Bianca Extra Band 39

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SAG MIR, DASS ES LIEBE IST! von DARCY, LILIAN
"Was machst du hier?" Wild klopft Lees Herz! Drei Monate nach ihrer leidenschaftlichen Weihnachtsnacht in Aspen steht Mac plötzlich vor ihr. Haben sie und der sexy Skilehrer die Chance auf eine gemeinsame Zukunft? Schließlich ist ihre kurze Affäre nicht ohne Folgen geblieben …

EIN BABY FÜR DEN ABENTEURER von SMITH, KAREN ROSE
Hals über Kopf verliebt sich Marissa in Rodeo-Star Ty und gibt sich ihm hin. Aber der überzeugte Junggeselle ist nur auf der Durchreise! Marissa kämpft gegen starke Emotionen an - besonders als Ty liebevoll um sie wirbt. Darf sie hoffen? Wird der Abenteurer doch noch sesshaft?

IM GLEICHKLANG UNSERER HERZEN von KAY, PATRICIA
Vor zwölf Jahren musste Eve ihrer großen Liebe Adam Lebewohl sagen. Jetzt ist er zurück - umwerfender als je zuvor! Sofort flammen Eves Gefühle für den erfolgreichen Musiker wieder auf. Doch ihr spätes Glück steht auf tönernen Füßen. Eve hat Adam etwas Wichtiges verschwiegen!

DR. WALLACE VOR DEN ALTAR, BITTE! von HARLEN, BRENDA
Averys Neujahrsüberraschung? Eine ungewollte Schwangerschaft! Hätte sie sich nur nie auf den Krankenhaus-Romeo Dr. Justin Garrett eingelassen. Ehe und Familie gehören schließlich nicht zu ihrem Lebensplan. Aber Justin bleibt hartnäckig! Ist er doch der Richtige für Avery?


  • Erscheinungstag 20.12.2016
  • Bandnummer 0039
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733483
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lilian Darcy, Karen Rose Smith, Patricia Kay, Brenda Harlen

BIANCA EXTRA BAND 39

LILIAN DARCY

Sag mir, dass es Liebe ist!

Seit Mac am Heiligabend mit der süßen Lee geschlafen hat, geht sie ihm nicht mehr aus dem Kopf! Drei Monate später sieht er sie endlich wieder – und erlebt die größte Überraschung seines Lebens …

KAREN ROSE SMITH

Ein Baby für den Abenteurer

Eine Verletzung führt Rodeo-Star Ty zurück in die Heimat. Als er seine ehemalige Geliebte Marissa wiedertrifft, wird ihm klar, dass er sich entscheiden muss: Freiheit und Abenteuer oder Ehe und Familie?

PATRICIA KAY

Im Gleichklang unserer Herzen

Wie gern würde Adam die Beziehung zu seiner Jugendliebe Eve erneuern. Denn mittlerweile ist ihm klar: Ohne Eve kann er nicht sein! Doch obwohl sie mit ihm flirtet, scheint Eve seltsam distanziert …

BRENDA HARLEN

Dr. Wallace vor den Altar, bitte!

Eine Nacht mit Avery ist Justin nicht genug! Und so versucht er sie zu überzeugen, dass er mehr ist als der berüchtigte Krankenhaus-Gigolo. Denn keine Frau fasziniert ihn so wie seine hübsche Kollegin!

1. KAPITEL

Adirondack Mountains, März

„Ich bin verdammt sauer auf dich, Lee.“

Mac stand am Fuß der Verandastufen. Hinter ihm leuchteten Krokusse in Gelb und Lila, auf den kahlen Bäumen glitzerte eine Eisschicht in der späten Märzsonne.

Sein Haar war etwas zu lang und zerzaust, als hätte er es mit den Fingern zerwühlt. Ein Sonnenstrahl fiel auf sein Gesicht und ließ die dunklen Augen kohlschwarz wirken. Seine breiten starken Schultern waren gestrafft, seine Beine leicht gespreizt – wie für einen Kampf mit einem Grizzly bereit. Er war so attraktiv, dass es beinahe wehtat, ihn anzusehen.

Er hatte seinen Besuch nicht angekündigt und war mit dem Auto statt dem Flugzeug gekommen. Sein vertrauter dunkelblauer Pick-up stand in der Auffahrt – mit Spritzern aus Schlamm und Streusalz von den Bergstraßen Colorados übersät, selbst nach zweitausend Meilen Fahrt.

Dass er den ganzen Weg ohne Vorwarnung gekommen war, wühlte Lee auf. Es rüttelte an ihrem katzenhaften Unabhängigkeitsdrang und weckte ihren Argwohn, was seine Motive anging. Mit seinem Verhalten gab er ein Statement ab. Er legte es darauf an, sie zu überrumpeln, und sie wusste nicht, ob sie ihm böse sein oder in seine Arme sinken sollte. Oder ob es eine dritte Alternative gab, die ihr momentan nicht einfiel. Es sollte nie was Ernstes daraus werden …

Es war zehn Uhr morgens, und sie trug noch immer ihren fluffigen blauen Bademantel – weil er ihr Wärme und zugleich Trost spendete. Denn ihr war übel, seit sie um sieben Uhr aufgewacht war. Die Haare hingen ihr wirr ins Gesicht. Ihr Mund schmeckte zu kräftig nach Zahnpasta. Sie hatte die Tür in Erwartung einer Lieferung Tischwäsche oder Getränke für das Restaurant geöffnet.

Das Spruce Bay Resort war derzeit geschlossen, in Vorbereitung auf die bevorstehende Hauptsaison. Die Gärtner hatten frei, wie jeden Montag. Somit war Lee allein in der Ferienanlage. Ihre Schwestern waren verreist. Daisy und ihr Bräutigam Tucker waren am vergangenen Samstag nach einer kleinen Hochzeitsfeier in die Flitterwochen aufgebrochen; Mary-Jane war für drei Tage Wellness nach Vermont gefahren. Ihre Eltern befanden sich auf dem Rückweg zu ihrem neuen Zuhause in South Carolina.

„Komm lieber rein“, sagte Lee, denn in Jeans und Hemdsärmeln war er nicht warm genug für die frische Luft gekleidet.

„Ich bin verdammt sauer“, wiederholte Mac. „Kannst du das nicht verstehen?“

Sie zwang sich, in ruhigem Ton zu erwidern: „Nun, ja, schon. Aber wir haben doch darüber gesprochen. Ich habe dich nicht angelogen und dir nichts verheimlicht.“

„Du allein hast geredet. Ich war zu verblüfft. Ich hatte einiges zu verarbeiten. Und als ich sprechen wollte, warst du einfach verschwunden.“

Weil nie die Rede davon war, dass es was Ernstes ist. „Möchtest du Kaffee?“

„Mehr hast du mir nicht zu bieten?“

„Das ist immerhin ein Anfang, oder? Wir müssen reden. Darüber, warum du hier bist und wie lange du bleiben willst. Hier draußen ist es kalt. Also solltest du reinkommen und einen Kaffee mit mir trinken. Wir mögen doch beide Kaffee.“

„Du machst mich wahnsinnig.“

„Ich weiß.“

„Du bist ganz anders als alle Frauen, die ich je kennengelernt habe.“

Am zweiten Tag ihrer Bekanntschaft hatte er ihr gesagt, dass sie wie eine Katze sei. Die Idee gefiel ihr. Der Unabhängigkeitsdrang einer Katze, die Bedachtsamkeit auf das eigene Wohlergehen, die Vorliebe für Wärme und Streicheleinheiten gepaart mit Neugier und Abenteuerlust – all das passte zu ihr.

„Gefällt dir nicht gerade das an mir?“ Sie wagte ein Grinsen, doch Mac ließ sich nicht erweichen. Weil es ihm doch ernst ist?

„Ich weiß nicht, ob mir gerade überhaupt etwas an dir gefällt, Lee Cherry.“ Er stürmte die Verandastufen hinauf, zwängte sich an ihr vorbei zur Tür hinein und sah sich erstaunt um. „Was ist das hier? Ein Büro?“

„Sieht ganz so aus, oder?“

Er baute sich vor ihr auf, wirkte viel zu groß und stark, zu gesund und attraktiv in dem recht dunklen engen Raum. Forschend starrte er ihr in die Augen, bevor er den Blick zu ihren Lippen senkte, die plötzlich brannten. Beinahe schien es, als wollte er sie küssen. Ich liebe seine Art zu küssen …

„Du wohnst in einem Büro?“, fragte er erstaunt.

„Nein. In einem Apartment im ersten Stock.“

„Allein?“

„Mit meiner Schwester Mary-Jane, aber die ist gerade verreist“, antwortete sie zu ihrem Verdruss mit unsicherer Stimme.

Sein durchdringender Blick in ihre Augen erweckte in ihr das Bedürfnis, sich mit Geplapper abzulenken – von seinem faszinierenden Körper, seiner Persönlichkeit, seinem Zorn. „Es ist ein richtiges Zuhause, nicht bloß ein Notbehelf über dem Büro. Vier Schlafzimmer, Küche, Wohnzimmer, zwei Badezimmer. Früher haben wir alle hier gelebt.“

„Also du mit deinen Eltern und deinen beiden jüngeren Schwestern, die das Resort führen?“

Wie kann es was Ernstes mit uns gewesen sein, wenn du nicht mal meine Familienverhältnisse kennst? „Ich bin die Mittlere.“

Mac ignorierte die Korrektur. „Den Kaffee gibt’s also oben?“

Dass er sich alltäglichen Dingen zuwandte, erleichterte sie. „Richtig.“ Sie drehte sich um und ging voraus.

Er folgte ihr auf den Fersen und weckte lebhafte Erinnerungen an die gemeinsame Zeit in Aspen. Wann immer er dort hinter ihr eine Treppe hinaufgegangen war, hatte er ihr an den Po gefasst, sie zu sich umgedreht, sie geküsst und mehr …

Lee hatte beabsichtigt, die nette kleine Affäre mit einem sauberen Bruch zu beenden, bevor sich daraus eine chaotische komplizierte Beziehung entwickeln konnte. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Sie war darauf gefasst gewesen, ihn nie wiederzusehen. Doch nun war er da, und die Reaktion ihres Körpers verriet, dass sie trotz allem froh darüber war.

In der Küche bediente sie die hochmoderne Espressomaschine, die sie aus Aspen mitgebracht hatte, mit zitternden Händen, ohne ein Wort zu sagen. Sie spürte Macs Gegenwart mit jeder Faser ihres Seins.

Er versuchte nicht, das Schweigen zu brechen. Die Maschine begann zu zischen und zu gurgeln – die einzigen Geräusche im Raum.

Lee drehte sich um, und da stand er direkt vor ihr. Durch seine mächtige Gestalt wirkte die Küche noch kleiner als zuvor das Büro. Er lehnte seinen knackigen Po an die Spüle und faltete die muskulösen Arme vor der Brust – wie der Türsteher eines Nachtclubs.

In Aspen wäre sie zu ihm gegangen und hätte sich an ihn gehängt, um ihm einen Kuss zu entlocken. Und dann hätte eins zum anderen geführt, denn allein darum hatte sich ihre Beziehung gedreht.

Weißt du das nicht mehr, Mac? Wenn nicht, muss ich dich daran erinnern. Spontan trat sie ganz dicht zu ihm. Es war weder geplant noch vorsätzlich, es geschah einfach aus Gewohnheit und dem Wissen, dass er sie ebenso begehrte wie sie ihn, dass sie fantastisch zueinanderpassten. Sie zwängte die Finger unter seine verschränkten Unterarme und buddelte, bis er die Hände schließlich sinken ließ und sie seine Taille umschlingen konnte.

Sie presste sich an seine spürbar wachsende Männlichkeit und blickte ihm in die vertrauten wundervollen Augen. Es war ganz einfach, genau wie immer. Sie waren heiß aufeinander und fanden nichts daran auszusetzen. Zwischen ihren Körpern herrschte eine elektrisierende Affinität voller Sinnlichkeit, Verlangen, Vertrautheit. Sie waren einfach kompatibel.

Mac stieß ein Stöhnen aus. Trotz der deutlichen Regung in seinem Körper war er noch immer zornig. Sie sah es in seinen Augen und an dem verbissenen Zug um den Mund. Er zog sie näher und näher, bis ihre Brüste ihn berührten. Sie war nackt unter dem Bademantel; der Bindegürtel lockerte sich, der Stoff klaffte mehr und mehr auseinander.

Er senkte den Blick zu ihrem Dekolleté. Was er sah, gab ihm offensichtlich zu denken. Denn ihre Brüste, die ihm früher schon gefallen und endlose Zuwendung von ihm bekommen hatten, waren noch praller geworden.

Lee hob eine Hand und streichelte aufreizend, federleicht sein Gesicht. So gefiel es ihr. Zu wissen, wie sehr ihm nach ihr verlangte, und mit ihm zu spielen. Den Ablauf zu variieren. Ihn warten zu lassen oder gleich zur Sache zu kommen. Ihn maßlos anzustacheln und ebenso unerbittlich von ihm erregt zu werden.

