Bianca Gold Band 68

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TRAUMMANN MIT GEHEIMNIS von PATRICIA KAY
Lange verschließt Beth die Augen davor, dass mit Jack Stokes irgendetwas nicht stimmt. Der gebildete Mann arbeitet auf ihrer Rosenfarm als Mädchen für alles, ihre beiden Kinder lieben ihn – und sie auch! Doch über eins spricht Jack nie: über seine Vergangenheit …

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  • Erscheinungstag 18.03.2022
  • Bandnummer 68
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510653
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Patricia Kay, Emily Dalton, Anne Henry

BIANCA GOLD BAND 68

1. KAPITEL

Der Regen prasselte gegen die Flügelfenster der Bibliothek, während über der Villa der Stockwells der Donner grollte. Das seit zwei Tagen angekündigte Gewitter hatte die Gegend von Dallas erreicht, aber niemand beschwerte sich. Der Sommer war heiß und trocken gewesen. Die vier Menschen in der Bibliothek schienen gar nicht zu bemerken, was sich draußen abspielte, so vertieft waren sie in ihr Gespräch.

„Also sind wir uns einig?“, fragte Jack Stockwell. „Ich breche morgen zur Farm der Johnsons auf?“

Seine Brüder Cord und Rafe nickten. Seine Schwester Kate zögerte kurz, doch dann stimmte auch sie zu.

Wie immer, wenn er sie betrachtete, wurde Jack warm ums Herz. Sie hatte in letzter Zeit so viel durchmachen müssen. Nach langen Jahren der Trennung hatte sie ihre große Liebe wiedergefunden und sich verlobt, doch der Tod ihres Vaters hatte das Glück ein wenig getrübt. Obwohl sie alle vor ein paar Monaten erfahren hatten, dass Caine Stockwell sie schamlos belogen hatte, waren die Tage nach seiner Beisetzung für Kate schwer gewesen.

Zorn stieg in Jack auf. Wie hatte Caine seinen Kindern so etwas antun können? Er hatte ihre Mutter aus dem Haus getrieben, als sie noch Kleinkinder waren, und ihnen später, als sie alt genug waren, erzählt, Madelyn sei tot. Sosehr Jack es auch versuchte, er konnte nicht um seinen Vater trauern. Schon als Kind hatte er gewusst, dass sein Vater ihn hasste. Jedes Wort, jede Ohrfeige, jede Brutalität von ihm hatte es dem Jungen bewiesen. Noch immer fragte Jack sich, warum Caine seinen ältesten Sohn so behandelt hatte. Und auch jetzt ärgerte er sich darüber. Was spielte es noch für eine Rolle? Caine war inzwischen tot. Das Unrecht, das er begangen hatte, war nicht mehr gutzumachen.

„Ich kann kaum glauben, dass Dad nicht wenigstens versucht hat herauszufinden, ob Gabriel Johnson die Wahrheit sagte“, meinte Kate. Sie und ihre Brüder hatten unter Caines Papieren einige Briefe entdeckt, in denen ein Gabriel Johnson ihrem Großvater vorwarf, seinen Vater um dessen Vermögen betrogen zu haben. „Schließlich sind die Johnsons die Familie unserer Mutter!“

„Verdammt, Kate, warum fällt es dir so schwer, das zu glauben? Überleg doch mal, was unser Vater uns angetan hat!“, entgegnete Jack. Caine Stockwell war ein rücksichtsloser Geschäftsmann gewesen. Für ihn hatte nur das Recht des Stärkeren gegolten. Wenn die Johnsons es nicht geschafft hatten, ihr Vermögen zu erhalten, war das ihr Problem, nicht seins.

Trotzdem war Jack nicht sicher, ob Gabriel Johnsons Anschuldigung gerechtfertigt war. Wenn er, wie er behauptete, Beweise hatte, warum hatte er sie nicht vorgelegt? Warum hatte er Caine nicht vor Gericht zitiert und ihn auf Herausgabe des Johnson-Vermögens verklagt?

Bei seinen Nachforschungen hatte Jack herausgefunden, dass Gabriel Johnson verstorben war und dass es nur zwei direkte Nachkommen gab. Einen Jungen und ein Mädchen, die mit ihrer Mutter auf einer Rosenfarm in Rose Hill im Staate Texas lebten.

Also würde er sich morgen auf den Weg dorthin machen.

„Was willst du dieser Beth Johnson denn sagen?“, fragte Rafe.

Jack zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir nicht sicher. Das hängt davon ab, was ich dort erfahre.“

„Du wirst die richtige Entscheidung treffen. Rafe und ich vertrauen dir, nicht wahr, kleiner Bruder?“, meinte Cord.

Rafe verdrehte die Augen. Cord ließ keine Gelegenheit aus, ihn daran zu erinnern, dass er acht Minuten älter war. „Ja, das tun wir.“

„Ich auch“, versicherte Kate rasch.

Jack lächelte ihr zu. „Danke. Wann fliegt ihr nach Massachusetts?“

Vor Monaten hatten die Geschwister herausgefunden, dass ihre Mutter vielleicht noch lebte, und sofort Nachforschungen angestellt. Jack war nach Frankreich geflogen und hatte dort ein Ölbild gefunden, welches eine Frau mit einem jungen Mädchen zeigte, das Kate sehr ähnlich sah. Das Gemälde hatte ihn zur Malerin geführt, einer gewissen Madelyn LeClaire, die am Cape Cod in der Nähe von Boston lebte. Kate hatte jetzt vor, sich mit der Frau zu treffen.

„Am Montag.“ Zum ersten Mal, seit diese Unterredung begonnen hatte, wich die Trauer aus Kates Blick. „Brad hat noch ein paar Dinge zu erledigen.“ Brad Larson war Kates Verlobter.

„Und du, Jack? Weißt du schon, wo du in Rose Hill wohnen wirst?“, wollte Rafe wissen.

„Nein. Aber ich melde mich, sobald ich etwas gefunden habe.“

Danach sprachen sie über den Nachlass ihres Vaters. Cord war zum Testamentsvollstrecker ernannt worden und würde zusammen mit dem Anwalt der Familie dafür sorgen, dass Caine Stockwells letzter Wille erfüllt wurde.

„Das macht dir doch nichts aus, Jack, oder?“, fragte Cord.

Jack schüttelte den Kopf. „Nein.“ Eigentlich hätte Caine ihn als den ältesten Sohn mit der Vollstreckung des Testaments beauftragen müssen. Aber es störte Jack nicht, dass er übergangen worden war. Er hatte dem Geld der Stockwells schon vor langer Zeit den Rücken gekehrt und war seinen eigenen Weg gegangen. Cord dagegen arbeitete seit Jahren im Unternehmen der Familie. Rafe, ein Deputy U.S. Marshal, hatte wie Jack kein Interesse am Stockwell-Vermögen. Genau wie Kate, die ihren Lebensunterhalt als Kunsttherapeutin verdiente.

„Pass auf dich auf.“ Cord schüttelte Jack die Hand.

„Denk bitte daran, was ich in Bezug auf das Testament gesagt habe“, bat Jack seinen Bruder.

„Jack, ich werde nicht …“

„Ich will wirklich nichts von dem Geld“, unterbrach Jack ihn.

„Das ist doch lächerlich, Jack“, warf Kate ein.

„Stimmt“, pflichtete Rafe ihr bei. „Du gehörst zur Familie, genau wie wir.“

Nicht ganz, dachte Jack.

„Jack“, sagte Kate sanft und berührte ihn an der Schulter. „Es wäre falsch, dir dein Erbe vorzuenthalten. Du bist unser Bruder.“

An Jacks Wange zuckte ein Muskel. „Ich will es nicht. Ich würde es weggeben.“

„Na schön“, meinte Cord, „wenn du es weggeben willst, ist das deine Sache. Meine Aufgabe ist, das Testament unseres Vaters zu vollstrecken. Und er hat dir den gleichen Teil seines Vermögens vererbt wie uns.“

Jack würde nie verstehen, warum. Caine hatte seine anderen Kinder geliebt, auch wenn er ihnen kein guter Vater gewesen war und sie angelogen hatte.

Aber mich hat er nie geliebt, dachte er. „Ich brauche sein Geld nicht“, beharrte Jack. „Ich habe genug eigenes.“

„Dann wirst du eben mehr haben“, entgegnete Cord.

„Lass uns weiter darüber reden, wenn ich zurück bin“, schlug Jack vor.

Kate lächelte. „Viel Glück. Du hältst uns auf dem Laufenden, nicht wahr?“

„Natürlich. Auch dir viel Glück.“

„Danke. Ich kann es kaum erwarten, diese Madelyn zu treffen, aber gleichzeitig habe ich Angst davor“, gab sie zu.

Jack nickte verständnisvoll. Von ihnen allen hatte Kate ihre Mutter am stärksten vermisst. „Keine Sorge.“ Er drückte sie kurz an sich. „Alles wird gut ausgehen.“

Kate wirkte nicht überzeugt. Jack hätte ihr gern Mut gemacht, hielt sich jedoch zurück. Vielleicht war diese Madelyn LeClaire doch nicht ihre verschollene Mutter. Sie waren sich ziemlich sicher, aber sie konnten sich auch irren.

Als Jack einige Minuten später seine Suite im Obergeschoss der Stockwell-Villa betrat, war er in Gedanken noch bei Kates Mission. Sie würde sehr enttäuscht sein, wenn die Malerin sich doch nicht als ihre Mutter erwies. Und noch enttäuschter, wenn sie ihre Mutter war, aber nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Er und seine Brüder würden es überleben. Cord und Rafe waren frisch verheiratet, und er war Zurückweisung gewöhnt.

Diesen bitteren Gedanken ließ er nicht oft zu, aber er lauerte stets im Hintergrund und sprang ihn an, wann immer Jack sich erlaubte, verletzlich zu sein. Genau deshalb hatte er enge Beziehungen stets gemieden, bis auf die zu seiner Schwester. Und das war auch der Grund, warum er einen Beruf gewählt hatte, bei dem er sich auf niemanden verlassen musste. Er wollte diese rätselhafte Angelegenheit aufklären und wieder der Einzelgänger sein, der niemandem Rechenschaft schuldete.

Und wenn er manchmal einsam war, na und? Es war besser, einsam zu sein, als verraten zu werden. Ich führe genau das Leben, das ich will, dachte Jack und schob alle Zweifel von sich.

Am nächsten Morgen um sechs saß Jack im Wagen. Als er den Highway 20 erreichte, war die Sonne gerade aufgegangen. Zu dieser frühen Stunde herrschte noch kein dichter Verkehr, also würde er gut vorankommen. Laut Karte lag Rose Hill fünfzehn Meilen westlich von Tyler. Und von Grandview, dem Vorort von Dallas, in dem die Stockwells lebten, waren es bis Tyler nur neunzig Meilen. Selbst wenn er unterwegs eine Rast einlegte, um zu frühstücken, müsste er die Strecke in höchstens zwei Stunden schaffen.

Er überlegte, ob er direkt zur Farm der Johnsons fahren oder vorher ein paar diskrete Nachforschungen über Beth Johnson anstellen sollte. Rose Hill war eine Kleinstadt, er würde also keine Mühe haben, die Rosenfarm zu finden. Jack beschloss, sich erst ein Motelzimmer zu suchen und sich dann ein wenig umzuhören.

Vermutlich kannte Beth Johnson die Beschuldigung, die Gabriel Johnson gegen die Stockwells erhoben hatte. Vielleicht hasste sie die Stockwells und wäre wenig begeistert, wenn einer von ihnen unangemeldet auf ihrer Farm auftauchte.

