Bianca Extra Band 76

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EINGESCHNEIT UND HEISS VERLIEBT von KAREN ROSE SMITH
Der Liebe hat Eli Dalton längst abgeschworen. Doch als die faszinierende Hadley wegen eines Schneesturms bei ihm übernachten muss, erwacht große Sehnsucht in ihm. Kaum gesteht er ihr aber nach einer zärtlichen Nacht überschwänglich seine Gefühle, zeigt sie ihm die kalte Schulter …

DU BIST MEIN HAUPTGEWINN! von BRENDA HARLEN
Hauptgewinn für Single-Mom Lauryn? Für eine Fernsehshow renoviert der sexy Handwerker Ryder Wallace ihr Haus - und schafft es dabei, auch die Mauer um ihr Herz einzureißen. Aber meint der berüchtigte Playboy es wirklich zum ersten Mal im Leben ernst, oder spielt er bloß mit ihr?

DEIN RING AN MEINER HAND von MELISSA SENATE
Als Norah am Morgen nach dem Stadtfest aufwacht, trägt sie einen Goldring am Finger, und neben ihr liegt ein attraktiver Fremder. Jäh erinnert sie sich: Sie hat Reed geheiratet! Natürlich nur zum Spaß, trotzdem lässt es sich nicht annullieren. Mit überraschend romantischen Folgen …

DARF ICH DIR MEIN HERZ ANVERTRAUEN? von TERESA SOUTHWICK
Business-Tycoon Calhoun Hart vertraut nur sich selbst! Bis er sich bei einem Karibiktrip das Bein bricht und plötzlich eine persönliche Assistentin braucht. Die hübsche Justine zieht ihn gegen jede Vernunft unwiderstehlich an. Ein Fehler, der ihn sein Herz kostet?


  • Erscheinungstag 22.10.2019
  • Bandnummer 76
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736774
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Karen Rose Smith, Brenda Harlen, Melissa Senate, Teresa Southwick

BIANCA EXTRA BAND 76

KAREN ROSE SMITH

Eingeschneit und heiß verliebt

Hadley hat keine Wahl: Auch wenn sie sich immer mehr zu Rancher Eli hingezogen fühlt, muss sie ihn nach seiner spontanen Liebeserklärung verlassen. Denn er darf nicht hinter ihr Geheimnis kommen!

BRENDA HARLEN

Du bist mein Hauptgewinn!

Dass er sein Herz an Single-Mom Lauryn zu verlieren droht, stellt Ryder Wallace vor ein Problem: Lauryn ist keine Frau für eine Affäre – und er ist kein Mann für eine feste Beziehung. Oder etwa doch?

MELISSA SENATE

Dein Ring an meiner Hand

Reed ist hin- und hergerissen: Eigentlich müsste er als überzeugter Junggeselle die verrückte Spontanheirat mit der schönen Norah schnellstens ungeschehen machen. Aber irgendetwas hindert ihn daran …

TERESA SOUTHWICK

Darf ich dir mein Herz anvertrauen?

Nie wieder will Justine sich verlieben! Zu sehr schmerzt noch immer der Verlust ihres Mannes. Doch unter der Sonne der Karibik schmilzt sie ungewollt in den Armen von ihrem Boss Calhoun Hart dahin …

1. KAPITEL

Beruhigend strich Eli Dalton seiner trächtigen Stute über die Flanke. Im Stall roch es nach Leder, frischem Stroh, altem Holz und vor allem nach dem Schnee, der draußen in dichten Flocken fiel.

Besorgt betrachtete er die schwer atmende Stute. Er war mit Pferden aufgewachsen und hatte viele Geburten miterlebt, aber hier schien etwas nicht zu stimmen. Die Sorge um das Wohlergehen der Pferde der Circle D Ranch lag ihm im Blut, aber Amber war ein ganz besonderer Fall. Die Stute war ein wilder Mustang gewesen, den er selbst gezähmt hatte, und er wollte sie auf keinen Fall verlieren. Oder ihr Fohlen.

Er stand auf und ging zur Stalltür, um die Lage einzuschätzen. Inzwischen waren fast zehn Zentimeter Schnee gefallen. Normalerweise gab es hier genügend Leute, die er hätte um Rat fragen können. Aber dieses Wochenende waren alle ausgeflogen – seine Eltern besuchten mit seinem Bruder Derek und seinen Cousins in Missoula eine Landwirtschaftsmesse.

Er hörte Amber wiehern und drehte sich zu ihrer Box um. Die Stute hatte sich hingelegt – das war auf keinen Fall normal. Er lief zu ihr, strich ihr über den Bauch und blickte in ihre weit aufgerissenen Augen. Keine Frage, hier musste ein Tierarzt helfen.

„Du weißt aber schon, dass deine biologische Uhr tickt, oder?“

Hadley Strickland strich sich das lockige, dunkelbraune Haar aus der Stirn und blickte sich in der Küche um, als suche sie einen Notausgang. Wie konnte sie diesem Gespräch am schnellsten entkommen?

Ihre Schwester Tessa besuchte eine Woche vor dem langen Thanksgiving-Wochenende wie Hadley ihre Großeltern in Rust Creek Falls. Und leider kannte sie keinerlei Zurückhaltung, wenn es darum ging, Hadley über ihr Liebesleben auszuquetschen. Seit Tessa selbst glücklich liiert war, war es noch schlimmer geworden. Zum Glück war Claire, die dritte Schwester im Bunde, gerade nicht in der Küche, sonst wäre Hadley von beiden Seiten unter Beschuss geraten.

Hadley blickte hilfesuchend zu ihrer Großmutter Melba Strickland hinüber, die Matriarchin der Familie. Leider war sie bei diesem Thema auch keine Hilfe, denn sie fragte prompt: „Bist du in den letzten Monaten überhaupt mal ausgegangen?“

Nein, war sie nicht, aber sie hatte auch keine Zeit dafür. In der Tierklinik in Bozeman, in der sie arbeitete, machte sie oft Überstunden, weil sie andere Tierärzte selbst dann vertrat, wenn sie gar nicht dran war. Danach las sie bis spät in die Nacht die neuesten Studien in den Veterinärzeitschriften – und nebenher machte sie ihren Pilotenschein. Ganz abgesehen davon ging ihr Privatleben niemanden etwas an.

„Ich habe überhaupt keine Zeit für eine Beziehung“, erwiderte sie deshalb wahrheitsgemäß.

Irgendwann einmal wollte sie ihre eigene Praxis haben, aber im Augenblick war ihr nächstes Ziel der Pilotenschein, damit sie in abgelegene Gebiete fliegen konnte, um Tieren zu helfen. Irgendwann würde sie alles erreichen, was sie sich wünschte, das wusste sie. Aber genauso sicher war sie sich, dass eine Beziehung nicht dazugehörte. Ihre Familie kannte ihr Geheimnis nicht – zum Glück, denn dieses Geheimnis war ihr überaus peinlich und zeigte nur, wie dumm eine Frau sein konnte, wenn sie sich unsterblich in einen Mann verliebte.

Wie immer gab sich Tessa mit ihrer „Ausrede“, wie sie es nannte, nicht zufrieden, und Hadley wappnete sich für die nächste Runde, als das Handy an ihrem Gürtel vibrierte und sie damit rettete. Dankbar zog sie es aus der Hülle, lächelte ihrer Schwester und Großmutter entschuldigend zu und blickte aufs Display.

„Das ist Brooks Smith“, murmelte sie. Er war der Tierarzt in Rust Creek Falls, und sie sah immer in seiner Praxis vorbei, um mit ihm über die neuesten Erkenntnisse der Tiermedizin zu sprechen, wenn sie in der Gegend war. Manchmal half sie ihm sogar aus. Vielleicht wollte er sich mit ihr treffen. Seine Frau und er führten einen Gnadenhof für Pferde, und Hadley war von ihrer Arbeit fasziniert.

„Hi, Brooks“, sagte sie, als sie den Anruf annahm.

„Hey, Hadley. Wie geht’s dir?“

„Prima. Was gibt’s?“

„Ich muss dich um einen Gefallen bitten.“

„Immer gern. Was kann ich tun?“

„Ich stecke hier gerade auf einer Ranch bei Kalispell fest. Mein Mitarbeiter Dr. Wellington hat letzte Woche gekündigt und mein Vater fällt ja leider im Moment aus.“

Brooks Vater hatte eine Praxis in der Nachbarstadt, die aber zurzeit geschlossen war, weil er sich von einer Knie-OP erholen musste.

„Und was soll ich nun tun?“

„Auf der Circle D hat eine Stute Probleme beim Fohlen. Eli denkt, dass er Hilfe brauchen wird. Es gibt keine offensichtlichen Symptome, aber er kennt sich mit Pferden aus. Sie hat sich in der Box hingelegt, und er macht sich Sorgen.“

Ihr Großvater Old Gene kam in die Küche und wollte etwas sagen, doch Melba legte schnell den Finger an ihren Mund, um anzudeuten, dass Hadley telefonierte und er ruhig sein sollte.

„Also soll ich rausfahren und schauen, ob ich was tun kann?“

„Das wäre super. Ich weiß, es schneit und du bist gerade bei deiner Familie, aber Eli würde nicht anrufen, wenn es nicht wirklich ernst wäre.“

„Ich habe Allradantrieb, der Schnee macht mir nichts aus. Weiß Eli, dass du mich schickst?“

„Nicht, dass genau du kommst. Ich habe ihm gesagt, ich versuche, jemanden zu finden. Aber jetzt rufe ich ihn gleich an und sage es ihm. Danke für deine Hilfe, Hadley. Ich schulde dir was.“

„Ach was. Aber du weißt ja, dass ich hauptsächlich Kleintiere behandle. Pferde sind nicht gerade mein Fachgebiet.“

„Du bist Tierärztin, Hadley. Das ist das Einzige, was gerade zählt. Ich sage Eli, dass du kommst, und schicke dir seine Nummer, falls du sie brauchst.“

„Du willst wirklich bei diesem Wetter rausfahren?“, sagte ihr Großvater, als sie das Handy wieder wegsteckte. „Das soll ein ziemlich schlimmer Schneesturm werden.“

„Dann mache ich mich besser auf den Weg“, erwiderte Hadley. „Die Stute braucht mich.“

Und bevor irgendjemand etwas sagen oder sie aufhalten konnte, marschierte sie aus der Küche, um sich wärmere Sachen und Stiefel anzuziehen.

Kurz darauf schlingerte sie die schmale Straße zur Circle D Ranch entlang. Sie war fast erleichtert gewesen, die Pension ihrer Großmutter zu verlassen, was ungewöhnlich war. Normalerweise war sie gern mit ihrer Familie zusammen. Aber diesmal schienen ihre Schwestern, ihre Großeltern und sogar ihre beiden Cousins es darauf angelegt zu haben, sie andauernd auf ihr Liebesleben anzusprechen.

Und sie hatte kein Liebesleben – aus gutem Grund. Allerdings kannte den keiner, und sie würde ihn auch niemandem verraten.

Nächste Woche kamen ihre Eltern, um mit ihnen allen Thanksgiving zu feiern, und dann wurde der Druck wahrscheinlich noch größer. Aber was erwarteten eigentlich alle von ihr? Dass sie „den Richtigen“ fand, wenn es „den Richtigen“ doch gar nicht gab? Dass sie eine Rolle ausfüllte, in der sie sich nicht wohl fühlte? Dass sie der Liebe noch eine Chance gab und sich noch einmal das Herz brechen ließ?

Vor ihr gabelte sich der Weg, und sie bog in Richtung Stall ab. Wenn die Stute Probleme hatte, würde sie Eli Dalton wohl dort finden. Der Rancher war auch einer der Männer, die hier im Ort als „gute Partie“ galten. Sie waren sich ab und zu über den Weg gelaufen, das letzte Mal bei der Hochzeit seiner Schwester Kayla. Aber in Rust Creek Falls gab es so viele Cowboys und Rancher, dass Hadley diesem einen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Schließlich war sie nicht auf der Suche nach einer „guten Partie“.

Sie stellte den Wagen ab, stieg aus und schlug die Tür zu. Um sie herum war es vollkommen still. Kein Lebewesen regte sich oder gab einen Laut von sich. Das Schneetreiben war heftiger geworden, und sie nahm an, dass alle Tiere sich einen möglichst sicheren Unterschlupf gesucht hatten. Montana war wunderschön, aber die Winter konnten tückisch sein.

Sie holte ihre Tasche aus dem Kofferraum ihres Geländewagens, stapfte zum Stall, öffnete die Tür gerade weit genug, um hindurchzuschlüpfen, und schloss sie dann schnell wieder. Nach einer Weile gewöhnten sich ihre Augen an das dämmrige Licht, und sie sah die äußerst geräumige, offene Box und Eli Dalton, der neben seinem Pferd kniete. Zumindest nahm sie an, dass es sein Pferd war, denn er wirkte äußert besorgt und streichelte die Stute sehr behutsam. Gleichzeitig murmelte er beruhigende Worte, und der Ton seiner Stimme verursachte Hadley einen Kloß im Hals. Was völlig unangebracht war – schließlich hatte sie schon andere Männer gesehen, die mit Pferden freundlich umgingen.

Eli hatte dichtes, braunes Haar, das ihm in die Stirn fiel, als er sich über die Stute beugte. Er kniete hinter ihrem Rücken und legte gerade sein Ohr an ihren Bauch, und Hadley fielen seine unglaublich breiten Schultern auf. Er trug ein grün-blau kariertes Flanellhemd und eine Daunenweste und war so auf das Pferd konzentriert, dass er Hadley gar nicht bemerkte.