Sie reckte sich und drückte ihm einen sanften Kuss auf den verkniffenen Mund. Er zeigte keine Reaktion. Also neigte sie den Kopf und wagte einen kleinen Vorstoß mit der Zunge.

Endlich erwiderte Mac den Kuss – nicht sanft und zärtlich, sondern heftig und beinahe grob. Er schloss sie fest in die Arme; seine Muskeln fühlten sich verkrampft vor Frust und Verlangen an.

Sein Dreitagebart kratzte ihre Haut. Natürlich fühlte es sich gut an. Sogar fantastisch. Er roch auch sehr verlockend. Sie küsste ihn voller Inbrunst, vergrub die Finger in seinem Haar, ließ die Zunge tiefer und tiefer vordringen und mit seiner spielen.

Gleich ziehe ich ihn aus, und er braucht gerade mal zwei Sekunden, um mir den Bademantel abzustreifen, und es endet wie immer …

Doch er drückte sie so fest an sich, dass sie die Hände nicht zwischen ihre Körper schieben konnte, um sein Hemd aufzuknöpfen. Er presste ihre nackten Hüften an den rauen Stoff seiner Jeans und schloss die Arme so fest um sie, dass es beinahe wehtat.

In ihren Augen vertrat er damit ihren Standpunkt, nicht seinen. Gib’s zu, Mac …

Unverhofft löste er den Mund von ihrem, zog ihre Hand von seinem Gesicht fort und schob ihre Hüften von sich. „Nein, verdammt! Ich lasse mich nicht darauf ein.“

Er packte die Aufschläge ihres Bademantels und schlug sie übereinander. Seine Knöchel streiften ihre Brüste. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie, dass sich seine Hände entspannen und über die dunklen Spitzen streichen würden. Doch dazu kam es nicht. Vielleicht hatte sie sich sein Verlangen danach nur eingebildet. Oder er gewann seine Willenskraft zurück.

Jedenfalls band er ihren Gürtel zu und stellte schroff fest: „Wir hatten noch nie Sex im Zorn, und ich werde jetzt nicht damit anfangen.“

Lee trat zurück. „Es muss ja nicht im Zorn sein.“ Er sah verdammt gut aus, und ihr Herz pochte verwirrend heftig. Sie war froh, dass er da war. Geradezu beängstigend glücklich. Das gefiel ihr gar nicht.

„Doch. Weil ich zornig bin.“

„Was kann ich dagegen tun?“ Sie holte tief Luft. „Und was bringt dich dazu, zu verschwinden?“ Damit ich mich wieder sicher vor meinen Gefühlen fühle.

Plötzlich sah er sehr, sehr müde aus. Sie fragte sich, wie lange er für die zweitausend Meilen gebraucht hatte. Die reine Fahrzeit betrug mindestens dreißig Stunden. War er zwei Tage oder drei unterwegs? Ist er nachts durchgefahren oder in einem Motel abgestiegen?

„Du willst, dass ich gehe?“, knurrte Mac.

Sie hob das Kinn. „Wenn du wütend bist, dann ja. Wenn wir nicht in Ruhe miteinander reden können, sondern uns nur gegenseitig Vorwürfe machen, ist es besser, wenn du gehst. Meinst du nicht?“

„Ich bleibe.“

„Du willst alles durchkauen?“

„Was ich will, ist …“ Er hielt inne.

Sie wartete.

„Inzwischen hatte ich Zeit zum Nachdenken. Die hast du mir vorher nicht gelassen.“

„Du hast nie darum gebeten oder mir auch nur den geringsten Anhaltspunkt dafür gegeben, dass du Zeit brauchst.“

„Weil ich unter Schock stand. Du ahnst ja nicht … Du kannst nicht wissen … Du hattest vier oder fünf Tage Vorsprung, um die Situation zu verarbeiten. Es war total unfair von dir zu erwarten, dass ich auf Anhieb damit klarkomme. Vielleicht habe ich nicht das Richtige gesagt, aber ich denke, das hast du auch nicht getan.“

„Ich habe mich bemüht.“

„Ich auch.“

Sie starrten einander an. Er zerrte an seinem Hemdkragen, als wäre er zu eng. Sein Nackenhaar verfing sich in dem blauen Stoff. Spontan kämmte sie es mit den Fingern, bis es in ordentlichen Wellen gut fünf Zentimeter über den Kragen hing. Sie liebte sein Haar. Und es gefiel ihr, dass er sie gewähren ließ.

„Dann sag mir, was du denkst“, forderte sie ihn auf.

Er holte tief Luft. „Ich will, dass wir es miteinander versuchen.“

Lee wusste nicht, was er damit meinte. Womit versuchen? Mit Sex? Haben wir das nicht getan? Ist das nicht das ganze Problem? „Was meinst du damit?“

„Ich ziehe hierher. Korrektur: Ich bin hierhergezogen.“

„Wie bitte?“

„Ich habe alles mitgebracht, was ich zum Leben brauche. Ist nicht viel. Ich packe aus, sobald wir den Kaffee getrunken haben.“

„Du packst aus?“

Seine Stimmung – wie sollte sie es am besten beschreiben? – schlug um, wechselte die Farbe wie ein Edelstein im Licht. Der schwarze Obsidian des Zorns bekam einen leuchtend weißen Schimmer. „Hast du nicht gesagt, dass diese Wohnung vier Schlafzimmer hat?“

2. KAPITEL

Colorado, drei Monate zuvor

Vielleicht hätte ich doch über Weihnachten nach Hause fahren sollen …

Die Familie Narman würde die Feiertage in ihrem luxuriösen Ferienhaus in Aspen verbringen, was bedeutete, dass Haussitterin Lee sich am Heiligabend um nichts und niemanden kümmern musste. In diesem Punkt waren ihre Arbeitgeber sehr großzügig; sobald die Narmans da waren, hatte Lee frei. Als Gegenleistung bemühte sie sich, deren Erwartungen zu übertreffen, und hielt das Anwesen gewissenhaft in Schuss.

Da die Familie nur wenige Wochen im Jahr vor Ort verbrachte, war es ein sehr angenehmes Übereinkommen für Lee, zumal sie vom unmittelbaren Zugang zu den Skipisten der Aspen Highlands profitierte.

Diesmal war ein Aufenthalt von zehn Tagen geplant, von kurz vor Weihnachten bis nach Neujahr. Die Narmans hatten unzählige Gäste mitgebracht. Es war erst sechs Uhr abends, doch schon drang Partylärm bis in das kleine Hausmeisterapartment im Untergeschoss. Schritte polterten auf den Holzdielen, Türen knallten, Kinder schrien, Gelächter und Musik dröhnten, Wasser rauschte durch die Rohre in der Decke.

Leider war zu befürchten, dass die Feier noch eine ganze Weile andauern würde. Lee bemühte sich, den Krach zu ignorieren. Sie versuchte zu lesen. Vergeblich. Sie schaltete den Fernseher ein und fand keine Sendung, die sie interessierte.

Eigentlich hatte sie geplant, sich bei einem ausgedehnten Bad zu entspannen und es sich anschließend mit einem Buch und einem Glas Wein gemütlich zu machen.

„Das wird nicht klappen“, murmelte sie vor sich hin. Weil sie allein lebte, neigte sie manchmal zu Selbstgesprächen. Das fand sie nicht weiter schlimm. Dagegen war ihre Enttäuschung darüber, dass ihr geruhsamer Abend ins Wasser fiel, höchstwahrscheinlich bedenklich. Vielleicht hätte ich wirklich nach Hause fahren sollen …

Vor knapp vier Wochen hatte ihr Exverlobter Tucker angerufen und praktisch um Erlaubnis gebeten, ihre kleine Schwester Daisy heiraten zu dürfen. Lee wusste die Geste zu schätzen. Sie verspürte nicht den geringsten Wunsch, mit ihm zusammen zu sein, geschweige denn ihn zu ehelichen. Immerhin waren zehn Jahre seit ihrer Trennung vergangen. Trotzdem erschien ihr die Situation ein wenig seltsam.

Aber bloß manchmal ein klitzekleines bisschen. Meistens freute sie sich darüber, dass die beiden so glücklich verliebt waren. Dennoch hatte sie beschlossen, in diesem Jahr ausnahmsweise nicht zu Weihnachten, sondern erst im März zur Hochzeit nach Hause zu fahren.

Somit war sie nun am Heiligabend ganz allein. Am Fenster stand ein kleiner Christbaum mit einigen hübsch verpackten Geschenken darunter, und am ersten Weihnachtstag war sie mit Freunden zum Essen verabredet. Trotzdem …

Sie war dreiunddreißig Jahre alt. Sie lebte allein, und das gefiel ihr. Vielleicht zu sehr. Womöglich bin ich in eine Tretmühle geraten.

„Okay, ihr habt gewonnen“, sagte sie zu der Narman-Horde über sich. „Ich gehe aus.“

Statt des langen Bades nahm sie eine schnelle Dusche. Sie schlüpfte in eine enge schwarze Hose und ein weihnachtlich funkelndes Top, schminkte sich dezent und legte glitzernde Hängeohrringe an. In schwarzen Stiefeln mit Blockabsätzen und dickem schwarzem Wintermantel verließ sie das Haus und stapfte eine halbe Meile durch den Schnee zur Waterstreet Bar, ihrem Lieblingstreff in Aspen.

Niemand war da. Nun, der Gastraum war voll, aber nur von Touristen. Einheimische waren nicht in Sicht. Kein Skilehrer, kein Bergführer, kein Personal aus dem Gastgewerbe, keine Langzeiturlauber, die selbst während der ruhigeren Sommermonate anzutreffen waren. Offensichtlich hatten ihre Freunde und Bekannten etwas Besseres zu tun, als in einer Kneipe abzuhängen.

Lee ging zum Tresen und bestellte ein helles Bier und gebackene Hühnerflügel mit Sauerrahm.

Der Barkeeper war Saisonarbeiter, kam ihr jedoch vage bekannt vor. Wahrscheinlich hatte sie ihn auf den Pisten gesehen oder vielleicht sogar unterrichtet. Sie hoffte, dass sie sich ein bisschen mit ihm unterhalten konnte, um sich die Zeit zu vertreiben.

Doch er war anderweitig beschäftigt und außerdem zu jung für sie, wie sich bald herausstellte. Zum Plaudern bevorzugte er jugendliche Skihäschen oder reiche Touristinnen, die es auf Kurzzeitaffären abgesehen hatten. An einer hart arbeitenden Ortsansässigen Anfang dreißig, die eher athletisch als feminin und markant statt wunderschön aussah, zeigte er kein Interesse.

Seufzend straffte Lee die Schultern und schüttelte den Kopf, sodass die glitzernden Weihnachtsbaum-Ohrringe in Rot, Grün und Gold heftig baumelten und sie am Hals kitzelten.

Der jugendliche Barkeeper servierte ihr das Bier; sie bedankte sich und schlug ihn sich aus dem Kopf.

„Hübsche Ohrringe“, bemerkte jemand in der Nähe.

Sie drehte sich um und sah einen fremden Mann in einem schwarzen T-Shirt auf dem Hocker neben sich sitzen. „Oh, danke.“

Er grinste sie an. „Falls Sie sich fragen, ob sie im Licht funkeln, lautet die Antwort: wahnsinnig. Ich bin total geblendet.“

Sie erwiderte sein Grinsen. „Sie haben mich erwischt. Ich tue es extra. Ich liebe es, Leute zu blenden.“

„Hat ja auch keinen Sinn, Weihnachtsbäume zu tragen, wenn niemand sie bemerkt, oder?“

„Stimmt genau.“

Der Barkeeper stellte zwei Portionen Hühnerflügel mit Sauerrahm auf den Tresen – eine vor Lee und eine vor den Ohrringbewunderer.

„Erstaunlich“, murmelte der Fremde.

„Ein unglaublicher Zufall“, stimmte sie sarkastisch zu, denn auf dem Speiseplan am Tresen standen gerade einmal drei Gerichte. Wenn man etwas Erleseneres als Hühnerflügel, Nachos oder Pommes essen wollte, musste man sich nach nebenan in den Gastraum begeben, wo vornehm eingedeckte Tische standen.

„Nicht jeder steht auf Sauerrahm“, gab er zu bedenken. „Das reduziert die Chancen der Übereinstimmung auf sechs zu eins. Und wenn man das Bier dazurechnet …“

Nun erst fiel ihr auf, dass sie dieselbe Marke aus einer ortsansässigen Mikrobrauerei tranken. Das war allerdings ein bemerkenswerter Zufall, da die Waterstreet Bar voller Stolz sechsundfünfzig verschiedene Sorten anbot.

Apropos Zufall: Der Mann mochte ihr unbekannt sein, nicht aber die rote Skijacke mit den gängigen Logos des Skiorts, die über der Lehne seines Barhockers hing. Genau die gleiche hing bei ihr zu Hause. „Sie arbeiten auch hier“, stellte sie fest und verspürte Erleichterung, weil sie einen Verbündeten in ihrem Alter gefunden hatte.

