Das Erbe der Lassiters - 7-teilige Serie

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Erleben Sie die glanzvolle 7-teilige Familiensaga: Nach dem plötzlichen Tod des Familienoberhaupts herrscht Aufruhr in der Familie Lassiter. Die Erben müssen sich gegen Lügen und Intrigen wehren - und für ihre große Liebe kämpfen!

SCHICKSALSNACHT MIT DEM MILLIONÄR

Nach einer unglaublich zärtlichen Nacht verschwand Matt Hollis ohne ein Wort aus Kaylas Leben. Jetzt trifft sie den begehrten Single auf der Hochzeit einer Freundin wieder. Kayla sollte wütend sein! Stattdessen schlägt ihr verräterisches Herz viel zu schnell …

BETÖRT VON EINER BETRÜGERIN?

Drei Millionen Dollar! Sage Lassiter ist fassungslos. Warum hat sein Vater der hübschen Krankenschwester Colleen ein Vermögen vererbt? Um sie als Betrügerin zu entlarven, beginnt Sage, sie zu verführen. Ein gewagter Plan mit ungeahnt leidenschaftlichen Folgen …

DEIN VERFÜHRERISCHER KUSS

"Wie viel nehmen Sie pro Stunde?" Logan Whittaker muss lächeln: Hannah hält ihn für den Klempner! Dabei ist der Anwalt gekommen, um ihr mitzuteilen, dass ihre Geldsorgen für immer ein Ende haben. Und vielleicht auch, um sich in die temperamentvolle Schönheit zu verlieben …

NUR EINE SINNLICHE AFFÄRE?

Attraktiv, umschwärmt und ein Draufgänger: Der charmante Dylan Lassiter ist Jennas absoluter Traummann! Nach Stunden voller Lust muss sie den Millionär trotzdem verlassen. Denn sie hütet ein dunkles Geheimnis, von dem Dylan niemals etwas erfahren darf …

BLEIB BEI MIR, CITY-GIRL!

Knisternde Spannung herrscht zwischen ihnen, seit sie sich auf seiner Ranch zum ersten Mal geküsst haben! Aber Chance Lassiter ist überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Fee nach Los Angeles zurückkehrt. Oder gibt es einen Weg, das aufregende City-Girl zu halten?

MEIN UNWIDERSTEHLICHER MILLIARDÄR

Becca ist entsetzt! Jack Reed will die Wohltätigkeitsstiftung, für die sie arbeitet, ruinieren. Sie muss den erfolgsverwöhnten Milliardär davon abbringen! Aber wie überzeugt man einen so unwiderstehlichen Verführer, ohne sich selbst dabei die Finger zu verbrennen?

MEHR ALS EIN AUFREGENDES SPIEL?

Evan McCains erregend sinnliche Küsse zerreißen Angelica Lassiter fast das Herz. Zu gern würde sie in seinen starken Armen dahinschmelzen! Allerdings ist ihre leidenschaftliche Romanze für ihn nur ein kühl kalkuliertes Schauspiel für die Öffentlichkeit - oder?


  • Erscheinungstag 08.12.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774790
  • Seitenanzahl 1008
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Maureen Child, Kristi Gold, Yvonne Lindsay, Kathie Denosky, Robyn Grady, Barbara Dunlop

Das Erbe der Lassiters - 7-teilige Serie

IMPRESSUM

Schicksalsnacht mit dem Milliardär erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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Fax: +49(0) 711/72 52-399
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© 2014 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Beauty and the Best Man“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECITON BACCARA
Band 350 - 2015 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Martha Schierhorn

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733769550

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

„Du weißt, dass ich dich sehr liebe?“ Kayla Prince sah der Person, die ihr in dem gemütlichen Diner in der Innenstadt von Cheyenne, Wyoming, gegenübersaß, tief in die Augen.

„Ja, das weiß ich.“

„Und du weißt, dass ich alles für dich tun würde.“

„Ja.“

„Dann tu mir das bitte nicht an“, stöhnte Kayla. „Bitte, bitte, bitte, lass mich nicht ausgerechnet neben diesem Mann vor den Altar treten.“

Angelica Lassiter, Kaylas beste Freundin, lachte schallend und warf ihr blondes Haar zurück. „Ach Kayla. Mach nicht so ein Drama.“

„Oh, bitte, Angie“, sagte Kayla und lehnte sich zurück. „Denk dir irgendetwas anderes aus. Sei ein Trendsetter. Der Trauzeuge könnte doch zum Beispiel neben dem Blumenmädchen gehen.“

„Ganz bestimmt nicht. Wie würde das bitte aussehen?“

Aus lauter Verzweiflung brachte Kayla das nächste Argument vor. „Dann lass mich die Blumen streuen. Such dir eine andere Trauzeugin. Ich wäre auch ganz sicher nicht beleidigt.“ Sie legte sich eine Hand aufs Herz und warf ihrer Freundin einen treuherzigen Blick zu. „Ehrlich.“

„Es geht einfach nicht anders. Du bist die Trauzeugin, Kayla. Du bist meine beste Freundin.“

„Wir könnten uns streiten“, schlug Kayla hoffnungsvoll vor. „Richtig schlimm. Und nach der Hochzeit versöhnen wir uns wieder.“

„Wir streiten nie“, gab Angelica zu bedenken.

Nein, natürlich tun wir das nicht, dachte Kayla kläglich. Wie sollte man auch mit Angie streiten? Sie war wunderschön und nett, lustig und klug. Leider heiratete sie einen Mann, dessen Trauzeuge ganz zufällig genau der Mensch war, der Kayla einfach zur Weißglut trieb.

„Du machst dieses ganze Theater wirklich nur, um Matt aus dem Weg zu gehen?“

Schmollend starrte Kayla in ihren Kaffee und versuchte zu verdrängen, dass sie sich wie ein Riesenfeigling benahm. Das war eigentlich überhaupt nicht ihre Art. Ihre alleinerziehende Mutter hatte sie von klein auf dazu erzogen, unabhängig zu sein. Kayla war noch nie vor irgendwelchen Schwierigkeiten zurückgeschreckt. Das College in L. A., wo sie und Angelica erst Zimmergenossinnen und dann beste Freundinnen geworden waren, hatte sie sich selbst finanziert. Ihr Kunststudium hatte sie geliebt, aber mit der Zeit hatte sie sich eingestehen müssen, dass aus ihr leider keine große Künstlerin werden würde. Trotzdem erkannte sie ein großes Werk, wenn sie es sah. Also jobbte sie in ein paar kleineren Galerien, lernte und sammelte Erfahrungen. Wenn sie schon selbst keine Künstlerin sein konnte, dann konnte sie wenigstens im Kunstbereich ihren Lebensunterhalt verdienen.

In den Ferien war Kayla ein paar Mal in Angies Heimatstadt Cheyenne zu Besuch gewesen. Fast auf den ersten Blick hatte sie sich in die Stadt und das weite Land von Wyoming verliebt. Deswegen hatte sie die Gelegenheit genutzt, als ihr in einer Galerie in Cheyenne ein Traumjob angeboten wurde, und L. A. hinter sich gelassen. In der Galerie hatte sie den ganzen Tag mit Kunst zu tun – war von Skulpturen, Gemälden und Radierungen umgeben. Endlich war sie ein richtiger Teil der kreativen Welt und konnte in ihrer Position sogar den talentierten Künstlern helfen, die ihr ihre Arbeiten anvertrauten. Und dank ihrer Freundschaft mit Angie fungierte sie auch als private Beraterin für die Lassiter-Sammlung.

Cheyenne war in den letzten Jahren zu ihrem Zuhause geworden. Sie hatte ein kleines Häuschen am Stadtrand bezogen, ihr Auto war abbezahlt und ihr Sozialleben ausgewogen. Sie hatte sich sogar mit ein paar Männern getroffen, die sie interessant fand – allerdings nur bis sie Matt Hollis begegnete. Nachdem sie Matt kennengelernt hatte, hatte keiner dieser Männer noch irgendeine Bedeutung.

„Matt war jetzt neun Monate im kalifornischen Büro von Lassiter Media“, fuhr Angelica fort. „Warum auch immer du so wütend auf ihn bist, inzwischen solltest du es doch wohl vergessen haben, oder?“

Angie hatte ja keine Ahnung.

Als die Erinnerungen aufstiegen, kochte eine Mischung aus Scham, Erregung und reiner Wut brodelnd in Kayla hoch. Vor einem Jahr hatten Angelica und Evan sich verlobt und prompt beschlossen, dass ihre besten Freunde auch untereinander befreundet sein mussten. Deshalb hatte Angie ein Treffen zu viert vereinbart.

Ein Albtraum.

Matt Hollis war ein arroganter Besserwisser, und am Ende jenes glorreichen Abends war Kayla wirklich mit ihrer Geduld am Ende gewesen. Er sah fantastisch aus, war intelligent und wahrscheinlich daran gewöhnt, dass die Frauen ihm schmachtend zu Füßen lagen. Anscheinend hatte er es als Herausforderung genommen, dass Kayla dem Drang widerstanden hatte, sich an seine männliche Brust zu werfen.

Wenn sie sich in den nächsten zwei Monaten sahen, hatte Matt es stets geschafft, ihr nahe zu kommen und sie zu berühren. Sogar wenn sie sich stritten – also fast immer –, war da eine erotische Spannung zwischen ihnen, die von Mal zu Mal heftiger knisterte. Natürlich musste sich diese Spannung zwangsläufig entladen.

Genau das geschah in einer Nacht, in der sie zusammen mit Evan und Angie in einem Club waren. Nachdem sich die angehenden Eheleute verabschiedet hatten, waren Matt und Kayla kurz davor gewesen, sich gegenseitig die Haare auszureißen. Stattdessen endete der Abend damit, dass sie sich gegenseitig die Kleider vom Leib rissen. Aber das musste Angie wirklich nicht wissen.

Ebenso wie sie nicht wissen musste, dass diese eine explosive Nacht mit Matt Hollis immer noch in ihren Träumen auftauchte.

Kayla konnte noch etwas anderes nicht vergessen: Wenige Tage nach dieser Nacht war Matt nach Kalifornien abgereist, um seinen neuen Job im dortigen Firmensitz von Lassiter Media anzutreten. Neun Monate war er fortgeblieben, ohne sich auch nur einmal bei ihr zu melden. Jetzt war er zwar zurück, aber wegen der Hochzeit und um irgendeine Angelegenheit für die Firma zu regeln. Kayla wollte ihn wirklich um keinen Preis wiedersehen.

Nun, sie wollte schon, aber irgendwie auch nicht.

Es war kompliziert.

Und Angie konnte sie das kaum erzählen. „Ich mag ihn einfach nicht besonders, okay?“

„Das habe ich begriffen. Aber die Hochzeit ist schon in zwei Wochen. Kannst du nicht einfach solange so tun, als würdest du ihn nicht hassen?“ Angie hob die Kaffeetasse und zwinkerte ihr zu. „Sobald ich mit Evan in die Flitterwochen fahre, fliegt Matt zurück nach L. A., und ihr könnt euch wieder aus dem Weg gehen.“

„Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn hasse“, murmelte Kayla. Diese ganze Sache wäre so viel einfacher, wenn sie ihn einfach hassen könnte …

Stattdessen wollte sie ihn immer noch. Als wäre sie völlig durchgedreht! Trotz allem. Obwohl er nicht angerufen und wahrscheinlich keinen einzigen Gedanken an sie verschwendet hatte. Ja, sie hatte gewusst, dass er nach Kalifornien ziehen würde, aber er hatte nicht einmal so etwas gesagt wie „War schön mit dir“.

Und jetzt war er wieder da. Auch wenn es nur für kurze Zeit war. Um ihres Stolzes willen musste Kayla so tun, als wäre nichts zwischen ihnen gewesen.

Oh verdammt! Die nächsten zwei Wochen würden wirklich alles andere als lustig werden.

„Schluss jetzt mit Matt“, sagte Kayla abrupt. Sie hatten lange genug über diesen Idioten geredet. „Was ist mit dir und Evan los?“

Angie zuckte mit den Schultern. „Hochzeitskram. Du kannst es dir ja vorstellen. Wir haben beide noch so wahnsinnig viel zu tun bis zu unserem großen Tag.“ Sie warf einen Blick auf ihre schmale goldene Uhr, trank einen letzten Schluck Kaffee und stellte die Tasse auf den Tisch. „Evan ist wunderbar. Uns geht es großartig. Es tut mir leid, Darling, aber ich muss los. In zwanzig Minuten habe ich ein Meeting, und wenn ich nicht sofort aufbreche, komme ich zu spät.“

Kayla runzelte die Stirn. „Klar, natürlich. Schaffst du es heute Abend zur Vernissage?“

„Niemals würde ich das verpassen. Ich weiß, dass du wochenlang daran gearbeitet hast.“ Angelica rutschte von der Bank, schnappte sich ihre braune Lederhandtasche und lächelte. „Wir kommen auf jeden Fall. Wir alle.“

Kayla erstarrte. „Alle?“

Angie zwinkerte ihr zu. „Evan, ich – und Matt.“

Irritiert spürte Kayla ein kurzes Zwicken im Magen. „Warum bist du so gemein zu mir?“

„Ich konnte es einfach nicht lassen!“ Angie grinste und fügte hinzu: „Außerdem will Evan nach der Vernissage noch zu einer Band, von der ihm irgendjemand erzählt hat. Für die Hochzeitsfeier.“

„Ich dachte, ihr habt die Band längst gebucht.“

„Hatten wir auch.“ Angie zog die Nase kraus. „Aber Evan will jetzt doch etwas anderes.“

„Ist es nicht ein bisschen spät dafür?“

„Ja, genau das habe ich auch gedacht. Aber mein Verlobter ist da anderer Meinung.“ Nach einem weiteren Blick auf die Uhr setzte Angie sich in Bewegung. „Ich muss rennen. Bis später.“

Seufzend sah Kayla ihre Freundin aus dem Diner eilen. Sie konnte sich den Gedanken nicht verkneifen, dass ihre gemeinsamen Mittagessen wegen geschäftlicher Verpflichtungen viel zu selten geworden waren.

Angie war die zukünftige Erbin von Lassiter Media. Sie widmete sich schon lange dem Wachstum und Ausbau der Firma. Aber seit sich die Gesundheit ihres Vaters J. D. Lassiter vor ein paar Monaten ernstlich verschlechtert hatte, bestimmte die Firma Angies ganzes Leben. In den letzten Jahren war sie zwischen Cheyenne und dem Sitz in L. A. hin- und hergependelt, aber um ihrem kranken Vater näher zu sein, hatte sie in den vergangenen Wochen mehr Zeit in Wyoming verbracht. Außerdem hatte sie im Moment natürlich einiges mit den Hochzeitsvorbereitungen zu tun. Angie war einfach viel zu beschäftigt.

Nicht, dass es Kayla störte, wenn eine Frau ihren Beruf liebte oder gut darin war. Sie genoss ja selbst jede Minute in der Galerie. In letzter Zeit allerdings schien Angie ihr Leben unbemerkt verstreichen zu lassen. Sie und Evan verbrachten kaum noch Zeit miteinander, und das machte Kayla Sorgen. Vor allem da es ihrer Freundin anscheinend keine machte. Früher waren Angie und Evan unzertrennlich gewesen, aber das war wohl vorbei.

Auf keinen Fall wollte sie, dass ihre Freundin den Mann, den sie liebte, verlor, nur weil ihr beruflicher Erfolg zu viel Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Das war vielleicht keine besonders feministische Meinung, aber schließlich durfte jeder denken, was er wollte.

Nachdenklich trank Kayla ihren Kaffee aus und blickte aus dem Fenster. Der Wind heulte durch die Straßen von Cheyenne. Die Fußgänger hatten ihre Mäntel fest um sich gewickelt, und der Himmel sah aus, als würde es bald schneien, obwohl die Stadt längst reif war für den Frühling. Aber so war das Wetter in Wyoming: Selbst im Mai oder später konnte es noch Schnee geben.

„Bitte, bitte nicht“, murmelte sie. Matt Hollis begegnen zu müssen war mehr als genug. Sie brauchte nicht auch noch einen Schneesturm.

2. KAPITEL

„Du brauchst mich gar nicht, um dir eine neue Band anzuhören“, protestierte Matt, und Evan lachte.

„Ich gebe es zu. Eigentlich geht es gar nicht um die Band“, sagte Evan nach einer Minute. „Seit du wieder in Cheyenne bist, gehst du Kayla aus dem Weg.“

„Also, ich gehe ihr nicht direkt aus dem Weg“, widersprach Matt. Inzwischen standen sie draußen vor der Galerie, in der sie Angie und Kayla treffen sollten. Ihm war klar gewesen, dass er Kayla wiedersehen würde, wenn er nach Wyoming zurückkehrte. Aber er hatte den Moment selbst bestimmen wollen. Und am liebsten hätte er bei ihrem ersten Wiedersehen niemanden sonst dabeigehabt.

Andererseits, solange Angelica und Evan da waren, würde Kayla sich vielleicht nicht weigern, mit ihm zu reden. Vielleicht.

„Ich hatte viel zu tun. Komm schon, du arbeitest selbst für Lassiter Media“, meinte Matt. „Du weißt genau, was wir um die Ohren haben.“

„Und trotzdem“, konterte sein Freund, „habe ich auch ein Privatleben.“

„Von dem in den letzten Wochen nicht mehr viel übrig geblieben ist“, murmelte Matt und beobachtete Evans Reaktion. „Du siehst Angie nicht gerade häufig.“

Evan runzelte leicht die Stirn. „Sie war schon immer ein Workaholic. Aber es stimmt, seit es ihrem Vater nicht so gut geht, ist es schwieriger geworden. Und seit wir beide hauptsächlich in Cheyenne leben, nimmt sie sich weniger Zeit, um mal abzuschalten.“

„Siehst du, du solltest dich bei deiner Verlobten beschweren! Nicht bei mir.“

Erstaunt schüttelte Evan den Kopf. „Das ist wirklich unglaublich.“

„Was?“, fragte Matt. „Was meinst du?“

„Diese Taktik, vom Thema abzulenken“, sagte Evan. „Ich habe noch nie erlebt, dass du vor irgendetwas zurückgeschreckt bist. Aber vor der Begegnung mit Kayla scheinst du geradezu Angst zu haben.“ Fragend zog er die Augenbrauen hoch. „Was, zum Teufel, ist zwischen euch beiden vorgefallen?“

Missmutig fuhr Matt sich mit einer Hand durchs Haar. Er drehte das Gesicht in den eisigen Wind. „Das ist eine lange Geschichte, die ich dir lieber nicht erzählen möchte.“

„Oh, der Herr ist reizbar?“

Matt sah Evan an. „Du hast keine Ahnung.“

„Du musst sie ja nicht mögen.“ Evan klappte den Kragen hoch, um sich vor dem eiskalten Wind zu schützen. „Sei einfach höflich.“

Höflich.

Matt unterdrückte ein bitteres Auflachen. Als wäre es schwierig, höflich zu Kayla zu sein. Das Problem war, die Hände von ihr zu lassen.

Neun Monate lang war Matt in Kalifornien gewesen und hatte die Marketingabteilung von Lassiter Media geleitet. Es war eine Beförderung gewesen, die er gern angenommen hatte. Außerdem war er insgeheim froh über den Umzug nach L. A. gewesen. So hatte er Abstand zu Kayla gewinnen können, um in Ruhe über alles nachzudenken. In Cheyenne wäre er nie in der Lage gewesen, seine Gedanken und Gefühle zu ordnen.

Kayla hatte ihn völlig unvorbereitet erwischt, das war klar. Vom ersten Moment an hatte es zwischen ihnen geknistert, und von der einen Nacht, die sie zusammen verbracht hatten, war er völlig aus der Bahn geworfen worden. Weder vor noch nach dieser unglaublichen Nacht mit ihr hatte er etwas Vergleichbares erlebt. Kayla hatte sein Inneres nach außen gekehrt und ihn so durcheinandergebracht, dass er Raum brauchte. Und Zeit.

Aber es hatte nichts genützt.

Nichts hatte sich verändert.

Er wollte sie immer noch.

Matt folgte Evan in die Galerie, wo sie sogleich wohlige Wärme und eine angenehme Geräuschkulisse umfingen. Klassische Musik erklang unter dem Grundrauschen der Gespräche, das lauter und leiser wurde wie Wellen, die an einen Strand schlugen. Männer in Smokings und Frauen in eleganten Kleidern schlenderten durch den geschmackvoll eingerichteten Raum und bewunderten die Gemälde und Fotografien an den cremefarbenen Wänden. In der Mitte standen auf stilvollen Podesten perfekt ausgeleuchtete Skulpturen aus Metall, Holz und Marmor.

Matt sah das alles, nahm es aber kaum wahr. Er zog den Mantel aus, legte ihn sich über den Arm und suchte die Menge ab – nach Kayla, dieser Frau, die für neun unendlich lange Monate seine Träume beherrscht hatte. Als er sie schließlich entdeckte, fühlte er eine merkwürdige Mischung aus Ruhe und Erregung, die über seine Blutbahnen von seinem ganzen Körper Besitz ergriff. Es ging so schnell, dass er kaum Luft bekam.

Kaylas schulterlanges Haar fiel so weich, dass er die seidigen, hellbraunen Wellen am liebsten berührt hätte. Selbst unter all diesen stylish gekleideten Pseudo-Künstlern stach sie heraus. Das schwarze Kleid betonte ihre helle, makellose Haut und schmiegte sich an ihren Körper, nach dessen Rundungen Matt sich so sehr sehnte.

Als sie sich umdrehte, trafen sich ihre Blicke. Matt sah in ihren blauen Augen gleichzeitig Erschrecken und Freude aufblitzen. Dann unterdrückte sie die erste Reaktion und setzte einen kühlen und geschäftsmäßigen Gesichtsausdruck auf. Allerdings tauchten rote Flecken auf ihren Wangen auf, aber nicht aus Scham oder Begierde – es war Wut.

Er konnte nicht leugnen, dass er ihren Anblick ziemlich erregend fand.

„Hey“, hörte er Evan sagen, „Angelica steht neben dieser merkwürdigen Vogelskulptur. Wir sprechen später weiter, ja?“

„Klar.“ Matt sah noch nicht einmal, wie sein Freund in der Menge verschwand. Er konnte den Blick nicht von Kayla wenden.

