Die Chatsfield-Dynastie - 2. Staffel: Ein aufregendes Spiel um Macht, Leidenschaft und Vergnügen

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Der Welt elitärstes Hotel-Imperium hält Ausschau nach einem neuen Juwel in seiner Krone, und Spencer Chatsfield hat es gefunden. Doch Isabelle Harrington, das Mädchen aus seiner Vergangenheit, weigert sich zu verkaufen! Damit wird einer der mondänsten Schauplätze auf dem Globus zum Schachbrett für ein aufregendes Spiel um Macht, Leidenschaft und Vergnügen erklärt …

DIE SINNLICHEN KÜSSE DES STOLZEN SCHEICHS

Eine Oase im Sonnenlicht, ein reich geschmücktes Wüstenzelt … und ein betörender Scheich, der Sophie so besitzergreifend in den Armen hält, dass sie wie verzaubert ist. Eigentlich träumt die junge Journalistin von einer Karriere - und nicht von einem Liebesmärchen ...

DER MILLIARDÄR UND DIE SÜßE REBELLIN

Der sündhaft reiche Wirtschaftstycoon Giancarlo Delucca will nur eins: den Weltmarkt erobern … auch wenn er dafür die widerspenstige Tochter seines größten Konkurrenten heiraten muss. Für den skrupellosen Womanizer steht fest, er wird seine Braut schon zähmen ...

DER PLAYBOY UND DIE SCHÖNE PRINZESSIN

Nach einem bösen Familienstreit flieht die unerfahrene Prinzessin Leila heimlich nach New York … und trifft in einer noblen Hotelbar auf den charmantesten Playboy der Stadt: James Chatsfield! Ein Blick aus den samtbraunen Augen des unwiderstehlichen Hoteltycoons und Leila spürt zum ersten Mal in ihrem Leben die prickelnde Macht sinnlicher Gefahr ...

SÜßE VERSUCHUNG, VERBOTENES GLÜCK

Für Olivia Harrington ist die Berlinale der perfekte Ort, um ihren neuen Film zu feiern … aber seit ihrer Ankunft im Luxushotel The Chatsfield läuft einfach alles schief! Nicht nur, dass sie mit dem arroganten, aber aufregend attraktiven Hoteltycoon Ben Chatsfield im Dauerstreit liegt, nein, das Foto eines Paparazzo zeigt sie beide auch noch als Liebespaar ...

DIESER EINE LETZTE KUSS

Sexy Reeder Theo Tsoukatos verlangt von seiner untreuen Frau, die Details ihrer Scheidung dort zu klären, wo sie einst ihr größtes Glück erlebten - in Barcelona. Doch sein Racheplan scheitert: Nicht nur, dass die Erinnerungen an ihre Flitterwochen ihn plötzlich selbst einholen, jetzt behauptet Holly, dass sie ihn nie betrogen hat ...

DER TYCOON UND DIE EISPRINZESSIN

Um ihrer berühmten Familie zu imponieren, nimmt Eleanore Harrington das Angebot an, ein Palasthotel aus Eis zu bauen. Der Haken? Ihr Boss ist Lukas Kuznetskov, ein russischer Milliardär, so kalt und unnachgiebig wie das Eis, mit dem sie arbeitet. Eleanore spürt schnell, dass Lukas‘ selbstherrlicher Charme ihr Blut trotz klirrender Kälte zum Kochen bringt …

DAS GEHEIMNIS DER SCHÖNEN RIVALIN

Milliardär und Glücksspieler Cooper Brock verliert nie … bis ihm die bezaubernde Serena in Portugal einen lukrativen Deal wegschnappt! Vor dieser aufreizenden Schönheit mit dem Rücken an der Wand zu stehen, passt Cooper gar nicht …

RIVALEN DER SINNLICHKEIT

Wenn Giganten lieben! Spencer Chatsfield hat es bis an die Spitze des elitärsten Hotelimperiums der Welt gebracht. Jetzt plant der ambitionierte Tycoon seinen letzten Coup: die feindliche Übernahme des größten Konkurrenten! Doch leider stellt sich ihm dabei Hotelerbin Isabelle Harrington höchstpersönlich in den Weg ...

EINE NACHT VOLLER SÜNDE

Nach einer geplatzten Hochzeit, an der Libby Lancaster als Gast hatte teilnehmen wollen, strandet sie allein und ohne Zimmer im legendären Chatsfield. Entschlossen, das Beste aus der Situation zu machen, schlüpft sie in das Designerkleid und die High Heels ihrer umschwärmten Cousine. Nur ein einziges Mal will sie nicht die Brave, sondern ein böses Mädchen sein ...


  • Erscheinungstag 19.01.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775766
  • Seitenanzahl 1202
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Maisey Yates, Abby Green, Carol Marinelli, Kate Hewitt, Caitlin Crews, Michelle Conder, Susanna Carr, Melanie Milburne, Susan Stephens

Die Chatsfield-Dynastie - 2. Staffel: Ein aufregendes Spiel um Macht, Leidenschaft und Vergnügen

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2015 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Sheikh’s Desert Duty“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: PRESENTS
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2238 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Gudrun Bothe

Abbildungen: Harlequin Books S.A. , Sthaporn / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733706838

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Im Leben von Scheich Zayn Al-Ahmar gab es vieles, was er zutiefst bereute. Vorkommnisse von der Art, die ihn nachts überfielen und ihm die Luft zum Atmen abschnürten. Heimsuchungen, die ihn tagsüber weiter verfolgten und jede seiner Handlungen beeinflussten. Ständige Erinnerungen daran, warum er sein altes Ich hinter sich gelassen hatte und zu einem grundlegend anderen Menschen geworden war.

Doch ganz gleich, wie belastend die Erinnerungen waren, momentan gab es nur eines, was er bedauerte. Und zwar, dass er seine Hand nicht um James Chatsfields verdammte Kehle legen und zudrücken konnte, bis der miese Schuft sein wertloses Leben ausgehaucht hatte – in einer finsteren Gasse, hinter dem eigenen Familienhotel.

Stattdessen war Zayn gezwungen, sich zu beherrschen. Mit finsterer Miene umklammerte er das Revers von James’ Jackett und stieß den Mann brutal gegen die massive Backsteinmauer. Durchaus eine grobe Maßnahme, für Zayn bei Weitem nicht gewalttätig genug, um sich besser zu fühlen.

„Ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt weiß, was für eine Laus Ihnen über die Leber gelaufen ist, Al-Ahmar …“, murmelte James.

Angesichts der unbekümmert selbstbewussten Haltung des aalglatten Schönlings näherte sich Zayns Zorn dem Siedepunkt. Dazu kam noch der spöttisch amüsierte Ausdruck in den Augen! Beides kannte er nur zu gut.

Es war, als schaue er in einen Spiegel, der die Vergangenheit reflektierte.

Dazu kam, dass der miese Kerl etwas Unverzeihliches getan hatte und Zayn nicht auf alberne Spielchen stand. Schon gar nicht in einer dunklen Seitenstraße ohne Zeugen. „Ich glaube, Sie wissen sehr wohl, worum es geht, Chatsfield.“

Seit sechzehn Jahren kämpfte Zayn darum, seine Familie zu beschützen, den eigenen Ruf zu wahren und das Ansehen seines Landes. Und jetzt drohte dieser Schuft, all das zu zerstören. Er war eine Bedrohung für Surhaadi, für die Menschen dort und alles, was Zayn sich in seinem neuen Leben aufgebaut hatte.

„Sagen Sie jetzt nicht, es geht um Ihre Schwester …“

Mörderische Wut loderte in Zayn wie ein gewaltiges Feuer, und James’ Hinterkopf machte unsanft Bekanntschaft mit dem rauen Mauerwerk. „Um wen sonst? Sie haben sie entehrt – und damit auch mich, die gesamte königliche Familie und unser Volk!“

Trotz seiner bedrängten Lage zeigte James keine Spur von Furcht. Anstatt einzuknicken, wanderte nur eine arrogante Braue nach oben, und um den gut geschnittenen Mund zuckte ein spöttisches Lächeln. „Was für eine schwere Bürde, um sie so einem zarten Frauenkörper aufzulasten. Mir war nicht bewusst, dass die Integrität einer ganzen Nation von der Jungfräulichkeit Ihrer Schwester abhängt.“

Zayns Griff wurde noch fester. „Ein Mann, der nicht einen Funken Integrität besitzt, hat kein Recht, dieses Wort auch nur in den Mund zu nehmen“, knirschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Zumindest behandle ich keine Frau wie ein Besitztum“, kam es gelassen zurück.

Nein, das tut James Chatsfield sicher nicht! Sobald er eine Frau in seinem Bett hatte, interessierte sie ihn nicht mehr. Für ihn waren sie nur Kleiderpuppen, die man an- und ausziehen konnte, bis einen das Spiel langweilte und man sie in die Ecke warf.

Oder sie, wie im Fall seiner Schwester, für immer entehrt ihrem Schicksal überließ – mit einem Kind unter dem Herzen. Das jedoch würde James niemals erfahren, wenn es in Zayns Macht stand. Er hatte jedes Recht dazu verwirkt, genau wie das Recht, Leila je wieder zu berühren oder auch nur sehen zu dürfen …

„Mag sein, Chatsfield, aber Tatsache ist, dass Sie jemanden, der zu mir gehört, schlecht behandelt haben. Jedes einzelne Familienmitglied steht unter meinem ganz persönlichen Schutz. Sie können froh sein, nicht in meinem Land zu leben. Denn dort würde ich Sie für das, was Sie verbrochen haben, liquidieren.“

Mit einem Ruck und überraschender Kraft befreite sich James Chatsfield aus Zayns Griff. Offenbar steckte in ihm doch mehr, als Zayn dem oberflächlichen Playboy, den James brillant verkörperte, zutraute. „Ich werte das mal im biblischen Sinne als eine positive Eigenschaft, Al-Ahmar.“ Sorgsam richtete James sein maßgeschneidertes Jackett und schnippte ein imaginäres Staubkorn von seinem Revers. „Bedauerlicherweise habe ich weder Zeit noch Lust, mich auf diesen Auge-um-Auge-Unsinn einzulassen.“

Nichts hätte Zayn lieber getan, als ihm das überhebliche Lächeln mit der Faust aus dem Gesicht zu wischen. Doch er wollte es nicht riskieren, James misstrauisch zu machen. Keinesfalls sollte er sich fragen, ob seine Wut und sein Hass nicht auf etwas Gravierenderem beruhten als auf der simplen Verführung seiner Schwester.

„Sie werden der Presse gegenüber kein Wort über Ihre unglückliche Verbindung mit Leila verlauten lassen!“, grollte Zayn warnend.

„Warum sollte ich so etwas Absurdes tun?“, erwiderte James.

„Auch wenn meine Schwester für Sie nur eine Eroberung unter vielen bedeutet, bleibt die Tatsache bestehen, dass sie eine Prinzessin ist. Die verdammten Journalisten würden sich überschlagen, um die unselige Geschichte zur Titelstory zu machen.“

„Jetzt fühle ich mich aber wirklich von Ihnen auf den Schlips getreten, Al-Ahmar“, warf James ein. „In meinem Land gehöre ich nämlich selbst zur Aristokratie. Und wenn es um eine skandalträchtige Headline geht, brauche ich dafür nicht die Assistenz Ihrer Schwester.“

„Ich warne Sie, Chatsfield …“ Zayns Stimme war jetzt gefährlich leise und dabei hart wie Stahl. „Ein falsches Wort, und es geht Ihnen an den Kragen. Und das ist nicht metaphorisch gemeint.“

Der spöttische Zug um James’ Mund verschwand. Plötzlich wirkte sein anziehendes Gesicht wie aus Granit gemeißelt. „Oh, daran hege ich nicht den geringsten Zweifel.“ Erneut rückte er sein Jackett gerade, wandte sich um und verschwand in Richtung Hotel.

Zayn blieb in der dunklen Gasse zurück und fluchte. Er hasste dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Es erinnerte ihn daran, dass er schon einmal versagt hatte, als es darum ging, seine andere Schwester zu beschützen.

Es begann zu regnen. Eine einsame Straßenlaterne mit schwachem gelbem Schein spendete das einzige Licht in der dunklen Gasse. Zayns Gedanken überschlugen sich, sein Puls raste. Wenn irgendetwas hiervon nach außen drang, wäre es das gefundene Fressen für die verdammte Pressemeute. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie Leila mit ihrer Schwangerschaft und der Neugier der Öffentlichkeit an allen Belangen der königlichen Familie umzugehen gedachte.

Erschwerend hinzu kam noch der Rummel um seine eigene bevorstehende Hochzeit, die das allgemeine Interesse nur noch mehr schürte!

Leila war auch so schon verwundbar genug in ihrem Zustand. Zusätzlichen Druck konnte sie wahrlich nicht gebrauchen. Und er würde alles tun, um seine Familie nicht noch einmal dieser grausamen öffentlichen Kritik und Verurteilung auszusetzen. Zayn war wild entschlossen, sie zu beschützen.

Ein klapperndes Geräusch im Hintergrund ließ ihn herumfahren. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er, die Dunkelheit zu durchdringen, und fluchte erneut. Die blecherne Mülltonne, die träge in den schwachen Lichtkegel rollte, konnte unmöglich von selbst umgestürzt sein.

Ich bin nicht allein in der Gasse hinter dem Chatsfield …

Was bedeutete, dass es einen oder mehrere Zeugen des brisanten Gesprächs zwischen James Chatsfield und ihm gab. Und das war absolut inakzeptabel!

Das Gefühl der Hilflosigkeit wurde von einem heißen Adrenalin-Flash weggefegt, der sein Blut wie glühende Lava durch die Adern jagte. Es war keine Furcht, sondern nur Wachsamkeit und nervöse Energie und ein willkommenes Ventil für seine mühsam im Zaum gehaltene Wut. Zayn spürte, wie sich jeder Muskel in seinem Körper anspannte. Jetzt war er nicht mehr als ein primitives Raubtier, bereit zum Angriff.

Wieder schepperte es, dann erklang ein erschrockenes Quieken. Wie der Blitz schoss er zu der Stelle, griff zu und fühlte dichtes Haar und energischen Widerstand. Ein erneuter, weitaus hellerer Laut ließ ihn stutzen und seine Beute aus dem Dunkel ans Licht zerren.

„Wer sind Sie und was haben Sie hier verloren?“, fragte er barsch.

„Autsch!“

„Versuchen Sie nicht, sich mit irgendwelchen Verletzungen herauszureden!“ Im schwachen Schein der Laterne zeigte sich sein Spion ganz anders, als Zayn es erwartet hatte. Verblüfft musterte er die schlanke Blondine mit der zerzausten, honigfarbenen Haarfülle, in die er eben noch seine Finger gekrallt hatte. Sie trug ein schillerndes Paillettenkleid und eine ausgesprochen störrische Miene.

„Ich bin sogar außerordentlich verletzt …“, widersprach sie.

Zayn verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn Sie tatsächlich so empfindlich sind, sollten Sie sich besser nicht in dunklen Nebenstraßen herumdrücken, Lady“, empfahl er. „Das ist ziemlich gefährlich.“

„Scheint mir auch langsam so“, murmelte sie und bemühte sich, ihr derangiertes Outfit glatt zu streichen.

„Was haben Sie hier verloren?“, fragte Zayn misstrauisch.

„Ich bin James Chatsfield nach draußen gefolgt.“ Die Blondine richtete sich auf und warf mit einer selbstbewussten Geste das lange Haar über die Schultern zurück. Im Laternenschein schimmerte es wie flüssiges Gold.

Das ergab Sinn. Sie passte absolut in Chatsfields Beuteschema. Entweder war sie bereits eine seiner Gespielinnen oder hoffte womöglich darauf, aus dem, was sie gerade belauscht hatte, Kapital schlagen und so bei ihm landen zu können. Was für ein Desaster! Chatsfields Chance zur Rache in den Händen einer berechnenden Schlampe.

„Verstehe. Und wie viel haben Sie von unserer Diskussion mitbekommen?“

Ihre Augen weiteten sich unmerklich und nahmen einen wachsamen Ausdruck an. „Nichts, was mich interessieren könnte. Ehrlich gesagt, war ich derart gelangweilt, dass ich fast eingeschlafen wäre.“

„Netter Versuch.“ Zayn war mit seiner Geduld am Ende. Nach allem, was er bereits hatte durchmachen müssen, gefiel es ihm überhaupt nicht, sich im strömenden Regen mit einer erneuten Bedrohung für seine Familie konfrontiert zu sehen. Und ganz sicher würde er keiner blonden Sirene erlauben, sich ihm in den Weg zu stellen.

„Also, freiheraus gesagt bin ich Sympathisantin der Free-Food-Bewegung“, erklärte die Blondine plötzlich zu seiner Überraschung. „Unser Ziel ist es zu verhindern, dass verwertbare Lebensmittel einfach so im Müll landen. Sie glauben ja gar nicht, wie viele absolute Gourmetspeisen im Abfall dieses Luxushotels landen. Gerade fiel mir eine Foie Gras in die Hände, die absolut …“

„Sie haben doch gerade noch behauptet, James Chatsfield hierher gefolgt zu sein.“

Sein harscher Ton ließ sie zusammenzucken, aber nur kurz. „Ich dachte, er würde vielleicht auch wissen wollen, wo die Foie Gras …“

Jetzt reichte es Zayn endgültig. Mit festem Griff umfasste er ihren Arm und ließ auch nicht locker, als sie versuchte, sich zu befreien. „Hier draußen ist es viel zu kalt und ungemütlich“, erklärte er mit gepresster Stimme. „Warum setzen wir die Konversation nicht in meinem Wagen fort?“

„Oh, normalerweise liebend gern … Aber leider geht das nicht.“

„Und warum?“

„Weil ich prinzipiell nicht zu fremden Männern ins Auto steige.“

„Nach allem, was Sie von gerade belauscht haben, kann man uns wohl kaum als Fremde bezeichnen, oder?“, fragte Zayn zynisch und zog die Frau mit sich.

Was für eine absurde Situation! Für einen Sekundenbruchteil zweifelte er selbst an seinem Verstand und fragte sich, was zur Hölle er sich dabei dachte. Doch dann sah er wieder Leilas bleiches, angespanntes Gesicht vor sich, als sie ihm ihre Verfehlung gestanden hatte, und wusste, dass er das einzig Richtige tat.

Er schützte seine Familie. Da blieb kein Raum für Skrupel oder Schuldgefühle.

„Sorry, aber ich muss jetzt wirklich los!“, versuchte die Blondine noch einmal, sich aus der Klemme zu befreien. „Die Parkzeit für mein Fahrrad ist längst überschritten. Womöglich schneiden sie mir schon die Kette durch und …“

„Ich kaufe Ihnen ein neues Rad.“

„Nettes Angebot, doch dieses hat für mich einen besonders sentimentalen Wert.“

Abrupt blieb er stehen und musterte seine Begleitung finster. „Sie wollen mir doch nicht ernsthaft weismachen, dass Sie bei dem Wetter und in dem Kleid mit dem Rad unterwegs sind.“

Ihr kleines, festes Kinn schoss stolz in die Höhe. „Nicht jeder kommt mit einem silbernen Löffel im Mund zur Welt.“

„Nein, in der Tat. Aber der in James Chatsfields arrogantem Mund ist Ihnen offensichtlich nicht entgangen.“

„Was wollen Sie damit sagen?“

Zayn schnalzte gereizt mit der Zunge, dirigierte die Blondine in Richtung der wartenden Limousine und riss die hintere Tür auf. „Dass Sie besser einsteigen, bevor ich endgültig die Geduld verliere.“

„Ich denke nicht daran!“

Sekundenlang maßen sie sich mit Blicken, seiner sengend, ihrer trotzig und defensiv.

„Mein Fehler …“, murmelte Zayn schließlich seidenweich. „Wie ich sehe, hat Sie mein bisher nachsichtiger Ton verwirrt, Miss. Das war keine Bitte oder Aufforderung, sondern ein Befehl.“ Dem er prompt Nachdruck verlieh, indem er die widerborstige Fremde kurzerhand auf das weiche Lederpolster drängte. Dabei kam er in unerwarteten Kontakt mit ihren herausfordernd weiblichen Kurven. Und da es schon lange zurücklag, dass er einer Frau derart nahe gekommen war, gab sich Zayn dem berauschenden Gefühl einen Herzschlagmoment willig hin, anstatt zurückzuzucken.

„Was … was machen Sie da?“, fauchte die Blondine. Sie versuchte, sich zu befreien, und drängte ihre runde Kehrseite dabei nur noch fester gegen seine spürbare Erregung.

Ja, was mache ich da eigentlich? fragte er sich selbst verwirrt, ohne die Kraft aufzubringen, das erotische Manöver abzubrechen.

Zayn fühlte sich wie entrückt. Was ihn aus der Bahn warf, waren unerwartete, heiße Situationen wie diese. Momente, in denen Lust und Verlangen ohne Vorwarnung überhandnahmen, ungeachtet des Ernstes der Lage. Momente, in denen er sich fragte, ob er sich wirklich verändert hatte. Oder ob er seit Jahren nur versuchte, seine Schwäche unter einem Berg guter Vorsätze zu verstecken. Schwer zu sagen, da derartige Erlebnisse mehr als rar waren, seitdem er den Fokus in seinem Leben auf andere Dinge richtete.

Doch egal, wie gut sich der weiche Frauenkörper in seinen Armen anfühlte … hier ging es allein um Leila – um ihre Ehre, ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen, sowohl physisch wie emotional.

Energisch schob er seinen unfreiwilligen Fahrgast weiter ins Wageninnere, rutschte selbst auf die luxuriöse Sitzbank und schloss die Tür hinter sich. Einen Moment befürchtete er schon, die Frau neben ihm hätte das Bewusstsein verloren, weil sie vollkommen reglos an seiner Schulter lehnte. Doch schon im nächsten Augenblick richtete sie sich wieder kerzengerade auf.

„Irgendwie nehme ich Ihnen nicht ab, dass Sie mich nur vor dem Regen beschützen wollen.“ Abrupt wandte sie sich ihm zu. „Versuchen Sie etwa, mich zu kidnappen?“

„Würde das nicht einen gewissen Vorsatz implizieren und ein Bedürfnis nach Lösegeld?“, fragte er zurück und schien sie damit zu verblüffen. „Wie Sie inzwischen sicher ahnen, leide auch ich keinen Mangel an silbernen Löffeln. Eine Entführung hätte nur dann Sinn gehabt, wenn ich von Ihrer Anwesenheit in der dunklen Gasse gewusst hätte.“

„Wenn Sie mich gegen meinen Willen hier festhalten, ist es trotzdem Kidnapping.“

„Bleiben Sie freiwillig, wenn ich Sie loslasse?“

„Nein.“ Sie zuckte zusammen, als sich die Limousine langsam in Bewegung setzte, ließ sich aber sonst nichts anmerken.

„Tja, dann ist es wahrscheinlich doch eine Entführung“, bestätigte Zayn trocken.

„Und damit haben wir ein Problem … beziehungsweise Sie.“

„Das da wäre?“

„Ich kann unheimlich laut schreien.“

„Das glaube ich sofort.“ Zayn hob die Hand und klopfte gegen die schwarz getönte Scheibe, die sie von der Fahrerkabine trennte. „Es würde Ihnen nur nichts bringen, da wir hier in einem absolut schallisolierten und kugelsicheren Kokon sitzen.“

„Was hat das kugelsicher zu bedeuten?“, fragte sie irritiert.

„Schussfestes Glas. Ich erwähne es nur für den Fall, dass Sie versuchen sollten, die Seitenscheiben einzuschlagen. Wäre doch schade, wenn Sie unnötig Ihren hübschen Ellenbogen malträtieren.“

„Mein Ellenbogen kann Ihnen doch egal sein, da Sie mir ohnehin Gewalt antun.“

„Davon ist überhaupt nicht die Rede.“

„Und wie nennen Sie es dann, wenn Sie mich gegen meinen Willen sonst wohin verschleppen?“

„Nicht sonst wohin …“ Sondern? Wenn ich das nur selbst wüsste!

Leider hatte Zayn nicht die leiseste Ahnung, wie viel diese nervtötende Frau tatsächlich gehört hatte. Ob sie seine Position kannte und wusste, worüber James Chatsfield und er geredet hatten. Solange das nicht geklärt war, wollte er keine unnötigen Fakten offenlegen.

„Sondern? Geben Sie mir doch einen Tipp“, forderte sie ihn heraus. „Vielleicht gefällt mir ja das Reiseziel.“

„Tut mir leid, aber das geht nicht.“

„Ha!“ Keine Frage, sie war verstimmt. „Ehrlich gesagt, habe ich keinen Schimmer, was das Ganze soll. Schließlich bin ich ein Niemand … oder nein, ganz im Gegenteil: Ich bin Jemand! Ich arbeite nämlich für eine sehr renommierte Zeitung, und wenn Sie mich nicht augenblicklich gehen lassen, werde ich …“

„Sie sind Journalistin?“, unterbrach er sie scharf.

Sein aufgeschreckter Ton ließ sie ihre Taktik augenblicklich ändern. „Oh ja, und sogar eine Art Starreporterin! Ebenso erfahren wie unerschrocken. Investigativer Journalismus, Sie verstehen?“

„Was hatten Sie wirklich in der dunklen Gasse verloren?“ Er musste es wissen. Denn wenn sie die Wahrheit sagte, konnte sie ihm noch weitaus gefährlicher werden als ein abgelegtes Betthäschen von James Chatsfield.

