nicht wusste.

„Ich bin die Anträge und die Genehmigungen selbst durchgegangen. Es ist alles in Ordnung.“

„Sie haben die Postleitzahl von Long Beach benutzt und nicht die von Haley’s Bay!“ Grady reichte ihm die Papiere zurück. „Diese Genehmigung ist ungültig. Für Projekte innerhalb der Stadtgrenzen müssen Sie sich an die zuständige Behörde wenden, und die befindet sich in Haley’s Bay. Außerdem haben Sie keine Genehmigung vom Denkmalschutzausschuss. Dieses Gebäude steht unter Denkmalschutz!“

In Justins Magen formte sich ein Druck, der wunderbar zum hämmernden Kopfschmerz passte.

„Kein Problem“, sagte er. „Floyd hatte mir gesagt, ich solle die Genehmigung in Long Beach beantragen. Aber dann fahre ich jetzt eben einfach hier zum Rathaus und hole mir die nötigen Unterlagen.“

„So einfach ist das leider nicht“, erwiderte Grady.

Justins Magen rebellierte, und in seinem Kopf schien ein Presslufthammer zu wüten. Als Bailey den Mund öffnete, hob er die Hand. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war eine Belehrung von dieser Besserwisserin, warum sein Projekt auf Eis lag. Er wollte von ihr hören, dass das alles ein riesiges Missverständnis war, das sich innerhalb der nächsten zwei Stunden in Wohlgefallen auflösen würde.

Aber das war wohl ein Wunschtraum.

„Sobald ich die Genehmigung habe, kann ich auf meinem Grundstück machen, was ich will“, fügte er dennoch hinzu.

„Nicht ganz, Mr. McMillian.“ Die Frau blickte ihn unverwandt an und wirkte von Minute zu Minute selbstsicherer, wenn auch – möglicherweise – ein klein wenig mitfühlend. „Das Broughton Inn steht auf der Liste bundesweit denkmalgeschützter Gebäude.“

„Ich weiß doch, ich weiß aber auch, dass private Besitzer keinerlei Einschränkungen unterliegen, wenn sie Baumaßnahmen vornehmen wollen.“

„Nur dann, wenn das Gebäude vorher nie mit Bundesmitteln – also Subventionen – unterhalten worden ist.“

Ihre Worte klangen so überzeugt und selbstsicher, dass Justins letzte Hoffnung sang- und klanglos unterging. Er hatte mit dem Vorbesitzer gesprochen, sich Notizen gemacht und recherchiert, was es bedeutete, wenn ein Gebäude auf der bundesweiten Denkmalschutzliste stand und unter welchen Voraussetzungen man ein solches trotzdem abreißen konnte.

„Man hat uns versichert …“

„Floyd hat gelogen. Sie sind reingelegt worden, Mr. McMillian.“ Bailey zog einen Ordner aus ihrer Tragetasche und reichte Justin daraus eine Aktenmappe. „Wenn Sie mir nicht glauben, können Sie es hier nachlesen. Das Broughton Inn hat bereits Subventionen vom Staat und vom Bundesstaat erhalten. Manche sogar schon vor der Zeit, als es Floyd gehörte.“

Leider zeigte gleich das oberste Blatt in der Mappe, dass sie recht hatte. Über die Jahre hatten die Vorbesitzer mehrmals staatliche Subventionen für Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen beansprucht. Grimmig blätterte Justin weiter. Jedes Blatt in der Mappe entsprach einem weiteren Todesstoß seines Projekts.

Jetzt wurde ihm klar, warum Floyd es nach monatelangem Zögern so eilig gehabt hatte, den Deal abzuschließen. Verdammt, was für ein Betrüger. Er hatte nicht nur Paige, sondern alle bei McMillian Resorts über den Tisch gezogen.

Er reichte Bailey die Mappe zurück und sagte: „Diese Informationen wurden uns vorenthalten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir so schnell wie möglich Kopien davon zukommen lassen könnten.“

„Sehr gern“, sagte Bailey.

Grady nahm ihr die Mappe aus der Hand. „Darum kümmere ich mich. Du musst deinen Fuß schonen.“

„Mache ich. Aber zuerst muss ich sichergehen, dass wir die Kunstwerke zurückbekommen.“

„Wie läuft das also nun mit dem Genehmigungsverfahren, damit wir mit dem Bauprojekt beginnen können?“, wollte Justin von Grady wissen.

Der blickte zu seiner Schwester. „Das ist Baileys Fachgebiet.“

Na toll. Sie würde ihm natürlich nicht gerade entgegenkommen. Fragen musste er trotzdem.