Immer wieder liefen Menschen zwischen ihnen hindurch und unterbrachen ihren Blickkontakt, aber nichts konnte das lebendige und siedend heiße Band zwischen ihnen trennen.

Auch sie spürte es. Das konnte er an ihrem Gesichtsausdruck ablesen und an der Art, wie sie ihre sinnlichen Lippen aufeinanderpresste. Er sah auch, dass sie über ihre Gefühle nicht glücklich war. Matt musste ein zufriedenes Lächeln zurückhalten. Gut zu wissen, dass er nicht als Einziger so durcheinander war. Kayla war keine Frau, die man leicht verstehen konnte.

Eine ihrer Eigenschaften, die er besonders mochte.

Die meisten Frauen, mit denen er über die Jahre etwas angefangen hatte, waren ziemlich durchschaubar gewesen. Sie waren gern mit ihm zusammen, weil er Zugang zu den Reichen, Mächtigen und Berühmten hatte. Aber Kayla war anders. Sie betrachtete die Welt mit eigenen Augen und suchte und fand Schönheit an den unwahrscheinlichsten Orten. An den gesellschaftlichen Kontakten, zu denen Matt ihr verhelfen könnte, war sie nicht interessiert.

Sie wollte wirklich ihn. Und das brachte ihn aus dem Konzept. Total. Denn er empfand das Gleiche für sie. Von dem Augenblick an, in dem er sie kennengelernt hatte, hatte Matt gewusst, dass sie anders war. Dass sie die Fähigkeit hatte, seinen Schutzwall zu durchbrechen und ihn in die Knie zu zwingen. Nicht gerade eine Position, in der er sich häufig befand.

Bilder aus ihrer gemeinsamen Zeit rasten durch seinen Kopf, immer schneller, bis hin zur Reizüberflutung. Er dachte an Streitereien, Gespräche, an die unglaubliche erotische Spannung in jedem einzelnen Moment mit ihr.

Am intensivsten erinnerte er sich aber an die eine Nacht, die sie miteinander verbracht hatten. Dieses wahnsinnige Verlangen, das endlich dafür gesorgt hatte, dass sie einander in die Arme gefallen waren. Die unkontrollierbare Begierde, die jeden klaren Gedanken hinweggefegt hatte.

Schon bei der Erinnerung an diese Nacht spürte er körperliche Erregung. In seinem Kopf ging alles drunter und drüber, und sie war sein einziger Gedanke. Kayla. Fast neun Monate lang hatte er sich absichtlich von ihr ferngehalten, aber sie war ihm so vertraut wie am Morgen nach ihrem Rendezvous.

Deshalb war er fortgegangen. Deshalb hatte er fortgehen und das halbe Land zwischen sie beide bringen müssen. Liebe kam in seinem Lebensplan nicht vor. Er wollte sich auf seine Karriere konzentrieren und würde nicht von einem Plan abweichen, an den er sich seit dem College gehalten hatte.

Aber er hatte sie verdammt noch mal vermisst.

Sie hob das Kinn, warf ihr Haar zurück und marschierte auf ihn zu. Die Menge schien sich für sie zu teilen wie in einer einstudierten Choreographie. Sie war einfach elektrisierend. Ihr Haar, ihre Augen, ihre perfekten Rundungen und die Art, wie sie die Hüften auffordernd hin und her schwang.

Mein Gott, sie war der Inbegriff einer beeindruckenden, attraktiven Frau – sie haute ihn einfach aus den Socken.

Das laute Klackern ihrer Absätze auf dem Marmorboden klang wie Pistolenschüsse, selbst über der Geräuschkulisse der vielen Gäste. Sie wurde nicht langsamer. Zögerte nicht. Bis sie direkt vor ihm stand.

Zuerst nahm er ihren Duft wahr. Jeder seiner Atemzüge war voll von ihrem Aroma. Dann blickte er ihr in die Augen, sah es darin funkeln und blitzen, und ihm war sofort klar, dass er ein Problem hatte.

„Du bist wegen der Hochzeit hier.“

Ihre Stimme war sanft mit einem unterschwelligen Hauch, der ihn an kalten Stahl denken ließ. Er erinnerte sich nur allzu gut daran. „Ja.“

„Und danach? Geht’s zurück nach L. A.?“

„Dort lebe ich jetzt, Kayla.“

Sie nickte, verschränkte die Arme vor der Brust und sah sich im überfüllten Raum um, bevor sie ihn wieder ansah. „Evan hat dich hierher mitgeschleppt, oder?“

„Nein“, log er. Insgeheim dachte er, dass er sich nicht viel länger von ihr hätte fernhalten können. Selbst wenn Evan nicht auf seiner Anwesenheit bei der Vernissage bestanden hätte. Ihre Anziehungskraft war unerbittlich, und er war es leid, dagegen anzukämpfen.

„Aber sicher doch. Wahrscheinlich kannst du dir nichts Amüsanteres vorstellen als eine hübsche kleine Ausstellung.“ Kayla verzog die Lippen zu einem sarkastischen Lächeln.

Matt lachte leise, als er merkte, dass er auch das vermisst hatte. Die Wortgefechte, die Spannung, die ständig direkt unter der Oberfläche kochte.

„Erwischt. Meine geheime Schwäche.“ Eigentlich war das kein Scherz. Normalerweise ging er nicht in Galerien, aber er würde jeden Eintritt zahlen, um Kayla mit Kunden und Mäzenen sprechen zu sehen. Sie wusste so viel, und die Liebe für die Welt der Kunst leuchtete in ihren Augen. Welcher Mann wäre nicht von ihr fasziniert?

„Und? Wie ist es so in Kalifornien?“

Sie riss ihn aus seinen wandernden Gedanken. Man musste sich schon konzentrieren, wenn man sich mit Kayla Prince unterhielt. „Ziemlich überfüllt.“

„Nicht verliebt in die Sonne und all den Glamour?“

„An die Sonne gewöhnt man sich schnell, und um mich für Glamour zu interessieren, bin ich zu beschäftigt.“

„Aha.“ Ungeduldig tippte sie mit dem Fuß auf den Marmorboden. „Und woran bist du dann interessiert, Matt?“

„An dir.“

3. KAPITEL

Es war heraus, noch bevor er es richtig realisiert hatte. Matt sah in ihren Augen zuerst den Schock, der gleich darauf durch Unglauben ersetzt wurde. Aber er hatte nur die Wahrheit gesagt. Er war an ihr interessiert. So sehr, dass er sich lieber in L. A. versteckt hatte, als herauszufinden, was sie ihm bedeuten könnte. So sehr, dass es eine Tortur war, vor ihr zu stehen und sie nicht berühren zu dürfen.

„Hör auf“, murmelte sie. „Tu das bitte nicht.“

Toller Anfang, dachte er bei sich, ehe er das Wort ergriff: „Hör zu, Kayla, jetzt, wo ich in der Stadt bin …“

„Schon ein paar Tage, stimmt’s?“

„Ja, schon.“ Er wusste genau, worauf sie hinauswollte, und konnte es ihr nicht übel nehmen.

„Noch immer zu beschäftigt, um zum Telefonhörer zu greifen?“

Er war nicht überrascht. Kayla Prince war nicht gerade der defensive Typ. Sie spielte keine Spielchen. Bei ihr wusste man, woran man war. „Muss das wirklich jetzt sein? Hier?“, fragte er.

Als fiele ihr in diesem Moment wieder ein, wo sie sich befanden, holte sie tief Luft und nickte entschieden. „Du hast recht. Das muss nicht hier sein. Es muss sogar überhaupt nicht sein.“

„Das ist gelogen.“

Sie errötete und presste ihre wunderschönen Lippen zu einem schmalen, grimmigen Strich zusammen. „Du hast nicht das Recht, irgendetwas von mir zu erwarten.“

„Das habe ich auch nicht gesagt“, erwiderte er ruhig. „Aber wir wissen beide, dass wir über das Geschehene reden müssen.“

„Nein, das müssen wir nicht.“ Heftig schüttelte sie den Kopf. „Es ist vorbei, Matt. Es ist seit neun Monaten vorbei.“

„Kayla …“

Stirnrunzelnd sah sie ihn an. „Findest du das nicht ein bisschen sarkastisch?“

„Was?“

„Vor neun Monaten ohne ein Wort zu verschwinden und jetzt reden zu wollen?“

„Ach, komm schon“, erwiderte er ärgerlich.

„Nein.“ Sie trat einen Schritt zurück, als bräuchte sie die körperliche Entfernung von ihm, um die emotionale Distanz, die er schon in ihren Augen aufblitzen sah, aufrechtzuerhalten. „Wir sind zufällig auf die gleiche Hochzeit eingeladen. Und das ist schon alles, was wir gemeinsam haben. Lass uns die nächsten Wochen einfach mit so viel Anstand wie möglich hinter uns bringen, okay?“

Dem hatte er so einiges hinzuzufügen, aber wie er gerade selbst gesagt hatte, war das weder der Ort noch die Zeit.

„Jetzt“, sagte sie und setzte ihr schönstes professionelles Lächeln auf, „holst du dir ein Glas Champagner und siehst dir an, was unsere Künstler hier zu bieten haben. Amüsier dich.“

Klar doch, dachte er und beobachtete, wie Kayla sich plaudernd unter die Gäste mischte und Männer wie Frauen gleichermaßen bezauberte. Er würde sich schon amüsieren. Obwohl er völlig angespannt war und sich alle erdenkliche Mühe geben musste, sie sich nicht einfach über die Schulter zu werfen und mit ihr zu verschwinden.

Endlich waren sie in dem Club, wo die Band spielte, die Evan sich unbedingt anhören wollte. Kayla fühlte sich, als wäre jeder Nerv ihres Körpers in Alarmbereitschaft. Sie hatte den ganzen Abend gespürt, dass Matt sie beobachtete, und das hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht.

Die Künstler aus der Gegend vertrauten ihr. Insgesamt war die Ausstellung zwar gut angekommen, Kayla fühlte sich aber irgendwie schuldig, weil sie sich nicht voll auf den Job konzentriert hatte. Stattdessen hatte sie sich ständig zusammenreißen müssen, damit ihre Gedanken nicht so häufig zu Matt abschweiften wie ihr Blick.

Warum sah er aber auch so gut aus! In der kalifornischen Sonne hatte er einen honigfarbenen Teint bekommen, der seinen grünen Augen ein fast überirdisches Strahlen verlieh.

Sie hatte es den ganzen Abend lang geschafft, ihm nicht zu nahe zu kommen. Aber jetzt saßen sie zu viert an einem winzigen Tisch, und Matt nutzte jede Gelegenheit, um mit seinem Bein das ihre zu streifen. Bei jeder Berührung bekam sie eine Gänsehaut, und Angie glaubte ihr sicher langsam nicht mehr, dass ihr immer noch kalt war. Denn diese Schauder rührten nicht von der Kälte draußen her, sondern von der Hitze, die nur Matt in ihr entfachen konnte.

Verdammt.

Wenigstens hatten sie kaum die Möglichkeit gehabt, ein Wort zu wechseln. Die Band hatte ohne Unterbrechung gespielt, seit sie hier waren. Bis jetzt. Denn kaum hatte Kayla diesen Gedanken zu Ende gebracht, hörte die Musik auch schon auf, und die Sängerin kündigte eine Pause an. Stille senkte sich über den Raum und wurde Sekunden später vom Lachen und den Gesprächen an den anderen Tischen durchbrochen. Die perfekte Gelegenheit, zu verschwinden, dachte Kayla, aber Angie kam ihr zuvor.

„Evan und ich gehen. Wir haben genug gehört, oder?“

Evan nickte. „Einverstanden. Wir bleiben bei der Band, die wir gebucht haben.“

Misstrauisch sah Kayla zu ihrer Freundin und bemerkte gerade noch, wie Angie ihrem Zukünftigen ein verschwörerisches Lächeln zuwarf. Das hätte sie sich ja denken können. Angie hatte das alles nur arrangiert, damit Matt und Kayla sich trafen. Tja, das würde nicht funktionieren.

Hastig schnappte Kayla sich ihre Handtasche. Doch als sie sich erheben wollte, hielt ihre beste Freundin sie auf. „Kayla, warum bleibst du nicht noch ein bisschen mit Matt? Vielleicht wird die Band doch noch besser.“

„Oh“, sagte sie und schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass …“

„Das machen wir doch gern“, fiel Matt ihr ins Wort und legte eine Hand auf ihren Unterarm.

Verzweifelt versuchte sie die Hitze zu ignorieren, die ihren Arm hinaufkroch und mitten in ihrer Brust ein Feuer entfachte. Eine einzige Berührung, dachte Kayla. Nur eine einzige Berührung, und sie brannte lichterloh. Das war nicht fair! Hatte ihr Körper in den letzten neun Monaten nichts gelernt? Dass sie nicht zulassen durfte, etwas für ihn zu empfinden? Dass sie ihren Empfindungen nicht trauen durfte, weil er gar nicht an ihr interessiert war?

„Das ist toll, danke“, sagte Evan und nahm Angies Hand. „Bis dann.“

„Ja, bis dann“, sagte Matt, hatte seinen Blick aber schon wieder auf Kayla gerichtet. Er betrachtete sie so intensiv, dass sie nicht wusste, wo sie hinschauen sollte.

Sobald sie allein waren, nahm Kayla ihr Glas und trank einen großen Schluck. Nachdem sie es wieder abgestellt hatte, sah sie Matt in die Augen. „Okay. Warum sagst du nicht einfach, was du zu sagen hast? Bringen wir es hinter uns.“

4. KAPITEL

„Ich freue mich auch, dich wiederzusehen.“

Geräuschvoll atmete Kayla aus. „Über solche Höflichkeitsfloskeln sind wir wohl hoffentlich hinaus.“

„Gut.“ Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest, als Kayla sie wegziehen wollte. „Lass uns über diese Nacht reden.“

Röte stieg ihr in die Wangen. Ihr wurde so heiß, als würde ein flammendes Inferno in ihr wüten, das völlig außer Kontrolle geraten war. „Das möchte ich lieber nicht.“

„Schade.“

Sie sah ihm in die Augen. Sein Griff wurde fester.

„Lass mich los, Matt“, sagte Kayla durch ihre zusammengebissenen Zähne.

„Wenn ich das tue, wirst du davonlaufen.“

„Du hast da was falsch verstanden. Du bist derjenige, der bis nach Kalifornien davongelaufen ist. Du erinnerst dich doch?“

Matt runzelte die Stirn. „Ja, ich erinnere mich. Aber vielleicht erinnerst du dich auch daran, dass ich befördert wurde und jetzt dort arbeite?“

„Ich erinnere mich vor allem, dass du nicht einmal angerufen hast, bevor du abgereist bist.“

Dem konnte er kaum etwas entgegensetzen.

„Und außerdem“, fuhr sie fort, „warum sollte ich weglaufen? Ich habe keine Angst vor dir.“

„Das ist gelogen“, flüsterte er, und auf seinen Lippen zeigte sich ein wissendes Lächeln.

Das genügte, damit sie sich entschlossen aufrichtete und sich fest vornahm, nicht nachzugeben. Vor ihm hatte sie vielleicht keine Angst, vor den Gefühlen, die sie für ihn empfand, aber schon. Das würde sie Matt gegenüber natürlich nie zugeben. Auf keinen Fall wollte sie ihm noch mehr Munition liefern, die er auf sie abfeuern könnte. Er konnte sie immer noch verletzen, ob ihr das gefiel oder nicht, und sie würde nicht zulassen, dass er ihr noch mehr Schmerzen zufügte.

Dass er damals ohne ein Wort verschwunden war, hatte sie völlig fertiggemacht. Die letzten neun Monate waren lang, kalt und einsam gewesen. Sie war erschöpft.

Um sie herum saßen Pärchen an kleinen Tischen, lehnten sich vertraut aneinander, lachten, redeten. Kellnerinnen bewegten sich durch den Raum und servierten Snacks und Drinks. Gläserklirren und Stimmengewirr bildeten ein stetes Hintergrundgeräusch.

Kayla starrte in Matts strahlend grüne Augen und unterdrückte den Impuls, ihm eine braune Haarlocke aus der Stirn zu streichen.

Sanft drückte er ihre Hand. Verzweifelt kämpfte sie darum, die Selbstbeherrschung zu bewahren, die sie sich in den letzten Monaten aufgebaut hatte. Es war nicht leicht.

„Ich habe nicht angerufen“, sagte Matt.

Fragend zog Kayla die Augenbrauen hoch. „Das weiß ich selbst“, gab sie kurz angebunden zurück.

Die Erinnerung an die ganze Sache war so lebendig, dass es ihr einen Stich versetzte. Außerdem weckte sie die albernen Fantasien, die sie nach dieser wundervollen Nacht mit Matt gehabt hatte. Schon die zwei Monate davor waren sie umeinander herumgeschlichen, bis sich die wachsende erotische Spannung endlich in einer überwältigenden Explosion entladen hatte. Selbst heute wachte Kayla manchmal noch mitten in der Nacht auf und verspürte ein unstillbares Verlangen.

„Ich wollte anrufen“, setzte Matt nun seinen Gedanken fort.

Kayla wurde beinahe wütend. Warum wollte Matt unbedingt die Vergangenheit aufwühlen? Es war schließlich nicht gut, in Erinnerungen zu schwelgen.

„Ach ja? Was hat dich davon abgehalten? Wurdest du von Außerirdischen entführt?“, hakte sie unwirsch nach.

Es zuckte in seinem Mundwinkel. „Nicht direkt.“

„Was dann? Zeigefinger gebrochen, dass du nicht wählen konntest? Telefon verlegt?“ Oh ja, sie klang wie eine furchtbare Zicke. Aber sie hatte neun Monate lang in Wut und Trauer geschmort, und anscheinend war jetzt der Moment, endlich überzukochen.

„Nichts davon“, gab er zurück. Trotz des Lärms um sie herum sprach er leise. Während er sich mit einer Hand durch das volle, dunkle Haar fuhr, sah er sie an und sagte einfach: „Es ist kompliziert.“

„So kompliziert, dass dir in neun Monaten keine bessere Erklärung eingefallen ist?“

„Ja“, gab er zu, „irgendwie schon.“

Sie fragte sich, warum sie immer noch enttäuscht war. Warum sie Schmerz fühlte. Er erzählte ihr ja nichts Neues. Er versuchte noch nicht einmal zu erklären, was er damals getan hatte. Oder besser nicht getan hatte. Egal, jedenfalls würde sie nicht einfach hier herumsitzen und so tun, als wäre das für sie in Ordnung.

„Na prima.“ Sie stand auf. Diesmal versuchte er nicht, sie aufzuhalten. „Schön, dass wir das geklärt haben.“

„Wo willst du hin?“

„Nach Hause.“ Sie blickte sich um und sah ihm dann wieder in die Augen. „Es gibt keinen Grund, noch hier zu bleiben, oder?“ Das war keine Frage.

„Wahrscheinlich nicht“, stimmte er zu und erhob sich ebenfalls. Aus seiner Gesäßtasche fischte er ein Bündel gefalteter Banknoten, zog zwei heraus und warf sie auf den Tisch. Dann packte er Kayla am Arm, und bevor sie sich seinem Griff entwinden konnte, schob er sie schon zur Tür.

Sobald sie draußen in der Kälte standen, ließ er sie los. Schnell zog sie den Mantel über und wickelte ihn fest um ihren Körper. „Gute Nacht, Matt.“

„Ich bringe dich nach Hause.“

Unwillkürlich schlug ihr Herz ein bisschen schneller. „Nicht nötig. Mein Wagen steht um die Ecke.“

„Gut. Dann fahre ich dir nach.“

„Brauchst du nicht.“ Als sie sich in Bewegung setzte, machte er einen Schritt zur Seite und versperrte ihr den Weg. „Ich will aber.“

„Du musst schon entschuldigen, aber es ist mir ziemlich egal, was du willst oder nicht.“

Er wich nicht zurück. Im Gegenteil, er trat näher an sie heran. „Entweder du machst so weiter, oder du hörst mir endlich in Ruhe zu.“ Entschlossen sah er ihr in die Augen. „Deine Entscheidung.“

Kayla war hin- und hergerissen. Einerseits war sie neugierig, warum er damals einfach verschwunden war. Nach der magischsten, romantischsten und unglaublichsten Nacht ihres ganzen Lebens. Andererseits gönnte sie ihm nicht die Genugtuung, zu wissen, dass er ihr etwas bedeutete. Aber je länger sie ihm in die Augen sah, desto überzeugter war sie, niemals über ihn hinwegzukommen, wenn sie ihm jetzt nicht zuhörte. Vielleicht hatte er Antworten für sie, und sie würde mit ihm abschließen können.

Abschließen – mein Gott, wie sie dieses Wort hasste!

„Meinetwegen. Fahr mir hinterher“, sagte sie schließlich.

„Wohnst du noch am selben Ort?“

Er meinte ihr kleines Häuschen am Stadtrand von Cheyenne. „Ja.“

„Gut. Dort können wir reden.“

Was sollte er ihr bloß sagen? Auf der kurzen Fahrt zu Kaylas Haus zermarterte Matt sich das Hirn. Dass es seinen selbstzufriedenen Egoismus vollkommen erschüttert hatte, sie getroffen und mit ihr geschlafen zu haben, war wohl kaum eine angemessene Erklärung.

Ihretwegen war er über das Jobangebot in Kalifornien ziemlich froh gewesen – aber ihretwegen dachte er auch ständig an Cheyenne. Er bekam diese Frau einfach nicht aus dem Kopf. Konnte sich nicht dazu bringen, sie einfach als eine Frau unter vielen zu sehen. Nur ein kurz aufblitzender Punkt auf seinem Radar, der ansonsten so perfekt eingestellt war, dass er feste Bindungen bisher immer weit umschifft hatte.