Allein die Vorstellung, dass diese Kanaille Leila vor aller Welt bloßstellen und damit quasi den Wölfen der gesamten Weltpresse zum Fraß vorwerfen könnte, bereitete ihm Übelkeit. Dass der Informant eine Frau war, würde die Verfehlung seiner kleinen Schwester – bei der man als Prinzessin ohnehin strengere Maßstäbe anlegte – in aller Augen noch viel schlimmer erscheinen lassen.

Das darf nicht geschehen!

Massive Bedrohungen erforderten ebenso radikale Mittel, um sie abzuwenden. In Zayns Adern floss das heiße Blut seiner Vorfahren, durchweg tapfere Wüstensöhne, denen Ehre und Familie alles bedeuteten. Wenn nötig, würde er diese Reporterin einfach mundtot machen, zumindest vorübergehend. Selbst, wenn er sie dazu nach Surhaadi verschleppen müsste.

Sein unfreiwilliger Fahrgast schien den Stimmungswechsel zu spüren und nach weiteren Finten und Tricks Ausschau zu halten, um sich aus der misslichen Lage zu befreien. Egal, was sie jetzt noch hervorbrachte, er würde ihr kein einziges Wort glauben.

„Also, ehrlich gesagt, habe ich mich an James’ Fersen geheftet, weil ich einer Sache auf der Spur bin, die seine Familie betrifft.“

„Wie ich annehme, handelt es sich dabei um etwas, was die Chatsfields nicht unbedingt öffentlich machen wollen?“, fragte Zayn lauernd.

„Tja, vermutlich nicht. Aber offenbar scheinen Sie ebenso wenig wie ich zur Fangemeinde von James Chatsfield und seiner Entourage zu gehören. Also dürfte Sie die aktuell aufpolierte Reputation der Hoteldynastie auch nicht gerade begeistern.“

„Was genau haben Sie im Visier?“

„Einen Skandal.“

„Natürlich, was denn sonst als investigative Journalistin?“, murmelte er zynisch und noch beunruhigter als zuvor. „Aber woraus schließen Sie, dass ich kein ausgesprochener Fan von James Chatsfield bin?“

„Wie sollten Sie, wenn ein Mann wie er sich an Ihre Schwester herangemacht hat?“

Zayn hatte das Gefühl, sein Blut sei plötzlich zu Eis gefroren. Egal, was noch kommen würde, eines war klar: Diese smarte Blondine, die er offenbar völlig unterschätzt hatte, wusste jetzt schon viel zu viel. Mit einer renommierten Zeitung im Rücken war sie so etwas wie eine tickende Zeitbombe, die unbedingt entschärft werden musste.

„Ja, in der Tat …“, murmelte er abwesend, während sein Hirn fieberhaft arbeitete. Dann beugte Zayn sich abrupt vor und drückte auf einen Knopf. „Wir fahren nicht zurück ins Hotel, sondern direkt zum Flughafen“, ordnete er seinem Chauffeur an.

2. KAPITEL

Es gehörte einiges dazu, um Sophie Parsons aus der Fassung zu bringen. Denn als eines dieser schüchternen Mauerblümchen hätte sie es unter Garantie nie bis dahin geschafft, wo sie heute stand.

Momentan fühlte sie sich allerdings extrem überfordert. Was angesichts der herrschenden Umstände wohl jeder nachvollziehen konnte. Immerhin hatte sie ein dunkler Fremder, der mindestens einen Kopf größer war als sie, in eine Limousine gezwungen, die offenbar auf direktem Weg den John F. Kennedy International Airport ansteuerte.

Sophie starrte aus der Seitenscheibe auf die vorbeifliegende Stadtkulisse, ohne wirklich etwas zu sehen.

„Die Türen sind verriegelt.“

Wie es aussah, war er nicht nur ein skrupelloser Kidnapper, sondern auch noch Gedankenleser. Obwohl er sich durch das Wort Kidnapper offensichtlich brüskiert fühlte. Aber das war ihr egal. Wenn hier jemand Grund hatte, brüskiert zu sein, dann doch wohl sie.

„Danke für die Info, aber ich würde nie auf den Gedanken kommen, mich aus einem fahrenden Wagen fallen zu lassen“, behauptete sie nicht ganz wahrheitsgetreu. „Obwohl ich nicht weiß, ob ich besser dran bin, wenn ich neben Ihnen sitzen bleibe und mich in mein Schicksal ergebe.“

„Von mir haben Sie nichts zu befürchten.“

Zum ersten Mal wandte sie sich ihm direkt zu. In der Gasse hinter dem Hotel war es zu dunkel gewesen, um seine Gesichtszüge genauer studieren zu können. Auch die gedimmte Beleuchtung in der Limousine erwies sich in dieser Hinsicht als nicht sehr hilfreich. Doch soweit Sophie es beurteilen konnte, war er außerordentlich attraktiv.

Was für eine abwegige Charakterisierung ihres Entführers! Aber in ihrem Job war eine ausgeprägte Beobachtungsgabe unerlässlich. Neben hohen, fein gemeißelten Wangenknochen zeichneten ihren Kidnapper eine feste Kinnlinie und ein gut geschnittener Mund aus, der einen gewissen Hang zur Melancholie verriet. Oder eher zur Grausamkeit?

„Was genau haben Sie eigentlich mit mir vor?“ Sie wollte es endlich wissen. Denn wenn er beabsichtigte, ihr etwas anzutun, musste sie allmählich anfangen, sich eine Art Waffe aus den Büroklammern und ihrem Kugelschreiber zu basteln, die in den Untiefen ihrer Handtasche lagen.

„Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssten.“

„So alltäglich diese Aktion Ihnen vielleicht erscheint, mache ich mir bereits seit einiger Zeit Sorgen darüber, was gerade mit mir geschieht“, gestand Sophie trocken. „Es sei denn, Sie interessieren sich rein theoretisch für Enthüllungsjournalismus und …“

„Weder fachlich noch persönlich!“, kam es schneidend zurück.

Nein, natürlich tut er das nicht. Allein schon deshalb, weil er offenbar selbst zu der Sorte Mensch gehört, die gewöhnlich zu den bevorzugten Opfern karrieresüchtiger Reporter zählt. Allerdings gefielen Sophie die möglichen Alternativen seines unverständlichen Interesses an ihrer Person noch viel weniger …

Verdammt! Dabei hatte sie doch nur ihrer Freundin Isabelle helfen wollen! Leider hatte sie außer Acht gelassen, dass der Versuch, einen Skandal im Umfeld der Chatsfield-Familie auszugraben, offenbar auch damit enden konnte, sich plötzlich in der Gewalt eines ebenso beunruhigenden wie attraktiven Fremden wiederzufinden. Und all das nur, um Spencer Chatsfield aus dem Dunstkreis ihrer Freundin zu vertreiben.

Sophie hatte gehofft, es würde reichen, sich an die Fersen von James Chatsfield, den sie als lohnendstes Opfer eingeschätzt hatte, zu heften, um zum gewünschten Ziel zu kommen.

Die Chatsfield Hotel-Dynastie kaprizierte sich nämlich aktuell auf eine feindliche Übernahme der Harrington Hotels. Wobei sich Spencer Chatsfield offenbar vorgenommen hatte, Isabelle Harringtons Leben gnadenlos zu ruinieren, als wenn er ihr in der Vergangenheit nicht bereits genug angetan hätte!

Deshalb hatte ihre Freundin sie gebeten, etwas Anrüchiges über ein Mitglied der berühmt-berüchtigten Hoteldynastie herauszufinden, um der geifernden Pressemeute einen Knochen vorzuwerfen, der zur Skandal-Headline taugte. Und während die Chatsfields um Schadensbegrenzung bemüht wären, hätte Isabelle Zeit und Gelegenheit, die notwendigen Bollwerke zu errichten, um den Harrington-Familienbetrieb zu schützen.

Kein schlechter Plan, wie Sophie immer noch fand. Faktisch jedoch war sie nicht wirklich die Starreporterin vom Herald, sondern genau genommen hauptsächlich zuständig für den benötigten Kaffeenachschub ihrer Kollegen und kleinere Artikel, die unter der Rubrik Gesellschaftsnachrichten veröffentlicht wurden. Was sie in ihren eigenen Augen durchaus qualifizierte, sich auch über die Befindlichkeiten der Chatsfields zu äußern.

Inzwischen begann sie allerdings am Erfolg ihrer Mission zu zweifeln. So liebend gern sie ihrer Freundin aus deren Dilemma geholfen hätte, war Sophie sich ihrer selbst längst nicht mehr sicher.

„Also, was haben Sie mit mir vor?“, fragte sie inquisitorisch, um ihre aufsteigende Unsicherheit und Panik zu kaschieren.

„Im Grunde nichts Spektakuläres“, lautete die kryptische Antwort. „Ich werde Sie einfach eine Weile beschäftigt halten müssen.“

Sophie versuchte zu ignorieren, dass sich ihre Nackenhärchen sträubten. „Falls Sie so eine Art von Schnitzeljagd im Sinn haben …“

„Eher weniger.“

„Was erwartet mich dann?“, fragte sie offensiv und gewollt flapsig. „Soll ich etwa Ihre Sockenschublade durchsortieren?“

Zayn lächelte schwach. „Schon wärmer …“

„Okay, spucken Sie es aus, ehe ich anfange zu hyperventilieren.“

„Wissen Sie, wer ich bin?“, fragte er in völlig verändertem Ton.

„Ich habe da so eine Idee.“ Genauer gesagt hatte sie von seinem Disput mit James genügend Details aufgeschnappt, um eins und eins zusammenzuzählen. Da dieser dunkle Fremde James Chatsfield der Verführung seiner Schwester bezichtigte, die offenbar eine Prinzessin war, musste er selbst demnach eine Art Königliche Hoheit sein. Wenn kein royaler Bastard, dann wahrscheinlich ein Prinz, Scheich oder Ähnliches. Hätte sie ihr Notebook parat, würde eine Internetrecherche sicher schnell Aufklärung bringen. Vielleicht, wenn sie ihr iPhone …

„Ich bin Scheich Zayn Al-Ahmar aus Surhaadi. Und Sie werden mich in meine Heimat begleiten.“

Sophie traute ihren Ohren nicht und spürte, wie sich ihr Magen unangenehm zusammenzog. „Was soll das heißen, ich werde Sie begleiten?“

„Genau das, was ich sage. Sie bleiben eine Weile als mein Gast in Surhaadi. Und zwar so lange, bis ich weiß, wie ich mit Ihnen weiter verfahren soll.“

„Nun, ich glaube nicht, dass mir der Plan sonderlich zusagt.“

Im Gegensatz zu ihr, schien dieser Scheich sich langsam zu entspannen. Er lehnte sich bequem zurück und streckte die langen Beine von sich. Wie eine träge Katze, schoss es Sophie durch den Kopf. Als wenn es zu seinen täglichen Gepflogenheiten gehörte, fremde Frauen von New Yorks Straßen zu kidnappen. Doch das kaufte sie ihm nicht ab. Mit der vorgetäuschten Entspanntheit wollte er sie nur einlullen und in falscher Sicherheit wiegen.

„Alles, was momentan geschieht, hat nichts mit Wollen zu tun“, klärte sie ihr Kidnapper auf. „Glauben Sie wirklich, ich möchte Sie mit in mein Land nehmen?“

Bei diesen Worten schöpfte Sophie Hoffnung. „Na, wenn das nicht so ist, kürzen wir das Ganze doch einfach ab. Sie lassen mich Ihnen bei Ihrem Problem helfen, wozu ich in Grenzen absolut bereit bin, alle sind glücklich, und ich ziehe wieder meiner Wege.“

„Ich fürchte, so einfach geht das nicht.“

„Jetzt mal raus mit der Sprache!“, forderte Sophie mit dem Mut der Verzweiflung. „Was ist es genau, das Sie von mir wollen?“ Langsam war sie bereit, alles zu tun … oder wenigstens so ziemlich alles, um diesen Albtraum abzukürzen.

„Ihr Schweigen, Habibti …“ Sein hartes Gesicht gab nichts preis, nur die dunklen Augen glitzerten. „Unter normalen Umständen würde ich es mir von Ihnen erkaufen, aber diese Angelegenheit ist von zu großer Brisanz, um auch nur das kleinste Risiko einzugehen. Ich kann nicht zulassen, dass Sie mein Geld nehmen und trotzdem plaudern.“

„Ich habe ein sehr ausgeprägtes Ehrgefühl“, wehrte sie sich pikiert. „Und außerdem einen riesigen Stapel Rechnungen in der Schublade. So gesehen erscheint mir Ihr Angebot mit dem Schweigegeld durchaus als sinnvoll.“ Langsam dämmerte es Sophie, dass die Situation ernster und ihre Lage verzweifelter war, als sie bisher angenommen hatte. Fast wünschte sie sich, diesem faszinierenden Scheich nie begegnet zu sein.

„Wie gesagt, unter normalen Umständen … aber zu etwas anderem. Mit welcher Skandalstory wollen Sie den Chatsfields eigentlich schaden? Allein was James betrifft, gibt es schon mehr Stoff, als Sie je für Ihre Zeitung gebrauchen können. Begleiten Sie mich in meinen Palast, und ich werde Sie über die dunklen Familiengeheimnisse der Chatsfields aufklären.“

Fast hätte Sophie höhnisch geschnaubt. Oh, nein! So naiv, wie dieser Scheich dachte, war sie nicht. Er zwang sie wohl kaum, ihm in sein Land zu folgen, nur um ihr dort irgendwelche brisanten Fakten für ihren Skandalartikel zukommen zu lassen.

„Ich traue Ihnen nicht.“

„Vertrauen ist zweifellos etwas, das unser Verhältnis nicht belasten wird“, bestätigte er gelassen. „Aber darum geht es hier auch nicht, sondern …“

„Wo … wo sind wir hier?“, fragte Sophie abgelenkt und starrte angespannt aus dem Seitenfester. Die Limousine war vor der Abfahrt zum Flughafen in eine Straße abgebogen, die sie nicht kannte. Nicht, dass sie häufig verreiste, aber hin und wieder brachte sie Freunde zum Airport, wenn diese in Urlaub flogen.

„Dies ist ein privater Teil des Flughafens für Celebrities. Das erlaubt uns, auf die sonst übliche Bürokratie zu verzichten.“

Langsam ergaben die Puzzleteile in ihrem Kopf ein Bild, nur wusste Sophie nicht, ob es ihr gefiel.

„Ich muss Sie für eine Weile aus dem Weg räumen, und Surhaadi ist dafür der beste Ort. Dort kann ich ohne viel Aufwand ein Auge auf Sie haben. Aber keine Angst, Sie werden für die etwas misslichen Umstände reichlich entschädigt.“

Sophie schauderte unmerklich. „Ich habe hier in New York einen Job und ein reges Privatleben. Ich kann nicht einfach so von der Bildfläche verschwinden.“ Okay, das mit dem regen Privatleben war vielleicht geprahlt. Denn ihren Job übte sie gewissenhaft und sehr engagiert in einer Sechzig-Stunden-Woche aus, die nächste Stufe der angepeilten Karriereleiter immer fest im Auge. Sich aus ihrer benachteiligten Lebenssituation konsequent nach oben zu arbeiten war ihr quasi zur zweiten Natur geworden.

Den sicheren Arbeitsplatz beim Herald verdankte sie Isabelle. Darum schuldete sie ihrer Freundin etwas. Außerdem lag es in ihrer Natur, jede sich bietende Chance zu ergreifen. Was sie dabei beflügelte, waren eiserne Entschlossenheit, um nicht zu sagen Sturheit, und das brennende Gefühl im Magen, vom Schicksal ungerecht behandelt worden zu sein. Ein Umstand, den Sophie aus eigener Kraft zu ändern gedachte.

Allein deshalb bedeutete ihr der Job beim Herald, den sie ohne Isabelles Vermittlung nie bekommen hätte, auch sehr viel. Ihn für unbestimmte Zeit und ohne Erklärung aufzugeben war undenkbar!

„Für wen arbeiten Sie eigentlich?“

Der Mann kann offenbar tatsächlich Gedanken lesen. „Beim New York Herald. Mein Job ist mir sehr wichtig. Ich kann nicht so …“

„Ich rufe Ihren Boss an und rede mit ihm.“

„Oh … unmöglich!“, entschied Sophie. „Das werden Sie nicht tun.“ So wie sie Colin kannte, würde er dahinter unter Garantie eine Story wittern und nicht lockerlassen. Ihr Boss hatte die Moral eines Aasgeiers und die Spürnase eines Bluthunds. Ein ehrgeiziger Emporkömmling, der sich eine reiche Frau geangelt hatte und ihre Verbindungen dazu nutzte, sich selbst in die Position des Herausgebers zu hieven. Hinter dem Rücken seiner ergebenen Gattin stieg er mit Frauen ins Bett, die vom Alter her durchweg seine Töchter hätten sein können.

Zudem war er der geborene Opportunist, aber nicht vorsätzlich hinterhältig, nach Sophies Erfahrung. Trotzdem wollte sie ihn nicht auf ihre Spur setzen.

„Nun, da ich weiß, wo Sie arbeiten, könnte ich doch einfach Ihren Ausweis aus Ihrer Tasche nehmen, Ihren Boss beim Herald anrufen und ihm mitteilen, dass seine Starreporterin den Scheich von Surhaadi brüskiert hat, und verlangen, dass er Sie rauswirft.“ Mit dem Handy in der Hand schaute ihr Peiniger sie auffordernd an.

Kalte Furcht presste Sophies Magen zusammen wie eine eiserne Faust. Sie hasste dieses Gefühl. Sich nicht gegen solche Menschen und Umstände wehren zu können, allein weil sie von geringerer Geburt war!

Das ist ungerecht! Ich müsste dazugehören! Nur weil mein Vater mich nicht …

„Sie glauben doch nicht wirklich, dass Sie damit durchkommen?“

„Ich wüsste nicht, was dagegen spräche.“

„Vielleicht in einer anderen Branche, aber nicht im Medienbusiness“, versuchte Sophie verzweifelt, sich den Anschein von Souveränität zu geben. „Wenn Reporter einen Skandal auch nur von Weitem wittern, lassen sie nicht locker. Und kein Pressemann würde mich feuern, wegen eines kleinen … Zwists mit einem Scheich.“

Zayns Augen wurden schmal. „Und genau da irren Sie sich. Denn im Gegensatz zu Ihnen kann ich Ihrem Boss eine viel lukrativere Story anbieten als die, die Sie sich aus den Bruchstücken zusammenzimmern würden, die Sie in der dunklen Gasse hinter dem Hotel aufgeschnappt haben. Also legen Sie sich besser nicht mit mir an.“

„Tss …“ Sophie mochte es nicht, in die Enge getrieben zu werden, und schüttelte den Kopf. „Irgendwie glaube ich nicht, dass mein Boss mich feuern würde, nur weil ich zufällig aufgeschnappt habe, dass James Chatsfield mit Ihrer Schwester Leila geschlafen hat …“

„Es gibt zwei Komponenten in meinem Leben, die mir alles bedeuten“, eröffnete Zayn ihr nach einer atemlosen Pause. „Das sind meine Familie und mein Volk. Und ich bin bereit, alles zu tun, um sie zu beschützen. Und in diesem Moment habe ich das Gefühl, genau dazu gezwungen zu werden.“

„Ich zwinge niemanden zu irgendetwas!“, konterte Sophie. Wann immer sie in echte Bedrängnis geriet, drehte sie den Spieß einfach um und versuchte, selbst zuzubeißen.

„Das tut schon allein Ihre Anwesenheit. Ihr Name?“

„Warum sollte ich Ihnen den verraten?“, fragte sie patzig und kassierte dafür einen Blick, der ihr sagte, dass dieser Mann keine Mittel scheuen würde, um zu bekommen, was er wollte.

„Sophie Parsons.“

„Und Ihr Boss?“

„Colin Fairfax“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Telefonnummer?“

Während sich Sophies Gedanken überschlugen, rasselte sie die Nummer herunter. Wenn Sie Colin erst am Apparat hätte, könnte sie ihm vielleicht einen Wink bezüglich ihrer misslichen Lage geben und …

„Ich rufe wegen einer Ihrer Angestellten an, Sophie Parsons.“

Offenbar war die Verbindung bereits zustande gekommen. Sophie lauschte angestrengt, hörte aber nur undeutliches Gemurmel.

„Nein, Sie hat nichts falsch gemacht. Sie sitzt hier neben mir … genauer gesagt, sie ist in der Gesellschaft des Scheichs von Surhaadi … ja, genau der. Wir sind zufällig ins Gespräch gekommen, und Miss Parsons hat reges Interesse an meiner bevorstehenden Hochzeit bekundet. Freundlicherweise hat sie sich bereit erklärt, mich nach Surhaadi zu begleiten, da sie glaubt, Sie könnten sich für eine Reportage … ja?“

Sophies Mund stand vor Staunen weit offen. Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass sich aus dieser absurden Situation möglicherweise etwas durchaus Lukratives für sie ergeben könnte. Etwas, das ihr noch mehr bedeutete als Geld. Erfolg, Anerkennung, Ruhm. Plötzlich rückte die nächste Sprosse auf der Karriereleiter in Sicht.

Aber was ist mit dem Versprechen, das ich Isabelle gegeben habe?

Andererseits, wenn sie ihren Widerstand nicht aufgab oder sogar versuchte zu fliehen, machte der Scheich seine Drohung womöglich wahr und sorgte dafür, dass ihr beim Herald gekündigt wurde. Und ohne ihren Job konnte sie für Isabelle noch weniger tun als in diesem Augenblich.

„Ja, sie ist tatsächlich eine sehr charmante junge Dame und erscheint mir außerordentlich kompetent“, hörte sie ihren Begleiter sagen. „Ich bin absolut fasziniert und werde ihre zukünftigen Karriereschritte mit Interesse verfolgen.“

Was ihr Boss darauf antwortete, verstand sie zwar nicht, aber seine Stimme klang plötzlich anders als gewohnt.

„Ich bin nicht sicher, wie lange sie in Surhaadi bleiben wird. Aber übers Internet kann Miss Parsons ja Kontakt zu Ihnen halten. Natürlich als Exklusivstory für Ihr Blatt, Mr. Fairfax. Sie wird sich so bald wie möglich bei Ihnen melden …“ Ohne eine Miene zu verziehen, steckte Zayn das Handy wieder ein. „Na, das lief doch gar nicht so schlecht, oder?“

„Für Sie vielleicht!“, fauchte Sophie. „Ich mag es nicht, wenn man über mich verfügt, ohne dass ich nach meiner Meinung gefragt werde.“

„Auf jeden Fall ist mit Ihrem Boss alles geregelt“, resümierte Zayn unbeeindruckt. „Er war ganz begeistert von der Aussicht auf eine Exklusivstory. Und sollten Sie sich weigern, ihm die zu liefern, tritt automatisch wieder Plan A in Kraft, der mit Ihrer Kündigung endet. Warnung angekommen?“

„Was habe ich denn für eine Chance gegenüber grenzenlosem Despotismus? Sie setzen alles dran, um Ihren Skandal zu vertuschen, aber was ist mit meinem Skandal? Ich habe mich schließlich nicht für mich selbst in dieser dunklen Gasse herumgedrückt, sondern für jemand anderen recherchiert. Für eine Freundin, die mir sehr wichtig ist.“

„Begleiten Sie mich nach Surhaadi, und Sie bekommen Ihren Skandal.“

In seinem Blick suchte Sophie nach Anzeichen von Milde, Mitleid oder womöglich Sympathie für ihre aussichtslose Lage. Doch die dunklen Augen gaben nichts preis. Was blieb ihr schon für eine Wahl?

„Also gut, dann auf nach Surhaadi …“

So viel dekadenten Luxus wie in Zayns Privatflugzeug hatte Sophie nie zuvor gesehen. Und dabei war das gar nicht mal so wenig gewesen in den Jahren, nachdem ihre Mutter und sie ihre dürftige Existenz in einer ärmlichen Umgebung aufgegeben hatten, wo immer die Gefahr bestand, dass jemand die Identität ihres Vaters herausfinden könnte.

Aber Luxusjets wie diesen hatte sie noch nie zu Gesicht bekommen.

Sophie war in einem absoluten Ausnahmezustand. Wie sonst war es zu erklären, dass sie als Entführungsopfer mit staunenden Augen die butterweiche Qualität des Leders der Flugzeugsitze bewunderte. Doch wenn sie versuchte, den beängstigenden Abgründen in ihrer Seele nachzuspüren, würde sie womöglich komplett den Verstand verlieren. Also hielt sie lieber an dem ihr eigenen Pragmatismus fest, der ihr bereits aus vielen Klemmen geholfen hatte.

Irgendwie musste sie schließlich dieses Entführungsabenteuer überleben.