Deshalb trat Hadley extra fest auf, als sie sich ihm näherte. Überrascht hob er den Kopf.

„Ich bin Hadley Strickland“, stellte sie sich vor. „Brooks Smith hat mich angerufen, weil Sie Hilfe brauchen.“

Eli wirkte hin- und hergerissen, als wolle er aufstehen und sie begrüßen, aber auch das Pferd nicht allein lassen. Sie half ihm aus der Klemme, indem sie zu ihm ging und ihm die Hand hinhielt. Er nahm sie.

„Ich bin Eli Dalton. Wir sind uns bei Kaylas Hochzeit begegnet.“

Als Hadley seine Hand schüttelte und ihm in die Augen blickte, schien sich ihre Welt ein wenig schneller zu drehen. Sein Händedruck war fest und warm, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Als sie die Alarmzeichen erkannte, zog sie hastig ihre Hand weg.

Angesichts seines fragenden Blicks sagte sie schnell: „Also, was ist das Problem?“

Sie sah zu dem fuchsfarbenen Pferd mit der weißen Blesse hinüber.

„Ich weiß es eben nicht. Amber ist ein Mustang. Sie war verletzt und ich habe sie eingefangen und gezähmt. Ich habe schon viele Pferde fohlen sehen, und ich weiß, wie das normalerweise vor sich gehen sollte.“

„Und welche Anzeichen sagen Ihnen, dass hier was nicht stimmt?“

Eli zählte sie auf. Hadley überdachte die Fakten und kniete sich neben ihn. Obwohl sie nicht oft mit Großtieren zu tun hatte, wusste sie doch genug über Pferde, um vielleicht helfen zu können.

„Kann ich sie untersuchen?“

„Wenn ich hierbleibe und mit ihr rede, wird sie es zulassen.“

„Na gut, dann ziehe ich mir Handschuhe an und wir schauen mal.“

Hadley versuchte, Elis Anwesenheit zu vergessen, während sie das Pferd abtastete.

„Hat sie normal gefressen?“, fragte sie.

„Heute noch nicht. Ich weiß, dass die Geburt ein natürlicher Vorgang ist, aber irgendwas macht mir Sorgen.“

„Aber nichts Bestimmtes?“

„Nein. Aber ich habe mich auch wegen des Schneesturms so früh gemeldet. Es ist besser, jemanden hier zu haben, der sich auskennt, als nachher zu hören, dass es niemand mehr hier raus schafft, falls doch was sein sollte.“

Aha, Eli Dalton dachte also gern voraus. In der Stadt sagte man über ihn, dass er zuverlässig und verantwortungsvoll sei. Sein Verhalten heute bestätigte das.

Hadley schloss ihre Untersuchung ab, stellte noch ein paar Fragen, streifte dann die Handschuhe ab und steckte ihr Stethoskop wieder weg. „Wir können im Moment nur warten. Es könnte noch ein paar Stunden dauern.“

Draußen heulte der Wind und rüttelte an der Stalltür. „Vielleicht sollten Sie wieder fahren. Wer weiß, ob Sie später noch hier rauskommen.“

„Brooks ist ein Freund von mir, Mr. Dalton. Er hat mich um Hilfe gebeten, also helfe ich. Ich gehe nirgendwohin.“

Sie waren aufgestanden, und jetzt fiel ihr auf, wie viel größer Eli war. Mit seinen geschätzten eins neunzig überragte er sie fast um einen Kopf. Deshalb wirkte es, als schaue er sie ein wenig auf sie hinunter, als er sie aus seinen grünen Augen prüfend betrachtete. Überlegte er, ob sie mit ihrem Mantel und den engen Jeans für lange Stunden im Stall ausreichend warm angezogen war?

Doch dann sagte er nur: „Na gut. Aber nennen Sie mich Eli.“

„Und ich bin Hadley.“

Er nickte. „Es beruhigt mich sehr, mit der Situation nicht allein zu sein, Hadley. Danke, dass Sie gekommen sind. Haben Sie schon gegessen?“

„Nein. Ich habe nicht dran gedacht, mir was mitzunehmen.“

„Dann geh ich mal ins Haus und hole uns etwas.“ Er machte eine Kopfbewegung zu der Stute hin. „Wir müssen bei Kräften bleiben, wenn wir ihr helfen wollen.“

„Amber heißt sie, haben Sie gesagt?“

„Ja, weil ihr Fell bernsteinfarben ist. Und ihre Augen.“

Ein Mann, dem die Augenfarbe eines Pferdes auffiel. Das wurde ja immer interessanter.

Als Eli sich durch den halben Meter Schnee zum Ranchhaus kämpfte, war ihm ungewöhnlich heiß. Er schob es auf die Sorge um Amber und die stressige Situation – daran, wie sehr sich sein Pulsschlag beschleunigte, wenn er in der Nähe von Hadley Strickland war, konnte es ja wohl kaum liegen.

Natürlich war sie ihm schon in der Vergangenheit aufgefallen – bei der Hochzeit zum Beispiel – aber er war dann doch nicht so weit gegangen, sie anzusprechen. Wozu auch? Er kannte diesen Typ Frau: ehrgeizig und karriereorientiert, genau wie Elaine damals. Zwölf Jahre war das jetzt her, aber er hatte sich fest vorgenommen, niemals wieder auf eine Frau wie sie hereinzufallen. Seitdem war er von „festen“ Beziehungen kuriert.

Er schüttelte sich den Schnee von den Stiefeln, bevor er ins Haus ging, und machte sich dann über den Kühlschrank her, den seine Mutter gut gefüllt hielt. Die Rancharbeiter hatten schließlich immer Hunger, und so dauerte es nicht lange, bis er einen Stapel dick mit Fleisch und Käse belegter Sandwiches gemacht hatte, die er in Ziplocktüten verstaute und in eine Einkaufstasche legte. Dazu packte er Gläser mit Mayo und Senf, dann kochte er Kaffee, den er in eine große Thermoskanne gab. Als Nachtisch nahm er die Dose mit Keksen mit, die seine Mutter immer selbst buk, dann suchte er noch Pappteller und Plastikbecher zusammen und füllte eine zweite Einkaufstasche. Das sollte für ein paar Stunden reichen.

Mit den Taschen beladen kehrte er zum Stall zurück, wo er Hadley vor Ambers Box stehen sah. Die Stute war wieder auf den Beinen.

„Sie ist noch nicht soweit“, berichtete Hadley. „Ich denke, sie versucht, sich selbst zu helfen.“

„Sie meinen, sie versucht, die Schwerkraft helfen zu lassen“, fügte Eli hinzu.

Hadley sah ihn prüfend an, und wieder spürte er diese unerklärliche Anziehungskraft, die er hastig wegschob.

„Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich mit Pferden nicht viel praktische Erfahrung habe“, erinnerte sie ihn.

Er zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder der Stute zuzuwenden.

„Ich möchte Sie nicht gern hier festhalten, wenn es gar nicht nötig ist“, sagte er ausweichend.

„Aber Sie machen sich immer noch Sorgen.“

Offenbar konnte sie seine Gedanken lesen, was ihm gar nicht gefiel. Wenn er mal mit einer Frau ausging – was in den letzten Jahren hin und wieder vorgekommen war – versuchte er sich immer solche auszusuchen, die ihn nicht durchschauten und die die Sache eher locker sahen. Genau wie er.

Doch er antwortete ehrlich: „Ja, ich mache mir Sorgen. Allerdings nicht nur um Amber. Das Schneetreiben wird immer schlimmer, und wenn Sie jetzt nicht fahren, schaffen sie es vielleicht nicht mehr nach Hause.“

Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Ich denke, ein fohlendes Pferd ist wichtiger, als dass ich zum Abendessen zu Hause bin.“

Ihre ernste Anteilnahme erschütterte ihn beinahe genauso wie die Wärme ihrer Hand auf seinem Arm. Ein paar peinliche Sekunden standen sie wortlos da, weil ihnen beiden klar wurde, was es bedeuten würde, wenn Hadley blieb. Sie würden hier zusammen festsitzen, zwei Fremde, die so gut wie nichts übereinander wussten. Hadley nahm die Hand weg.

Na gut, vielleicht kannten sie sich nicht, aber er für seinen Teil fand diese Frau immer interessanter.

„Kommen Sie“, sagte er. „Lassen Sie uns erst mal in die Sattelkammer gehen und was essen. Dad hat den Bereich renoviert und benutzt ihn auch als Büro, deshalb ist er beheizt.“

Hadley nickte und folgte ihn in den hinteren Teil des Stalls.

„Sie sind sicherlich schon mal eingeschneit worden, oder?“, fragte er. Wenn sie schon die nächsten Stunden gemeinsam verbringen würden, konnte er sie auch besser kennenlernen.

„O ja“, sagte sie. „Wenn ich in der Klinik bin, bleibe ich bei Stürmen eigentlich immer bei den Tieren. Deshalb habe ich stets ein gutes Buch dabei, das vertreibt mir dann die Zeit.“

„Haben Sie jetzt auch eins mit?“, fragte er und zog einen Holzstuhl neben den Chefsessel am Schreibtisch.

„Im Wagen.“

Hadley schaute sich neugierig um, und Eli versuchte, den Raum mit ihren Augen zu sehen. Für eine Sattelkammer war er sauber und ordentlich, und da sein Vater ihm mit einem gasbetriebenen Infrarotschirm beheizte, war auch der Betonboden blitzblank, um die Feuergefahr zu minimieren. Auch wenn der Heizer es nicht gerade auf Wohnzimmertemperaturen brachte, war es doch warm genug, dass Eli seine Daunenweste an einen Haken hinter der Tür hängte, wo auch schon seine Jacke hing. Falls Hadley fror, konnte sie sie über ihren Mantel ziehen.

Sie fing seinen Blick auf. „Was ist denn?“

„Ich habe mich nur gefragt, ob Sie frieren.“ Er griff nach der Tasche mit den Sandwiches, um seine Hände zu beschäftigen. Ansonsten verspürte er nämlich den Impuls, Hadley die weich gewellten Haare aus dem Gesicht zu streichen. Dumme Idee. Ganz, ganz dumme Idee.

„Kälte macht mir nichts aus“, erwiderte sie lächelnd. „Die meiste Zeit bin ich zwar in der Klinik und bei den Tieren, aber ich liebe Wandern und Langlauf.“

Er hob die Augenbrauen. „Gut zu wissen.“

Ein paar Minuten später hatte er auf dem Schreibtisch das improvisierte Büfett angerichtet und goss Kaffee in die Becher. Mit großen Augen betrachtete sie das Angebot.

„Stimmt was nicht?“

Sie wurde rot. „Das ist sehr aufmerksam von Ihnen.“

Er lachte. „Ein paar Brote zu schmieren und Kaffee zu kochen?“

„Sie haben auch Kekse mitgebracht.“

Etwas in ihrer Stimme ließ ihn aufblicken. „Wieso finden Sie das übermäßig aufmerksam? Ich muss ja schließlich auch was essen.“

„Ach, schon gut“, sagte sie, doch ihre Röte vertiefte sich.

Er reichte ihr ein Sandwich. „Wahrscheinlich sitzen wir hier eine Weile fest und wir können nicht die ganze Zeit stumm dasitzen. Also reden Sie sich ruhig alles von der Seele.“

Jetzt musste sie lachen. „Es ist kein dunkles Geheimnis oder so.“

Der Schatten, der dabei über ihr Gesicht flog, stand im Widerspruch zu ihren leicht dahingesagten Worten. Offenbar hatte Hadley Strickland durchaus Geheimnisse. Er wartete schweigend.

„Ich rechne nur immer damit, dass Männer zuerst an sich selbst denken“, sagte sie schließlich.

Um die Stimmung aufzuhellen, lächelte er breit. „Habe ich ja auch. Ich hatte Hunger.“

Sie sah ihn ernst an. „Sagen wir einfach, Ihre Mom hat Sie gut erzogen.“

Überrascht erwiderte er ihren Blick. „Hat sie. Was allerdings meinen Bruder Derek angeht – der hat anscheinend immer auf Durchzug geschaltet.“

Hadley lachte. „Ja, es eilt ihm ein gewisser Ruf voraus.“

Er biss in sein Sandwich und trank eine Schluck Kaffee, dann fragte er: „Wie lange bleiben Sie in Rusty Creek Falls?“

„Bis nach Thanksgiving. Meine Eltern kommen am Wochenende auch noch.“

Als sie das sagte, zog sie ein wenig die Nase kraus, und er bemerkte die Sommersprossen auf ihren Wangen. Er liebte diesen frischen, natürlichen Look.

„Sie freuen sich wohl nicht sehr auf Ihre Eltern?“, hakte er nach.

„Oh, doch, ich verbringe gern Zeit mit meiner Familie. Aber manchmal reden sie alle auf mich ein, weil mein Leben noch nicht so verläuft, wie sie sich das vorstellen. Solange ich es schaffe, sie auf andere Gesprächsthemen zu bringen, ist alles gut.“

In dem nachfolgenden Schweigen meldete sich Hadleys Handy. Sie öffnete ihren Mantel und zog es aus der Gürteltasche, zögerte jedoch, auf den Anruf oder die SMS zu reagieren.

„Machen Sie ruhig“, ermunterte Eli sie. „Solange es noch geht. Wir haben hier kein gutes Netz, und bei so einem Schneesturm kann es jederzeit zusammenbrechen.“

Sie las die SMS und lächelte. „Meine Großmutter. Sie will wissen, ob ich gut hier angekommen bin.“

Hadley tippte eine Antwort und wandte sich dann wieder ihrem Sandwich zu.