Als er Tyler erreichte, stand die Sonne hoch am Himmel. Die Folgen des nächtlichen Gewitters waren nicht zu übersehen. Auf der Fahrt durch die kleine Stadt registrierte er halb entwurzelte Bäume, abgeknickte Straßenschilder, zerbrochene Fenster und abgedeckte Dächer. Stellenweise versperrten Trümmer den Weg. Überall waren die Bewohner dabei, die schlimmsten Schäden zu beseitigen. Offenbar hatte der Sturm hier viel schlimmer gewütet als in Grandview. Tyler sah aus wie nach einem Tornado.

Eine halbe Stunde später passierte Jack ein kleines grünes Schild am Straßenrand, auf dem stand, dass in Rose Hill 279 Menschen lebten. Außerdem galt im Ort Tempo 30, und Jack fuhr langsamer. Er hatte gerade beschlossen, an einer Tankstelle nach dem Weg zur Farm der Johnsons zu fragen, als vor ihm ein kleines Motel auftauchte. Es sah sauber aus, also parkte er seinen Pick-up in der Einfahrt. Fünf Minuten später hatte er sich eingetragen und zahlte bar für eine Übernachtung.

Der Besitzer, ein gesprächiger alter Mann mit Vollglatze und freundlichen Augen hinter einer Brille, reichte ihm den Schlüssel. „Zimmer sieben“, sagte er. „Fahren Sie hinters Haus. Sie können es nicht verfehlen.“

„Danke. Vielleicht können Sie mir aber noch helfen. Ich würde mir gern eine Rosenfarm ansehen. Gibt es eine, die man besichtigen kann?“

Der alte Mann runzelte die Stirn. „Kann sein. Aber dies ist kein guter Zeitpunkt. Der Sturm hat gestern ziemliche Verwüstungen angestellt. Die meisten Farmen haben schwere Schäden davongetragen.“

„Was ist mit der Johnson-Farm? Ich habe gehört, die soll sehenswert sein.“

„Das war sie mal, als sie noch Lillian Wilder gehörte. In letzter Zeit hatten sie’s nicht leicht, und der Sturm hat sie hart getroffen. Bud Thompson vom Supermarkt hat mir erzählt, dass der Tornado eins ihrer Gewächshäuser beschädigt hat. Und ihre Benebelungsanlage soll so gut wie hinüber sein. Die arme Bethie war vorhin in der Stadt, um Milch für die Kinder zu kaufen. Und dann ist auch noch der Strom ausgefallen. Das Mädchen tut mir wirklich leid. Sie hat in den letzten Jahren reichlich Pech gehabt.“

Kopfschüttelnd schnalzte er mit der Zunge, und sein Blick war voller Mitgefühl. „Ich weiß nicht, wie sie das schaffen soll. Wissen Sie, ihr Cousin, der für sie gearbeitet hat, ist zu Beginn des Sommers nach Houston abgehauen. Er hat dort einen besseren Job gefunden. Und ich weiß, dass sie es sich nicht leisten kann, jemanden einzustellen.“

Auf dem Weg zu seinem Zimmer dachte Jack nach über das, was er gerade erfahren hatte. Beth Johnson tat ihm leid, aber wenigstens wusste er jetzt, wie er an sie herankommen konnte.

„Mom, dürfen wir spielen?“, riefen beide Kinder gleichzeitig.

Erschöpft strich Beth sich das Haar aus den Augen und zuckte zusammen, als ihr ein schmerzhafter Stich durchs Kreuz fuhr. Sie arbeitete seit Sonnenaufgang, um so viel wie möglich aus den beschädigten Gewächshäusern zu retten – nur unterbrochen von einer kurzen Fahrt in die Stadt, wo sie Milch für das Frühstück der Kinder geholt hatte.

„Bitte, Mom?“

Sie sah ihren siebenjährigen Sohn und ihre fünfjährige Tochter an. Die beiden langweilten sich. Wegen der Zerstörung, die der Sturm angerichtet hatte, wollte sie die Kinder nicht aus den Augen lassen. Es war einfach zu gefährlich, sie alleine nach draußen zu lassen. Aber sie taten ihr leid. Schließlich waren sie noch Kinder.

„Na gut, Matthew“, gab sie nach. „Ihr könnt raus. Aber du musst mir versprechen, dass du auf Amy aufpasst und dass keiner von euch in der Nähe der Bäume spielt.“ Der Tornado hatte mehrere Bäume entwurzelt, und die, die noch standen, drohten umzukippen. Beth würde bald etwas unternehmen müssen, denn die Bäume gefährdeten nicht nur die Kinder, sondern auch das Haus, das glücklicherweise verschont geblieben war.

„Aber was ist mit unserem Baumhaus, Mom?“, fragte Amy.

„Ich weiß, mein Schatz. Ihr dürft jedoch jetzt nicht mehr hinaufklettern. Ich muss erst jemanden finden, der es aus dem Baum holt.“

Amys Unterlippe zitterte. „Aber mein Teddy ist oben.“

Beth seufzte. „Liebes, ich verspreche dir, ich werde deinen Teddy retten, aber nicht heute, okay? Kannst du noch eine Weile warten?“

Ihre Tochter stocherte mit ihrer Schuhspitze in der Erde. „Okay“, erwiderte sie nach einer Weile.

„Ich passe auf sie auf, Mom“, versicherte Matthew ihr.

„Einverstanden. Aber es ist mein voller Ernst. Haltet euch von den Bäumen fern. Versprecht ihr mir das?“

Die beiden nickten feierlich und rannten fröhlich davon. Beth sahen ihnen nach und machte sich wieder an die Arbeit. Es gab so viel zu tun! Plötzlich kamen ihr die Tränen. Warum musste nach allem, was ihnen ohnehin widerfahren war, auch noch der Wirbelsturm über ihre Farm herfallen? Reichte es denn nicht, dass Eben ihnen nichts hinterlassen hatte – weder eine Versicherung noch Ersparnisse? Und dass die Heuschrecken im vergangenen Jahr fast alle Pflanzen vernichtet hatten?

Und nun noch das.

Der Sturm am Vortag hatte enormen Schaden angerichtet. Ein Baum war auf das Gewächshaus gefallen, in dem sie die Stecklinge aufzog. Die Benebelungsanlage war zerstört, und einer der Tanks, in denen das Regenwasser aufgefangen wurde, war dreißig Meter weit durch die Luft gewirbelt worden. Das einzig Gute daran war, dass er bei der Landung nichts Wichtiges getroffen hatte.

Die anderen sechs Gewächshäuser, in denen die Pflanzen groß wurden, von deren Verkauf sie lebten, waren beschädigt worden. Weil die Dächer erst im November geschlossen wurden, hatte mindestens die Hälfte der Jungrosen den Hagel abbekommen. Diejenigen, die das überlebt hatten, ließen die Köpfe hängen, und Beth konnte nur hoffen, dass sie sich erholen würden. Wenn nicht – eine neue Anzucht würde sie sich nicht leisten können.

Ihre Lage war schon vor dem Tornado kritisch gewesen, weil sie kein Geld gehabt hatte, um jemanden einzustellen, aber jetzt! Eine Benebelungsanlage war unverzichtbar, weil die Jungpflanzen ständig feucht gehalten werden mussten. Die Anlage hatte das automatisch getan, jede Stunde einige Minuten lang. Und noch schlimmer, das Regenwasser dafür lieferten die Tanks, von denen einer jetzt kopfüber auf dem Feld lag.

Warum gab sie nicht einfach auf? Sicher, die Farm hatte ihrer geliebten Großmutter gehört, und sie hing an den alten Rosensorten, die vor fünfzig Jahren erstmals hier gezogen worden waren. Aber waren sie den Preis wert, den sie für ihre Aufzucht zahlen musste?

Seit Eben vor einem Jahr gestorben war, hatte sie keinen freien Tag mehr gehabt. Matthew konnte nicht mehr Fußball spielen, weil sie ihn nicht zum Training und zu den Spielen fahren und wieder abholen konnte. Sie selbst hatte sich in den letzten drei Jahren kein einziges neues Kleidungsstück leisten können. Abends aßen sie meist nur Spaghetti, Suppe oder Hackbraten – Gerichte, die nicht viel kosteten. Ihr Lieferwagen war zehn Jahre alt und hatte 150 000 Meilen auf dem Tacho, und jeden Morgen betete sie, dass er noch ein Jahr durchhalten würde.

„Bethie, ich an deiner Stelle würde die Farm verkaufen“, hatte ihr Cousin Caleb gesagt, bevor er zu Beginn des Sommers nach Houston gezogen war.

Beth wusste, dass das tatsächlich vernünftig wäre. Mit dem Erlös könnte sie ihnen ein kleines Haus kaufen. Sich einen Job in Tyler suchen. Ein normales Leben führen. Aber sie brachte es einfach nicht fertig, die Rosen aufzugeben, die sie so sehr liebte: Madame Hardy, Bloomfield Courage, Madame Alfred Carrière und Jacques Cartier sowie die an die hundert anderen Sorten. Das Herz ihrer Großmutter hatte daran gehangen, und sie hatte Beth diese Leidenschaft vererbt. Sie würde nie verkaufen. Es sei denn, es gab keinen anderen Weg, das Überleben ihrer kleinen Familie zu sichern.

Doch ganz so weit ist es noch nicht, dachte Beth jetzt. Es ist kurz davor, aber noch habe ich Grandmas Schmuck.

Wie so oft, seit ihr betrunkener Ehemann in einen entgegenkommenden Sattelzug gerast war, verdrängte sie die Tatsache, dass sie buchstäblich keinen Penny mehr besaß. Dass sie keine Ahnung hatte, wie sie eine Ernte für den Frühjahrsverkauf zusammenbekommen sollte. Dass noch nie zuvor alles auf ihren schmalen Schultern geruht hatte.

Aber sie war stark und scheute sich nicht vor harter Arbeit.

Ich muss diese Farm erhalten, dachte sie. Sie ist nicht nur mein Erbe, sondern auch das meiner Kinder.

Es waren so gute Kinder. Sie hatten all das Leid mitgetragen, das ihre Ehe mit sich gebracht hatte.

Beths Großmutter hatte sie davor gewarnt, Eben zu heiraten. „Er ist faul“, hatte sie immer wieder gesagt. Wie dein Daddy. Nein, das hatte sie nicht hinzugefügt, aber Beth hatte gewusst, dass sie es dachte. „Er wird dir nichts als Sorgen bereiten.“

Beth hatte jedoch nicht auf sie gehört. Sie war zweiundzwanzig und hoffnungslos romantisch gewesen. Er war vierundzwanzig gewesen, gut aussehend und charmant. Vier Wochen, nachdem sie sich bei einem Tanzabend kennengelernt hatten, hatten sie geheiratet.

„Heirate hastig, und du wirst es lange bereuen“, hatte ihre Großmutter gesagt.

Beth verzog das Gesicht. Wahrere Worte waren nie gesprochen worden. Sie war noch keinen Monat mit Eben verheiratet gewesen, da war er das erste Mal betrunken nach Hause gekommen. Später hatte sie herausgefunden, dass er schon immer ein Problem mit dem Alkohol gehabt hatte.

Oh, Granny, ich hätte auf dich hören sollen, dachte sie seufzend. Doch hätte sie das getan, hätte sie heute ihre Kinder Matthew und Amy nicht.