„Ja, in der Skischule. Seit drei Tagen.“

„Ich auch. Allerdings schon seit sieben Jahren.“

„Dann bin ich also in die richtige Bar gekommen.“

„Das hängt davon ab, nach welcher Sorte Sie gesucht haben.“

„Na ja, wenn Sie hier seit sieben Jahren leben und dieses Lokal ausgewählt haben, kann es keine reine Touristenfalle sein.“

„Das stimmt allerdings. Hier ist es vielen Urlaubern nicht exklusiv genug.“

„Mir gefällt’s hier. Nettes Publikum.“

Doch er musterte nicht die Leute im Allgemeinen, sondern nur Lee.

Irgendetwas sprang zwischen ihnen über. Etwas, das sie lange nicht verspürt hatte und doch auf Anhieb wiedererkannte. Dass es so schnell, stark und instinktiv geschah, beunruhigte sie. Deshalb suchte sie hastig nach einer Möglichkeit, sich davon abzulenken. „Sie sind neu hier im Ort, und niemand führt Sie herum?“

„Ich hatte heute verspätet Feierabend. Eine Frau aus meiner Gruppe ist oben auf dem Berg gestürzt und in Panik geraten. Everard – ein Kollege …“

„Ich kenne ihn. Ein netter Kerl“, warf sie ein.

„Stimmt. Er hat meine restliche Gruppe übernommen. Ich habe eine Dreiviertelstunde gebraucht, um die Frau ins Tal zu schaffen. Als wir unten angekommen sind, waren alle außer Everard weg, und der hatte es eilig, nach Hause zu seiner Frau zu kommen. Meine ängstliche Lady wollte mich unbedingt auf einen Drink einladen, den wir beide nötig hatten. Aber das Lokal war nicht nach meinem Geschmack. Also habe ich sie … nun ja … verabschiedet und nach etwas Ausschau gehalten, das mir besser gefällt.“

„Und? Haben Sie es gefunden?“

„Allerdings.“

Erneut waren die Funken zwischen ihnen zu spüren und raubten Lee die Sprache. Einbildung? Das glaubte sie nicht. Er schien es nicht eilig zu haben, das plötzliche Schweigen zu füllen. Nun, es war ja auch bereits gefüllt – nur nicht mit Worten. Er nahm einen Schluck Bier und blickte sie über das Glas hinweg an. Seine Augen wirkten geheimnisvoll dunkel im Gegensatz zum weißen Schaum.

Soll ich mich auf ihn einlassen?

Es ging zu schnell. So etwas tat sie nie. Ihr letztes Verhältnis lag drei Jahre zurück und hatte nur ein paar Monate angedauert. Und davor? Fast zwei Jahre solo. Konnte sie tatsächlich nur zwei Geliebte in fünf Jahren aufweisen? Noch dazu zwei lahme zahme Männer in lahmen zahmen Kurzzeitaffären, die von Anfang an weder vielversprechend noch befriedigend gewirkt hatten. Diesmal allerdings … Was? Bist du wirklich so schnell bereit? Was weißt du schon von ihm?

Eigentlich sehr viel. Sie wusste, was er in Sachen Snacks bevorzugte, womit er sich seine Brötchen verdiente, dass er neu in der Stadt war und um sieben Uhr am Heiligabend allein eine Bar aufsuchte. Aber ist eine Affäre mit einem einsamen Skilehrer wirklich das, was mir vorschwebt? Warum eigentlich nicht?

„Und warum haben Sie sie …“, sie ahmte seinen Tonfall nach, „… nun ja … verabschiedet?“

Er zuckte die Schultern. „Sie war an einem ausgedehnten intimen Abend interessiert. Ich nicht.“

„Warum nicht? Hat sie Ihnen denn gar nicht gefallen?“

„Sie ist ganz nett und hübsch. Aber nein, nicht mit einer Kundin.“

Eine Handvoll Worte, die sehr viel über seinen Charakter verrieten. Er hatte eine attraktive Frau abblitzen lassen, weil er nach bestimmten Prinzipien lebte. Andernfalls könnte er bei seinem Aussehen bestimmt jede Nacht eine andere Bettgefährtin haben.

„Und Sie?“, fragte er ganz leise und schuf damit eine sehr vertrauliche Atmosphäre zwischen ihnen.

Lee schüttelte den Kopf. Auch sie ließ sich nicht mit Kunden ein und erst recht nicht mit Kollegen, denn das konnte zu noch größeren Verwicklungen führen. Warum spiele ich dann überhaupt mit dem Gedanken? Ich kenne ja nicht mal seinen Namen.

„Ich bin übrigens Mac Wheeler“, verkündete er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Nenn mich Mac.“

„Lee Cherry.“ Sie schüttelte ihm die Hand. „Lee reicht.“

„Ich habe deinen Namen auf dem Anschlagbrett im Büro gesehen. Demnach haben wir morgens dieselben Meetings besucht. Trotzdem erinnere ich mich nicht, dich gesehen zu haben.“

„Es ist eben eine sehr große Skischule.“

„Und ich muss hier erst mal Fuß fassen. Die Stadt und die Leute sind mir noch fremd. Außerdem habe ich längere Zeit nicht unterrichtet.“

„Wieso nicht?“

„Ich war in der Verwaltung tätig.“

„Aha. Und warum jetzt nicht mehr?“

„Ich war in einer persönlichen Angelegenheit nicht einer Meinung mit dem Boss und habe ihm im falschen Moment den Fehdehandschuh hingeworfen. Nicht, dass ich es bereue. Ich hatte keine andere Wahl.“

„Den Fehdehandschuh hingeworfen?“ Lee schmunzelte. „Ist das echt deine Art zu reden?“

„Ich lese gerade einen ganz dicken historischen Fantasyroman, und das Vokabular färbt allmählich auf mich ab. Wenn dir die schlichte Version lieber ist: Ich habe gekündigt, weil … Das verrate ich dir erst, wenn wir uns näher kennen.“

„Ja, wenn …“, entgegnete sie nachdrücklich.

Er grinste. „Falls wir uns näher kennenlernen“, korrigierte er sich in kleinlautem Ton, obwohl er eigentlich nichts Kleinlautes an sich hatte.

Sie hielten drei Stunden in der Bar durch – beeindruckend lange. Der weitere Verlauf des Abends stand längst fest, doch damit hatten sie es nicht eilig. Sie teilten sich noch eine Portion Hühnerflügel mit Pommes und tranken noch ein Bier, bevor sie zu Soda wechselten.

Wie sich herausstellte, kam er aus Coeur d’Alene in Idaho. Dort war seine Mutter Lehrerin, sein Vater bei der Stadtverwaltung. Er hatte eine Schwester, die mit Ehemann und zwei Kindern ebenfalls dort lebte.

Lee steuerte die elementaren Fakten ihrer Biografie bei. Sie stammten aus weit entfernten Ecken des Landes, trotzdem gab es Übereinstimmungen.

Beide waren in Urlaubsregionen aufgewachsen, in denen Seen und Berge zu den Hauptattraktionen zählten. Beide hatten in ihrer frühen Kindheit das Skifahren erlernt und es zum Beruf gemacht. Allerdings hatte Mac Management studiert und war von der Piste ins Büro gewechselt.

Im Laufe des Gesprächs fragte er: „Darf ich dich nach deiner Haut fragen? Oder stört es dich?“

Unvermittelt wurde Lee sich der Narbe bewusst, die von der linken Kieferpartie über den Hals bis zur Schulter verlief. Normalerweise hielt sie die Entstellung unter hochgeschlossener Kleidung versteckt. Doch dem ausgeschnittenen Glitzertop mit dem lustigen Weihnachtsmotiv hatte sie nicht widerstehen können. „Inzwischen stört es mich nicht mehr besonders. Es war ein Küchenunfall. Ein Schwall heißes Öl. Vor fast elf Jahren.“

„Muss verdammt wehgetan haben.“

„War halb so schlimm. Die haben mir im Krankenhaus nette Drogen gegeben.“

Er lachte. Damit war das Thema erledigt, und sie gingen zum nächsten Punkt in ihrer Biografie über.

Doch wem machte sie etwas vor? Sie mochten diese nüchternen Fakten abhaken, doch was wirklich zählte, waren ganz andere Dinge, die hinter dem Gespräch abliefen. Wie sich ihre Schultern streiften, als Mac nach seinem Glas griff, und wie sie sich zu ihm neigte, anstatt zurückzuweichen. Wie verklärt sie einander anlächelten und wie der Lärm in der Bar in den Hintergrund geriet.

Je lauter es ringsumher wurde, umso mehr zogen sie sich in einen privaten kleinen Kokon zurück, mussten sie doch noch näher zueinanderrücken, um den anderen zu verstehen. Sie fühlten sich wohl miteinander und waren sich auf Anhieb vertraut.

Er war es, der es schließlich ansprach. Nur wenige Zentimeter von ihren Lippen entfernt, murmelte er: „Wollen wir von hier verschwinden?“

„Unbedingt.“

„Wohin?“, fragte er, während sie sich einen Weg zwischen den voll besetzten Tischen zum Ausgang bahnten.

Er hielt sich dicht hinter ihr, ohne sie besitzergreifend zu berühren, wie manch anderer Mann es getan hätte. Ihr gefiel, dass er die Hände bei sich behalten konnte.

Draußen in der verschneiten Dunkelheit schlug Lee vor: „Zu mir?“

Er nickte. „Da ist es garantiert gemütlicher als bei mir. Ich habe noch nichts Anständiges gefunden und schlafe auf der Couch eines Freundes.“

„Demnach bist du wohl sehr überstürzt hergekommen.“

„Stimmt. Ich kann nicht gut mit ungerechtfertigten Beschuldigungen umgehen.“

„Inwiefern?“

„Der Boss glaubt, dass ich seine Frau angebaggert habe. Was nicht stimmt.“

„Glaubt sie es denn auch?“

„Nein. Aber sie hat ihm erst gesagt, dass er sich irrt, nachdem er auf mich losgegangen war. Da war es schon zu spät. Er wollte es nicht gut sein lassen und hätte mich jede Sekunde auf dem Kieker gehabt. Deshalb war es besser, mich aus dem Verkehr zu ziehen.“

„Aber das hat dir das Leben irgendwie versaut.“

„Ich werde es schon wieder auf Kurs bringen.“

Lee glaubte es ihm, denn er klang sehr überzeugend. Er war ein Mann, der eine stille Zuversicht in seine eigene Identität und Stärke ausstrahlte.

Vielleicht liegt es daran … dass sie einen Beinahe-Fremden in ihr Apartment einlud. Dass sie keine Bedenken hegte. Dass sie ihn begehrte.

Die Sohlen ihrer Stiefel knirschten auf den verharschten Straßen.

Nach einer Weile bemerkte Mac: „Du wohnst anscheinend in einem sehr vornehmen Viertel.“

„Stimmt.“

Hinter der nächsten Straßenecke kam das Narman-Anwesen in Sicht. Es war hell erleuchtet und sah ganz nach den elf Millionen Dollar aus, die es wert war.

Sie steuerte auf die Auffahrt zu, er blieb wie angewurzelt stehen und fragte verblüfft: „Etwa hier?“

„Ja, aber …“

Entsetzt starrte er Lee an, als wären ihr drei Köpfe gewachsen. „Ich dachte, du wärst Skilehrerin.“

„Das bin ich ja auch. Ich wohne hier, aber es gehört nicht mir. Himmel, ich würde mir so ein Anwesen nicht mal wünschen. Ich bin bloß Haussitterin.“

„Haussitterin?“

„Genau. Hauswartin. Hausmeisterin. Mädchen für alles. Ich habe ein winziges Apartment im Untergeschoss, wo ich aufs Engste mit dem Wasserfluss in den Rohrleitungen vertraut bin.“ Sie grinste ihn frech an. „Was du auch bald sein wirst.“

Er lachte laut auf. „Du bist haargenau mein Typ, Lee.“

3. KAPITEL

Lee und Mac stapften zum Seiteneingang, wo sich der Schnee, den sie vor drei Tagen von den Stufen geschaufelt hatte, zu beiden Seiten meterhoch auftürmte wie glitzernde blau-weiße Wände.

Im Erdgeschoss standen die Fensterläden offen; die ausschweifende Party der Narmans war noch voll im Gang.

„Bist du für die Aufräumungsarbeiten zuständig?“, fragte er.

„Nicht persönlich, aber ich muss gleich morgen früh jemanden beauftragen.“

„Wirst du denn an Weihnachten jemanden finden?“

Sie schloss die Tür auf. „Ich habe gute Absprachen mit lokalen Firmen getroffen. Raumpfleger, Caterer, Handwerker, Lieferanten – alle wissen, wie es hier läuft und dass die Narmans gut zahlen.“

Die Wirklichkeit holte Lee ein, sobald er ihr in die Wohnung folgte. Sie ließ einen Mann in ihre Privatsphäre, von dessen Existenz sie vor vier Stunden, als sie aus ihrem gemütlichen Nest gekommen war, nicht einmal geahnt hatte. Für einen Moment geriet sie in Panik und wusste nicht, wie sie es anfangen sollte. Ihm etwas anbieten? Was zu ihm sagen? Ihn berühren und …?