„Was haben Sie Melba geschrieben?“, fragte er.

„Dass ich bei einer Geburt helfe und noch nicht weiß, wie lange es dauert.“

Plötzlich legte Hadley ihr Sandwich weg und blickte über ihre Schulter.

„Was ist los?“, fragte er.

Doch sie legte nur einen Finger auf die Lippen und schien intensiv zu lauschen. Dann stand sie auf und schlich auf Zehenspitzen zu einem der Regale an der hinteren Wand der Sattelkammer.

„Das könnten Mäuse sein“, sagte Eli.

Doch Hadley achtete gar nicht auf ihn. Sie ging in die Hocke, schob eine Kiste mit Putzzeug zur Seite und zog etwas aus dem Regal. Als sie sich wieder umdrehte, hielt sie ein Kätzchen auf dem Arm.

In dem Moment wusste Eli, dass er in Schwierigkeiten war. Hadley Strickland, an die sich vertrauensvoll eine kleine Katze kuschelte, war ein Anblick, der sein Herz schneller schlagen ließ. Und das konnte er ganz und gar nicht gebrauchen. Was sollte er mit einer studierten Frau, die sich wahrscheinlich mit dem Leben auf einer Ranch so gar nicht auskannte? Er musste seine Libido schnellsten wieder unter Kontrolle bringen.

2. KAPITEL

Hadley kam auf Eli zu, und ganz kurz überlegte er, sich einfach aus dem Staub zu machen. Aber das ging natürlich nicht. Außerdem war er von ihr und dem Kätzchen auf ihrem Arm fasziniert.

Als sie vor ihm stand, überreichte sie ihm das Kleine. „Könnten Sie es mal halten? Ich glaube, die Mutter hat sich auch da hinten versteckt.“

Was blieb ihm übrig? Hadleys Vanilleduft stieg ihm in die Nase, der so ganz anders war als die Parfums, die Frauen sonst so trugen. Er war ihr nah genug, um ihr Haar zu berühren, das sich weich um ihr Gesicht wellte, und er starrte unwillkürlich auf ihre vollen Lippen und ertappte sich dabei, wie er sich vorstellte …

Schlagartig holte ihn die Realität wieder ein, und er nahm ihr das Kätzchen ab und barg es sicher auf seinem Arm. Es hatte eine wirklich einzigartige Färbung – eine Seite seines Gesichts war hellbraun, die andere schwarzbraun, und das Fell zeigte alle Farbschattierungen von Gold bis Dunkelbraun.

Als ihre Blicke sich trafen, lächelte Hadley, und der Blickkontakt dauerte einen Moment zu lange. Dann wandte sie sich der Katze zu und streichelte ihr Gesichtchen.

„Sie ist zu klein, um von der Mutter getrennt zu sein. Wir müssen uns also mit beiden anfreunden.“

Damit drehte sie sich um und ging zu dem Regal zurück. Kurz darauf kam sie mit einer zweiten Katze auf dem Arm zurück, die kaum alt genug aussah, um selbst Junge zu haben.

„Ob sie wohl Hunger haben?“, fragte Eli. „Im Schrank da drüben ist Katzenfutter. Und wir haben auch eine Kiste Wasser.“ Er deutete auf einen Besenschrank neben den Regalen.

„Streuner haben eigentlich immer Hunger“, sagte Hadley. „Die Kleine sollte alt genug sein, ein wenig in Wasser aufgeweichtes Katzenfutter zu essen. Sie haben sie wohl noch nie hier gesehen?“

„Stallkatzen kommen und gehen, und die meisten verstecken sich, wenn Menschen reinkommen. Wenn ich sie sehe, stelle ich ihnen Futter hin.“ Er zuckte die Achseln. „Aber die beiden hier sind wohl neu.“

„Wahrscheinlich haben sie hier vor dem Schneesturm Schutz gesucht. Sie müssen auf Krankheiten getestet werden, und das Kleine könnte Augentropfen gebrauchen.“

„Machen wir. Bei dem Wetter können sie den Stall sowieso nicht verlassen.“

Hadley setzte die Mutterkatze auf ihren Stuhl. Anstatt wegzuspringen, wie Eli erwartet hatte, blieb sie sitzen und blickte zu Hadley auf, als wäre sie dankbar für die Gesellschaft und Aufmerksamkeit.

„Was soll ich mit dem Kleinen machen?“, fragte er.

„Haben Sie einen Karton und vielleicht eine alte Decke? Dann können wir den beiden ein warmes Bett bauen. Wenn sie gegessen haben, nehmen sie es vielleicht als Schlafplatz an. Das hängt von der Mutter ab.“

Eli reichte Hadley das Kätzchen. Das war also ihr eigentlicher Job – sich mit Patienten abzugeben, die ihr Haustiere brachten und hofften, sie würde alles wieder in Ordnung bringen, was immer den tierischen Patienten auch fehlte. Er holte das Futter, leerte eine Kiste aus und legte eine weiche Satteldecke hinein, dann suchte er nach etwas, was sich als Fressnapf benutzen ließ. Schließlich nahm er den Schraubdeckel eines großen Glases mit Pferdeleckerlis und reichte ihn Hadley zusammen mit einer Flasche Wasser. „Mehr haben wir leider nicht.“

„Das ist wunderbar. Als hätten Sie nie was anderes gemacht.“

„Es gibt immer ein erstes Mal.“

Wieder trafen sich ihre Blicke, und Eli glaubte, einen Anflug von Verlangen in Hadleys braunen Augen zu sehen. Er zumindest empfand auf jeden Fall Verlangen. Vielleicht lag es daran, dass sie in einem Schneesturm in einem kleinen Raum festsaßen und dass die Luft knisterte.

„Ich schaue mal nach Amber“, sagte er unvermittelt und verließ eiligst die Sattelkammer.

Konzentrier dich, ermahnte sich Hadley, als Eli rausgegangen war. Warum hatte sie den Impuls, ihm nachzublicken? Wenn er in der Nähe war, konnte sie kaum die Augen von ihm abwenden. Es lag nicht nur an seinen breiten Schultern, seiner guten Figur und dem Sixpack, das sich garantiert unter diesem Flanellhemd versteckte. Es lag auch nicht nur an den langen Beinen, die äußerst vorteilhaft in einer engen Jeans steckten. Schließlich hatte sie schon oft Cowboys in gutsitzenden Hosen gesehen. Aber woran lag es dann? Sie hatte keine Ahnung. Aber sie musste dringend aufhören, ihn ständig anzustarren.

Sie mischte das Katzenfutter mit dem Wasser, und sobald sie den Deckel auf den Boden gestellt hatte, stürzten sich beide Katzen darauf. Allerdings schien das Kleine nicht daran gewöhnt zu sein, aus einem Napf zu fressen, also tauchte Hadley den Finger in das aufgeweichte Futter und hielt ihn dem Kätzchen unter die Nase. Das Kleine ließ seine rosa Zunge sehen und schleckte ihren Finger ab.

Als Hadley ein Kribbeln im Nacken spürte, wusste sie, dass Eli zurück war. Er war wieder da und beobachtete sie.

Hadley kannte sich mit Cowboys aus. Sie war mit einigen ausgegangen. Sie arbeiteten hart, waren oft engstirnig und sahen die Welt manchmal ziemlich eindimensional. Wieso wirkte Eli so anders?

Er kam näher und hockte sich neben sie, die Dose mit dem Katzenfutter in der Hand. „Sieht so aus, als bräuchten sie einen Nachschlag.“

Als er Futter nachlegte, berührte sein Arm den ihren, während sie gerade Wasser nachgoss. Fast hätte sie alles verschüttet. Eli so nah zu sein, machte sie ein wenig zittrig. Und das war ja nun wohl wirklich verrückt.

„Denken Sie, sie wird die Kiste annehmen?“, fragte er.

Sie wandte sich zu ihm um und war dabei so dicht bei ihm, dass sie alle Einzelheiten seines Gesichts in Nahaufnahme sah: die Fältchen um seine Augen, seine leicht gerunzelte Stirn. Auf der linken Wange hatte er eine kleine Narbe, die sie plötzlich sehr gern berührt hätte.

Nein, nein, nein, sagte sie sich und wandte sich hastig ab. „Ich hoffe es“, murmelte sie. „Es ist das wärmste und sicherste Plätzchen weit und breit.“

Das Kleine hatte inzwischen den Trick raus, aus dem Deckel zu fressen, und die beiden wirkten zufrieden.

„Wahrscheinlich werden sie sich nach dem Essen ausruhen“, sagte Hadley in die angespannte Stille hinein. Eli war ihr immer noch viel zu nah. „Wenn Sie die Kiste wieder hinten zu den Regalen stellen, wo wir die beiden gefunden haben, dann nehmen sie sie wahrscheinlich an. Sie sind Gewohnheitstiere, genau wie wir.“

Sie wusch sich mit etwas Wasser aus der Flasche die Finger und trocknete sie an einer Serviette. Aus ihrer Tasche holte sie ein antibakterielles Gel und desinfizierte sich die Hände, dann verließ sie eilig die Sattelkammer, um nach Elis Stute zu schauen.

Es war schon von Weitem zu sehen, dass Amber sich offenbar besser fühlte. Vielleicht hatte Eli sich doch getäuscht und Hadley hätte die Ranch verlassen sollen, als es noch ging.

Andererseits war der Gedanke an eine ganze Pension voller Stricklands auch nicht gerade verlockend. Es wurde immer schwieriger, ihr Geheimnis vor ihrer Familie zu verbergen. Und ein Teil von ihr hätte sich ja auch wirklich gern ihren Schwestern anvertraut. Doch der andere Teil schämte sich viel zu sehr, sich so unüberlegt in eine aussichtslose Sache gestürzt zu haben. Es musste wirklich niemand wissen, was sie in ihrer kindischen Verliebtheit getan hatte.

Allerdings hatte das seinen Preis. Manchmal kam es ihr so vor, als würde ihr kleines Geheimnis eine unsichtbare Mauer zwischen ihr und ihrer Familie bilden, die sich nicht so einfach überwinden ließ.

Als sie in die Sattelkammer zurückkam, stellte Eli gerade die Kiste bei den Regalen auf. Die Mutterkatze folgte ihm neugierig, umrundete den Karton ein paar Mal und ließ sich dann prompt darin nieder. Das Kätzchen folgte sofort, kuschelte sich ein und begann zufrieden zu säugen.

Elis Lächeln war so herzerwärmend, dass Hadleys Haut zu kribbeln begann.

„Wie geht es Amber?“, fragte er.

„Gut, wie’s aussieht. Wollen wir nochmal zusammen nach ihr sehen?“

Kurz darauf standen sie wieder in Ambers Box, und Eli strich über ihre Flanken. „Sie ist unruhig, aber sie hat sogar etwas gefressen“, sagte er. „Keine Ahnung, was das vorhin war.“

„Wir beobachten sie einfach weiter“, beruhigte Hadley ihn.

Draußen hatte der Sturm an Kraft gewonnen, und plötzlich flog eine Seitentür des Stalls auf. Ein paar Pferde wieherten aufgeregt.

„Ich mach das“, rief Hadley und rannte zur Tür.

„Legen Sie den Riegel vor“, rief Eli ihr nach. „Oder soll ich das machen?“

„Nein, geht schon“, erwiderte sie. Sie war zwar schlank und zierlich, aber an Kraft fehlte es ihr nicht. Wann immer sie Zeit hatte, machte sie Hanteltraining, schließlich brauchte man Muskeln, wenn man Tiere auf den Untersuchungstisch heben wollte. Auch eine Dogge oder ein Schäferhund zählten als Kleintiere.

Der Sturm drückte die Tür weit auf. Sie stemmte sich dagegen und schloss sie mit einem Knall. Dann hob sie den schweren Holzriegel an und ließ ihn an seinen Platz fallen. Das große Stalltor am anderen Ende war zum Glück sicher verriegelt. Der Sturm rüttelte daran, doch es hielt stand. Durch die Fenster hoch oben in den Wänden konnte man rein gar nichts sehen, sie waren mit Schnee verklebt.

Eli trat aus der Box. „Das war beeindruckend. Haben Sie in Ihrer Kleintierpraxis viel mit Elefanten zu tun?“

Sie lachte. „Nein, aber mit vielen großen Hunden. Einmal musste ich einen schwangeren Neufundländer auf den Untersuchungstisch heben. Seitdem trainiere ich regelmäßig, und es macht sich bezahlt.“

„Zeit, unser Mittagessen zu beenden“, erklärte Eli und machte eine Kopfbewegung zur Sattelkammer hin. „Vielleicht helfen uns die Kekse, den Sturm draußen zu vergessen. Sie haben doch keine Angst hier drin, oder?“

Hadley folgte ihm dankbar zur vergleichsweise warmen Sattelkammer, setzte sich in den Bürostuhl und sah zu, wie er Kaffee eingoss.

„Angst vor dem Sturm, meinen Sie?“, fragte sie.

„Vor dem Sturm auch, aber immerhin sitzen Sie hier mit einem Mann fest, den Sie kaum kennen. Und Sie wissen noch nicht, wie lange.“

„Nun ja, wir haben Heizung, wir haben Essen, wir haben sogar eine ganze Kiste Wasser und zwei Katzen. Das ist mehr, als manch andere Menschen haben. Ich denke, wir werden es überleben. Nein, ich habe keine Angst.“

Was nur ein ganz klein wenig gelogen war. Denn tatsächlich lief ihr beim Gedanken, mit Eli in dieser Sattelkammer eingesperrt zu sein, ein Schauer über den Rücken. Dass es ein wohliger Schauer war, wagte sie sich selbst kaum einzugestehen. Man sollte meinen, sie hätte aus ihren bisherigen Erfahrungen gelernt.