„Würden Sie mir die nötigen Schritte erläutern?“

„Sehr gern.“ Sie lehnte sich lässig ans Geländer, doch das triumphierende Funkeln in ihren Augen verhieß nichts Gutes. „Zuerst müssten die Baupläne dem Sachverständigenrat für die Erhaltung historischer Bausubstanz vorgelegt werden.“

Na gut, das war machbar. „Kein Problem.“

„Ja, aber das ist nur der bundesstaatliche Teil des Ganzen. Nachdem die Bundesbehörde zugestimmt hat, brauchen Sie noch die Genehmigung von der Landesdenkmalschutzbehörde.“

Und jeder Antrag würde Zeit kosten – nicht gut. „Ist das dann alles?“

„Wenn auch die Landesbehörde zugestimmt hat, brauchen Sie noch die Genehmigung vom örtlichen Denkmalschutzausschuss.“

„Klingt gar nicht so kompliziert.“ Auch wenn es seinen Zeitplan völlig durcheinanderbringen würde. Seine Eltern wollten das Hotel noch vor der Hauptsaison im nächsten Sommer eröffnen. Er musste dringend mit Paige sprechen und einen Plan B entwerfen.

„Meine Schwester ist Ausschussvorsitzende“, fügte Grady hinzu.

Justin ballte die Hände zu Fäusten. Er war kein aggressiver Mensch, aber Floyd Jeffries hätte er gern verprügelt. Der Mann hatte ihm versichert, dass einem Abriss des alten Hotels nichts im Wege stand. Eine Genehmigung von drei verschiedenen Behörden konnte Tage, wenn nicht sogar Wochen oder Monate dauern. Und möglicherweise würde gleich die erste Behörde einen Abriss rundweg verbieten. Dazu würde Ms. Bailey Cole sicherlich nicht unwesentlich beitragen.

Ihr Lächeln zeigte ihm, dass sie seine Gedanken erraten hatte. „Ihnen ist klar, was passiert, wenn Sie irgendetwas ohne Genehmigung …“

„Mir ist durchaus bewusst, was auf dem Spiel steht“, erwiderte er barsch.

Er hatte die Grenzen seiner Selbstbeherrschung erreicht. Er nickte Wyatt und seiner Mannschaft zu. „Wir packen ein, Jungs.“

Zumindest für heute.

Noch lächelte Bailey Cole, aber er würde ihr schon zeigen, wer hier die Hosen anhatte. Niemand würde ihn daran hindern, das alte Hotel abzureißen und ein Fünf-Sterne-Luxusresort zu errichten. Nicht einmal Bailey Cole, auch wenn das bedeutete, dass er dafür seinen Charme bei einer Frau spielen lassen musste, die völlig ungekämmt und in einem farbverschmierten Overall mit Plüschhausschuhen vor ihm stand.

2. KAPITEL

Besorgt blickte Bailey zu den dunklen Wolken hoch, die den Himmel über Haley’s Bay verdüsterten. Bald würde es regnen, nein, schütten. Doch die Bauarbeiter, die eigentlich die Kunstgegenstände aus dem zurückgekehrten Lkw ausladen und in das Hotel zurückbringen sollten, schienen die Ruhe weg zu haben. Sie rissen dumme Witze und tranken einen Kaffee nach dem anderen.

Bailey humpelte zur Laderampe des Lkw. Ihr linker Fuß war noch weiter angeschwollen, aber sie hatte im Moment ganz andere Sorgen.

„Beeilen Sie sich!“, sagte sie. „Wir müssen die Sachen reinbringen, bevor das Unwetter losgeht.“

„Wir machen so schnell wir können, Ms.“, erwiderte Wyatt, der Vorarbeiter. Er trug Faye Rivers anderthalb Meter hohe Skulptur aus Treibholz und angeschwemmten Glasscherben lässig in einer Hand.

„Hey, seien Sie bitte vorsichtig damit!“, warnte Bailey.

„Keine Sorge, es wird nichts passieren.“ Justin trat hinter dem Lkw hervor. Auf seinen Wangen waren blonde Bartstoppeln zu sehen, was ihm ein leicht verwegenes Aussehen gegeben hätte, wenn sein Haarschnitt nicht so businessmäßig brav gewesen wäre. Im Moment wirkte er allerdings ein wenig zerzaust.

„Entspannen Sie sich“, fügte er hinzu.

„Erst, wenn die Kunstwerke wieder im Trockenen sind“, erwiderte sie.

Geschmeidig stieg Justin auf die Laderampe und Bailey bekam einen guten Blick auf seine muskulösen Oberschenkel und den durchaus ansehnlichen Po, bevor er sich umdrehte und sich an die Seitenwand des Lkw lehnte.