Genau deshalb war sie wie ein Blitz bei ihm eingeschlagen. Er war so daran gewöhnt, glatt und geschmeidig durch seine Liebschaften hindurchzusteuern, dass Kayla ihn einfach umgehauen hatte. Von Anfang an hatte er sich zu überzeugen versucht, dass sie nichts Besonderes war. Dass er überreagierte, weil sie ihn auf so vielen Gebieten reizte. Aber diese Gereiztheit war in Wirklichkeit erotische Spannung gewesen – so heftig, dass sie ihm praktisch den Atem raubte. Als er sie dann im Bett hatte, unter sich, über sich … als er tief in ihre feuchte Hitze eingedrungen war … da hatte er sich nichts mehr vormachen können. Sie war anders. Besonders.

Und für etwas Besonderes war er nicht bereit gewesen.

Die große Frage war: War er es jetzt?

Und wenn, konnte er sie davon überzeugen, Cheyenne mit ihm zusammen zu verlassen? Oder würde er zurückkehren und vielleicht auf seine Karriere verzichten müssen?

Er parkte am Straßenrand vor ihrem kleinen Häuschen. Bei seinem letzten Besuch hier war Sommer gewesen. Die Beete im Vorgarten hatten in voller Blüte gestanden und bis zur Straße ihren Duft ausgesandt. Jetzt hatte der Winter Cheyenne fest im Griff. Die Pflanzen waren grau und vertrocknet. Die Fassade des Hauses lag im Dunkeln. Dann sah er Kayla, die den Pfad zur Haustür entlanglief.

Nur Sekunden später folgte er ihr ins Haus. Es war klein und gemütlich, genau wie er es in Erinnerung hatte. Im Wohnzimmer standen eine grüne Couch und zwei Sessel vor einem offenen Kamin. An den Wänden hingen ein paar Werke von Künstlern aus der Gegend. Als Kayla den Schalter betätigte, ergoss sich goldenes Licht über die polierten Hartholzböden.

Matt warf den Mantel über die Sofalehne, drehte sich um und sah direkt in die blauen Augen, die ihn monatelang verfolgt hatten. „Du bist so wunderschön“, murmelte er, ohne nachzudenken.

Kayla schwankte, als hätten seine Worte ihr einen Schlag versetzt. „Hör auf“, sagte sie und schüttelte vehement den Kopf. „Ich bin wütend, ich will das nicht hören.“

Es blitzte in ihren Augen, und ja, er erkannte darin ihre Wut, aber auch so etwas wie Begierde. Das gleiche Verlangen, das auch ihn selbst nicht mehr losließ. „Ich hab’s kapiert. Du bist wütend. Aber das bedeutet auch, dass die ganze Geschichte dir noch etwas ausmacht. Sonst wäre dein Zorn längst verraucht.“

Sie biss sich auf die Unterlippe, stritt es aber nicht ab. Das genügte ihm. Matt hielt es nicht länger aus. So lange Zeit war er von ihr getrennt gewesen und hatte sie viel zu sehr begehrt. In wenigen Schritten war er bei ihr. Er nahm sie bei den Schultern, zog sie an sich und küsste sie.

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte er, sie würde zurückweichen – aber es geschah nicht. Stattdessen lehnte sie sich an ihn und erwiderte seinen Kuss, als ob es um ihr Leben ginge. Ihre Zungen berührten sich und spielten miteinander. Heiße Lust durchströmte ihn, verwirrte seine Sinne und setzte seinen ganzen Körper in Brand.

Matt fühlte ihre Hände auf seinem Rücken. Durch den Stoff der Anzugjacke hindurch brannten sie heiß auf seiner Haut. Zärtlich fuhr er mit einer Hand durch ihr seidenweiches Haar und ließ sich die Strähnen langsam durch die Finger gleiten.

Die ganze Nacht lang hätte er sie so küssen können. Er hätte auf Essen, Wasser und sogar die Luft zum Atmen verzichtet, wenn er seinen Mund dafür nie wieder von ihrem lösen musste. Aber plötzlich war der Moment vorbei. Viel zu schnell wich sie zurück, löste sich aus seiner Umarmung und sah ihn aus großen Augen erschrocken an.

„Ich kann nicht glauben, dass du das getan hast“, flüsterte sie atemlos.

„Du warst durchaus daran beteiligt“, erinnerte er sie.

Kayla verschränkte die Arme vor der Brust und reckte das Kinn hoch. „Das war nichts weiter als Instinkt.“

„Ein Hoch auf den Instinkt“, gab er trocken zurück.

Sie lachte, aber es war kein lustiges Lachen. Langsam hob sie eine Hand an den Mund und sagte leise: „Das geht einfach nicht.“

„Oh doch, wir sind dafür bestimmt, genau das zu tun“, widersprach Matt. Seine Stimme war tief und heiser, erfüllt von dem gleichen wahnsinnigen Verlangen, das er in ihren Augen sah.

„Wenn das wahr wäre“, sagte sie, „dann wärst du nicht für neun Monate verschwunden.“

„Okay.“ Er schaute zu Boden und seufzte. „Ich hätte anrufen sollen. Ich hätte mit dir sprechen müssen, bevor ich abgereist bin.“

„Genau.“

Plötzlich hob er den Kopf und sah ihr tief in die Augen. „Es war deinetwegen, weißt du? Deinetwegen bin ich so plötzlich weg.“

„Du gibst mir die Schuld?“ Er hörte die Entrüstung in ihrer Stimme und konnte sie ihr nicht wirklich übel nehmen.

„Natürlich nicht. Ich bin wegen des Jobs in L. A. weg. Aber ich bin so schnell abgereist, weil ich diese Gefühle für dich hatte.“

Kayla schüttelte den Kopf und schlang sich die Arme um die Taille. „Hattest du Angst?“, fragte sie leise.

Matt ließ ein raues, kurzes Lachen hören. „Vielleicht. Auch wenn ich das ungern zugebe …“

„Aber warum?“, fragte sie. „Ich habe neun Monate gewartet, um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen. Warum bist du einfach weggegangen? Kein Brief. Kein Anruf. Kein gar nichts. Du hast dich in Luft aufgelöst.“

„Ich dachte, so wäre es leichter für dich …“

Jetzt lachte Kayla bitter auf. Ihm wurde klar, dass sie sich nur mit der Wahrheit zufriedengeben würde – also würde er ihr die Wahrheit sagen, soweit er konnte.

„Entschuldige, du hast ja recht. Ich wollte es mir selbst leichter machen.“ Er presste die Lippen aufeinander und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Er war immer noch nicht bereit, ihr alles zu sagen. Wie er sich damals gefühlt hatte und was er jetzt fühlte. Also sah er ihr in die Augen und sagte: „Aber jetzt bin ich wieder da.“

„Vorübergehend.“

„Und ich musste dich sehen. Es erklären.“

Sie schluckte. „Was genau erklären?“

„Dass diese Nacht mit dir mich völlig verwirrt hat. Ich war nicht auf so etwas vorbereitet. Ich dachte, etwas Distanz würde mir helfen. Aber ich habe ständig an dich denken müssen“, sagte er und ging einen Schritt auf sie zu. „Jede Nacht habe ich von dir geträumt. Jeden Tag an dich gedacht. Verdammt, Kayla, ich kann dich nicht vergessen, und ich musste zurückkommen, um dir das zu sagen.“

Hastig atmete sie ein, wandte sich aber nicht ab. „Ich verstehe nicht, warum du dich nicht einmal verabschiedet hast. Du hast mich wirklich verletzt.“

Schuldbewusst wand er sich unter ihrem Blick. „Ich weiß.“

„Ich lasse nicht zu, dass du mich noch einmal verletzt.“

„Ich will dich nicht verletzen.“

„Dann geh.“

„Das kann ich nicht.“ Er ging noch einen Schritt auf sie zu. Innerlich jubelte er, als sie nicht zurückwich. „Und du willst es eigentlich auch nicht.“

„Doch …“ Sie brach ab, als er sie an sich zog. „Nein, eigentlich will ich es nicht.“

5. KAPITEL

„Das wollte ich hören.“ Er küsste sie wieder und legte all die Sehnsucht, all die Gefühle in diesen Kuss, die ihn in den letzten neun Monaten verfolgt hatten.

Als hätte sie plötzlich jeden Widerstand aufgegeben, schmiegte Kayla sich an ihn, schlang ihm die Arme um den Hals und erwiderte all seine Leidenschaft.

Genau wie damals verschlug es Matt den Atem. Die Verbindung war sofort wieder da. Die heißen Flammen, die zwischen ihnen hochschlugen, drohten, ihn zu verschlingen. Aber diesmal wollte er es. Er hatte all das hier viel zu lange vermisst. Diesen Ort. Diese Leidenschaft.

Diese Frau.

Ohne den Kuss zu unterbrechen, der ihre Körper und Seelen miteinander verband, hob er sie hoch. Auf seinen starken Armen trug er sie durch das kleine Haus in ihr Schlafzimmer, wo er sie wieder auf die Füße stellte. Sekunden später waren sie beide nackt und ließen sich auf das breite Bett fallen, zwischen einen Haufen Kissen und die seidenweiche Daunendecke.

Zärtlich umarmte er sie. Als Kayla sich bereitwillig an ihn schmiegte und mit ihren Beinen seine Hüfte umklammerte, rollte er mit ihr in die Mitte des Bettes. Matt erkundete jeden Zentimeter ihrer samtigen Haut und spürte ihre wachsende Erregung. Sein Puls beschleunigte sich, und jeder Atemzug durchbrach die Stille wie ein erwartungsvoller Seufzer.

Stöhnend unterbrach Matt den Kuss. „Bitte sag mir, dass du noch Kondome in der Nachttischschublade hast.“

Kayla schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, sah lächelnd zu ihm auf und nickte. „Habe ich noch.“

Erleichtert atmete er auf. Er rutschte zur Bettkante, holte ein Kondom aus der Schublade und zog es über, bevor er sich wieder zu ihr legte. „Ich habe dich vermisst, Kayla.“

„Ich habe dich auch vermisst. Sehr.“ Sie umfasste sein Gesicht mit ihren Händen und sah ihn an. „Eigentlich verstehe ich immer noch nicht, warum du fortgegangen bist, aber im Augenblick hat es keine Bedeutung.“

In seiner Brust spürte er ein leises Schuldgefühl. Er hatte ihr wehgetan und hielt genau genommen weiterhin etwas vor ihr zurück, aber er schob diese Gedanken beiseite. Dafür war jetzt nicht der Augenblick. Diesen Augenblick sollten sie einfach genießen. Sich wieder miteinander vereinigen. Noch einmal finden, was sie in jener Nacht erlebt hatten und was er wie ein Idiot einfach weggeworfen hatte.

Dann schaltete sein Gehirn sich aus. Es gab nur noch die Wahrnehmung seiner Sinne. Das Gefühl von Haut auf Haut, das Geräusch der beschleunigten Atmung und des sanften Stöhnens, das dröhnende Pochen ihrer Herzen. Er wollte sie langsam nehmen, die Erfahrung, wieder zusammen zu sein, so lange wie möglich auskosten. Aber dieser Plan wurde von wildem Verlangen durchkreuzt, das so heiß und mächtig drängte, dass er es nicht ignorieren konnte.

Voller Hingabe drängte Kayla sich an ihn und schob die Hüften vor, während sie mit der flachen Hand seine Brust liebkoste. „Jetzt, Matt. Bitte.“

„Ja, Kayla. Jetzt.“

Langsam drang er in sie ein und schloss die Augen. Er spürte sofort, dass alles richtig war. Ihr Körper nahm ihn bereitwillig auf. Sie schlang die Arme um ihn und presste ihn an sich. Alles passte. So war es auch damals gewesen, er erinnerte sich jetzt mit aller Klarheit.

Beinahe lautlos bewegten sie sich in einem leidenschaftlichen Tanz, der schneller zum Höhepunkt kam, als beide erwartet hatten. Matt spürte, wie ihr Körper sich zitternd zusammenzog, hörte Kaylas keuchenden Atem, spürte die scharfen Kanten ihrer Fingernägel, als sie mit den Händen in fieberhafter Erregung über seinen Rücken fuhr. Als sie sich ihm schließlich ein letztes Mal entgegenwölbte und mit geschlossenen Augen seinen Namen rief, ließ auch Matt alles los.

Und fand, was er so lange vermisst hatte.

Sie war eine Idiotin. Es gibt keine andere Erklärung dafür, dachte Kayla, als ihr Gehirn endlich wieder anfing zu arbeiten. Ihre Haut prickelte noch immer von seinen heißen, lustvollen Berührungen. Aber ihr Kopf listete bereits die zahllosen Gründe auf, wegen derer sie nicht hätte tun dürfen, was sie gerade getan hatte. Punkt eins auf der Liste war, dass sie Matt aus gutem Grund nicht vertraute.

Eigentlich hatte er ihr überhaupt nichts erklärt. Aber das hatte sie offensichtlich nicht davon abgehalten, den gleichen Fehler ein zweites Mal zu begehen.

Wie leicht war es doch für ihr Herz und ihren Körper, die Vergangenheit zu vergessen und ganz im Hier und Jetzt zu leben. Es war unfassbar! Aber tief in ihrem Inneren mischten sich Schmerz und Trauer mit dem immer noch mächtigen Brodeln der Leidenschaft zu einem einzigen großen Gefühlschaos.

Sie schloss die Augen und unterdrückte ein reuevolles Stöhnen. Als sie spürte, wie Matt sich bewegte und den Kopf hob, machte sie sich auf das Schlimmste gefasst. Wenn man aus der Geschichte etwas lernen konnte, würde er jetzt jeden Moment aufspringen und zum Flughafen fahren.

„Auf diesen Moment habe ich lange gewartet“, sagte er mit tiefer und kehliger Stimme.

Empört riss Kayla die Augen auf. „Du hast gewartet?“ Es war einfach nicht zu glauben. Sie versetzte ihm einen kleinen Stoß, und er rollte zur Seite. Da er sie fest umarmt hielt und nicht losließ, nahm er sie mit, bis sie auf ihm zu liegen kam. Wütend legte Kayla eine Hand auf seine breite Brust, stützte sich ab und sah auf ihn hinunter. „Du bist derjenige, der sich rargemacht hat, Matt.“

„Ich weiß. Die Marketingabteilung von Lassiter Media L. A. hat mich zwar ziemlich in Atem gehalten, aber ich hätte früher zurückkommen sollen.“

„Da hast du vollkommen recht.“ Sie entwand sich seiner Umarmung, rutschte an den Rand des Bettes und stand auf. „Ich dagegen“, und sie deutete mit einer Hand auf ihn und die zerwühlten Decken, „hätte das hier nicht tun sollen.“

„Es ist unsere Bestimmung, das zu tun. Das habe ich schon gesagt“, gab er zurück.

Er hat recht damit, rief ihr dummes Herz. Absolut recht.

„Aber klar doch. Zumindest bis du wieder abreist.“ Sie sah auf eine imaginäre Uhr an ihrem Handgelenk. „Musst du dich nicht eigentlich schnell anziehen und wegrennen?“

Auch Matt bewegte sich jetzt und stand vom Bett auf. Stirnrunzelnd starrte er sie an. „Ich renne nicht weg. Ich bleibe wenigstens bis nach der Hochzeit. Cheyenne ist immer noch mein Zuhause. Kayla, diesmal werde ich nicht einfach verschwinden. Ich will dich in meinem Leben.“

Einem Teil von ihr wurde bei diesen Worten warm ums Herz. Aber wie konnte sie Matt glauben? Wie sollte sie ihm je wieder vertrauen? Er würde nach Kalifornien zurückkehren, und sie hatte ihr Leben hier. In Cheyenne.

„Du solltest jetzt gehen“, sagte sie nur. Das war gut! Besser, sie sagte ihm, wann er zu gehen hatte. Schnell, bevor sie ihm doch noch Glauben schenkte.

„Du willst nicht, dass ich gehe, Kayla.“

„Es geht nicht darum, was ich will“, sagte sie ruhig. Dann würde sie ihn einfach packen und sich wieder mit ihm aufs Bett fallen lassen. „Es geht darum, was das Beste für mich ist. Und in diesem Augenblick ist es besser für mich, wenn du gehst.“

Matt sah aus, als ob er ihr widersprechen wollte. Es funkelte in seinen Augen, und sein Mund bewegte sich stumm, als kämpfe er darum, einen ganzen Schwall von Worten zurückzuhalten. Sekunden vergingen, und Kayla hielt den Atem an. Hoffentlich war er weg, bevor ihre Selbstkontrolle sich in Wohlgefallen auflöste …

„Gut“, sagte er schließlich.

Kayla war sich nicht sicher, ob sie froh oder enttäuscht sein sollte.

Bevor sie etwas sagen konnte, sprach er weiter. „Ich gehe. Für den Moment. Aber ich gehe nicht weit weg.“

Sie atme tief durch und zögerte. Sie war sich nicht sicher, was er damit meinte.

Er kam um das Bett herum zu ihr, zog sie an sich und sah ihr unverwandt in die Augen. „Ich bin hier. Jedenfalls für den nächsten Monat bin ich ein Teil deines Lebens. Gewöhn dich also besser daran, mich in der Nähe zu haben.“

Kayla war durcheinander, obwohl sie sich dagegen wehrte. Sie wollte der Tatsache, dass Matt bei ihr gewesen war, keine Bedeutung beimessen. Aber die hatte es. Während der nächsten zwei Wochen fand sie in ihrem Haus keine Ruhe. Die Erinnerung an ihn war viel zu präsent. Sogar sein Geruch hing noch an ihren Kissen. Nachts träumte sie, dass er seine Arme um sie geschlungen hatte, und jeden Morgen beim Aufwachen war Matt ihr erster Gedanke.

Und er hatte nicht ein einziges Mal versucht, sie wieder ins Bett zu kriegen. Was sie ebenfalls wahnsinnig machte. Wie konnte er behaupten, sie zu wollen, dann jedoch nichts unternehmen? Machte er das mit Absicht? Um sie am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen?

Sie hatte ein echtes Problem und war sich nicht einmal sicher, ob sie es wirklich loswerden wollte. Ihre Vernunft beschwor sie immer wieder, diesem neuen, angeblich besseren Matt nicht zu trauen. Aber ihr Herz und ihr Bauch bettelten darum, dass sie ihm eine Chance geben sollte. Dass sie ihnen beiden eine Chance geben sollte.

Er machte es Kayla nicht gerade leicht, schlau aus ihm zu werden. Einerseits ließ er sie schmoren, andererseits suchte er ständig Kontakt. An den Abenden, an denen sie nicht Angie und Evan bei der Organisation der Hochzeit halfen und daher ohnehin zusammen verbrachten, lud Matt sie zum Essen, ins Kino oder zu Ausstellungen in anderen Galerien ein. Er machte sich unentbehrlich. Inzwischen war er ein so wichtiger Teil ihres täglichen Lebens geworden, dass Kayla sich kaum vorstellen konnte, ihn nicht ständig um sich zu haben.

Erst gestern war er mittags mit einem Picknickkorb in die Galerie gekommen. Um draußen zu sitzen, war es zu kalt gewesen, also hatte er im Lager eine Decke ausgebreitet. Eine Stunde lang hatte er sie mit Geschichten über seine Zeit in Kalifornien zum Lachen gebracht.

Nachdem er gegangen war, fühlte Kayla sich noch mehr in der Zwickmühle als vorher. Sie war gern mit ihm zusammen. Sie liebte sein Lächeln, liebte es, ihm zuzuhören, selbst wenn er von seinem neuen Leben in L. A. erzählte. Andererseits hatte er sein Haus in Cheyenne behalten. Was konnte das bedeuten? Kam er zurück? Würde er zwischen beiden Städten pendeln? Und was hieß das genau? Wie kam sie darauf, dass er mit ihr zusammen sein wollte? Er war schon einmal ohne einen Blick zurück davongegangen. Das könnte er jeden Moment wieder tun.

Seufzend atmete sie ein und kehrte mit ihren Gedanken in die Gegenwart zurück. Ihr gegenüber auf ihrem Stammplatz im Diner saß Angie, und die beiden gingen gemeinsam die letzten Vorbereitungen für die Hochzeit durch. Also versuchte Kayla, sich auf das Leben ihrer besten Freundin zu konzentrieren statt auf ihr eigenes. Das war im Moment auch weniger kompliziert.

„Nun“, sagte Angie und nahm noch einen Schluck Kaffee. „Ich habe endlich meinen Bruder Sage überredet, morgen Abend von seinem Berg herunterzukommen und an der Generalprobe teilzunehmen.“

Kayla nickte abwesend, während Angie sich auf ihrem Tablet-Computer Notizen machte. Diese Frau war so organisiert, dass sie selbst Generäle in strategischer Planung unterrichten könnte. Das war auch ein Glück. Kayla versuchte zwar, eine gute Freundin zu sein und ihre Gedanken allein auf Angies Hochzeit zu richten, aber Matt tauchte immer wieder vor ihrem inneren Auge auf. Ganz gleich, wie sehr sie auch versuchte, nicht an ihn zu denken.

Sie fühlte sich wie eine Hochseiltänzerin, die verzweifelt versuchte, bei starkem Wind ihre Balance zu halten.

„Dylan hat natürlich mitgeholfen“, sagte Angie. „Sage ist so stur, dass man allein bei ihm nichts ausrichten kann.“

Angelicas Brüder waren beide völlig in sie vernarrt. Eigentlich war es also keine große Überraschung, dass selbst Sage bereit war, ihr einen Gefallen zu tun. Sage war ein ziemlicher Einzelgänger und hatte zudem kein einfaches Verhältnis zu seinem Vater. Er hatte sogar die Lassiter-Gruppe verlassen und eigenständig ein Milliardenvermögen aufgebaut. Plötzlich hatte Kayla das komische Gefühl, dass die Generalprobe dramatischer werden könnte, als Angie glaubte.

„Sogar Dad fühlt sich einigermaßen wohl und kann dabei sein“, sagte Angie lächelnd. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin. Colleen, seine Krankenschwester, kommt mit. Dann kann sie ein Auge auf ihn haben, obwohl sie natürlich auch als Gast dabei ist. Sie ist schon fast ein Mitglied der Familie.“

„Ich bin froh, dass es deinem Dad besser geht.“

„Ich auch“, sagte Angie. „Aber in letzter Zeit wirkt er trotzdem so … zerbrechlich auf mich.“

Die geschwächte Gesundheit des Familienoberhaupts traf alle Lassiters in irgendeiner Weise. J. D. war fast eine Legende in Cheyenne. Es war hart, wenn eine so überlebensgroße Persönlichkeit plötzlich gebrechlich wurde. Für alle.