Fast sofort nach der Hochzeit war sie mit Matthew schwanger gewesen. Als Eben davon erfuhr, versuchte er eine Weile, ein guter Ehemann zu sein, doch die Sucht war stärker. Matthew war ein Jahr alt, als Beth beschloss, Eben zu verlassen. Doch dann wurde ihre Mutter krank, und ihre Großmutter konnte nicht beides schaffen – die Farm führen und Beths Mutter pflegen. Also trennte Beth sich nicht von ihrem Mann, sondern überredete ihn, auf die Farm zu ziehen. Das war nicht schwer, denn ihm gefiel der Vorschlag. Rosenfarmer waren angesehen. Dass er keine Ahnung von der Rosenzucht hatte, schien ihn nicht zu stören, und ehrlicherweise musste sie zugeben, dass er im ersten Jahr ziemlich hart arbeitete. Beth begann damals zu hoffen, dass er sich geändert hätte.

Nach sechs Monaten verlor Carrie Wilder den Kampf gegen den Krebs. Eine Woche nach ihrer Beisetzung erfuhr Beth, dass sie wieder schwanger war. Tief betrübt über den Tod ihrer Mutter entschied sie sich, bei Eben zu bleiben – wenigstens bis die Kinder in die Schule kamen.

Im Jahr darauf, vierzehn Monate nach dem Tod ihrer Mutter, erlag Beths Großmutter einem Herzinfarkt. Für alle, die sie kannten, war es ein Schock. Lillian Wilder war erst achtundsechzig Jahre alt und scheinbar kerngesund gewesen.

Der Verlust der Frau, die sie so bewundert hatte, erschütterte Beth zutiefst, aber sie hatte keine Zeit zum Trauern. Die Farm gehörte jetzt ihr, und eine Woche später übernahm sie den Betrieb.

Eben wurde damit nicht fertig. Er begann wieder zu trinken. Beth wusste, dass er darunter litt, aber was sollte sie tun? Er kannte sich nicht gut genug aus, um die Farm ohne ihre Anleitung zu führen. Also trank er immer mehr und arbeitete immer weniger. Beth musste zwei Männer einstellen, einen, der Eben ersetzte, und einen, der sie unterstützte. Sie verbrachte die meiste Zeit bei der Arbeit, aber die Kinder waren jung und brauchten sie. Sie hatte Tag und Nacht zu tun und war zu beschäftigt, um sich um Ebens verletztes Selbstwertgefühl zu kümmern.

Jetzt war auch er fort, und abgesehen von den Kindern war Beth ganz allein. Aber noch war sie nicht geschlagen. Und dieser Gedanke gab ihr die Kraft durchzuhalten.

2. KAPITEL

Jack hatte keine Mühe, die Farm der Johnsons zu finden. Ein hübsches weißes Schild, das an einem mit Rosen bewachsenen Torbogen hing, wies ihm den Weg und informierte darüber, dass der Betrieb von Mittwoch bis Samstag jeweils von zehn bis achtzehn Uhr für Kunden und Besucher geöffnet war.

Eine lange mit Kies bestreute Allee mündete in einen Parkplatz, hinter dem ein zweigeschossiges rotes Backsteinhaus mit weißen Fensterläden und einer breiten umlaufenden Veranda stand. Rechts der Zufahrt erstreckte sich ein Garten mit Dutzenden von Rosensträuchern, zwischen denen andere Blumen wuchsen, die allerdings erst vereinzelt blühten.

Auf der Rasenfläche, die das Haus umgab, standen Pfosten, Vogelkäfige und Bögen, an denen Kletterrosen rankten. Einige standen schon in voller Blüte, bei anderen hatte sie gerade erst begonnen. Zu seiner Linken sah Jack sechs Gewächshäuser, hinter dem Haus eine Scheune und ein weiteres Treibhaus. Der Mann im Motel hatte nicht übertrieben. Überall hatte der Sturm Spuren hinterlassen. Das Haus und der Rosengarten schienen am wenigsten abbekommen zu haben.

Neben dem Haus stand ein ziemlich wackelig aussehender Baum. Mehrere Äste waren abgebrochen oder geknickt, und der Stamm hatte einen Riss. Als er näher heranfuhr, entdeckte er das Baumhaus in der Krone.

Irgendwo rief ein Kind, und an einem der Gewächshäuser arbeitete jemand. Eine Frau. Vielleicht war das Beth Johnson. Jack parkte, schaltete den Motor aus und beschloss, hinüberzugehen.

Beth hielt sich die Hand vor die Stirn und beobachtete blinzelnd, wie der rote Pick-up langsam die Einfahrt herauffuhr.

Sie runzelte die Stirn. Den Wagen kannte sie nicht, aber vielleicht war es ein Kunde. Sie zog die Handschuhe aus und ging zum Haus.

Auf halbem Weg hörte sie Matthews Stimme. „Amy, wo bist du?“, rief er.

„Ich bin hier!“, antwortete ihre kleine Tochter.

Beths Herz machte vor Entsetzen einen Sprung, als sie sah, wie Amy aus dem Baumhaus kletterte, ihren geliebten Teddy in den Armen.

„Um Himmels willen, Amy!“, schrie sie und rannte los.

Obwohl sie zu Amy hinaufstarrte, registrierte sie, wie ein großer dunkelhaariger Mann aus dem Pick-up stieg.

Plötzlich ertönte ein schreckliches Knirschen, und der Baum neigte sich zur Seite.

„Amy!“, rief Beth panisch.

Der Fremde raste an ihr vorbei, streckte die Arme aus, riss Amy von der Leiter und sprang mit ihr zur Seite, bevor der mächtige Stamm auf die Erde krachte. In sicherer Entfernung setzte er das Mädchen ab.

„Mom!“, schluchzte Amy und rannte zu ihrer Mutter.

Beth brach vor Erleichterung beinahe zusammen. Tränen liefen ihr über das Gesicht, während sie ihre Tochter an sich drückte. „Oh, Amy“, sagte sie und küsste sie immer wieder. „Du hast mir einen riesigen Schrecken eingejagt. Ich habe dir doch verboten, ins Baumhaus zu gehen! Du hättest erschlagen werden können.“

„Es tut mir leid, Mom. Ich wollte meinen Teddy holen. Er war ganz allein dort oben und hatte solche Angst!“

Beth wusste, dass der Teddy für Amy so real war wie ihr Bruder, und er bedeutete ihr fast genauso viel. „Ist ja schon gut, mein Schatz. Dir ist nichts passiert. Aber tu so etwas nie wieder, hörst du? Ab jetzt gehorchst du mir. Egal, worum es geht.“

„Ja, mache ich“, versprach Amy und legte das Gesicht an Beths Hals.

Ein blasser Matthew trat zu ihnen. „Ich musste zur Toilette, Mom. Aber sie hat mir ganz fest versprochen, auf der Veranda zu bleiben, bis ich zurück bin.“

Beth brachte es nicht fertig, ihn zu tadeln. Matthew hatte einen ebenso gewaltigen Schrecken bekommen wie sie. Also holte sie tief Luft und wandte sich dem Fremden zu, der ihre Tochter gerettet hatte. Über Amys Kopf hinweg sah sie ihn an. „Wie kann ich Ihnen jemals danken?“, begann sie mit noch immer zitternder Stimme.

Er zuckte die Achseln. „Nicht nötig. Ich bin nur froh, dass ich hier war.“ Dann streckte er die rechte Hand aus. „Jack Stokes, Ma’am.“

Sein Griff war fest und kraftvoll. „Beth Johnson“, erwiderte sie und musterte ihn. Er sah sehr gut aus mit seinen markanten Gesichtszügen. Genau wie die Cowboys in den Werbespots. Er war tief gebräunt, und unter dem kurzen schwarzen Haar funkelten blaue Augen. „Und das sind meine Kinder“, fügte sie hinzu. „Matthew und Amy.“

„Hallo“, sagte Matthew höflich.

Jack gab ihm lächelnd die Hand.

Der Junge strahlte ihn an.

Da musste auch Beth lächeln.

Endlich hob Amy den Kopf. Sie bekam Schluckauf und lächelte Jack schüchtern zu.

„Hallo, junge Dame“, sagte er.

„Hallo“, antwortete sie leise.

„Sie halten mich vermutlich für eine schlechte Mutter“, begann Beth. „Aber ich hatte den beiden ausdrücklich gesagt, sie sollten sich von dem Baum fernhalten.“

Er nickte.

„Es tut mir leid, Mom“, beteuerte Matthew nochmals und war den Tränen nahe.

Beth drückte seine Schulter. „Es war nicht deine Schuld.“ Das war es wirklich nicht. Es war ihre eigene Schuld, dass Amy in Gefahr geraten war. Egal, wie viel sie arbeiten musste, es gab keine Entschuldigung dafür, dass sie nicht besser auf die Kinder aufgepasst hatte. „Aber wir haben Glück gehabt, dass Mr. Stokes zufällig hier war“, sagte sie und drehte sich wieder zu ihm. Jetzt, da sie ihre Gefühle wieder im Griff hatte, war sie neugierig, warum dieser Mann auf ihre Farm gekommen war.

„Nun ja, Ma’am, so ganz zufällig bin ich nicht hier. Mr. Temple vom Temple Motel hat mir erzählt, dass Sie vielleicht Hilfe brauchen, und ich bin gekommen, um Sie um einen Job zu bitten.“

Beth traute ihren Ohren nicht. Ein Job? Er brauchte einen Job? Ihr Blick glitt über seinen gepflegten Pick-up, die perfekt sitzenden Jeans, die viel getragenen, aber offensichtlich gut gearbeiteten Stiefel, die sauberen Hände und das sorgfältig frisierte Haar. Ganz zu schweigen von den Zähnen, die weiß, gerade und alles andere als vernachlässigt aussahen.

Der Mann wirkte nicht wie jemand, der einen Gelegenheitsjob brauchte. Aber er hatte Amy vor einer Verletzung oder noch Schlimmerem bewahrt, und allein deshalb verdiente er es, ernst genommen zu werden. „Es tut mir leid“, erwiderte sie mit echtem Bedauern. „Ich kann es mir nicht leisten, jemanden einzustellen.“

„Ich würde nicht viel kosten.“

„Ich will ehrlich sein. Ich könnte es mir nur leisten, wenn Sie umsonst arbeiten“, gestand sie verlegen.

Er dachte kurz nach. „Wissen Sie was? Wenn Sie mir einen Job geben, arbeite ich für Kost und Logis.“

Kost und Logis? Warum sollte er dazu bereit sein? Irgendetwas stimmte da nicht.

„Ich bin ziemlich geschickt“, fuhr er fort. „Und ich scheue mich nicht vor harter Arbeit. Ich könnte Ihnen helfen, die da wieder in Ordnung zu bringen.“ Er zeigte auf die Gewächshäuser. „Und ich könnte auch den umgestürzten Baum wegschaffen.“

Erst jetzt ging Beth auf, dass sie doppelt Glück gehabt hatte. Nicht nur, dass Amy unverletzt war, der Baum war auch nicht aufs Haus gefallen.

„Ich fürchte allerdings, das Baumhaus lässt sich nicht mehr reparieren“, sagte er.

Sie starrten beide auf das Baumhaus, das zertrümmert unter dem Stamm lag.

Amys Unterlippe begann zu zittern, und Beth wusste, was ihre Tochter dachte. Das Baumhaus gehörte zu den wenigen Dingen, die Eben für die Kinder gebaut hatte, und Amy hatte es über alles geliebt.

Amy tat ihr leid, aber was konnte sie tun? Ganz sicher konnte sie es sich nicht leisten, ihr ein neues Baumhaus bauen zu lassen.