Diese selbstbewusste Lässigkeit konnte man sexy finden, wenn man diese Art von Mann mochte – aber das tat Bailey nicht. Na gut, Justin war wirklich attraktiv, aber gegen solche Typen war sie zum Glück immun.

„Noch ein bisschen Geduld“, sagte er. Es klang nicht gerade herablassend, aber sie war sich auch nicht sicher, ob er sich nicht über sie lustig machte. „Sie wollen doch nicht, dass wir etwas fallen lassen.“

„Natürlich nicht. Aber es ist auch nicht nötig, sich in Zeitlupe zu bewegen. Oder lautet so die Anweisung?“

„Vorsicht!“ Seine Stimme klang warnend. „Nicht, dass die Jungs noch den Rückwärtsgang einlegen.“

Bailey kochte innerlich. „Diese Anweisung würden Sie bestimmt gern ausgeben, was?“

Sein unvermitteltes breites Grinsen kam so überraschend, dass sie kurz den Atem anhielt.

„Oh, geben Sie mir nur einen Grund dafür, Ms. Cole. Es würde mir den Tag retten, glauben Sie mir.“

„Das alles hier ist doch nicht meine Schuld! Beschweren Sie sich bei Floyd.“

Seine Drohungen machten ihr keine Angst. Die Bauarbeiter waren alle im Hotel verschwunden und kamen nicht wieder heraus. Sie musste die Sache hier irgendwie beschleunigen.

„Das muss schneller gehen“, drängte sie. „Bis jetzt ist nichts passiert, aber das Wetter …“

„Nun fallen Sie doch nicht vor lauter Nervosität aus Ihren lila Latschen.“

Seine Haltung Ich weiß doch, dass du mich willst ging ihr gehörig auf die Nerven. Ja, der Mann war ausgesprochen attraktiv. Als Künstlerin sprachen sie seine Gesichtszüge durchaus an – die hohen Wangenknochen, die charmanten Fältchen um seine Augenwinkel und dieses jungenhafte Lachen, wenn er mit seinen Leuten herumalberte, hätte sie gern skizziert. Sie war allerdings nicht hier, um einen Typen anzuschmachten.

Sie blickte ihn dementsprechend herausfordernd an. „In fünf Minuten wird es schütten. Darum geht es mir.“

Er hob eine Augenbraue. „Oh, sind Sie die örtliche Regenmacherin?“

„Nein, aber ich kenne mich ganz gut mit dem Wetter aus.“

„Künstlerin, Kennerin der Geschichte und nun auch noch Wetterexpertin.“

„Ich komme aus einer Fischerfamilie. Wir lernen, die Wolken zu lesen, bevor wir bis zehn zählen können. Zu wissen, wann es regnen wird, ist überlebenswichtig, wenn man seinen Lebensunterhalt mit einem Boot auf dem offenen Meer verdient.“

„Aber Sie sind …“

„… eine Frau?“, unterbrach sie ihn verächtlich. Oh, diesen Typ Mann kannte sie. Der letzte, mit dem sie ausgegangen war – ein gewisser Oliver Richardson aus Seattle –, hatte das gleiche überhebliche Auftreten wie Justin. Oliver hatte geglaubt, sein Job, seine Wohnung, seine Stadt und sein Kunstgeschmack seien allen und allem anderen überlegen gewesen, Bailey selbstverständlich eingeschlossen. Und zum Schluss hatte sich herausgestellt, dass Oliver nur mit ihr ausging, um an ihren ältesten Bruder heranzukommen, der mit Computerprogrammen Millionär geworden war.

Seitdem hatte sie Männer gemieden, ob mit Geld oder ohne. Wer brauchte schon sowas?

„Haley’s Bay mag altmodisch wirken, aber Frauen, die ihren Mann stehen, gibt es hier viele, Mr. McMillian. Meine jüngere Schwester Camden wird eines Tages ihr eigenes Boot haben.“

„Oh je. Sie können vielleicht Wolken lesen, aber Gedanken definitiv nicht.“ Justins Lachen klang warm und samtig. „Ich wollte sagen: Aber Sie sind Künstlerin. Das hat nichts mit Ihrem Geschlecht zu tun. Ich bin kein Macho, wie Sie gleich fälschlicherweise angenommen haben.“ Es klang eher beleidigt als ärgerlich. „Ich bin mit zwei Schwestern aufgewachsen – beides kluge, fähige und hart arbeitende Frauen. Sie sind nur nicht so besserwisserisch wie Sie.“

„Sie halten mich für besserwisserisch?“ Vielleicht traf das wirklich zu, aber seine Überheblichkeit war auch keine Zierde.