„Dabei fällt mir etwas ganz anderes ein“, fuhr Angie fort. „Du und Matt, ihr habt euch in letzter Zeit gar nicht mehr gestritten. Ich habe nicht einmal spitze Bemerkungen gehört …“

„Wir haben uns arrangiert“, sagte Kayla, ohne zu viel preiszugeben.

„Und wie?“

„Ich weiß es nicht genau.“ Stirnrunzelnd dachte Kayla an die letzten beiden Wochen. Sie hatten so viel Zeit miteinander verbracht, aber er hatte kein einziges Mal versucht, sie zu verführen. Er hatte sie nicht einmal geküsst. Was hatte er vor? Nach ihrer verrückten Nacht hatte er sich absolut zurückgehalten. Aber er war noch hier. Wie er versprochen hatte, nahm er an ihrem Leben teil und machte es ihr unmöglich, ihn zu vergessen.

„Was meinst du damit?“

Kayla trank einen Schluck Kaffee und drehte nachdenklich den Becher in ihren Händen. Sie spürte die Wärme auf ihrer Haut. „Ich glaube, es ist gut, dass er hier ist. Aber es ist auch verwirrend.“

Angie lächelte. „Nach dem zu urteilen, was du mir erzählt hast – und übrigens hättest du mir das eigentlich schon vor neun Monaten erzählen sollen …“

„Ich weiß“, fiel Kayla ihr schuldbewusst ins Wort. Vor zwei Wochen hatte sie ihrer Freundin endlich gestanden, was zwischen Matt und ihr geschehen war. Erst hatte Angie getobt, dass Kayla sie die ganzen Monate im Dunkeln gelassen hatte. Aber dann war sie für ihre Freundin da gewesen. „Du hast völlig recht.“

Angie nickte ihr wohlwollend zu. „Vielleicht will Matt, dass du dich an den Gedanken gewöhnst, auch ohne sexuelle Spannung Zeit mit ihm zu verbringen.“

„Das glaubst auch nur du“, murmelte Kayla.

Angie lachte. „Aha! Es knistert also immer noch. Die Frage ist doch, ob du Matt gern um dich hast.“

„Sehr.“ Das Wort war draußen, bevor sie überhaupt darüber nachdenken konnte, es vielleicht nicht auszusprechen.

„Das sind die guten Neuigkeiten. Und was sind die schlechten?“

„Ganz einfach.“ Kayla stellte den Kaffeebecher auf den Tisch. „Er lebt in L. A., Angie. Und ich lebe hier. Was mache ich, wenn er wieder abreist? Wie kann ich ihm vertrauen?“

„Manchmal lernen Menschen dazu und wachsen“, sagte Angie ruhig. „Und es klingt so, als hätte er gemerkt, dass er nicht ohne dich leben will. Also ist er zurückgekommen.“

„Aber für wie lange?“

„Du willst Garantien?“ Angie schüttelte den Kopf. „Die gibt es nicht. Nie. Schau dir Evan und mich an. Er ist wundervoll, und wir sind so glücklich miteinander – aber auch für uns gibt es keine endgültige Sicherheit.“

„Und das macht dir keine Sorgen?“

„Wahrscheinlich würde es das, wenn ich mich darauf konzentrieren würde“, gab Angie zu. „Aber ich konzentriere mich darauf, ihn zu lieben. Und ich weiß, dass er mich liebt.“

Was Kayla von Matt jedoch nicht wusste. Diese besonderen drei Worte hatte er nie zu ihr gesagt. Drei Worte, die es wahrscheinlich einfacher machen würden, etwas zu riskieren …

6. KAPITEL

Es war eine große Gesellschaft.

Matt sah sich im Raum um. Zahlreiche Freunde und Familienmitglieder hatten sich für die Generalprobe von Evans und Angelicas Hochzeitsessen versammelt. Sage Lassiter lehnte abseits an einer Wand, trank ein Bier und sah aus, als wäre er lieber irgendwo anders. Marlene Lassiter, Angies Tante, brachte J. D. eine Flasche Wasser, und Matt war sich sicher, dass dem alten Mann ein Whisky lieber gewesen wäre. Seine Krankenschwester Colleen trug ein umwerfendes rotes Kleid und konnte sich auch unter den Damen der High Society durchaus sehen lassen.

Angie und Evan standen dicht nebeneinander, und als das glückliche Paar miteinander flüsterte und geheimnistuerisch lächelte, runzelte Matt die Stirn. Wo, zum Teufel, blieb Kayla? Als Trauzeugin hatte sie an der Generalprobe der Trauung teilgenommen, aber als er ihr angeboten hatte, sie zum Restaurant mitzunehmen, hatte sie unbedingt ihren eigenen Wagen nehmen wollen. War sie etwa nach Hause gefahren? Ging sie ihm aus dem Weg?

Schlecht gelaunt nippte er an seinem Scotch. Wenn sie in ein paar Minuten nicht auftauchte, würde er nach ihr sehen. Die letzten beiden Wochen hatten ihn fast umgebracht. Ihr so nah zu sein und sie nicht berühren zu können war viel schwieriger gewesen, als er gedacht hatte. Aber das war sein Plan: bei ihr zu sein. Ein Teil ihres Lebens zu werden. Ihr zu zeigen, dass er ihr nah sein wollte. Dass sie ihm vertrauen konnte.

Aber das Ganze dauerte so verdammt lange. Am liebsten würde er den ganzen Plan über Bord werfen, sich Kayla schnappen und ins nächste Bett entführen. Wenn er sie erst einmal dort hatte, könnte er ihr in aller Ruhe zeigen, wie sehr er sie liebte. Wie wichtig sie für ihn war.

Ihm war klar, dass er an seiner Situation selbst schuld war, aber er war auf die Liebe nun mal nicht vorbereitet gewesen. Vor neun Monaten war er völlig in Panik geraten und so schnell und weit geflohen, wie er konnte. Jetzt musste er der einzigen Frau, die ihm je etwas bedeutet hatte, irgendwie beweisen, dass er das nie wieder tun würde. Noch hatte er nicht für alles eine Lösung gefunden. Er konnte ihr nicht versprechen, für immer in Cheyenne zu bleiben. Aber er wusste mit Sicherheit, dass er sein Leben nicht ohne Kayla verbringen wollte. Er musste nur noch ein wenig darüber nachdenken, wie er alles organisieren könnte.

Ungeduldig sah er auf die Uhr. Das Essen würde gleich anfangen. Dylan Lassiter kam in letzter Sekunde in den Saal gerannt, rückte mit einer Hand die Krawatte zurecht und strich sich mit der anderen das Haar glatt. Er sah aus, als hätte er gerade mit jemandem … Matt lächelte grimmig. Nun, wenigstens einer von ihnen.

Als Kayla den Raum betrat, wusste er es sofort. Er spürte, wie die Luft sich magnetisch auflud. Er drehte sich zu ihr um und sah sie an. Als sie lächelte, kribbelte es in seinem ganzen Körper. Sie trug Blau. Ein tief ausgeschnittenes Kleid mit schmalen Spaghettiträgern und einem engen, kurzen Rock. In den schwarzen, extrem hohen Pumps sahen ihre Beine noch großartiger aus als sonst.

Es verschlug ihm den Atem. Und dem wissenden Lächeln nach zu urteilen, das ihre Augen erstrahlen ließ, war ihr absolut bewusst, welche Wirkung sie auf ihn hatte. Rasch ging er zu ihr, und entgegen seinem eigenen dämlichen Plan zog er sie an sich und gab ihr einen kurzen, aber leidenschaftlichen Kuss. „Du siehst hinreißend aus.“

„Danke“, sagte sie und hob unwillkürlich eine Hand an ihre Lippen, als könnte sie den Kuss dort fühlen.

Oh ja. Plötzlich konnte er sich nicht mehr vorstellen, wie er es die ganze Zeit geschafft hatte, sie nicht zu berühren. Wie war er bloß auf die idiotische Idee gekommen, es langsam anzugehen, wenn er sie in Wirklichkeit packen und nie wieder loslassen wollte?

Aber er würde sie bald loslassen müssen. Es sei denn, er fände eine Möglichkeit, wie sie zusammenbleiben könnten. Sein Herz schlug heftiger, die Gedanken in seinem Kopf rasten – und plötzlich hatte er eine Idee. Schlagartig wusste er, was er unbedingt brauchte und mehr als alles in der Welt wollte. Er musste nur noch Kayla davon überzeugen.

„Matt!“ Evan eilte auf sie zu. „Tut mir leid, Kayla, ich muss kurz mit Matt sprechen.“

„Was ist los?“, fragte Matt, etwas irritiert, dass er gerade in diesem Moment unterbrochen wurde.

„Ich wollte dir nur sagen, dass du direkt nach der Hochzeit nach L. A. zurückmusst.“

Sofort spürte Matt, wie Kayla neben ihm stocksteif wurde.

Na super! Was für ein Timing …

„Du erinnerst dich an den neuen Kunden, den du unter Vertrag genommen hast? Er möchte sein Werbebudget verdoppeln, und ich möchte, dass du das selbst in die Hand nimmst.“

„Natürlich“, sagte Matt kurz angebunden. „Ich kümmere mich darum.“

„Weiß ich doch.“ Evan lächelte breit. „Und ab jetzt kein Wort mehr übers Geschäft, ich schwöre!“ Er durchsuchte die Menge und entdeckte Angelica. „Bis später.“

Sobald Evan weg war, hörte Matt Kaylas Stimme. „Du wirst bald abreisen?“ Obwohl es wie eine klang, war es keine Frage.

„Ja“, sagte er und zupfte nervös sein Hemd zurecht. Am liebsten hätte er Evan einen Tritt verpasst. Wie konnte er ihm dermaßen den Abend verderben? Jetzt war Kayla wütend. Wie sollte Matt sie so noch ins Bett kriegen und ihr die romantische Zukunft ausmalen, die er plötzlich so deutlich vor sich sah.

„Direkt nach der Hochzeit?“

„Sieht so aus“, sagte er. „Hör zu, ich wollte nicht so bald fliegen, aber da es jetzt sowieso auf dem Tisch ist – Cheyenne wird immer mein Zuhause bleiben, aber ich habe auch ein Leben in Kalifornien.“

„Das weiß ich.“ Ihre Augen verdunkelten sich.

„Kayla …“ Das lief so gar nicht, wie er wollte.

Sie schüttelte den Kopf. „Diesmal schuldest du mir keine Erklärung, Matt.“ Sie hob das Kinn und lächelte entschlossen. „Du fährst weg, ich bleibe hier. Es ist ja nicht gerade eine Überraschung. Wir wussten beide, dass du irgendwann nach L. A. zurückkehren würdest.“

Ja, das hatten sie die ganze Zeit gewusst. Aber bis jetzt hatte er sich nicht eingestanden, dass er nicht ohne sie abreisen wollte. Konnte er sein Leben ohne Kayla führen? Unmöglich. Aber er musste sie dazu bringen, die Dinge aus seiner Perspektive zu sehen.

„Wir besorgen dir erst einmal ein Glas Wein.“ Er nahm ihren Arm und führte sie durch die Menge Richtung Bar.

„Matt, Wein ist keine Lösung.“

Wie konnte man nur so stur sein? „Richtig. Manchmal ist ein Glas Wein nur ein Glas Wein.“

Noch während sie den Saal durchquerten, stand J. D. Lassiter auf. Mürrisch ergriff er die Wasserflasche, dann schüttelte er den Kopf und nahm sich ein Glas Champagner vom Tisch. Er schlug mit einem Löffel gegen das zarte Kristall, bis er die Aufmerksamkeit der Gäste hatte. Langsam ließ der alte Mann seinen Blick über die Menge schweifen, bevor er begann: „Das Essen wird gleich serviert, und ich möchte vorher ein paar Worte sagen.“

Die Krankenschwester, die dicht neben J. D. stand, sah besorgt aus, fand Matt. Er reichte Kayla ein Glas Weißwein. Beunruhigt stellte er fest, dass der Vater der Braut erschreckend blass im Gesicht war.

„Geht es ihm auch gut?“, flüsterte Kayla. Sofort war ihre Meinungsverschiedenheit vergessen.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Matt. Er wusste nur, dass man J. D. Lassiter nicht aufhalten konnte, sobald er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.

„Wir sind hier, um die bevorstehende Hochzeit meiner kleinen Angelica vorzubereiten.“

Ein paar Leute applaudierten, aber J. D. brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Ich glaube fest an die Familie“, fuhr er etwas leiser fort. „Ein Mann macht Fehler im Leben, das kann man nicht vermeiden. Aber auf die Familie sollte man sich immer verlassen können.“

Kayla sah sich im Raum um und fragte sich, ob es noch jemandem auffiel, dass J. D. nicht besonders gut aussah. Aber anscheinend achteten die anderen nur auf seine Worte.

„Alle, die heute hier sind, gehören zur Familie. Durch ihre Blutsverwandtschaft oder durch eine Entscheidung – das ist egal. Es zählt allein, dass wir füreinander da sind. Komme, was wolle. Hebt also eure Gläser …“

Abrupt hielt er inne. Seine Augen weiteten sich kurz, er sah irgendwie überrascht aus. Dann ließ J. D. das Glas fallen. Laut klirrend zerschellte das feine Kristall auf dem Parkett, aber der alte Mann schien es nicht einmal zu bemerken. Er machte einen Schritt rückwärts, dann sackte er plötzlich zu Boden und blieb reglos liegen.

Die nächsten Minuten fühlten sich an, als wären sie aus der Zeit herausgeschnitten worden. Kayla wusste, dass nur wenige Augenblicke vergingen, aber alles geschah wie in Zeitlupe, als würde es Stunden dauern. Sie beobachtete alles wie erstarrt aus einer großen Entfernung, obwohl sie mitten im Geschehen war.

Chaos brach aus. Angie schrie auf. Colleen kniete sich neben J. D., löste seine Krawatte und öffnete ihm den Hemdkragen. Sie tastete nach seinem Puls, und während Dylan und Sage sich auf der anderen Seite ihres Vaters auf den Boden knieten, begann sie mit Wiederbelebungsmaßnahmen.

Überall im Raum erklang erschrockenes Flüstern neben den Schreien und erstickten Schluchzern der Menschen, die in einem engen Kreis um das am Boden liegende Familienoberhaupt standen.

Kayla erwachte aus ihrer Erstarrung und lief zu Angie. Innig schlang sie einen Arm um ihre Freundin und hielt sie fest, während Evan den Notruf wählte. Angie zitterte so heftig, dass Kayla es wie am eigenen Körper spürte. Hilflos sahen sie zu, wie Colleen weiter versuchte, J. D. wiederzubeleben.

Währenddessen hielt Matt die Menge zurück, damit diejenigen, die dem alten Mann zu helfen versuchten, genügend Platz hatten. Er warf Kayla einen kurzen Blick zu, und sie wusste genau, was er dachte. Es sah nicht gut aus. J. D. war unverändert. Er lag still und reglos da, die einzige Insel der Ruhe in einem tosenden Sturm der Gefühle.

Sage und Dylan wichen ihrem Vater nicht von der Seite und halfen Colleen, wo sie konnten. Sie konzentrierten sich mit aller Macht auf den bewusstlosen Mann, als könnten sie ihn mit ihrer reinen Willenskraft gesund machen.

Kayla kam der dumme Gedanke, dass J. D. sich gleich aufrichten, dröhnend lachen und allen erklären würde, dass es nur ein Witz gewesen war. Ein Schabernack.

Aber er bewegte sich nicht. Und als die Sekunden vergingen und die herannahenden Sirenen lauter wurden, nahm Kayla ihre Freundin fester in den Arm. Sie wusste, dass von nun an nichts mehr so werden würde wie vorher. Für keinen von ihnen.

Im Krankenhaus fühlte Kayla sich einfach nur nutzlos. Sie konnte J. D. nicht helfen. Konnte Angie nicht helfen. Konnte sich selbst nicht helfen.

Angie hatte den Kopf erschöpft an Evans Brust gelegt. Ihre leisen Schluchzer hallten in der gespenstischen Stille des kalten, sterilen Wartezimmers wider. Colleen saß neben Tante Marlene und versuchte, sie zu trösten, während Sage und Dylan wie eingesperrte Raubtiere auf dem blassgrünen Linoleum unablässig auf und ab gingen.

Was auch immer mit J. D. war, Angie hatte bereits beschlossen, die Hochzeit erst einmal auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Schließlich konnte in so einer Situation niemand ans Heiraten denken. Kayla hatte versprochen, die nötigen Anrufe zu machen, sobald sie genau wussten, was los war.

Während sie darauf wartete, etwas tun zu können, war Kayla dankbar, dass Matt seine warmen, starken Arme um sie gelegt hatte. Es fühlte sich gut an, ihn hier zu haben. Auch wenn es an ihr nagte, dass er schon bald wieder fortmusste. Jetzt war er da. Bei ihr. Und tief in ihrem Inneren wusste sie, dass er bleiben würde, solange sie ihn brauchte. Die ganze Nacht, wenn es nötig wäre. Oder länger. Sobald ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, wurde ihr klar, dass sie an ihn glaubte.

Sie war sich nicht sicher, seit wann sie diese Gewissheit hatte, aber inzwischen war Kayla davon überzeugt, dass Matt sie wirklich in seinem Leben wollte. Zwar hatte sie keine Ahnung, wie es funktionieren sollte, aber zusammen würden sie einen Weg finden.

Als eine anonyme Stimme knackend im Lautsprecher ertönte, weinte Marlene in ein Taschentuch, obwohl die Durchsage nichts mit J. D. zu tun hatte. Ihrer aller Nerven lagen einfach blank. Dylan bot an, für alle Kaffee zu holen. Aber bevor jemand antworten konnte, kam ein Arzt in das Wartezimmer. Alle sprangen auf. Sie hatten lange gewartet – endlich würden sie Antworten bekommen. Aber Kayla sah schon an dem Gesichtsausdruck des Arztes, dass niemandem gefallen würde, was er zu sagen hatte.

„Miss Lassiter“, sagte er und blieb vor Angie stehen.

„Ja?“ Sie sah auf. Evan, Sage und Dylan standen in einem Halbkreis um sie herum, wie um sie zu beschützen.

„Es tut mir sehr leid“, sagte der Arzt. Nacheinander blickte er den anderen Familienmitgliedern ins Gesicht, bevor er sich wieder Angie zuwandte. „Wir haben getan, was wir konnten, aber ihr Vater ist von uns gegangen.“

Kraftlos sank Angie in Evans Arme, Marlene schrie auf, und selbst Colleen liefen Tränen über die Wangen. Die Männer des Lassiter-Clans, Evan eingeschlossen, wirkten gefasst, aber auch ihnen sah man den Schmerz an.

Kayla war wie betäubt, schockiert. J. D. war krank gewesen, das hatten alle gewusst. Aber dass er so plötzlich starb – noch dazu am Abend vor der Hochzeit seiner Tochter –, damit hatte niemand gerechnet. In einem winzigen Augenblick hatte sich alles verändert.

Es nahm ihr für einen Moment den Atem, als sie begriff, dass das wundervolle und kostbare Leben im Bruchteil einer Sekunde vorbei sein konnte. Kayla fühlte mit ihrer Freundin und den Lassiters. Ihre Welt war jetzt für immer eine andere. Aber vielleicht konnte man auch etwas daraus lernen. Keine Zeit zu verschwenden. Den Menschen, die man liebte, diese Liebe zu gestehen, solange man die Möglichkeit dazu hatte.

Sie sah Matt in die grünen Augen und entdeckte, dass die Nachricht auch ihn schwer getroffen hatte. Schweigend zog er sie an sich. Er hielt sie fest, als könnte er sie vor allem beschützen, was das Schicksal für sie bereithalten würde.

Ein paar Tage später fing Kayla immer noch Anrufe für Angie ab. Die Leute fragten, wie die Arme mit dem Tod ihres Vaters zurechtkam. Was glaubt ihr denn? hätte sie am liebsten geschrien. Aber sie tat es nicht. Sie wusste, dass die anderen sich angesichts dieser Tragödie genauso hilflos fühlten wie sie selbst.

Um es noch schlimmer zu machen, hatte sie Matt seit J. D.s Tod nicht wieder gesehen.

In jener Nacht war er bei ihr geblieben, und sie hatten sich in der Dunkelheit umarmt und gegenseitig getröstet. Aber wie vor neun Monaten war er am nächsten Morgen einfach verschwunden. Kein Wort. Kein Abschiedskuss. Nichts. Danach hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Nach allem, was sie wusste, war er nach L. A. zurückgekehrt. Und bei diesem Gedanken spürte sie tiefen Schmerz.

Unzählige Fragen schwirrten in ihrem Kopf. Wie konnte er ihr dasselbe noch einmal antun? Warum? Sie hatte diesmal sogar versucht, ihn anzurufen, hatte ihn aber nicht erreicht. Machte er jetzt einen klaren Schnitt? Aber was war mit allem, was er in den letzten Wochen gesagt hatte? Was war mit ihren und seinen Gefühlen? War das nichts? Vielleicht sollte sie einfach den Schmerz ignorieren und die Trümmer ihres Lebens wieder zusammensetzen. Als wäre nichts geschehen. Als hätte sich nichts verändert.

Kayla war so fertig mit den Nerven, dass sie in den letzten Tagen nicht einmal zur Arbeit gegangen war. Sie hatte sich in ihrem Haus verkrochen und war in Gedanken immer wieder die Nacht von J. D.s Tod durchgegangen. Sie musste erst einmal verstehen, was sie überhaupt fühlte. Was sie dachte. Aber ganz gleich, wie lange sie sich den Kopf über die ganze Sache zerbrach, sie kam irgendwann stets wieder auf Matt. Trotzdem hatte sie keine Ahnung, was sie tun sollte.

Nur eins wusste sie genau: Auf keinen Fall wollte sie das Gleiche noch einmal durchmachen. Sie würde nicht in Elend und Trauer versinken. J. D. Lassiters Tod hatte sie nämlich etwas gelehrt: Das Leben war verdammt kurz. Es verging mit rasender Geschwindigkeit, konnte sich im Bruchteil einer Sekunde völlig verändern und ziemlich schnell zu Ende sein. Und die, die zurückblieben, mussten damit klarkommen.