Du musst gehen. Ich hab’s mir anders überlegt. Ich tue so was nicht. Mit einer Abfuhr auf der Zunge drehte sie sich zu ihm um.

Doch wie sie ihn so dastehen sah, die Hände tief in den Taschen der vertrauten roten Skijacke vergraben, überfiel sie ein Schwall von Ruhe. Falls Ruhe sich in dieser Form einstellen kann …

Mac stürzte sich nicht auf sie. Er schielte nicht lüstern nach ihr. Er sah sich einfach nur ganz gelassen um, musterte die Bücherregale und die aufgeräumte Küche, in der eine teure Espressomaschine den einzigen Luxus darstellte.

„Ich verstehe, dass du allein wohnst“, bemerkte er. „Hier ist ja kaum Platz für zwei.“

„Für mich ist es gerade recht. Ich bin den ganzen Tag auf der Piste. Da ist es schön, am Abend nach Hause in ein warmes Kaninchenloch zu kriechen.“

„Das kann ich mir denken. Aber bist du nicht einsam?“

„Nein, mir gefällt es so. Und du?“

„Wie oder wo ich hier unterkommen werde, weiß ich noch nicht. Bisher war ich in einer sehr angenehmen WG mit zwei Jungs, die nicht total versaut sind, aber auch nicht mehrmals am Tag staubsaugen müssen.“

„Solche gibt es? Wirklich?“

Er lachte und spähte durch die offene Schlafzimmertür zu dem Doppelbett mit unzähligen bunten Seidenkissen und einer dicken Daunendecke.

Lee hasste es, in einem warmen Raum zu schlafen, weshalb sie die Heizung abends immer abschaltete. Aber sie liebte es, sich unter eine warme Decke zu kuscheln. Heute Nacht ist es wohl anders. Da muss die Decke vielleicht gehen und die Luft warm sein …

Mac beendete die Wohnungsbesichtigung und blickte Lee an. „Tolle Kaffeemaschine.“

„Macht tollen Kaffee.“

„Möchtest du vielleicht jetzt einen zubereiten?“, schlug er vor.

„Gern. Hilfst du mir?“

Ihr gefiel, dass er genauso nervös war wie sie selbst, dass er den Dingen ihren Lauf lassen und sich Zeit nehmen wollte.

Er folgte ihr in die Küche. „Also, was muss ich machen?“

„Becher aussuchen. Da drüben vom Regal oder von den Haken.“

„Du traust mir den technischen Teil nicht zu?“

„Das ist ein Einmannjob.“ Den sie mit dem Rücken zu ihm ausführte, während sie ihn mit den Bechern klimpern hörte.

„Du hast zu viele Becher für eine Küche dieser Größe, würde ich meinen.“

Sie besaß mindestens sechzig, die ein ganzes Regal und eine halbe Wand einnahmen. „Ich sammle sie nun mal.“

„Buchdeckel – interessant.“

Lee drehte sich um und stellte fest, dass er zwei ausgewählt hatte, die ihr besonders gut gefielen.„Penguin Classic Paperbacks. Die Originaldesigns.“

„Warum gerade die?“ Er musterte das lila-weiße Titelbild von Virginia Woolfs Ein eigenes Zimmer und das grün-weiße von Agatha Christies Die Tote in der Bibliothek.

„Ich habe noch andere. Zum Beispiel Stolz und Vorurteil und Große Erwartungen. Trotzdem gibt es unglaublich viele dieser Serie, die mir noch fehlen.“

„Du liest die Bücher nicht, sondern kaufst einfach die Becher?“

„Nein. Ich kaufe nur diejenigen, die ich gelesen habe.“

„Man darf nicht aus einem Becher trinken, wenn man das entsprechende Buch nicht gelesen hat? Ist das ein unumstößliches Prinzip?“

Eigentlich nicht, aber eine nette Idee. Sie grinste. „Genau. Was das angeht, bin ich sehr streng mit meinen Gästen.“

„Dann muss ich einen anderen Einband aussuchen. Hoffentlich habe ich Glück.“ Er ließ den Blick über das Regal schweifen. „Ich will echt nicht aus einem Porzellanfrosch oder einem Korb mit Kätzchen trinken müssen, während du mit Virginia Woolf auf intellektuell machst. Aha, sehr gut!“ Er nahm George Orwells 1984 in Orange und Weiß von einem Wandbrett.

Damit endete das Gespräch vorläufig.

Die Espressomaschine war noch nicht richtig aufgeheizt. Eine Etage höher wechselte jemand die Musikrichtung. Der Rhythmus der polternden Tanzschritte änderte sich, der Lärm blieb gleich stark.

Lee und Mac blickten einander abwägend an.

Schließlich trat er näher. Sehr nahe. Nun, die Küche war ja auch winzig. „Wir waren mit deiner Narbe noch nicht ganz fertig. Stört es dich, wenn man sie anfasst?“

„Mittlerweile nicht mehr. Früher schon.“

Er nickte und berührte sie sanft an der Schulter.

Ihr gefiel, dass er das Thema ansprach, anstatt es totzuschweigen. Und ihr gefiel, dass er es kurz und nüchtern abhakte, ohne nichtssagende Bemitleidungen.

„Es ist gut so“, sinnierte er. „Findest du das nicht auch?“

Er erläuterte nicht, was es war, doch sie glaubte es zu wissen. Die Art, in der sie miteinander redeten. Die Unbefangenheit, in der sie sich einander annäherten. Der ungezwungene Umgang mit gelegentlichen Gesprächspausen.

„Stimmt“, bestätigte sie.

Sie spürte deutlich emotionale Schwingungen zwischen ihnen und ließ sich darauf ein. Sie waren sich inzwischen sehr, sehr nahe. Ihre Schenkel berührten seine, und ihre Brüste wären an seine Brust gestoßen, hätte sie sich nicht ein wenig zurückgebeugt. Einerseits drängte es sie, sich an ihn zu lehnen, andererseits wollte sie nichts überstürzen.

Er strich ihr mit einem Finger über den Mund, beugte sich zu ihr und kostete flüchtig von ihren Lippen. „Es wird bestimmt sehr nett“, murmelte er.

Ihr gefiel, dass er ein so schlichtes Wort wählte. Er versprach ihr nicht, ihre Welt aus den Angeln zu heben. Als kleines Dankeschön für seine Bodenständigkeit küsste sie ihn. Ein wenig länger und gefühlvoller. Dann verkündete sie: „Die Maschine ist fertig.“

„Gut.“ Er schob ihr Virginia Woolf und George Orwell zu. „Gieß ein.“

Sie wärmte die Becher mit heißem Wasser vor, ließ die starke dunkle Flüssigkeit hineinrinnen und schäumte Milch auf.

Sie tranken den Kaffee gleich in der Küche. Im Stehen, Arm in Arm an den Unterschrank gelehnt.

„Der ist wirklich gut“, lobte Mac.

„Ich weiß. Ich muss mich zwingen, nicht zu viel zu trinken. Der hier wird mich die halbe Nacht wach halten.“

„Was meiner Meinung nach gut ist. Mir gefällt die Idee, dass du munter bleibst.“

„Das dürfte das Ereignis allerdings aufwerten.“

Ein wenig später bemerkte er: „Du hast Schaum an der Oberlippe.“

„Oh.“ Lee wischte sich mit einer Hand über den Mund.

„Das hättest du nicht tun sollen. Ich wollte ihn wegküssen.“

„In Wirklichkeit war da gar keiner.“

„Oh doch. Aber du hast ihn entsorgt. Sehr traurig.“

„Du brauchst nicht wirklich einen Vorwand, um mich zu küssen, oder?“

„Stimmt auch wieder.“ Er nahm ihr den leeren Becher ab, stellte ihn zusammen mit seinem beiseite und schloss sie in die Arme.

Sie küssten sich ausgiebig – scheinbar ewig. Bis Lee ganz schwach wurde, sich ihr Blick verschleierte, ihr Puls vor Erregung raste.

Nie zuvor hatte sie solche Küsse erlebt. So intensiv und bedächtig. So heiß und innig. So sinnlich und perfekt. So durch und durch eine Ganzkörpererfahrung.

Mac ließ sich deutlich anmerken, dass er es ebenso wenig eilig hatte wie sie. Beinahe schien es ihr, als hätte in Sachen Erotik nie jemand etwas erfunden, das über Küsse hinausging. Vielleicht ging es allein darum und um nichts anderes. Vielleicht war es das A und O, der Höhepunkt.

Oder vielleicht auch nicht …

Schließlich hob er den Kopf und murmelte: „Mir scheint, da oben ist es ruhig geworden.“

Sie lauschte über das Klopfen ihres Herzens hinweg. Die Musik war verstummt. Weder Gelächter noch Geschrei waren zu hören, nur vereinzelte Schritte und leise Stimmen. „Ich dachte, sie würden länger durchhalten. Wie spät ist es?“, fragte sie rau.

Er spähte über ihre Schulter zur Uhr in der Mikrowelle. „Mitternacht. Genauer gesagt, zwanzig nach.“ Auch seine Stimme klang belegt, als hätte die Küsserei ihre Stimmbänder angegriffen.

Lee bemühte sich, nüchtern zu denken. „Bestimmt ist so früh Schluss, weil morgen Weihnachten ist. Da sind Kinder zu Besuch, die noch an den Weihnachtsmann glauben. Die Eltern wollen wahrscheinlich die Geschenke unter den Baum legen, bevor die Kleinen im Morgengrauen aufwachen.“

„Weihnachten ist heute“, korrigierte er.

„Ach ja, nach Mitternacht.“

„Also dann … Fröhliches Allerlei!“ Er lächelte sie an.

„Fröhliches was?“

„Das lasse ich offen. Weihnachten an sich rangiert bei mir momentan nicht ganz oben. Also hoffe ich, dass sich sehr bald andere fröhliche Dinge ereignen.“

„Nun, dann auch dir ein fröhliches Allerlei.“

„Bisher ist es ziemlich fröhlich.“ Er küsste sie erneut, bevor er flüsterte: „Du hast den besten Mund … und den besten Körper.“

„Du bist auch nicht schlecht.“

„So läuft das bei dir?“ Mac täuschte Enttäuschung vor. „Ich sage dir, dass du die Beste bist, und du sagst mir, dass ich nicht schlecht bin?“

„Es ist doch kein Wettkampf.“

„Trotzdem will ich gewinnen.“

„Ich auch.“

„Wetten, dass ich es schaffe, dich auszuziehen?“

„Nicht, wenn ich es zuerst tue.“

„Auch wenn du noch so gern gewinnst, diesmal klappt es nicht.“ Unverhofft, mit einer geschmeidigen Bewegung, streifte er ihr das Top ab.

Und weil er dabei vorsätzlich über die üppigen Rundungen ihrer bereits erregten Brüste strich und ihr den Atem raubte, vergaß sie den Wettkampf. Es fühlte sich einfach zu schön an.

Federleicht streichelte er ihren Rücken und versuchte damit zu kaschieren, dass es ihm nicht gelingen wollte, ihren BH zu öffnen.

„Diesmal gewinne ich“, prophezeite Lee triumphierend, denn sie kannte die Tücken der Häkchen.

Sekunden später glitten die Träger von ihren Schultern, und ihre üppigen Brüste drängten sich förmlich in seine gierigen Hände.

„Mmh, so schön.“ Er streichelte sie ausgiebig, beugte sich schließlich vor und kostete.

Ein elektrisierendes Prickeln lief blitzschnell bis in ihr Zentrum. So oben ohne dazustehen, während Mac noch voll bekleidet war, war für Lee äußerst erotisierend. Erst nach einer ganzen Weile wurde sie ungeduldig und streifte ihm schnell das schwarze T-Shirt ab. Seine nackte Brust fühlte sich straff und heiß an, als sie ihre Brüste an ihn presste, und sie stöhnte unwillkürlich auf.

„Bett?“, fragte er.

„Ja.“

Unterwegs streiften sie sich Schuhe, Jeans und Unterwäsche ab. Es war dunkel im Schlafzimmer; nur die Tischlampe im Wohnbereich warf einen goldenen Schein hinein.

„Nun denn“, murmelte er, und Lee trat erneut in seinen betörenden Wirkungskreis.

Er umschmiegte ihren Po, und sie stand sekundenlang reglos da und gab sich mit geschlossenen Augen ganz dem maskulinen Duft seiner Haut hin, dem intimen Kontakt ihrer nackten Körper, seinen streichelnden Lippen auf den Rundungen ihrer Brüste.

Es war wunderschön. Heiter und innig und sinnlich. Wie sie zusammen auf das Bett fielen, wie er sich über ihr auf die Ellbogen stützte und sie spüren ließ, wie bereit er für sie war.

„Sag mir, was du willst“, bat er leise.