„Allerdings haben Sie recht“, gab er zu, „mit den Regenwolken – nicht mit Ihrer Annahme, dass ich ein Idiot bin. Ich bin auch an der Küste aufgewachsen. Lassen Sie mich meine Arbeit machen, dann kommen wir gut miteinander aus.“

„Es spielt keine Rolle, wie wir miteinander auskommen.“

„Sie sind die Vorsitzende des Denkmalschutzausschusses. Wir werden zusammenarbeiten.“

„Das hoffe ich nicht.“ Wieder einmal hatte sie erst gesprochen und dann nachgedacht. „Ich meine … Ach was, wem will ich hier was vormachen. Das ist genau das, was ich meinte.“

Überrascht blickte er sie an. „Sie sind ehrlich.“

„Geradeheraus. Wie mein Dad.“

„Nun gut.“

Er griff nach einem Gemälde im Lkw. Es war eines ihrer eigenen Kunstwerke. Sie liebte dieses Seestück, das sie frühmorgens am Strand skizziert hatte, als der Himmel rot, rosa und gelb geleuchtet und das Meer in atemberaubenden Blautönen geschimmert hatte.

„Das trage ich“, sagte sie.

„Ich mache das schon.“

„Aber seien Sie vorsichtig.“

„Ist dies hier wertvoller als die anderen?“

„Es sind alles Einzelstücke.“

Bailey presste die Lippen zusammen, um nicht noch mehr zu sagen. Sie hätte ins Hotel zurückhumpeln und dort nach dem Rechten sehen sollen, aber etwas hielt sie zurück. Etwas in ihr – und sie hoffte sehr, dass es nicht Eitelkeit war – wollte, dass er das Gemälde richtig ansah, dass es ihm gefiel und dass er einen positiven Kommentar dazu abgab.

Er betrachtete die Leinwand, die er hielt. „Nicht schlecht, wenn man Landschaftsbilder mag.“

Sie biss sich auf die Zunge, um eine Bemerkung zu unterdrücken. So lange er ihr Bild hielt, wollte sie ihn auf keinen Fall verärgern.

Sein prüfender Blick traf sie. „Es ist eins von Ihren!“

„Ja.“

Die Farben auf dem Bild unterstrichen und verstärkten seine Augenfarbe. Bailey schluckte. Der Mann war arrogant und nervig, aber seine meerblauen Augen hatten eine umwerfende Wirkung. Sie überlegte, welche Blautöne sie mischen würde, um die exakte Nuance zu treffen. Nicht, dass sie ihn bitten würde, ihr Modell zu sitzen. Er war auch so schon eingebildet genug, aber aus der Erinnerung heraus würde sie sich sicherlich daran versuchen.

Er hob das Bild ein wenig an. „Das hier ist das letzte Stück.“

„Gut. Dann nichts wie rein mit Ihnen. Gleich geht’s los.“

„Woran merken Sie das?“

„Der Geruch der Luft.“ Sie streckte die Arme aus. „Geben Sie mir das Bild.“

„Ich mach das schon. Sie können ja kaum laufen.“

Er sprang von der Rampe und ging mit großen Schritten an ihr vorbei. Dabei hielt er die Leinwand so, dass eventuelle Regentropfen die Rückseite treffen würden. Netter Versuch, aber sie wollte nicht, dass ihr Bild überhaupt Nässe abbekam.

Wyatt kam aus der Tür. „Noch mehr?“

„Das hier ist das letzte.“ Justin reichte ihm das Bild und Wyatt trug es hinein.

Endlich löste sich ihre Anspannung. Die Kunstwerke waren wieder in Sicherheit – wenn sie doch nur auch das ganze Hotel retten könnte.

„Danke!“, rief sie Justin zu. Sie hatte wegen ihres Fußes erst ein paar Schritte geschafft.

„Hab ich doch gesagt, dass wir es rechtzeitig schaffen.“

Beim nächsten Schritt berührte sie mit dem verletzten Fuß den Boden, und Schmerz schoss ihr Bein hoch. Sie kniff die Augen zusammen, um nicht aufzuschreien. Verflixt, sie brauchte Schmerztabletten, Kühlkissen und einen Kaffee. Zuerst aber musste sie sich darum kümmern, dass die Künstler ihre Werke zurückbekamen.