„Im hinteren Teil des Jets gibt es zwei Schlafräume. Sie können den nutzen, der Ihnen am meisten zusagt“, bot ihr Kidnapper an, als ginge es um die Gästezimmer anlässlich einer Wochenend-Dinnerparty auf dem Land. „Sollten Sie es vorziehen, die Flugzeit hier in der Kabine zu verbringen, ist es auch in Ordnung. Darf ich Ihnen einen Drink servieren?“

„Sehr freundlich von Ihnen, aber ich denke, ich bleibe bei dem Drink.“

Dabei hatte sie sich noch nie viel aus Cocktails oder Ähnlichem gemacht. Seit sie Isabelle zu ihren Freundinnen zählte, bekam Sophie oft genug Gelegenheit, an Plätzen zu speisen und zu feiern, die normalerweise weit außerhalb ihrer Reichweite und erst recht jenseits ihres eher schmalen Budgets lagen. Trotzdem hatten sie sich meistens für eine Suppe oder einen Salat zum Glas Mineralwasser als Menü entschieden. Natürlich hätte Isabelle liebend gern die Zeche für ihre Freundin übernommen, doch in Sophie sträubte sich alles gegen den Gedanken, ausgehalten zu werden, aus welchen Gründen auch immer.

Davon abgesehen war es für sie einer der größten Anreize, sich auszumalen, dass sie sich eines Tages statt spärlicher Appetizer den großen Fischteller bestellen und selbst bezahlen könnte. Aber natürlich war ein gesellschaftliches Entree auf Basis einer maritimen Gourmetplatte nicht der Gipfel ihrer ehrgeizigen Ambitionen.

Schon immer hatte sie Opfer bringen und hart arbeiten müssen. Sowohl für ihre Ausbildung als auch für ihr gesellschaftliches Prestige. Auf diese Weise hatte Sophie sich Anerkennung und gewisse Privilegien erworben, die ihr normalerweise von Geburt an zugestanden hätten, wäre sie nicht eines der illegitimen Kinder ihres Vaters gewesen.

Wie zum Beispiel eine Universitätsausbildung – für ihre Halbgeschwister so etwas wie ihr Geburtsrecht, während sie und ihre Mutter verborgen im Abseits leben mussten. Ein Umstand, der Sophie darin bestärkt hatte, der ganzen Welt zu beweisen, dass sie nicht auf das Geld und die Unterstützung ihres Erzeugers angewiesen war. Ihr Journalismus-Studium hatte sie als Jahrgangsbeste abgeschlossen, doch jetzt, nach drei Jahren beim Herald, die sie hauptsächlich mit Kaffekochen und kleinen Artikeln über regionale Ereignisse gefüllt hatte, war ihr anfängliches Triumphgefühl etwas geschrumpft.

Trotzdem hielt sie an ihrem Enthusiasmus fest, der ihre einzige Chance war, auch noch den Rest der abgesteckten Strecke bis zur Spitze ihrer Karriereleiter zu bewältigen. Und darum würde sie auch jetzt nicht klein beigeben. Das tat sie für sich und für Isabelle.

Immerhin hatte der Scheich ihr skandalträchtige Fakten über die Chatsfields in Aussicht gestellt. Keine schlechte Sache, obwohl es implizierte, dass sie noch eine Weile mit dem Mann auskommen musste, der sich ihr bisher als ziemlich harter Knochen präsentiert hatte. Und jetzt schien er auch noch zu erwarten, dass sie über seine Hochzeit schrieb, die offenbar demnächst in … wo war das noch? … in Surhaadi stattfand.

Also sollte sie allmählich damit anfangen, sich auf die neue Umgebung einzustellen. Ab sofort würde sie die Starreporterin sein, für die sie sich bereits ausgegeben hatte, obwohl dieser Scheich-Hochzeit für Sophies Geschmack ein bisschen zu viel Bling-Bling anhaftete. Für eine aufstrebende investigative Journalistin keine wirkliche Herausforderung, aber gemäß dem lateinischen Sprichwort galt: Per aspera ad astra.

In diesem Fall wohl eher: Durch sandige Wüstenpfade zu den Sternen.

„Welchen Drink bevorzugen Sie?“, fragte Zayn.

„Oh, irgendetwas Rotes würde ich sagen. Womit stoßen Sie für gewöhnlich auf eine gelungene Entführung an? Mit Champagner?“

„Die meisten würden dafür wohl etwas Härteres wählen.“

„Aha! Also geben Sie zu, mich entführt zu haben!“, rief sie triumphierend.

Gelassen schlenderte Zayn zu einem reich ornamentierten Barschrank. „Ich sehe keinen Grund, sich über semantische Spitzfindigkeiten auseinanderzusetzen. Das ändert ohnehin nichts.“ Er wählte eine Flasche Rotwein aus und öffnete sie.

„Vielleicht muss ich ja auch einfach nur ein bisschen Dampf ablassen.“

Er hob die Brauen. „Ich wüsste nicht, aus welchem Grund. Es läuft doch fantastisch für Sie. Es sei denn, in New York wartet ein verschmähter Liebhaber, den Sie heute Abend treffen wollten.“

Was für eine lächerliche Vorstellung! Aber sie musste ihm ja nicht unbedingt auf die Nase binden, dass sie für romantische Tändeleien wenig übrighatte. Wo sollte sie auch die Zeit dafür hernehmen? Vielleicht, wenn sie endlich ihr selbst gestecktes Ziel erreicht hatte. Und natürlich einen Mann fand, dem sie traute. Aber auch nur vielleicht …

„Für heute Abend stand nichts in meinem Terminkalender.“

„Dann würde ich doch denken, dass es für eine Journalistin Ihres Formats wesentlich reizvoller ist, im Privatflieger eines Scheichs Rotwein zu trinken als zu Hause auf dem Sofa zu hocken und sich Sitcoms anzusehen.“

Der Punkt ging eindeutig an ihn, aber das würde sie ihm nicht verraten.

„Mag sein. Hauptsache, bei diesem … Überraschungstrip kommt am Ende eine brauchbare Story für mich heraus. Womit kann ich denn jetzt genau rechnen? Seit Sie behauptet haben, im Besitz brisanter Informationen über die Chatsfields zu sein, waren Sie in dieser Hinsicht ziemlich schweigsam.“

Sophie hörte die Motoren des Jets dröhnen und spürte, wie sich ihr Magen hob. Sie war an so etwas nicht gewöhnt. Außer ein, zwei kurzen Inlandsflügen konnte sie keine weiteren Erfahrungen vorweisen. Hätte man sie gefragt, müsste sie selbst bei der Flugzeit und Entfernung zwischen New York und Surhaadi passen.

„James Chatsfield ist ein elender Mistkerl. Was das betrifft, können Sie mich ruhig als Quelle angeben und wörtlich zitieren.“

„Verzeihen Sie, Scheich Zayn“, erwiderte Sophie plötzlich professionell und förmlich. „Aber soweit ich informiert bin, existiert bereits eine ausführliche Dokumentation über James Chatsfield, deren Inhalt ich sehr gut kenne. Darin sehe ich wenig echtes Potenzial. Was ich suche, ist das Verborgene … ein Geheimnis.“

Der Jet nahm Fahrt auf, und Zayn wies auf einen der ledernen Sitze. „Besser, Sie nehmen Platz und schnallen sich kurz an“, riet er ihr und schien das Thema damit abschließen zu wollen.

Derart lässig wollte Sophie sich zwar nicht abwimmeln lassen, sie kam seiner Aufforderung aber trotzdem nach. Ihr Sitz war wirklich so bequem, wie er aussah. Ein Detail, das sie in ihrem journalistischen Unterbewusstsein unter der Sparte Lokalkolorit abspeicherte, um es in ihrem Erlebnisbericht Meine Reise im Privatjet des Scheichs von Surhaadi einsetzen zu können. Er selbst schien kein Problem mit dem Start des Jets zu haben, schenkte den gewünschten Rotwein ein und reichte ihn ihr. Als er sich ihr gegenübersetzte, fiel Sophie auf, dass er kein Glas in der Hand hielt.

„Ich glaube, uns beide verbindet mehr, als ich anfangs dachte“, gestand sie überraschend und nahm einen Schluck von ihrem Wein. Er war exzellent und hatte nur wenig mit dem zu tun, was sie sich ab und zu gönnte. „Uns beide gelüstet es nach Chatsfields Blut …“, fuhr sie fort, „… und ich kann es kaum erwarten, dass Sie mir helfen, es fließen zu sehen.“

„Später“, kam es für ihren Geschmack viel zu nüchtern zurück. „Sie werden Ihren Skandal noch früh genug bekommen. Zunächst reden wir über die anstehende Hochzeit.“

Stimmt! Die hätte ich fast vergessen …

Sophie versuchte, ihre Verwirrung zu verbergen. „Sie werden also heiraten, wenn ich das richtig verstanden habe?“

„So ist es geplant.“

Euphorisch wirkte er nicht gerade. Jetzt müsste sie ihn eigentlich mit dem üblichen Fragenkatalog bombardieren, um genügend Material zu sammeln, das sie später ausschlachten konnte. „Wann soll das Ereignis stattfinden?“

Ein seltsames Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. „In drei Wochen.“

„Dann sind Land und der Hofstaat bestimmt schon in heller Aufregung?“

„Um die Arrangements vor Ort kümmert sich mein Personal, während meine Verlobte ihre Vorbereitungen von ihrem Heimatland aus trifft.“

„Sie hält sich nicht in Surhaadi auf?“

„Nein, sie ist Prinzessin in einem kleinen europäischen Fürstentum. Das vierte Kind der Regenten, einziges Mädchen und lebt noch im elterlichen Palast.“

„Hm, eine Fernbeziehung also“, stellte Sophie mehr für sich fest. „Nachvollziehbar, aber nicht unbedingt ideal.“

Zayn zuckte mit den Schultern. „Was soll daran nicht ideal sein? Es besteht für Christine kein Grund, ihr gewohntes Leben vor unserer offiziellen Verbindung aufzugeben.“

Diese mehr als nüchterne Aussage verursachte Sophie ein seltsames Unbehagen, obwohl nicht einmal ihr ärgster Feind sie eine Romantikerin hätte schimpfen können. Aber wenn sie über eine Hochzeit dieser Größenordnung berichten sollte, brauchte sie unbedingt mehr Gefühl, mehr Zubehör wie … heimliche Stelldicheins, gefährliche Hürden, die es zu überwinden galt, bevor das Paar vor dem Traualtar landete. Im Fall eines Scheichs und einer europäischen Prinzessin möglicherweise noch diplomatische Verwicklungen, die nur eine wahre Liebe überwinden konnte.

Sophie riss sich zusammen. „Zum Glück fällt es weniger schwer, Gewohntes zu verlassen, wenn man jemanden liebt und …“

„Wer hat etwas von Liebe erwähnt?“

Ihre Blicke trafen sich, und Sophie spürte, wie ihr Herz sich zusammenzog. Warum habe ich das gerade gesagt? Ausgerechnet sie, mit einem Vater geschlagen, der ihrer Ansicht nach nicht einmal die Frau liebte, mit der er verheiratet war, äußerte sich zu so einem Thema? Ob ihr Erzeuger wenigstens ihre Mutter geliebt hatte? Sie bezweifelte es.

„Es ist kein Geheimnis, dass meiner Verbindung zu Prinzessin Christine eher politische Erwägungen zugrunde liegen als Emotionen“, erläuterte Zayn, da von ihr keine Antwort kam.

„Aber die ganze Welt ist wild nach romantischen Liebesgeschichten“, protestierte Sophie und trank noch einen Schluck Wein. „Ich bezweifele wirklich, dass die Öffentlichkeit sich für ein Paar begeistern kann, das allein aus praktischen Erwägungen heiratet.“

Was für ein Manko in der Hochzeitsstory eines Wüstenprinzen! Beim geplanten Interview mit Zayn musste sie das unbedingt im Auge behalten und versuchen, so viele aufregende Details aus ihm herauszulocken wie nur möglich. Wie sie Colin kannte, würde er die mangelnde Romantik in der Reportage unter Garantie sonst allein ihr ankreiden.

Zum Glück war sie ein echtes Multitasking-Talent!

Anders als ihre Kommilitoninnen, die von zu Hause gesponsert wurden, hatte sich Sophie während ihrer gesamten Studienzeit mit diversen Nebenjobs über Wasser gehalten. Und da sie nicht gleich nach dem Examen eine Anstellung bekam, jobbte sie zusätzlich zu wechselnden Praktika am Tag auch noch nachts als Kellnerin in einer Bar.

„Tja, ich befürchte, dann werden wir das geneigte Publikum eben enttäuschen.“

„Es sei denn, Sie entscheiden sich, ihm etwas anderes zu bieten.“

„Warum sollte ich das tun?“ Zayn wirkte ebenso irritiert wie interessiert.

„Um die öffentliche Meinung positiv zu beeinflussen. Für ein Wirtschaftsunternehmen, mit dem Sie sich ja zu vergleichen scheinen, eine unerlässliche Maßnahme.“ Mit jedem Wort wuchs Sophies Selbstsicherheit. Das war ein Spiel, dessen Regeln sie beherrschte. Denn auch in ihrem Leben hatte sie der Öffentlichkeit stets eine positive Fassade präsentieren müssen, ganz egal, wie es dahinter aussah.

An der Uni waren ihre Mitstreiter allein aufgrund ihrer Namen und ihrer Herkunft akzeptiert worden, während sie sich den Respekt der anderen verdienen musste. Sie konnte sich auch nicht die Eskapaden und Fehler ihrer Freundinnen leisten. Jeder noch so kleine Ausrutscher wäre bei ihr als offene Rebellion geahndet worden.

Es war eine harte Schule gewesen, die sie alles über die Manipulation der öffentlichen Meinung oder – in ihrem Fall – der Hochschulverwaltung und ihrer Kommilitonen gelehrt hatte.

„Das mag durchaus sein, aber zählt mein Bestreben, zwei Länder zu ihrem Besten miteinander zu verbinden, denn gar nichts?“

„Doch, sicher, für eine Menge Menschen ganz bestimmt. Aber was ist mit den anderen? Was schadet es der eingegangenen Fusion aus politischen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten, wenn sich bestimmte Leser für die Frisur der Braut und das Design des Brautkleids interessieren und Sie damit die romantische Schiene gleich mit abdecken?“

Zayn maß sie aus schmalen Augen. „Dann gebe ich Ihnen hiermit die offizielle Genehmigung, Ihre Hochzeitsreportage mit so viel Romantik zu spicken, wie Sie nur wollen.“

Sophie nahm einen weiteren Schluck Rotwein. „Ich verspreche, sie vor der Veröffentlichung gründlich zu überarbeiten und nicht zu übertreiben.“

„Umstände und Emotionen betreffend, die gar nicht existieren?“

Sie lächelte. „Eine ganz besondere Spezialität von uns Society-Reportern …“

Zum ersten Mal, seit dieser Scheich sie in einer dunklen New Yorker Gasse gekidnappt hatte, erlaubte er sich ein Lächeln. Zwar nur ein schwaches, aber immerhin. Dann fuhr er sich mit der Hand übers Kinn, das einen schwarzen Bartschatten aufwies. Das raue Kratzen ging Sophie durch und durch. Es war ein ausgesprochen maskulines Geräusch, und in ihrem Leben hatten Männer bisher keinen wichtigen Platz eingenommen.

Sie waren für sie wie eine fremde Spezies, und wenn Sophie sich das Exemplar ihr gegenüber betrachtete, schien es eine besonders exotische Variante zu sein.

Scheich Zayn wirkte auf sie fremd und anziehend zugleich. Die markanten Gesichtszüge, die nachtschwarzen Augen unter dichten, dunklen Wimpern und ein äußerst sinnlicher Mund hätten jede romantischere Frau, als sie es war, unweigerlich zum Träumen verführt.

Etwas weniger Härte, und man hätte ihn als schönen Mann bezeichnen können. Nein, schön war nicht das richtige Wort. Kraftvoll … mächtig. Ja, er verkörperte eine Stärke und Macht, wie Sophie sie selbst bei den einflussreichsten New Yorker Societygrößen bisher nicht wahrgenommen hatte. Vielleicht lag es an seinem Scheich-Status.

Andererseits wirkte er nicht wie ein Mann, der sich durch Gesetze, egal welchen Landes, davon abhalten ließ, sich zu nehmen oder zu vernichten, wonach es ihn gelüstete. Selbst der perfekt geschnittene Maßanzug wirkte nur wie eine Fassade, hinter der sich etwas weit weniger Zivilisiertes verbarg, als der erste Eindruck vermittelte.

Er ist gefährlich! stellte Sophie für sich fest und spürte ihr Herz plötzlich ganz oben im Hals schlagen. Doch anstatt sich zu fürchten, war sie fasziniert – warum, konnte sie selbst nicht sagen. Entschlossen legte sie die beunruhigende Erkenntnis unter der Rubrik ‚Männer sind mir ein Rätsel‘ ab und konzentrierte sich wieder auf ihr Gegenüber.

„Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass Vertreter der Presse die Angewohnheit haben, alles Mögliche zu implizieren, besonders zwischen den Zeilen.“ Er lächelte immer noch, doch sein Blick war düster und wachsam. Und sie sah noch etwas anderes in den dunklen Augen: eine schreckliche Leere, die Sophie frösteln ließ.

„Vielleicht überrasche ich Sie ja auch in dieser Hinsicht“, erwiderte sie leichthin.

Das Lächeln wurde breiter, und als Reaktion darauf schlug ihr Herz plötzlich noch schneller als zuvor.

„Vielleicht überraschen wir uns am Ende sogar beide“, kam es zurück.

3. KAPITEL

Nichts hätte Sophie auf die unfassbare Hitze vorbereiten können, die ihr entgegenschlug, als sie in Surhaadi aus dem Privatjet stieg. Keine Warnung oder exakte Kenntnis der Längen- und Breitengrade von der Lage des Wüstenstaats.

Selbst der Wind, der über ihr Gesicht strich, während sie die Gangway hinunter und weiter zur wartenden Limousine ging, war so heiß, als hätte jemand eine Backofentür geöffnet. Bereits nach dem ersten, flüchtigen Kontakt mit der sengenden Sonne brannte Sophies helle Haut wie Feuer. Nie zuvor hatte sie etwas Ähnliches erlebt. Doch trotz der unangenehmen Begleiterscheinungen war sie auch jetzt eher fasziniert als schockiert.

Und zwar in einem Maße, das ihr Unbehagen, mit dem sie seit der Anreise zu kämpfen hatte, überwog. Tatsächlich war es ihr sogar gelungen, einen Teil des Flugs zu verschlafen, nachdem sie sich nach ihrem kleinen Austausch über Liebesbeziehungen in die von Zayn angebotene Schlafkabine zurückgezogen hatte. In seiner Nähe zu sein machte sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund ganz kribbelig.

Obwohl … eigentlich ist es normal, sich in Gegenwart seines Entführers nicht unbedingt entspannt zu fühlen, oder?

Aber was sie empfand, war etwas anderes. Etwas, was nicht unbedingt mit der absurden Situation zusammenhing, in der sie steckte. Am besten sie ignorierte es und konzentrierte sich lieber auf die neue, exotische Umgebung, die wildromantische Wüstenlandschaft von Surhaadi und den im gleißenden Sonnenlicht erstrahlenden Palast, der im Näherkommen zunehmend überwältigend wirkte.

Hinter jedem der zahllosen Fenster schienen orangerote Flammen zu züngeln, jede Linie, jedes ornamentale Detail wirkte wie eine extra angestrahlte Bühnenkulisse. Im Zentrum der riesigen Dachlandschaft erhob sich eine blaue Kuppel, deren schimmernde Oberfläche als kunstvolles Fliesen-Mosaik gestaltet war.

Eine wahr gewordene, aktualisierte Fantasie der klassischen Märchen, die sie als Kind gelesen hatte. Allerdings hätte sie nie mit den enormen Ausmaßen und der Pracht gerechnet, die das Heim ihres Kidnappers auszeichneten. Selbst die luxuriösesten Familiensitze und Feriendomizile ihrer besser betuchten Freunde konnten da nicht mithalten.

„Na, was sagen Sie?“

Gerade hatten sie einen gewaltigen, Ehrfurcht gebietenden Torbogen passiert und fuhren in eine Art Vorhof, obwohl die Bezeichnung der weitläufigen Anlage kaum gerecht wurde. Die Wege zwischen gepflegten Beeten, in deren Zentren Brunnenskulpturen standen, waren mit glänzenden Mosaikfliesen ausgelegt.

„Ich denke, es wird gehen.“ Ihr Ton war so trocken wie die Wüstenregion, die sie gerade durchquert hatten.

Um Zayns Mundwinkel zuckte es. „Ich wage zu behaupten, nur wenigen Entführungsopfern wird eine Unterbringung wie diese gewährt.“

„Kommt drauf an.“ So schnell ließ Sophie sich nicht weichkochen. „Wer sagt denn, dass ich nicht gleich in einem dunklen, unterirdischen Palastkerker lande?“

„Sie werden sogar Ihr eigenes Quartier bekommen.“

„Oh …“ Mein eigenes Quartier in einem Scheich-Palast. Ob sie doch träumte?

„Egal, was Sie von mir denken, ich bin kein Tier, sondern nur ein Mann, der die Verantwortung für seine Familie trägt und sie unter allen Umständen schützen muss.“

Mit dieser Art von Loyalität hatte sie keinerlei Erfahrung, und einen atemlosen Moment wünschte sich Sophie, ein Mal in ihrem Leben die Empfängerin solcher Fürsorge zu sein, egal von welcher Seite sie ihr entgegengebracht würde. Selbst von ihm …

Was mag das für ein Gefühl sein, jemanden zu haben, der alles tun würde, nur um dich zu beschützen?

Ihre Mutter und sie hatten sich nie besonders nahegestanden und sich im Lauf der Jahre noch weiter voneinander entfernt. Die Frau, die ihr das Leben geschenkt hatte, kannte keinen anderen Ehrgeiz als den, die Geliebte eines reichen Mannes zu sein. Schlimmer noch, am Ende war sie nicht einmal mehr seine Gespielin, sondern sein missachtetes Spielzeug, gelangweilt aussortiert und fortan ignoriert. Nie brachte sie es fertig, ihr eigenes Kind in ihr Herz zu lassen, da es vollständig von einem Mann okkupiert war, dem nichts an ihr lag.

Sophie war nur allzu bereit gewesen, ihre Mutter zu lieben, hatte dazu aber nie eine Chance bekommen. Und was ihren Vater betraf, für den existierte sie eigentlich gar nicht. Abgesehen von Schecks zu ihren Geburtstagen, die sie für ihr Studium zurücklegte, bekam sie nichts von ihm: keine Liebe, keinen Schutz, keinen Funken Interesse.

Am besten sie konzentrierte sich wieder auf ihre prachtvolle Umgebung.

„Ist dies der Originalpalast oder eine Retro-Variante?“

„Der größte Teil des Palasts ist mehrere Hundert Jahre alt. In den letzten zwanzig Jahren wurden umfangreiche Renovierungen vorgenommen. Natürlich sind derart alte Bauwerke fantastisch und eindrucksvoll, allerdings wenig komfortabel, wenn man darin lebt.“

„Das kann ich mir denken.“ In Sophies Vorstellung hatte schon ein Haus, das mehr als fünfzig Jahre alt war, nur wenig modernen Komfort. Und jedes weitere volle Jahrhundert machte das Ganze bestimmt nicht bequemer – aber die Wirkung war fantastisch.

Die Limousine hielt, und Zayn stieg aus, ohne auf die Hilfe seines Fahrers zu warten. Er ging um den Wagen, öffnete die Tür auf Sophies Seite und mimte den ritterlichen Galan, anstatt sich als der Raubritter zu zeigen, den sie in ihm sah.

Sophie griff nach ihrer Tasche und stieg etwas steif von der langen Reise aus. Ein warmer Wind fuhr durch ihr Haar, und während sie sich eine honigfarbene Strähne aus der Stirn strich, begegneten sich ihre Blicke. Hoch aufgerichtet stand der Scheich von Surhaadi da, das dunkle Gesicht wie aus Granit gemeißelt.

„Gibt es ein Problem?“, erkundigte sie sich.

„Ich dachte nur gerade, wie seltsam und absurd das alles ist.“

„Was?“

Er zuckte mit den breiten Schultern. „Na, wie schnell sich Dinge ändern können.“

Sophie lachte spröde. „Wäre das nicht eine Bemerkung, die eigentlich mir zusteht?“

„Ich weiß, Sie fühlen sich von alldem belästigt und überfordert. Aber Sie bringen hoffentlich Verständnis dafür auf, dass die Situation für mich genauso schwierig ist.“

„Nein, absolut nicht. Und ich sehe dafür auch keine Notwendigkeit“, erklärte sie ihrem Kidnapper unumwunden.

Zayn seufzte. „Ganz davon abgesehen, dass ich nicht auf einen Gast eingestellt war, muss ich mich daneben auch noch um die Hochzeitsvorbereitungen kümmern.“

„Ich hoffe, Sie vergeben mir meine mangelnde Anteilnahme …“, murmelte Sophie sarkastisch, was ihr überraschenderweise eines seiner sparsamen Lächeln einbrachte.

„Durchaus. Folgen Sie mir, ich werde Sie zu Ihrem Zimmer geleiten.“ Damit wandte er sich um und marschierte in Richtung Palasteingang, ohne auf sie zu warten.

Bevor sie ihm folgte, holte Sophie tief Luft, sie musste auf jeden seiner Schritte zwei machen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Dabei drohten sie die mörderischen High Heels, für die sie sich gestern Abend entschieden hatte, fast umzubringen. Der Scheich überragte sie um Haupteslänge. Sie konnte ihm nicht einmal über die Schulter schauen. Über die breiten, muskulösen Schultern …

Alles Recherche für die anstehende Hochzeitsreportage, beruhigte sie sich selbst. Mit weiblicher Neugier und eigenen Befindlichkeiten hatte das nichts zu tun.