„Ach, nichts übertrieben Ausgefallenes“, erwiderte sie im Scherz.

Mac nahm sie ernst. „Wirklich nicht?“

„Wieso? Du denn?“

„Diesmal nicht. Wir sollten Raum für Steigerungen lassen.“

„Wir können ja ganz simpel anfangen.“

„Genau“, stimmte er zu.

Sie lächelte ihn im schwachen Lichtschein an. Manche Leute nennen es abwertend Blümchensex, aber Blümchen sind doch ganz reizend.

Das Gewicht und die Hitze seines Körpers, der zwischen ihren gespreizten Schenkeln ruhte, der muskulöse Brustkorb, den sie umschlungen hielt – all das wirkte berauschend. Es brauchte keinen Einfallsreichtum oder Erfindergeist, keine Requisiten oder Rollenspiele oder Gymnastikübungen. Jedenfalls nicht in dieser Nacht. Nicht beim ersten Mal.

Denn Lee spürte instinktiv, dass es das erste, nicht das einzige Mal war, und auch er schien es zu wissen.

Er rollte sich mit ihr herum, bis sie oben lag; sie richtete den Oberkörper auf, damit er ihre Brüste nach Herzenslust mit Händen und Lippen erforschen konnte.

Begierig übersäte er sie mit Zärtlichkeiten, streichelte und massierte, saugte an den harten Spitzen mit seinem heißen Mund. Überall bedeckte er ihren Körper mit Liebkosungen, auch an ungewöhnlichen Stellen.

Als er in sie eindrang, war sie längst feucht und schlüpfrig; seine Stöße ließen sie vor Ekstase aufschreien. Der Höhepunkt nahte wie aus dem Nichts, von all den aufreizenden Streicheleinheiten.

Abrupt zog Mac sich mit einem leisen Fluch zurück. „Was haben wir vergessen?“

Sie verstand. „Mist! Ich habe welche …“

„Gut, denn ich habe keine.“

„… sofern sie nicht abgelaufen sind.“

„Hoffentlich nicht! Andererseits bin ich froh, dass sie es sein könnten.“

„Wieso das denn?“

Er drückte sie an sich und bettete sich ihren Kopf auf die Schulter. „Weil ich froh bin, dass du …“, seine Stimme klang schroff, „… na ja, das klingt ziemlich altmodisch. Ich bin froh, dass so was bei dir nicht ständig vorkommt. Darf ich das so sagen?“

„Natürlich, wenn es die Wahrheit ist.“

„Wir einigen uns also auf gewöhnlichen Sex und Ehrlichkeit?“

„Klingt gut für mich.“

„Für mich auch.“

„Ich darf dir also sagen, wie froh ich bin, dass du nicht ständig Kondome mit dir herumschleppst?“

„Ja. Ich hab keine mehr gebraucht seit … etwa sechs Monaten.“ Er dachte einen Moment nach. „Nein, noch länger.“

„Gut zu wissen.“

Eine ganze Weile lagen sie still da.

Schließlich flüsterte Lee: „Dieses Gespräch scheint die Lust vertrieben zu haben.“

„Wir lassen uns die Stimmung durch nichts verderben. Hol endlich die Dinger raus!“

Sie wühlte in der vollgestopften Nachttischschublade. Die Kondome lagen ganz unten. „Sie laufen erst in einer Woche ab.“

„Siehst du?“

„Was denn?“

„Dass es uns vorherbestimmt ist. Es soll passieren.“

„Tja, jetzt, wo du es erwähnst, sehe ich es auch so.“

Die Unterbrechung minderte tatsächlich nicht den Spaßfaktor; sie änderte nur ein wenig den Tenor. Was mit einer ernsthaften Kussorgie in der Küche begonnen hatte, artete irgendwie in eine übermütige Rauferei aus. Kissen landeten auf dem Fußboden, Laken und Decke verhedderten sich.

Lachend jagten Lee und Mac einander auf dem Bett herum, bis beiden die Puste ausging. Bis er wieder über ihr schwebte, diesmal mit sicher umhüllter Männlichkeit, und ihr mit diesen geheimnisvoll dunklen Augen ins Gesicht sah.

Sie strich ihm das dichte dunkle Haar aus der Stirn und zog mit einer Fingerspitze seine geöffneten Lippen nach, während er sich auf sie herabsenkte und in sie hineinglitt. Mit geschmeidigen Stößen verfiel er in denselben Rhythmus, der sie zuvor so schnell dem Höhepunkt nahe gebracht hatte.

Sie ließen einander nicht aus den Augen. Lee hatte nicht gewusst, wie erregend es sein konnte, einander dabei zu beobachten. Sie schlang Arme und Beine fest um ihn, als ob der Blickkontakt an einem seidenen Faden hinge, der zu zerreißen drohte, wenn sie seinen Körper nicht mit aller Kraft festhielt. Von seinem Gesicht konnte sie ablesen, wie sich seine Ekstase aufbaute, und selbst im Moment der Erlösung lösten sie die Blicke nicht voneinander.

Lange Zeit sprachen sie kein Wort. Noch immer lag er auf ihr, hielt sie ihn umschlungen, füllte seine Männlichkeit sie aus.

Erst nach einer ganzen Weile rollte Mac sich zur Seite, als ob er spürte, dass er ihr zu schwer wurde.

Er berührte sie überall, wie um zu prüfen, ob noch alles da und unversehrt war. Er umfasste ihre Brüste, malte Muster von ihrer Taille zu den Hüften, ließ die flache Hand über ihren Bauch wandern und schließlich auf dem Venushügel ruhen. „Das war wie vier Jahreszeiten auf einmal“, murmelte er leise. „Wie das Wetter in den Bergen.“

„Irgendwie schon“, stimmte sie zu. Sie streckte sich und rieb sich an ihm. „Welche Jahreszeit haben wir jetzt?“

„Sommer. Warm und sonnig, verschlafen und glücklich.“

„Mmh. Mir gefällt der Sommer. Und der Winter.“

„Ich mag eigentlich alle.“

„Ich auch. Vor allem der Zeitpunkt, wenn es wechselt. Das erste Herbstlaub. Der erste Schnee. Die ersten Knospen im Frühling. Bloß eine kleine Umstellung, aber eigentlich wandelt sich die ganze Erde.“

„Ja, man spürt etwas Neues in der Luft und weiß, dass es erst der Anfang ist.“

Redet er noch immer über Jahreszeiten? Lee war sich da nicht mehr so sicher. Bewusst lenkte sie das Gespräch von zweideutigen Bemerkungen auf konkrete Details. „Ich liebe es, wenn die Bäche und Flüsse bei der Schneeschmelze anschwellen.“

„Ich liebe es, wenn ein harter Frost die Blätter in einer einzigen Nacht verfärbt.“

„Und durch die tiefen bunten Laubverwehungen zu stapfen, wenn die Luft ganz torfig und frisch riecht.“

„Du bist anscheinend ein Naturmensch.“

„Stimmt.“

„Das gefällt mir. Ich bin auch gern an der frischen Luft.“

So redeten sie weiter und weiter, ohne viel zu sagen, bis sie schließlich einschliefen.

4. KAPITEL

Lee erwachte früh am nächsten Morgen und hörte Mac leise in ihrer Küche telefonieren.

Es war erst halb sieben, doch aus dem Erdgeschoss ertönten bereits Schritte und Stimmen. Sie sprang aus dem Bett und lief ins Badezimmer, denn sie musste sich unverzüglich bei den Narmans melden und nach den Wünschen für die kommenden Tage erkundigen.

Als sie fertig geduscht und angezogen war, telefonierte Mac noch immer. „Mein zweiter Job ruft“, flüsterte sie ihm zu und deutete zur Decke. Er nickte.

Zum Glück war es den Narmans sehr recht, dass Lee die Raumpfleger für acht Uhr ins Haus bestellt hatte. Die meisten Gäste lagen noch im Bett, nur zwei Elternpaare in Bademänteln beaufsichtigten verschlafen ihre Kinder, die ungeduldig ihre Weihnachtsgeschenke auspackten.

Mr. Narman teilte Lee mit: „Sie haben den Kühlschrank mit allem aufgefüllt, was wir für die Party brauchten. Vielen Dank dafür. Das Weihnachtsessen findet heute Abend auswärts statt. Also brauchen wir kein Catering.“

Sie besprachen noch einige Details für die kommenden Tage, dann sammelte Lee schnell vier Säcke an leeren Flaschen, Dosen und Pizzaschachteln ein.

Kaum hatte sie den Müll in der kleinen Holzhütte entsorgt, als Mr. Narman senior sie aufsuchte und ihr eine Liste mit weiteren „kleinen Details“ in die Hand drückte, die zu erledigen waren: Einkäufe, die Reparatur einer zerbrochenen Duschwand, Reservierungen in verschiedenen Restaurants und einiges mehr.

„Ist es immer so, wenn die Leute hier sind?“, fragte Mac, als sie ihm von ihrem enormen Tagespensum berichtete.

„Überwiegend. Aber sie sind sehr entgegenkommend, und es ist fantastisch, wenn sie nicht hier sind und ich nach oben darf.“

„Oh! Du darfst das ganze Haus benutzen?“

„Ja.“ Sie grinste. „Ich kann mich vor dem offenen Kamin aalen und Champagner im Jacuzzi schlürfen.“ Sie zog sich die Stiefel aus und rekelte sich.

„Du warst in deinem früheren Leben eine Katze. Das erkenne ich ganz deutlich.“

„Ach ja? Woran denn?“

„Daran, wie du gerade geschnurrt und dich gestreckt hast. Wie du hinterlistig versuchst, mich loszuwerden, weil ich dir zu sehr auf die Pelle rücke.“

„Wie kommst du denn darauf?“, protestierte sie, doch im Stillen gestand sie sich ein, dass ein Körnchen Wahrheit darin steckte.

Mac grinste sie an. „Schon gut. Ich habe auch einiges zu erledigen.“

„Ich will dich echt nicht rausschmeißen.“ Dass er sie einerseits durchschaute und sie ihm andererseits einen falschen Eindruck über die vergangene Nacht vermittelt haben könnte, beunruhigte sie ein wenig. Hektisch suchte sie nach den richtigen Worten. „Es war sehr schön mit dir. Es hat mir gefallen. Neben dir zu schlafen. Und heute Morgen neben dir aufzuwachen. Wirklich!“

„Schon gut“, wiederholte er geduldig.

„Ich will dich wiedersehen“, platzte Lee heraus und presste dann die Lippen zusammen, weil sie mit diesem Eingeständnis womöglich übers Ziel hinausschoss.

Er grinste erneut. „Ich dich auch. Möglichst bald. Wenn du willst, können wir jetzt was ausmachen. Oder wenn du nicht weißt, wann du dich das nächste Mal von der eigenwilligen Katze in deine menschliche Gestalt verwandelst, lassen wir es jetzt bleiben und telefonieren irgendwann mal.“

„Lieber jetzt. Ich bin nur gelegentlich eine Katze.“

Er legte die Arme um sie, wiegte sie hin und her wie in einem sinnlichen Tanz und murmelte triumphierend: „Ich wusste doch, dass du eine bist.“

„Magst du sie?“

„Wen oder was?“

„Katzen.“

„Was gibt es an ihnen nicht zu mögen? Sie fassen sich gut an.“ Er ließ die Hände über ihre Hüften gleiten. „Wenn man sie richtig behandelt, schnurren sie.“

Mac streichelte sie sanft hinter dem Ohr, und beinahe hätte sie tatsächlich geschnurrt. Sie schloss die Augen und malte sich aus, sich an ihm zu reiben, sich an ihn zu kuscheln und dort zu verharren. Doch sie hatte so viel zu erledigen, und deshalb schlug sie die Augen wieder auf.

„Und ihre Augen werden ganz groß, wenn etwas Aufregendes passiert.“

„Deine auch“, flüsterte sie.

„Und sie sind unglaublich athletisch. Bestens in Form. Anmutig in ihren Bewegungen. Sie verstehen es, ihren Körper einzusetzen. Das liebe ich bei einer … Katze.“

Lee wusste, dass er von ihrer Person sprach, und dachte bei sich, dass dieses ausgeprägte Körpergefühl ebenso auf ihn zutraf. Unverhofft sah sie ihn vor sich, wie er geschmeidig durch unberührten Pulverschnee wedelte. „Lass uns zusammen Ski fahren“, schlug sie spontan vor. „Können wir das in unsere Pläne fürs nächste Mal einbauen?“

Anstatt auf ihren Vorschlag einzugehen, murmelte Mac: „Und manchmal sind sie geradezu urkomisch.“

„Wieso?“

„Ich versuche, dich zu verführen, und du willst auf die Piste.“

„Oh verflixt, wie konnte mir das entgehen? Schade, ich …“

„Es geht sich noch aus.“

„Wirklich?“

„Wenn wir diesmal schnell statt erfinderisch sind. Ich stelle meinen Wecker.“

Sie lachte. „Wie lange?“

„Zehn Minuten. Fünfzehn, bis wir die Schuhe wieder anhaben.“

„Es ist dein Ernst“, stellte sie verwundert fest.