„Alles in Ordnung bei Ihnen, Anubis?“

Überrascht riss sie die Augen auf. „Anubis? Der ägyptische Gott?“

„Ja, der Gott, der die Pyramiden vor Grabräubern und anderen Zerstörern beschützt. Das passt doch zu Ihnen, oder?“

Sie unterdrückte ein Lächeln und nickte ihm zu. Dass Anubis oft mit einem Schakal- oder Hundekopf dargestellt wird, schien Justin nicht zu stören.

Der erste Regentropfen traf ihre Wange, dicht gefolgt von einem zweiten Tropfen. Unter Schmerzen versuchte sie, schneller zu humpeln – und stolperte.

Starke Arme fingen sie auf. „Halten Sie sich fest.“

Mit klopfendem Herzen bemerkte sie Justins besorgten Blick. Während er sie zum Eingang trug, schaute er sie an, als sorge er sich wirklich um sie.

Vielleicht hatte er doch noch andere Seiten.

Natürlich hätte sie verlangen müssen, dass er sie runter ließ, doch ein Teil von ihr genoss die Situation. Der Regen fiel nun in dichten schweren Tropfen und durchnässte sie beide, doch kalt war ihr nicht. Sein Körper wärmte sie ein wenig. Der Schmerz in ihrem Fuß ließ nach. Ihre Haut kribbelte. Das hatte sie seit Ewigkeiten nicht gespürt.

„Was haben Sie mit Ihrem Fuß eigentlich angestellt?“, fragte er.

Ihr Tagtraum verflog. Sie hatte den Mann vor sich, der das Hotel abreißen wollte. „Ich bin nicht sicher, ob es mein Fuß ist oder nur mein Zeh.“

„Haben Sie sich hier drin verletzt?“

„Nein, zu Hause.“ Ihr Haar war klatschnass und tropfte. Was war noch die Steigerung von Vogelscheuche? Nasse Vogelscheuche? „Haben Sie Angst, dass ich Sie verklage, wenn ich mich hier verletzt hätte?“

„Ach was. Ich habe mich nur gefragt, ob Sie immer in Plüschhausschuhen in der Stadt herumstolzieren.“

„Das waren die einzigen Schuhe, in die ich noch hineinkam. Und ich pflege nicht zu stolzieren. Ich schlendere oder bummele.“

„Nein, Sie wirken eher wie jemand, der stolziert.“

„Ach so? Das wäre doch eher Ihr Stil, oder?“

„Stimmt.“ Er trug sie ins Restaurant, das rechts von der Rezeption lag. „Ich wollte Sie nicht kritisieren. Können Sie stehen?“

„Ich stehe schon den ganzen Morgen.“

„Deshalb haben Sie auch solche Schmerzen! Sie hätten zu Hause bleiben und sich um Ihren Fuß kümmern sollen.“

Jetzt klang er wie einer ihrer fünf überbesorgten Brüder. „Ich habe mir den Zeh gestoßen. Er ist verstaucht, das ist alles.“

„Sieht aber ganz so aus, als ob was gebrochen wäre.“ Justin stellte sie vorsichtig hin, was so wehtat, dass sie laut einatmete. „Halten Sie sich fest, bis Sie eine gute Position gefunden haben.“

Sie krallte die Finger in sein Jackett, unter dem sie seine muskulösen Arme spürte. Auch seine Brust wirkte durchtrainiert. Angezogen war er schon attraktiv – nackt würde er sicherlich ein Aktmodell abgeben, das einer Plastik eines Meisters wie Michelangelo oder da Vinci würdig war.

Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie sie ihre Hände über seinen Körper gleiten ließ, um in weichen Ton an den richtigen Stellen Wölbungen und Kurven hineinzukneten. Ihr Puls ging schneller und ihr wurde warm. Eigentlich hätte sie sein Körperbau nicht so beeindrucken dürfen. Sie hatte schon andere attraktive männliche Aktmodelle gehabt.

Herrje, wenn ihr bei einem Kerl wie Justin schon das Wasser im Mund zusammenlief, war es wirklich höchste Zeit, mal wieder ein Date zu haben – aber bestimmt nicht mit ihm. Er hieß wie seine Firma, also hatte er gewiss viel Geld. Und reiche Typen waren alle wie Oliver Richardson – ständig auf der Suche nach guten Geschäften oder Beziehungen und bereit, eine Frau dafür auszunutzen. Nein danke.

Justin kannte sich also ein bisschen in der ägyptischen Mythologie aus und konnte sie ins Haus tragen, ohne gleich aus der Puste zu kommen. Na und? Sie rettete historische Gebäude, und er riss sie ab. Daraus konnte nichts werden.

Als sie seinen Arm losließ und sich umschaute, wäre sie beinahe schon wieder gefallen.