Wie durch Magie öffneten sich die Doppeltüren zum Palast, und sie betraten eine überraschend kühle Eingangshalle. In einer modernen Einkaufspassage hätte Sophie angesichts sich automatisch öffnender Türen keinen Gedanken an Magie verschwendet. Doch dieser seltsame Ort, die überraschende Mischung aus Alt und Neu, einem orientalischen Märchen und moderner Realität, regte ihre Fantasie an.

Um sie herum herrschte reges Getriebe von, wie Sophie vermutete, Palastangestellten, die ihr Erscheinen und das ihres Arbeitgebers komplett ignorierten. Wie Geister, die für die reale Welt unsichtbar blieben. Auch Zayn schien sie nicht zu registrieren, darum vermerkte Sophie das skurrile Verhalten für sich einfach als Hofprotokoll.

Selbst dass ihr Herrscher mit einer fremdländischen Frau an seiner Seite auftauchte, die zudem noch am frühen Morgen ein Party-Outfit trug, schien niemanden zu irritieren.

„Während Sie schliefen, habe ich telefonisch Anweisungen dafür getroffen, dass Ihre Unterkunft vorbereitet wird“, warf Zayn wie zur Erklärung über die Schulter zu ihr nach hinten.

Also hat man mich doch erwartet! Zumindest derjenige, der ihr Bett vorbereiten musste. Und neugierige Nachfragen waren hier unter Garantie nicht erlaubt.

„Okay, dann zeigen Sie mir, wo es langgeht.“ Erst jetzt merkte Sophie, wie erschöpft sie von der Reise und all den absurden Ereignissen tatsächlich war. Außerdem wollte sie endlich aus ihrem zerknitterten Kleid raus.

Verflucht! Ich habe ja gar nichts zum Wechseln mit! Nicht mal eine Zahnbürste!

„Ich habe nichts anzuziehen.“ Was für eine typisch weibliche Bemerkung, auf die sie auch prompt keine Antwort bekam. Wortlos marschierte Zayn weiter, blind für ihre Nöte und die prachtvolle Umgebung, die ihm, im Gegensatz zu ihr, offenbar ganz gewöhnlich vorkam.

Für Sophie war alles eine Offenbarung: die bunten Mosaiken auf dem Boden, die schimmernden Marmorsäulen und die gewölbten Decken, bestückt mit funkelnden Edelsteinen. Der gesamte Palast erschien ihr wie eine kostbare Schmuckschatulle. Wenn sie mit Hammer und Meißel nur etwas von den Ornamenten und dem Goldstaub an einer der Wände abschlug, würde es wahrscheinlich für mehrere Monatsmieten reichen.

Zayn geleitete sie einen langen Korridor entlang, der sich zu einer weiteren Halle öffnete, von der zwei geschwungene Treppen abgingen. Vor einer stoppte er abrupt.

„Hier geht es weiter.“ Seine Tritte waren auf den steinernen Stufen kaum zu hören. Sophie tat ihr Bestes, um mit ihm Schritt zu halten, wobei ihre High Heels ein lautes Echo in dem hohen Raum erzeugten.

„Dieser Teil des Palasts wird für gewöhnlich von besonderen Würdenträgern und Vertretern der Presse genutzt“, erklärte ihr Gastgeber, ohne sich umzuwenden.

„Ich weiß nur sehr wenig über Surhaadi, hätte aber nicht angenommen, dass Sie regelmäßig Besuch haben, egal ob Würdenträger, Journalisten oder sonst wen“, wunderte sich Sophie in schonungsloser Offenheit.

„Nicht in der letzten Zeit“, lautete die knappe Antwort.

„Soll heißen, in den vergangenen Jahren oder Jahrhunderten?“

„Für eine Familie, die so alt ist wie meine, ist eine Dekade so gut wie nichts.“

Sophie schluckte. „Für jemanden wie mich sind zehn Jahre eine Menge.“

Zayn blieb stehen und drehte sich zu ihr um. „Wie alt sind Sie überhaupt?“

„Fünfundzwanzig.“

„Kaum älter als meine Schwester …“, murmelte er rau.

„Ist das ein Problem?“ Aussehen tat es jedenfalls danach.

„Auf jeden Fall ist es sehr jung.“

„Kein Grund für Sie, sich deswegen den Kopf zu zerbrechen. Ich möchte behaupten, dass ich in vielerlei Hinsicht reifer als Ihre Schwester bin – oder sogar Sie selbst es in meinem Alter gewesen sind.“

„Soll heißen?“

„Menschen, die in einem derartigen Luxus leben, können sich gemeinhin länger Zeit lassen mit dem Erwachsenwerden.“

Zayn lachte, aber es klang ziemlich hohl. „Also, jugendlicher Naivität und Unschuld hat mich noch niemand bezichtigt.“ Damit marschierte er weiter. Dieser Teil des Palasts schien absolut verwaist zu sein, und das bei der Armada von Angestellten, die sich bereits in der Eingangshalle getummelt hatte. Allein in den Vorraum, den sie gerade durchquerten, hätte das Haus, in dem sie aufgewachsen war, zweimal gepasst.

Vor einer Doppeltür mit Intarsien in Jade und Gold hielt Zayn an.

„Ihr Zimmer“, verkündete er.

Da er keine Anstalten machte, die Türen zu öffnen, trat sie an ihm vorbei und stieß die massiven Holzflügel auf. Ihr neues Domizil schlicht als Zimmer zu bezeichnen war das Understatement des Jahrhunderts. Es handelte sich eher um eine großzügige Suite, von gewölbten Torbögen in einzelne Segmente aufgegliedert. Das Bett im hinteren Teil der Zimmerflucht hatte königliche Ausmaße, mit einem opulenten Himmel aus schimmernden Brokatstoffen, die in schweren Falten auf die seidene Teppichumrandung herabfielen.

Durch einen Torbogen auf der anderen Seite konnte Sophie in ein Bad schauen, das eher die Ausmaße eines Luxus-Spas aufwies, mit einer in den Boden eingelassenen Wanne in Größe eines Swimmingpools.

„Ich denke, Sie werden hier alles finden, was Sie benötigen. Und wenn nicht, dann zögern Sie keinesfalls, dem Personal Ihre Wünsche mitzuteilen. Oder mir selbst, falls Sie sich dabei unwohl fühlen sollten.“

„PC und Internet?“

Zayn schüttelte den Kopf. „Alles andere ist kein Problem.“

„Satelliten-Telefon?“

„Auch das leider nicht.“

Sophie schob das Kinn vor. „Als Sie sagten alles …“

„… meinte ich damit Drinks oder Schuhe in jeder gewünschten Größe und Farbe.“

„Schuhe?“

Mit erhobenen Brauen musterte Zayn ihre flippigen High Heels, die Sophie zunehmend unerträgliche Qualen bescherten. „Ich dachte, Sie könnten vielleicht etwas Bequemeres gebrauchen.“

„Gut beobachtet“, gab sie widerstrebend zu. „Aber Sie haben nicht wirklich Sachen zum Wechseln für mich besorgt, oder?“

„Das hat die persönliche Shopping-Assistentin meiner Schwester erledigt.“

„Und woher wussten Sie meine Konfektionsgröße?“

„Intuition“, behauptete er. „Was nicht passen sollte, kann getauscht werden.“

Sophie hob die Brauen. „Sie können Schuhgrößen schätzen?“

„Nein, die habe ich unter Ihren Schuhen abgelesen, als Sie im Jet geschlafen haben, aber die Kleidergröße ist tatsächlich nur grob geschätzt.“

Die Vorstellung, dass er sich um etwas so Intimes wie ihre Kleidergröße Gedanken gemacht hatte, ließ sie innerlich erbeben. Wie nah mag er mir dabei gekommen sein?

„Na, das ist … sehr fürsorglich.“

Zayn neigte leicht den Kopf. „Ich werde Sie jetzt allein lassen. Für heute Abend fühlen Sie sich formell zum Dinner eingeladen.“

„Und dabei sprechen wir dann über den Skandal?“

„Alles zu seiner Zeit.“ Damit ließ er sie allein.

Sophie holte tief Luft und stieß sie zischend wieder aus. Auf keinen Fall durfte sie sich von dem ablenken lassen, weshalb sie hier war. Die avisierte Hochzeitsstory war nichts als Augenwischerei, ebenso wie neue Schuhe, schicke Kleider oder ein exquisites Dinner. Was zählte, waren interne Informationen über die Chatsfields, um Isabelle wie versprochen helfen zu können. Dass ihre beste und treueste Freundin den familieneigenen Hotelbetrieb verlieren sollte, war unvorstellbar.

Das werde ich nicht zulassen!

Aber bevor sie sich zu neuen Taten aufschwang, wollte Sophie sich erst einmal frisch machen. Sobald sie sich wieder wie ein Mensch fühlte, würde sie sich etwas aussuchen, was sie zum formellen Dinner mit einem Scheich tragen konnte. Auf jeden Fall musste es dazu taugen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Irgendwie wurde sie den Gedanken nicht los, Zayn zu interviewen würde eher ein Kampf als ein Spaziergang werden. Und dafür brauchte sie die richtige Rüstung.

Nachdem Sophie aus ihrem Luxusbad zurück war, öffnete sie einen reich ornamentierten Schrank und inspizierte neugierig dessen Inhalt. Die Regenbogenvielfalt schillernder Farben und luxuriöser Stoffe verschlug ihr den Atem. Fast andächtig berührte sie mit den Fingerspitzen die filigranen Gewebe und entschied sich spontan für ein Kleid in vibrierenden Orangetönen.

Als sie in das hinreißende Designerteil schlüpfte, befürchtete sie noch, es könne nicht passen, doch nachdem sie den Reißverschluss im Rücken geschlossen hatte, schmiegte es sich an ihre Kurven wie eine zweite Haut.

Nicht schlecht geschätzt! schoss es ihr durch den Kopf. Erneut spürte sie das aufregende Kribbeln im Magen, wie immer wenn sie an ihren dreisten Kidnapper dachte. Dann riss sie sich zusammen, trat vor den Spiegel und hielt den Atem an.

Es war ein Traum. Ich bin ein Traum! In einem Märchenpalast, angetan mit einem Zauberkleid, gefertigt von einer wunderschönen Fee, aus reiner Seide und Magie.

Sophie schluckte heftig und presste eine Hand auf ihr hämmerndes Herz. Dies war kein Märchen aus Tausend und einer Nacht und sie nicht Cinderella, sondern eine ernsthafte Journalistin und eine gute, zuverlässige Freundin. Und sie hatte keine Zeit, sich unsinnigen Fantasien hinzugeben.

Es galt, einen Job zu erledigen.

4. KAPITEL

Auf das Bild, das sich ihm bot, als er am Abend den Speisesaal betrat, war Zayn nicht vorbereitet. Sophie saß bereits am Kopf der langen Tafel und erwartete ihn.

Von der Frau, die sich hinter den Mülltonnen des Chatsfield Hotels versteckt hielt, hatte sie sich meilenweit entfernt. Selbst dort war ihm ihre außerordentliche Schönheit nicht entgangen, doch jetzt sah sie einfach bezaubernd aus, hinreißend, umwerfend …

Strahlend! Ja, das war das Wort, das er als treffend bezeichnet hätte, wenn ihn jemand danach gefragt hätte. Ihr goldenes Haar war zu einem raffinierten Gebilde auf dem Kopf festgesteckt, das an einen Heiligenschein erinnerte.

Was für eine lächerliche Vorstellung angesichts dessen, was ich von ihr weiß!

Sie trug Make-up, aber so dezent und geschickt aufgetragen, dass es unglaublich natürlich wirkte. Die Wangen waren rosig und jugendlich frisch, ein Hauch von Lidschatten betonte das Smaragdgrün der ausdrucksvollen, großen Augen. Farbloser Lipgloss verlieh den vollen Lippen einen zarten Schimmer. Doch es war das Kleid, das ihn wünschen ließ, Leilas persönliche Einkaufsberaterin auf der Stelle entlassen zu können. Nicht, weil es seinem unfreiwilligen Gast nicht stand, sondern weil es zu perfekt saß!

Das flammende Orange schien ihre zarte Gestalt zu umlodern, das fließende Material schmiegte sich geradezu wollüstig an jede weibliche Rundung und lenkte seinen Blick unwiderstehlich auf die vollen Brüste, die sich bei jedem Atemzug hoben und senkten.

Es lag nicht an ihm und auch nicht an ihr. Schuld war allein das Kleid.

Drei lange Jahre hatte es ihm wenig abverlangt, wie ein Mönch zu leben, genauer gesagt seit der offiziellen Bekanntgabe seiner Verlobung mit Christine. In all der Zeit hatte er nie ein Problem damit gehabt, seine Blicke dort zu halten, wo sie hingehörten. Er respektierte Frauen und sah sie nicht als Spielzeug zum eigenen Vergnügen an wie so viele seiner Geschlechtsgenossen. Ebenso wenig gehörte es zu Zayns Gewohnheiten, seine Dinnergäste offen anzustarren.

Es konnte also nur an dem verdammten Kleid liegen, auf das er einfach nicht gefasst gewesen war.

„Ich hatte nicht erwartet, Sie bereits hier anzutreffen.“ Klingt meine Stimme für sie etwa ebenso rau und schwankend wie in meinem Kopf?

„Ich hatte auch angenommen, mehr Zeit zu brauchen, um mich in diesem prachtvollen Labyrinth zurechtzufinden“, entgegnete Sophie nicht ohne Stolz. „Aber ich habe den Raum schneller gefunden als gedacht.“

„Ich hoffe, Sie mussten nicht allzu lange warten?“

„Absolut nicht! Außerdem gibt es hier ja genug zu sehen.“

„Ich nehme an, mein Personal hat Ihnen bereits einen Drink angeboten?“

„Danke, ich bin perfekt versorgt worden.“

„Gut.“

Gestern Abend hatte er ihre Schönheit nicht wahrnehmen können, weil er viel zu sehr damit beschäftigt gewesen war, Sophie Parsons so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Jetzt war es nicht sein Verstand, sondern sein Körper, der ganz eigene Ideen entwickelte, wie mit ihr zu verfahren war. Verdammt! Sie war hinreißend, aber er konnte ihr nicht trauen. Außerdem war er in einer Phase seines Lebens, wo Frauen wie sie ohnehin keine Daseinsberechtigung hatten.

„Mein Fehler, wenn ich erwartet habe, den Begrüßungsdrink von Ihnen angeboten zu bekommen, nachdem Sie sich im Jet so charmant und fürsorglich gezeigt haben.“

Zayn stutzte. Nicht was, sondern wie sie es sagte, ließ ihn aufhorchen. Keine Frage, die Lady war verstimmt, und als sein persönlicher Gast hatte sie jedes Recht dazu. Höflichkeit und Gastfreundschaft gehörten in seiner Kultur zu den höchsten Tugenden. Was ihn aber nicht dazu verleiten würde, sich von Miss Parsons um ihren kleinen, besonders hübschen Finger wickeln zu lassen. Oder Reue zu zeigen, weil er sie quasi nach Surhaadi entführt hatte. Eine Zeit lang den Luxus seines Palasts genießen zu dürfen, konnte man schwerlich als Tortur bezeichnen, oder?

Er würde gut schauspielern müssen, um sie im Zaum zu halten, so viel stand fest. Sophie Parsons war ein anderes Kaliber als die Frauen, die gemeinhin seinen Weg kreuzten. Wichtig war allein, dass sie bis zur Hochzeit stillhielt. Darum würde er sie spärlich, aber kontinuierlich mit winzigen Skandalhäppchen über die Chatsfields füttern und so ihre Hoffnung auf die ganz große Enthüllung schüren.

In drei Wochen konnte sie dann mit der Story für ihren Boss im Gepäck nach New York zurückkehren, seine Familienehre war gerettet und die Dinge würden endlich wieder ihren normalen Lauf nehmen.

Niemals würde er riskieren, seine Familie noch einmal dem Feuersturm auszuliefern, der nach dem Tod seiner Schwester Jasmine losgebrochen war. Es war allein sein Fehler gewesen, dass er sie nicht hatte beschützen können – und jetzt stand er Leila gegenüber in der gleichen Verantwortung. Dieses Mal würde er nicht versagen! Allein schon weil er kein dummer Junge mehr war, sondern ein Mann und Herrscher, der seine Verantwortung kannte und ernst nahm.

„Ich denke, ich werde es heute Abend dem Personal überlassen, uns beim Dinner zu bedienen“, erklärte er kühl, aber nicht unfreundlich.

Wie auf ein unsichtbares Zeichen erschien ein Angestellter am Tisch, nicht nur mit ihrem Getränk, sondern auch einem Glas für Zayn. Sophie hatte Wein bestellt, den man auch ihm kredenzte. Zayn war kein streng religiöser Mensch oder überzeugter Abstinenzler, ab und zu gönnte er sich durchaus einen guten Schluck zum Essen. Wie so vieles andere war auch sein Glaube irgendwo auf der Strecke geblieben oder besaß zumindest nicht mehr den Stellenwert wie in seiner Kindheit und Jugend.

Doch angesichts der Tatsache, dass seine gewohnt eiserne Selbstkontrolle ziemlich angeschlagen schien, bezweifelte Zayn, dass es eine weise Entscheidung war, in diesem Zustand Alkohol zu trinken. Andererseits … seit wann erlaubte er es jemand anderem, seine Gefühle zu dominieren? Egal, was er trank, aß, sagte oder tat, er war nicht der Sklave seines Körpers oder eines Kleids, wie aufregend es auch sein mochte!

Betont entspannt lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. „Ich hoffe, Sie müssen nicht irgendwelche Essensvorschriften einhalten oder leiden unter Unverträglichkeiten?“

„Wie zum Beispiel?“

„Vielleicht bevorzugen Sie vegetarisches Essen oder essen glutenfrei.“

„Nein, ich habe keinerlei Probleme dieser Art, aber danke, dass Sie gefragt haben.“

„Wenn überhaupt, wäre es nur heute Abend ein Problem gewesen, bis morgen hätte sich mein Personal darauf eingestellt.“

„Sehr umsichtig, aber nicht nötig, was mich betrifft. Trotzdem sehr nett von Ihnen.“

Zayn kniff die dunklen Brauen zusammen und schnupperte demonstrativ an seinem Glas. „Haben Sie vielleicht meinen Wein vergiftet?“

Sophies Augen weiteten sich. „Wie kommen Sie auf eine derart absurde Idee?“

„Sie sind so ganz anders als noch vor wenigen Stunden. Viel zu zahm und freundlich angesichts der Situation.“

„Das nennt man professionell“, erklärte Sophie, die sich schnell wieder gefangen hatte, mit süßem Lächeln. „Immerhin ist dies ein Arbeitsessen, oder nicht?“

Zayn lächelte sparsam und hob sein Glas zum Toast. „Verstehe.“

„Tatsächlich? Und was genau verstehen Sie?“

„Dass Sie bereit sind, das Spiel zu spielen.“

„Für mich ist das kein Spiel. Mir geht es um meine Karriere. Und darum, das Lebensglück meiner Freundin zu bewahren.“

„Was hat das Lebensglück Ihrer Freundin mit der Sache zu tun? Ah … kann es sein, dass Sie damit mehr preisgegeben haben als beabsichtigt?“, fragte Zayn, als er sah, wie Sophie seinem Blick auswich und sich auf die Unterlippe biss.

„Das Einzige, was Sie wissen müssen, ist die Tatsache, dass wir einen gemeinsamen Feind haben. Ich würde sagen, das reicht für den Moment.“

„Für den Moment …“, echote Zayn, schwankend zwischen zynischem Amüsement und Erbitterung.

Die Doppeltüren zum Speisesaal öffneten sich erneut, und weitere Bedienstete erschienen mit großen Platten, beladen mit den verschiedensten Köstlichkeiten, die verlockend dufteten. Sie stellten alles auf der Mitte des Tisches ab und servierten mit stoischer Miene.

Wenn er sich in einem seiner anderen Domizile aufhielt, war Zayn einen weniger distanzierten Umgang mit seinem Personal gewohnt, doch die Palastbediensteten in Surhaadi richteten sich nach den Sitten, die sein Vater eingeführt und seine Mutter gepflegt hatte. Und obwohl beide nicht mehr im Palast lebten, behielt man das steife Protokoll bei.

Auch der Scheich und sein Gast verharrten in tiefem Schweigen, bis sie wieder allein waren. Doch kaum hatten sich die Türen hinter den Bediensteten geschlossen, reckte Sophie ihr Kinn vor. „Sie haben mir ein Interview versprochen, inklusive Skandal. Ich würde jetzt gern …“

„Während des Dinners rede ich grundsätzlich nicht über Geschäftliches“, nahm Zayn ihr gelassen den Wind aus den Segeln.

Das war eine Lüge, aber er ließ sich nun mal nicht gern Vorschriften machen. Davon abgesehen verfügte er über keine Informationen, James Chatsfield betreffend, die er gewillt wäre, mit einer übereifrigen Journalistin zu teilen. Was bedeutete, dass er sie auf einen Pfad locken musste, der nicht unbedingt dahin führen würde, wohin sie wollte.

Ein bestimmtes Ziel hatte Zayn allerdings noch nicht vor Augen. Deshalb widmete er sich zunächst dem Essen – einfach, um Zeit zu gewinnen.

Neben den landestypischen Vorspeisen wie Hummus, Falafel und Taboulé war ihnen auch Fattouch, Baba Ghanouch und Warak Enab serviert worden, wobei es sich um einen würzigen Brotsalat, ein Auberginenpüree und mit Reis gefüllte Weinblätter handelte, wie Zayn seinem unfreiwilligen Gast bereitwillig erklärte.

Nichts davon hatte Sophie je zuvor probiert, und sie stellte erstaunt fest, dass ihr dadurch offenbar etwas entgangen war.

„Das Essen ist wirklich köstlich, aber …“

„Wollen Sie Ihre Story bekommen oder nicht?“

Sophie blinzelte. „Das ist doch wohl offensichtlich!“

„Dann werden Sie sich gedulden und meinem Tempo anpassen müssen.“ Angesichts ihrer kaum verhüllten Gereiztheit musste Zayn ein Lachen unterdrücken. Die Frau hatte wirklich Feuer.

„Dann geben Sie mir wenigstens einen Wink bezüglich kompatibler Themen zum Dinner für zukünftige entspannte Abende.“ Dabei fixierte sie ihn aus grünen Katzenaugen, als würde sie ihm am liebsten an die Kehle gehen.

„Wir könnten zum Beispiel über das Wetter reden, obwohl es in diesen Breitengraden eigentlich immer ziemlich heiß ist.“

„Okay, das Wetter ist unglaublich heiß, und wie geht’s jetzt weiter?“

„Wie wäre es mit Politik oder Religion? Das dürfte ganz spannend werden, da keiner von uns beiden Skrupel zu haben scheint, den anderen zu brüskieren. Aber vielleicht könnte ich die Zeit ja auch nutzen, um etwas mehr über Sie zu erfahren.“ Wobei es ihm eigentlich egal war, woher sie kam, was für einen Hintergrund sie hatte, ob es einen aktuellen Liebhaber gab … oder auch mehrere. Wichtig war allein, Leila zu beschützen.

„Was genau wollen Sie denn von mir wissen?“

„Was immer Sie mir über sich erzählen möchten.“

Sophie runzelte die Stirn. „Ich bezweifele, dass es Ihnen irgendetwas nützt.“

„Warum denken Sie das?“

„Wir schleichen doch schon die ganze Zeit wie zwei Katzen im Dunkeln umeinander herum, ohne einen Schritt voranzukommen, was mich ziemlich nervt.“

Zayn lachte und hob die Hände wie zur Verteidigung. „Ich bitte um Gnade …“

„Warum? Sie sind ein Scheich, offenbar mit einem Haufen Geld und Macht ausgestattet, da kann Ihnen die Meinung anderer Menschen doch egal sein.“

„Eine ziemlich zynische Denkweise für ein so junges Geschöpf.“

Sophie spürte heiße Röte in ihre Wangen steigen. „Hey, diese Sichtweise auf die Welt habe ich mir ehrlich verdient!“, wehrte sie sich. „Ich trage nun mal keinen berühmten Namen, also darf ich mich doch wenigstens wundern, wenn sich jemand wie Sie für mich interessiert, oder nicht?“

„Und mein Interesse wächst mit jedem Wort, das Sie mir so unerschrocken an den Kopf werfen …“, murmelte er mit dunkler Stimme und bediente sich damit einer Taktik, auf die er schon seit Ewigkeiten im Umgang mit Frauen verzichtet hatte. Alles nur zum Schutz der Familie! versuchte Zayn sein Verhalten vor sich selbst zu rechtfertigen.