„Absolut.“

Also waren sie schnell und nicht erfinderisch, entkleideten sich im Handumdrehen, stürzten sich auf das Bett und nutzten jede Abkürzung, die ihnen einfiel.

Es war so gut. Sehr kurz, sehr heiß, sehr stürmisch. Lee malte sich aus, wie sie später einmal darüber lachen würden, dass sie einen Wettlauf mit der Zeit veranstaltet und ihre Sache trotzdem gut gemacht hatten.

Seine Armbanduhr begann zu piepsen, als er gerade nach seinen Socken griff. „Verdammt! Wir haben es nicht bis zu den Schuhen geschafft.“

„Aber immerhin beinahe.“

„Beinahe ist nicht gut genug. Das schreit nach einem Rückspiel.“

„In Sachen Quickie?“

„Wieso nicht? Hat es dir nicht gefallen?“

„Doch, es war super.“

Lee erwähnte Mac nicht beim Weihnachtsessen mit ihren Freunden an diesem Abend, doch in der folgenden Woche traf sie ihn jeden Tag.

Er fand ein kleines Apartment im Tal, etwa zwanzig Minuten vom Narman-Anwesen entfernt. Weil er es ihr jedoch erst zeigen wollte, nachdem er es gründlich renoviert hatte, verbachten sie die gemeinsamen Nächte immer in ihrer Wohnung.

Er lud sich Ein eigenes Zimmer auf seinen E-Reader und verschlang es. „Damit ich aus noch einem Becher trinken darf.“

„Du bist ein Spinner“, warf sie ihm lachend an den Kopf, und es wurde zu einem Running Gag zwischen ihnen.

Die Narmans reisten am Morgen nach Neujahr ab. Folglich hatte Lee alle Hände voll mit Aufräumarbeiten zu tun. Nur wenn die Familie da war, ließ sie den Reinigungstrupp kommen, der innerhalb einer Stunde alles erledigte. Andernfalls kümmerte sie sich selbst darum, weil die Dauer dann keine Rolle spielte und sie sichergehen wollte, dass alles richtig gemacht wurde.

Dadurch blieb ihr zwei Tage lang keine Zeit, sich mit Mac zu treffen. Erst am dritten Tag gelang es ihr, ihn in der Skischule unter vier Augen zu sprechen und ihm mitzuteilen: „Ab heute können wir das Haus haben.“

„Das ganze?“

„Normalerweise beschränke ich mich auf ein Schlafzimmer und ein Badezimmer, aber ja. Die Narmans kommen erst Ende Januar wieder.“

„Finden wir uns in dem Riesenschuppen denn wieder?“ Er grinste breit. „Oder müssen wir einander simsen, wo sich wer gerade aufhält, wenn wir uns aus den Augen verlieren?“

„Wir können uns ja Schweizer Alphörner besorgen. Die haben mit ihren dreieinhalb Metern Länge eine gewaltige Reichweite.“

„Oder Walkie-Talkies.“

„Oder eine Gegensprechanlage aus den 1970ern.“

Das ganze Haus für sich zu haben machte beide übermütig wie Kinder. Mac brachte Champagner, Kaviar und unzählige andere Dinge mit, die nach Luxus rochen. Lee füllte den Jacuzzi und machte Feuer im Kamin.

„Können wir Musik auflegen?“, fragte er.

„Nichts wie ran!“

Er schlenderte zu der Stereoanlage im Wohnbereich und legte eine Rock-CD auf. Als er zu Lee zurückkehrte, fragte er: „Haben die Besitzer wirklich nichts dagegen?“

„Im Gegenteil. Sie haben ausdrücklich darum gebeten. Damit das Anwesen nicht unbeaufsichtigt aussieht. Das Licht in meinem Kabuff ist weder von der Straße noch von den Pisten aus zu sehen.“

„Wie bist du eigentlich an diesen Job gekommen?“

„Ich habe einigen Familienmitgliedern Skiunterricht gegeben und dadurch erfahren, dass sie einen Hausmeister suchen. Das Mädchen, mit dem ich damals zusammengewohnt habe, wollte gerade ihren Freund bei sich einziehen lassen, und für drei war nicht genug Platz. Das Timing war also perfekt. Ich mache das jetzt schon seit mehreren Jahren.“

„Ich glaube, mein Timing mit dem Kaviar passt auch.“ Er schraubte das Glas auf. „Die einzige Frage ist, ob wir ihn im Jacuzzi oder vor dem Kamin verspeisen.“

„Im Jacuzzi zu essen ist nicht zu empfehlen. Unweigerlich landen ein paar Brocken im Wasser und bleiben einem am Körper kleben. Kaviar aus dem Dampfgarer ist nicht gerade mein Lieblingsgericht.“ Sie holte eine gekühlte Flasche aus der Einkaufstasche. „Champagner dagegen …“

Wenig später lehnte Lee sich entspannt zurück und ließ sich vom Strahl der Düsen auf dem warmen sprudelnden Wasser schaukeln.

Mac tat es ihr am anderen Ende der riesigen Wanne gleich. „Warum bist du eigentlich so weit weg?“

„Weil ich den Champagner einschenken musste, der hinter mir steht.“

„Aber das ist ja jetzt erledigt, und die Entfernung ist ein Problem.“

„Wieso? Brauchst du etwa ein Alphorn, um mit mir zu kommunizieren?“

„Ich will dich einfach bei mir haben.“ Er beugte sich vor und streckte eine Hand nach ihr aus.

Sie stieß sich vom Beckenrand ab, ließ sich zu Mac treiben und schwebte dicht über seinem Körper. Er legte ihr einen Arm über den nackten Po, der ganz schlüpfrig vor Schaum war, und hielt sie fest. Es fühlte sich atemberaubend sexy an.

„Du bist wunderschön, Lee …“

„Ich?“ Das bekam sie nie zu hören. Die Leute sagten von ihr, dass sie ein ausdrucksvolles Gesicht besaß, eine melodische Stimme, einen athletischen Körper, tolles Haar. Man nannte sie auffällig – oder bestenfalls hübsch, was sie für weit hergeholt hielt, weil ihr Gesicht zu markant dafür war.

„Du bist wunderschön“, versicherte er. „Deine Augen sind so lebendig. Ich kann nicht sagen, ob sie blau oder grün sind. Dein voller Mund ist so verführerisch. Dein Lächeln wirkt blendend. Dein Lachen ist ansteckend. Und wie du den Kopf zurückgeworfen und mit den Ohrringen geklimpert hast, als ich dich das erste Mal gesehen habe …“

„Was war da?“ Sie rutschte an seinem Körper hinauf und stahl sich Küsse von seinen Lippen.

„Deine Haare haben getanzt und golden geschimmert, und der verklärte Ausdruck auf deinem Gesicht … Das hat mich fasziniert.“

„Und wir haben uns unterhalten, als ob wir uns längst vertraut gewesen wären.“

„Es hat sich so angefühlt.“ Er drückte ihre Hüften an sich und ließ sie spüren, wie aufreizend sie auf ihn wirkte. „Und jetzt ist es wirklich so.“

„Allerdings“, bestätigte Lee.

Was als Nächstes passierte, war vorhersehbar. Es war oft geschehen und trotzdem neu. Jedes Mal anders. Jedes Mal berauschend.

Mac blieb über Nacht, was nicht jeden Tag der Fall war. Beide spürten, wann Freiraum angesagt war. Außerdem waren beide anderweitig sehr beschäftigt. Er musste sein neues Apartment einrichten und sie eine Juniorengruppe für eine Wettkampftour durch Europa trainieren.

„Wann geht’s denn los?“, wollte Mac wissen, als sie ihm davon berichtete.

„Am dritten Februar.“

„Und das erzählst du mir erst jetzt?“

„Alle Leute reden darüber. Ich dachte, du hättest längst davon gehört.“

„Hab ich aber nicht.“

„Tut mir leid.“

„Schon gut. Wie lange bleibst du weg?“

„Drei Wochen.“

„So lange?“

„Es ist ein neues Projekt, das wir in dieser Saison zum ersten Mal ausprobieren. Handverlesene Gruppe, ein bisschen jünger als gewöhnlich.“

„Was wird mit diesem Haus?“

Sie lagen zusammen auf dem Schaffell vor dem Kamin, knabberten Käse und Cracker und schlürften Rotwein. Mittlerweile war es Ende Januar, und die Narmans hatten sich für das kommende Wochenende angekündigt.

Lee rechnete im Geist nach und stellte verblüfft fest, dass sie und Mac bereits seit über einem Monat zusammen waren … liiert waren … miteinander verkehrten – oder wie immer man es nannte.

Man nannte es gar nicht. Sie hatten keinen Namen und kein Ablaufdatum festgelegt. Sie gingen sorgfältig miteinander um. Die gemeinsame Zeit war intensiver geworden und gleichzeitig entspannter als zu Beginn. Und wenn sie getrennt waren …

Sie riss sich aus ihren Überlegungen und antwortete auf seine Frage: „Meine Freundin Alyssa wird für mich einspringen. Sie hat es schon öfter getan, und die Narmans mögen sie.“

„Und wohin geht die Reise?“

„Frankreich, Italien, Spanien und noch ein paar Länder mehr.“

„Klingt nach Stress.“

„Ja, es wird wohl ziemlich hektisch.“

„Freust du dich darauf?“

„Ich denke schon.“

„Ich werde dich vermissen.“

„Ich werde dich vermissen.“

„Du musst nicht dieselben Worte benutzen wie ich.“ Er stützte sich auf einen Ellbogen und kam dabei seinem Weinglas gefährlich nahe. „Du darfst es ruhig anders ausdrücken.“

„Ich bin mit deiner Wortwahl zufrieden.“ Lee beugte sich zu ihm und rettete das Glas, bevor er es umstieß und den Teppich ruinierte. Dann blieb sie in seiner Nähe, weil es ihr dort immer gefiel.

„Ich werde mich bemühen, nächstes Mal kreativer zu sein“, versprach Mac.

„Ich habe doch gesagt, dass ich zufrieden damit bin.“

„Das reicht mir nicht. Ich will ‚überglücklich‘ hören, denn wie du weißt, gewinne ich gern.“

„Ich auch.“

„Dann hättest du versuchen sollen, mich zu übertreffen.“ Er grinste breit. „Ich werde dich vermissen, du wirst mich unbändig vermissen.“

Sie schmunzelte. „Ich werde dich unbändig vermissen, Mac.“ Ein wenig fürchtete sie, dass es wahr sein könnte.

Er beugte sich zu ihr. „Schon viel besser. Unbändig. Das gefällt mir. Vor allem hast du es mit so viel Nachdruck gesagt.“

„Ich werde dich wahnsinnig, unerträglich, hoffnungslos vermissen.“

„Nicht hoffnungslos. Es sind ja nur drei Wochen. Aber bemüh dich nur weiter.“ Er rollte sich zu ihr, bis seine Brust an ihre Schulter stieß.

Sie legte ihm eine Hand auf den Oberarm und befühlte seine unwiderstehlich harten Muskeln. „Ich werde dich mit jeder Faser meines Seins vermissen.“

„Da ist immer noch Raum für eine Steigerung.“

„Ach ja?“

„Du musst es mir zeigen, nicht bloß sagen. Fang lieber gleich an zu üben.“

Lee sah ihm an, dass er sie küssen wollte, und rückte näher zu ihm.

„Nächste Woche wird dieses Pensum abgefragt“, warnte er.

„Nächste Woche bin ich voraussichtlich in der Schweiz.“

Bis zur nächsten Woche dauerte es noch eine Weile. Drei der verbleibenden Nächte verbrachte Mac bei Lee. Mittags kehrten sie zweimal in das Restaurant an der Bergstation ein, in dem es nur überteuertes Fast Food gab.

„Wollen wir beim Snowboarden zusehen, während wir diese Hotdogs verschlingen?“, schlug Lee an ihrem letzten gemeinsamen Tag vor. Diesmal war keine gemeinsame Nacht angesagt, denn ihr Flieger nach Europa ging am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe.

„Was wird denn gerade geboten?“

Superpipe Elimination der Herren.“

„Die Typen sind total verrückt.“

„Sagt ausgerechnet der Mann, der mir neulich im Bett erklärt hat, wie viel Spaß es macht, durch eine Lawine zu brettern.“

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich das damals aus jugendlichem Leichtsinn gemacht habe, um ganz mannhaft und tough rüberzukommen. Das war ein höchst fragwürdiger Spaß und ziemlich beängstigend.“

„Diese Typen haben auch Angst dabei.“

„Denen gefällt der Nervenkitzel. Mir aber nicht. Ich bin für Risikominimierung.“

„Immerhin tragen sie Schutzhelme.“

„Das reicht nicht“, entgegnete er mit einem kleinen Lächeln, aber angespanntem Unterton.