Es läutete. Sie stellte ihre Kaffeetasse auf den Küchentisch und ging zur Tür. Als sie sie geöffnet hatte, erstarrte Kayla. Matt stand auf ihrer Schwelle. Verwirrt starrte sie ihn an.

„Ich dachte, du bist in L. A.“, brach es aus ihr hervor.

Kopfschüttelnd drängelte er sich an ihr vorbei ins Haus. „Hast du etwa geglaubt, ich würde dich einfach sitzenlassen? Ohne mit dir zu reden?“

„Ich habe dich seit Tagen nicht gesehen“, gab sie zurück, schloss die Tür und folgte ihm ins Wohnzimmer. Gott, er sah großartig aus.

„Ich musste nachdenken.“

„Und dazu musstest du dich unbedingt von mir fernhalten?“

„Ja. Diesmal war das nötig.“ Er sah sie an, und sie spürte seinen Blick fast wie eine körperliche Berührung. Sie hatte Matt so schmerzlich vermisst, dass sie schon erleichtert war, ihn einfach nur zu sehen.

„Was war denn so wichtig?“, fragte sie. „Worüber hast du nachgedacht?“

Er runzelte die Stirn. „Wie kannst du das fragen?“, sagte er. „Natürlich habe ich über dich nachgedacht. Über uns.“

„Uns?“ Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer, und in ihrer Magengrube begann es zu flattern.

„Natürlich über uns.“ Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. „Seit J. D. gestorben ist, konnte ich an nichts anderes mehr denken. Ich habe den Flug nach Kalifornien verschoben. Ich konnte einfach nicht fliegen, ohne zwischen uns ein paar Dinge zu klären.“

Kopfschüttelnd schloss sie die Augen, dann atmete sie tief durch und sah ihn an. „Du hast seit Tagen nicht mit mir gesprochen. Du hast mich nicht zurückgerufen. Wie wolltest du bitte ein paar Dinge zwischen uns klären?“

„Ich weiß.“ Er kratzte sich am Kopf. „Du hast jedes Recht, genervt zu sein, aber hör mich erst an. Bitte.“

Das letzte Mal hatten sie vor seiner Abreise kein einziges Wort miteinander gewechselt. Diesmal, sagte sich Kayla, wollte sie hören, was er zu sagen hatte.

„Als ich nach Cheyenne zurückkam“, begann er, „wusste ich genau, dass ich dich wiedersehen wollte. Und ich hatte sogar einen Plan.“

„Was für einen Plan?“ Kayla betrachtete ihn und sah in rascher Folge verschiedenste Gefühle in seinen Augen aufblitzen. Aber es ging so schnell, dass sie nicht genau erkennen konnte, welche Stimmung vorherrschte.

„Das ist jetzt egal. Ich fand ihn natürlich brillant! Ich bin ziemlich gut darin, Pläne zu machen“, murmelte er und ging in dem kleinen Wohnzimmer auf und ab. „Da kannst du jeden fragen. Ich weiß, wie man einen dicken Kunden für Lassiter Media an Land zieht. Ich weiß, wie man sich eine Karriere aufbaut und Millionen verdient. Ich weiß, wie man heimlich eine Kunstgalerie aufkauft.“

„Du hast eine Galerie gekauft?“

Er blieb abrupt stehen und warf ihr einen kurzen Blick zu. „Ja, das war als Überraschung für dich gedacht. Wenn ich den Plan bis zu Ende verfolgt hätte.“

Kayla war verunsichert. Es kam ihr so vor, als würde die Erde unter ihren Füßen wanken.

„Es war eine Überraschung, ist es jetzt aber nicht mehr?“ Verwirrt sah sie Matt zu, der die Arme vor der Brust verschränkte und wieder auf und ab lief. Irgendwie drängte sich ihr der Gedanke auf, dass Matt zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, unsicher wirkte.

„Nun, da ich es dir gerade erzählt habe, ist es keine Überraschung mehr“, brummte er. „Aber der Plan wird sowieso nicht zu Ende gebracht, weil ich ihn aufgegeben habe.“

„Warum erzählst du mir nicht einfach, wie dieser sogenannte Plan aussah?“

„Ganz einfach: Ich wollte es langsam angehen. Nichts überstürzen. Dein Vertrauen verdienen. Dich dazu bringen, wieder an mich, an uns zu glauben.“ Er seufzte. „Aber …“

Kayla spürte einen Kloß im Hals. Das wurde ja immer schlimmer. Plötzlich wurde sie furchtbar traurig. Vorsichtig räusperte sie sich. Irgendjemand musste es ja aussprechen. „Du willst mich also nicht mehr.“

Rasch blickte er auf. „Unsinn! Bist du verrückt? Du bist das Einzige, was ich will! Der Rest der Welt kann meinetwegen auf dem Meeresboden verrotten. Solange ich dich habe, ist mir alles andere egal.“

Die Traurigkeit war in Sekundenschnelle verpufft. Stattdessen meldete sich unbändige Hoffnung, die ein heftiges Kribbeln in ihrer Magengrube auslöste. Kayla hielt den Atem an. Sie fürchtete sich ein bisschen davor, ihm weiter zuzuhören. Vielleicht hatte sie sich verhört?

„Ich will nur den Weg aufgeben, nicht das Ziel“, erklärte er schnell. „Wie gesagt, ich wollte mir Zeit nehmen. Dir beweisen, dass du mir vertrauen kannst. Ich dachte, es wäre das Beste so. Da ich mir sicher bin, dass ich dich liebe …“

Schwankend hielt Kayla sich an der Lehne eines Sessels fest. Da waren sie. Die besonderen Worte, die sie unbedingt hatte hören wollen. Und Matt bemerkte nicht einmal die Wirkung, die diese Worte auf sie hatten, er redete einfach weiter. Sie unterdrückte ein glückliches Lächeln. Am liebsten wäre sie Matt um den Hals gefallen, aber sie zwang sich, einfach zuzuhören.

„Ich wusste, du würdest Zeit brauchen, um mir zu vertrauen. Verdammt“, schimpfte er, „ich habe es mir ja selbst zuzuschreiben, weil ich vor neun Monaten einfach so verschwunden bin. Warum hättest du mir jetzt also vertrauen sollen, wenn ich dir einfach gesagt hätte, was ich für dich empfinde?“

„Matt …“ Sie versuchte, ihn zu unterbrechen, ihm zu sagen, dass sie ihn auch liebte. Dass sie keinen einzigen Augenblick mehr mit Zweifeln und Misstrauen verschwenden wollte. Sie wollte das Leben – und ihn – festhalten und nie wieder loslassen. Da war so viel, was sie sagen wollte, aber er hörte einfach nicht auf zu reden.

„Du solltest dir sicher sein, dass du mich auch liebst. Dass ich dich nie wieder alleinlassen würde.“ Unvermittelt blieb er stehen und zuckte hilflos mit den Schultern.

„Was ist anders geworden?“, fragte sie. „Warum hast du deinen großen Plan aufgegeben?“

Beinahe grimmig sah er sie jetzt an. „J. D. ist gestorben. Er hatte absolut nicht damit gerechnet. Keinen Plan dafür gemacht. Er stand einfach da, brachte einen Trinkspruch auf seine Tochter aus und – zack. Weg.“

„Ich weiß, Matt, aber …“

„Nein.“ Vehement schüttelte er den Kopf. „Kein Aber. In jener Nacht habe ich begriffen, wie schnell die Dinge sich ändern können. Wie schnell sie vorbei sein können. Ich wollte es langsam angehen, aber ich weiß jetzt, was ich dabei aufs Spiel gesetzt habe. Also Scheiß drauf. Ich sage dir jetzt, wie wir es machen werden.“

„Wirklich?“ Sie war so glücklich, vor Freude hätte sie am liebsten getanzt, gesungen, gejubelt.

„Wirklich.“ Er atmete tief durch. „Ich liebe dich. Die ganze Zeit schon. Vor neun Monaten war ich zu feige, es zuzugeben, aber jetzt bin ich es nicht mehr.“

„Matt …“

„Lass mich ausreden.“

„Okay.“ Ihr Puls dröhnte so laut in ihren Ohren, dass sie sich fragte, ob Matt ihn hören konnte.

„Letzten Monat habe ich ein Haus in Malibu gekauft. Es steht auf einer Klippe, und man kann das Meer sehen.“

„Klingt wundervoll.“

„Dort gibt es einen Raum, der ein perfektes Atelier wäre. Viel Tageslicht und ein wundervoller Blick.“

„Ein Atelier?“ Das Herz hämmerte ihr heftig in der Brust.

„Für dich, Kayla.“ Er ging einen Schritt auf sie zu und legte ihr beide Hände auf die Schultern. „Wenn du willst, kannst du den ganzen Tag malen. Oder du kannst die kleine Galerie übernehmen, in der du nach dem College gearbeitet hast. Weißt du noch?“

„Natürlich. Ich habe diese Galerie geliebt.“ Dort hatte sie alles gelernt, was sie über Kunst und Künstler wusste. „Aber wie meinst du das, ich kann sie übernehmen?“

„Ich habe sie gekauft“, platzte er heraus. „Heute früh am Telefon habe ich den Deal abgeschlossen.“

Kaylas Knie drohten unter ihr nachzugeben, aber Matt hielt sie fest. „Das ist die Galerie, die du gekauft hast? Für mich?“

„Natürlich für dich.“ Er zog sie an sich, so fest, dass sie jetzt auch sein Herz spürte, das so schnell und heftig schlug wie ihr eigenes. „Ich liebe dich. Ich will, dass du mit mir kommst. Nach L. A.“

„L. A.?“

„Cheyenne ist auch ein Zuhause für mich. Das weiß ich jetzt besser als je zuvor. Es war hart für mich, fort zu sein.“ Zärtlich legte er seine Stirn an ihre. „Wenn du möchtest, können wir beide unsere Häuser behalten und abwechselnd in beiden wohnen, wenn wir hier sind. Aber ich arbeite in L. A. für die Lassiters, und ich brauche dich bei mir, Kayla. Ich brauche dich nicht nur, ich will auch, dass du mit mir kommst.“

„Ich soll mit dir nach L. A. ziehen?“

Gott, konnte sie das? Ihr ganzes Leben verpflanzen? Wollte sie das?

Sobald sie Matt in die Augen sah, wusste sie, dass die Antwort ja lautete. Was hielt sie eigentlich in Cheyenne? Ein paar gute Freunde und ein guter Job in einer Galerie, die jemand anderem gehörte. Wenn sie nach Los Angeles zog, würde sie den Mann ihrer Träume bekommen, eine eigene Galerie und vielleicht sogar die Chance, wieder selbst zu malen. L. A. war zwar nicht so reizvoll wie Cheyenne, aber dort war Matt.

„Ja. Und heiraten könnten wir dort an der Küste.“

„Wir heiraten?“ Sie lachte und schüttelte den Kopf. Das war alles so viel auf einmal, ihr drehte sich der Kopf.

Er küsste sie innig und leidenschaftlich. Dann holte er Luft und sagte: „Ja, ich will, dass wir heiraten.“ Er lächelte verlegen. „Ich fürchte, ich stelle mich ein bisschen dumm an, aber ich bitte dich hiermit, mich zu heiraten. Es zu riskieren. Mir zu glauben, dass ich dich liebe und dass du mir vertrauen kannst. Für immer.“

„Ja.“ Es war nur ein einfaches Wort, aber mehr brauchte es nicht. Es war das einzige Wort, das gerade eine Bedeutung für Kayla hatte. Komisch, es war so leicht, wenn es endlich so weit war. Monatelang hatte sie Gedanken hin und her gewälzt, hatte sich Fragen gestellt, was sie für Matt empfand. Und jetzt war er hier, und es war alles so einfach. Sie liebte ihn. Und sie wusste jetzt, dass er sie auch liebte.

Alles, was zählte, war, mit ihm zusammen zu sein. L. A. oder Cheyenne, das war nicht mehr wichtig. Wenn sie nur zusammen waren, wo immer das auch sein mochte, wäre alles perfekt.

„Ja?“ Er sah sie an, und die Liebe strahlte hell in seinen Augen. Alle Fragen, die Kayla vielleicht gehabt hatte, waren beantwortet.

„Ja, ich heirate dich“, flüsterte sie und legte eine Hand an seine Wange. „Ich liebe dich, Matt. Das habe ich immer. Ich war nur so verletzt und wütend.“

Sanft drehte er seinen Kopf und küsste ihre Handfläche. „Das weiß ich doch. Es wird mir immer leidtun, dass ich dir das angetan habe, aber ich verspreche dir, dass es nie wieder geschehen wird. Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt.“

„Ich glaube dir“, sagte sie und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. „Und ich will keine Minute länger ohne dich sein.“

„Zum Glück“, murmelte er. Er umarmte und küsste sie, bis sie beide beinahe keine Luft mehr bekamen. Endlich löste er sich von ihr, sah lächelnd zu ihr hinunter und flüsterte: „Du bedeutest mir alles, Kayla. Ich liebe dich – jetzt und für immer.“

„Mehr brauche ich nicht zu wissen, Matt. Ich liebe dich auch, und ich kann es kaum erwarten, das Atelier zu sehen, das auf mich wartet.“

Er grinste. „Du musst nur noch ein paar Stunden aushalten, dann kannst du es begutachten. Wir fliegen heute Nacht im Privatjet der Lassiters.“

„Heute Nacht schon?“

Zärtlich streichelte er ihre Wange. „Keine einzige Sekunde werden wir mehr verschwenden. Lass uns unser gemeinsames Leben sofort beginnen.“

„Aber die Galerie! Ich muss meine Kündigung einreichen. Und was ist mit Angie? Ich kann sie doch nicht ausgerechnet jetzt alleinlassen!“

Matt nahm sie fest in die Arme und sah ihr in die Augen. „Wir werden beide für Angie und Evan da sein, versprochen. Sobald sie hier ein paar Dinge geregelt haben, werden sie auch nach L. A. zurückkehren. Bis dahin muss ich mich dort um einiges kümmern, aber wir können schon nächstes Wochenende zusammen herfliegen. Und dann bleiben wir hier, solange sie uns brauchen, okay?“

Es sah so aus, als könnten sie wirklich das Beste aus beiden Welten haben. Sein Haus auf der Klippe in L. A. und ihr Häuschen in Cheyenne. In Wirklichkeit musste Kayla gar nichts aufgeben. Stattdessen würde sie alles gewinnen.

Sie würde ihm vertrauen. Sie war sich sicher, dass das richtig war. Mit Matt zusammen zu sein würde sie glücklich machen. Viel glücklicher, als sie je für möglich gehalten hätte.

Lächelnd sah sie zu ihm auf. An seiner Seite wartete ein Leben voller Liebe auf sie und eine Zukunft, die nicht strahlender sein könnte. „Wartest du einen Moment? Ich hole nur kurz meine Handtasche.“

– ENDE –

IMPRESSUM

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© 2014 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „The Black Sheep’s Inheritance“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARA
Band 351 - 2015 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Katrin Lechat

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733769567

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
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1. KAPITEL

Im Anwaltsbüro der Firma Drake, Alcott und Whittaker befanden sich viel zu viele Menschen für Sage Lassiters Geschmack. Viel lieber wäre er jetzt auf seiner Ranch in Wyoming gewesen und hätte die frische kühle Frühlingsluft eingeatmet. Aber Sage hatte keine Wahl. Er musste bei der Verlesung des Testaments seines Adoptivvaters anwesend sein.

J. D. Lassiter war erst seit wenigen Wochen tot, und Sage konnte es immer noch kaum begreifen. Er hätte darauf gewettet, dass J. D. viel zu stur war, um tatsächlich zu sterben. Und jetzt hatte er die Gelegenheit verpasst, mit dem Mann, der ihn großgezogen hatte, reinen Tisch zu machen.

Sage hätte nicht sagen können, wann die Spannungen zwischen ihnen aufgetreten waren. Es hatte keinen besonderen Vorfall gegeben, nichts Greifbares. Eher war es ein schleichender Prozess gewesen, in dessen Verlauf sich ihr Verhältnis verschlechtert hatte. Aber alte Verletzungen und Vorwürfe hatten heute keinen Platz in diesem Raum, und selbst wenn Sage sie zugelassen hätte, führten sie doch zu nichts.

„Du siehst so aus, als ob du am liebsten jemandem an die Gurgel gehen würdest“, flüsterte ihm sein jüngerer Bruder Dylan zu.

Sage blickte ihn scharf an und schüttelte den Kopf. „Nein, ich kann nur nicht glauben, dass wir hier sind.“

„Ja.“ Dylan strich sich das braune Haar aus der Stirn und blickte sich ihm Raum um, bevor er sich wieder Sage zuwandte. „Ich kann es auch nicht fassen, dass J. D. nicht mehr da sein soll.“

„Vor allem mache ich mir Sorgen um Marlene.“

Dylan folgte seinem Blick.

Marlene Lassiter war so etwas wie eine Ersatzmutter für Sage, Dylan und Angelica geworden, nachdem Ellie Lassiter bei der Geburt ihrer Tochter Angie gestorben war. Marlene war mit J. D.s Bruder Charles verheiratet gewesen und nach dessen Tod zu ihnen auf die Lassiter Ranch nach Wyoming gezogen. Über viele Jahre hinweg war sie die engste Vertraute und wichtigste Bezugsperson der Kinder gewesen.

Marlene hielt sich ein Taschentuch vor den Mund, als ob sie die Tränen nur mit Mühe zurückhalten konnte. An ihrer Seite saß ihr Sohn Chance Lassiter. Wie um sie zu beschützen, hatte er einen Arm um ihre Schultern gelegt. Chance trug Jeans, schwere Stiefel und unter seiner Lederjacke ein weißes Hemd. Seinen Stetson hatte er ausnahmsweise nicht auf dem Kopf, sondern ihn auf dem Schoß abgelegt. Chance war ein Cowboy durch und durch, und er war es auch, der Big Blue managte, J. D.s zwölftausend Hektar große Ranch.

„Hast du eine Ahnung, was J. D. im Testament festgelegt hat?“, fragte Dylan. „Ich konnte nichts aus Walter rauskriegen.“

„Das wundert mich nicht.“ Walter Drake war nicht nur J. D.s Anwalt, er war auch mindestens genauso eigensinnig und verschlossen wie dieser. Walter hatte alle Versammelten angerufen und sich bis auf den Ort und die Zeit des Treffens keine weiteren Informationen bezüglich des Inhalts von J. D.s Vermächtnis entlocken lassen.

Sage erwartete nicht, dass J. D. ihm etwas hinterließ. Das hatte er zum Glück auch nicht nötig. Es war ihm gelungen, sein eigenes Geld zu machen, weil er klug genug gewesen war, in die richtigen Projekte zu investieren. Bereits auf dem College hatte er damit begonnen, und über die Jahre war es ihm gelungen, ein ansehnliches Vermögen zu erwirtschaften. Er war sogar überrascht, dass man ihn überhaupt eingeladen hatte. Längst ging Sage seinen eigenen Weg und war unabhängig von den Lassiters.

„Hast du schon mit Angie gesprochen?“ Dylan runzelte die Stirn und blickte zu seiner Schwester, die neben ihrem Verlobten Evan McCain saß.

„Nur ganz kurz.“ Als Sage zu ihrer Schwester sah, zu der sie ein sehr enges Verhältnis hatten, runzelte auch er die Stirn. Angelicas lang erwartete Hochzeit war auf unbestimmte Zeit verschoben worden, als der Vater gestorben war. Ihre großen braunen Augen waren gerötet, und sie hatte tiefe Schatten unter den Augen. „Es macht mich verrückt, sie so zu sehen, aber wir können nichts für sie tun. So nah wie der alte Herr und sie sich standen, ist es kein Wunder, dass sie es so schwernimmt.“

Dylan nickte zustimmend, bevor er das Thema wechselte und über das Restaurant sprach, das er demnächst eröffnen wollte. Sage hörte ihm allerdings nicht lange zu, weil er stattdessen seine Aufmerksamkeit auf Colleen Falkner richtete, J. D.s private Krankenschwester. Leise betrat sie den Raum und ging nach vorne, um sich neben Marlene zu setzen, die sie anlächelte und ihre Hand nahm.

Sage blickte wie gebannt zu Colleen hinüber. Ein Gefühl der Erregung stieg in ihm auf. Dasselbe Gefühl wie vor einigen Wochen beim Probedinner für die Hochzeit – dem Dinner, in dessen Verlauf J. D. so plötzlich gestorben war.

An jenem Abend war Colleen ihm zum ersten Mal aufgefallen, obwohl sie sich schon früher über den Weg gelaufen waren. Sie hatte etwas Besonderes an sich. Etwas, das Sage faszinierte. Vielleicht lag es daran, dass sie ihr wunderschönes Haar offen trug, sodass es ihr in langen, schimmernden Wellen den Rücken hinunterfloss. Oder es waren das kurze rote Kleid und die schwarzen High Heels, in denen ihre Beine endlos lang wirkten. Das Einzige, was Sage mit Gewissheit sagen konnte, war, dass etwas zwischen ihnen passiert war, als sich ihre Blicke kreuzten. Sage hatte gerade zu ihr hinüberlaufen wollen, um mit ihr zu sprechen, als J. D. plötzlich einen Herzinfarkt hatte, und nichts mehr wie zuvor gewesen war.

Heute trug Colleen eine schwarze Stoffhose und einen leuchtend blauen Pullover. Ihr langes dunkelblondes Haar war zu einem Zopf geflochten, der ihr fast bis zur Taille reichte. Ihre großen blauen Augen glänzten von ungeweinten Tränen, und der sinnliche Mund mit den vollen Lippen machte Lust, sie zu küssen.

Hätte Sage sie nicht bei der Party in dem figurbetonten Kleid gesehen – ein Anblick, der bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen hatte – er hätte niemals vermutet, was für traumhafte Kurven sich unter ihrer weitgeschnittenen Kleidung verbargen.