„Über mich gibt es nichts Aufregendes zu berichten“, behauptete Sophie. „Ich wuchs in einer ärmlichen Gegend als Kind einer Single-Mum auf und war meistens mir selbst überlassen. Aber das hat mich nie gestört, so blieb mir wenigstens ausreichend Zeit zum Lernen. Schon von klein auf war mir klar, dass ich auf keinen Fall so ein Leben wollte, wie meine Mutter es führte.“

„Sie werfen Ihrer Mutter vor, dass sie rund um die Uhr gearbeitet hat, um sie beide zu versorgen?“

Trotzig erwiderte sie seinen fragenden Blick. „Meine Mutter hatte eine unselige Schwäche für meinen Vater, die sie davon abhielt, auch nur vorübergehend das Haus zu verlassen, das er ihr gekauft hatte. Allein aus Angst, sie könne einen seiner seltenen Besuche verpassen, die er ganz einstellte, noch bevor ich aus den Windeln war. Trotzdem hoffte sie jeden Tag auf ein Zeichen von ihm und nahm nur selten Gelegenheitsjobs an. Deshalb schwor ich mir, nie so zu werden wie sie und meine Unabhängigkeit über alles zu stellen.“

Sophie presste die Lippen zusammen und strich sich mit bebenden Fingern eine vorwitzige Locke aus der Stirn.

„Ich wusste, das würde ich nur mit einer entsprechenden Ausbildung erreichen, also habe ich rund um die Uhr gelernt, später studiert und – voilà – hier bin ich.“

„Bewundernswert.“

„Was für ein abfälliges Kompliment! Es ist tatsächlich bewundernswert, was ich geleistet habe. Ich musste schuften wie ein Kuli und tue es immer noch.“

„Es sollte absolut nicht despektierlich klingen.“ Schließlich wusste Zayn selbst sehr gut, wie mühsam es war, sich zu verändern und alte Gewohnheiten zu durchbrechen – obwohl er nicht die gleichen Schwierigkeiten zu bewältigen hatte wie Sophie. Seine Hürden und Hindernisse waren alle selbst verursacht. Doch sie zu überwinden war extrem schwer gewesen.

„Okay, damit kann ich leben.“

Ohne zu wissen, warum, lächelte Zayn, während sie sich dem Hauptgang widmeten, einem fantastischen Shish Kebab, dem als Dessert wieder eine Vielzahl verschiedener Köstlichkeiten folgte, die Sophie ebenso mundeten wie zuvor die marinierten Lammspieße. Doch wenn sie sich hätte entscheiden müssen, würde sie den Esh Asaraya gewählt haben, einen süßen Käsekuchen.

Zumindest für den Moment zufrieden mit sich, der Welt und ihren momentanen Umständen lehnte sie sich zurück und nippte an dem Pfefferminztee, den sie nach dem Wein tranken.

Zayn beobachtete sie eine Weile versonnen, ohne sie aus ihrer Versunkenheit zu reißen. Schließlich erhob er sich von seinem Platz und vollführte eine einladende Geste. „Möchten Sie mich in mein Arbeitszimmer begleiten, Miss Parsons?“

„Um endlich übers Geschäftliche zu sprechen?“

„Nachdem Sie meine Neugier befriedigt haben, ist es durchaus fair, wenn ich mich bei Ihnen revanchiere, würde ich sagen.“ Damit hielt er ihr seinen Arm hin und lachte rau auf, als Sophie instinktiv zurückzuckte. „Das war kein Angriff, ich wollte nur galant sein.“

„Oh, das tut mir leid. Ich habe so etwas nicht erwartet angesichts unserer bisherigen gemeinsamen Geschichte.“

„Durchaus verständlich …“, murmelte Zayn, zog den Arm aber nicht zurück.

Sophie akzeptierte ihn nach kurzem Zögern. Sobald er ihre verlockende Wärme an seinem Körper spürte, wusste Zayn, das er die Wirkung ihres Kleids absolut unterschätzt hatte. Er stand in Flammen, zumindest fühlte sich seine ihr zugewandte Körperhälfte so an. Plötzlich konnte er an nichts anderes mehr denken, als Sophie gegen die nächstbeste Wand zu drängen und seine Lippen auf ihre zu pressen.

Es war eine wilde, fehlgeleitete, aber unglaublich lebhafte Fantasie. Von der Art, wie sie ihn seit Jahren nicht mehr heimgesucht hatte.

Seit er verlobt war, hatte er diese Art von Versuchungen strikt gemieden … diese fliegende Hitze, das brennende Verlangen, das seinen gesamten Körper in einen Ausnahmezustand versetzte und ihn von Dingen träumen ließ, die nichts mit Ehre und Pflichtbewusstsein zu tun hatten.

Aber so durfte er nicht denken und fühlen. Selbst wenn Christine und ihn nichts Physisches verband, respektierte er sie als seine zukünftige Ehefrau.

Zayn seufzte, löste behutsam ihren Arm aus seinem und legte stattdessen eine Hand auf Sophie Parsons Rücken, um sie in die gewünschte Richtung zu dirigieren. Eine unüberlegte und sehr viel intimere Geste als alles andere zuvor, wie er schnell feststellte. Er musste es als eine Art Test ansehen. Einfach, um sich selbst zu beweisen, dass er nicht der Sklave seiner Begierde war.

Sophie schauderte unter dem Gefühl seiner warmen Hand auf der dünnen Seide ihres Traumkleids, blieb aber nicht stehen und sah ihn auch nicht an. Vielleicht betrachtete sie es ebenfalls als Test für sich. Doch selbst wenn es so war, ging es ihn nichts an. Er wollte nicht darüber nachdenken, darin lag zu viel gefährliches Potenzial.

Zayns Arbeitszimmer unterschied sich auffällig vom Rest des Palasts. Es vermittelte eher einen europäischen als orientalischen Geschmack. Er hatte es selbst gestaltet, mit dunklen Bücherwänden und großen, offenen Fensternischen, die zum Garten hinausgingen. Und bequemen, typisch englischen Armsesseln – perfekte Entspannungsinseln. Als er sein Partyleben aufgeben musste, war ihm das Lesen ebenso gut wie jedes andere Hobby erschienen.

„Es sieht ganz anders aus, als ich es erwartet hätte“, gestand Sophie.

Zayn lächelte. „Wie haben Sie es sich denn vorgestellt?“

„Jedenfalls nicht so.“

„Freut mich, Sie nach unserer langen Bekanntschaft noch überraschen zu können …“, murmelte er ironisch. „Nehmen Sie doch bitte Platz.“

Sophie ließ sich graziös auf einen der antiken Armstühle sinken, und Zayn setzte sich ihr gegenüber, mit größtmöglichem Abstand. „Möchten Sie etwas trinken?“

„Wäre ein Brandy okay?“

Er lachte. „Ein Brandy, natürlich!“ Die Bar verbarg sich in einer dunklen Anrichte am anderen Ende des Raums. Zayn zauberte eine Karaffe hervor, schenkte großzügig zwei Gläser voll, kehrte zu Sophie zurück und reichte ihr einen kristallenen Schwenker, sorgfältig darauf bedacht, jede Berührung ihrer Hände zu vermeiden.

Dann nahm er wieder Platz.

„Danke.“ Sie trank einen Schluck und schloss genüsslich die Augen.

„Nicht zu stark?“

„Nein, überhaupt nicht. Warum?“

„Ich möchte nicht, dass Ihnen der Brandy zu Kopf steigt. Immerhin haben wir noch ein Interview zu bestreiten.“

„Stimmt!“ Sophie stellte ihr Glas auf einem Tischchen neben sich ab und beugte sich in ihrem Stuhl vor. „Also, was die Chatsfields betrifft …“

„Stopp! So läuft das nicht.“

„Wie?“

„Wenn Sie mich interviewen, dann nur zu meinen Bedingungen oder gar nicht.“

Sie presste die Lippen zusammen. „Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie ein furchtbarer Despot sind?“

„Ich habe nie etwas anderes behauptet.“

Wider Willen musste Sophie lachen. „Touché!“

„Ihr Boss will eine zündende Exklusivstory. Und ich glaube, um sich überhaupt ein Bild von meiner bevorstehenden Hochzeit machen zu können, sollten Sie sich erst einmal mit den Gepflogenheiten meiner Heimat vertraut machen.“

„Okay …“

„Um die Bedeutung dieser Eheschließung nachvollziehen zu können, müssen Sie das Prinzip der Monarchie verstehen.“

„Weltgeschichte war eines meiner Lieblingsfächer.“

„Tatsächlich? Dann präsentieren Sie mir mal Ihre Kenntnisse über meine Heimat.“

„Ich wollte nicht arrogant klingen, aber ganz unwissend bin ich nicht.“

„Sie sprechen von Schulwissen“, unterbrach er sie scharf. „Für mich ist die Geschichte von Surhaadi ein Teil meines Wesens, meine Existenz. Es bedeutet mir …“

„Aufnahmegerät“, erläuterte Sophie und hielt das Diktafon hoch, das sie aus ihrer Tasche gefischt hatte.

Zustimmend neigte er den Kopf. „Natürlich … die investigative Journalistin.“

„So ist es.“

„Okay, dann beginnen wir am besten ganz von vorn.“ Zayn lehnte sich bequem in seinem Stuhl zurück. „Meine Familie lebt bereits seit etwa tausend Jahren hier in Surhaadi, das zu jener Zeit noch kein einiges Königreich beziehungsweise Scheichtum war, sondern ein Territorium, das unabhängige, rivalisierende Stämme bevölkerten.“ Nicht, dass er sich während seiner Schulzeit dafür interessiert hätte. Erst als junger Erwachsener hatte er damit begonnen, sich mit der Geschichte seines Landes auseinanderzusetzen. Ein weiteres Hobby, das ihn vom Partymachen abhalten sollte.

„Die Wüste war so groß und weitläufig, dass sie Platz für alle bot. Das Problem war der Zugang zum Wasser, als lebensnotwendige Versorgung für Mensch, Pflanze und Tier, was naturgemäß zu Auseinandersetzungen führte. Mit Veränderung der klimatischen Bedingungen wurde das Wasser immer knapper, und damit nahmen auch die Probleme zu. Besonders nachdem sich ein bestimmter Stamm weigerte, eine der Oasen zu verlassen, sie für sich allein beanspruchte und allen anderen den Zutritt verweigerte. Das führte schließlich zum Ruf nach Einigung, allein um des Überlebens willen.“

„Wie lange ist das her?“

„Etwa dreihundert Jahre. Was Königreiche betrifft, sind wir also noch ein relativ junges.“ Er sah, dass Sophie wider Willen fasziniert war, was ihm Genugtuung bereitete. Sosehr er in der Jugend gegen alte Traditionen und Sitten seiner Heimat aufbegehrt hatte, konnte er nicht leugnen, dass er heute als Mann den Pulsschlag der Wüste in seinem Blut spürte. „Anstatt gegeneinander zu kämpfen, schlossen sich die Stämme also zusammen, und der sich in jeder Hinsicht einstellende Erfolg führte zu dem Verlangen nach einer noch umfassenderen Union. Außer bei dem Stamm, der die Hauptoase annektiert hatte und seinen Anspruch nicht aufgeben wollte.“

„Ist das Problem inzwischen gelöst?“

„Nicht ganz. Die Gruppierung lebt immer noch in Surhaadi und wehrt sich dagegen, die inzwischen herrschende Monarchie anzuerkennen. Sie hätten die Möglichkeit, an diversen Regierungsprogrammen zu partizipieren, weigern sich aber standhaft nachzugeben. Inzwischen haben sich mehrere Splittergruppen gebildet, die sich aus den Städten zurückziehen und wieder autark in der Wüste leben.“

„Gibt es mit denen keine Schwierigkeiten?“

„Keine akuten oder offensichtlichen, aber die Führer sind mir nicht besonders wohlgesinnt und sehen in mir eine Bedrohung ihrer Autorität.“

„Fürchten Sie sich nicht vor ihnen? Offenbar sehen Sie gar keine Notwendigkeit, sie in ihre Schranken zu weisen …“, resümierte Sophie für sich.

„Auf jeden Fall nicht die Notwendigkeit, eine jahrhundertealte Kultur auszumerzen. Außerdem gibt es einen uralten Vertrag zwischen jener Stammesfamilie und unserer. Solange wir sie nicht auf ihrem Territorium bedrohen, werden sie sich auch nicht mit uns anlegen. Und wenn ein echtes Bedürfnis besteht, gewährt man uns freien Zutritt zu jeder Oase, die in ihrem Hoheitsgebiet liegt.“

„Das hört sich irgendwie fair an. Aber wie haben sich ausgerechnet Ihre Vorfahren als Herrscherfamilie aus dem gesamtem Stammeskonglomerat herauskristallisiert?“, wollte Sophie wissen.

Zayn zog innerlich den Hut vor ihrer Scharfsinnigkeit und stellte sein Glas ab. „Das ist eine Geschichte für einen anderen Abend, würde ich sagen.“

„Sie scheinen Ihre Rolle in einem Interview nicht wirklich zu kennen.“

„Und Sie müssten doch schrecklich erschöpft nach der anstrengenden Reise sein.“

„Ich habe im Flieger geschlafen.“

„Das ist Stunden her, und wenn Sie sich jetzt überfordern, wird sich Ihr unvermeidlicher Jetlag ganz fürchterlich auswirkten.“

„Jetlag? Mit so etwas habe ich mich noch nie abgegeben. Ebenso wenig wie mit dem sprichwörtlichen Kater nach einer Partynacht.“

„Wie ist das möglich?“

Sophie lachte. „Sie sind nicht der Einzige, der sich unter Kontrolle hat. Nur ist sie mir nicht in die Wiege gelegt worden, sondern musste hart erarbeitet werden. Ich habe die Kontrolle über mein Leben schon sehr früh übernommen, und darum interessiert es mich nicht, was andere tun oder von mir erwarten. Was allein zählt, ist mein Wille.“

„Bewundernswert.“

Sophie runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, ob das bewundernswert ist, außerdem ist es mir egal. Hauptsache, es funktioniert für mich. Zumindest hat es das, bis ich dreist von einer New Yorker Straße weg entführt wurde.“

„Dafür entschuldige ich mich nochmals in aller Form, aber leid tut es mir nicht.“

„Das habe ich auch nicht erwartet.“

„Auf jeden Fall schätze ich den Austausch von Informationen mit Ihnen und muss gestehen, dass es mich sehr unterhalten hat.“

Verdammt! Wieder spürte sie, wie sich ihre Wangen röten. „Ist es das, was wir hier tun? Informationen austauschen?“

„Eine faire Geschichte, würde ich meinen.“

„Nicht ganz, würde ich sagen.“ Sie musste sich auf ihren Auftrag konzentrieren, sonst war sie verloren! „Der Deal besagt, dass ich Sie wegen der Hochzeit interviewe und Sie mir im Gegenzug Details über die Chatsfields liefern.“

„Zu leicht errungene Erfolge gefährden den Charakter“, kam es kryptisch zurück. „Ich halte mehr davon, sich hart zu erarbeiten, was man haben will.“

„Und das aus dem Mund von jemandem mit einem goldenen Zepter in der Hand!“

„Das kann ich nicht leugnen, trotzdem weiß ich, was es heißt, zu leiden und sich durchzukämpfen. Manchmal bleibt einem keine andere Wahl, als durchs Feuer zu gehen.“

Sophie lachte spröde. „Dann sind Sie also meine Feuerprobe?“

„Vielleicht eine von ihnen“, bestätigte Zayn mit dünnem Lächeln.

„Ganz kann ich Ihre These allerdings nicht teilen“, stellte Sophie klar. „Besonders nicht den fast romantischen oder melodramatischen Aspekt, der da irgendwie mitschwingt. Mir erschien der Kampf um ein selbstbestimmtes Leben, den ich von klein auf führen musste, immer nur schrecklich anstrengend und kein bisschen heroisch. Und ich denke, für heute haben wir tatsächlich mehr als genügend Informationen ausgetauscht.“

„In der Tat.“ Zayn überlegte, wann er sich das letzte Mal so gefühlt hatte wie in diesem Moment. Irritiert, empört und gleichzeitig fasziniert und unwiderstehlich angezogen.

„Ich möchte mich jetzt zurückziehen, wäre aber dankbar, eine Art Lageplan oder Grundriss von dieser Anlage zu bekommen, falls Sie so etwas zur Hand haben. Sonst werde ich vermutlich ständig auf Achse sein, um von A nach B zu kommen, und womöglich noch verloren gehen.“

„Das wäre vielleicht gar nicht so schlecht“, überlegte Zayn laut. „So würden Sie mir weniger Scherereien machen.“

„Darauf würde ich nicht wetten! Glauben Sie mir, ich bin ausgesprochen kreativ und fände neue Wege, um zu bekommen, was ich haben will.“ Nachdenklich musterte sie seine unbewegte Miene. „Was verbergen Sie eigentlich vor mir?“

Die unerwartete Frage traf ihn wie ein Faustschlag in den Magen, und Zayn brauchte einen Moment, um sich zu fangen. „Nichts weiter als die üblichen Skelette im finsteren Familienschrank“, behauptete er in leichtem Ton.

„Die würde ich ausgesprochen gern kennenlernen.“

„Wir werden sehen.“ Er musste diese penetrante Frau so schnell wie möglich loswerden. Sie war ihm bereits viel zu nah gekommen. „Da meine Räume sich hier anschließen, verzeihen Sie mir, dass ich Sie nicht zurück in Ihre Suite geleite. Es ist doch ein ziemlicher Weg.“

„Den werde ich schon schaffen“, behauptete Sophie flapsig und stand auf. „Schließlich bin ich ein großes Mädchen, das gewohnt ist, auf sich aufzupassen. Aber falls ich versehentlich in der königlichen Schatzkammer lande und mich versucht fühle, mit den Kronjuwelen durchzubrennen, will ich später keine Klagen hören.“

„Das Risiko bin ich bereit einzugehen.“

„Offenbar sind Sie ein Mann, der Herausforderungen und Gefahr liebt.“

Zayn trat einen Schritt auf sie zu, blieb dann aber abrupt stehen. „Darin irren Sie sich. Gute Nacht, Miss Parsons“, wünschte er und wandte sich ab.

„Gute Nacht …“

Das kaum hörbare Schwanken in ihrer Stimme verleitete ihn dazu, sich noch einmal umzudrehen. Bin ich vielleicht doch zu schroff gewesen? „Nächste Woche werde ich Sie zu einem Ausflug in die Wüste mitnehmen“, versprach er und wollte gehen.

„Und danach?“

„Führen wir das Interview weiter.“

„Und ich bekomme meinen Skandal?“

„Und Sie bekommen Ihren Skandal.“ Damit verschwand er endgültig.

5. KAPITEL

Nachdem Zayn den Wüstentrip aus einem inneren Impuls heraus aufs Ende der Woche gelegt hatte, tat er sein Bestes, um Sophie Parsons aus dem Weg zu gehen.

So blieb ihr nichts anderes übrig, als auf eigene Faust den weitläufigen Palast zu erkunden, ohne Kontakt zur Außenwelt. Was hätte sie darum gegeben, wenigstens ins Internet zu können! Komplett auf sich reduziert, wurde sie zunehmend gereizter und fürchtete langsam, jedes Gespür für Zeit und Raum zu verlieren.

Doch als der Tag des geplanten Ausflugs anbrach, war sie bereits im Morgengrauen auf den Beinen und plante ihre Garderobe. Ein fantastisches Gefühl, einen prall gefüllten Schrank mit aktueller Designermode ganz für sich zu haben! Im Gegensatz zu ihren betuchten Bekannten kam es für Sophie nicht infrage, jede Saison ihre Garderobe auszutauschen.

Isabelle könnte problemlos in Jogginghosen zur Arbeit gehen und man würde annehmen, es handele sich um ein Fashion-Statement. Für sie war das unmöglich! Davon abgesehen, würde sich ohnehin niemand, den Sophie kannte, so präsentieren, da Kleider nun mal Leute machten. Allerdings war Isabelle, die die Annehmlichkeiten ihrer Herkunft und ihres Namens durchaus zu schätzen wusste, kein bisschen hochnäsig. Das war einer der Gründe, warum sie so schnell und leicht Freundinnen geworden waren.

Genug in der Vergangenheit geweilt!

Sophie atmete tief durch und überlegte, wo Zayn sie wohl erwartete. Während sie beim Laufen die luftige Tunika zusammenraffte, zu der sie sich für den Wüstentrip entschlossen hatte, versuchte sie, sich auf das zu konzentrieren, was vor ihr lag. Das erste Interview mit Zayn war nicht besonders aufschlussreich gewesen, obwohl sie das eine oder andere Detail durchaus für ihren Artikel im Herald verwenden konnte. Aber jetzt freute sie sich darauf, endlich aus dem Palast rauszukommen, um Land und Leute studieren zu können. Immerhin war es ihre erste Erfahrung mit einer Kultur, die so ganz anders war als das gewohnte Stadtleben in New York.

In der Eingangshalle des Palasts angekommen, machte Sophies Herz einen unverhofften Hüpfer, als sie Zayn in einem ähnlichen Aufzug wie ihrem dastehen sah. Zur langen Tunika trug er leichte Hosen, auf dem Kopf ein Tuch, das mit einer Kordel gehalten wurde, und in der gebräunten Hand eine luftige Stoffbahn, die er ihr entgegenhielt.

„Das ist für Sie. Heute ist es nicht nur besonders heiß, es weht außerdem ein starker Wüstenwind.“

Zögernd nahm Sophie das schalähnliche Tuch entgegen. „Wir werden doch wohl nicht von einem Sandsturm oder so was überrascht werden?“

„Möglich ist alles“, lautete die lakonische und wenig beruhigende Antwort. „Ein Sandsturm kann sehr plötzlich auftauchen und ziemlich hart sein. Manchmal haben wir hier sogar mit Überschwemmungen zu kämpfen, doch die kündigen sich wenigstens an. Aber für den Fall, dass etwas Derartiges droht, ist man im Lager darauf eingestellt.“

„Wir werden also wirklich den Stamm besuchen, der sich weigert, ein Teil von Surhaadi zu werden?“

„Ja, auch wenn man mich dort eher duldet als akzeptiert, ist ihr Führer zivilisiert genug, um uns nicht mitten in der Wüste unserem Schicksal preiszugeben und sterben zu lassen. Zumindest hoffe ich das …“

„Na super!“ Sophie versuchte, das Tuch so oder zumindest so ähnlich auf ihrem Kopf zu drapieren, wie er es trug. Wenn sie etwas hasste, dann um Hilfe bitten zu müssen. Sie mochte sich und anderen einfach nicht eingestehen, dass es Dinge gab, die sich ihrer Kenntnis entzogen – ob aus Stolz, Eigensinn oder purem Trotz wusste sie selbst nicht. Ärger hatte sie sich damit allerdings schon reichlich eingehandelt.

Unter Garantie wäre alles anders verlaufen, hätte ihr Vater sich offen zu ihr bekannt, anstatt sie wie ein schmutziges, dunkles Geheimnis im Verborgenen zu halten. Stattdessen war sie gezwungen gewesen, die Glücklicheren um sich herum scharf zu beobachten, zu kopieren und wenigstens so zu tun, als gehörte sie dazu.

„Lassen Sie mich Ihnen helfen.“ Zayn machte einen Schritt auf sie zu, und Sophie zuckte zurück.

„Nicht nötig, ich hab’s schon.“

„So hält das nicht.“ Sie spürte seine kräftigen Hände auf dem Stoff, auf ihrem Haar und ihrer Haut, während er den langen Schal um ihr Gesicht drapierte und unterm Kinn kreuzte, ehe er die Enden in ihrem Nacken zusammensteckte. Sie schaute zu ihm auf und als sich ihre Blicke trafen, machte ihr Herz einen schmerzhaften Sprung. Der Ausdruck in seinen dunklen Augen war so intensiv, dass ihr heiß wurde und sie damit rechnete, er würde jeden Moment etwas sagen oder von ihr fordern.

Sophie wusste, sie hätte den Blick abwenden müssen, doch sie schaffte es nicht. Ebenso wenig gelang es ihr, sich vorzumachen, nichts zu empfinden. Ich kann mich doch unmöglich zu meinem Kidnapper hingezogen fühlen! Sicher, er war ein interessanter und ausgesprochen attraktiver Mann, aber daneben ein Scheich und verlobt!

„So ist es gut …“ Zayn räusperte sich. „Auf diese Weise sind Sie besser gegen die Elemente geschützt.“

„Danke, ich weiß das zu schätzen.“ Himmel, hört sich das gestelzt an! Aber noch etwas wagte sie nicht zu sagen, da ihr Hals sich so trocken und kratzig anfühlte, als hätte sie mit Wüstensand gegurgelt.

Zayn deutete eine leichte Verbeugung an. „Ich bin stets darum bemüht, jedem, der sich in meinem Land und Einwirkungsbereich aufhält, zu dienen.“ Auch seine Stimme klang seltsam rau und verursachte Sophie eine wohlige Gänsehaut.

„Nun, da ich ja eher unfreiwillig und auch nur vorübergehend in Ihrem Land bin, weiß ich eine derartige Fürsorge besonders zu schätzen“, versuchte sie, ihm in nichts nachzustehen.

„Das freut mich.“

„Wollen wir los?“ Plötzlich erschien ihr alles sicherer und erstrebenswerter als das Gefühl, auf Treibsand zu stehen anstatt auf dem kostbaren, antiken Fliesenboden.

„Sicher.“ Abrupt wandte ihr Gastgeber sich um und ging auf die riesige Eingangstür zu, die sich öffnete, sobald sie näherkamen. Fest an seine Fersen geheftet, kniff Sophie die Augen zusammen und blinzelte in die grelle Sonne, sobald sie vor dem Palast standen. Der Geländewagen, der auf sie wartete, wirkte ausgesprochen zuverlässig und luxuriös. Ein Chauffeur war allerdings nicht zu sehen.