„Wie lange hat es gedauert, Amber zu zähmen?“ Small Talk schien ihr der beste Weg, sich von ihren unzüchtigen Gedanken abzulenken. Außerdem wollte sie wirklich gern mehr über Eli wissen.

„Kommt darauf an, was Sie mit zähmen meinen“, erwiderte er bereitwillig. „Es hat etwa eine Woche gedauert, bis sie an den Zaun kam, wenn ich sie gerufen habe. Dann habe ich mich einfach hingesetzt und mit ihr gesprochen, ohne was von ihr zu erwarten. Im nächsten Schritt gab es dann Leckerlis. Das hat sie motiviert, mich besser kennenzulernen. Ich habe diese Bio-Kekse bestellt, die gut für Pferde sind, und sie brauchte auf jeden Fall ein paar Extra-Vitamine. Sie liebt die Dinger, ich brauchte ihr nur eins hinhalten, und sie kam sofort angetrabt. Nach einer weiteren Woche durfte ich sie dann anfassen. Zuerst den Hals, dann die Flanken, schließlich die Nüstern. Ich habe mich weiterhin einfach zu ihr gesetzt und geschnitzt.“

„Geschnitzt?“

Er zuckte die Achseln. „Ist nur so ein Hobby.“

„Also haben Sie sich jeden Tag Zeit für sie genommen?“

„Ja. Wie sollte ich sie sonst besser kennenlernen oder ihr Vertrauen gewinnen?“

Hadley angelte sich einen Keks aus der Dose – der mit denen, die Elis Mutter gebacken hatte, nicht die Bio-Kekse für Pferde – und dachte darüber nach, wie warm Elis Stimme klang und wie es sich wohl anfühlte, wenn er sie mit seinen starken Händen streichelte. Also, das Pferd streichelte. Das Pferd, Hadley.

Die Kekse waren mit Schokoladenstückchen und sie schloss genüsslich die Augen. „Die sind lecker.“

„Ja, meine Mom kann gut backen.“

„Meine Großmutter Melba auch“, bemerkte Hadley. „Sie verrät mir immer ihre Lieblingsrezepte, wenn ich zu Besuch bin.“

„Kochen Sie denn viel?“, fragte Eli.

„Nicht wirklich. Ich bin zu selten zu Hause und zu oft in der Klinik. Meistens nehme ich mir auf dem Heimweg was mit. Aber an den Wochenenden koche ich mir manchmal Gulasch oder eine Suppe – oder backe frisches Brot. Ich weiß schon, wie es geht, ich habe nur zu wenig Zeit dafür. Im Moment mache ich gerade den Pilotenschein, da habe ich noch weniger Freizeit als früher.“

Eli hob die Brauen. „Den Pilotenschein? Das klingt, als ob Sie sich mehr Abenteuer im Leben wünschen.“

Irgendetwas in seiner Stimme sagte ihr, dass er das nicht für etwas Gutes hielt. „Abenteuer? Keine Ahnung. Ich will nur weiterkommen im Leben. Mit einem Kleinflugzeug könnte ich schneller bei Patienten sein, die zu weit draußen wohnen oder sogar Wildpferden helfen, wenn sie verletzt sind. Ich weiß noch nicht genau, wo es mich hinführen wird, aber es fühlte sich richtig an.“

Um das Thema zu wechseln, fragte sie: „Wie ich gehört habe, wohnen jetzt ihre Cousins hier mit auf der Ranch?“

„Ja, aber ich habe nicht allzu viel mit ihnen zu tun. Ich habe seit letztem Sommer ein Blockhaus auf meinem Teil der Ranch, dahin ziehe ich mich zurück, wenn ich allein sein will. Mein Bruder Jonah hat es entworfen, und ich habe es selbst gebaut.“

„Haben Sie es auch selbst eingerichtet?“, fragte sie. Bestimmt war es eine typische Junggesellenbleibe mit riesigem Flachbildfernseher, Liegesessel, einem geräumigen Doppelbett und sonst nicht viel.

Doch Eli beantwortete ihre Frage voller Ernst. „Meine Schwester Kristen hat ein paar Vorschläge gemacht, aber ansonsten habe ich online alles gefunden, was ich mir so vorgestellt habe.“

„Sie meinen Deko für die Wände und so?“

„Warum so überrascht?“, fragte er. „Ich liebe Kunst und Handgetöpfertes. Ich habe einen Wandbehang, den eine Freundin meiner Mutter geknüpft hat. Oder überrascht es Sie mehr, dass ich meine Einkäufe am Computer erledige? Ich bin zwar Rancher, Hadley, aber das heißt nicht, dass ich hinterm Mond lebe.“

Es klang ein wenig beleidigt, und das war nun wirklich nicht ihre Absicht gewesen. Offenbar hatte sie einen Nerv getroffen, denn er wirkte auf einmal verschlossener, nahm sich einen Keks aus der Dose und stand auf.

„Wenn Sie Amber im Auge behalten könnten, schaue ich mal nach den anderen Pferden. Rufen Sie einfach, wenn Sie mich brauchen.“ Er betrachtete sie prüfend, dann verbesserte er sich: „Rufen Sie mich, wenn Amber mich braucht. Sie scheinen der Typ Frau zu sein, der immer alles allein hinkriegt.“

Damit ging er, und Hadley blieb buchstäblich mit offenem Mund zurück.

Eli wusste wirklich nicht, was in ihn gefahren war. Vielleicht hatte er bewusst für Missstimmung zwischen ihm und Hadley sorgen wollen, wo sie doch hier so eng aufeinandersaßen und sich offenbar zueinander hingezogen fühlten. Oder aber er war noch immer nicht über seine gescheiterte Beziehung mit Elaine hinweg. Eigentlich hatte er gedacht, er wäre seine Minderwertigkeitskomplexe losgeworden, die ihn damals gequält hatten, weil er nicht aufs College gegangen war oder keine berufliche Ausbildung hatte. Damals hatte er das für Zeit- und Geldverschwendung gehalten, zumal er gerne las und sich alles, was er wissen wollte, selbst aus Büchern erschloss. Deshalb kannte er sich mit allen möglichen Dingen wie anorganischer Chemie oder Pferdezucht aus. Und er war viel gereist damals mit Elaine.

Doch nachdem sie gegangen war, konnte er sich dazu einfach nicht mehr aufraffen. Mit ihrer Ausbildung, ihrem Fachwissen und ihrer Abenteuerlust hatte Hadley unbewusst alte Wunden wieder aufgerissen, aber sie konnte natürlich nichts dafür. Sie war einfach, wie sie nun mal war – und leider auch noch verdammt attraktiv. Allerdings schien sie ihn für einen schlichten Cowboy zu halten, der nichts von der Welt hinter dem Zaun seiner Ranch wusste. Das hatte ihn getroffen. Er kannte sich eben nicht nur mit Stacheldraht und Cowboystiefeln aus. Seine Computerkenntnisse zum Beispiel hatte er sich selbst beigebracht, und er kam mit jedem Programm und jeder App klar.

Er war gerade dabei, einen Sack Futter in einen großen Eimer umzufüllen, als Hadley nach ihm rief. „Amber hat sich wieder hingelegt.“

Ohne Zögern eilte er zur Box zurück. Kam jetzt endlich das Fohlen zur Welt oder war etwas nicht in Ordnung? Als Erstes sah er, dass Hadley Ambers Schweif umwickelt hatte. Clever. Darauf hätte er auch selbst kommen können.

„Sie beginnt zu pressen“, sagte Hadley, die neben Amber kniete.

Das war soweit gut. Normalerweise sollte die Geburt dann innerhalb einer Stunde erledigt sein. Wenn nicht, lief etwas falsch.

Amber stöhnte leise.

„Ich sehe das Fohlen“, meldete Hadley. „Aber es liegt in Steißlage.“

Eli hockte sich neben sie. „Was macht man da am besten? Kann es sterben?“

„Es wird nicht sterben“, beruhigte Hadley ihn. „Steißgeburten sind schwieriger, aber unter normalen Umständen überleben beide.“

Als Amber wieder stöhnte, streckte Eli die Hand nach ihr aus und berührte dabei Hadleys Ellenbogen. Ihre Blicke trafen sich, und er sagte mit rauer Stimme: „Ich bin froh, dass Sie da sind.“

„Ich auch“, murmelte sie. Lauter fügte sie hinzu: „Pferdegeburten habe ich nur während meiner Lehrzeit bei einem Tierarzt gleich nach dem College betreut, aber ich weiß, was zu tun ist.“

Gleichzeitig streifte sie sich Handschuhe über, die ihr bis zu den Ellenbogen reichten.

„Was soll das werden?“, fragte er etwas panisch.

„Ich bin bereit, falls sie etwas Hilfe braucht. Aber wir schauen zuerst, ob die Natur auch so ihren Lauf nimmt. Ich greife nur ein, wenn es absolut sein muss.“

Inzwischen waren die Hinterhufe des Fohlens zu sehen, doch dann kam der Geburtsvorgang wieder ins Stocken und Amber atmete schwer.

„Das Becken ist der breiteste Teil des Fohlens, wenn es so rum liegt“, erklärte Hadley. „Ich werde jetzt das Fohlen an den Hufen fassen und es vorsichtig zu mir und nach unten ziehen. Dabei sollte es sich soweit drehen, dass es leichter durch den Geburtskanal kommt. Drücken Sie die Daumen.“

Beide hielten unwillkürlich den Atem an, während Hadley tat, was sie beschrieben hatte. Wenige Augenblicke später lag das Fohlen vor ihnen im Stroh. Die Tierärztin öffnete die Fruchtblase mit einem ihrer Instrumente und wischte dem Kleinen die Nüstern aus. Erleichtert sah Eli, dass es zu atmen begann.

Als Eli sie anblickte, sah er, dass sie Tränen in den Augen hatte. Offenbar hatte die Geburt sie tief bewegt. Auch er schluckte schwer. Was wäre geschehen, wenn Hadley nicht hier gewesen wäre?

„Du hast sie beide gerettet“, flüsterte er.

Er kniete so dicht neben ihr, dass er sie hätte küssen können, und auch ihr Blick blieb an seinen Lippen hängen. „Das hättest du auch hingekriegt“, erwiderte sie leise.

Ein Hauch des Vanilledufts, der sie immer umgab, stieg ihm in die Nase. „Vielleicht“, gab er zu. „Aber du wusstest, was man tun muss. Ich habe nur was darüber gelesen.“

„Du hast dich hierauf vorbereitet?“

„Ich versuche immer, auf alles vorbereitet zu sein. Aber ich war noch nie bei einer Steißgeburt dabei.“

Eli konnte den Blick nicht von Hadleys Gesicht lösen. Sie atmeten im gleichen Rhythmus, und er betrachtete wie gebannt ihre hohen Wangenknochen, ihre sanft geschwungenen Lippen, die kleine Locke, die sich in ihre Stirn ringelte. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich loszureißen und sich wieder auf die Situation zu konzentrieren.

„Sie werden jetzt ein paar Minuten so daliegen“, erklärte er. „Wenn Amber dann aufsteht, wird die Nabelschnur von selbst reißen.“

„Ich weiß.“

Noch immer blickte Hadley ihn intensiv an, doch dann richtete sie sich plötzlich auf und zog ihre Handschuhe aus. „Da wir noch warten müssen … ist noch Kaffee da?“

„Ich denke schon.“

Er wollte aufstehen, um welchen zu holen, doch Hadley hielt ihn am Arm fest. Er spürte die Wärme ihrer Hand durch den Stoff seines Hemdes, und sein Körper reagierte heftig, was schon lange nicht mehr vorgekommen war.

„Ich bin froh, dass du Brooks angerufen hast und er mich hergeschickt hat. Das hätte ich um nichts auf der Welt verpassen wollen.“

In dem Moment wurde Eli klar, dass es völlig egal war, was er über Hadley dachte und auf wie viele Arten sie die völlig falsche Frau für ihn war. Dass er sich dermaßen zu ihr hingezogen fühlte, würde nicht einfach aufhören, nur, weil er sich das wünschte.

3. KAPITEL

Eli hatte zwei Hocker für sie vor die Box gezogen, auf denen sie einträchtig mit ihren Kaffeebechern saßen, während sie Mutter und Kind beobachteten.

„Das war wirklich ein einzigartiges Erlebnis“, sagte Hadley nachdenklich. „Ich glaube, ich habe Lust, mich wieder mehr mit Großtieren zu beschäftigen. Einer unserer Tierärzte in der Klinik ist Spezialist dafür. Vielleicht kann ich ihn in Zukunft öfter begleiten.“

Sie knabberte an dem Keks, den Eli ebenfalls mitgebracht hatte. „Was sind das eigentlich für Pferdekekse, die du hinten in der Sattelkammer hast?“

„Bio-Kekse mit Kräutern“, erläuterte er. „Ich versuche, so gesund wie möglich zu füttern, und spezielle Kräuter helfen, das Temperament von Pferden auszugleichen.“

„Ehrlich?“

„Ja, man mischt sie unter das Futter. So ein, zwei Dinge habe ich mir über die Jahre schon angeeignet.“

Liebe Güte, das klang, als wäre er uralt. Dabei war er bestimmt nur ein paar Jahre älter als Hadley.