„Was ist?“, fragte er und hielt sie fest.

„Es ist alles weg!“

Ein Dutzend alter Holztische, fünfzig Stühle. Antike Anrichten, Teppiche, die Vorhänge.

„Es ist alles im Lkw.“

Damit konnte er sie nicht trösten. Den Raum so leer zu sehen, schmerzte mehr als ihr Fuß.

Oh, Floyd, warum nur? Warum hast du das Hotel verkauft?

„Hier haben über hundertvierzig Jahre lang die Gäste ihre Mahlzeiten eingenommen“, flüsterte sie. Und sie hatte davon geträumt, hier einmal ihre Hochzeit zu feiern. „Das ist jetzt alles vorbei.“

„Es werden wieder Gäste kommen, wenn das neue Broughton Inn eröffnet. Es wird ein Café geben, eine Bar und ein Restaurant. Alles mit Meerblick!“

„Das ist doch nicht dasselbe!“, stieß sie hervor.

Sie rieb sich die brennenden Augen und versuchte, nicht loszuheulen.

„Setzen Sie sich!“, befahl Justin.

Der Gedanke war herrlich, aber sie hatte hier noch zu tun. „Ich muss mich um die Kunstgegenstände kümmern.“

„Sie sehen aus, als ob Sie gleich umkippen.“ Er deutete auf den Boden. „Setzen Sie sich hin. Auf fünf Minuten kommt es nicht an.“

Er hatte recht. Fünf Minuten Ruhe konnte sie sich durchaus gönnen. Sie ließ sich an der Wand nach unten gleiten und streckte den verletzten Fuß vorsichtig aus. Oh ja, viel besser. „Aber nur ein paar Minuten.“

Die Bauarbeiter waren verschwunden, doch Justin setzte sich neben sie. Fast erwartete sie, dass sein Oberschenkel oder seine Schulter sie berühren würden, doch zum Glück respektierte er den Höflichkeitsabstand. Sie war zu müde, um sich heute Morgen auch noch mit seltsamen Reaktionen ihres Körpers zu befassen.

„Wann kommen denn die Künstler, um ihr Zeug abzuholen?“

Er nannte ihr Lebenswerk Zeug. So schnell konnte also eine Fantasie über einen intelligenten Mann, der Anubis nebenbei erwähnte, verpuffen. Und außerdem wollte er das Hotel abreißen.

„Ich habe alle Künstler angerufen, während Ihre Leute den Lkw entladen haben. Die meisten haben Brotberufe und Familie. Ich habe allen Nachrichten hinterlassen und sie werden so schnell wie möglich hier sein.“

Er blickte auf sein Handy. „Gibt’s da einen genaueren Zeitrahmen?“

„Haben Sie noch was Wichtiges vor? Zum Beispiel den Genehmigungsantrag auszuarbeiten?“

„Sowas in der Art.“

„Ich bin ja hier. Sie müssen nicht bleiben.“

„Muss ich schon. Mir gehört das Gebäude. Außerdem sind Sie verletzt. Sie brauchen Hilfe.“

„Ich ruhe mich ja schon aus. Sie können ruhig gehen.“

„Aber ich muss abschließen, wenn Sie hier fertig sind.“

„Ich habe einen Schlüssel.“

Er hob ungläubig die Augenbrauen. „Floyd hat Ihnen einen Schlüssel gegeben?“

„Nein, den habe ich von seinem inzwischen verstorbenen Vater. Mit sechzehn habe ich hier angefangen zu arbeiten.“

„Am Empfang?“

„Nein, in der Küche.“

Sie blickte durch den Durchgang gegenüber in den Raum, in dem sie so viele Jahre verbracht hatte. „Bis vor einigen Jahren war ich Köchin. Dann wurde ich Floyds Partnerin und wir haben die Galerie eröffnet. Wir halten hier Kunstveranstaltungen ab beziehungsweise wir haben sie hier abgehalten.“

Es gab keine Kunstgalerie mehr und auch kein Hotel.

Die Wahrheit traf sie wie ein Schlag in die Magengrube. Es war alles vorbei. Es gab den Ort bald nicht mehr, an dem Künstler und Kunstliebhaber zusammenkamen, wo sie in der Küche gearbeitet hatte mit den anderen Angestellten, die wie eine Familie gewesen waren. Wo sie hatte heiraten wollen …

Sie versuchte, ruhig zu atmen. Sie musste die Kunstwerke heute nicht nur den Künstlern zurückgeben, sondern auch eine neue Heimat für die Künstler finden.

„Was für Veranstaltungen genau?“, fragte Justin.