„Wir fahren doch wohl nicht allein?“

„Um nicht den Eindruck zu vermitteln, ich rücke mit einer ganzen Armee an, verhandeln Jamal und ich stets von Mann zu Mann.“

Sie warf ihm einen misstrauischen Seitenblick zu. „Sie planen doch nicht etwa, mich da draußen in der Wüste zu killen?“

„Seien Sie nicht albern. Wenn ich das vorhätte, würde ich Sie aussetzen und Ihrem Schicksal überlassen. Jemanden profan zu killen ist absolut nicht mein Stil.“

„Das erleichtert mich!“, behauptete Sophie sarkastisch. „Sicher würden Sie keine Witze machen, wenn Sie tatsächlich derartig drastische Maßnahmen in Betracht zögen, oder?“

Zayn wiegte den dunklen Kopf. „Schwer zu sagen …“, murmelte er und hielt ihr die Beifahrertür auf.

Sophie maß ihn mit einem scharfen Blick. Unmöglich zu entscheiden, was dieser finstere Wüstensohn wirklich dachte. Aber wenn er sich ihrer tatsächlich entledigen wollte, hätte er dann so fürsorglich den Schal …

„Wie lange werden wir zu diesem Stamm unterwegs sein?“, fragte sie, als er um den Wagen herumgegangen war und hinter dem Steuer Platz genommen hatte.

„Schwer zu sagen. Kommt darauf an, wo wir Jamal und seine Leute aufspüren.“

Nach Sophies Empfinden waren sie bereits seit Ewigkeiten unterwegs. Die Straße war längst nicht mehr als solche zu bezeichnen oder auch nur annähernd auszumachen. Die Sanddünen wurden immer höher und schimmernd goldbraun, so als scheine die Sonne hier noch intensiver. Wie in einem Backofen voller Brot, dessen Kruste geröstet wurde.

Ihre anfängliche Zuversicht, dass Zayn ihr nie das Tuch zum Schutz angedient hätte, würde er tatsächlich mit dem Gedanken spielen, sie in der Wüste auszusetzen, war mit der Zeit nahezu geschwunden. Ein zaghafter Blick auf sein hartes, dunkles Profil verschaffte ihr ebenfalls keine Erleichterung. Doch gerade, als Sophie ernsthaft nervös wurde, entdeckte sie am Horizont eine kleine Rauchfahne oberhalb einer der Dünen.

„Das werden sie sein“, bemerkte Zayn dann auch zu ihrer grenzenlosen Erleichterung an.

„Ganz schön weit weg von jeglicher Zivilisation. Was, wenn ein Notfall eintritt?“

„Das kann tatsächlich zum Problem werden und geht nicht immer gut aus, obwohl sie inzwischen über Satellitentelefon verfügen und immer häufiger die Notarztversorgung von Surhaadi in Anspruch nehmen.“

„Sie nutzen den medizinischen Dienst, obwohl sie die Regierung ablehnen?“

„Bis auf wenige alte Stammesmitglieder. Mir ist es lieber so.“

„Wie tolerant von Ihnen. Nicht jeder würde so denken, sondern argumentieren, dass sie eben die Folgen ihrer Sturheit zu tragen hätten.“

Zayn maß sie mit einem scharfen Blick. „Mag sein, aber wir alle treffen Entscheidungen, die nicht immer mit schwarz oder weiß, gut oder schlecht zu bewerten sind. Sie wollen eben ihre Unabhängigkeit behalten, wofür ich durchaus Verständnis aufbringe. Häufig gesteht man sich Fehlentscheidungen erst in Extremsituationen ein, oder wenn die Tragödie da ist. Ich weiß sehr gut, wie man sich fühlt, wenn man begreift, dass es zu spät für die richtige Entscheidung ist …“

Das war eine ganz andere und eigentlich noch viel aufregendere Seite, die Sophie an Scheich Zayn entdeckte. Hier in der Wüste erschien er ihr nicht als skrupelloser Kidnapper, der sie von den Straßen New Yorks weg entführt hatte, sondern als souveräner Herrscher … sozusagen die personifizierte Geschichte seines Landes und Volkes. Und plötzlich war sie sehr froh, ihm in die Wüste gefolgt zu sein.

Der schwere Wagen meisterte souverän die Steigung der steilen, lang gezogenen Düne, und als sie über die Kuppe fuhren, bot sich Sophie ein unglaublicher Anblick. Bis zu dieser Sekunde unsichtbar und verborgen, erstreckte sich in einer grünen Oase mit funkelndem Wasserlauf eine kleine Zeltstadt mit offenen Feuern vor jeder Behausung und spielenden Kindern, die überall herumliefen. Auf dazwischen gespannten Wäscheleinen flatterten bunte Kleidungsstücke im heißen Wüstenwind.

„Ich hoffe, man bereitet uns ein warmes Willkommen.“

„Besteht etwa die Gefahr, dass es anders ausfällt?“, fragte Sophie beklommen.

„In der Wüste sollte man nie etwas für garantiert annehmen. Denn hier bedeutet es absolut nichts, dass ich ein Scheich bin. Wir sind nichts weiter als Gäste, Sie und ich.“ Zayn brachte den Wagen zum Halten und stellte den Motor aus. Sie waren immer noch ein ganzes Stück vom Lager entfernt. Wahrscheinlich sollte es signalisieren, dass sie keinen feindlichen Überfall planten, nahm Sophie an.

„Um hier gehen zu können, braucht man ja Schneeschuhe“, stellte sie fest, während sie durch den weichen Sand stapfte.

„Oder Praxis.“ Der amüsierte Ton war nicht zu überhören.

„Ich kann nur hoffen, dass Sie sich nicht über mich lustig machen!“

„Zu spät, Habibti. Sie sehen aber auch wirklich zu komisch aus.“

„Das überhöre ich jetzt mal“, entschied Sophie spitz. „Vielleicht sollte ich mich einfach die Düne runterkullern lassen und …“

„Ich würde es bevorzugen, wenn Sie das nicht tun.“

„Und wenn doch?“, fragte sie mit blitzenden Augen.

Sie maßen sich mit Blicken wie zwei Duellanten. „Kann es sein, dass Sie etwas stur sind?“

„Ich nenne es entschlossen.“

„Was in Ihrem Fall dasselbe bedeutet, würde ich sagen …“ Damit übernahm Zayn souverän die Führung, und Sophie blieb nichts übrig, als ihm stolpernd und strauchelnd zu folgen, so gut es eben ging.

„Warten Sie hier“, wies er sie am Fuß der Düne knapp an. „Ich gehe vor, um festzustellen, ob unser Besuch willkommen ist.“

„Und wenn nicht?“

Er zuckte mit den Schultern. „Wie gesagt, in der Wüste ist nichts garantiert.“

Während sie ihm nachschaute, spürte Sophie ein flaues Gefühl im Magen, warum, wusste sie selbst nicht. Sollte sie Alarmzeichen entdecken, konnte sie sich ja immer noch wieder die Düne hinauf und in den Wagen retten. Aber was war mit Zayn?

Lieber Himmel! Mache ich mir etwa Sorgen um meinen skrupellosen Kidnapper?

Ob sie nun gerade melodramatisch oder paranoid war … als sie sah, wie sich Zayn mit ausgebreiteten Armen langsam einem der Zelte näherte – wahrscheinlich, um zu demonstrieren, dass er keine Waffen trug –, klopfte ihr Herz wie verrückt. Plötzlich trat hinter der Zeltplane ein kräftig aussehender Mann hervor und verharrte einen Moment.

Nach einem kurzen Wortwechsel zog der Fremde den Neuankömmling in eine typisch maskuline Umarmung. Sobald sich die Männer wieder getrennt hatten, wandte Zayn sich um, blickte in Sophies Richtung und kam langsam auf sie zu. Seine schwarzen Augen suchten ihren Blick und hielten ihn fest, während ihr Herz in einem verrückten Stakkato schlug. Sophie tat ihr Bestes, um neutral und souverän zu wirken, konnte aber nicht beurteilen, wie gut es ihr gelang.

„Wir sind willkommen“, erklärte Zayn rau, als er vor ihr stand.

„Oh, das ist gut. Ich habe mir nämlich schon eine Verteidigungsrede für Ihren aufgebrachten Hofstaat überlegt, im Fall, dass ich ohne Sie mit Ihrem tollen SUV in den Palast zurückkehre.“

Sein schwaches Lächeln sagte ihr, was Sophie sich lieber verkniff. Ohne ihn würde sie niemals von hier wegkommen. Sie schaffte ja kaum einen Schritt in dem tiefen Sand, ohne zu straucheln.

„Ich habe Jamal sogar gestanden, dass Sie Reporterin sind, und er hat uns trotzdem nicht abgewiesen. Ich werte das als gutes Zeichen.“

„Dann hat er nichts dagegen, wenn ich mir Eindrücke notiere und sie später in meinem Artikel verwende?“

„Hier draußen lebt man relativ unberührt vom Weltgeschehen, was nicht heißt, dass Nachrichten gar keine Rolle spielen. Solange die Berichterstattung fair ist, gibt es kein Problem. Allerdings bin ich überrascht, so etwas wie Skrupel bei Ihnen zu entdecken …“

Heiße Röte schoss in Sophies Wangen. „Ich gehe mal davon aus, dass sich Ihre Rückschlüsse an bisherigen Erfahrungen mit Reportern orientieren, und angesichts meiner … Vorstellung in der Gasse hinter dem Chatsfield, kann ich es Ihnen nicht einmal verübeln. Aber ich schreibe für den Gesellschaftsteil vom New York Herald und nicht für ein schmieriges Blatt der Yellow Press. Und es gehört absolut nicht zu meinem Stil, Menschen zu diskreditieren, zu verleumden oder gar zu zerstören.“

„Außer, es handelt sich um einen Chatsfield.“

Sophie räusperte sich umständlich. „Ich habe nie behauptet, ihn vernichten zu wollen, höchstens ein wenig … aufmischen.“

„Mit welchem Ziel?“

„Sie haben Ihre Geheimnisse, ich meine. Und anstatt noch länger in der prallen Sonne herumzustehen, könnten Sie mich jetzt eigentlich Ihrem Freund vorstellen, denken Sie nicht?“

Freund trifft es nicht ganz …“, murmelte Zayn, legte lose eine Hand auf Sophies Rücken und geleitete sie zu dem wartenden Stammesoberhaupt, dem Mann, den er Jamal genannt hatte. Er war fast so groß wie Zayn, das dunkle, wie aus Granit gehauene Gesicht war noch härter und eindrucksvoller als das des Scheichs von Surhaadi.

„Sie sind also Reporterin.“

„Ja, das bin ich“, bestätigte Sophie und streckte lächelnd die Hand aus, was ihr Gegenüber allerdings ignorierte. Rasch zog sie sie wieder zurück. „Sophie … Sophie Parsons.“

Der Mann nickte bedächtig. „Na, dann sollten wir mal dafür sorgen, dass Sie später etwas Interessantes zu berichten haben.“

6. KAPITEL

„Ihre Frau ist bereits im für Sie vorbereiteten Zelt, Al-Ahmar.“

Zayn versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn Jamals eher beiläufige Information schockte. „Sie ist nicht meine Frau“, fühlte er sich bemüßigt, den anderen Mann aufzuklären. „Sie steht nur unter meinem Schutz, nichts weiter.“

„Dann möchten Sie Miss Parsons lieber anderswo untergebracht sehen?“

„Wie gesagt …“ Zayn räuspere sich. „Sie steht unter meinem Schutz, was bedeutet, dass sie in meiner direkten Nähe bleiben sollte.“

„Wie Sie wünschen“, kam es gleichmütig zurück.

„Zwischen uns ist absolut nichts.“

Jamal fixierte einen fernen Punkt, irgendwo am Horizont. „Was Sie mit der Frau tun, geht mich nichts an, Al-Ahmar. Ich interessiere mich nicht für Ihre Affären. Solange Sie sich aus meinen Angelegenheiten raushalten, werde ich dasselbe bei Ihnen tun.“

„Zumindest bis zu einem bestimmten Punkt“, bestätigte Zayn mit sanfter Ironie.

„Nun, immerhin sind Sie hier. Und aufrichtig gesagt, können Sie froh sein, mit mir zu tun zu haben anstatt mit meinem Vater. Bei ihm wäre der Empfang weit weniger gastfreundlich ausgefallen.“

„Dabei bringt Feindschaft uns beide keinen Schritt weiter. Wir wollen die gleichen Dinge, und zwar, was das Beste für jene ist, über die wir herrschen und für die wir die Verantwortung tragen.“

„Generell sicher, aber was das Beste ist, darüber haben wir wohl doch ziemlich unterschiedliche Auffassungen.“

Zayn wiegte zweifelnd den Kopf und lächelte schwach. „Manchmal bin ich mir selbst nicht ganz sicher, was das Beste oder Richtige ist.“

„In der Tat!“ Jamal lachte. „Geht uns das nicht allen hin und wieder so?“

Viel zu oft! „Ich denke, ich werde mich langsam zur Ruhe begeben.“

Eine von Jamals dunklen Brauen wanderte beziehungsvoll nach oben. „Mit so einer Frau in meinem Zelt würde ich das auch tun.“

„Sie haben eine Frau, Jamal, und Miss Parsons ist nicht meine Geliebte“, stellte Zayn noch einmal klar.

„Ganz ruhig, Al-Ahmar. Weder hege ich Absichten, was Ihre Begleiterin betrifft, noch werde ich ein Wort darüber verlauten lassen, was ich hier sehe. Wir mögen nicht in allem einer Meinung sein, aber ich halte Sie für einen Mann von Ehre. Und aus diesem Grund sehe ich keinen Anlass, Ihnen wie auch immer gearteten Ärger zu bereiten.“

Zayn streckte seine Hand aus, die der andere bereitwillig ergriff. „Das kann ich nur erwidern. Zumindest in dem Punkt sind wir uns absolut einig. Ich wünsche Ihnen eine geruhsame Nacht, Jamal.“ Damit zog er sich zurück und tat sein Bestes, um ungebetene frivole Fantasien aus seinem Kopf zu verbannen.

Sophie und er würden sich heute Nacht ein Zelt teilen müssen. Doch das war groß genug und bot ausreichend Platz für sie beide. Er würde sie nicht anfassen!

„Guten Abend.“ Ohne Sophie anzusehen, durchquerte Zayn das Zelt und steuerte die Sitzecke an, wo ihre Taschen standen.

„Was tun Sie hier?“

„Dies ist das Gästezelt. Und da wir beide hier zu Gast sind, werden wir auch beide hier übernachten“, informierte er seine Mitbewohnerin.

„Aber ich habe ja noch nicht mal etwas zum …“ Ihre Worte brachen ab, als ihr Blick auf die Taschen fiel, von denen Zayn eine öffnete.

„Natürlich finden Sie alles, was Sie brauchen, hier drin.“

„Natürlich …“, echote Sophie schwach. „Das hätte ich mir eigentlich denken können angesichts Ihrer allumfassenden Fürsorge, ob ich sie nun will oder nicht.“ Seine unbewegte Miene entlockte ihr eine kleine Grimasse. „Verzeihung, ich meine es nicht so, wie es sich vielleicht anhört.“

„Was sie ärgert, ist vermutlich, dass ich Ihnen absolut keinen Grund gebe, sich unglücklich zu fühlen. Ich tue mein Bestes, um Ihnen alles möglichst komfortabel zu machen, was schrecklich für jemanden sein muss, der entschlossen ist, die geknechtete Gefangene zu spielen. Hinter dem Vorhang in der Ecke finden Sie ein bequemes Bett. Ich komme problemlos mit dem Diwan hier zurecht.“

Sophie schnaubte beleidigt. „Gut. Solange jeder von uns in seiner Ecke bleibt …“

„Natürlich.“ Zayn öffnete die erste Tasche, griff hinein und spürte zarte Seide unter seinen Fingern. Sophies Sachen! Es war, als hätte er sich versengt. „Ich bin verlobt und gedenke, demnächst zu heiraten. Und selbst wenn ich noch auf dem Markt wäre, würde ich niemals eine Frau wie Sie …“

„Okay!“ Erneutes Schnauben. „Wir verstehen uns also?“

„Unbedingt.“ Sein Handrücken brannte wie Feuer, und ein schmerzhaftes Ziehen in den Lenden ließ ihn die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut aufzustöhnen.

„Gut, Themenwechsel!“, schlug Sophie vor. „Ich denke, dies ist der perfekte Zeitpunkt für den zweiten Teil unseres Interviews.“

„Denken Sie?“, echote Zayn.

Sophie kam zu ihm in die Sitzecke und hockte sich auf ein dickes Lederkissen, gegenüber von dem hochlehnigen Diwan. Ohne sie anzusehen, stellte Zayn die Taschen auf dem Boden ab und nahm ihr gegenüber Platz. „Ich fürchte nur, heute wird es keinen Drink geben, um die Prozedur erträglicher zu machen.“

„Kein Problem, ich trinke ohnehin nur sehr selten Alkohol.“

„Darf man den Grund dafür erfahren?“

„Zu teuer, zu viele Kalorien und Kontrollwahn.“

Das entlockte ihm ein leises Auflachen. „Ja, stimmt. Haben Sie nicht erzählt, dass Sie noch nie einen Hangover hatten?“

Sie schüttelte lächelnd den Kopf und zog ihr kleines Aufnahmegerät aus der Hosentasche. „Ich führe das Interview, schon vergessen?“

„Ich vergesse niemals etwas, aber ich liefere auch nichts, ohne etwas zurückzubekommen.“

„Und ich rede nur äußerst ungern über mich selbst. Ich finde es irritierend, dass Sie immer wieder versuchen, den Spieß umzudrehen.“

„Verzeihung.“ Zayn stand abrupt auf und stellte sich hinter die Lehne des opulenten Diwans. Was ihn irritierte und ablenkte, war, Sophie Parsons so nah zu sein, dass es seinen Seelenfrieden störte. „Was hatten Sie mich neulich Abend noch gefragt?“

„Wie Ihre Familie damals an die Macht gekommen ist. Eigentlich interessiert mich die gesamte Familiengeschichte der Al-Ahmars.“

„Richtig … das war es, worüber wir gesprochen hatten“, erinnerte er sich. „Irgendwann in der Vergangenheit haben wir alle so gelebt wie dieser Stamm hier. Allerdings ohne Satellitentelefon. Aber damals kannte man es eben nicht anders. Wichtig war allein, ein Oberhaupt zu haben, das die Richtung vorgab und die Verantwortung trug. Und obwohl nicht in direkter Linie, bin ich Teil dieser Führungshierarchie. Es liegt mir im Blut. Die Mitglieder meines Stammes erwiesen sich in einem Kampf mit einem verfeindeten Nachbarland als die tapfersten und schlagkräftigsten Krieger. Aber was ihnen schließlich die Führungsposition einbrachte, war der gewaltsame Tod unseres Stammesältesten, der sein Leben gab, um die Frauen und Kinder eines weiteren Stammes zu retten, anstatt als Scheich den Thron zu besteigen. So wurde sein Sohn der erste König von Surhaadi.“

Eine Weile herrschte Stille zwischen ihnen. Außer dem Wüstenwind, der an den Zeltwänden rüttelte, war kein Ton zu hören.

„Was für eine traurige Geschichte“, sagte Sophie schließlich. „Sein Leben zu verlieren, ohne je zu erfahren, was danach folgte.“

„Ich stelle mir gern vor, dass er es zumindest geahnt hat.“

Sophie seufzte. „Trotzdem sieht ein richtiges Happy End anders aus.“

„Zumindest hat er mit seiner heroischen Tat die Philosophie der zukünftigen Herrscher von Surhaadi festgelegt: den Schutz der Schwachen und die unbedingte Verantwortung für die ihm anvertrauten Menschen.“

„Ist es das, was auch Sie empfinden? Wie Sie Ihre Rolle als Herrscher sehen?“

„Wenn Sie damit meinen, ob ich bereit wäre, seinem Beispiel zu folgen … nein, so weit würde ich nicht gehen. Trotzdem bin ich entschlossen, Verzicht zu üben und mich bis zu einem bestimmten Grad zu kasteien, um im gleichen Geist zu herrschen, wie er es getan hätte.“

„Spielen Sie auf Ihre geplante Hochzeit an?“

Zayn zögerte. Alles, was er hier sagte, wurde auf Band festgehalten, dazu gedacht, einem weltweiten Publikum kundgetan zu werden. Und, wie Sophie bereits erwähnt hatte, die neugierige Öffentlichkeit liebte Liebesgeschichten. Davon abgesehen wollte er Christine nicht mit übertriebener Aufrichtigkeit wehtun. Natürlich vorausgesetzt, dass man seine Verlobte überhaupt verletzen konnte, was er zunehmend bezweifelte.

Wie auch immer, etwas Sensibilität in einer delikaten Situation wie dieser zu zeigen war sicher kein Fehler. Bisher hatte er sich damit leider nicht gerade ausgezeichnet …

„Ich wusste immer, dass ich eines Tages heiraten würde. Und seit etlichen Jahren war mir klar, dass Christine meine Frau wird. Wir haben bisher nur wenig Zeit miteinander verbracht, und es ist auch nichts Physisches, trotzdem wird unsere Ehe auf Liebe basieren. Auf der Liebe zu unseren Heimatländern, auf dem Wunsch, das Richtige für die Menschen zu tun, die dort leben. Wenn Sie das als Kasteiung bezeichnen wollen …“

Sophie beugte sich vor und fixierte Zayn eindringlich. „Glauben Sie wirklich, dass die Liebe zu einem Land für eine erfüllte Partnerschaft ausreichend ist?“

„Es ist die Liebe, der ich am meisten vertraue. Sie fließt heiß durch meine Adern.“

„Und an die Liebe zwischen zwei Menschen glauben Sie nicht?“

Nie hätte er Sophie für eine Romantikerin gehalten. Doch ihre Stimme klang aufrichtig, neugierig und sandte ihm einen seltsamen Schauer über den Rücken. Er dachte an die kalte, distanzierte Ehe seiner Eltern und an Jasmine und ihren Liebhaber – Damien, diesen verdammten Playboy, den er einst seinen Freund genannt hatte. Ist das etwa Liebe gewesen? Eine Verrücktheit, ein Wahnwitz, der dich Familie und Freunde vergessen und fatale Fehlentscheidungen treffen lässt?

Nein, einen Beweis für die Existenz echter Liebe hatte es in seinem Leben bisher nicht gegeben.

„Mag sein, dass es so etwas wirklich gibt. Wie auch immer, für meinen Geschmack erscheint mir eine Vernunftehe sinnvoller und beständiger.“

„Haben Sie schon immer so gedacht?“, fragte Sophie.

„Nein.“ Eine aufrichtige, wenn auch unbeabsichtigte Reaktion von seiner Seite.

„Wann hat sich Ihre Haltung geändert?“

Zayn hatte das Gefühl, sein Blut würde zu Eis gefrieren. „Vor einiger Zeit.“

„Gab es einen bestimmten Anlass?“

Derart in die Enge getrieben, knirschte er unhörbar mit den Zähnen. Entweder er verweigerte jetzt eine Antwort oder entschied sich zumindest für ein gewisses Maß an Aufrichtigkeit. So, wie er Sophie Parsons bisher kennengelernt hatte, blieb ihm wohl kaum eine Wahl. „Früher waren wir zu dritt: ich und meine Schwestern Jasmine und Leila. Leider ist Jasmine vor einigen Jahren von uns gegangen …“ Verzweifelt versuchte er die Erinnerungen auszublenden: grausame Bilder, Geschrei, wilde Anschuldigungen. „Ein Verlust wie dieser, eine so tiefe Trauer verändert die Menschen. Sie lässt einen umdenken.“

„Ihr Verlust tut mir sehr leid“, sagte Sophie leise.

„Das alles liegt lange zurück. Inzwischen hat sich vieles geändert, für uns alle.“

„Natürlich. Aber ich verstehe jetzt, dass Ihr Leben und meins sich noch weitaus mehr unterscheiden, als ich es bisher schon angenommen habe.“

Irritiert sah Zayn sie an. „Wie meinen Sie das?“

„Na ja, ich muss in der Regel nur für mich denken und entscheiden. Nicht, dass ich die Meinung anderer völlig ignoriere, aber sie betrifft mich nur am Rande. Sie, als Herrscher eines ganzen Landes, denken, leben und handeln aus einer ganz anderen Motivation heraus, auf größere Ziele ausgerichtet. Wenn Sie nur eine kleine Bewegung machen, betrifft es gleich unzählige Menschen. Das können nicht sehr viele von sich sagen.“

„Ich weiß nicht recht, Sie als Journalistin verbreiten Ihre Informationen über die Druckpresse, Internet und TV auch weltweit und beeinflussen damit Millionen.“

„So global habe ich das noch nie gesehen. Eigentlich denke ich nur über Dinge nach, die mein Leben verändern können. Dabei geht es meistens um so profane Sachen wie die nächste anstehende Miete oder darum, mir endlich mal wieder ein neues Outfit für meinen Job beim Herald leisten zu können. Ich …“

„Ja?“

„Ach, nichts.“

„Unsinn, dann würden Sie nicht so aussehen, als stünden Sie kurz vorm Platzen.“

Hilflos schüttelte Sophie den Kopf, dann seufzte sie tief auf. „Ich träume davon, eine Position zu erlangen, die mir gewisse Rechte sichert und Freiheiten gestattet“, formulierte sie ihre Worte mit Bedacht. „Und wenn es so weit ist, werde ich zu meinem Vater gehen, ihm meine Hand entgegenstrecken und sagen: ‚Hallo, ich bin Sophie Parsons. Ich trage nicht deinen Namen, weil du mich dessen nicht für wert erachtet hast. Aber jetzt bin ich hier, im gleichen Raum wie du, und ob es dir gefällt oder nicht, ich bin nun mal deine Tochter …‘

Sie blinzelte und musste heftig schlucken, um den Kloß in ihrem Hals loszuwerden.