Da Sage und J. D. nicht gerade das beste Verhältnis hatten und Sage kaum Zeit auf der Ranch verbrachte, waren er und Colleen sich selten begegnet. Am Abend der Party konnte er jedoch kaum die Augen von ihr lassen. Colleen war nicht nur schön. Auch ihre blitzschnelle Reaktion, als J. D. den Infarkt hatte, und die Art, wie sie einen kühlen Kopf bewahrte und es ihr gelang, die Situation unter Kontrolle zu behalten, bis der Krankenwagen eintraf, hatten Sage schwer beeindruckt.

Er wusste, dass Colleen J. D. treu ergeben war und die gesamte Familie sie ins Herz geschlossen hatte. Das bewies auch Marlenes Geste, als sie nach Colleens Hand griff. Dennoch war ihm vieles unklar. Woher kam Colleen? Weshalb hatte sie einen Job angenommen, der darin bestand, sich um einen grimmigen alten Mann auf einer zwar luxuriösen, aber doch weit abgelegenen Ranch zu kümmern? Und weshalb beschäftigten ihn diese Fragen so sehr?

„Hat Colleen dir was getan?“

Sage warf Dylan einen Blick zu. „Was?“

„So wie du sie anstarrst …“

„Halt die Klappe“, murrte Sage, verärgert, dass Dylan ihn ertappt hatte.

„Aha, verstehe“, antwortete Dylan lächelnd und beugte sich nach vorne, um Chance etwas zu fragen.

Möglichst unauffällig ließ Sage seinen Blick wieder zu Colleen wandern. Sie hatte ihren Kopf zu Marlene gewandt, um ihr etwas zuzuflüstern. Dabei war ihr langer Zopf über die Schulter zur Seite gefallen und ließ ihren Nacken frei. Feine blonde Locken ringelten sich an ihrem Haaransatz, und Sage spürte auf einmal das Verlangen, sie zu berühren. Ihre zarte Haut zu streicheln, ihr mit den Fingern durch das Haar zu fahren, sie … Halt! Gewaltsam unterbrach er seine Gedanken und fluchte innerlich.

Es konnte nur einen Grund dafür geben, dass sie heute hier war. J. D. musste sie in seinem Testament bedacht haben. Zugegeben, J. D. war zuletzt auf ständige medizinische Betreuung angewiesen gewesen, aber musste er ausgerechnet eine so hübsche Krankenschwester einstellen? Hatte sie den Job bei dem alten Mann deshalb angenommen? Weil sie darauf gehofft hatte, nach J. D.s Tod etwas von dem Kuchen abzubekommen? Vielleicht lohnte es sich, mehr über Colleen Falkner zu erfahren, dachte Sage. Erkundigungen einzuholen. Sicherstellen, dass …

„Du guckst schon wieder.“

Sage warf Dylan einen finsteren Blick zu. „Hast du nichts Besseres zu tun?“

„Nee, im Moment nicht.“

„Na toll.“

„Ich wusste gar nicht, dass du so fasziniert von Colleen bist.“

„Ich bin nicht fasziniert.“ Jedenfalls nicht besonders. Unbehaglich rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Hör auf, an sie zu denken. Wie war es ihr bloß gelungen, sich in seinen Gedanken derart breitzumachen? Verdammt noch mal, sie hatten sich schließlich noch nicht einmal unterhalten.

„Sie ist übrigens Single.“

„Und?“

„Ich mein ja nur“, fuhr sein Bruder fort. „Vielleicht könntest du deine Ranch hin und wieder mal verlassen und woanders hingehen. Zum Beispiel zu einem Date. Vielleicht mit Colleen.“ Er machte eine Pause. „Oder willst du als alter Kauz allein auf deiner Ranch enden? Ganz ehrlich, wann warst du das letzte Mal mit einer Frau zusammen?“

Sage runzelte die Stirn. „Nicht, dass es dich etwas angeht, aber ich kann mich nicht beklagen.“

„One-Night-Stands? Super.“

Da Sage kein Interesse daran hatte, sich auf irgendeine Frau näher einzulassen, zog er One-Night-Stands tatsächlich einer festen Beziehung vor. Wenn er mit Frauen schlief, die eine ähnliche Einstellung hatten, ersparte er sich eine Menge Ärger. Und wenn Dylan etwas anderes suchte, konnte er das gerne tun. Sage für seinen Teil war zufrieden mit seinem Leben.

Auf einmal öffnete sich die Tür, und Walter Drake, J. D.s Anwalt, trat ein. „Sind alle da?“ Er erfasste die Anwesenden im Raum mit einem prüfenden Blick und nickte zufrieden. „Gut, dann können wir anfangen.“

Nachdem er sich an den mächtigen Schreibtisch aus Eichenholz gesetzt hatte, schob Walter, ein makellos gekleideter, vornehmer Herr mit grauem Haar, einen Stapel Papiere ordentlich vor sich zusammen. Das Geräusch der Blätter war der einzige Laut, der im Raum zu hören war. Es schien, als hielte jeder in gespannter Erwartung den Atem an.

Walter genoss es sichtlich, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Noch einmal ließ er seinen Blick über die Anwesenden schweifen und blieb kurz bei Angelica hängen, die er mit einem mitfühlenden Lächeln bedachte. „Ich danke Ihnen allen für Ihr Kommen. Ich weiß, dass Sie alle eine schwere Zeit durchmachen, also will ich es so kurz wie möglich halten.“

Dagegen hatte Sage nichts einzuwenden.

„Wie Sie alle wissen, kannten J. D. und ich uns seit mehr als dreißig Jahren.“ Walter hielt einen Augenblick inne, lächelte und fuhr dann fort: „Er war ein sturer, aber auch stolzer Mann, und ich möchte, dass Sie alle wissen, dass er sein Testament wohlüberlegt aufgesetzt hat. Erst vor wenigen Monaten hat er noch einige Änderungen vorgenommen, um sicherzustellen, dass jeder das bekommt, was ihm zusteht. J. D. hat viele kleinere Verfügungen für verschiedene Menschen vorgesehen, denen er über die Jahre begegnet ist und die er geschätzt hat. Weder sollen diese Verfügungen heute verlesen werden, noch werde ich genauere Angaben zur Verteilung des Vermögens machen. Ich werde mit den betreffenden Personen unter vier Augen sprechen.“

Nachdenklich runzelte Sage die Stirn und blickte zu Walter. Unter vier Augen? Weshalb? Was versuchte der Anwalt vor ihnen zu verbergen? Oder eher, was hatte J. D. zu verbergen versucht? Gespannt wartete er darauf, welche weiteren Überraschungen Walter aus dem Hut zaubern würde.

„Besagter Teil des Testaments soll den Familienangehörigen im Moment nicht mitgeteilt werden.“

„Wieso?“, durchbrach Sages Stimme die Stille, die Walters seltsamer Eröffnung gefolgt war.

Streng erwiderte der ältere Mann Sages Blick. „Weil es J. D.s Wille ist.“

„Woher wissen wir das?“ Obwohl Sage wusste, wie beleidigend seine Frage war, hielt dies ihn nicht davon ab, sie zu stellen. Er verabscheute Geheimnisse.

„Weil ich es Ihnen sage.“

„Komm schon, Sage“, flüsterte Dylan ihm zu. „Lass es auf sich beruhen.“

Nur der Anblick von Marlene, die sich zu ihm umgewandt hatte und ihn besorgt ansah, hielt ihn davon ab, weiter zu fragen.

„Gut“, fuhr Walter entschlossen fort. „Nachdem das geklärt wäre, würde ich gerne fortfahren. Schließlich sind wir heute hier, um über die wichtigsten Verfügungen zu sprechen.“

Sage wusste nicht, ob Walter absichtlich versuchte, die Spannung im Raum zu steigern, oder ob es einfach in seiner Natur als Anwalt lag. Wie immer es sein mochte, es gelang ihm. Endlich fing Walter an zu lesen, und fast jeder rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. Die rechtlichen Klauseln, die den eigentlichen Verfügungen vorausgingen, schienen schier endlos zu sein.

Im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Dagegen ließ sich mit Sicherheit nichts sagen, dachte Sage. Obwohl J. D. in den letzten Monaten körperlich stark abgebaut hatte, war sein Verstand bis zu seinem Tod so scharf geblieben wie eh und je. Was bedeutete, dass J. D. einen guten Grund gehabt hatte, bestimmte Geheimnisse sogar über seinen Tod hinaus vor seiner Familie zu wahren. Sage spürte Ärger in sich aufsteigen. J. D. hätte bestimmt seinen Spaß an dieser Situation gehabt, dachte er. Sogar noch nach seinem Tod bestimmte er das Geschehen.

„Meiner lieben Schwägerin Marlene …“, Walter machte eine Pause und lächelte ihr zu, „… hinterlasse ich einen zehnprozentigen Anteil an der Big Blue Ranch sowie lebenslanges Wohnrecht im Haupthaus. Weiterhin vermache ich ihr genug Geld, mit dem sie ihren gewohnten Lebensstandard beibehalten kann.“ Walter unterbrach sich kurz und fügte hinzu: „J. D. hatte genug von dem ‚Juristengequatsche‘, wie er es nannte, und ließ mich den Rest in seinen Worten aufschreiben.“ Walter atmete einmal kurz durch und fuhr dann fort: „Marlene, ich möchte, dass es dir gutgeht. Genieß das Leben und amüsiere dich. Du bist eine schöne Frau und viel zu jung, um den Rest deines Lebens allein zu verbringen.“

Marlene schniefte und lachte dann kurz auf, bevor sie sich die Tränen von den Wangen wischte. Die anderen kicherten mit ihr, und sogar Sage musste lächeln. Es war, als ob er den alten Mann selbst sprechen hörte. J. D. und Marlene waren seit Jahren inoffiziell ein Paar gewesen.

„Meinem Neffen Chance Lassiter hinterlasse ich sechzig Prozent der Big Blue Ranch und genügend Geld, damit er sich ein schönes Leben machen kann.“ Wieder machte Walter eine Pause. „Wie hoch die Geldbeträge im Einzelnen sind, wird, wie bereits erwähnt, mit den bedachten Personen zu einem späteren Zeitpunkt unter vier Augen besprochen.“

Chance schien überrascht. Sage freute sich für ihn. Chance liebte die Ranch und kümmerte sich ebenso gewissenhaft um den Besitz, wie J. D. es getan hatte.

„Colleen Falkner …“, fuhr Walter fort, und sofort wandte ihr Sage seine gesamte Aufmerksamkeit zu, „… hinterlasse ich drei Millionen Dollar.“

Colleen schnappte nach Luft und sprang fast von ihrem Stuhl auf. Aus weit aufgerissenen blauen Augen starrte sie Walter offenen Mundes an, als ob er zwei Köpfe hätte. Entweder hatte sie sich gerade als hervorragende Schauspielerin erwiesen, die einen Oscar für ihre Darstellung verdient hätte, oder sie war tatsächlich genauso überrascht von der Eröffnung wie Sage selbst. J. D. hatte seiner Krankenschwester drei Millionen Dollar vermacht?

Walter las weiter vor. „Colleen, du bist ein gutes Mädchen, und ich möchte, dass du dieses Geld nimmst und deinen Traum verwirklichst. Warte nicht, bis es zu spät ist.“

„Oh, mein …“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf, aber Walter war schon zum nächsten Erben übergegangen, und Sage rüstete sich innerlich für das, was noch kommen mochte.

„Meinem Sohn Dylan Lassiter hinterlasse ich die Mehrheitsbeteiligung an der Lassiter Grill Group und genügend Geld für den Weg, bis er das Unternehmen nach ganz oben gebracht hat. Und, Dylan, auch du erhältst einen Anteil von zehn Prozent an der Big Blue Ranch. Vergiss nie, dass sie dein Zuhause ist.“

Dylan sah aus, als ob er gerade von einer Bombe getroffen worden wäre, und Sage konnte ihm keinen Vorwurf daraus machen. Du liebe Güte, der Mann war gerade an die Spitze einer Restaurantkette katapultiert worden, die ein rasantes Wachstum verzeichnete, das im ganzen Land seinesgleichen suchte. Kein Wunder, dass ihm für einen kurzen Moment das Herz stillzustehen schien.

„Meinem Sohn Sage Lassiter …“

Sage fühlte, wie sich jeder Muskel seines Körpers anspannte, als ob er sich auf einen Schlag vorbereitete. Es würde ihn nicht wundern, wenn J. D. die Gelegenheit genutzt hätte, ihm noch aus dem Grab eine letzte Demütigung zu erteilen, indem er ihm vor aller Augen und Ohren noch einmal zeigte, wie sehr sie sich in den letzten Jahren voneinander entfernt hatten. J. D. und ich sind wie Öl und Wasser gewesen, dachte Sage.

„Sage …“, las Walter und schüttelte dabei den Kopf, „… du bist mein Sohn, und ich liebe dich. Mehr als einmal sind wir kräftig aneinandergeraten, aber denk nicht, dass das etwas daran ändert. Du bist ein Lassiter, durch und durch. Ich hinterlasse dir fünfundzwanzig Prozent an Lassiter Media, zehn Prozent an der Big Blue Ranch, um dich daran zu erinnern, dass sie immer dein Zuhause sein wird, und noch etwas Geld, das du nicht haben willst und nicht brauchst.“

Sage atmete tief und hörbar durch, er war überrascht und gerührt.

Gleich darauf las Walter weiter: „Du hast deine Ranch nach deinen Vorstellungen aufgebaut, genau, wie ich das auch getan habe. Ich bewundere dich dafür. Also nimm das Geld und bau damit etwas auf deiner Ranch. Irgendetwas, das dich immer daran erinnern wird, dass dein Vater dich geliebt hat. Gleichgültig, ob wir gut miteinander ausgekommen sind oder nicht.“

Verdammt, es ist ihm tatsächlich gelungen, mich noch ein letztes Mal zu überraschen, dachte Sage. Sein Hals war wie zugeschnürt, und er hatte Mühe, zu atmen. Wenn er nicht gleich hier rauskam, würde er sich noch vor allen lächerlich machen. Wie war es J. D. nur gelungen, schon Monate vor seinem Tod genau die Worte zu finden, die Sage jetzt fast zu Tränen rührten?

„Und zu guter Letzt komme ich zu meiner geliebten Tochter Angelica Lassiter. Du bist die Sonne meines Lebens gewesen.“

Sage blickte zu seiner Schwester. Ihr schönes Gesicht war tränenüberströmt.

„Und daher hinterlasse ich dir, Angelica, ebenso wie deinen Brüdern, einen Anteil von zehn Prozent an der Big Blue Ranch, das Lassiter Anwesen in Beverly Hills, ausreichend Geld, um dir einen angenehmen Lebensstandard zu ermöglichen, und schließlich noch einen Anteil von zehn Prozent an Lassiter Media.“

„Was?“ Aller Trauer und allen Anwesenden zum Trotz sprang Sage auf, außer sich vor Empörung, und auch Dylan konnte sich nicht zurückhalten. Jedes sentimentale Gefühl, das er eben noch für seinen Adoptivvater empfunden haben mochte, war auf einen Schlag wie weggeblasen. Wie konnte er Angelica das antun? Seit Jahren hatte er sie in alle Prozesse von Lassiter Media, einem großen Medienkonzern, zu dem verschiedene Radio- und Fernsehsender, Zeitungen und Internetnachrichtendienste gehörten, einbezogen und sie als seine Nachfolgerin aufgebaut. Verflucht noch mal, seitdem J. D. krank geworden war, hatte sie den Laden praktisch allein geführt. Und jetzt nahm er ihr so mir nichts, dir nichts ihren Lebensinhalt?

„Das kann nicht wahr sein“, protestierte Sage aufgebracht und warf einen Blick auf das vor Entsetzen geweitete Gesicht seiner Schwester. „Sie hat Lassiter Media für J. D. geleitet. Er hat mir einen größeren Anteil hinterlassen als Angie? Das ist doch Wahnsinn!“

„Wir fechten das verdammte Testament an“, fügte Dylan hinzu, während er zu Angie ging und ihr eine Hand auf die Schulter legte.

„Ganz genau“, stimmte Sage ihm zu und warf dem Anwalt wütende Blicke zu, als ob alles dessen Schuld sei.

„Meine Herrschaften, beruhigen Sie sich bitte wieder, es geht noch weiter“, erwiderte Walter und räusperte sich, als sei es ihm unangenehm, weiterzulesen. „Und ich warne euch, solltet ihr versuchen, das Testament anzufechten, könnte es euch allen noch leidtun. Aber dazu komme ich später. Im Augenblick bestimme ich mit einem Anteil von 41 Prozent an Lassiter Media Evan McCain zum Mehrheitseigner, Aufsichtsratsvorsitzenden und CEO.“

„Evan?“ Angelica löste sich aus der Umarmung ihres Verlobten, als dieser sich vollkommen sprachlos vor Erstaunen von seinem Stuhl erhob.

„Was soll das, Walter?“, fragte Sage und lief von seinem Platz aus zu dem Schreibtisch, um sich selbst davon zu überzeugen, dass das, was Walter gerade vorgelesen hatte, wirklich in dem Testament stand.

„J. D. wusste, was er wollte, und genau so hat er es auch festgelegt“, antwortete der Anwalt.

„Das kann unmöglich legal sein“, fügte Marlene hinzu.

„Stimmt, das kann nicht sein“, pflichtete Dylan ihr bei und lief ebenfalls zum Schreibtisch.

„Das ist alles falsch.“ Chance erhob sich langsam und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Ich kann es nicht fassen“, murmelte Angelica und blickte zu ihrem Verlobten, als ob sie ihn nie zuvor gesehen hätte.

„Ich schwöre, ich hatte keine Ahnung davon“, sagte Evan zu Angelica und wollte sie in den Arm nehmen, aber sie wich vor ihm zurück.

„Irgendjemand weiß aber, was es damit auf sich hat, und ich werde herausfinden, was hier gespielt wird“, sagte Sage und sah dann zur Tür. Fast geräuschlos verließ Colleen Falkner in diesem Moment das Büro.

Sie hat das bekommen, was sie wollte. Was hat sie wohl getan, damit J. D. ihr drei Millionen Dollar vermacht, fragte sich Sage. Hatte sie von J. D.s Plänen gewusst, war sie vielleicht sogar eingeweiht in seine Entscheidung, Angelica das zu nehmen, was ihr am wichtigsten war?

Er sollte verdammt sein, wenn er es nicht herausfand.

Colleen lehnte sich kurz gegen die Tür, schloss die Augen und zwang sich, tief durchzuatmen. Ihr Herz schlug so heftig und schnell, dass ihr fast schwindelig wurde.

Sie hatte nichts dergleichen erwartet.

Drei Millionen Dollar?

Tränen brannten ihr in den Augen, aber sie blinzelte, um sie zurückzuhalten. Jetzt war nicht der Moment, ihren verstorbenen Freund zu betrauern … oder an die Zukunft zu denken, die er ihr ermöglichte.

Durch die geschlossene Tür hörte sie die aufgebrachte Unterhaltung der Erben. Sage Lassiters Stimme drang am klarsten zu ihr vor. Er hatte es nicht nötig zu schreien, um gehört zu werden. Der schneidende Tonfall seiner tiefen Stimme reichte vollkommen aus, die Aufmerksamkeit aller Anwesenden im Raum auf sich zu ziehen.

Weiß Gott, ihre Aufmerksamkeit hatte er jedenfalls.

Es war Colleen vorhin nicht entgangen, dass Sage sie nicht aus den Augen gelassen hatte. Ein- oder zweimal hatte sie unauffällig über die Schulter geblickt, um ihn anzusehen. Sage machte sie nervös. Hatte sie schon immer nervös gemacht. Aus genau diesem Grund hatte Colleen sich auch bei jedem seiner Besuche auf der Big Blue Ranch, die zum Glück nicht oft vorkamen, darum bemüht, ihm aus dem Weg zu gehen.

Er war so … männlich.

Sage Lassiter war wie eine Naturgewalt. Der Typ Mann, dem die Frauen zu Füßen lagen. Und Colleen war der Typ Frau, die von Männern wie ihm nicht einmal bemerkt wurden. Jedenfalls normalerweise. Allerdings musste sie zugeben, dass Sage sie heute sehr wohl bemerkt hatte. Und dass ihm das, seinem Gesichtsausdruck zufolge, nicht gefallen hatte.

Colleen warf noch einen Blick auf die geschlossene Tür hinter sich, bevor sie schnell den cremefarben gestrichenen Flur in Richtung der Fahrstühle entlangeilte. Sie wollte Sage jetzt keinesfalls über den Weg laufen.

2. KAPITEL

Weiter als bis zum Parkplatz schaffte sie es nicht.

„Colleen!“

Colleen stand schon bei ihrem Wagen. Sie atmete tief durch und rüstete sich innerlich für die Begegnung. Die Stimme war unverkennbar.

Ihr fröstelte, und auf den Armen bekam sie eine Gänsehaut. Allerdings nicht etwa, weil der Wind so eisig wehte. Verdammter Frühling in Wyoming! Einen Tag dachte man, er hätte endlich begonnen, und am nächsten Tag fühlte es sich an, als sei der Winter wieder ausgebrochen. Die Kälte war im Moment jedoch ihre geringste Sorge.

Er war es. Nur einmal zuvor war sie Sage Lassiter so nah gekommen wie heute. Das war an dem Abend des Probedinners für Angelicas Hochzeit gewesen. Colleen hatte sofort gespürt, wie Sage sie von der anderen Seite des gut gefüllten Restaurants aus betrachtete. Er ließ sie nicht aus den Augen, und ihr wurde auf einmal heiß vor Aufregung. Das Wissen darum, dass Sage sie beobachtete, machte sie vollkommen befangen. Als er sie anlächelte, fingen tausend Schmetterlinge in ihrem Bauch an zu tanzen. Dann kam er langsam auf sie zu, und sie ermahnte sich, ruhig zu bleiben. Cool. Aber natürlich gelang ihr das nicht. Alle Nerven zum Zerreißen gespannt und mit weichen Knien blickte sie ihm entgegen.

Und als er gerade nah genug herangekommen war, dass sie das Blitzen in seinen Augen hatte sehen können, erlitt J. D. den Herzinfarkt, und nichts war mehr wie zuvor gewesen.