Jack schien ihr Schweigen als Ablehnung zu deuten. „Ich habe Referenzen. Ich kann Ihnen ein paar Leute nennen, die Sie anrufen können.“

Sie war versucht, sein großzügiges Angebot anzunehmen, auch wenn sie vermutete, dass dieser Mann ihr etwas verheimlichte. Kein Mann, der so aussah wie er, hatte es nötig, für Kost und Logis zu arbeiten. „Hören Sie, Sie haben meine Tochter gerettet, und ich bin Ihnen etwas schuldig. Aber sie könnten bestimmt auf einer der anderen Rosenfarmen Arbeit finden. Bezahlte Arbeit.“

„Das habe ich schon versucht. Sie wollen alle jemanden, der sich mit Rosen auskennt.“ Er lächelte Matthew zu, und der Junge lächelte zurück. „Ich habe keine Ahnung von Rosen, aber ich würde gern etwas darüber lernen.“

Trotz ihrer Bedenken wollte sie sein Angebot akzeptieren. Sie war erschöpft, und vor ihr lag viel Arbeit, wenn sie die Farm wieder auf die Beine bringen wollte. Was machte es schon, dass er etwas zu verbergen hatte? Das hatten doch die meisten Menschen. Und er hatte Amy gerettet. Außerdem würde er ihr Leute nennen, bei denen er gearbeitet hatte.

„Wie wäre es mit einer Probezeit?“, schlug er vor. „Eine Woche. Wenn es nicht klappt, sagen Sie es mir, und ich gehe.“

Sie sah ihm in die Augen. Sein Blick war offen, und so verrückt es auch sein mochte, er kam ihr ehrlich vor. Sie seufzte. „Na gut. Eine Woche.“

Jetzt lächelte er. „Sie werden es nicht bereuen.“

Vielleicht nicht, dachte Beth. Vielleicht aber doch. Die Beurteilung von Männern war bisher nicht gerade ihre Stärke gewesen. Aber im Moment war ihr das egal. Sie brauchte Hilfe, und er bot sie ihr an. Sie würde das Risiko eingehen und auf das Beste hoffen.

Jack sah, dass Beth Johnson unsicher war, ob sie richtig entschieden hatte, ihn einzustellen. Aber wenn er Fanatiker dazu überreden konnte, ein Dutzend Geiseln freizulassen, würde er doch wohl eine Frau dazu bringen können, ihn für sie arbeiten zu lassen.

„Ich könnte gleich anfangen.“ Er zeigte auf den umgestürzten Baum. „Wenn Sie eine Säge haben, könnte ich den Baum zerlegen und die Stücke am Zaun stapeln.“

Sie nickte. „Das wäre großartig. Während Sie das tun, mache ich Ihnen ein Bett auf der Schlafveranda zurecht. Das ist der geschlossene Teil hinter dem Haus. Ich hoffe, das ist Ihnen recht“, fügte sie ein wenig kühler hinzu, sah ihn dabei aber nicht an.

Er verstand, dass sie ihn nicht im Haus haben wollte. Er war ein Fremder und könnte ein Dieb sein – oder noch schlimmer, ein Mörder. Jack war froh, dass sie nicht nur hübsch, sondern auch vernünftig war.

Hübsch war sie, trotz der verschlissenen Stiefel, der verblichenen Jeans und einem T-Shirt, dessen ehemals gelbe Farbe kaum noch zu erkennen war, denn Staub und Erde waren überall – auf ihrer Kleidung, im Gesicht, an Händen und Knien. Aber keine noch so dicke Schmutzschicht hätte verbergen können, dass ihre schlanke Figur an genau den richtigen Stellen weibliche Kurven aufwies. Oder dass ihr rotblondes Haar dicht, lockig und glänzend war. Oder dass Nase und Wangen reizende Sommersprossen zierten. Oder dass das Goldbraun ihrer Augen der wärmste Farbton war, den er je gesehen hatte. Kein Zweifel, Beth Johnson war eine äußerst attraktive Frau.

Und ihre Kinder waren auch reizend. Ihr Sohn sah aus wie sie. Das kleine Mädchen musste nach dem Vater kommen, denn es hatte schwarzes Haar und blaue Augen. Jack hatte nicht viel Erfahrung mit Kindern, aber irgendwie mochte er die beiden spontan. Genau wie ihre Mutter, die noch immer auf seine Antwort wartete.

„Die Schlafveranda ist okay“, sagte er. „Aber Sie brauchen sich nicht zu beeilen. Ich habe das Zimmer im Temple Motel schon bezahlt, deshalb kann ich auch dort übernachten.“

„Sind Sie sicher?“ Er nickte. „Na gut. Aber wenn Sie heute Nachmittag hier arbeiten, müssen Sie mit uns zu Abend essen. Der Strom ist wieder da, also kann ich uns etwas kochen.“ Sie verzog das Gesicht. „Nur das Telefon geht noch nicht.“

„Auf dem Weg hierher habe ich Monteure an der Leitung arbeiten sehen.“

„Wirklich? Das ist schön.“

Er nickte. „Danke für die Einladung, aber Sie brauchen mich nicht zu füttern.“

„Ich bestehe darauf. Wir haben Kost und Logis abgemacht.“

Er ahnte, dass ihr Stolz es nicht zuließ, dass er für sie arbeitete, wenn er keine Gegenleistung bekam. Selbst wenn es nur eine Mahlzeit war. „Also gut. Warum zeigen Sie mir nicht, wo Sie Ihr Werkzeug aufbewahren? Ich nehme allerdings nicht an, dass Sie eine Motorsäge haben.“

„Doch, ich habe eine.“ Sie führte ihn zur Scheune. „Alles, was Sie brauchen, finden Sie hier. Während Sie arbeiten, werde ich eine Weile ins Haus gehen. Matthew und Amy, ihr kommt mit.“

„Mom, kann ich nicht draußen bleiben und Jack zusehen?“, bat der Junge.

„Er heißt Mr. Stokes. Du weißt, dass du einen Erwachsenen nicht mit dem Vornamen anreden darfst. Und nein, du darfst nicht zusehen. Du würdest nur im Weg stehen.“

„Es wäre mir lieber, wenn er mich Jack nennt. Mr. Stokes klingt nach einem alten Mann“, mischte Jack sich ein und zwinkerte Matthew zu.

„Darf ich Sie dann auch Jack nennen?“, fragte die kleine Amy.

„Amy“, sagte Beth tadelnd.

Jack sah sie an. „Mrs. Johnson, es stört mich wirklich nicht, wenn …“

„Beth“, unterbrach sie ihn. „Bitte nennen Sie mich Beth. Wir sind hier nicht so förmlich.“

„Beth“, wiederholte er. „Was ich sagen wollte – wenn die Kinder draußen bleiben wollen, könnten sie sich auf die Ladefläche meines Wagens setzen. Dann sehen sie genug, sind aber in Sicherheit.“

„Bitte, Mom, bitte!“, flehte Matthew.

„Bitte, Mom!“, rief auch Amy.

„Also gut. Aber nur wenn Mr. Stokes …“

„Jack.“

Sie quittierte seinen Einwurf mit einem Stirnrunzeln, doch als ihr einfiel, dass sie ihn ebenfalls unterbrochen hatte, lächelte sie. „Jack.“

Ihm gefiel, wie sein Name aus ihrem Mund klang, genau wie ihrer aus seinem. Und er mochte ihr Lächeln. Es war offen und natürlich, ganz ohne falsche Untertöne.

„Okay“, gab sie nach. „Ihr zwei dürft zusehen, aber wenn ihr nicht auf dem Pick-up bleibt, wird Jack euch ins Haus schicken, und ihr gehorcht. Verstanden?“

Beide Kinder nickten feierlich. „Ja, Mom.“

Nach einer letzten Ermahnung, brav zu sein, verschwand Beth im Haus. Jack bat die Kinder, auf ihn zu warten, ging in die Scheune und fand die Motorsäge. Dann brachte er die beiden zum Pick-up, half ihnen auf die Ladefläche und machte sich daran, den Baum in Stücke zu zerlegen.

Es dauerte fast eine Stunde, und die Kinder wurden schon unruhig, da trat Beth auf die Veranda. Jack sah, dass sie sich gewaschen hatte und frische Jeans sowie ein hellblaues T-Shirt trug.

„Zeit zum Essen“, rief sie. „Ich habe Hotdogs gemacht.“

„Super“, rief Matthew. „Ich liebe Hotdogs.“

„Ich auch“, verkündete Amy.

Jack unterdrückte ein Lächeln. Offenbar vergötterte die Kleine ihren Bruder. Irgendwie erinnerte Amy ihn an Kate, die ihm auch überallhin gefolgt war, als sie jung waren. Die Zwillinge hatten einander gehabt, aber Jack und Kate waren unzertrennlich gewesen, obwohl ihr Vater immer wieder versucht hatte, sie auseinanderzubringen.

„Ich dachte mir, wir essen auf der seitlichen Veranda“, sagte Beth, während sie den Kindern vom Pick-up half.

„Cool! Ein Picknick!“ Matthew raste auf die Veranda, dicht gefolgt von Amy.

Kopfschüttelnd sah Beth ihnen nach.

„Es sind sehr nette Kinder“, meinte Jack.

„Danke.“

„Matthew geht zur Schule?“

„In die zweite Klasse. Und Amy ist im Kindergarten.“

„Aber heute hatten sie frei?“

„Ja. Wegen der Sturmschäden. Ich hoffe, sie können morgen wieder hin. Es ist schwer, die Arbeit zu schaffen, wenn sie zu Hause sind.“ Ihre Miene wurde wehmütig. „Sie haben ja selbst gesehen, was vorhin fast passiert wäre. Was passiert wäre, wenn Sie nicht hier gewesen wären.“ Ihr Blick umwölkte sich.

Jack verspürte merkwürdigerweise das Bedürfnis, den Arm um sie zu legen und ihr zu sagen, dass jetzt alles gut war. Dieses unerwartete Gefühl erstaunte ihn zutiefst, denn normalerweise reagierte er nie so emotional auf andere Menschen. Das konnte er sich in seinem Beruf gar nicht leisten.

Beth ließ ihn mit den Kindern auf der Veranda zurück und verschwand im Haus. Kurz darauf kehrte sie mit einem Tablett zurück, auf dem sich Teller, Besteck, fertige Hotdogs, ein Glas mit Senf, eine Plastikflasche mit Ketchup und eine Schüssel mit Nudelsalat befanden. Sie stellte das Tablett auf einen kleinen Tisch in der Ecke, und sofort begannen die Kinder, sich zu bedienen.

„Warte, Amy“, verlangte Beth, als das Mädchen nach der Ketchupflasche griff. „Lass mich dir helfen.“

„Das kann ich selbst“, erwiderte Amy, bevor sie die Flasche umdrehte, um Ketchup auf ihren Hotdog zu drücken. Obwohl das, was schließlich auf dem Würstchen landete, weit mehr war als nötig, lächelte Amy triumphierend. „Seht ihr?“

„Gut gemacht“, lobte ihre Mutter. „Und jetzt versuch, dich nicht zu sehr zu bekleckern, okay?“

„Okay.“

„Bedienen Sie sich“, sagte Beth zu Jack.