„Und dann werde ich ihm sagen, dass ich es aus eigener Kraft bis hierher geschafft habe, ohne seine Hilfe! Und ohne seinen Namen vorzuschieben, wie seine anderen Sprösslinge es tun. Er soll sehen, dass sein verschmähtes Kind es von allen am weitesten gebracht hat.“

Jedes ihrer Worte traf ihn wie ein Fausthieb in den Magen. Langsam erahnte Zayn, woher ihre Entschlossenheit, ihr Mut und ihr seltsam anrührender Trotz kamen. Und woher das schlechte Verhältnis zu ihrer Mutter rührte, von der sie fast mit Verachtung gesprochen hatte. Wie es aussah, hatte ihre Mutter sich in jemanden verliebt, der sie komplett im Stich ließ. Einen Mann, der für seine anderen Kinder sorgte und seine illegitime Tochter ignorierte.

Wie sollte er nachvollziehen können, was Sophie fühlen musste? Sein Platz im Leben stand bereits am Tag seiner Geburt felsenfest. Sein Name, der Jahrhunderte alt war, öffnete ihm alle Türen. Sein Blut sicherte ihm das Entree in höchste Kreise. Eine Reputation, die er nicht immer verdient hatte, aber die er sich wild entschlossen zurückerobern wollte.

Im Gegensatz zu ihm konnte sich die Frau vor ihm auf nichts berufen. Was und wer sie war, verdankte sie allein sich selbst. Wäre er an ihrer Stelle, hätte er nur wenig Hoffnung, die Fehler seiner Vergangenheit je wiedergutmachen zu können. Aber dank seines Namens und Standes wurde ihm vergeben, dem rebellischen Adelsspross, der über ein wenig zu viel Macht und Geld verfügte, als für ihn gut war. Einem wilden jungen Mann, zu attraktiv und begehrt, der sich rücksichtslos nahm, was immer er wollte, und sich damit absolut überfordert hatte.

Er hätte gern etwas gesagt, doch Zayn spürte, dass sich Sophie einem Rat oder Trost von seiner Seite nicht zugänglich zeigen würde. Doch sie hatte ihm einen kleinen Einblick in ihr Inneres gewährt, und darum schuldete er ihr etwas. „Heißt es nicht, die beste Revanche für entgangene Chancen sei ein erfolgreiches Leben? Und nach meinem Ermessen führen Sie das bereits.“

„Weil ich mit einem Scheich in der Wüste sitze und ihn interviewe?“, flüchtete Sophie sich in Sarkasmus.

Zayn lächelte. „Auch Jamal ist von königlichem Geblüt, also ein Doppelgewinn.“

„Wow!“

„Nein, jetzt mal im Ernst. Ich halte Ihren Vater für einen Riesendummkopf, eine Tochter wie Sie zu verleugnen.“

„Versuchen Sie etwa, mir ein Kompliment zu machen?“

„Tun Sie nicht so überrascht, Sophie. Ich bewundere aufrichtig Ihre Entschlossenheit und Ihren Kampfgeist, sogar wenn ich selbst in Ihr Visier gerate. Mir ist alles unverdient in die Wiege gelegt worden, und ich habe meine Privilegien missbraucht und andere damit verletzt.“

„Wie … was meinen Sie damit?“

Sofort verschloss sich sein Gesicht. „Das heben wir uns besser für morgen auf.“

„Wie unfair!“, rief Sophie enttäuscht. „Wieder sind wir meinem Skandal noch nicht mal in die Nähe gekommen.“

„Keine Bange, der läuft uns nicht weg …“, murmelte Zayn tonlos und schauderte unter der bitteren Wahrheit der flapsigen Worte. Der Zeitpunkt, an dem er Sophie Parsons gestehen musste, dass er gar keine brisanten Informationen James Chatsfield betreffend verborgen hielt, sondern das nur behauptet hatte, um von dem Skandal um seine Schwester abzulenken, rückte unaufhaltsam näher. „Jetzt sollten wir uns schlafen legen.“

Sophie erhob sich von dem Lederkissen, und im Schein der Laternen über ihnen schimmerte ihr Haar wie flüssiges Gold. Ihre Augen glitzerten verdächtig, ob vor Empörung, Frustration, ungeweinten Tränen oder ganz anderen Emotionen, wollte er lieber nicht ergründen. Trotzdem zog es ihn unwiderstehlich zu ihr hin. Sie war die personifizierte Versuchung, sein Kismet, vom Schicksal gesandt, um ihn zu testen.

Gleichzeitig waren es ihre Lebensgeschichte, Aufrichtigkeit und Tapferkeit, die ihn ganz neu beflügelten, die ihm in die Wiege gelegten Privilegien höher zu achten als je zuvor und sie einzusetzen, um den Menschen zu dienen, für die er die Verantwortung trug.

Wie konnte eine einzige Frau beides gleichermaßen stark und überzeugend repräsentieren? Ihn gleichzeitig animieren, über sich hinauszuwachsen, sich selbst für ein höheres Ziel zu kasteien … und ihn dazu herausfordern, einfach alles hinzuwerfen, um in ihren weichen Armen Vergessen zu finden und seinem Körper zu geben, wonach er sich verzehrte.

„Macht es Ihnen etwas aus, mir einen Moment Privatsphäre zu gönnen?“

„Nein, natürlich nicht.“

Ihr zuzusehen, wie sie sich für die Nacht fertig machte … mit der Erinnerung an Jasmine im Gedächtnis, mit Leilas Geheimnis, das auf seinen Schultern lastete, und Christine, der er versprochen war, erschien ihm die Vorstellung fast wie Blasphemie. Und doch verblasste all das, wenn er in Sophies grüne Katzenaugen schaute.

Es ist Blasphemie!

Und was das Schlimmste war, er wusste nicht einmal, ob er die Kraft oder auch nur den Willen hatte, dagegen anzukämpfen. Aber war es das wirklich wert? Seine Zukunft, die Leilas und seines Landes, die Allianz mit dem Land seiner Verlobten wegzuwerfen für eine amerikanische Journalistin, die das Ganze vielleicht als willkommene Skandalstory veröffentlichte?

Das würde sie nie tun.

Zayn wusste doch, dass man niemandem trauen durfte. Nicht nach dem Betrug seines Freundes Damien. Und selbst wenn Sophie Parsons nicht das war, wofür er sie zunächst gehalten hatte, kannte er inzwischen ihre Entschlossenheit, um jeden Preis zu siegen und nach oben zu kommen.

„Lassen Sie es mich wissen, wann Sie so weit sind, dass ich zurück ins Zelt kann.“

Nie! entschied Sophie für sich spontan. Viel zu gefährlich für mich …

Wenn er Gedanken lesen könnte, würde Zayn das wissen. Aber zum Glück konnte er das nicht, denn sonst würde er auch wissen, dass er sie viel stärker beunruhigte, als sie es sich eingestehen wollte. Allein die Vorstellung, ein Zelt mit ihm zu teilen, sandte ihr einen heißen Schauer nach dem anderen über den Rücken.

Atemlos wartete sie, bis er gegangen war, dann stürzte sie sich förmlich auf die Tasche und kramte darin herum, bis sie einen seidenen Pyjama in Händen hielt. Anders als sie hatte Zayn natürlich von vornherein gewusst, dass sie über Nacht in der Wüste bleiben würden! Vielleicht sogar das mit dem gemeinsamen Zelt …

Er hat nicht vor, dich zu verführen!

Nein, ganz sicher nicht. Außerdem gehörten dazu immer noch zwei! Und sie war in dieser Hinsicht absolut nicht anfällig. Das hatten schließlich schon andere Männer bei ihr versucht. Nicht, dass sie grundsätzlich gegen eine Beziehung war, bisher hatte es sich einfach noch nicht ergeben, das war alles.

Dass Zayn der heißeste Typ war, den sie je getroffen hatte, konnte sie nicht leugnen. Doch allein durch ein hübsches Gesicht durfte sie sich nicht von dem ablenken lassen, weshalb sie hier war. Wobei hübsch eindeutig das falsche Wort war. Dafür waren seine Züge zu markant und die schwarzen Augen zu intensiv, obwohl der glühende Blick durch die unglaublich dichten dunklen Wimpern etwas gefiltert wurde …

Wäre er eine Frau, könnte er komplett auf Mascara verzichten.

Sophie seufzte, schlüpfte in ihren Pyjama und bemühte sich zu ignorieren, wie zärtlich sich die kühle, fließende Seide an ihren erhitzten Körper schmiegte.

Wichtiger als Schönheit ist auf jeden Fall Charakter, gerade bei einem Mann!

Mit einem erneuten Seufzer zog sie die Klammern aus ihrem Haar und schüttelte die seidige Flut aus. Das Schlimme war, dass ihr Kidnapper nicht nur unleugbar attraktiv, sondern auch mindestens so interessant war. Und aufregend und …

Sophie holte tief Luft, ging zum Zelteingang und schlug die Plane zurück. Zayn stand mit dem Rücken zu ihr. Dunkel, groß und seltsam angespannt.

„Ich bin so weit.“

Langsam wandte er sich zu ihr um. „Ich nicht, muss ich gestehen.“

„Oh, na ja … ist es denn okay, wenn ich mich schon mal hinlege?“

„Tun Sie, was Sie wollen. Ich werde wahrscheinlich heute Abend nicht mehr zurückkommen.“

„Wo wollen Sie denn hin?“ Natürlich ging sie das nichts an, und eigentlich hätte sie sich nur erleichtert fühlen müssen. Doch es war keine Erleichterung, die Sophie empfand. Sie war verwirrt und besorgt.

„Ich werde einen Spaziergang machen, danach finde ich vielleicht ein anderes Schlafquartier.“

„Aber mir macht es absolut nichts aus, wenn Sie auch im Zelt schlafen“, versicherte Sophie für ihren eigenen Geschmack viel zu hastig. Sie spürte, wie sich ihre Nackenhaare sträubten. Ob es an dem eindringlichen Blick aus nachtschwarzen Augen lag oder dem unbehaglichen Gefühl, möglichen Gefahren der Wüste ganz allein ausgesetzt zu sein, konnte sie nicht sagen. Doch anstatt sich einfach zurückzuziehen, trat sie instinktiv einen Schritt auf Zayn zu.

„Halt!“

Sophie gehorchte und schluckte krampfhaft. „Tut mir leid, dass ich anfangs so zimperlich war …“, versuchte sie es noch einmal. „Aber das Zelt ist wirklich groß genug für uns beide.“

„Ich kann nicht bleiben“, kam es gepresst zurück. „Sonst passiert noch etwas, das wir beide später bereuen würden.“

Noch ehe sie ihn fragen konnte, was er damit meinte, war Zayn auch schon in der Dunkelheit verschwunden. Sophie stand wie angewurzelt da und starrte ihm hinterher, bis ihre Augen vor Anstrengung tränten und sie zu frösteln begann. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass er Emotionen in ihr schürte, die kein anderer vor ihm geweckt hatte? Abwehrend schüttelte sie den Kopf, wandte sich um und kehrte ins Zelt zurück.

Es ist nicht mehr als ein temporärer Wahnsinn, und der wird vergehen …

Außerdem war Zayn einer anderen Frau versprochen. Und sie war nicht der Typ Frau, der so etwas ignorierte und ins Territorium einer anderen eindrang. Anders als ihre Mutter, der es egal gewesen war, was ihr Liebhaber anderen Frauen schwor, solange er sie nicht ganz verschmähte. Ihr Niedergang war Sophie Warnung genug.

Tapfer ignorierte sie das Ziehen in ihrem Herzen und legte sich ins Bett.

Als Zayn am nächsten Morgen beim Zelt ankam, war er bis auf die Knochen durchgefroren. Sein Entschluss, im Freien zu übernachten, war trotzdem besser gewesen, als das Zelt mit Sophie zu teilen. Okay, vielleicht nicht wirklich besser, aber auf jeden Fall sicherer.

Und eine absolute Notwendigkeit …

Jetzt sehnte er sich allerdings nach Wärme und Komfort. Trotz der heißen Tage waren die Nächte in der Wüste nahezu unerträglich kalt.

Als Zayn die Zeltplane zurückschlug und eintrat, empfingen ihn ein raschelndes Geräusch und ein spitzer Aufschrei. Er sah Sophie gerade noch um die Ecke der Trennwand verschwinden, hinter der das Bett stand, wo sie hastig die Tunika über ihren Kopf zog. Gleich darauf kehrte sie mit pinkfarbenen Wangen und blitzenden Augen zurück, das Haar eine wilde Fülle goldener Locken.

„Können Sie nicht klopfen?“

„Wie denn?“, fragte Zayn zurück und wies beziehungsvoll mit dem stoppeligen Kinn auf die flatternde Zeltplane im Eingang.

„Ha, ha! Ankündigen hätten Sie sich schon können“, warf sie ihm unbeeindruckt vor. „Irgendetwas rufen oder einen Vogel imitieren.“

„Würden wir noch ein paar Tage länger bleiben, müssten wir unbedingt ein Signal vereinbaren oder eine Art Code erfinden. Da wir aber bald abreisen …“

„Schon gut!“ Gereizt strich Sophie sich das wirre Haar aus dem Gesicht. „Aber als Frau kann man heutzutage nicht vorsichtig genug sein. Überall kann es einem passieren, dass man plötzlich und ohne Vorwarnung auf offener Straße gekidnappt wird.“

Trotz der inneren Anspannung konnte Zayn sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ist das so?“

„Ich könnte Ihnen Sachen erzählen! Aber das führt jetzt zu weit.“

„Unbedingt“, bestätigte Zayn trocken. „Bereit zum Aufbruch?“

Sophie vergewisserte sich mit einem Rundumblick. „Gepackt habe ich wohl alles.“

„Und wie haben Sie im Zelt geschlafen?“

„Danke, gut, das Bett war ausgesprochen bequem. Und selbst?“

Immer noch fröstelnd und mit einem schier unerträglichen Druck in den Lenden konnte er nicht lügen. „Nicht so berauschend.“

„Wo haben Sie denn nun die Nacht verbracht?“

„Ich habe ein lauschiges Plätzchen in den Dünen gefunden.“ Er wusste auch nicht, warum er ihr das erzählte.

Sophies Augen wurden kugelrund. „Sie behaupten jetzt nicht, unter freiem Himmel geschlafen zu haben! Bestimmt wollen Sie mir nur ein schlechtes Gewissen machen.“

„Sie hatten ein Recht auf Ihre Privatsphäre.“

„Deshalb wollten Sie ja auch auf dem Diwan schlafen. Haben Sie nicht selbst behauptet, keine Gefahr für mich zu sein?“

„Ich würde Sie nie verletzen, Sophie“, versicherte er rau. „Aber ich könnte etwas tun, das wir beide hinterher bereuen würden, Sie verstehen?“

Verwirrt sah sie ihn an. „Nein, ich befürchte nicht so richtig …“

„Verdammt, Sophie!“, stieß er hervor und umfasste ihr Handgelenk. „Was ich tun würde, könnte uns beiden besser gefallen, als es darf, und nicht wiedergutzumachenden Schaden anrichten …“ Er war ihr so nah, dass sie seinen heißen Atem auf ihrer Haut spürte. „Verstehst du jetzt?“

Ihre Augen weiteten sich, die Lippen formten ein nahezu perfektes Oh, und er fragte sich unwillkürlich, ob sie sich genauso weich und sanft anfühlten, wie sie aussahen. Und ob ihre weiblichen Rundungen sich so bereitwillig an seinen Körper schmiegen würden, wie er es vermutete. Alles unsinnige Fragen, auf die er nicht mal eine Antwort verdiente!

Egal, wie heiß und fordernd sein Blut durch die Adern strömte oder seine Lenden schmerzten, nichts davon durfte er zulassen. Er musste an die schwere Verantwortung denken, die auf ihm lastete … an Leila, Christine und an Jasmine.

„Oh, ich glaube, jetzt weiß ich, was du meinst“, murmelte Sophie, ohne sich der vertraulichen Anrede bewusst zu sein.

„Darum werden wir auch beide vergessen, was ich gesagt habe.“

„Aber … ich meine …“ Sophie hatte plötzlich den Eindruck, etwas unendlich Kostbares zu verlieren. „Wir können doch nicht so tun, als wäre nichts gewesen?“

„Das müssen wir. Aber jetzt weißt du, warum ich gestern Abend gehen musste.“

„Weil du dich von mir angezogen gefühlt hast?“

Es war die Art, wie sie es sagte, die ihm mitten ins Herz fuhr. Mit so einer Offenheit und Unschuld, dass es fast an Naivität grenzte. „Mehr, als du dir vorstellen kannst.“

„Aber wie ist das möglich? Was hätte ich dir schon zu bieten?“

Zayn lachte rau. „Willst du behaupten, du wärst dir deiner Anziehungskraft gar nicht bewusst?“

Sophie runzelte die Stirn. „Nein, ich meine … natürlich bist du nicht der erste Mann, der etwas von mir will. Aber ich hätte nie gedacht, dass sich jemand versucht fühlen würde, für den ich gar nicht infrage komme.“

Zayn wandte ihr den Rücken zu. „Tja, es gibt wohl für alles ein erstes Mal, oder?“

„Vermutlich …“

Er wusste, dass er drauf und dran war, einen Riesenfehler zu machen. Trotzdem konnte er es sich nicht verkneifen: „Und du warst kein bisschen in Versuchung?“

Sophie spürte einen schmerzhaften Stich im Herzen, das sie jetzt fest in ihren Händen halten musste. „Wenn ich das zugeben würde, wäre ich wohl die dümmste Frau auf der Welt oder würde am Stockholm-Syndrom leiden“, erwiderte sie spröde.

„Das beantwortet nicht meine Frage.“

Jetzt war sie es, die sich abwandte und um Fassung rang. „Vielleicht solltest du wissen, dass ich bisher erst einen Mann geküsst habe.“

„Ich verstehe nicht ganz, worauf du damit hinauswillst.“

„Es war auf einer Uni-Party“, fuhr Sophie mit belegter Stimme fort. „Er war einer der Favoriten, ein typischer Upper-Class-Guy. Die Sorte, die jemand wie ich tunlichst meiden sollte. Wie auch immer, es endete damit, dass wir zusammen auf einem Sofa saßen und er sich irgendwann zu mir beugte und mich küsste. Ich war enttäuscht und erleichtert zugleich, weil mir plötzlich klar wurde, dass ich niemals diese Art von Besessenheit fühlen könnte, mit der meine Mutter an meinem Vater hing. Ich wusste, dass ich darüberstand und nie in die Versuchung geraten würde, mich für einen Mann aufzugeben.“

Völlig unerwartet fuhr sie herum und maß Zayn aus funkelnden grünen Augen.

„Doch warum auch immer, habe ich mich vom ersten Moment unserer Bekanntschaft an gefragt, wie es wohl wäre, von dir geküsst zu werden!“, gestand sie ihm völlig unerwartet und regelrecht aufgebracht. „Dabei wäre es doch logischer, wenn ich das Bedürfnis hätte, dich zu schlagen anstatt zu küssen, oder nicht?“

Zayn war so verblüfft, dass es ihm förmlich die Sprache verschlug. Gut, dass er gestern Abend noch nichts von diesen Gefühlen gewusst hatte, sonst hätte er heute Morgen unter Garantie einiges zu bereuen gehabt.

„Keine Sorge, aus der Sache kann ohnehin nichts werden.“ Er sagte es mehr als Warnung für sich selbst. „Wir machen einfach so weiter wie bisher.“

„Natürlich, was denn sonst?“, erwiderte Sophie nach einer kaum merklichen Pause spitz.

„Gut … wollen wir aufbrechen?“

Sie nickte. „Wie gesagt, ich hab bereits gepackt.“

In der Enge des Geländewagens spürte Sophie förmlich, wie die Spannung zwischen ihnen von Sekunde zu Sekunde zunahm. Sie hätte Zayn gegenüber niemals so offen und aufrichtig sein dürfen. Und er ihr gegenüber ebenso wenig. Was hatten sie sich nur dabei gedacht?

Doch noch schlimmer war, dass es sich alles tatsächlich so anfühlte.

Wie konnte sie sich nur derart zu ihm hingezogen fühlen, ihm Dinge anvertrauen, über die sie mit niemandem zuvor je gesprochen hatte, und auch noch überlegen, wie es wohl wäre, von ihm geküsst zu werden? Nichts davon ergab Sinn.

Je länger sie die endlose Weite der Wüste durchfuhren, die offenbar ihre eigenen Gesetze hatte, desto elender und verstörter fühlte sich Sophie. Als der Himmel über ihnen sich dann auch noch verfärbte und sich aus der fahlen Bläue silbergraue Wolken formierten und auftürmten, macht sich so etwas wie Panik in ihr breit.

„Was hat das zu bedeuten?“

„Nichts Gutes.“

„Ein bisschen nichts Gutes, oder so richtig nichts Gutes?“

„Schon mal mit einer Sturzflut konfrontiert worden?“

„In einer Reportage oder persönlich?“

„Sehr persönlich! Ich befürchte, wir werden gleich eine erleben. Das Beste ist, sich auf eine Anhöhe zurückzuziehen und es einfach auszusitzen.“

„Ist das alles, was wir tun können?“ Langsam befiel sie echte Panik.

„Möglicherweise gelingt es mir noch, ein Zelt aufzustellen, bevor es losgeht.“

„Wir haben ein Zelt mit?“, staunte Sophie.

„Natürlich, das ist ein unerlässliches Accessoire in diesen Breitengraden.“

„Wow! Was habe ich für ein Glück, dass ich mit einem Scheich unterwegs bin, der sich als versierter Pfadfinder entpuppt.“

„Über Pfadfinder weiß ich nichts, dafür aber, wie man in der Wüste überlebt.“

Ihre Erleichterung war geradezu lächerlich. Verrückt, doch sie glaubte Zayn jedes Wort. Obwohl bislang noch kein Tropfen Regen gefallen war, sah Sophie schon riesige Wasserfluten auf sie zurollen, ohne vor Angst zu zittern. Okay, möglicherweise neigte sie etwas zur Melodramatik, aber …

Erschrocken hielt sie sich am Türgriff fest, als Zayn abrupt die feste Piste verließ und der SUV mit röhrendem Motor über Stock und Stein eine riesige Sanddüne in Angriff nahm. „Ich fahre so weit nach oben, bis ich das Gefühl habe, wir sind dort sicher, okay?“

Dass er ihre Besorgnis ernst nahm, rührte Sophie, besonders, da sie es eigentlich sorgfältig vermied, anderen gegenüber Schwäche zu zeigen. „Okay.“

Sie fuhren weiter, bis sie die Kuppe der Düne erklommen hatten. „Hier werden wir campen. Vielleicht müssen wir gar nicht lange bleiben, aber sollte die Flut kommen, wird sie die Straße überspülen. Hier oben sind wir sicher wie auf einer Insel.“

„Und das Zelt wird uns inmitten der Sintflut trocken halten?“

„Ja, es ist keines dieser Sportzelte aus dem Campingbedarf, sondern extra für solche Fälle angefertigt.“

„Noch ein Vorteil königlicher Geburt …“, murmelte Sophie.

„Das hat nichts mit meiner Herkunft oder meinem Stand zu tun. Ebenso wenig wie mit den neuesten technischen Errungenschaften. Dieses Zelt wurde in Handarbeit von Surhaadis besten Handwerkern gefertigt, nach einer jahrhundertealten Technik und Tradition. Diese Region wurde schon immer von Sandstürmen und Sturzfluten heimgesucht.“

Zweifelnd schaute Sophie zum Himmel auf, der sich in den letzten Minuten dramatisch verfinstert hatte. „Ich glaube, wir sollten uns lieber beeilen.“

„Was meinst du mit wir?“ Zayn öffnete die Wagentür und stieg aus.

Sie folgte seinem Beispiel. „Na, du hast doch wohl nicht gedacht, ich würde dir die ganze Arbeit aufhalsen?“

„Kannst du denn überhaupt ein Zelt aufbauen?“

Sophie errötete. Wie locker wir plötzlich miteinander reden können, fast als wären wir Freunde. Oder sogar mehr …

„Nicht wirklich. Aber ich kann es ja lernen. Anreichen oder halten kann ich dir bestimmt irgendwelche Stangen oder so.“

„Oder so …“ Zayn nickte, ging um den Geländewagen herum, öffnete den Kofferraum und hob ein kompaktes Bündel heraus. In Sophies Augen war es nicht groß genug, um ein Zelt zu beherbergen. Schon gar nicht eines, das groß genug für sie beide war. Oder auch nur annähernd so luxuriös wie ihr Domizil der letzten Nacht.