Wenn Colleen jetzt an den Abend zurückdachte, ärgerte sie sich über ihre Blödheit, weil es natürlich vollkommen albern war, anzunehmen, dass Sage an ihr interessiert war. Vermutlich wollte er sich lediglich über den gesundheitlichen Zustand seines Vaters erkundigen.

In ihrer Erinnerung hatte der Abend trotzdem etwas Magisches bekommen. Aber Colleen durfte niemals vergessen, dass sie nicht der Typ Frau war, der einem Mann wie Sage auffiel. Leider hielt sie das keineswegs davon ab, unaufhörlich an ihn zu denken.

Und jetzt war Sage hier, und Colleen musste aufpassen, nicht die Nerven zu verlieren. Sie wandte sich zu ihm um und strich sich ein paar lose Haarsträhnen aus dem Gesicht.

Bei seinem Anblick schlug Colleens Herz schneller. Sage Lassiter verfolgte sie über den Parkplatz. Jedenfalls ließen die langen Schritte, mit denen er unbeirrt auf sie zukam, kaum eine andere Interpretation zu. Sage hatte eine Mission. Er trug dunkelblaue Jeans, Stiefel, ein gut geschnittenes schwarzes Sportsakko und darunter ein weißes Hemd. Das braune Haar fiel ihm in die Stirn, und die blauen Augen waren zusammengekniffen zum Schutz vor dem Wind. Er brauchte nur wenige Sekunden, und schon stand er vor ihr. Direkt vor ihr.

Colleen musste den Kopf zurücklegen, um Sage in die Augen sehen zu können, und als sich ihre Blicke trafen, fühlte sie sich wie von einem elektrischen Schlag getroffen. Drei Monate lang hatte sie J. D. Lassiter zugehört, wenn er ihr Geschichten über seine Familie erzählte. Den Erzählungen zufolge war Sage erbarmungslos, wenn es um Geschäfte ging, ruhig, stur und fest entschlossen, seinen eigenen Weg zu gehen, ohne sich auf den Namen oder das Vermögen der Familie Lassiter berufen zu müssen. Und sie wusste auch, dass J.D sich zwar darüber ärgerte, aber Sage gleichzeitig dafür bewunderte und respektierte. Wie hätte es auch anders sein sollen? Schließlich war der alte Mann genauso seinen Weg gegangen, als er jung gewesen war.

Trotzdem fühlte es sich jetzt seltsam an, dem Mann, der seit Wochen in Colleens Kopf herumspukte, auf einmal gegenüberzustehen. Wäre er nicht Inhalt der vielen Tagträume gewesen, denen sie sich in den vergangenen Wochen hingegeben hatte, hätte sie sich vielleicht nicht so unbehaglich gefühlt. Colleen holte noch einmal tief Luft und hoffte, dass es ihr gelingen würde, sich zu beruhigen. Aber etwas in seinen Augen, das sie nicht richtig deuten konnte, hinderte sie daran, und ihre Hormone spielten weiter verrückt.

Beruhig dich, ermahnte sie sich. Sie beide waren nur deshalb hier zusammen, weil sie der Testamentseröffnung beigewohnt hatten. Keinen anderen Grund gab es dafür. Es half Colleen, sich daran zu erinnern, und so gelang es ihr, ihn anzulächeln und mit fester Stimme zu sagen: „Es tut mir so leid wegen Ihres Vaters.“

Kurz überschattete sich sein Gesicht, bevor er antwortete. „Danke. Hören Sie, ich wollte mit Ihnen reden …“

„Wie bitte?“ Und wieder fing ihr Herz an, wie verrückt zu schlagen. Sage ist so unbeschreiblich attraktiv, dachte sie abwesend. Groß, dunkel und geheimnisvoll. Die Art Mann, der von anderen Männern beneidet wurde, weil er erfolgreich und Respekt einflößend war und jede Frau haben konnte. Sie eingeschlossen. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch flatterten bereits wieder wie verrückt. „Sie wollen mit mir reden?“

„Ja“, erwiderte er, und seine tiefe Stimme ließ ihre sowieso schon angespannten Nerven vollends durchgehen. „Ich habe noch ein paar Fragen.“

Sofort verschwand ihre Begeisterung, und Ernüchterung machte sich breit. Colleen hätte sich selbst einen Tritt in den Hintern verpassen können. Hier stand sie wie eine Idiotin einem gut aussehenden Mann gegenüber und machte sich Illusionen darüber, dass er an ihr interessiert sein könnte. Dabei hatte er gerade seinen Vater verloren, und das war alles, worum es ihm ging. Colleen wusste nur allzu gut, dass die Hinterbliebenen nach dem Verlust eines Angehörigen häufig viele Fragen hatten. Sie wollten wissen, wie sich der geliebte Mensch vor seinem Tod gefühlt hatte. Womit er sich beschäftigt hatte. Und als J. D.s Krankenschwester hatte sie in den Monaten vor seinem Tod die meiste Zeit mit ihm verbracht.

Nachdem sie so unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden war, musste Colleen sich eingestehen, dass Sage wahrscheinlich auch an dem Abend der Party aus diesem Grund auf sie zugekommen war. Was habe ich mir bloß eingebildet? Fast war es ihr gelungen, sich davon zu überzeugen, dass der reiche und gut aussehende Sage Lassiter an ihr interessiert war. Wie konnte sie nur so dumm sein! Kurz empfand Colleen eine Mischung aus Scham und tiefer Enttäuschung, bevor es ihr gelang, diese Gefühle zu unterdrücken und stattdessen Mitgefühl zu empfinden.

„Natürlich haben Sie noch Fragen.“ Instinktiv streckte sie die Hand aus und legte sie auf seine. Funken sprühten. Vollkommen überrascht von dieser Empfindung spürte sie, wie Hitze in ihr aufstieg. Eine verräterische Hitze, die sie ganz gewiss nicht spüren wollte. Aber das Gefühl war so stark, so echt, dass es Colleen nicht überrascht hätte, die Verbindung zwischen ihnen tatsächlich sehen zu können. Rasch zog sie die Hand weg und ballte sie zur Faust, fest entschlossen, die irritierende Empfindung zu ignorieren.

Sages Augen verengten sich zu noch schmaleren Schlitzen, und Colleen wusste, dass auch er es gefühlt hatte. Er runzelte kurz die Stirn und fuhr sich dann durchs Haar, den Blick so fest auf sie geheftet, dass kein Zweifel daran bestehen konnte, dass er wie sie entschlossen war, das Gefühl zu ignorieren.

Sage schüttelte den Kopf. „Ich glaube, Sie missverstehen mich. Ich habe keine Fragen zu meinem Vater. Ich möchte mehr über Sie wissen.“

„Über mich?“ Überrascht sah Colleen ihn an und fühlte sich beim Anblick seiner kalten blauen Augen wie hypnotisiert. „Wieso über mich?“

„Weil es mich interessiert, wie man es innerhalb weniger Monate von einer Krankenschwester zur Millionärin bringt.“

„Wie bitte?“ Verwirrt sah sie ihn an.

Sage verzog die Lippen zu einem Lächeln, das aber seine Augen nicht erreichte. „Das ist eine ziemlich große Veränderung, meinen Sie nicht? Ich wollte Ihnen nur gratulieren.“

„Grat… wie bitte?“ Colleen war immer noch ganz durcheinander von den Gefühlen, die sie überrannt hatten, als Sage auf sie zugekommen war. Erst langsam begriff sie, worauf Sage hinauswollte. Er sprach über das Erbe. Das Geld, das J. D. ihr hinterlassen hatte. Er sprach auf eine Weise darüber, die so … hässlich … war.

Getroffen erwiderte sie: „Ich weiß nicht, ob Glückwünsche hier angebracht sind.“

„Warum nicht?“ Er legte eine Hand auf das Dach ihres alten, aber nach wie vor gute Dienste leistenden Jeeps. „Von der privaten Krankenschwester zur Millionärin innerhalb kürzester Zeit. Das muss Ihnen erst mal einer nachmachen.“

Auf einmal wurde ihr ganz kalt. Colleen blickte über den fast leeren Parkplatz, auf dem vielleicht ein halbes Dutzend Fahrzeuge parkten. Hinter dem Gebäude, in dem die Anwaltskanzlei ihr Büro hatte, war weit hinten die Silhouette der Berge mit ihren schneebedeckten und vom Sonnenlicht beleuchteten Gipfeln zu erkennen. Der Wind, der graue Wolken über den strahlend blauen Himmel trieb, fuhr ihr durch das Haar.

Wie immer tröstete sie der Anblick der Berge. Als ihre Mutter und sie vor einigen Jahren in die Gegend gezogen waren, hatte Colleen sich sofort zu Hause gefühlt. Nicht einen Augenblick lang hatte sie Kalifornien und den Strand vermisst. Sie liebte die Berge, das Gefühl von Weite, die Bäume, die frische, klare Luft. Sie brauchte nicht lange, um sich so weit zu sammeln, dass sie dem Mann, der sie feindselig ansah, hoch erhobenen Hauptes zu entgegnen: „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

Aber sie wusste ganz genau, was er meinte. Sage sah sie kalt an, und er sah aus, als müsste er die Zähne zusammenbeißen, damit nicht alle hässlichen Verdächtigungen aus ihm herausbrachen. J. D. hatte ihr so viel von Sage erzählt, und zum ersten Mal war sie mit seinen weniger angenehmen Seiten konfrontiert. Erbarmungslos. Hart.

Sage war heute so anders als der Mann, mit dem Colleen noch vor kaum zwei Wochen geflirtet hatte. Sie konnte es kaum glauben. Nahm er wirklich an, dass sie J. D. mit irgendeinem schmutzigen Trick dazu gebracht hatte, sie in seinem Testament zu bedenken?

„Ich bin davon überzeugt, Sie wissen genau, was ich meine.“ Sage neigte den Kopf zur Seite, als er sie prüfend ansah. „Ich finde es nur seltsam, dass mein Vater einer Frau, die er nicht einmal drei Monate kannte, drei Millionen Dollar vermacht hat.“

Colleen fühlte sich unter seinem Blick wie ein Insekt unter dem Mikroskop. Die Eiseskälte, die sie bei seinen Verdächtigungen zunächst verspürt hatte, wich langsam einer gesunden Wut. Wie konnte er es wagen, ihr etwas Derartiges zu unterstellen? Colleen war immer noch durcheinander wegen J. D.s plötzlichem Tod und des Testaments. Als sie jetzt in Sages Augen blickte, fragte sie sich, ob der Rest der Familie ähnliche Anschuldigungen erheben würde. Würde ihr von nun an die gesamte Lassiter-Familie mit Misstrauen begegnen? Auf einmal stellte sie sich vor, wie nicht nur die Lassiters, sondern die gesamte Stadt Cheyenne hinter ihrem Rücken wilde Gerüchte streute und über sie klatschte.

Diese Vorstellung war mehr als erschreckend. Colleen hatte in Cheyenne ihr Zuhause gefunden, und das Letzte, was sie wollte, waren Klatschmäuler, die ihr Leben zerstörten. Sie wurde immer wütender. Sie hatte nichts getan, nichts falsch gemacht. Sie war – im Gegensatz zu seinen Kindern – während der letzten Tage seines Lebens bei J. D. gewesen, und sie hatten sich gut verstanden. War das etwa ein Verbrechen?

Und wenn Sage Lassiter noch so sexy war, für wen hielt er sich, ihr zu unterstellen, sie hätte J. D. durch unlautere Methoden dazu gebracht, ihr Geld zu hinterlassen? Colleen reckte das Kinn und funkelte ihn wütend an. „Ich hatte keine Ahnung davon.“

„Hätten Sie ihn denn davon abgehalten, wenn Sie es gewusst hätten?“

Sein sarkastischer Ton verstärkte seine beleidigenden Worte noch. Doch sie wich seinem Blick nicht aus. Sie konnte vollkommen ehrlich antworten. Und sie würde ehrlich antworten, bis man ihr glaubte. „Ich hätte es versucht.“

„Tatsächlich?“

„Ja, tatsächlich“, fuhr sie ihn an und bemerkte befriedigt, dass ihre Reaktion ihn überraschte. „Was auch immer Sie von mir denken mögen, ich mache meinen Job sehr gut. Und normalerweise bekomme ich keine Geschenke von meinen Patienten.“

„Wirklich? Sie bezeichnen drei Millionen Dollar als Geschenk?“

„Sie sind als Geschenk gemeint“, konterte sie, hielt dann jedoch inne. Schließlich war sie Sage keine Rechenschaft schuldig.

Sein Gesichtsausdruck war so starr, dass er aussah, als wäre er aus Stein. Kein Gefühlsausdruck, nichts Weiches war zu erkennen. Er betrachtete sie unbeirrt, als sei er so in der Lage, in ihr Innerstes zu sehen und die Wahrheit zu erkennen.

Colleen versuchte, die aufkochende Wut wieder zu besänftigen, indem sie sich sagte, dass jeder Mensch auf seine Weise trauerte. Sage hatte gerade seinen Vater verloren, von dem er entfremdet gewesen war. Sicher tobten widersprüchliche Gefühle in ihm, und es war bestimmt leichter für Sage, einen Schuldigen außerhalb zu suchen, als sich mit diesen Gefühlen auseinanderzusetzen. Wie sie aus den langen Gesprächen mit J. D. wusste, hatten er und sein ältester Sohn Sage kein besonders gutes Verhältnis, und Sage hatte noch mit dem unerwarteten Verlust zu kämpfen. Insofern war es kaum verwunderlich, dass er im Augenblick vollkommen irrational handelte.

„Da Sie mich nicht kennen, kann ich nachvollziehen, dass Sie solche Gedanken haben, aber für mich war J. D.s Testament eine ebenso große Überraschung wie für Sie“, sagte sie, nun wesentlich ruhiger.

Sage sah Colleen weiter für einige endlos scheinende Sekunden unverwandt in die Augen. Schließlich rührte er sich, trat einen Schritt von ihrem Auto zurück und steckte beide Hände in die Hosentaschen. „Vielleicht war ich ein bisschen barsch.“

Sie schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln, das er jedoch nicht erwiderte. Colleen seufzte, bevor sie antwortete. „Ein bisschen. Aber ich kann Sie gut verstehen, wenn man bedenkt, was Sie gerade durchmachen. Ich meine … ich kenne das.“

„Wirklich?“ Sage beobachtete sie immer noch genau, aber das Eis in seinen Augen schien ein wenig zu schmelzen.

„Obwohl wir schon Monate vorher darauf vorbereitet waren, war es schrecklich, als mein Vater gestorben ist. Ich war so wütend, so traurig, ihn zu verlieren. Ich brauchte jemanden, dem ich die Schuld geben konnte.“ Sie hielt inne und sah ihn an. „Wir alle brauchen das.“

Er schnaubte verächtlich. „Krankenschwester und Psychologin?“

Colleen wurde rot. „Nein, ich wollte nur sagen …“

„Ich weiß, was Sie sagen wollten“, unterbrach er sie, bevor sie noch mehr tröstende Worte fand, die er offensichtlich nicht hören wollte.

Und damit war auch der eisige Ausdruck in seine Augen zurückgekehrt. Sage blickte über die Schulter und sah, dass seine Familie aus dem Bürogebäude herauskam. Dann drehte er sich wieder zu ihr. „Ich muss los.“

Colleen sah zu Marlene und Angelica, die Arm in Arm auf den Parkplatz liefen, während Chance, Dylan und Evan, die offenbar in eine Diskussion verwickelt waren, sich von den beiden Frauen entfernten. „Natürlich.“

„Aber ich würde gerne noch mal mit Ihnen sprechen“, fügte er zu ihrer Überraschung hinzu.

„Ja, klar, ich …“

„Über J. D.“

Natürlich wollte Sage mit ihr über seinen Vater sprechen und von der Frau, mit der J. D. in den letzten Monaten die meiste Zeit verbracht hatte, hören, was ihn beschäftigt hatte. Wie hatte sie auch nur einen Moment annehmen können, dass es ihm um sie ging? Sage Lassiter traf sich mit Stars oder Frauen aus der High Society. Weshalb um Himmels willen sollte er sich zu einer Krankenschwester hingezogen fühlen, unter deren Besitztümern sich nicht einmal ein Fläschchen Nagellack fand?

„Natürlich“, entgegnete Colleen und lächelte wieder, ohne dass er zurücklächelte. „Jederzeit.“

Sage nickte und machte kehrt, um sich seiner Familie anzuschließen.

„Was hat er sich nur dabei gedacht?“ Dylan trank einen Schluck von seinem Bier. „Wie konnte er Angie einfach so ausbooten? Seit Jahren hat er sie doch zu seiner Nachfolgerin aufgebaut.“

Dylan und Sage waren in einer Bar am Stadtrand. Die anderen aus der Familie waren nach Hause gefahren, aber die Brüder hatten noch das Bedürfnis, über das Testament zu sprechen.

„Ich habe keine Ahnung“, antwortete Sage unnötigerweise auf Dylans rhetorische Frage.

Dylan sprach weiter, aber Sage hörte ihm nicht mehr richtig zu. Stattdessen erinnerte er sich an den Ausdruck in Colleens Augen, als er sie auf dem Parkplatz zur Rede gestellt hatte. Er wollte mit ihr sprechen, herausfinden, ob sie etwas über das Testament gewusst hatte.

Stattdessen hatte er sie sofort in die Defensive gebracht. Sage hatte nicht vor, sie anzugreifen. Die frische Erinnerung an den Anblick seiner weinenden Schwester hatte jedoch dazu geführt, dass Colleen seinen Ärger abbekam.

Er rieb sich das Gesicht. Wenn er das nächste Mal mit ihr sprach, musste er eine andere Taktik fahren. Und er würde wieder mit ihr sprechen. Es war nicht so, dass er sich zu ihr als Frau hingezogen fühlte. Aber zu viele Fragen waren unbeantwortet geblieben. Hatte Colleen J. D. dazu gebracht, ihr das Geld zu hinterlassen? Wusste sie vielleicht, weshalb Angelica leer ausgegangen war? War ihr etwas bekannt, das ihm helfen würde, das Testament anzufechten?

„Angie hat Evan angesehen, als ob er ihr Feind sei, und nicht der Mann, den sie liebt.“

„Das wundert mich nicht“, erwiderte Sage und zwang sich, gedanklich wieder zu ihrem Gespräch zurückzukehren. „Evan hat auf einmal alles bekommen, was eigentlich Angie hätte gehören sollen.“

„Na ja, es ist ja nicht so, dass er was geklaut hat“, entgegnete Dylan. „J. D. hat es ihm hinterlassen.“

„Trotzdem. Ganz egal, wie’s passiert ist, das Ergebnis ist dasselbe. Evan ist drinnen und Angie draußen. Mich wundert es nicht, dass sie sauer auf ihn ist.“

„Stimmt schon.“

„Es ist ja nie einfach gewesen, verlobt zu sein und in derselben Firma zu arbeiten. Aber jetzt, wenn Angie nicht mal mehr seine Vorgesetzte ist?“ Grimmig schüttelte Sage den Kopf. „Ich hoffe nur, dass die beiden sich nicht trennen.“

„Das Schlimmste ist, dass ich keine Ahnung habe, was wir tun können. Wenn ich Walter richtig verstanden habe, verlieren wir alles, wenn wir versuchen, das Testament anzufechten.“

„Das sagt Walter. Wir müssen einen unparteiischen Anwalt fragen.“

„Wenn es so was gibt“, murmelte Dylan.

„Hm“, brummte Sage zustimmend und nahm einen Schluck aus seinem Whiskeyglas. Was hatte J. D. sich nur dabei gedacht? Es war ihm ein Rätsel. Wenn er irgendwie herausfinden wollte, was in seinem Vater in den Monaten vor seinem Tod vorgegangen war, musste er Colleen näherkommen.

Sie war diejenige, die ihm am Nächsten gestanden hatte. Sage hatte von Marlene und Angie genug über die junge, freundliche und tüchtige Krankenschwester gehört, um zu wissen, dass sie zu J. D.s enger Vertrauten geworden war. Mit ihr hatte er in den letzten Monaten mehr gesprochen als mit irgendjemand anderem aus der Familie. Vielleicht, weil es manchmal leichter ist, mit Fremden über seine Probleme zu sprechen als mit der Familie.

Es war seltsam, J. D. hatte sich immer selbst genügt und alles mit sich allein ausgemacht. Bis er krank geworden war.

Ja, Colleen war diejenige, die ihm dabei helfen würde zu verstehen, was in J. D. vorgegangen war. Allerdings hatte Sage nicht im Geringsten mit der heftigen Reaktion gerechnet, die bei Colleens Berührung zwischen ihnen ablief. Als ob Tausende Funken zwischen ihnen hin- und hergeflogen wären. Er konnte nicht bestreiten, dass er sich von ihr angezogen fühlte und zwischen ihnen offenbar eine besondere Verbindung bestand. Sein Interesse an ihr war zwar schon an dem Abend im Restaurant erwacht, aber er hatte nicht mit ihr gesprochen, geschweige denn sie berührt. Somit hatte ihn das, was vorhin zwischen ihnen passiert war, völlig unvorbereitet getroffen. Als Sage an den Moment zurückdachte, in dem plötzlich diese besondere Spannung zwischen ihnen entstanden war, an die Überraschung in ihren Augen, zwang er sich, die Erinnerung zur Seite zu schieben. Schon auf den ersten Blick konnte man erkennen, dass Colleen keine Frau für ein schnelles Abenteuer war. Es gelang Sage nicht, sich ihr Bild aus dem Kopf zu schlagen. Ihre großen blauen Augen, das dichte dunkelblonde Haar. Ihr sanftes Lächeln, die vollen Lippen, die zum Küssen einluden. Er spürte, wie sich sein Körper anspannte bei dem Gedanken an Colleen. Sie hatten sich so eindeutig und stark zueinander hingezogen gefühlt, dass er das Gefühl einfach nicht ignorieren konnte.

„Worüber hast du mit Colleen geredet?“

„Was?“ Sage blickte auf, um Dylan anzusehen, und verbannte seine beunruhigenden Gedanken. „Ich … äh …“ Es war Sage deutlich anzumerken, wie unangenehm ihm die Frage war, weil sie ihm sein Verhalten Colleen gegenüber in Erinnerung rief. Statt sofort zu antworten, rieb er sich den Nacken.