„Wie alt bist du?“, fragte er, um sicherzugehen.

„Einunddreißig. Warum?“

Er zuckte die Achseln. „Nur so.“

„Ha! Hast du gedacht, dass ich älter oder jünger bin?“

„Ich mache von meinem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern“, erwiderte er nur halb im Spaß. „Ich bin fünfunddreißig. Ich wollte nur wissen, ob ich im Vergleich zu dir schon zum alten Eisen gehöre.“

Jetzt lachte sie, und er mochte den Klang.

Dann regte sich etwas in der Box, und sie beobachteten atemlos, wie Amber aufstand und die Nabelschnur riss. Hadley hielt es nicht auf dem Hocker, und auch Eli erhob sich. Er konnte spüren, wie nahe es Hadley ging, zu beobachten, wie Mutter und Kind zueinanderfanden und das Fohlen zum ersten Mal trank.

Ganz hatten sie es aber noch nicht überstanden. Innerhalb von vier Stunden musste Amber die Nachgeburt abstoßen, sonst stieg das Infektionsrisiko. Wieder war er froh, Hadley hier zu haben. Ihm fiel auf, wie dicht sie nebeneinanderstanden und wie unvermindert stark er sich zu ihr hingezogen fühlte. Das war keine gute Idee.

„Ich schaue mal, wie’s draußen aussieht“, verkündete er und ging zur Stalltür.

Doch als er den Riegel löste und sie aufschieben wollte, tat sich rein gar nichts.

„Was ist los?“, rief Hadley.

Bevor er antwortete, ging er zum großen Stalltor, doch auch dieses ließ sich nur wenige Zentimeter öffnen. „Wir sind eingeschneit“, sagte er.

Hadley eilte zu ihm und spähte durch den schmalen Spalt. „Lieber Himmel, das ist ja fast ein Meter!“

„So sieht’s aus“, erwiderte er gelassen. In Montana musste man mit so etwas rechnen.

Hadley dagegen rüttelte am Tor und versuchte, es weiter aufzudrücken.

„Was hast du vor?“, fragte er.

„Ich muss doch irgendwie hier rauskommen. Es schneit immer noch. Was, wenn ich heute Abend nicht nach Hause kann?“

Vorher hatte sie der Gedanke noch nicht so gestört, aber vielleicht hatte sie da auch noch nicht dran gedacht, dass sie hier möglicherweise übernachten musste. Hatte sie jetzt Panik, weil es zwischen ihnen so knisterte?

„Wäre das denn so schrecklich?“, fragte er halb im Spaß, um die Stimmung aufzuhellen.

Doch dann sah er ihren angstvollen Blick. Was war da los?

„Ich kann doch nicht hier bei dir im Stall schlafen!“ Wieder rüttelte sie am Tor und versuchte, mit dem Fuß den Schnee wegzuschieben.

Instinktiv umfasste er ihre Schultern und drehte sie zu sich herum. „Hey, entspann dich! Ich habe Müsliriegel in der Sattelkammer, Erdnussbutter, ein paar Gulaschdosen und eine ganze Kiste Wasser. Wir haben sogar eine Trockentoilette in einem abgetrennten Verschlag. Wie du vorhin gesagt hast, damit geht’s uns besser als vielen anderen Menschen.“

Wie aufs Stichwort ging das Licht aus.

„O nein, jetzt ist auch noch der Strom weg!“, rief sie.

Beruhigend drückte er ihre Schultern. „Der Heizer ist gasbetrieben, wir werden also weder erfrieren noch verhungern. Manchmal muss man die Dinge einfach nehmen, wie sie sind.“

„Oh, ich habe viele Dinge genommen, wie sie waren“, erwiderte sie, und es klang fast ein wenig wütend. Gleichzeitig löste sie sich von ihm.

Was hatte sie nur? Eli konnte nicht anders, er nahm ihre Reaktion persönlich. Offenbar war es nicht ihr Ding, mit einem Cowboy eingeschneit zu werden.

„Hör mal, du brauchst keine Angst vor mir zu haben“, versicherte er ihr. „Ich bin ein Gentleman.“ Wie zum Beweis hob er die Hände. „Ich rühre dich nicht an, versprochen.“

Dann zog er das Stalltor wieder zu, bevor noch weiterer Schnee nach innen rieselte. Als Hadley nicht reagierte, ging er zurück zur Box mit Amber und dem Fohlen.

Hadley hatte sich in eine Ecke des Stalls zurückgezogen und versuchte, eine Handyverbindung zu bekommen. Was für eine unmögliche Situation. Die Dinge zu nehmen, wie sie waren, war ja schön und gut – das hatte sie in der Vergangenheit oft genug getan. Und was hatte es ihr gebracht? Eben.

In der Hoffnung auf ein paar Sekunden Netz versuchte sie noch einmal, die SMS an Melba und ihre Schwester abzuschicken, doch der Text ging nicht raus. Zum Glück hatte sie wenigstens noch Bescheid sagen können, dass sie gut auf der Ranch angekommen war. So wusste ihre Familie, dass sie in Sicherheit war.

Soweit man das Sicherheit nennen konnte.

Oh, natürlich, sie zweifelte nicht daran, dass Eli sich als perfekter Gentleman erweisen würde. So, wie sie ihn bis jetzt kennengelernt hatte, war er zuverlässig, verantwortungsbewusst und stand zu seinem Wort. Außerdem hatte sich in ihren Gesprächen gezeigt, dass er einen viel weiteren Horizont hatte als die Cowboys, die sie bisher kennengelernt hatte. Offenbar kannte er sich mit überraschend vielen und vielfältigen Dingen gut aus.

Blieb also die Tatsache, dass sie sich auf beinahe unanständige Weise zu ihm hingezogen fühlte, was ihr absolut nicht gefiel. Und jetzt saß sie hier mit ihm in diesem Stall fest, sie hatten zusammen ein Fohlen auf die Welt gebracht und sich minutenlang in die Augen gestarrt. Konnte es noch intimer werden – ohne dass sie intim wurden?

Eli lagen dieses Pferd und sein Fohlen wirklich am Herzen – eine Tatsache, für die sie ihn nur noch mehr schätzte. Als das Kleine auf seinen staksigen Beinen zum ersten Mal bei seiner Mutter getrunken hatte, wäre sie fast gerührt in Tränen ausgebrochen – doch auch Elis Augen waren feucht gewesen.

Nun gut, aber sie war erwachsen. Sie konnte sich zusammenreißen und damit umgehen, dass sie Eli unglaublich attraktiv fand – sie musste es einfach nur ignorieren. Schließlich wusste sie aus bitterer Erfahrung, welche katastrophalen Auswirkungen es haben konnte, wenn man dieser spontanen Anziehung nachgab. Blindes Verliebtsein hatte zum größten Fehler ihres Lebens geführt, den sie bitter bereute.

Aber sie hatte Eli vorhin vor den Kopf gestoßen und musste sich entschuldigen. Er wirkte jetzt verschlossen und kurz angebunden, und das war kein guter Zustand angesichts der Tatsache, dass sie die Nacht hier verbringen würden. Abgesehen davon hatte er ihr wirklich nichts getan, das Ganze war allein ihre Schuld. Wenn sie nur wüsste, wie sie ihm ihr Verhalten erklären sollte, ohne darauf einzugehen, was wirklich mit ihr los war …

Sie steckte ihr Handy weg und ging in die Sattelkammer, um nach der Katzenmutter und ihrem Jungen zu sehen. Beide wirkten zufrieden, und Hadley hoffte, dass sie gesund waren. Sie würde sie in Brooks Praxis mitnehmen, um sie durchzuchecken, wenn sie die Ranch wieder verlassen konnte.

Inzwischen war es draußen dunkel geworden, und Eli hatte batteriebetriebene Laternen neben Ambers Box und in der Sattelkammer aufgestellt. Eine dritte diente als mobile Taschenlampe, mit der Eli sich gerade noch einmal auf den Weg zu Ambers Box gemacht hatte, als sie hereinkam.

Hadley blickte sich in der Sattelkammer um. Hatte Eli nicht etwas von einem Gaskocher gesagt? Vielleicht konnten sie heißes Wasser machen – sie hatte immer ein paar Teebeutel dabei, eine Angewohnheit aus ihrer Collegezeit, in der sie immer einen Tauchsieder mit sich herumgeschleppt hatte. Tatsächlich hatte sie immer noch einen im Auto, aber ohne Strom nützte der nicht viel. Ein Gaskocher dagegen wäre perfekt, dann könnte sie Eli als Friedensangebot eine schöne Tasse heißen Tee kochen.

Sie zog die kleine Ziplock-Tüte aus ihrer Handtasche, in der sie Tee in allen Geschmacksrichtungen hatte, und machte sich auf den Weg zu Ambers Box. Eli saß auf einem der Hocker im Halbdunkel, weil die Laterne die Pferde beleuchtete, aber er hatte wohl ihre Schritte gehört, denn er drehte sich zu ihr um.

„Es scheint ihnen gut zu gehen“, sagte er in neutralem Tonfall.

„Ja, das denke ich auch.“ Wo sollte sie anfangen? Entschuldigungen lagen ihr nicht, genauso wenig wie das Eingeschneitsein mit attraktiven Männern. „Ich habe hier ein paar Teebeutel“, sagte sie ohne Einleitung. „Hast du nicht gesagt, du hast einen Gaskocher hier? Dann könnten wir vielleicht heißes Wasser machen. Das würde uns etwas aufwärmen.“

„Klingt gut“, erwiderte er, und als er aufstand und der Lichtkegel sein Gesicht erfasste, sah sie, dass er entspannter wirkte. „Ich schaue mal, ob ich einen Topf finde.“

Zurück in der Sattelkammer brachte er den Gaskocher zum Laufen und zog aus einem Hängeschrank eine kleine Kasserolle und eine Dose mit Gulasch hervor.

„Hunger?“, fragte er.

Tatsächlich war Abendessenszeit und Hadley knurrte der Magen. „Wenn wir es aufwärmen können, gern. Aber falls du meinst, dass wir das kalt essen sollen, tausche ich meine Portion liebend gern gegen den Müsliriegel, den du erwähnt hast.“Eli griff erneut in den Schrank und holte eine ganze Schachtel Müsliriegel heraus. „Die brauchen wir nicht zu rationieren, denke ich. Da es den Pferden gut geht, können wir eine Weile hier drin bleiben. Du kannst dir noch eine Satteldecke umlegen, wenn dir kalt ist.“ Er deutete auf seine Jacke, die an der Tür hing. „Oder meine Jacke überziehen.“

„Es geht schon“, erwiderte sie. Sich in Elis Jacke einzukuscheln würde den Intimitätsgrad wieder um einige Einheiten nach oben schießen lassen. „Jedenfalls im Moment.“

Er reichte ihr die Kasserolle. „Wenn du das Wasser aufsetzt, suche ich mal nach einer Taschenlampe. Nur für den Fall, dass die Batterien in den Laternen leer werden.“

Offenbar dachte Eli immer ein paar Schritte voraus und hatte stets einen Plan B in der Hinterhand. Das mochte sie an ihm.

Sie setzte das Wasser auf und kurz darauf kam Eli mit zwei Taschenlampen zurück. „Wenn wir mit dem Essen fertig sind, muss ich die Katze wieder füttern“, sagte Hadley. „Sie braucht Kraft, um das Kleine zu säugen.“

Eli holte zwei weitere Becher aus dem Hängeschrank. Hadley hängte die Teebeutel hinein und goss das Wasser auf. „Ich hoffe, du magst Orange Spice. Das ist die einzige Sorte, die ich habe.“

„Geht schon. Meine Mutter hat einen ganzen Teevorrat mit allen möglichen Sorten von Kamille bis Earl Grey.“

Wieder überraschte er sie mit dieser Information. Normalerweise interessierten sich Cowboys nicht für Tee. „Dann trinkst du gern Tee?“

„Nicht immer, aber wenn meine Mutter über etwas mit mir reden will, dann kocht sie uns immer eine Tasse Tee. Mit der Zeit habe ich herausgefunden, welche Sorten ich mag und welche nicht.“

Aus dem offenbar unerschöpflichen Hängeschrank holte er ein Glas Erdnussbutter und stellte es auf den Schreibtisch. „Damit können wir die Kekse bestreichen.“

„Das würde sie verderben“, erwiderte sie lächelnd. „Ich denke, ich bleibe bei Gulasch und Keksen pur.“

Eli öffnete die Dose und leerte den Inhalt in die Kasserolle. Während er rührte, nahm Hadley die Teebeutel aus den Bechern und reichte Eli seinen dampfenden Tee. „Lass ihn nicht kalt werden.“

„Auf keinen Fall. Die Wärme wird uns guttun.“

Jedes Mal, wenn Eli sprach, war Hadley wie hypnotisiert von seiner tiefen, warmen Stimme. Außerdem konnte sie sich nicht sattsehen an seinem Gesicht – die beiden Lachfalten an seinen Mundwinkeln, sein kantiger Kiefer, seine vollen Lippen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er ein sensitiver Mann war, der Berührungen genoss.

Schnell verdrängte sie den Gedanken und trank ihren Tee. War jetzt der richtige Augenblick, sich zu entschuldigen?

Doch bevor sie die richtigen Worte fand, nahm Eli die Kasserolle vom Gaskocher. „Ich denke, es ist fertig.“

Der Wunderhängeschrank enthielt nur eine Schüssel. Sie war von Hand bemalt, am Rand aber schon ein wenig abgestoßen.