„Ach, Ausstellungen, Vernissagen, Kurse. Morgen sollte hier eine Pinsel-und-Pinot-Klasse stattfinden.“

„Pinsel und Pinot?“

„So habe ich meinen Abendmalkurs genannt. Er ist hauptsächlich für Frauen gedacht, aber es machen auch ein paar Männer mit. Die Teilnehmer unterhalten sich, trinken Wein, essen Häppchen, und ich zeige ihnen, wie man malt.“

„An einem Abend?“

„Jeder malt dasselbe Motiv, und wir gehen Schritt für Schritt vor. Es ist einfach und macht Spaß. Und das Hotel war dafür der perfekte Ort.“ Sie lehnte den Kopf an die Wand hinter sich. „Die Ergebnisse sind fantastisch. Jeder Teilnehmer geht zufrieden nach Hause und freut sich über sein gelungenes Bild.“

Keine Ahnung, warum sie ihm das alles erzählte, es interessierte ihn doch sowieso nicht. Sie würde noch ein Minütchen sitzen bleiben und sich dann an die Arbeit machen, statt mit ihrem Erzfeind zu plaudern.

Wieder blickte er auf sein Handy.

„Sie müssen gehen. Sie haben sicher viel zu tun. Ich komme hier schon klar.“

„Es ist nur eine SMS von Wyatt, der wissen will, wie es weitergeht.“ Justin tippte eine Antwort. „Ich bleibe.“

Seufzend griff sie in die Tasche ihres Malerkittels. „Dann brauche ich den Schlüssel wohl nicht mehr.“

Hätte er jetzt nicht sagen können Behalten Sie ihn ruhig? Aber nein, er schwieg.

Bailey mühte sich, den Schlüssel abzuziehen, der seit fast zwölf Jahren an ihrem Schlüsselring hing. „Hier, bitte.“

Als ihre Finger seine Handfläche streiften, bekam sie einen leichten Stromschlag. Erschrocken ließ sie den Schlüssel in seine Hand fallen und zog den Arm weg. Die Luft hier war wohl ziemlich aufgeladen.

„Danke.“ Er steckte den Schlüssel in die Tasche. „Ich hatte mehr Gegenwind erwartet.“

„Das Hotel gehört jetzt Ihnen.“

„Stimmt, aber Sie tun so, als hätte ich etwas falsch gemacht.“

„Architektonisch bedeutsame historische Gebäude müssen erhalten werden, aber Sie wollen einfach …“

„Die Architektur hier ist nichts Besonderes“, sagte er mit einer wegwerfenden Geste. „Die Renovierungen, die hier über die Jahre vorgenommen wurden, haben nichts mit den ursprünglichen Bauplänen zu tun. Es ist ein Mischmasch der Stile des vergangenen Jahrhunderts.“

„Ein Mischmasch? Jeder Umbau wurde sorgfältig geplant!“ Heiße Wut stieg in ihr auf. Natürlich würde er das nie verstehen. „Die Materialien dafür wurden aus historischen Gebäuden in den ganzen Staaten und sogar aus Europa beschafft! Jedes Stück hat eine eigene Geschichte. Bleiglas- und Buntglasfenster aus alten Kirchen, Balken und Parkett aus Gebäuden aus dem neunzehnten Jahrhundert.“

„Verklären Sie es doch nicht so, dass jemand Geld sparen wollte!“ Sein Tonfall klang, als wäre der Abriss historischer Gebäude eine Heldentat, für die man ihm dankbar sein sollte. „Dieses Hotel hat über die Jahre seinen Charme verloren. Das bisschen Geschichte, das noch durchschimmert, kann über die ganzen Mängel nicht hinwegtäuschen. Und damit meine ich noch nicht mal die Statikprobleme oder die uralten Stromkabel, ganz zu schweigen von den maroden Wasserleitungen.“

Sie rückte ein Stück von ihm ab. „Warum haben Sie das Hotel dann gekauft?“

„Um ein gewinnbringendes Geschäft daraus zu machen.“

„Indem Sie es abreißen?“

Er seufzte. „Wenn wir es nicht gekauft hätten, hätte es jemand anderer getan. Es war ein Schnäppchen.“

„Ja, aber jemand anderer hätte es vielleicht nicht abreißen wollen.“

„Hey, ich bin hier nicht der Fiesling!“ Es klang ehrlich, aber er würde sie nie davon überzeugen, dass ihm oder seiner Firma das Hotel am Herzen lag. „Ich mache nur meinen Job.“