„Ich kenn dich doch“, sagte sein Bruder. „Was hast du getan? Sei ehrlich.“

„Ich war wohl ein bisschen ungeschickt“, gab Sage zu und dachte an Colleens entsetztes Gesicht, als er sie indirekt beschuldigte, J. D. bestohlen zu haben.

„Schieß los“, forderte Dylan ihn auf, als Sage immer noch keine Anstalten machte zu erzählen, was vorgefallen war.

Vielleicht war es wirklich besser, wenn er mit Dylan sprach, dachte Sage. Vielleicht würde er danach klarer sehen. Also schilderte er seinem Bruder, was vorgefallen war – vor allem Colleens Reaktion. Hinterher fühlte er sich keinen Deut besser.

Als er geendet hatte, vergingen einige Sekunden, bevor Dylan leise durch die Zähne pfiff und einen weiteren Schluck Bier nahm. „Mann, jeder andere hätte dir vermutlich eine verpasst. Ich hätte es jedenfalls. Hast du ein Glück, dass Colleen so verdammt nett ist.“

„Ist sie das?“

„Marlene und Angie sind total begeistert von ihr. Sogar Chance hat nichts als Gutes über sie zu sagen, und du weißt, dass er mit Komplimenten nicht gerade um sich wirft.“

„Ja, ich weiß.“

Und dennoch … obwohl sein Instinkt ihm sagte, dass Colleen genau das war, wonach sie aussah – eine Krankenschwester mit einem bezaubernden Lächeln und traumhaft schönen blauen Augen – konnte Sage nicht darüber hinwegsehen, was geschehen war. Was J. D. in seinem Testament verfügt hatte. Und dass sie die Einzige war, die den alten Mann hatte beeinflussen können.

Er musste herausfinden, ob sie irgendetwas damit zu tun hatte, dass J. D. sein Testament geändert hatte. Und wenn dem so wäre, würde sie dafür bezahlen …

3. KAPITEL

Ohne J. D. Lassiters überwältigende Präsenz wirkte die Big Blue Ranch leer. Colleen sah aus dem Fenster des Schlafzimmers, das während der letzten Monate ihr Zuhause gewesen war, und lächelte wehmütig. Sie würde die Ranch fast so sehr vermissen wie J. D.

Aber es war schließlich nicht das erste Mal, dass sie einen Abschied erlebte. Als Krankenschwester kam sie manchmal in einem der schwierigsten Momente in eine Familie und blieb dort, bis der Patient sie nicht mehr brauchte. Dann zog sie weiter zum nächsten Patienten. In die nächste Familie.

Colleen öffnete den Reißverschluss ihres Koffers und hob seufzend den Deckel. Wie sie es hasste, zu packen. Das Abschiednehmen, bevor ein neues Kapitel im Buch des Lebens aufgeschlagen wurde.

Diesmal … würde es allerdings vielleicht keinen neuen Patienten geben.

Sie schüttelte ihre Gedanken ab und musste sich eingestehen, dass sie die Stille im Haus bedrückend fand. Marlene, Chance und Angie waren noch nicht zurück, und außer ihr war im Moment nur die Haushälterin anwesend. Colleen wollte aufbrechen, bevor die anderen zurück waren. Eigentlich hätte sie das Haus laut Vertrag schon vor zwei Wochen verlassen müssen, aber auf Marlenes Bitten war sie länger geblieben, um die Familie in dieser schweren Zeit zu unterstützen. Jetzt wurde sie hier nicht mehr gebraucht.

Colleen ging zum Schrank, um ihre Kleidung zu holen. Normalerweise wohnte sie nicht bei ihren Patienten, aber bei J. D. hatte sie eine Ausnahme gemacht, da er sie in seiner Nähe haben wollte und bereit war, mehr zu bezahlen. Und Colleen hatte es nicht bereut. Im Laufe der Zeit hatte sie die Ranch lieben gelernt. Sie war weitläufig und luxuriös und doch so gemütlich eingerichtet, dass man niemals vergaß, dass sie das Zuhause einer großen Familie war.

Auf einmal fiel ihr Sage ein. Er, sein Bruder und seine Schwester waren hier aufgewachsen. Seltsam, wie sie immer wieder an ihn denken musste, gleichgültig, was sie gerade tat. Wenn sie ehrlich war, hatte sie seit dem Abend im Restaurant an nicht viel anderes als an Sage gedacht. Nachts träumte Colleen von ihm, und selbst sein Ausraster heute Morgen konnte nichts an ihren Gefühlen ändern. Eigentlich mochte sie ihn seitdem sogar noch lieber, weil sein Verhalten ihr gezeigt hatte, wie sehr er an seinem Vater hing.

Die kurze Begegnung mit Sage Lassiter hatte sie fast noch mehr erschüttert als die unerwartete Nachricht, plötzlich Millionärin zu sein. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass der Gedanke an so viel Geld für sie so unwirklich war. Ganz realistisch war dagegen die Tatsache, dass sie vollkommen durcheinander war, seit der Mann ihrer Träume plötzlich vor ihr gestanden und mit ihr gesprochen hatte. Obwohl er sie beleidigt hatte.

„Er konnte nicht anders“, versicherte Colleen sich zum wiederholten Male, während sie fortfuhr, ihre Kleidung zusammenzulegen und in den Koffer zu packen. „Natürlich ist er misstrauisch, er kennt mich ja gar nicht.“

Oder?

Trotzdem hatten Sages verletzende Worte einen Stachel hinterlassen. Die Vorstellung, dass er möglicherweise nicht der Einzige war, der so von ihr dachte, ließ sie nicht los. Vielleicht sollte sie das Erbe ausschlagen.

Colleen hob den Kopf und sah aus dem Fenster. Keines der Zimmer auf der Ranch hatte Vorhänge. Das war, wie Colleen von J. D. erfahren hatte, eine Forderung seiner verstorbenen Frau Ellie gewesen, die nicht wollte, dass etwas zwischen ihr und der atemberaubenden Aussicht stand, die sich von jedem Fenster des Haupthauses bot.

Wie jedes Mal, wenn sie aus dem Fenster sah, bewunderte sie die Schönheit der die Ranch umgebenden Natur. Über dem Mischwald, in dem Eichen, Pinien und Ahornbäume wuchsen, erstreckte sich der weite, von zerrissenen Wolkenfeldern durchzogene Himmel. Colleen liebte es hier in den Bergen von Wyoming und hasste den Gedanken, in ihre kleine Eigentumswohnung in einem Vorort von Cheyenne zurückkehren zu müssen.

Aber, flüsterte eine verführerische Stimme in ihrem Kopf, mit dem Geld, das du geerbt hast, kannst du dir doch etwas kaufen. Außerhalb der Stadt. Mit einem Garten, Bäumen, vielleicht kannst du sogar einen Hund halten. Einen Hund. Seit Jahren träumte sie von einem Hund.

Plötzlich wurde ihr bewusst, welche Möglichkeiten sich ihr mit J. D.s Erbe auftaten. Sie konnte ihren Job kündigen und eine Zusatzausbildung machen, um sich mit einer eigenen Pflegepraxis niederzulassen – so, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Mehr noch, Colleen konnte ihre Mutter, die es weiß Gott schwer genug in ihrem Leben gehabt hatte, unterstützen. Bei dem Gedanken daran lächelte sie, aller Trauer zum Trotz.

Mit dem Geld hatte Colleen mit einem Schlag nicht nur die Möglichkeit, die eigenen Träume in die Tat umzusetzen. Auch die ihrer Mutter konnte sie erfüllen. Sollte sie das Geld annehmen und das Geschenk, als das es gemeint war, akzeptieren? Oder sollte sie es ablehnen aus Angst davor, was irgendwelche kleingeistigen Leute über sie sagen mochten?

„Wäre es nicht wie ein Schlag in J. D.s Gesicht?“, fragte sie sich laut, ohne eine Antwort zu erwarten.

„Viele Leute hätten J. D. über die Jahre gerne mal eine verpasst.“

Colleen wirbelte herum. Hinter ihr im Türrahmen stand Sage, eine Schulter lässig gegen den Türrahmen gelehnt. Er sah noch größer, stärker und bedrohlicher aus als vorhin auf dem Parkplatz. Und das wollte etwas heißen. Er hielt den Blick seiner kalten blauen Augen so unbeirrt auf sie gerichtet, dass sie ganz nervös wurde.

Wieder fing ihr Herz an zu rasen, in ihrem Kopf war für einen Moment nichts als Leere, und ihr Mund wurde ganz trocken. Von ihrer Körpermitte spürte sie Hitze aufsteigen, die sich in ihrem Körper bis in die letzte Faser ausbreitete. Wie gelang es diesem Mann nur, sie allein durch seinen Anblick in ein hormonüberflutetes, handlungsunfähiges Wesen zu verwandeln?

„Wie bitte? Ich meine …“ Colleen rang nach Worten und ärgerte sich, dass seine Anwesenheit ihre Zunge sofort zu lähmen schien. Noch bei keinem anderen Menschen hatte sie so etwas erlebt. Normalerweise war sie nicht auf den Mund gefallen, aber irgendwie reichte es, dass Sage vor ihr stand, und sie konnte an nichts anderes denken als daran, wie gerne sie ihn küssen würde. „Ich wusste nicht, dass Sie hier sind.“

„Das habe ich bemerkt“, entgegnete Sage. Selbstbewusst betrat er den Raum. „Sie wirkten ein wenig … abgelenkt.“ Er blickte sich in dem gemütlich eingerichteten Zimmer um. „Es sieht anders aus als früher.“

„Das Zimmer ist so schön.“ Wieder bedauerte Colleen es, die Ranch zu verlassen.

Sage sah sie an und zuckte mit den Schultern. „Als ich klein war, war es mein Zimmer.“

Sein Zimmer. Oh mein Gott. Eine weitere Hitzewelle überrollte ihren Körper. Wenn sie das in den letzten Monaten gewusst hätte … sie hätte nicht mehr schlafen können.

Sage ging zum Fenster, sah hinaus, drehte sich zu ihr herum und grinste kurz. „Das Spalier ist aber immer noch da. Sind Sie auch manchmal nachts rausgeklettert?“

„Nein. Und Sie?“

„Ja, so oft wie möglich. Besonders als Teenager. Als J. D. und ich …“ Sage unterbrach sich mitten im Satz.

„Also“, wechselte er abrupt das Thema, „weshalb wollten Sie J. D. schlagen?“

„Ich wollte nicht, also …“ Sie atmete einmal tief durch. „Nichts, ist schon gut.“

„Für mich hat es sich nicht nach Nichts angehört.“ Sage drehte den Rücken zum Fenster und warf ihr einen prüfenden Blick zu.

Vor dem durch das Fenster hereinscheinenden Licht waren nur Sages dunkle Umrisse zu erkennen. Er wirkte zudem noch größer und breitschultriger, noch mächtiger, nahezu unheimlich … Der Raum schien plötzlich angesichts seiner Präsenz zu schrumpfen. Sage Lassiter war ein Mann, der einen Raum vollkommen beherrschte. Ein wenig einschüchternd. Und, wenn Colleen ehrlich war, sehr aufregend.

„Ich habe nur laut gedacht.“

„Woran?“

Colleen blickte ihm in die Augen. „Wenn Sie es unbedingt wissen müssen: Ich habe überlegt, ob ich das Geld, das J. D. mir hinterlassen hat, wirklich annehmen sollte.“

Er sah sie überrascht an. „Und wie lautet ihre Entscheidung?“

„Das weiß ich noch nicht. Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, was ich tun soll.“

„Die meisten Leute würden das Geld einfach nehmen und sich davonmachen.“

„Ich bin nicht wie die meisten Leute.“

„Langsam beginne ich das zu verstehen.“ Die Hände in den Hosentaschen, kam Sage gemächlich auf sie zu. „Wissen Sie, ich habe vorhin vielleicht etwas überreagiert …“

„Wirklich?“ Colleen lächelte und schüttelte den Kopf. Ihr war noch jedes Wort, das er am Morgen gesagt hatte, gegenwärtig. Ebenso wie sie sich genau daran erinnerte, dass es sie wie ein Blitzschlag getroffen hatte, als sie ihn berührte.

Sage nickte. „Sie hatten recht und ich unrecht. Mein Vater wollte, dass Sie das Geld bekommen. Sie sollten es annehmen.“

„Einfach so?“ Sie betrachtete ihn genau und hoffte, ein Zeichen zu entdecken, das seinen plötzlichen Sinneswandel erklären würde, aber aus seinem Gesicht ließ sich nichts ablesen. Sicherlich kam ihm diese Fähigkeit als Geschäftsmann sehr zugute, aber in einem persönlichen Gespräch empfand Colleen sie als außerordentlich lästig.

„Warum nicht?“ Sage kam noch näher, und Colleen hätte schwören können, dass sie tatsächlich spüren konnte, wie es auf einmal heiß wurde und Hitzewellen zwischen ihnen hin und her waberten. Hitze, die bis in jeden Winkel ihres Körpers drang. Sie schluckte, reckte das Kinn und blickte ihm direkt in die Augen, als er ihr immer näher kam. „Colleen, wenn Sie darüber nachdenken, das Geld auszuschlagen wegen dem, was ich gesagt habe, dann tun Sie es nicht.“

„Ich gebe zu, dass das, was Sie mir an den Kopf geworfen haben, mit meiner Überlegung zusammenhängt. Aber hauptsächlich befürchte ich, dass andere Leute ebenso wie Sie denken könnten.“

„Und das würde Sie stören?“

„Natürlich würde mich das stören. Es ist nicht wahr.“

„Warum schert es Sie dann, was irgendwer von Ihnen denkt?“

Verstand Sage wirklich nicht, was das für sie bedeuten würde? Waren reiche Leute wirklich so anders als alle anderen? „Vermutlich verstehen Sie nicht, weshalb mich das kümmert, weil es für Sie völlig normal ist, dass andere über Sie sprechen. Irgendwas steht ja immer über die Lassiters in der Zeitung.“

„Das ist wahr.“

„Und was Sie angeht, scheint die Presse an Ihnen ein besonderes Interesse zu haben. Ständig ist etwas über den Milliardär, das schwarze Schaf der Familie, zu lesen.“ Colleen hörte auf zu reden, als sie sah, dass Sage die Stirn runzelte. „Es tut mir leid, aber das ist …“

„Sie scheinen sich mit den Berichten über mich ja gut auszukennen“, unterbrach er sie.

„Man kann ihnen kaum entkommen“, log sie in der Hoffnung, dass er nie erfahren würde, dass sie jeden Artikel, der irgendwo über ihn erschien, geradezu verschlang.

Sage schnaubte verstimmt. „Stimmt. Und ich wette, dass es nicht lange dauert, bis J. D.s Testament auf der ersten Seite von irgendeinem Schmierblatt erscheint, weil jemand nicht den Mund halten konnte.“

„Wer sollte das tun?“

„Vielleicht einer der Angestellten des Anwaltsbüros. Wenn man genug bezahlt, bekommt man Menschen dazu, alles zu tun.“

„Wow … finden Sie das nicht ein bisschen zynisch?“

„Erfahrung“, erwiderte er knapp. Nur die zur Faust geballte Hand zeugte von seiner Anspannung bei diesem Thema. „Früher habe ich noch geglaubt, die meisten Menschen seien loyal, aber dann wurde ich eines Besseren belehrt.“

„Was ist passiert?“ Colleen wusste selbst nicht, wieso sie es auf einmal wagte, ihm eine derartig persönliche Frage zu stellen. Vielleicht weil es so ruhig und friedlich im Haus war, dass man fast das Gefühl haben konnte, sie und Sage seien die einzigen Menschen auf der Welt.

Für einen kurzen Moment machte es fast den Anschein, als würde Sage ihr antworten, doch der Augenblick zog schnell vorüber, und Sages Gesicht nahm wieder den emotionslosen Ausdruck eines Pokerspielers an. „Das spielt keine Rolle. Was ich Ihnen damit sagen will, ist, dass Sie sich bei Ihren Entscheidungen nicht aus Angst vor Klatsch beeinflussen lassen sollten.“

Traurig registrierte Colleen, dass der kurze Moment, in dem so etwas wie Vertrautheit zwischen ihnen aufgeblitzt war, schon vorbei war. „Es hört sich so einfach an, wenn Sie es sagen, aber ich kann es nicht ausstehen, wenn die Leute hinter meinem Rücken reden.“

„Ich auch nicht, aber es lässt sich oft nicht ändern.“

Natürlich hatte Sage recht, das war Colleen klar, aber trotzdem befand er sich in einer anderen Lage als sie. Aufgrund seiner Herkunft würde er immer im Rampenlicht stehen, aber Colleen war ein Niemand, und das wollte sie auch bleiben. „Vielleicht werde ich in Ruhe gelassen, wenn ich das Geld ablehne, weil es dann nichts mehr zu reden gibt.“

Sage lächelte, aber sein Lächeln hatte nichts Tröstliches. „Colleen, die Leute werden reden. Ob Sie das Geld annehmen oder nicht. Außerdem zerreißen sich die Leute sicher jetzt schon das Maul … eine schöne Frau wie sie, die sich monatelang um J. D. kümmert …“

Schön? Sage fand sie schön? Aber dann begann sie zu verstehen, was er gerade gesagt hatte. Schamesröte stieg ihr ins Gesicht, als sie einsehen musste, dass er wahrscheinlich richtig lag mit seiner Annahme.

„Das ist widerlich. Ich war seine Krankenschwester.“

„Eine junge hübsche Krankenschwester und ein kranker alter Mann. Das genügt den Klatschmäulern.“

Colleen schüttelte ungläubig den Kopf. „Aber J. D. war nicht mein erster Patient. Nie hat mir jemand etwas Böses nachgesagt.“

„J. D. ist auch der erste Lassiter, für den Sie gearbeitet haben. Ich bin überrascht, dass ihnen bisher nichts von den Gerüchten zu Ohren gekommen ist.“

Ermattet setzte Colleen sich auf die Bettkante und ließ die letzten Monate in Gedanken Revue passieren. Damals hatte sie nicht darauf geachtet, aber wenn sie zurückdachte … Sie erinnerte sich an ein Zwinkern, Leute, die wissend lächelten, wenn sie vorbeiging, Gespräche, die plötzlich endeten, wenn sie einen Laden im Ort betrat. Sage hatte recht, die Leute redeten bereits.

„Oh mein Gott, man denkt wirklich, dass ich … dass J. D. … Oh, das ist so demütigend.“

„Nur wenn Sie sich davon demütigen lassen. Ignorieren Sie das Gerede einfach.“

„Wie ich das hasse“, murmelte sie. Natürlich stimmte es, was Sage sagte, aber sie hatte sich nie zuvor in einer derartigen Situation befunden. Außerdem stand ihre berufliche Existenz auf dem Spiel. Wer würde sich noch von einer Krankenschwester behandeln lassen, die einen solchen Ruf hatte?

„Mir wird ganz schlecht“, murmelte sie.

Sage lachte, und bei dem tiefen, ungewohnten Laut blickte sie überrascht zu ihm hoch. Seine Augen leuchteten, und er lächelte so breit, dass auf seinen Wangen Grübchen erschienen, die Colleen vorher noch nie aufgefallen waren.

„Sie machen sich zu viele Gedanken.“

„Ist das ein Wunder? Ich bin noch nie in so einer Lage gewesen und weiß nicht, was ich tun soll.“

„Tun Sie einfach das, was Sie wollen.“

Wollen war ein bedeutsames Wort. Colleen wollte viele Dinge. Den Weltfrieden. Kalorienfreie Schokolade. Kleinere Füße. Ihr Blick wanderte zu Sages Mund und blieb dort hängen. Sie wollte ihn wirklich gerne küssen.

Als der Gedanke daran übermächtig wurde und alles andere aus ihrem Kopf verdrängte, rief Colleen sich zur Ordnung. Verdammt noch mal, du musst dich wieder einkriegen! Aber das war gar nicht so einfach. Wie lange war es her, dass sie zuletzt mit einem Mann zusammen gewesen war? Kein Wunder, dass ein Mann wie Sage Lassiter sie durch seine bloße Anwesenheit vollkommen durcheinanderbrachte.

„Alles in Ordnung?“ Sage sah sie mit gerunzelter Stirn an.

„Ja. Ja, mir geht es gut.“ Colleen atmete tief durch. „Was ich will. Tun, was ich will.“

„Ist das so schwer?“, fragte Sage und ließ sich neben ihr auf das Bett sinken. „Wenn die Leute einmal begriffen haben, dass es einem egal ist, was sie reden, hören sie normalerweise damit auf.“

„Und wenn es einem nicht egal ist?“

Colleen seufzte tief und sah ihn an. Er saß so dicht neben ihr, dass ihre Oberschenkel sich fast berührten. Sofort stieg die Hitze wieder in ihr auf und vertrieb jeden Gedanken daran, was irgendjemand von ihr denken mochte. Es fiel ihr schwer zu atmen, als sie ihm in die Augen sah, die jetzt weniger kühl blickten, aber immer noch keine Emotionen erkennen ließen. Wie verschlossen er war. Er erinnerte sie tatsächlich an J. D., der in der ersten Zeit, in der sie ihn pflegte, ebenso reserviert gewesen war. Doch es hatte nicht lange gedauert, bis der alte Mann sich ihr anvertraute.

Im Unterschied dazu war Sage jedoch nicht ihr Patient, sondern ein starker, sehr maskuliner Mann, der Gefühle in ihr weckte, die sie lange nicht mehr empfunden hatte. Was nicht nur lächerlich, sondern auch unangebracht war. Schließlich war er der Sohn ihres Patienten. Ein Familienangehöriger, der einen schrecklichen Verlust verarbeiten musste. Du musst begreifen, dass er nicht an dir interessiert ist, rief sie sich zur Ordnung. Und sie musste unbedingt ihre Gefühle in den Griff bekommen. Es konnte nicht sein, dass ihr jedes Mal, wenn er in der Nähe war, über und über heiß wurde und ihr die Knie weich wurden.

„Hören Sie, was halten Sie davon, wenn wir heute Abend zusammen essen? Dann reden wir weiter.“

Autor

Kathie De Nosky
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