„Ich muss mich erst waschen.“

„Oh, Entschuldigung. Sie können sich in der Scheune waschen. Ich weiß nicht, ob Sie es gesehen haben, aber in der Ecke ist ein kleines Badezimmer, das die Farmarbeiter benutzen konnten. Wenn wir welche hatten“, fügte sie mit einem Anflug von Bitterkeit hinzu. „Da ist sogar eine Dusche.“

Jack fand Seife und ein sauberes Handtuch neben dem Waschbecken und wusch sich. Es gab auch einen Spiegel, also kämmte er sich. Dabei fühlte er einen Druck an der Wade und schaute nach unten. Eine große schwarze Katze rieb sich an seinen Beinen. „He, wo kommst du denn her?“

Die Katze miaute, und ihre gelbgrünen Augen leuchteten im Halbdunkel.

Jack beugte sich hinab, um sie zu streicheln. Die Katze reckte sich seiner Hand entgegen und schnurrte laut. Er hatte Katzen nie besonders gemocht, denn sein Vater hatte Hunde – große Hunde – bevorzugt. Doch diese Katze hier schien ganz in Ordnung zu sein. Außerdem schien das Tier Gefallen an ihm gefunden zu haben. Es folgte ihm, als er zum Haus zurückging.

„Ich sehe, Sie haben Char gefunden“, bemerkte Beth.

„Char hat mich gefunden.“

„Meistens versteckt sie sich, wenn Fremde auf der Farm sind. Außerdem hat der Sturm sie ziemlich erschreckt. Sie muss Sie also wirklich mögen.“

Erneut wurde ihm bewusst, wie sympathisch Beth Johnsons Lächeln ihm war. Ob sich das auf seine Nachforschungen auswirken würde, wusste er nicht. Vermutlich, denn er war ein ziemlich guter Menschenkenner, und Beth machte einen vollkommen ehrlichen Eindruck.

Er erwiderte ihr Lächeln, füllte sich den Teller, nahm ein Glas Limonade entgegen und setzte sich auf die Verandatreppe, um zu essen.

Beth setzte die Kinder in die alte Hollywoodschaukel, die noch von ihrer Großmutter stammte, und fand, dass es freundlicher wäre, zu Jack zu gehen.

„Ich habe mir Ihr Dach angesehen“, sagte er, als sie neben ihm auf der Verandatreppe Platz nahm. „Wussten Sie, dass der Sturm ein paar Schindeln heruntergerissen hat?“

„Nein. Es gibt so viele dringlichere Probleme, dass ich das Dach noch gar nicht kontrolliert habe.“

Er nickte. „Ich kann es reparieren, und danach können Sie mir zeigen, was sonst noch erledigt werden muss.“

„Warum warten wir damit nicht bis morgen?“, erwiderte Beth. „Vermutlich werden Sie den Rest des Nachmittags brauchen, um den Baum zu beseitigen, meinen Sie nicht?“

„Vermutlich.“

„Dann sollten wir uns morgen früh um den Rest kümmern.“

Sie aßen eine Weile schweigend, aber Beth war sich seiner Nähe sehr bewusst. Sie wollte mehr über ihn wissen, scheute sich jedoch, ihn zu fragen, denn sie befürchtete, dass er ihre Neugier falsch verstehen würde.

Als sie fertig waren, ging sie in die Küche, um den Teller mit Keksen zu holen. Die hatte sie schon vor zwei Tagen gebacken.

„Sie sind aus Erdnussbutter“, sagte sie entschuldigend, als sie ihm den Teller hinhielt.

„Das sind meine Lieblingskekse.“

„Tatsächlich? Hat Ihre Mutter sie für Sie gebacken, als Sie jung waren?“

Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte in seinen Augen so etwas wie Schmerz auf, doch dann war es wieder fort. „Meine Mutter ist ausgezogen, als ich sechs war“, erwiderte er beiläufig.

Beth ließ sich nicht täuschen. Sie hatte ein weiches Herz, und sofort tat er ihr leid. Wie schrecklich musste es sein, die Mutter zu verlieren, wenn man wenig älter war als Amy! Und er hatte nicht gesagt, dass sie gestorben war. Er hatte gesagt, dass sie ausgezogen war. Hatte sie ihn absichtlich verlassen? Beth war versucht, ihn zu fragen, aber Jack Stokes wirkte auf sie nicht wie ein Mann, der mit jemandem, den er kaum kannte, über derart vertrauliche Dinge sprach. Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, befahl sie sich.

Doch auch als sie später am Nachmittag in der Küche stand und er am umgestürzten Baum arbeitete, fragte sie sich, was für ein Mensch er wohl war. Sie hörte die Motorsäge, mit der er den Stamm und die Äste zerlegte.

Beth trat ans Spülbecken und schaute aus dem Fenster. Er sah wirklich nicht aus wie ein Mann, dem es schlecht ging. Aber warum sollte er sonst bereit sein, für Kost und Logis zu schuften?

Beth nahm eine Zwiebel aus dem Drahtkorb, der über dem Becken hing, und schälte sie. Dann zerhackte sie die Zwiebel und mischte sie unter das Hackfleisch. In Gedanken noch immer bei Jack, suchte sie im Gewürzregal nach Pfeffer und Salz und würzte den Hackbraten damit.

Ob er sich vor der Polizei versteckte? Irgendwie schien er nicht der Typ zu sein. Und selbst wenn, wäre Rose Hill nicht der geeignete Ort, um unterzutauchen. Anders als in einer anonymen Großstadt wusste hier jeder über seine Nachbarn Bescheid. Beth war sicher, dass sämtliche dreihundert Einwohner längst darüber informiert waren, dass ein Mann in einem roten Pick-up auf der Johnson-Farm arbeitete. Und spätestens übermorgen würden alle wissen, dass er es für Kost und Logis tat. In Rose Hill gab es einfach keine Geheimnisse.

Vielleicht war es verrückt gewesen, ihn einzustellen. Aber irgendwie hatte seine Anwesenheit etwas Beruhigendes.

Sie knetete zwei Eier und Semmelbrösel in den Teig. Es war ein gutes Gefühl, einen Hackbraten mit den Händen zuzubereiten. Sie dachte daran, dass ihre Großmutter es genauso getan hatte.

„Mom, ich habe Hunger.“

Beth blickte über die Schulter und lächelte Amy zu, die in der Küchentür stand. „Es dauert noch eine Weile, aber du kannst dir eine Banane oder einen Apfel nehmen.“

„Okay.“ Amy ging zum Tisch, auf dem eine Obstschüssel mit zwei Bananen und einem Apfel stand. Sie nahm eine Banane heraus und schälte sie.

Bett formte den Teig zu einem Laib, bevor sie ihn auf ein Backblech legte. Der Ofen war schon vorgeheizt, also schob sie das Blech hinein und wandte sich den Kartoffeln zu.

Während sie das Püree, die grünen Bohnen und den Vanillepudding zubereitete, kehrten ihre Gedanken wieder zu dem Mann vor dem Haus zurück.

Vielleicht war es wirklich leichtsinnig gewesen, ihn anzuheuern, aber im Moment war ihr das egal. Es war einfach beruhigend, jemanden auf der Farm zu haben, der kräftig und geschickt genug war, all das zu erledigen, was sie nicht bewältigen konnte. Was immer er ihr verheimlichte, sie hatte nicht vor, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen.

3. KAPITEL

„Das Abendessen ist fertig!“

Jack hob den Kopf und sah Beth auf der Veranda stehen. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war fast sechs. Er konnte kaum glauben, wie schnell der Nachmittag vergangen war. Der Baum war zerlegt, aber er würde noch etwa eine Stunde brauchen, um das restliche Holz wegzubringen. Das müsste er nach dem Essen noch schaffen, wenn es lange genug hell blieb. Wenn nicht, würde er eben am nächsten Morgen weitermachen.

Er brachte die Motorsäge in die Scheune zurück, wusch sich und ging zum Haus. Eine Küche wie die der Johnsons hatte er noch nie gesehen. Sie war ganz anders als die in der Stockwell-Villa mit ihren Edelstahlflächen und den ultramodernen Geräten.

Auch diese Küche war groß, aber abgesehen von einem relativ neu aussehenden Herd gab es darin nichts Modernes. Die Hängeschränke hatten Sprossenfenster und waren weiß lackiert. Ein uralter Kühlschrank stand in einer Ecke. Es gab keinen Geschirrspüler, und Jack war sicher, dass es auch keinen Müllschlucker gab. Die Bodenfliesen waren rissig und hatten gewiss schon bessere Zeiten erlebt. In der Mitte des Raums stand ein ovaler Ahorntisch mit sechs Stühlen, dem man ebenfalls ansah, wie lange er schon in Gebrauch war.

Dennoch wirkte die Küche einladend. Gelb-weiß karierte Gardinen an den Fenstern, gelb gestrichene Wände, leuchtend rote Polster und ein rot und gelb geblümtes Kissen auf dem Schaukelstuhl in der Ecke schufen zusammen mit mehreren Vasen voller Rosen und grünen Farnen in Töpfen eine gemütliche Atmosphäre.

Außerdem duftete es in der Küche so lecker, dass Jack das Wasser im Mund zusammenlief.

„Setzen Sie sich“, forderte Beth ihn mit einem freundlichen Lächeln auf. Ihr Gesicht war vom Kochen gerötet, und sie sah noch hübscher aus als vorher. Die Fenster standen offen, aber trotz der Brise war es warm. Jack fragte sich, ob das Haus eine Klimaanlage hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie Beth und die Kinder sonst die heißen Sommer in dieser Gegend überstehen konnten.

„Tut mir leid, dass es so warm ist“, sagte sie, während sie einen Krug Eistee auf den Tisch stellte, als hätte sie seine Gedanken erraten. „Ich habe die Klimaanlage ausgeschaltet, weil der Kompressor so ein seltsames Geräusch von sich gibt.“

„Wenn Sie wollen, sehe ich ihn mir nach dem Essen an.“

Ihr Blick verriet Erleichterung. „Würden Sie das tun?“

„Sicher.“

Matthew und Amy saßen bereits am Tisch. Als Jack Platz nahm, strahlte Matthew ihn an. Beth setzte sich zwischen ihre Kinder.

„Amy, heute Abend bist du mit dem Tischgebet an der Reihe“, erinnerte sie ihre Tochter.

Erstaunt machte Jack es den anderen nach und senkte den Kopf.

„Herr, wir danken dir für unser Mahl“, begann das kleine Mädchen. „Und für alles andere, was du uns an jedem Tag schenkst.“

„Und dafür, dass Amy heute nichts Schlimmes passiert ist“, fügte Beth hinzu. „Und für die unerwartete Hilfe, die du uns geschickt hast.“

„Amen“, sagte Amy.

„Amen“, sagten Beth und Matthew.

Ein unbekanntes Gefühl erfüllte Jack. Er hätte es nicht beschreiben können, er wusste nur, dass die schlichten Worte ihm ans Herz gegangen waren. Er versuchte, sich zu erinnern, ob bei ihm zu Hause jemals ein Tischgebet gesprochen worden war. Ihm fiel jedoch keins ein.

Natürlich hatte er nicht sehr oft mit seiner Familie gegessen, da sein Vater ihn in dem Jahr nach dem angeblichen Tod seiner Mutter auf ein Internat geschickt hatte. Und anschließend auf eine Militärschule. Selbst im Sommer war er meistens in einem Ferienlager gewesen, oder wohin auch immer Caine Stockwell ihn verbannt hatte. Nein, sein Vater hatte nichts für Religion übriggehabt. Das Einzige, was er angebetet hatte, waren Geld und Macht gewesen.

„Jack, möchten Sie den Hackbraten anschneiden?“

Hastig kehrte er aus seiner einsamen Kindheit in die Gegenwart zurück.