„Wir müssen wohl aus einer Schüssel essen“, erklärte er. „Oder du nimmst die Schüssel und ich esse aus dem Topf.“

„Was immer dir lieber ist.“ Hatte er nicht gesagt, sie solle die Dinge nehmen, wie sie kamen? Also bitte.

Er warf ihr einen schnellen Blick zu, dann entschied er: „Nimm du die Schüssel.“ Er faltete eine Satteldecke mehrmals, setzte sich auf den Schreibtischstuhl, legte die Decke über seine Beine und stellte den Topf darauf.

Ein paar Minuten aßen sie in einvernehmlichem Schweigen, dann hielt es Hadley nicht länger aus. „Eli, das von vorhin tut mir leid.“

„Von vorhin?“, fragte er, als wisse er nicht, was sie meinte.

„Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, als denke ich …“

„Du dachtest, dass ich nur ein Cowboy bin“, unterbrach er sie. „Dass ich nur weiß, wie man ein Lasso schwingt, und in der Schule nicht aufgepasst habe, weil ich sowieso den Rest meines Lebens auf einer Ranch verbringen wollte.“

Hadley wusste nicht, was sie sagen sollte. Schließlich seufzte Eli und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Na egal. Wir haben wohl alle unsere Vorurteile.“

Er erwähnte nicht, was wohl sein Vorurteil ihr gegenüber war, sondern fuhr fort: „Aber nur, damit du’s weißt, ich hätte ein Stipendium fürs College bekommen.“

„Und du wolltest nicht?“, fragte sie ehrlich interessiert.

„Damals hatte ich andere Dinge im Kopf – und ich habe es auch wirklich nicht für nötig gehalten. Meine Eltern brauchten mich hier, und so verging ein Jahr nach dem anderen. Aber ich habe mir immer alles angelesen, was mich interessiert hat.“

Da er nicht darauf einging, welche anderen Dinge er meinte, fragte Hadley nicht nach. Sie wollte ja auch nicht, dass er ihr allzu persönliche Fragen stellte.

Als sie mit dem Essen fertig waren, nahm er ihr die Schüssel ab und stellte sie in den Topf auf dem Schreibtisch. „Nachtisch?“, fragte er lächelnd.

Wie immer traf sie sein Lächeln unvorbereitet. Wenn er lächelte, sah er unglaublich charmant aus, und sein wettergegerbtes Gesicht wirkte noch attraktiver. Jetzt, wo sich die ersten Bartstoppeln zeigten, war der „Bad Boy“-Effekt sogar noch stärker.

Sexy. Viel zu sexy für ihren Geschmack.

„Ja, ein Keks klingt gut“, erwiderte sie und verfluchte sich sofort für den rauen Unterton in ihrer Stimme. Eli Dalton brachte sie völlig durcheinander.

Eli öffnete die Keksdose und lächelte wieder. „Es ist nur noch einer übrig. Willst du ihn?“

„Wir teilen ihn einfach“, schlug sie vor.

Er nahm den Keks aus der Dose, und sie beobachtete unwillkürlich seine langen schlanken Finger, mit denen er Amber so sanft gestreichelt hatte.

Als er ihren Blick auffing, erklärte er hastig: „Ich habe mir vorhin die Hände gewaschen – mit geschmolzenem Schnee und Spülmittel.“

„Daran habe ich gerade gar nicht gedacht …“, setzte sie an, unterbrach sich dann aber, weil sie ihm ja schlecht sagen konnte, woran sie gedacht hatte: Dass sie zu gern diese großen, sanften Hände auf ihrer Haut spüren würde.

Hoffentlich sah er im Licht der Laterne nicht, wie sie rot wurde.

Er hakte nicht nach, teilte den Keks und reichte ihr das größere Stück. Auch das sagte etwas über ihn aus. Nicht nur, dass er tatsächlich ein Gentleman war, sondern dass er sich selbst oft zurücknahm. Oder las sie zu viel in eine einfache Geste hinein? Bisher hatte sich noch kein Mann, den sie kannte, freiwillig zurückgenommen. Schon gar nicht der, mit dem sie näher zu tun gehabt hatte.

„Stimmt was nicht?“, fragte Eli.

Genüsslich biss sie in den Keks. „Wie kommst du darauf?“

„Du hast die Stirn gerunzelt. Und zwar nicht nur kurz, sondern ausgiebig.“

„Oh, ich habe nur an etwas gedacht, was ich lieber vergessen würde“, erwiderte sie wahrheitsgemäß.

Der willkommene Nebeneffekt ihrer Gedanken war, dass die Anziehung, die sie für Eli empfand, einen gewaltigen Dämpfer bekommen hatte.

„Ich schaue mal nach Amber“, verkündete sie und stand auf.

Doch sie wollte nicht schon wieder unhöflich sein und fügte hinzu: „Hast du eigentlich schon einen Namen für das Fohlen?“

„Ich wollte bis morgen warten, bis ich ihn im Tageslicht besser sehen kann. Ich finde, Babys sollten sich ihre Namen selbst geben.“

Die Idee gefiel ihr. Wie so vieles an Eli Dalton.

Eli sah Hadley nach, als sie mit der dritten Laterne in der Hand hinausging. Was war jetzt schon wieder in ihr ausgelöst worden? Er trug das Geschirr zum Regal und stellte es in das Schmelzwasser in der Futterschüssel, mit dem er sich vorhin die Hände gewaschen hatte. Das musste bis morgen so reichen – oder bis jemand sie mit einem Schneepflug befreite. Darauf würde es nämlich hinauslaufen. Möglicherweise konnte er sich einen Pfad bis zum Haus bahnen, aber das war verrückt im Dunkeln, vor allem, solange das Schneetreiben noch anhielt. Und bis morgen würden Hadley und er es bequem im Stall aushalten. Dann konnten sie entscheiden, ob sie sich den Weg zum Haus freischaufeln wollten – wenn es nicht mehr schneite.

Trotzdem hätte er gern gewusst, wie die Lage draußen aussah. Er wollte das Stalltor nicht noch einmal öffnen, dabei kam zu viel kalte Luft herein. Aber es gab noch eine andere Möglichkeit.

Er ging zu Ambers Box, wo Hadley ganz in den Anblick versunken auf dem Hocker saß.

„Ich könnte den beiden stundenlang zusehen“, erklärte sie.

Gleich fühlte er sich ihr wieder näher, weil sie dieselbe Zuneigung zu den Pferden empfand wie er. „Ich weiß. Aber ich möchte dir noch was zeigen. Komm mal mit auf den Heuboden.“

Er nahm die Laterne und ging voran.

„Ist das dein Ernst?“, fragte sie, als sie ihm folgte.

„Ich habe da keine versteckte Räuberhöhle“, beruhigte er sie. „Ich will dir wirklich nur was zeigen.“

„Berühmte letzte Worte“, murmelte sie, und er musste lachen. Mit was für Männern hatte sie es bisher bloß zu tun gehabt?

„Muss ich was mitnehmen?“, fragte sie.

„Nein, nur deine Bereitschaft zu staunen.“

Als er stehenblieb und sich zu ihr umdrehte, sah er, dass sie keine Ahnung hatte, wovon er sprach. Aber immerhin war sie ihm gefolgt, das zeigte, dass sie ihm vertraute. Ein wenig zumindest.

Er rüttelte an der Leiter zum Heuboden, um zu prüfen, ob sie sicher stand, dann fragte er: „Willst du zuerst oder soll ich?“

„Du“, entschied sie. „Ich weiß ja nicht mal, wo es hingeht.“

Leichtfüßig kletterte er die Leiter hinauf und balancierte dabei geschickt die Laterne in der Hand. Oben wartete er auf Hadley.

Sie erklomm die Sprossen langsamer, tastete vorsichtig mit dem Fuß nach einem sicheren Stand, bevor sie die nächste nahm. Er streckte ihr die Hand hin, und sie zögerte nur kurz, dann nahm sie sie und hielt sich an ihm fest, bis sie oben war – wo sie ihn sofort wieder losließ. Was vielleicht auch besser war, denn ihm war bei der Berührung schon wieder ganz heiß geworden.

Neugierig sah sie sich um und versuchte offenbar zu erraten, was er ihr zeigen wollte. Doch außer ein paar Heuballen und Heugabeln gab es hier nichts zu sehen – bis auf die großen Luken, die durch Holzläden verschlossen waren. Er entriegelte die beiden Hälften und stieß sie auf. Der Anblick war es wert, den kalten Luftzug zu ertragen, der sofort hereinströmte.

Er winkte Hadley heran, und sie schaute neugierig aus der Luke. Es hatte aufgehört zu schneien, und im Mondlicht erstreckte sich eine unberührte Schneelandschaft vor ihnen. Weiß, wohin das Auge blickte – nur in der Ferne standen ein paar hohe Fichten vor dem blauschwarzen Himmel.

„Wow“, sagte Hadley überwältigt. „Das ist es wohl, was man sich vorstellt, wenn man von ‚weißen Weihnachten‘ spricht. Und wir haben erst Thanksgiving.“

„Winter in Montana“, sagte Eli leise. „Der Schnee macht Probleme, das gebe ich gerne zu. Wir müssen uns morgen aus dem Stall graben, und danach muss ich den großen Sandplatz irgendwie räumen, damit die Pferde Auslauf haben. Aber ich würde nirgendwo anders leben wollen, weil ich die Winter hier liebe.“

Gerade noch blickten sie nebeneinander hinaus auf die Schneelandschaft, und plötzlich sahen sie sich tief in die Augen – wie war das jetzt wieder passiert?

Ein tiefes Zusammengehörigkeitsgefühl breitete sich zwischen ihnen aus, ein gegenseitiges Verstehen, das über das normale Maß hinausging.

Hadley schaute zu ihm hoch und er sah im Licht der Laterne, die er ein Stück weiter auf den Boden gestellt hatte, dass ihre Augen funkelten.

Dachte sie vielleicht dasselbe wie er? Dass ein Kuss in diesem Augenblick etwas ganz Besonderes sein würde? Er hätte sie so gern an sich gezogen, die Arme um sie gelegt. Doch wenn er das jetzt tat und sie es nicht wollte oder sie es wollte, aber plötzlich Bedenken bekam, dann müssten sie dennoch den Rest der Nacht miteinander auskommen. Er wollte, dass sie ihm vertraute und sich genug entspannte, dass sie nachher vielleicht etwas schlafen konnte – aber wenn er sie jetzt küsste, machte er das womöglich zunichte.

Plötzlich fegte ein besonders eisiger Windstoß durch die Luke, und Hadley erschauerte. Das war ein deutliches Zeichen. Dennoch brachte er es nicht über sich, sie gar nicht zu berühren, also legte er ihr sanft die Hand auf die Schulter.

„Komm, du frierst ja. Lass uns in die Sattelkammer zurückgehen, da können wir uns etwas aufwärmen. Ich dachte nur, du könntest heute noch ein wenig Unterhaltung gebrauchen.“

„Ja, das war toll“, sagte sie. „Dieser Ausblick ist besser als jeder Film.“

Er schloss die Läden und ging zurück zur Leiter. „Am besten gehe ich vor, dann kann ich dir von unten helfen.“

„Ich komm mit Leitern schon klar“, protestierte sie ein wenig aufgebracht.

„Na schön, dann du zuerst.“

Etwas misstrauisch blickte sie ihn an, vielleicht, weil er so schnell nachgegeben hatte. Dann versuchte sie herauszufinden, wie sie am besten vom Heuboden auf die oberste Leitersprosse kam. Schließlich kniete sie sich hin und setzte dann rückwärts den ersten Fuß auf die oberste Sprosse.

„Vielleicht hätte ich doch dich vorgehen lassen sollen“, murmelte sie.

„Hinterher ist man immer schlauer“, erwiderte er gutmütig.

Als sie wieder im Stall standen, sagte er: „Ich muss noch die Pferde füttern.“

„Ich helfe dir. Hast du ein besonderes Futter für Amber?“

„Ja, sie bekommt eine Spezialmischung mit besonders vielen Vitaminen und Mineralstoffen. Da drüben in dem Eimer.“

Hadley machte sich an die Arbeit und gab Amber ihr Futter, während er sich um die anderen Pferde kümmerte. Als er wieder bei ihr ankam, sagte er: „Ich habe vor, in der Sattelkammer Decken auszulegen, das ist hoffentlich weich genug, dass wir drauf schlafen können. Ist das okay für dich?“

„Jedenfalls werde ich sehr froh über die Heizung sein“, erwiderte sie, ohne auf seine Frage weiter einzugehen.

„Keine Sorge, morgen früh werden hier eine Menge Freunde und Familienmitglieder auftauchen, um uns auszugraben.“

„Und wenn nicht?“ Sie wirkte besorgt.

„Dann bahne ich uns einen Weg zum Haus.“

„Und wenn es wieder zu schneien anfängt?“

„Irgendwann hört es auch wieder auf.“

Doch Hadley schien nicht überzeugt, und er hob die Laterne und betrachtete sie ernst. „Willst du nicht lieber das Beste hoffen, als dir Sorgen zu machen, dass das Schlimmste eintreten könnte?“

„Eigentlich schon, aber das heißt nicht, dass das Beste auch wirklich geschieht.“

Etwas in ihrer Stimme sagte ihm, dass sie eine Krise durchgemacht hatte, die nicht nur ihre Sicht auf Männer, sondern möglicherweise auf die ganze Welt verändert hatte. Aber würde sie sich ihm so weit öffnen, dass sie ihm anvertraute, was ihr widerfahren war?