„Genau wie ich. Als die Vorsitzende des Denkmalschutzausschusses werde ich alles daran setzen, dass dieses Hotel genau so bleibt, wie es ist, Mischmasch hin oder her.“

Drei Stunden später begann Justin eine weitere von unzähligen Runden durch das Restaurant. Bailey lehnte am anderen Ende des Raumes an der Wand und sprach mit einer grauhaarigen Künstlerin, die sich als Faye vorgestellt hatte. Sie war die Letzte, die ihre Kunstwerke abholte, und die beiden redeten jetzt schon seit zwanzig Minuten miteinander. Er konnte erst gehen, wenn sie weg waren. Diesen Vormittag hatte er nur zwei Dinge zuwege gebracht: seine Schuhsolen auf dem rauen Dielenboden abzulaufen und sich jedes Detail an Bailey Cole unauslöschlich ins Gedächtnis zu brennen.

Sie lachte und der Klang ließ seinen Blick wieder zu ihr wandern. Ihr Malerkittel war endlich wieder trocken und klebte ihr nicht länger am Körper – okay, am Oberkörper.

Natürlich hatte er hingeschaut, denn er war auch nur ein Mann. Mehr als einmal hatte eine Bewegung von ihr ihm einen noch besseren Ausblick geboten, und sein Mund war trocken geworden. Ihre weiblichen Kurven ließen ihn nicht kalt. Wie auch, wenn er vor lauter Arbeit nicht dazu kam, mit Frauen auszugehen? Wenn er Bailey ansah, dachte er daran, wie es wäre, sie im Arm zu halten. Sie durch den Regen zu tragen, hatte sich wunderbar angefühlt. Schade, dass er sie nicht noch einmal berühren konnte.

Baileys Gesichtsausdruck beim Gespräch mit Faye zeigte ihm, dass es um ihn ging und sie gute Lust hatte, ihn zu verhauen. Ihre grünen Augen sprühten Funken.

Sie war leidenschaftlich und setzte sich für andere ein – das glatte Gegenteil seiner Exfrau Taryn. Justin war Leidenschaft in einer Beziehung allemal lieber als Geringschätzung – wenn er denn an einer Beziehung interessiert gewesen wäre. Aber mit der Ehe hatte er abgeschlossen. Viel zu viel Arbeit und ständige Kompromisse …

Faye wickelte ihre Skulptur in Plastikfolie.

„Soll ich Ihnen helfen, sie rauszutragen?“, fragte Justin.

„Lieber Himmel, nein. Aber danke.“ Faye lächelte ihn an. „Wiedersehn.“ Sie ging hinaus.

Mit halb geschlossenen Augen ließ sich Bailey gegen die Wand sinken und zog dann langsam ihr Handy aus der Tasche. Die Sorge um das Hotel schien sie niederzudrücken. „Verflixt, der Akku ist leer!“

„Nehmen Sie meins.“

„Danke. Ich wollte meiner Familie simsen. Ich brauche Hilfe, um nach Hause zu kommen.“

Justin zuckte zusammen. Wieso rief sie jemand anderen an, wenn er doch hier war? Er hatte ihr Bild getragen. Und sie getragen. Er kriegte das hin. „Ich helfe Ihnen.“

„Danke, aber …“ Sie rieb sich den Nacken.

„Aber was?“

„Es geht nicht darum, die Bilder ins Auto zu bringen. Ich glaube, ich kann mit dem Fuß nicht mehr fahren.“

Er kannte sie erst ein paar Stunden, aber er hatte gesehen, wie zäh sie war. Wenn sie zugab, nicht mehr fahren zu können, dann musste sie wirklich schlimme Schmerzen haben.

Langsam ließ sie sich an der Wand nach unten gleiten, ohne dass er sie dazu aufgefordert h...

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Katie Meyer
<p>Katie Meyer kommt aus Florida und glaubt felsenfest an Happy Ends. Sie hat Englisch und Religion studiert und einen Abschluss in Veterinärmedizin gemacht. Ihre Karriere als Veterinärtechnikerin und Hundetrainerin hat sie zugunsten ihrer Kinder und des Homeschoolings aufgegeben. Sie genießt ihre Tage gerne mit der Familie, ihren vielen Haustieren, Downton...
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Teresa Southwick
<p>Teresa Southwick hat mehr als 40 Liebesromane geschrieben. Wie beliebt ihre Bücher sind, lässt sich an der Liste ihrer Auszeichnungen ablesen. So war sie z.B. zwei Mal für den Romantic Times Reviewer’s Choice Award nominiert, bevor sie ihn 2006 mit ihrem Titel „In Good Company“ gewann. 2003 war die Autorin...
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