Während sie aßen, fielen ihm mehrere Dinge auf. Obwohl er sich mit Kindern nicht besonders gut auskannte, erschienen Amy und Matthew ihm sehr wohlerzogen zu sein. Sie stritten sich nicht und mäkelten nicht am Essen herum. Sie aßen mit großem Appetit, und wenn ihre Mutter sie ansprach, antworteten sie höflich.

Was ihn allerdings noch mehr verblüffte, war die Tatsache, dass er sich in ihrer Gegenwart entspannen konnte. Die drei waren ihm praktisch fremd, und er selbst war nicht gerade kontaktfreudig, aber er fühlte sich wie zu Hause. Während er sich das einfache, aber leckere Essen schmecken ließ, überlegte er, woran das liegen mochte. Beth und ihre Kinder waren ganz anders als die meisten Menschen, die er kannte. Trotz ihrer schwierigen Lage waren sie für das dankbar, was sie hatten.

„Möchten Sie noch etwas Kartoffelpüree?“

Jack nahm Beth die Schüssel ab und tat sich eine zweite Portion auf. „Das Essen ist großartig.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Nichts Besonderes. Einfache Hausmannskost.“ Aber ihre Miene verriet, wie sehr sie sich über das Lob freute.

„Mir schmeckt es.“

Jetzt lächelte sie. „Das freut mich. Denn genau so etwas werden Sie ab jetzt immer bekommen. Aber Hackbraten gibt es höchstens ein Mal in der Woche. Wenn Sie bleiben, heißt das.“

Jack dachte daran, dass sie eine einwöchige Probezeit vereinbart hatten. Er selbst hatte das vorgeschlagen, weil er hoffte, bis dann die Antworten gefunden zu haben, die er hier suchte. „Ich bleibe so lange, wie Sie mich brauchen“, erwiderte er und wunderte sich über sich selbst.

Nach einem kurzen Zögern nickte sie. Dann sah sie ihren Sohn an. „Matthew, hat Mrs. Ford dir Hausaufgaben aufgegeben?“

„Nur Buchstabieren.“

„Nach dem Essen fangen wir damit an, okay?“

„Okay.“

„Gestern Abend haben wir die Hausaufgaben vergessen“, erklärte sie Jack. „Der Sturm war so schlimm.“

„Wo waren Sie denn, als der Tornado kam?“, fragte er. „Hier im Haus?“

Beth verzog das Gesicht. „Ja. Auf der Farm gibt es keinen sicheren Ort. Wir haben uns im großen Schrank auf dem Flur versteckt und gebetet.“

„Ich hatte solche Angst!“, gestand Amy mit großen Augen.

„Ja“, bestätigte Matthew, „es hörte sich an wie ein Zug, der vorbeirast.“

„Ich weiß. Ich habe mal einen Tornado erlebt“, erwiderte Jack und wünschte er hätte es nicht. Denn das war in einem kleinen Staat in Afrika gewesen, inmitten eines Aufstands.

„Wirklich?“, fragte Matthew neugierig.

„Ja, und du hast recht, Amy, sie machen einem große Angst.“

„Wir haben Glück gehabt“, sagte Beth. „Obwohl ich das heute Morgen, als ich die Schäden an den Gewächshäusern sah, nicht gedacht habe. Jetzt schäme ich mich dafür. Andere hat es viel härter getroffen. Glasscheiben kann man ersetzen, Menschen nicht.“ Sie nahm die Hände ihrer Kinder und drückte sie. Obwohl sie den Blick senkte, sah Jack, dass in ihren Augen Tränen standen.

Dann seufzte sie. „Okay, genug Gefühle für einen Tag. Wer möchte Nachtisch?“

„Ich!“, rief Matthew.

„Ich!“, kreischte Amy.

„Ich“, sagte Jack.

Beth lächelte. „Kommt sofort.“

Die Kinder schlangen ihren Pudding herunter und fragten dann, ob sie aufstehen dürften.

„Ja, das dürft ihr, aber vergiss deine Hausaufgaben nicht, Matthew“, erinnerte Beth. „Du kannst üben, während ich die Küche aufräume, dann höre ich dich ab, okay?“

„Ja.“

Die Kinder rannten aus der Küche, und als Jack seinen Nachtisch gegessen hatte, begann Beth, den Tisch abzudecken. Er wollte ihr helfen.

„Nein, nein“, protestierte sie. „Das brauchen Sie nicht.“

„Kein Problem.“ Er war es gewöhnt. So, wie er lebte, tat er es entweder sofort, oder es wurde gar nicht gemacht. „Wenn ich helfe, ist es doppelt so schnell erledigt.“

Wortlos räumten sie die Küche auf.

Beth war sich seiner Nähe nur allzu bewusst, während sie das Geschirr spülte und Jack es abtrocknete. Anders als die meisten Männer, die sie in ihrem Leben gekannt hatte, schien es Jack nicht unangenehm zu sein, sogenannte „Frauenarbeit“ zu machen, wie Eben es geringschätzig bezeichnet hatte.

Eben hatte ihr nie bei der Hausarbeit geholfen. Zu kochen, sauber zu machen oder abzuwaschen wäre unter seiner Würde gewesen. Nicht männlich genug. Aber Beth konnte sich keinen männlicheren Mann als Jack Stokes vorstellen, und doch half er ihr und schien sogar Spaß daran zu finden.

In kürzester Zeit war das Geschirr abgetrocknet und gestapelt.

„Zeigen Sie mir, wohin es gehört“, bat Jack.

„Nicht nötig. Sie haben genug getan.“ Beth nahm ihre Schürze ab und hängte sie neben die Hintertür zu den anderen.

„Na ja, ich würde wirklich gern wieder nach draußen gehen, um den Rest des Baums wegzuschaffen. Außerdem will ich mir den Kompressor noch ansehen.“

„Der Kompressor kann bis morgen warten. Es soll heute Nacht kühler werden, also kommen wir schon zurecht“, versicherte Beth. „Und mit dem Baum können Sie sich auch Zeit lassen.“

„Ich brauche höchstens eine Stunde und würde das lieber heute Abend erledigen.“

„So hart, wie Sie arbeiten, sollte man meinen, ich würde Ihnen einen Spitzenlohn zahlen.“

Ihre Blicke trafen sich. „Das tun Sie doch“, erwiderte er leise. „Sie geben mir die Chance, alles über Rosenzucht zu lernen.“

Einen Moment lang durchzuckte sie die Angst, er könnte sich ihre mühsam erworbenen Kenntnisse aneignen, um ihr dann mit einer eigene Rosenfarm Konkurrenz zu machen. Aber die Befürchtung verschwand so schnell, wie sie aufgetaucht war. Er würde bald genug merken, wie schwer dieses Leben war. Viele Leute, die nichts von Rosen verstanden, sahen nur die romantische Seite. Aber Rosen zu züchten war nicht anders, als Getreide anzubauen. Es war harte Arbeit. So hart, dass sie einen auslaugte, wenn man nicht aufpasste.

Man konnte an sieben Tagen in der Woche zwölf oder sechzehn Stunden schuften, und es blieb immer noch genug zu tun. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass man andauernd gegen etwas kämpfte: zu viel Regen, zu wenig Regen, Heuschrecken und andere Schädlinge, den wirtschaftlichen Abschwung, der Rosen zu schwer verkäuflichen Luxusartikeln machte, und vieles mehr.

„Nun ja, wenn Sie das wollen, werden Sie es bekommen“, sagte sie mit gespielter Unbeschwertheit. „Denn wenn es etwas gibt, womit ich mich auskenne, dann ist es die Rosenzucht.“

Er nickte. „So, ich werde jetzt aber besser draußen weitermachen.“

„Na gut.“

„Wenn ich fertig bin, fahre ich ins Motel zurück. Morgen früh bin ich wieder da.“

„Sie können mit uns frühstücken.“

„Nicht nötig. Ich kann …“

„Ich bestehe darauf“, unterbrach sie ihn. „Um sieben, denn Matthews Schulbus kommt um Viertel vor acht.“

Er ging zur Tür. „Okay. Nochmals danke für das Essen.“

„Gern geschehen.“

Fast genau eine Stunde später saß Beth am Küchentisch und übte mit Matthew Buchstabieren, während Amy mit ihren Buntstiften das vorgezeichnete Bild einer mit einem Wollknäuel spielenden Katze ausmalte. Plötzlich hörte Beth, wie draußen ein Motor angelassen wurde. Der Kies knirschte unter den Reifen, als Jack seinen Pick-up wendete und davonfuhr.

„Jack fährt weg“, sagte Matthew.

„Ja.“

„Ich mag ihn.“

„Ich auch“, meinte Amy. „Er ist nett.“

„Schade, dass ich morgen in die Schule muss. Sonst könnte ich ihm helfen. Darf ich zu Hause bleiben, Mom?“

„Nein, Matthew. Du musst zur Schule gehen und viel lernen, damit du dich später ernähren kannst.“

„Aber du hast gesagt, wenn ich groß bin, werde ich Rosenzüchter. Das kann ich in der Schule nicht lernen“, widersprach Matthew triumphierend.

„Stimmt, aber um eine Farm wie diese zu leiten, musst du auch schreiben und lesen können. Du musst außerdem rechnen und einen Computer bedienen können.“

„Kriegen wir einen Computer?“, fragte der Junge aufgeregt.

„Brittany hat auch einen“, erinnerte Amy. „Da sind Spiele drauf, und wenn ich bei ihr bin, sitzen wir immer davor.“

Brittany war die Tochter von Beths bester Freundin Dee Ann – drei Jahre älter als Amy und ihr großes Vorbild.

Beth brach es das Herz, ihre Kinder immer wieder enttäuschen zu müssen, aber sie ließ es sich nicht anmerken. „Irgendwann werden wir auch einen Computer haben, das verspreche ich.“ Sie brauchte einen für ihre Abrechnungen, aber auf der Liste der Dinge, die fehlten, stand ein Computer ziemlich weit unten. Seit einigen Jahren reichten die Einnahmen gerade aus, um den Kopf über Wasser zu halten. Vielleicht konnte sie einen gebrauchten PC für die Kinder auftreiben. Ja, sicher. Sie könnte ihn sich leisten, wenn er nicht mehr als zehn Dollar kostete.

„Schon gut, Mom.“ Matthew berührte ihre Hand. „Ich brauche keinen Computer.“

„Genau“, pflichtete Amy ihm bei. „Wir brauchen keinen.“

Mühsam schluckte Beth den Kloß in ihrem Hals herunter. Sie stand auf und gab den beiden einen Kuss. „Womit habe ich zwei so wunderbare Kinder wie euch verdient?“

Es war kurz nach neun, als Jack das Motel erreichte. Als er am Empfang vorbeifuhr, sah er eine Frau hinter dem Tresen stehen. Offenbar hatte Mr. Temple schon Feierabend. Er parkte vor seinem Zimmer. Außer seinem standen nur noch zwei weitere Wagen auf dem Hof. Na ja, es war ein Werktag. Er bezweifelte jedoch, dass an den Wochenenden mehr Leute hier abstiegen. Wer nach Rose Hill kam, war nicht auf der Durchreise, denn der Ort lag abseits der großen Highways.

Er schloss den Pick-up ab und ging zu seiner Zimmertür. Als er den Schlüssel ins Schloss steckte, hörte er hinter sich eine Stimme.

„Sie waren lange fort. Haben Sie sich ein paar Farmen angesehen?“

Jack wirbelte herum, ging automatisch in die Hocke und griff nach seiner Waffe … Die lag allerdings zusammen mit den anderen im Safe in der Stockwell-Villa. Hoffentlich hatte der alte Mann, der vor Zimmer fünf im Schatten saß, seine seltsame Reaktion nicht bemerkt.