Lee schob seine Einwände darauf, dass er kein Snowboarder, sondern Skifahrer war und wie viele andere Leute seine bevorzugte Sportart verteidigte. „Hey, ich dachte ja bloß, dass wir uns ein paar spektakuläre Stunts ansehen könnten, anstatt in dieser langweiligen Bude rumzusitzen. Aber wenn du nicht willst …“

„Doch, doch. Du hast recht. Die Show ist wirklich beeindruckend.“

Sie stopften sich die Hotdogs zum Warmhalten unter die Jacken, legten ihre Skier an und fuhren den Hang hinunter bis zu einem guten Aussichtspunkt, wo sie den Imbiss im Stehen verzehrten.

Die Zuschauer johlten über die sensationellen Tricks und hohen Sprünge. Lee jubelte ein bisschen mit, zwischen Bissen von zähem Brot mit gummiartigem Würstchen und überzuckertem Ketchup.

Mac jubelte nicht; er rang nur hin und wieder nach Atem. Nach einem besonders spektakulären Sprung murmelte er: „So was hatten die Jungs vor ein paar Jahren noch nicht drauf.“

„Stimmt. Sie werden von Jahr zu Jahr besser. Siehst du dir nie X-Games an?“

„Nein. Das ist überhaupt nicht mein Ding.“

„Entschuldige, dass ich dich hergeschleift habe.“

„Da gibt’s nichts zu entschuldigen. Es ist nur eine Frage der persönlichen Einstellung. Wenn’s dir gefällt, soll’s mir recht sein. Wir sind schließlich keine siamesischen Zwillinge – was von Vorteil ist, oder?“ Verlangend ließ er den Blick über ihren Körper wandern, von Kopf bis Fuß und wieder zurück.

Sie liebte es, wenn er sie mit den Augen auszog und für sich beanspruchte. „Sogar äußerst vorteilhaft. Du hast übrigens Ketchup am Mund.“

„Willst du den nicht beseitigen?“

Lee wollte durchaus. Dadurch verpassten sie einen besonders trickreichen Stunt. Allerdings musste sie Mac insofern recht geben, dass das Snowboarden nicht mit gewissen anderen Freizeitbeschäftigungen mithalten konnte.

Und als es Zeit wurde, ins Tal zu fahren und ihre Schüler für den Nachmittagsunterricht abzuholen, trennte sie sich von ihm mit dem Gefühl, ein Glückspilz zu sein, weil sie ihn kennengelernt hatte.

Von Zermatt über Sestriere nach Claviere, weiter über Chamonix nach Val d’Isère …

Die Kids hatten viel Spaß, und ihre Fähigkeiten im Abfahrtslauf wuchsen an der Herausforderung, fremde Gebiete unter neuen Bedingungen zu bewältigen. Die beiden Elternpaare, die das Team begleiteten, unterstützten Lee und Everard sehr effektiv in der Beaufsichtigung.

Trotzdem war die Tour anstrengend.

Jeden Abend fiel Lee total erschöpft ins Bett, schlief wie ein Stein und wusste manchmal beim Aufwachen nicht, in welchem Land sie sich befand oder welcher Tag gerade war. Sie telefonierte einige Male mit Mac, doch letztendlich verlegten sie sich auf Textnachrichten, weil sie nur selten gleichzeitig sprechen konnten oder wach waren.

Nach ihrer Rückkehr brauchte sie erst einmal ein paar Tage Erholung. Selbst in der Woche danach wachte sie zu seltsamen Zeiten auf. Zum Glück störte es Mac nicht, wenn sie ihn weckte. Um drei Uhr morgens, indem sie verstohlen eine Hand über seinen Körper gleiten ließ, bis er sich zu ihr umdrehte und sie stöhnend an sich zog. Um vier Uhr morgens, indem sie sich von hinten an ihn kuschelte und seinen warmen Nacken küsste. Um fünf Uhr morgens, indem sie ihm zuflüsterte: „Bist du wach?“

„Jetzt schon.“

„Bist du froh darüber?“

„Kommt darauf an, was du zu bieten hast …“

„Das Übliche.“

„Dann bin ich froh.“

Zehn Tage nach ihrer Rückkehr teilte er ihr mit, dass er am folgenden Tag nach Idaho fliegen wollte. Zu einem kurzfristig anberaumten Vorstellungsgespräch für einen Managerposten am Barrier Mountain, in Verbindung mit einer Stippvisite bei seiner Familie.

„Spekulierst du darauf, nach Idaho zurückzugehen?“, fragte Lee.

Sie lunchten gerade in dem riesigen lauten Lokal auf dem Berggipfel, wo der Fußboden nass vom geschmolzenen Schnee der Skischuhe war und die Qualität der Gerichte nicht einmal mit einer durchschnittlichen Imbissbude mithalten konnte.

„Ich gehe überallhin, wo sich ein guter Job bietet.“

„Was verstehst du darunter?“

„Ein dauerhaftes, ganzjähriges und breit gefächertes Betätigungsfeld an einem interessanten Ort mit Ökotourismus, neuen Wintersportarten und umfangreichem Sommerprogramm. Wenn sich so was in Idaho bietet, ist es ein Pluspunkt.“

„Du magst deine Familie also?“

„Natürlich. Und wie steht’s bei dir? Würdest du jemals von Aspen weggehen und in deinen Heimatort zurückkehren?“

„Ich bin immer davon ausgegangen, es nicht zu tun.“

„Also hängst du nicht an deiner Familie.“

„Doch. Sogar sehr.“ Aber ich brauche meinen Freiraum. Ich liebe meine Leute, aber sie verstehen mich nicht. Nach zwei Tagen machen sie mich wahnsinnig. Ich mag meine Familie, aber ich liebe meine Unabhängigkeit.

Mac erwartete, dass sie sich weiter dazu äußerte. Da sie nichts mehr sagte, hakte er nach: „Würdest du zurückgehen oder nicht?“

„Ich weiß es nicht. Wenn ich einen triftigen Grund hätte …“

„Zum Beispiel, wenn deine Eltern krank wären?“

„Die sind vor Kurzem nach South Carolina gezogen. Aber ja, das wäre so ein Grund.“

Ihre Mittagspause war beinahe vorüber; sie aßen ihre Hamburger auf und verließen das Lokal. Es hatte zu schneien begonnen; dicke dichte Flocken schränkten die Sichtweite ein und machten das Unterrichten zu einer Herausforderung.

Mac küsste Lee mit kalten Lippen flüchtig auf den Mund. „Wir sehen uns, wenn ich wieder zurück bin.“

„Wir telefonieren zwischendurch.“

„Okay.“

Sie legten die Skier an, winkten einander zu und gingen getrennte Wege.

An diesem Abend setzte bei Lee ein Denkprozess ein, der mit der Tatsache begann, dass sie Mac in den nächsten vier Tagen vermissen würde. Über mehrere weitere Stationen kam sie zu der Erkenntnis, dass ihre Periode schon seit einer Weile überfällig sein könnte.

Etwa drei Wochen, groben Schätzungen zufolge. Sie war es nicht gewohnt, über solche Dinge nachzudenken. Sie notierte sich nie das Datum auf dem Kalender, weil sie die Tage immer unregelmäßig und somit überraschend bekam.

Sie spürte keine nennenswerten Symptome, weder für eine Menstruation noch für eine Schwangerschaft.

„Also kein Grund zur Panik“, murmelte sie vor sich hin, weil sie gelegentlich noch immer Selbstgespräche führte, und beschloss, sich vorläufig nicht weiter mit dem Thema zu beschäftigen.

Am nächsten Morgen nahm sie sich vor, am Abend auf dem Heimweg einen Schwangerschaftstest zu besorgen.

Die ganze Angelegenheit kam ihr wie ein Spiel vor. „In fünf Minuten werde ich laut lachen“, prophezeite sie, als sie den Test im Badezimmer auspackte.

Fünf Minuten später starrte sie auf zwei rote Linien und lachte tatsächlich. Denn es erschien ihr total unwirklich, unglaublich, ja unmöglich.

Es war der sechste März. Sie kannte Mac seit zehn Wochen, und nun bekam sie ein Kind von ihm.

Sie warf den Test in den Abfalleimer im Badezimmer und wanderte aufgewühlt durch das Haus, das zum Glück viel Raum bot.

Dem Himmel sei Dank, dass Mac weg ist. Dem Himmel sei Dank, dass ich ihn nicht vor Sonntag sehen werde.

Das war das Einzige, was ihr immer wieder durch den Kopf ging.

Und das ist falsch, oder? Sollte ich ihn nicht bei mir haben wollen? Würde eine normale Frau nicht in Tränen ausbrechen, weil er in dieser Situation nicht an ihrer Seite ist?

Doch seine Abwesenheit gab ihr Zeit, und das war gut so.

Zeit, um die Realität in ihr Bewusstsein sickern zu lassen. Zeit, um zu begreifen, dass es ihr wirklich passiert war. Dass sie sich nicht in einer Traumwelt, nicht auf Urlaub im Körper und Leben einer anderen Person befand.

Ihr blieben vier Tage, um herauszufinden, wie eine Schwangerschaft in ihr Leben passte. Um wieder zu sich selbst zu finden – oder zu einer ganz neuen Version ihrer selbst zu werden.

5. KAPITEL

Mac freute sich offensichtlich sehr auf das Wiedersehen. Das mochte Lee an ihm. Er setzte seine Gefühle nicht für Machtspiele ein und machte keinen Hehl aus ihnen. Wenn er glücklich war, merkte man es. Wenn er sich langweilte, ebenso.

Er landete am Abend in Denver, wo er seinen Pick-up vier Tage zuvor auf dem Langzeitparkplatz abgestellt hatte. Eine Stunde vor seiner Ankunft textete er ihr: Treffe um acht ein. Zu spät für dich?

Acht ist mir recht, simste sie zurück. Dann fragte sie sich, warum sie sich nicht mehr Zeit nahm. Sie hätte das Treffen auf den nächsten Tag verschieben können.

Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass er ihre Entscheidung nicht befürworten würde. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass er sogar erleichtert reagieren würde.

Und doch machte Lee der Gedanke, mit ihm darüber zu reden, ein bisschen Angst. Wie sollte sie es ihm beibringen? War es gut oder schlecht, dass Freunde der Narmans übers Wochenende im Haus weilten und sie wieder in ihrem winzigen Apartment wohnte? Da ist so wenig Raum für heftige Gefühle, die womöglich ausbrechen könnten.

Als sie Mac die Tür öffnete, lächelte er sie an und umarmte sie stürmisch. „Ich bin total erledigt“, verkündete er, „aber es ist schön, wieder hier zu sein. Hab ’ne Menge zu erzählen und mit dir zu besprechen.“

„Schön, dich zu sehen. Sehr, sehr schön. Hab auch einiges zu besprechen.“ Sie reckte sich und gab sich ganz dem Kuss hin, den er für sie bereithielt – ein dicker herzhafter Kuss, begleitet von einem zufriedenen Brummen aus der Tiefe seiner breiten Brust.

Er roch so betörend, dass sie am liebsten den ganzen Abend so verharrt wäre. Ohne einander auszuziehen oder miteinander zu schlafen oder zu reden. Sie wollte einfach so von seinen starken Armen umschlungen seinen vertrauten Duft einatmen, seine Stärke und Wärme spüren, sich begehrt fühlen.

Ob er wohl merkt, dass etwas im Busch ist? Sie war fahrig und übermäßig gefühlsbetont, und obwohl sie sich seit Tagen die Zukunft mit ihrem Baby auszumalen versuchte, erschienen ihr die Umstände noch immer unwirklich. Hätte sie warten und ihn befragen sollen, anstatt allein Entscheidungen zu treffen?

Ich sage es ihm heute lieber nicht. Er ist viel zu müde. Der Entschluss, an diesem Abend kein gewichtiges Gespräch zu führen, erleichterte Lee. Sie wich ein wenig zurück. „Hast du Hunger?“

Er nickte. „Ich hätte unterwegs einkehren sollen, aber ich bin lieber durchgefahren.“

Vom Denver Flughafen waren es vier Stunden Fahrt. „Du hast also lange nichts gegessen?“

„Bloß ein Tütchen Cracker im Flugzeug. Vor einer Ewigkeit.“

„Bacon und Eier?“

„Sehr gern.“ Mac ließ sich auf die Couch fallen. „Du bist wundervoll.“

Ich bin schwanger. Sie ging in die Küche. „Hattest du Spaß bei deiner Familie?“

„Ja. Und gestern Abend mit Freunden. Ein bisschen zu viel Spaß. Bin erst um drei ins Bett gekommen und musste um sechs wieder aufstehen.“

„Deswegen bist du so müde.“ Ich bin schwanger und deswegen bin ich müde.