4. KAPITEL

Natürlich war es sinnvoll, dass sie und Eli gemeinsam in der Sattelkammer schliefen, wo der Heizstrahler lief. Trotzdem war es eine seltsame Situation. Sehr viel Platz gab es auf dem Fußboden nicht, also würden sie sich sehr nahe sein. Eli hatte alle Satteldecken zusammengesucht, die er finden konnte, und Hadley half ihm, sie auf dem Boden auszubreiten. Von irgendwoher hatte er einen Schlafsack gezaubert, den er ausrollte, öffnete und oben auf die Decken legte.

Um wenigstens irgendwas zu sagen, bemerkte sie: „Dieser Raum sieht neuer aus als der Rest vom Stall.“

„Ja, wir haben ihn später angebaut. Im Winter ist es wirklich angenehm, den Heizstrahler zu haben, wenn man die Sättel pflegt.“

Er zog ein orthopädisches Kissen aus einem Regal hervor. „Hier, das sollte es etwas bequemer machen. Dad braucht es, wenn er im Stall übernachtet, sonst bekommt er Rückenschmerzen.“

„Und was ist mit dir?“

„Ich nehme meine Weste.“

„Soll ich den Mantel anbehalten?“

„Nein, es wäre besser, wenn wir uns unter eine Decke legen und unsere Körperwärme vereinen. Den Mantel kannst du besser über der Decke über dir ausbreiten.“

Hadley verschluckte sich fast. Ihre Körperwärme sollte sich vereinen?

„Eli …“, protestierte sie ein wenig atemlos.

„Hör zu, ich weiß, dass die Situation nicht ideal ist. Aber wir tragen beide noch unsere Kleidung. Schließlich ist das hier kein romantisches Wochenende.“

Nein, das war es nicht, aber je besser sie Eli kennenlernte, desto mehr wünschte sie sich, es wäre eines. Nein, heute Nacht würde nichts passieren, sie hatten beide ihre Grenzen abgesteckt. Aber er war ein Traumtyp und sie eine leidenschaftliche Frau, auch wenn ihre Leidenschaft in der Vergangenheit einen bösen Dämpfer erlitten hatte. Sicher, sie erzählte jedem, der sie deswegen löcherte, dass sie zu viel zu tun hatte, um auszugehen, aber der wahre Grund ging so viel tiefer.

„Möchtest du noch einen Müsliriegel, bevor wir uns hinlegen?“, fragte er.

„Nein, aber wir sollten abwechselnd nach Amber und dem Fohlen sehen.“

„Der Heizstrahler hat einen Timer, er geht in Intervallen an und aus. Von dem Klicken wache ich immer auf, und dann sehe ich nach ihnen.“

„Ich kann aber auch mal übernehmen.“

„Wenn du fest schläfst, werde ich dich gewiss nicht wecken. Aber wenn du sowieso wach bist, dann nur zu.“

Eli stellte eine Laterne auf den Schreibtisch, dann zog er seine Jacke über und drehte eine letzte Runde bei den Pferden. Der Wind war wieder stärker geworden und rüttelte an den Wänden, doch Hadley wusste, dass der Stall solide gebaut war. Alles, was die Männer in dieser Familie taten, hatte Hand und Fuß. Während Eli weg war, betrachtete sie die gut gepflegten Sättel, die ordentlich an der Stirnseite des Raumes hingen. Sogar die Steigbügel waren sauber.

Keine wichtige Information, aber wahrscheinlich versuchte sie sich nur abzulenken, bis Eli zurückkam. Auf keinen Fall würde sie sich schon einmal hinlegen und so auf ihn warten. Das erinnerte sie zu sehr daran, wie …

Schnell schob sie den Gedanken von sich.

Als Eli zurückkam, war seine Jacke nass.

„Warst du draußen?“, fragte sie.

„Sagen wir, ich habe es versucht, aber es schneit wieder. Es hat wirklich keinen Sinn. Aber keine Sorge, bis morgen hat sich der Sturm bestimmt gelegt.“

Hadley warf noch einen letzten Blick auf die Kiste mit den Katzen, die selig schliefen. „Den beiden geht’s jedenfalls gut.“

„Nun ja, sie haben bestimmt keine leichte Zeit hinter sich. Jetzt können sie sich endlich mal ausruhen – mit vollem Magen und im halbwegs Warmen.“

„Ja, Tiere leben von einem Moment zum nächsten. Vielleicht wären wir Menschen besser dran, wenn wir es auch so hielten“, sagte Hadley nachdenklich.

„Heute Nacht jedenfalls machen wir es so“, sagte er. „Bist du bereit, schlafen zu gehen? Ich muss noch meine Jacke zum Trocknen aufhängen, aber du kannst dich ja schon hinlegen. Ich bin gleich bei dir.“

Also war es jetzt offenbar Zeit, ihren Mantel und die Stiefel auszuziehen. Sie fing mit dem Mantel an und breitete ihn auf dem Schlafsack aus, um von der Weichheit des Fleecestoffes zu profitieren. In den Stiefeln trug sie zwei Paar Socken, was ihre Füße bisher ganz gut warm gehalten hatte. Was den Rest anging … sie hatte nicht damit gerechnet, den Mantel bei der Arbeit abzulegen. Ihre alten Jeans und ein langärmliger Pullover in verschiedenen Blautönen waren also nicht gerade ihre besten Sachen. Aber sie würde in Decken gewickelt auf dem Fußboden liegen, also spielte das wohl keine große Rolle.

„Irgendwelche abendlichen Rituale?“, fragte Eli von der Tür her.

„An was dachtest du da?“, gab sie zurück. „Das Auftragen einer blauen Feuchtigkeitsmaske, damit mich nachts niemand erkennt, ich am nächsten Morgen aber von innen heraus leuchte?“

Es blieb ein paar Moment lang still, und sie fragte sich, warum. Doch dann sagte er: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du eine blaue Maske brauchst, um morgens von innen heraus zu leuchten.“

Hadley war sprachlos, und das passierte ihr selten. „Das ist wirklich das Netteste, was mir seit Langem jemand gesagt hat“, brachte sie schließlich hervor.

„Es ist nicht nur nett, es stimmt auch. Du hast diese Art von Gesicht. Als das Fohlen auf die Welt kam, hat du von innen heraus gestrahlt. Ich denke, so siehst du jeden Morgen aus.“

Um von ihr, seinen Worten und den Gefühlen abzulenken, die sie auslösten, setzte sich Hadley auf das improvisierte Nachtlager und fragte: „Wie ist es eigentlich, mit so vielen Männern unter einem Dach zu leben?“

„Du meinst, seit meine Cousins hier eingezogen sind? Na ja, sagen wir, wir freuen uns, dass wir ihnen und meinem Onkel Phil ein Dach über dem Kopf geben konnten, nachdem sein Haus abgebrannt ist – aber ich für meinen Teil bin froh, dass ich mein eigenes Haus hier auf dem Gelände habe und mich nach der Arbeit dorthin zurückziehen kann. Versteh das nicht falsch, es sind alles großartige junge Männer. Aber mir ist das zu viel Trubel – und manchmal fühle ich mich unter all den jungen Leuten ziemlich alt, weil ich ganz andere Interessen habe.“

Eli stellte die Laterne auf den Boden und setzte sich neben sie auf das „Bett“. Obwohl Hadley voll bekleidet war, zog sie hastig die Decke bis zum Kinn hoch, als könne die sie zusätzlich vor ihren Gefühlen – und Gelüsten – schützen.

Ein paar Minuten lagen sie schweigend nebeneinander, sorgsam darauf bedacht, sich nicht aus Versehen irgendwo zu berühren. Schließlich hielt Hadley das bedrückende Schweigen nicht länger aus und fragte: „Will dein Onkel sich denn hier eine neue Ranch kaufen?“

„Ja, er hat sogar schon eine gefunden, die Sunshine Farm. Im Moment verhandelt er noch mit dem Besitzer. Jedenfalls gefällt es ihm und seinen Jungs hier in Rust Creek Falls. Onkel Phil mag den Kampfgeist, mit dem die Bewohner die Stadt nach der großen Überschwemmung wieder aufgebaut haben. Und dass so viele Freiwillige zum Helfen hergekommen sind. Du weißt ja bestimmt, dass Brooks so seine Jazzy kennengelernt hat?“

„Ja, klar.“

„Die beiden sind ein tolles Paar, oder? Man sieht schon von Weitem, dass sie einfach zusammengehören.“

„Stimmt. Und sie lieben ihre Arbeit, das verbindet sie.“

„Was will man mehr?“, murmelte Eli im Dunkeln.

„Na ja, ich glaube, Jazzy wünscht sich ein Kind.“

„Dann werden sie wohl bald eins kriegen.“

Hadley fragte sich, ob es so einfach war. Jazzy war nicht mehr die Jüngste. Deshalb lagen ja auch Hadleys Schwestern ihr ständig in den Ohren, dass ihre biologische Uhr ablief. Und ganz unrecht hatten sie nicht.

Dank dieser Gedanken, und dank des Mannes neben ihr, der sie so faszinierte, konnte Hadley einfach nicht einschlafen. Sie lauschte Elis gleichmäßigem Atmen und zuckte bei jeder seiner Bewegungen zusammen. Wenn sie selbst sich bewegte, achtete sie darauf, ihn ja nicht aus Versehen zu berühren.

Je länger sie wach lag, desto kälter wurde es im Raum. Die Außentemperatur musste noch einmal stark gesunken sein, und die Gasheizung kam gegen die Kälte nicht an. Hadley versuchte, ganz still zu liegen, konnte ihr Zittern aber nicht unterdrücken.

Offenbar schlief Eli nicht ganz so tief, wie es den Anschein hatte, denn er drehte sich zu ihr um und fragte: „Frierst du?“

„Ja. Und ich denke an morgen und wie wir hier rauskommen, und ob Amber und ihr Fohlen auch frieren, und die anderen Pferde.“

„Und an den Weltfrieden und ob deine Familie es auch warm hat?“ Sein leises Lachen erklang in der Dunkelheit.

„Ich kann meine Gedanken einfach nicht abstellen.“

„Wahrscheinlich liegt es daran, dass dir so kalt ist. Komm her!“

Sie hörte, wie er sich im Dunklen bewegte, und ahnte mehr, als sie es sah, dass er den Arm nach ihr ausstreckte.

„Komm“, lockte er. „Mir ist nicht kalt, ich kann dich wärmen.“

Natürlich war ihr klar, dass die Idee nicht besonders clever war – zumindest, was sie anging. Aber sie fror wirklich entsetzlich. Und wenn sie heute Nacht überhaupt noch etwas Schlaf bekommen wollte, musste sie sich aufwärmen. Also rückte sie dichter an Eli heran und schmiegte sich in seinen Arm.

„Besser so?“

O ja, viel besser. Viel zu viel besser. Ihm so nah zu sein, ließ alle Alarmglocken in ihr aufschrillen. Sie sollte einem Mann, zu dem sie sich so hingezogen fühlte, nicht so nah sein.

Nach einem langen Atemzug sagte sie: „Ich friere nicht mehr so.“

„Sehr schön. Dann bleib so. Lass uns über was reden, was dir nicht im Kopf herumgeht oder auf deiner To-do-Liste steht.“

„Zum Beispiel?“

„Sag mir, wo auf der Welt dein Lieblingsgebäude steht.“

Es war eine seltsame Frage, aber sie spielte mit.

„Geht es um Architektur oder darum, wofür es genutzt wird?“

„Beides.“

„Okay, dann vielleicht der Louvre in Frankreich. Und deins?“

„Das Smithonian Museum für Luft- und Raumfahrt. Als ich klein war, wollte ich unbedingt auch ein Stück Mondgestein für meine Sammlung.“

Und so ging es weiter. Eli war wirklich kein typischer Cowboy, er kam nicht mal nach seinem Vater, der kein Freund vieler Worte war. Eli konnte wunderbar anschaulich erzählen, besonders von den Streichen, die er und seine Geschwister als Kinder ausgeheckt hatten. Er brachte sie immer wieder zum Lachen, lenkte sie von ihren sorgenvollen Gedanken ab, und schließlich schlief sie, an seine Schulter gekuschelt, ein.

Als Eli erwachte, fühlte er sich ein wenig desorientiert. Hadley lag in seinem Arm, ihre Wange an seine Brust gebettet. Sie waren in der Nacht noch mehrmals aufgestanden, um nach Amber und ihrem Fohlen zu sehen, und da sich keiner von ihnen bewegen konnte, ohne den anderen zu wecken, waren sie jedes Mal zusammen gegangen – das letzte Mal um vier Uhr früh. Und ohne große Worte hatte sich Hadley jedes Mal danach wieder in seinen Arm gekuschelt. Jetzt fiel graues Morgenlicht durch das mit Eisblumen bedeckte Fenster.

Mit der freien Hand tastete er nach seinem Handy und sah auf die Uhr. Fast neun! So lange hatte er noch nie geschlafen.

Hadley regte sich, war aber noch nicht wach. Als er auf sie hinunterblickte, wurde ihm klar, dass sie im Schlaf viel verletzlicher wirkte, als sie sich sonst gab. Wenn sie wach war, wirkte sie immer wie auf der Hut. Lag das an ihm oder war sie bei allen Männern so? Besser, er versuchte nicht, es herauszufinden. Das machte alles noch komplizierter.

Doch als sie schließlich die Augen öffnete und ihn direkt ansah, strahlte ihr zartes Gesicht genauso verführerisch, wie er es sich vorgestellt hatte. Unwillkürlich neigte er den Kopf weiter in ihre Richtung.