„Ich habe Sie gar nicht gesehen“, erklärte Jack entschuldigend und ging zu Mr. Temple.

„Deshalb sitze ich ja so gern hier. Ich sehe alles, was vorgeht, aber niemand sieht mich. Ist sehr interessant.“

Soweit Jack erkennen konnte, ging im Motel nichts vor. Abgesehen davon, dass du den guten Mr. Temple erschießen wolltest, nur weil er dich angesprochen hat, schimpfte Jack mit sich selbst.

„Und? Haben Sie sich einige Farmen angesehen?“, wiederholte der Motelbesitzer neugierig.

„Ich war bei den Johnsons.“ Mr. Temple würde es ohnehin früh genug erfahren. „Ich werde eine Weile dort arbeiten.“

„Tatsache? Ich schätze, Bethie hat irgendwo Geld aufgetrieben. Letzte Woche hat sie noch gesagt, dass sie nicht weiß, wie sie diesen Sommer überstehen soll. Ich habe ihr gesagt, sie soll sich einen Kredit von der First National Bank holen, aber sie meinte, ihre Granny würde sich im Grab umdrehen, wenn sie eine Hypothek auf die Farm aufnimmt. Ihre Granny war strikt dagegen, jemandem etwas schuldig zu sein. Na ja, die meisten älteren Leute hier denken so, ich jedenfalls auch. Wir sind während der großen Wirtschaftskrise aufgewachsen und wissen noch, wie viele alles an die Banken verloren haben. Einschließlich unserer Eltern.“

Mr. Temple erzählte noch etwa zehn Minuten lang von den harten Zeiten, und als er endlich eine Pause machte, nutzte Jack die Gelegenheit und wechselte unauffällig das Thema. „Wie lange ist Mrs. Johnson denn schon allein? Sie haben ihren Cousin erwähnt, der nach Houston gegangen ist, aber was ist denn mit ihrem Ehemann?“

„Ach, der! Der ist schon lange weg, und das ist auch gut so. Eben ist im Juni vor einem Jahr umgekommen. Hat sich mit einem Neunachser angelegt. Er war betrunken. Voll bis über die Ohren. Wie immer. Eben liebte die Flasche mehr als alles andere.“

„Das muss schlimm für seine Frau gewesen sein“, vermutete Jack.

„Ja, die arme Bethie hat uns allen leidgetan. Ihre Granny hatte sie vor ihm gewarnt, aber sie wissen ja, wie die jungen Leute sind. Die müssen alles erst auf die harte Tour lernen.“

Mr. Temple ließ sich rund fünf Minuten über die Jugend von heute aus, bevor es Jack gelang, ihm eine gute Nacht zu wünschen, ohne unhöflich zu sein.

„Ich gehe jetzt auch zu Bett“, meinte der Motelbesitzer. „War heute Abend ziemlich langweilig.“ Er stand langsam auf und öffnete die Tür von Zimmer fünf.

„Sie wohnen hier?“, fragte Jack überrascht.

„Sicher. Seit meine Frau, Gott sei ihrer Seele gnädig, gestorben ist. Alma, das ist meine Schwester, zwei Jahre älter als ich, hat nie verstanden, warum ich das Haus verkauft habe. Darum, habe ich gesagt. Und zum ersten Mal, seit ich mich erinnern konnte, fiel ihr keine Antwort ein!“ Er lachte. „Alma ist ganz in Ordnung“, fügte er rasch hinzu. „Sie hat ein loses Mundwerk, aber ein großes Herz.“

Später lag Jack in dem fremden, nicht sehr bequemen Bett und dachte über das nach, was Mr. Temple ihm über Beth Johnson erzählt hatte. Sie schien eine Kämpfernatur zu sein, die nicht so schnell aufgab. Aber sie brauchte Hilfe, das stand fest. Plötzlich war er heilfroh, dass die Umstände ihn hierhergeführt hatten. Denn er freute sich darauf, ihr zu helfen.

Obwohl Beth den ganzen Tag gearbeitet hatte und erschöpft genug hätte sein müssen, um sofort einzuschlafen, ließen ihre Probleme sie nicht zur Ruhe kommen. Erst fragte sie sich, woher sie das Geld für die Reparaturen bekommen sollte, die Jack Stokes in Angriff nehmen wollte. Dann überlegte sie, woher ihr rettender Engel kam und warum er ausgerechnet auf ihrer Farm gelandet war.

Was hätte ihre Großmutter von ihm gehalten? Irgendwie war Beth überzeugt, dass auch Grandma Lillian ihn auf der Stelle angeheuert hätte. Grandma Lillian hatte ihrer Menschenkenntnis stets vertraut. Und ihrem Instinkt. Selbst wenn sie – was selten vorkam – eine falsche Entscheidung traf, quälte sie sich nicht mit Vorwürfen, sondern nahm es klaglos hin.

„Elizabeth Lillian“, hatte sie häufig gesagt und dabei Beth stets bei ihrem vollen Namen genannt. „Geschehen ist geschehen. Man weint nicht darüber, sondern macht einfach weiter.“

Als sie an ihre Großmutter dachte, fiel Beth ein, dass sie noch etwas Wertvolles besaß. Das Einzige, was ihr geblieben war. Grandma Lillians Schmuck. Sie wollte ihn nicht verkaufen, denn eines Tages sollte Amy ihn bekommen. Aber wenn es sein musste, würde sie ihn zu Geld machen. Schmuck war ein Luxus. Die Rosenfarm war ihr Zuhause.

Sie musste schlafen, sonst würde sie den morgigen Tag nicht durchstehen. Also klopfte sie das Kissen zurecht und schloss die Augen.

Wenige Minuten bevor der Wecker klingelte, erwachte Beth. Als sie sich bewegte, stöhnte sie auf. Jeder Muskel in ihrem Körper schien zu schmerzen.

Die heiße Dusche half. Sie putzte sich die Zähne und warf dabei einen Blick in den Spiegel. So übel sah sie gar nicht aus. Die Haut war ein wenig gerötet, wo die Sonnenschutzcreme nicht gehalten hatte, aber das war alles.

Zurück im Schlafzimmer zog sie statt des alten Overalls Jeans und eine ärmellose grüne Bluse an. Sie wählte eine grüne Schleife, um ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zu binden, und legte ein wenig Make-up auf. Das tat sie sonst nur, wenn sie ausging, was selten genug vorkam.

Auf der Treppe nach unten blieb sie stehen. Was um alles in der Welt fiel ihr ein? Sie drehte sich um, wollte ins Bad zurück, um sich wieder abzuschminken. Doch bevor sie wieder nach oben gehen konnte, klopfte es an der Hintertür. Ihr Herz schlug etwas schneller. Das musste Jack sein. Sie eilte nach unten.

„Guten Morgen“, grüßte er, als sie öffnete, und sein Blick wanderte an ihr hinab und wieder hinauf. Offenbar gefiel ihm, was er sah.

„Guten Morgen.“ Hoffentlich errötete sie nicht. Ihr Gesicht fühlte sich viel zu warm an. Sie wagte kaum, ihn anzusehen.

„Ich hoffe, ich komme nicht zu früh.“

„Nein, nein, natürlich nicht.“ Es war fast sieben. „Ich bin nur ein wenig spät dran.“ Weil ich im Bad viel länger als sonst gebraucht habe, dachte sie. „Der Kaffee ist gleich fertig.“ Hastig stellte sie die Maschine an und war froh, dass sie schon am Abend zuvor alles vorbereitet hatte. „Ich muss die Kinder rufen“, sagte sie, ohne sich umzudrehen, und kam sich vor wie ein Teenager, als sie aus der Küche floh.

Sie weckte Matthew und Amy, legte ihnen ihre Sachen hin, bat sie, sich zu beeilen, und ging wieder nach unten. Jack stand mit einem Becher Kaffee am Fenster. Seine Schultern waren breit, und in seinen perfekt sitzenden Jeans und dem Polohemd sah er sehr gut aus. Man hätte meinen können, sie wäre noch nie einem attraktiven Mann begegnet.

„Ich mache Pfannkuchen zum Frühstück“, verkündete sie.

Lächelnd drehte er sich um. „Klingt gut. Kann ich helfen?“

„Nein danke.“ Minuten später war der Teig fertig, und die Pfanne stand auf dem Herd. Als die erste Ladung auf dem Tisch dampfte, kam Matthew in die Küche gerannt.

„Jack, Sie sind ja schon hier! Ich habe Sie gar nicht gehört.“ Er begann Jack mit Fragen zu bombardieren. „Was wollen Sie und Mom heute machen? Haben Sie Ihre Sachen mitgebracht? Sind sie draußen im Wagen? Bringen Sie alles auf die Schlafveranda? Haben Sie schon mal auf einer Veranda geschlafen? Essen Sie heute Abend wieder mit uns? Wenn ich aus der Schule komme, darf ich Ihnen dann helfen?“

„Matthew!“ Beth stellte ihrem Sohn einen Teller hin. „Ich bin sicher, Jack möchte in Ruhe frühstücken. Jetzt iss deine Pfannkuchen, sonst verpasst du noch den Bus.“ Ihre Stimme klang schärfer, als sie beabsichtigt hatte.

„Ist schon gut“, sagte Jack leise.

Matthew sah sie verwirrt an, und sofort bekam sie ein schlechtes Gewissen. „Tut mir leid, mein Schatz.“ Sie drückte seine Schulter. „Ich wollte dich nicht so anfahren. Ich habe nur Kopfschmerzen, das ist alles.“

Inzwischen war auch Amy da. Sie setzte sich an den Tisch und bat Beth, ihr die Schuhe zuzubinden. Beth konzentrierte sich darauf, und der peinliche Moment ging vorüber. Nachdem sie Amy einen Teller hingestellt und selbst auch zwei Pfannkuchen gegessen hatte, fühlte sie sich besser.

Aber was gerade passiert war, machte ihr eines klar: Jack Stokes war viel zu attraktiv, und sie würde aufpassen müssen, wenn sie sich nicht völlig lächerlich machen wollte.

4. KAPITEL

Jack tat sein Bestes. Er säuberte den Kompressor und stellte die Klimaanlage an. Der Kompressor gab noch immer ein beunruhigendes Geräusch von sich. Über kurz oder lang würde Beth etwas unternehmen müssen.

Es berichtete ihr das nur ungern, aber sie schien darauf gefasst zu sein.

„Na ja.“ Sie lächelte matt. „Es wird ja Winter, da kann ich noch warten.“

Jack wollte ihr sagen, dass es auch im September drückend heiß sein konnte, aber er ließ es. Sie wusste das selber am besten, und sein Hinweis würde ihr nicht helfen. Offensichtlich hatte sie kein Geld für eine Reparatur. Er dachte an das Vermögen, das Caine Stockwell ihm und seinen Geschwistern hinterlassen hatte. Wenn seine Familie Beth wirklich um ihr angestammtes Erbe betrogen hatte, war es eine Schande, dass sie und ihre Kinder auch nur eine Minute Not leiden mussten.

Aber ihm waren die Hände gebunden. Er konnte nichts für sie tun, bevor feststand, dass sie einen Anspruch auf das Geld hatte. Wenn er eins gelernt hatte, seit er auf der Farm war, dann dass sie stolz war. Sie hatte es nicht gesagt, aber er ahnte, dass sie nichts annehmen würde, was ihr nicht zustand.

„Bereit zum Rundgang?“, fragte sie.