„Stimmt.“

„Gibt’s schon was Neues vom Job am Barrier Mountain?“

„Noch nicht. Sie wollen sich im Laufe der Woche melden.“

„Demnach ist das Vorstellungsgespräch gut gelaufen?“

„Das kann man nie so genau wissen. Aber ich denke schon. Die Leute wirken sympathisch. Sie haben tolle Ideen für neue Projekte und wollten Vorschläge von mir hören. Es wäre ein großer Aufstieg. Falls ich den Job kriege. Falls ich ihn annehme. Anspruchsvoller als alles, was ich bisher gemacht habe, aber ich bin qualifiziert. Ich habe ein gutes Gefühl.“

„Das ist großartig. Hoffentlich entscheidet es sich bald.“

„Das hoffe ich auch.“

Ich bin schwanger, und du gehst vielleicht nach Idaho zurück. „Wie willst du die Eier?“

„Wie es für dich am einfachsten ist. Brauchst du Hilfe?“

„Nein. Du hast ja nur drei Stunden geschlafen.“ Und deshalb will ich jetzt über nichts Wichtiges mit dir reden. „Wie viele willst du?“

„Sechs? Acht? Oder vielleicht zwölf?“

Lee lachte. „Entscheide dich. Aber ich muss dich warnen. Zwölf habe ich nicht.“

„Dann eben nur vier. Mit sechs Scheiben Bacon und drei Scheiben Toast. Ich habe heute echt so gut wie nichts gegessen.“

„Soll ich dir dazu Tomaten braten?“

„Klingt gut.“

Mac schloss die Augen, und sie musste einfach einen Moment in der Tür stehen bleiben und ihn mustern. Obwohl er schlaff auf ihrer Couch lag, sah sein muskulöser Körper in dem schwarzen T-Shirt verdammt attraktiv aus, ebenso wie sein entspanntes Gesicht mit dem dunklen Teint und den langen schwarzen Wimpern.

Während eines Bettgesprächs hatte sie ihn gefragt, woher sein exotisches Äußeres stammte. Er hatte ihr von seiner Großmutter aus dem spanischen Baskenland und seinem italienischen Urgroßvater erzählt, der Anfang des neunzehnten Jahrhunderts nach Idaho ausgewandert war. „Beide mütterlicherseits.“

„Was erklärt, dass du Wheeler heißt und keinen coolen südeuropäischen Nachnamen hast.“

„Traurigerweise ist an mir gar nichts cool oder exotisch“, hatte er gesagt.

Doch das stimmte nicht. Ihn nun zu betrachten gab ihr denselben Kick wie bei ihrer ersten Begegnung. Sie kannten sich erst ein paar Monate, sie war nicht auf eine ernste Beziehung aus und er vermutlich ebenso wenig, doch er ging ihr unter die Haut, und sie wusste nicht, was das zu bedeuten hatte.

„Du würdest den Job also annehmen?“, fragte sie unvermittelt.

Er hob den Kopf und blickte zu ihr hinüber. Er sah müde aus. Winzige Fältchen umringten seine geheimnisvollen dunklen Augen. „Kommt Zeit, kommt Rat.“

„Das ist keine Antwort.“

„Weil ich mich noch nicht entschieden habe. Ich bin sehr versucht. Andererseits bin ich noch nicht lange hier in Aspen.“

„Umso leichter müsste es dir fallen, wieder wegzugehen.“ Wird es mir leichtfallen? Ich bin schon seit Jahren hier.

„Vielleicht fühle ich mich zu sehr wie ein Nomade, wenn ich schon wieder weiterziehe.“

„Nicht, wenn du nach Hause zurückgehst.“

„Stimmt auch wieder.“ Mac gähnte. „Aber falls sich hier etwas im Management ergeben würde …“ Plötzlich wurde sein Blick ganz wach. „Wie denkst du darüber?“

„Ich denke, dass ich mich um die Eier kümmern sollte, bevor du einschläfst.“

„Gute Idee.“

Sein Essen war nach fünf Minuten fertig, und er verschlang es ebenso schnell. Um neun lag er im Bett. Kurz darauf schlüpfte Lee zu ihm. Sie kuschelten sich aneinander wie Kaninchen, die sich gegenseitig in ihrem Bau wärmen, und im Nu schlief er tief und fest ein.

Sie störte sich nicht daran. Im Gegenteil, es war gut so. Wäre er lange genug für ein Liebesspiel wach geblieben, hätte sie wohl mit ihm reden müssen. Dazu war sie jedoch noch nicht bereit.

Sie schmiegte sich an seinen Körper, hielt ihn fest umschlungen, spürte die tiefen Atemzüge in seiner Brust und widerstreitende Empfindungen in ihrer eigenen.

Am nächsten Tag beim Lunch in der Bergstation eröffnete Mac: „Ich verzichte heute Abend, wenn’s dir nichts ausmacht.“

„Worauf?“

„Ein Treffen mit dir. Ich gehe gleich nach der Arbeit zu mir. Ich habe in Idaho zu viel gefeiert.“

Die Ansage störte Lee in zweierlei Hinsicht. Zum einen, weil er voraussetzte, dass sie ihn sehen wollte, und sich daher genötigt fühlte, sich zu entschuldigen. Zum anderen ging es um seine Feierei. Anscheinend besaß er einen Hang zu einem ausschweifenden Single-Dasein, den er ihr bisher verheimlicht hatte.

„Du hast offensichtlich eine gespaltene Persönlichkeit“, neckte sie ihn. „Hier in Aspen bist du jedenfalls kein Partylöwe.“

Mac grinste reumütig. „Ich war mit ein paar Freunden unterwegs, die ich eine ganze Weile nicht gesehen hatte. Die haben mich verleitet.“

„Deswegen hast du gestern Abend so viel Bacon und Rührei gebraucht und bist so schnell eingeschlafen! Du warst immer noch verkatert.“

„Na ja, ein bisschen schon. Hab in Idaho die Nacht zum Tag gemacht – vor lauter Aufregung wegen des Jobangebots. Das Essen war übrigens ausgezeichnet, danke. Das habe ich vielleicht nicht genügend betont.“

Dass er so gar nicht verstand, worum es ihr eigentlich ging, bestärkte sie darin, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ich mag inzwischen bereit für die Schwangerschaft sein – und auch das nur gerade eben. Aber wir sind eindeutig nicht bereit, unser ganzes Leben miteinander zu teilen.

Dass er ihr einen Tag Aufschub von der beängstigenden Unterredung bot, erleichterte und frustrierte Lee gleichermaßen und brachte sie noch mehr aus dem inneren Gleichgewicht, als sie ohnehin schon war.

Gleich am selben Abend kündigte sie telefonisch ihr Arbeitsverhältnis mitsamt Apartment. Ganz egal, wie die bevorstehende Aussprache mit Mac verlaufen mochte, sie beabsichtigte nicht, den Job während der Schwangerschaft zu behalten.

Mr. Narman kam sehr schnell auf den einzigen Punkt zu sprechen, der für ihn wichtig war. „Wäre Ihre Freundin interessiert, Sie zu ersetzen?“

„Da bin ich mir ziemlich sicher.“

„Hoffentlich. Wir waren immer sehr zufrieden mit ihr. Sagen Sie ihr, dass wir sie zu denselben Bedingungen einstellen. Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie sich darum kümmern?“

„Natürlich.“ Sie wartete darauf, dass er ihr ein wenig Anerkennung für ihre jahrelangen Bemühungen zollte und ihr versicherte, dass die Familie sie vermissen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Er bat nur um eine Nachricht, sobald alles arrangiert war.

Sie rief Alyssa an, die einen Freudenschrei ausstieß und zusagte, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.

Am Dienstag suchte Lee den Leiter der Skischule, Chris Logan, in seinem Büro auf und übergab ihm ihre Kündigung zum kommenden Wochenende. „Falls es zu kurzfristig ist, kann ich ein paar Wochen dranhängen, aber lieber wäre es mir, wenn es klappt. Ich will in meinen Heimatort zurückkehren, wo meine kleine Schwester übernächstes Wochenende heiratet. Wenn ich Sonntag meinen letzten Arbeitstag habe und Montag losfahre, komme ich rechtzeitig zur Hochzeit an und muss nicht extra hin- und herfliegen.“

„Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie schon vor Wochen Urlaub für die Hochzeit angemeldet.“

„Stimmt, aber inzwischen hat sich einiges geändert, und ich will dauerhaft umziehen.“

„Hoffentlich kein Problem hier bei uns?“

„Nein, nein.“ Lee hatte ihre Geschichte parat. „Meine Eltern haben sich zur Ruhe gesetzt und meinen Schwestern das Familiengeschäft übergeben. Es ist eine große Ferienanlage, die von Grund auf renoviert werden muss, und meine Hilfe wird gebraucht.“ Ich dagegen brauche eine andere Art von Familienhilfe …

Er nickte. „Gut. Von mir aus können Sie sogar früher gehen. Die Juniorengruppe wird bei Everard in guten Händen sein, und darüber hinaus haben wir genügend Teilzeitkräfte, die nur darauf warten, fest eingestellt zu werden. Die würden Ihnen vermutlich sogar beim Packen helfen, wenn es dadurch schneller geht.“

„Danke.“ Sein Angebot überraschte sie nicht. Sie wusste, wie sehr der Nachwuchs darauf brannte aufzusteigen. „Ich kann also wirklich früher gehen?“

„Wenn Sie wollen. Wir bedauern es sehr, Sie zu verlieren, aber ich habe Verständnis für Ihre Pläne.“

„Danke“, wiederholte Lee. „Ich nehme das Angebot gern an, auch wenn mir einiges hier fehlen wird.“ Noch während sie es aussprach, wurde ihr bewusst, dass sie nicht viele Spuren hinterlassen würde. Eine Handvoll Leute werden mich vielleicht vermissen, aber die Wurzeln, die ich hier geschlagen habe, gehen nicht sehr tief.

„Sie scheinen Ihren Schwestern sehr nahezustehen“, vermutete Chris.

Sie nickte und lächelte, und all die unausgesprochenen Dinge stiegen in ihr hoch und drängten darauf, Mac mitgeteilt zu werden.

Er sollte es wirklich nicht als Letzter erfahren. Trotzdem läuft irgendwie alles darauf hinaus …

„Lass uns heute ausgehen“, schlug Mac am Abend vor, als sie Feierabend machten. „Wir haben uns in letzter Zeit kaum gesehen. Ich brauche Quality Time mit dir.“

„Die verbringen wir normalerweise in horizontaler Lage.“

„Dazu kommen wir später.“ Er lächelte sie charmant an und streckte eine Hand nach ihr aus.

Lee wandte sich ab, als hätte sie es nicht bemerkt. Sie konnte ihn nicht küssen und dabei so tun, als wäre alles im Lot. Die Bürde ihres Geheimnisses wuchs von Stunde zu Stunde; die Ungewissheit machte sie nervös und niedergeschlagen.

„Komm schon!“, drängte er. „Wir könnten mal etwas Ausgefallenes unternehmen.“

„Ist das dein Ernst?“

„Wenn du nicht willst, gehen wir eben wie üblich ins Waterstreet. Mir ist heute nach Steak. Wenn wir gleich aufbrechen und nur schnell was essen, sind wir um halb acht zu Hause.“

Nach einem langen anstrengenden Tag in der Eiseskälte auf dem Berg war ihnen weder nach Kochen zumute noch reichte ein kaltes Abendessen. Deshalb kehrten sie häufig zu einer herzhaften warmen Mahlzeit in die Bar ein. Mittlerweile wussten ihre Freunde alle, dass sie liiert waren.

Wohin geht man am besten, wenn man ein wichtiges Gespräch führen will? Eigentlich nicht in eine Bar. Da sie sich nun endgültig entschieden hatte, ihm an diesem Abend reinen Wein einzuschenken, wollte sie es schnellstmöglich hinter sich bringen.

„Heute ist es gar nicht lustig mit dir.“ Mac zog sie an sich und drückte ihr Küsschen auf den Mund.

„Tut mir leid.“ Sie seufzte. „Also gut, wenn’s sein muss, gehen wir eben. Ein Steak klingt ganz verlockend.“ Entgegen den gängigen Klischees litt sie bisher nicht an Übelkeit. Sie hatte einen unverändert gesunden Appetit und schlief wie ein Murmeltier.

Eine Viertelstunde später saßen sie in einer Nische im Restaurant, und Mac bestellte Bier zu den Steaks.

„Und für mich ein Sodawasser“, fügte Lee hinzu.

Als die Speisen und Getränke serviert wurden, schob sie ihm das Bierglas zu, das der Kellner ihr hinstellte. „Das ist auch für dich. Ich trinke nur Wasser.“

„Hey, ich bin es doch, der seine Leber schonen sollte, nicht du.“

„Willst du nicht beide?“

Er schüttelte den Kopf. „Heute reicht mir eins.“

„Dann hätte ich umbestellen sollen. Tut mir leid.“

Autor

Karen Rose Smith
<p>Karen Rose Smith wurde in Pennsylvania, USA geboren. Sie war ein Einzelkind und lebte mit ihren Eltern, dem Großvater und einer Tante zusammen, bis sie fünf Jahre alt war. Mit fünf zog sie mit ihren Eltern in das selbstgebaute Haus „nebenan“. Da ihr Vater aus einer zehnköpfigen und ihre Mutter...
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