„Wir haben verschlafen“, murmelte er. „Es ist fast neun.“

Erst jetzt entdeckte er, dass die Katze und ihr Kleines sich ebenfalls ein Plätzchen in ihrem improvisierten Bett gesichert hatten. Sie lagen eingerollt an Hadleys Hüfte geschmiegt. Sie konnte sich nicht bewegen, ohne sie zu stören, und machte auch keine Anstalten dazu.

„Wir müssen die Pferde füttern“, sagte sie, blickte ihn jedoch unverwandt an.

„Stimmt.“ Auch er konnte sich nicht rühren. Es war, als hielte die unglaubliche Anziehungskraft zwischen ihnen sie an Ort und Stelle. So etwas hatte er noch nie erlebt, und er sah in Hadleys Blick, dass es ihr ähnlich ging. In der Nacht hatte sie gefroren, aber jetzt kam es Eli vor, als strahle sie unglaubliche Hitze aus.

„Hadley“, setzte er an und neigte den Kopf noch weiter zu ihr, um ihr zu zeigen, was er vorhatte.

Sie seufzte leise, hob das Kinn und wartete. Hätte sie auch nur angedeutet, dass sie nicht geküsst werden wollte, wäre er sofort aufgesprungen und zu den Pferden geeilt. Doch sie hatte den Mund leicht geöffnet, und er beschloss, die Außenwelt noch für eine Weile sich selbst zu überlassen. Sie waren hier in ihrer eigenen kleinen Traumwelt gefangen, und er würde jetzt endlich dem nachgeben, was er schon die ganze Zeit empfand.

Als er Hadleys Lippen berührte, war er überrascht, welch überwältigendes Verlangen sich in ihm ausbreitete. Das hatte er so noch nie erlebt. Er wusste nicht so genau, wie weit er eigentlich hatte gehen wollen, aber die Entscheidung nahm Hadley ihm ab. Als er mit der Zungenspitze sanft über ihre Unterlippe strich, umschlang sie seinen Hals und vergrub die Finger in seinen Haaren. Sie öffnete den Mund ganz und hieß ihn vorbehaltlos willkommen. Als ihre Zungen sich berührten, wurde sein Verlangen übermächtig. Er veränderte seine Lage, um den Kuss vertiefen zu können, und zog Hadley dabei enger an sich. Auch sie hielt sich nicht zurück, und er überließ sich ganz den wunderbaren Gefühlen, die das in ihm auslöste.

Daher dauerte es eine ganze Weile, bis er das Geräusch wahrnahm, das von draußen herein klang. Im ersten Moment wusste er nichts damit anzufangen, weil er völlig von diesem unglaublichen Kuss gefangen war. Doch dann wurde der Lärm draußen immer lauter, und ihm wurde klar, dass jemand dabei war, den Weg zum Stall freizuräumen.

Sie waren gerettet. Zu dumm nur, dass er gerade in diesem Moment überhaupt kein Interesse mehr daran hatte.

Offenbar hatte Hadley es jetzt auch gehört, denn sie setzte sich auf. „Ist das ein Schneepflug? Wir sollten besser …“

„Ich mache mal die Tür auf, damit sie wissen, dass wir hier drin sind“, sagte Eli.

Zeitgleich, und beinahe ängstlich, sprangen sie von ihrem Lager auf. Hadley bückte sich nach dem Kätzchen, nahm es auf den Arm und streichelte es ausgiebig.

Für Eli dagegen war die beste Beruhigung immer, etwas zu tun zu haben. „Ich begrüße die Gäste mal“, erklärte er, wobei er noch gar nicht wusste, wer vor der Tür stehen würde. Immerhin hatte der, der den Schneepflug fuhr, ihn und Hadley vor einem schrecklichen Fehler oder zumindest einer sehr peinlichen Situation bewahrt.

Was hatte er sich nur dabei gedacht, sie so zu küssen?

Eli schlüpfte in seine Jacke und ging zu der Seitentür, die sich jedoch immer noch nur einen Spaltbreit öffnen ließ. Also griff er nach seinem Stetson, der an einem Haken neben der Tür hin, schob ihn durch den Spalt und schwang ihn auf und ab. Einen schwarzen Hut sollte man vor all den Schneemassen wohl sehen.

Tatsächlich. Als der Schneepflug näher kam, erkannte Eli Old Gene am Steuer. Hadleys Großvater lenkte das Gerät so dicht wie möglich an den Stall heran, und Levi Wyatt, Hadleys Schwager, sprang mit einer Schaufel vom Beifahrersitz um den Rest zu erledigen. Schließlich konnte Eli die Tür aufstoßen.

Hadley trat hinter ihn. Sie hatte die Tür zur Sattelkammer hinter sich geschlossen, wahrscheinlich, damit die Katzen nicht rausliefen. Bestimmt hatte sie sie auch schon gefüttert.

„Ihr beide habt also überlebt“, sagte Old Gene, als sie alle im Stall standen.

„Amber hat ihr Fohlen bekommen“, erklärte Hadley. „Mutter und Kind sind wohlauf. Ich will Eli noch schnell helfen, die Pferde zu füttern, und ich muss eine Katze mit ihrem Kleinen mitnehmen. Wie ist denn die Lage in der Stadt?“

„Die Hauptstraße ist geräumt, und es sind Schneepflüge in den Seitenstraßen bei der Arbeit. Du solltest bis zur Praxis durchkommen und auch wieder zurück zur Pension.“

„Du musst mir nicht mit den Pferden helfen“, fügte Eli hinzu. „Ich weiß, du willst gern los.“

„Aber es wird noch ein paar Minuten dauern, bis ich ihr Auto freigeschaufelt habe“, warf Levi ein. „Also keine Eile.“

„Ich suche mal eine Kiste für die Katzen“, sagte Eli und vermied es dabei, Hadley anzusehen.

Er brauchte Zeit zum Nachdenken, um sich darüber klar zu werden, was genau passiert war. Wie hatte Hadley Strickland in nur einer Nacht seine Gefühle so durcheinanderbringen können, dass er nicht mehr wusste, wo oben und unten war?

Sobald Hadley wieder Netz hatte, rief sie Brooks an. Zu ihrer Überraschung erreichte sie ihn in der Praxis.

„Ich habe hier übernachtet“, sagte er. „Wir hatten ein paar Patienten, die ich nicht allein lassen wollte. Und wie steht’s bei dir?“

Hadley erzählte ihm von den Katzen. „Ich bin in fünf Minuten da“, sagte sie und beendete das Telefonat.

Eine halbe Stunde später rief sie von der Praxis aus Eli an. Er antwortete beim zweiten Klingeln. „Bist du gut zur Klinik gekommen?“, fragte er als erstes.

„Ja. Brooks war auch schon hier. Er hat beide Katzen getestet, und beide sind gesund. Aber das Kleine braucht regelmäßig Augentropfen. Ich wollte dich fragen, was du mit ihnen vorhast. Das Kleine kann noch nicht frei im Stall herumlaufen.“

„Ich denke, die beiden können erst mal in der Sattelkammer bleiben.“

„Ja, das könnte gehen. In den ersten zwei Tagen müssen die Augentropfen drei Mal täglich verabreicht werden.“

„Das kriege ich hin.“

„Super. Holst du sie ab?“

„Kann ich machen. Wie lange seid ihr noch da?“

„Brooks will sicher schnell nach Hause, er hat die Nacht hier verbracht. Aber ich kann warten, bis du hier bist.“

Als sie aufgelegt hatte, betrachtete Hadley versonnen ihr Handy. Ob es peinlich werden würde, Eli wiederzusehen?

Das Kätzchen miaute und unterbrach damit ihre Gedanken. Sie nahm es auf den Arm und drückte es an sich, doch dann kam sie unweigerlich zu dem Punkt zurück, der sie einfach nicht mehr losließ: Elis Kuss. Es war der beste Kuss ihres Lebens gewesen.

Hadley blickte von ihren Untersuchungsergebnissen auf, als Eli in den Behandlungsraum trat. Hier wirkte er sogar noch größer und breitschultriger als in dem hohen Stallgebäude.

„Tut mir leid, dass ich dich in dem Schneechaos herzitiert habe“, sagte sie. „Aber ich wollte die beiden nicht ohne Anlass in einem der Käfige hier unterbringen.“

„Kein Problem“, erwiderte Eli.

Als er näher an den Untersuchungstisch trat, spürte sie, wie ihre Haut zu kribbeln begann. Vielleicht lag das daran, dass sie sich nur allzu gut an die Berührung seiner Hand erinnerte, an den sinnlichen Kuss. Jedenfalls fand sie es plötzlich ungewöhnlich warm im Raum.

„Also, zu den Augentropfen“, sagte sie. „Erfahrungsgemäß sind Katzen nicht begeistert von Medizin in jeglicher Form. Es wäre gut, wenn du jemanden findest, der dir hilft. Ein Tropfen in jedes Auge. Ich halte sie fest, du gibst ihr die Tropfen.“

„Verstanden. Ich nehme an, der Trick ist, schnell zu sein, bevor sie anfängt, zu strampeln.“

„Genau.“

Eli verabreichte dem Kätzchen die Tropfen, das laut miauend protestierte und danach sofort zu seiner Mama lief. Als Eli die Katze streichelte, fiel Hadley wieder auf, wie sanft er war, was in ihr alle möglichen Bilder ganz anderer Art aufsteigen ließ. Schnell griff sie nach einer Tüte auf der Ablage.

„Das sind Leckerlis, die das Immunsystem stärken“, sagte sie. „Die Mutter kann etwa zehn am Tag bekommen, das Kleine zwei oder drei. Die musst du aber zerkleinern.“

„Ich werde mich gut um die beiden kümmern“, versprach Eli ernst.

Hadley musterte ihn. Möglicherweise hatte er die besten Absichten, aber er war ein vielbeschäftigter Rancher. Was, wenn er sie in der Hektik des Tagesgeschäfts vergaß?

Offenbar standen ihr die Zweifel deutlich ins Gesicht geschrieben. „Wirklich“, bekräftigte Eli. „Sie sind bei mir in guten Händen.“

Hadley holte eine der Transportboxen aus Pappe, die die Klinik für solche Fälle bereithielt.

„Brooks wird dir eine Rechnung für die Untersuchung schicken“, sagte sie.

„Und was ist mit deinem ausgedehnten Hausbesuch? Der sollte auch ein Posten auf der Rechnung sein.“

„Ich habe nur einem Freund einen Gefallen getan. In meiner Freizeit. Das berechne ich nicht.“

„Hadley …“ Seine Stimme klang ein wenig rau, und die Art, wie er ihren Namen aussprach, jagte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken, den sie zu ignorieren versuchte.

„Ich habe die Geburt doch nur begleitet.“

„Von wegen. Ohne dein Eingreifen wäre das Fohlen womöglich gestorben. Ich habe es übrigens Coco getauft, wegen seiner Farbe.“

Obwohl sie sich geschworen hatte, nie wieder auf einen Mann reinzufallen, machte sie unwillkürlich ein paar Schritte auf ihn zu.

„Das war ein Erlebnis, das ich nicht so schnell vergessen werde“, flüsterte sie.

Stumm schauten sie einander in die Augen, und offenbar spürte auch er, dass die Geburt des Fohlens der Beginn von etwas Neuem gewesen war. Nur, dass Hadley das gar nicht spüren wollte. Sie unterbrach den Blickkontakt, öffnete die Transportbox und setzte die Mutterkatze hinein. Als Eli dasselbe mit dem Kätzchen tat, berührten sich ihre Hände. Wieder blickten sie sich an, und wieder fehlten ihnen die Worte.

Eli schob die Griffe der Transportbox ineinander und hob sie hoch. An der Tür zögerte er kurz.

„Ich denke, wir sehen uns?“

Hadley nickte, doch sie wusste immer noch nicht, was sie sagen sollte. Es wäre wunderbar, Eli wiederzusehen. Aber in ihrem eigenen Interesse würde sie sich dieses Vergnügen verwehren.

5. KAPITEL

Eli war gerade dabei, sich in der großen Wohnküche des Ranchhauses einen Kaffee zu machen, als seine Mutter hereinkam.

„Oh, welch seltener Gast“, sagte sie und umarmte ihn. „Dich habe ich ja schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Wo hast du gesteckt?“

„Ich hatte jede Menge Schnee zu schieben und ein paar hungrige Rinder zu füttern.“

„Wohl wahr. Allerdings habe ich auch gehört, dass bei dir eine Katze mit ihrem Jungen eingezogen ist. Wie kam’s denn dazu?“

„Ich habe sie in der Sattelkammer gefunden, aber da das Kleine regelmäßig Augentropfen braucht, dachte ich, bei mir wären sie besser aufgehoben.“

Autor

Brenda Harlen
Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
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Teresa Southwick hat mehr als 40 Liebesromane geschrieben. Wie beliebt ihre Bücher sind, lässt sich an der Liste ihrer Auszeichnungen ablesen. So war sie z.B. zwei Mal für den Romantic Times Reviewer’s Choice Award nominiert, bevor sie ihn 2006 mit ihrem Titel „In Good Company“ gewann. 2003 war die Autorin...
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Karen Rose Smith wurde in Pennsylvania, USA geboren. Sie war ein Einzelkind und lebte mit ihren Eltern, dem Großvater und einer Tante zusammen, bis sie fünf Jahre alt war. Mit fünf zog sie mit ihren Eltern in das selbstgebaute Haus „nebenan“. Da ihr Vater aus einer zehnköpfigen und ihre Mutter...
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