„Sicher.“

„Ich dachte mir, wir fangen mit dem Vermehrungshaus an. Das hat am meisten Schaden davongetragen und ist das wichtigste der Gewächshäuser.“

„Einverstanden.“

Beth führte ihn zu dem Gewächshaus neben der Scheune. Soweit Jack erkennen konnte, war es das einzige, das zurzeit geschlossen war. Allerdings hatte sich die Kunststoffplane an mehreren Stellen losgerissen, und die Metallbügel, die die Abdeckung trugen, waren verbogen.

„Hier pflegen wir die Stecklinge, bis sie wurzeln“, erklärte sie. „Danach nehmen wir sie aus diesen kleinen Behältern.“ Sie hob einen an. „Wir pflanzen sie in größere Töpfe und stellen sie in die normalen Gewächshäuser.“

„Wie unterscheidet sich dieses Gewächshaus von den anderen?“

„In diesem werden Temperatur und Luftfeuchtigkeit ständig kontrolliert, weil die Jungpflanzen viel empfindlicher sind. Wir wässern sie nicht per Hand wie in den anderen Gewächshäusern, sondern haben eine Benebelungsanlage mit Zeitschaltuhr.“ Sie zeigte auf die schmalen Leitungen, an denen in regelmäßigen Abständen Düsen saßen. „Das Wasser kommt als feiner Nebel heraus. Leider ist die Anlage durch den Sturm beschädigt worden.“ Sie zeigte dorthin, wo einige Rohre verbogen waren. An einer anderen Stelle waren überhaupt keine mehr.

„Können Sie die Anlage noch benutzen?“, fragte Jack.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, sie muss repariert werden. Aber im Moment brauchen wir sie ohnehin nicht, weil Wind und Hagel die Stecklinge zerstört haben. Ich werde neue Stecklinge setzen müssen. Das kann ich jedoch erst tun, wenn ich sicher bin, dass ich sie auch richtig pflegen kann.“

„Also steht dieses Gewächshaus an erster Stelle?“

„Ja.“ Sie lächelte. „Und alles, was ich dazu brauche, sind Blut, Schweiß und Tränen.“

„Ich dachte immer, Gewächshäuser sind aus Glas.“

„Nur im Norden. Hier in Texas wird es nicht so kalt. Außerdem ist Glas schrecklich teuer. Ich glaube, wenn ich nur gläserne Gewächshäuser hätte, könnte ich mich gleich erschießen.“

„Aber müssen die Planen denn nicht auch ersetzt werden?“

„Ja. Aber das kann ich mir gerade noch leisten. Viel schlimmer ist der Schaden an der Benebelungsanlage.“

„Und das Gestänge?“

„Damit können wir eine Weile leben. Wichtig ist, dass die Pflanzen abgedeckt sind.“

„Wie sieht der Zeitplan aus? Was muss wann getan werden?“

„Fangen wir mit dem September an. Wir nehmen die Stecklinge von den Mutterpflanzen und setzen sie in das Bewurzelungspräparat. Wie ich schon sagte, muss das Klima im Vermehrungshaus ständig überwacht werden. Wenn es zu heiß ist, muss man die Benebelungsanlage entsprechend einstellen, damit die Jungpflanzen mehr Wasser bekommen. Wenn es wolkig ist, gibt es weniger Wasser, sonst verfaulen die Wurzeln, und man muss ganz von vorn anfangen. Man braucht optimale Bedingungen, damit sie durchwurzeln und wachsen.“

„Wie lange dauert das?“

„Manche Sorten brauchen fünfundvierzig Tage, andere bis zu sechzig.“

„Mal sehen, ob ich alles verstanden habe. Wenn ein Steckling Wurzeln geschlagen hat, wird er umgetopft und kommt in eins der normalen Gewächshäuser. Dann macht man neue Stecklinge, damit man immer Nachschub hat.“

„Genau.“

Jack nickte. „Ich glaube, das mit dem Vermehrungshaus habe ich jetzt kapiert.“

„Eins noch. Wir verwenden nur Regenwasser, weil das Grundwasser aus dem Brunnen einen zu hohen pH-Wert hat. Regenwasser ist ideal, und wir sammeln es in zwei Zweitausend-Gallonen-Tanks. Der Tornado hat allerdings die Pumpe beschädigt, mit der wir das Regenwasser aus den Tanks ins Vermehrungshaus befördern. Vielleicht haben Sie gesehen, was von der Pumpe übrig ist. Sie liegt dort hinten, am letzten Gewächshaus.“

Sie erzählte das alles so ruhig und gelassen, dass Jack einige Sekunden brauchte, um die Tragweite ihrer Worte zu begreifen.

„Im November decken wir die restlichen Gewächshäuser ab. Wir kaufen die Planen, halten sie bereit, und an einem windstillen Tag rollen wir sie über die Metallstreben und machen sie fest. Den Winter hindurch ziehen wir die Pflanzen groß, damit wir im Frühjahr, wenn alles blüht, genügend für den Verkauf haben. Der Sommer ist für uns Nebensaison, dann holen wir alles nach, was liegen geblieben ist.“ Sie sah ihn an. „Es ist eine harte Arbeit, die nie endet, und kleine Rosenzüchter wie ich werden nicht reich.“

„Warum tun Sie es dann?“

Sie seufzte. „Ich liebe diese Farm. Die Arbeit liegt mir im Blut. Meine Großmutter war eine leidenschaftliche Züchterin. Damit bin ich aufgewachsen, und über die Jahre hat sie mir alles beigebracht, was sie über Rosen wusste. Ich möchte diese Leidenschaft wiederum an meine Kinder weitergeben. Deshalb will ich die Farm für sie erhalten.“

Jack konnte sich nicht vorstellen, dass ihm jemals etwas so viel bedeuten würde wie Beth ihre Farm und die Rosen. Für ihn war sein Beruf einfach nur Broterwerb. Zugegeben, sein Job war ungewöhnlich, aber er hatte ihn nur gewählt, um gegen seinen Vater zu rebellieren.

Caine Stockwell hatte Jack auf eine Militärschule gesteckt, um ihn leiden zu lassen. Aber anstatt die Ausbildung zu hassen, hatte Jack etwas Nützliches gelernt. Er hatte nicht vorgehabt, Söldner zu werden. Er hatte auf einer Bohrinsel anfangen wollen, um seinen Vater zu ärgern.

Aber im letzten Jahr auf der Militärschule hatte er sich mit Tim Hastings angefreundet. Tims Onkel Bart war Söldner. In den Weihnachtsferien war Jack mit seinem Freund zu dessen Familie in Connecticut gefahren und hatte dort den Onkel kennengelernt.

Das Leben, das Bart führte, hatte Jack fasziniert. Bart war auf Antiterroreinsätze spezialisiert und hatte Jack eingeladen, ihn zu besuchen, sollte er sich für den Beruf interessieren.

Zwei Jahre später hatte Jack genug vom College gehabt und Bart beim Wort genommen.

Inzwischen war er selbst ein Spezialist. Er kannte viele Leute, die auf Söldner herabsahen und sie für brutale Killer hielten, denen es egal war, für wen sie arbeiteten, solange sie Geld bekamen. Das mochte auf die meisten Söldner zutreffen, aber nicht auf Jack. Er übernahm nur Aufträge, an die er auch glaubte: Geiseln zu befreien oder Flüchtlinge aus einem Kriegsgebiet zu führen.

Der Beruf hatte ihm eine Menge Geld eingebracht. Er hatte es gut angelegt und war ein vermögender Mann. Aber wie erfolgreich er auch gewesen war, er hatte nie wirklich geliebt, was er tat. Die Arbeit war wichtig, sicher, aber letztendlich doch nur ein Job. Und wie eine seiner Freundinnen ihm mal wütend vorgeworfen hatte, als sie begriff, dass er keine feste Beziehung wollte, war auch sein Beruf vermutlich nur eine Lösung, um sich an nichts und niemanden binden zu müssen.

Aber jetzt, da er spürte, wie sehr Beth die Farm und alles, wofür sie stand, liebte, empfand er so etwas wie Neid. Sicher, er hatte viel Geld und brauchte sich nur um sich selbst Sorgen zu machen, aber sie hatte etwas weitaus Wertvolleres. Etwas, das er nie haben würde.

Hastig schüttelte er den Gedanken ab. „Wo soll ich anfangen?“

Ihre Miene wurde nachdenklich. „Bis mir einfällt, wie ich das Geld für die Benebelungsanlage und die Pumpe auftreiben kann, sollten wir sehen, wie viel wir in den Gewächshäusern retten können. Damit war ich gestern gerade beschäftigt, als Sie kamen.“

Er folgte ihr über den Hof und den Pfad zu den anderen Gewächshäusern. Zwar waren die Gestänge, die im Winter die Planen tragen sollten, nicht beschädigt, aber die Pflanzen hatten unter Wind, Regen und Hagel schwer gelitten. „Pech, dass sie nicht abgedeckt waren“, meinte Jack.

„Das hätte keinen großen Unterschied gemacht. Der Hagel hätte die Planen durchlöchert.“ Beth ging in das erste Gewächshaus. „Ich zeige Ihnen, was ich gestern gemacht habe. Ich bin erst halb fertig.“

Sie zeigte ihm, wie man feststellte, welche Pflanzen noch zu retten waren. „Wenn die Wurzeln komplett abgerissen sind, schmeißen Sie die Pflanzen auf den Haufen dort. Wenn nicht …“ Sie nahm eine Pflanze, die vom Sturm aus ihrem Behälter gerissen worden war, und zeigte ihm, dass sie noch intakte Wurzeln hatte. „Pflanzen Sie die junge Pflanze vorsichtig wieder ein. Notfalls holen Sie frische Erde aus der Scheune. Wenn Sie einen neuen Behälter brauchen, finden Sie welche dort drüben in der Ecke.“ Während Beth sprach, machte sie es ihm vor.

„Wenn die Pflanze noch mit einem Etikett versehen ist, können Sie sie dort hinstellen.“ Sie hob eine an und zeigte ihm, wonach er suchen musste. „Wenn es fehlt, kommt die Pflanze zu denen dort hinten. Die muss ich mir genauer ansehen, um die Sorte zu bestimmen.“

Jack zog die Augenbrauen hoch, und sie schüttelte müde den Kopf. „Ja, das ist ein weiteres Problem. Viele der Etiketten wurden vom Sturm abgerissen. Aber wenn ich die Rosen verkaufen will, muss ich dem Kunden sagen können, welche Sorte er kauft.“

„Und Sie sehen der Pflanze an, zu welcher Sorte sie gehört?“

„Manchmal. Einige haben ganz typische Blätter. Bloomfield Courage ist ein gutes Beispiel.“ Sie hielt ihm eine Pflanze hin, und selbst als Laie konnte er erkennen, dass die glänzenden dunkelgrünen Blätter eine unverwechselbare Form hatten. „Wir versuchen, die verschiedenen Sorten schon bei der Anzucht auseinanderzuhalten, und ich weiß, welche in welchem Gewächshaus steht. Trotzdem sind manche Rosen einander so ähnlich, dass ich bis zur Blüte warten muss, um die Sorte zu bestimmen.“

Autor

Patricia Kay
Patricia Kay hat bis heute über 45 Romane geschrieben, von denen mehrere auf der renommierten Bestsellerliste von USA Today gelandet sind. Ihre Karriere als Autorin begann, als sie 1990 ihr erstes Manuskript verkaufte. Inzwischen haben ihre Bücher eine Gesamtauflage von vier Millionen Exemplaren in 18 verschiedenen Ländern erreicht!
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