„Werden Jamal und seine Leute das Wetter überstehen?“

„Ja, der Boden dort ist nicht so verdichtet und kann weitaus mehr Wasser aufnehmen.“

„Seltsam, was für ein Unterschied fünfzig Kilometer ausmachen können.“

„Absolut. Surhaadis Hauptstadt liegt ganz bewusst auf einer Anhöhe, was verhindert, dass die Infrastruktur durch Unwetter gefährdet werden könnte.“ Damit schulterte er das Bündel, ging ein Stück zur Seite, warf es auf den Boden und begann auszupacken.

„Gibt es irgendetwas, das ich tun kann?“

Er schaute zum schwarzen Himmel auf. „Falls es anfängt zu schütten, kannst du einen Schirm über uns halten.“

„Das sollte ein Witz sein, oder?“

Zayn verzog keine Miene. „Stimmt.“

„Ich wusste gar nicht, dass du auch komisch sein kannst.“

Er lächelte, und Sophie hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten, so schwach wurden ihre Knie plötzlich.

„Vielleicht habe ich ja noch die eine oder andere Überraschung für dich auf Lager, Miss Sophie Parsons …“

Wie Sophie vermutet hatte, war das Zelt eher klein. Sehr klein, um genau zu sein.

Wenn ihr Zayns Gegenwart schon in Jamals Gästezelt überwältigend erschienen war, musste sie hier drin geradezu beängstigend sein. Sie würde vor Angst zerschmelzen.

Du schmilzt doch auch so schon dahin, wenn du ihn nur siehst! verhöhnte sie die kleine Stimme in ihrem Hinterkopf.

Das Zelt war kaum hoch genug, um aufrecht darin stehen zu können. Sie selbst stieß mit dem Kopf gegen das Dach, und Zayn musste seinen einziehen. Keine Frage, die beengte Situation würde sie beide an den Rand des Wahnsinns treiben …

Am Rand des Wahnsinns vor mühsam im Zaum gehaltener Lust!

Verdammt! Bisher hatte sie sich in dieser Hinsicht für immun gehalten. Inzwischen wusste Sophie es besser.

Kaum war Zayn mit dem Aufbau fertig, begann der Regen zu strömen, und Sophie hechtete förmlich ins Zelt. Zayn folgte ihr, mit einem Rucksack im Schlepptau. „Hier ist etwas zu essen für uns.“

„Hmm! Ich bin ein ausgesprochener Fan von Essen.“

Inzwischen klatschte der Regen aufs Zeltdach, als hätte der Himmel alle Schleusen auf einmal geöffnet.

„Es ist nichts Besonderes“, verkündete Zayn gleichmütig, zog den Reißverschluss am Rucksack auf und zauberte Vorratsdosen mit Fladenbrot, Weintrauben und anderen Früchten hervor, die Sophie nicht identifizieren konnte. Dazu zwei Flaschen Wasser, von denen er ihr eine reichte.

„Wunderbar, alles bestens“, verkündete Sophie und ahmte Zayn nach, der es sich im Schneidersitz auf einer Decke bequem machte, die er zuvor ausgebreitet hatte. Dann öffnete sie ihre Flasche und nahm einen Schluck. Als er ihr die Obstschachtel reichte, griff Sophie nach einer purpurroten Frucht, steckte sie in den Mund und begegnete Zayns Blick. Ihr Herz machte einen Sprung, rasch senkte sie die Lider.

Sobald sie wieder in New York war, würde sie als Erstes ein heißes Date arrangieren! Offenbar hatte sie diesen Part ihres Ichs bisher zu rigoros verleugnet. Vielleicht lag es auch gar nicht an Zayn, sondern an fünfundzwanzig Jahren selbst auferlegter Enthaltsamkeit. Dabei hatte sie sich keinesfalls vorgenommen, eine vertrocknete alte Jungfer zu werden. Nur, mit irgendeinem Kerl ins Bett zu steigen, der nicht annähernd diese himmelsstürmenden Emotionen in ihr auslöste wie Zayn, erschien ihr wenig attraktiv.

Oder sie war einfach nicht normal. Denn dieses heiße Verlangen, das sie von innen her zu versengen drohte, hatte so gar nichts mit den Schmetterlingen zu tun, von denen ihre Schulkameradinnen und später ihre Kommilitoninnen schwärmten.

„Wie es aussieht, werden wir wohl eine Weile hierbleiben müssen“, stellte Sophie möglichst nüchtern fest, sobald sie ihr Mahl beendet hatte. „Der beste Zeitpunkt für unser drittes Interview, denke ich.“

„So, denkst du …“, kam es wenig ermutigend zurück.

Ihre Journalistenneugier wurde wach, ihr Blick forschend. Jedes Mal, wenn sie das Interview erwähnte, beschlich sie das Gefühl, an irgendetwas zu rühren, hinter dem sich möglicherweise mehr verbarg, als sie wissen oder ertragen könnte. Woher diese absurde Idee rührte, konnte sie sich allerdings nicht erklären.

„Nachdem wir bereits über die Geschichte deines Landes und deiner Familie gesprochen haben, wie wäre es, wenn du mir jetzt etwas über dich selbst erzählst?“

„Über mich?“

Jetzt war Sophie überzeugt, dass Zayn etwas Eklatantes zurückhielt. Neben der Wachsamkeit in den schwarzen Augen sah sie eine seltsame Leere, die ihr regelrecht Angst einjagte. Doch ein Zurück gab es nicht. Während sie noch überlegte, was sie als Nächstes sagen sollte, begann Zayn überraschend zu sprechen.

„Es ist wirklich interessant, wie sich alles verändert hat. Schon zur Zeit meiner Geburt war Surhaadi ein reiches Land, gewachsen aus den Nomadenstämmen, die noch in Zelten gelebt hatten. Doch positive Veränderungen wie Wohlstand sind keine Garantie für einen starken, festen Charakter.“

„Und was hat das mit dir zu tun?“

„Wenn man jemandem schon an der Wiege prophezeit, dass ihm eines Tages die ganze Nation zu Füßen liegen wird, kann das leicht zu jugendlichem Größenwahnsinn führen. Ich war absolut vertraut mit der Geschichte meiner Vorfahren und damit, was Tapferkeit, wilde Schlachten und die Vernichtung des Bösen betraf, nur habe ich dabei leider das Kapitel Moral außen vor gelassen und dass es für den Führer einer Nation einfach nicht reicht, nur seine Macht zu demonstrieren. Selbstaufopferung und Verzicht stehen an erster Stelle, doch mir erschien das Leben wie ein aufregender Basar, aus dem ich mich nach Lust und Laune bedienen konnte …“

Versonnen griff er nach einem Stück Fladenbrot und kaute eine Weile, als müsse er seine nächsten Worte sorgfältig abwägen. Dann fuhr Zayn fort.

„Es gab eine Zeit, da kannte ich keine Grenzen – zur Verzweiflung meiner Mutter und dem Missfallen meines Vaters, der ein sehr ernsthafter, weiser Mann war, dem Ehre über alles ging. Er war geschlagen mit einem Sohn, der nur nach den neuesten Sportwagenmodellen Ausschau hielt oder quer durch Europa auf der Jagd nach den heißesten Nachtklubs war. Damals hatte ich ein riesiges Netzwerk wilder Freunde, die alles taten, damit ich auch bekam, wonach mich verlangte … inklusive Frauen.“

Sophie fiel es schwer, ihn in diesem selbst gezeichneten Bild wiederzuerkennen.

„Mein Vater warnte mich oft genug, dass dieser haltlose Lebensstil mein Leben ruinieren würde. Doch ich wollte nicht auf ihn hören, weil ich auch nie die Konsequenzen meines Tuns ertragen musste. Wurden Hotelzimmer verwüstet oder Leute brüskiert, war immer genügend Geld da, um den angerichteten Schaden aus der Welt zu schaffen. War ich mit einer Liebschaft durch, wurde sie abgefunden und konnte sich damit brüsten, einen Scheich amüsiert zu haben.“

Aufmerksam betrachtete sie seine undurchdringliche Miene und versuchte zu ergründen, was er gerade dachte, doch sein Blick war immer noch leer. „Was ist geschehen, das deine Einstellung schließlich verändert hat? Denn dass es so ist, steht ja wohl außer Frage. Zumindest, soweit ich das beurteilen kann.“

„Es gibt tatsächlich etwas, das mein Leben von Grund auf verändert hat“, gestand er mit flacher Stimme. „Am Ende hat mein Vater recht behalten …“

„Was soll das heißen?“ Sie hörte, wie er scharf den Atem einsog, dann senkte er den Kopf. „Zayn, was hat er gesagt?“

Lange blieb es ganz still. Allein das Prasseln des Regens auf ihrem Zeltdach war zu hören. Dann hob Zayn den Kopf und schaute sie an. Sophie stockte der Atem vor dem Schmerz in den dunklen Augen.

„Mein Vater prophezeite mir, dass mein Lebensstil in Ruin und Tod enden würde. Und so war es auch … nur bin ich nicht selbst umgekommen, sondern habe den Tod meiner Schwester verursacht.“

7. KAPITEL

Sophie konnte Zayn nur fassungslos anstarren. Sein unerwartetes Geständnis hing wie eine schwarze, erstickende Wolke in der Enge des Zelts über ihnen. Sie wagte es nicht, etwas zu sagen, um Zayns Redefluss nicht zu unterbrechen. Doch er schwieg.

„Zayn?“, fragte sie nach einer langen Pause vorsichtig.

Sein Kopf flog hoch, und als er sie ansah, war es, als kehre er nur zögernd von einer langen Reise in die Vergangenheit zurück. „Ich trage die Schuld am Tod meiner jüngeren Schwester Jasmine“, wiederholte er rau.

Sie hatte den Namen schon von ihm gehört, doch da hatte sich nichts in ihrem Gedächtnis geregt. Jetzt glaubte Sophie sich an die tragische Geschichte über den Tod einer arabischen Prinzessin am anderen Ende der Welt zu erinnern.

„Und sie war jünger als du?“, fragte sie etwas unbeholfen.

„Nur wenige Jahre, das Baby in unserer Familie ist Leila. Jasmine und ich waren nicht nur Geschwister, sondern beste Freunde, obwohl wir uns auch oft gestritten haben. Wir entfernten uns voneinander, als ich anfing, ein Leben zu führen, in das ich Jasmine nicht involviert sehen wollte. Wer will schon mit ansehen, wie sich die jüngere Schwester exzessiv dem Alkohol ergibt oder sich durch sämtliche Betten schläft? Für mich war das völlig okay, für sie in meiner Vorstellung aber ausgeschlossen. Heute kann ich mir selbst nicht mehr erklären, was ich damals gedacht und getan habe …“

Sophie runzelte die Stirn. „Seltsam, wieso hat man so wenig darüber gehört.“

„Das wäre unter Garantie anders gewesen, wenn die ganze Wahrheit an die Öffentlichkeit gedrungen wäre.“

„Und du bist sicher, dass du mir diese Geschichte erzählen willst?“ Irgendwie fühlte sich Sophie dazu gezwungen, Zayn wenigstens die Chance auf einen Rückzug einzuräumen. Gleichzeitig hätte sie die Wahrheit am liebsten aus ihm herausgeschüttelt, denn möglicherweise war das ja genau der Skandal, nach dem sie suchte … der die Machenschaften der Chatsfields stoppen konnte.

Es geht einzig und allein darum, Isabelle zu helfen! versuchte Sophie sich zu rechtfertigen, wurde den bitteren Geschmack im Mund aber nicht los.

Zayn suchte ihren Blick und hielt ihn fest. „Ich werde dir erzählen, was damals wirklich geschehen ist. Wie du mit der Geschichte verfährst, ist allein deine Sache. Du wolltest unbedingt eine Skandal-Story, und die bekommst du.“

„Die, hinter der ich her bin?“

„Das bezweifele ich, aber du bist doch eine aufstrebende Journalistin. Dieser Skandal kann dich vielleicht ganz nach oben auf deiner angestrebten Karriereleiter pushen.“

Sophie spürte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte. „Hat das Ganze irgendetwas mit James Chatsfield zu tun?“

„Nein. Der einzige Schurke in dieser Geschichte bin ich. Oder auch Damien, wenn du ihn so bezeichnen willst. Aber vielleicht widerstrebt es dir ja, Tote zu diffamieren.“

Ganz kurz überlegte Sophie, ihr Aufnahmegerät hervorzuholen, verzichtete aber darauf, weil sie Zayn nicht unterbrechen wollte. Vergessen würde sie ohnehin keines seiner Worte. „Ich höre.“

„Wenn man einen Lifestyle pflegt, wie ich es damals tat, zieht man damit eine bestimmte Klientel an. Und ich war nicht nur ein Teil der üblen Clique, die selbst in unseren Palast einfiel, sondern durchaus ihr Anführer … und Damien mein Zechkumpel und Komplize, um es ganz klar auszudrücken. Trotzdem habe ich ihn Jasmine vorgestellt.“

Wieder hätte Sophie ihn am liebsten davon abgehalten weiterzusprechen. Ihr ein Vertrauen entgegenzubringen, dessen sie vielleicht gar nicht wert war.

„Sein Schurkencharme faszinierte sie von der ersten Sekunde an, doch ich in meiner Arroganz glaubte, er wüsste es besser, als meine kleine Schwester zu verführen. So warnte ich allein Jasmine, dass Männer wie Damien kein Umgang für jungfräuliche Prinzessinnen seien. Und sie wandte nicht ganz unberechtigt ein, dass sie dann auch den Kontakt zu mir abbrechen müsse. Natürlich behauptete ich, das sei etwas ganz anderes, doch sie glaubte mir längst nichts mehr … es war bereits zu spät.“

Zayn fuhr sich mit der Hand über die Augen.

„Eines Tages überraschte ich Damien und Jasmine in meiner Suite. Er hatte sie reichlich mit Alkohol und Drogen versorgt, was nicht zu übersehen war, und informierte mich mit einem zynischen Lächeln, dass ich aufhören könne, den Moralapostel zu spielen. Meine kleine Schwester sei nämlich keine jungfräuliche Prinzessin mehr …“

Zähneknirschend ballte Zayn die Hände zu Fäusten und brauchte einen Moment, bis er sich wieder gefangen hatte.

„Ich war außer mir vor Wut, und hätte ich eine Waffe gehabt, wäre es in dem Moment sein Ende gewesen. So habe ich ihn nur aus meiner Suite geworfen und gesagt, er solle mir nie wieder unter die Augen kommen. Jasmine reagierte völlig hysterisch. Sie klammerte sich an ihn und behauptete, ihn zu lieben und nicht ohne ihn leben zu können. Ich schrie sie an, dass sie eine Schande für unsere Familie und für mich tot sei. Sie ging mit ihm, und nur eine Stunde später wurden wir von einem schrecklichen Unfall unterrichtet, bei dem beide ums Leben kamen. Verstehst du jetzt?“

Sophie schluckte nur heftig.

„Nie hätte ich gedacht, dass Damien sich in seinem Zustand hinters Steuer setzen würde, und trotzdem hätte ich es eigentlich wissen müssen. Denn im Grunde genommen war es damals so, dass ich das Gefühl hatte, in einen Spiegel zu schauen, wenn ich Damien sah. Wäre die Situation anders herum gewesen, und ich hätte in seinem Heim seine unschuldige süße Schwester kennengelernt, wer weiß, was passiert wäre …“

Seine Stimme brach, trotzdem fuhr er fort.

„Jasmines Tod hat auch mich zerstört – oder besser gesagt dazu gebracht, mein Leben völlig neu zu ordnen und auszurichten.“

„Deshalb also dein unbedingtes Verantwortungs- und Pflichtgefühl …“, sagte Sophie wie zu sich selbst. „Und aus dem Grund willst du auch Christine heiraten.“

„Mir und meinen Gefühlen ist einfach nicht zu trauen, das habe ich bitter lernen müssen. So versuche ich einfach zu tun, was das Richtige ist. Allein das zählt.“

„Aber du musst doch wissen, dass Jasmines Tod nicht wirklich deine Schuld ist.“

„Erinnerst du dich noch, was ich dir über Konsequenzen sagte? Bis zu ihrem Tod habe ich mir darüber auch nie Gedanken gemacht. Aber weder mein Name noch mein Stand und auch nicht all mein Geld konnten mir meine Schwester zurückbringen. Was wäre ich denn für ein Mensch, wenn ich nicht aus meinen Fehlern lernen und die Verantwortung für sie übernehmen würde? Ihr Tod darf nicht umsonst sein!“

Damit sprang er auf und hätte dabei fast das Zelt zum Kippen gebracht.

„Was hast du vor?“

„Ich geh und schau nach dem Wagen … und der Straße. Bin gleich wieder da.“ Damit stürmte er nach draußen und ließ sie zurück, geschockt und allein.

Sophie wurde schmerzlich bewusst, dass dies das Ende der Geschichte war. Ihrer Geschichte, die nie geschrieben würde, weil er eine andere heiraten musste. Sie teilte seinen Schmerz und den Verlust seiner Schwester, konnte ihn aber nicht anklagen, so wie er es selbst getan hatte. Alles in ihr weigerte sich, Entscheidungen anderer Menschen für das eigene Schicksal verantwortlich zu machen. Hätte Jasmine ihre Wahl in einem reiferen Alter getroffen, wäre sie sicher anders ausgefallen, aber entschieden hatte dennoch allein sie.

Für Sophie waren Alkohol und Drogen nie ein Thema gewesen, da sie von klein auf ein festes Ziel vor Augen hatte. Deshalb gab es für sie auch kaum Freundschaften und noch weniger Dates. Von jeher hatte sie ihr Schicksal selbst bestimmen wollen, anstatt blind irgendeinem Typen hinterherzulaufen.

Jasmine hätte genauso handeln oder aus ihren Fehlern lernen können, wäre ihre erste Fehlentscheidung nicht tragischerweise auch ihre letzte gewesen. Aber das Leben war nun mal nicht fair. Immer würde es Menschen geben, die sich aus jeder Klemme befreien konnten oder einfach Glück hatten, und andere, die keine zweite Chance bekamen.

Nicht Zayn war für das Schicksal seiner Schwester verantwortlich, sondern allein sie selbst. Mit dieser Überzeugung kam Sophie auf die Füße, krabbelte aus dem Zelt und quiekte auf, als überraschend kalte Regentropfen ihr Gesicht trafen. Sophie schaute um sich. Eine Straße gab es nicht mehr, dafür an gleicher Stelle einen reißenden Fluss. Doch Zayn war nicht zu sehen, nicht beim Geländewagen und auch sonst nirgendwo.

„Zayn!“, schrie Sophie gegen den Wind an. Und noch mal: „Zayn!“

Er war nicht da.

Ohne nachzudenken, warum sie das tat, entfernte sich auch Sophie vom Zelt und dem geparkten Wagen. Bestimmt war Zayn einfach drauflosmarschiert, mitten hinein in die Wildnis …

Es war keine Ahnung – sie wusste es, ganz tief in ihrem Innern.

Denn diesen Eindruck vermittelte Zayn ihr selbst dann, wenn er in ihrer Nähe war: die Einsamkeit eines Außenseiters, der sich nirgendwo wirklich zugehörig fühlte und von allem fernhielt, was ihn von den selbst auferlegten Pflichten seiner Familie und seinem Land gegenüber abhalten könnte.

Eine seltsame Vorstellung, besonders da Sophie plötzlich die Parallele zu ihrem Leben bewusst wurde.

Ja, Isabelle konnte sie getrost als Freundin bezeichnen, und ja, sie ging jeden Tag in die Zeitungsreaktion, wo sie auf andere Menschen traf. Trotzdem war sie allein. Als Einzelkämpfer erlaubte sie es anderen Menschen nicht, ihr wirklich nahezukommen. Sie hatte Angst, Schwäche zu zeigen, und Angst, sich abhängig zu machen.

Seltsam, zwei einsame Fremde aus völlig unterschiedlichen Welten hatten sich gefunden. Wenn sie Zayn doch jetzt nur finden könnte!

Und dann sah sie ihn, auf den Knien, den dunklen Kopf gebeugt, die Tunika bis auf die Haut durchnässt.

„Zayn?“ Ihr Herz klopfte so schmerzhaft, dass sie instinktiv eine Hand auf die Brust presste.

Er hob den Kopf und sah sie an. Sophie spürte die Nässe auf ihren Wangen und wusste nicht, ob es nur der Regen oder auch Tränen waren. Ihre Blicke trafen sich und hielten einander fest.

„Ich bin dir gefolgt, weil ich es dir unbedingt sagen wollte …“, flüsterte Sophie. „Du bist nicht schuld am Tod deiner Schwester. Sie hat ihre eigene Wahl getroffen, so wie ich es auch tue, jeden Tag aufs Neue.“

„Aber es gibt andere Menschen, die dich beeinflussen, Sophie“, wandte er ein. „Du bist das beste Beispiel dafür. Das Verhalten deines Vaters bestimmt maßgeblich dein Handeln, kannst du das denn nicht erkennen?“

Heftig schüttelte sie den Kopf. „Ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Ich bin es, die mein Leben selbst bestimmt und kontrolliert. Nichts und niemand beeinflusst mich.“

„Ist das so, Sophie Parsons?“ Plötzlich stand er ganz dicht vor ihr, legte die Arme um sie und presste Sophie fest gegen seinen harten Körper. Sie spürte seinen starken Herzschlag und fühlte das heftige Heben und Senken seines Brustkorbs. „Es gibt nichts, das dich beeinflusst? Und was ist hiermit, Habibti? Oder bist du immun gegen mich?“

Sie konnte nicht sprechen, ja, nicht einmal atmen. Trotz Regen und Kälte hatte sie das Gefühl zu verbrennen.

„Na, wer kontrolliert jetzt wen?“, fragte Zayn heiser.

Sie schaute in seine Augen und wurde von einer Woge wilden Verlangens erfasst, die ihr förmlich die Beine unter dem Leib wegriss. Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich an Zayns breite Schultern. Es gab nur noch sie und ihn.

Sie hätte sich von ihm befreien müssen, denn für sie gab es keine Hoffnung, keine Zukunft. Doch hier draußen, in der Wüste, waren sie wie zwei Reisende, die schon viel zu lange allein unterwegs waren und sich endlich gefunden hatten. Es würde nie weitergehen als bis zum Hier und Jetzt. Es würde weder ihr reales Leben berühren noch ihre Zukunft gefährden.

„Du meinst in diesem Moment?“, fragte Sophie mit brüchiger Stimme. „In dieser Sekunde bist du es, der die Kontrolle übernommen hat.“ Es war das härteste Eingeständnis, das ihr je über die Lippen gekommen war. „Es fühlt sich an, als hättest du meinen Körper gestohlen und ihn zu deinem gemacht. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin und was ich will.“

Zayn lachte leise, umfasste ihr Kinn und schaute Sophie tief in die Augen. „Lügnerin“, sagte er sanft. „Du weißt sehr genau, was du willst, Habibti.“

„Ist das überhaupt wichtig, wenn doch nichts daraus entstehen kann?“

„Viel zu lange habe ich nur in der Vergangenheit gelebt, und seit einiger Zeit tue ich nichts anderes, als die Zukunft zu planen“, erwiderte Zayn leise. „Vielleicht ist dies ein magischer Moment, in dem wir beide einfach nur die Gegenwart auskosten sollten.“

Seine Worte fanden ein heißes Echo in ihrer Seele. Hatte sie nicht gerade genau das Gleiche gedacht? „Denkst du nicht, wir würden uns damit eine Menge Probleme einhandeln?“ Verflucht, warum spiele ich des Teufels Advokaten, obwohl ich mich nur an ihn klammern und endlich seine Lippen auf meinen spüren will? „Ich …“

Was immer Sophie noch hatte sagen wollen, erstickte Zayn in dem Kuss, auf den sie schon so lange gewartet hatte.

„Komm mir ein bisschen entgegen, Habibti“, forderte er und riss Sophie damit aus ihrer Verzauberung.

Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie einfach nur atemlos stillgehalten und genossen hatte. Dabei war sie eigentlich kein Typ, der sich einfach mitreißen ließ. Normalerweise bestimmte sie Richtung und Tempo, und im Zweifel schwamm sie sogar gegen den Strom.

Lächelnd schlang sie die Arme um seinen Hals, schmiegte sich an Zayns harten Körper und öffnete die Lippen, um ihm Gelegenheit zu geben, seinen Kuss zu vertiefen. Ihm so nahe zu sein, zu spüren, wie sich sein Atem mit ihrem mischte, ihre Herzen im harten Gleichklang schlugen, war Wonne und Qual zugleich. Es war zu gewaltig, kaum zu ertragen und bei Weitem nicht genug.

Sie vermochte nicht mehr zu entscheiden, ob der wildere Sturm über ihnen oder in ihr tobte. Ganz fest schloss Sophie die Augen und erwiderte Zayns Liebkosungen voller Leidenschaft und mit einer Inbrunst, die ihm vermitteln sollte, dass er kein schlechter Mensch, sondern es wert war, diesen Moment zu erleben. Und ihn zu genießen … so wie sie.

Als sie sich trennten, waren sie beide nass bis auf die Haut und atmeten schwer.

„Wir sollten ins Zelt gehen“, murmelte Zayn rau.

Sophie wollte nicht zurück, aus Angst, den Zauber zu durchbrechen, der sie hier draußen gefangen hielt. In der Enge des Zeltes kehrten vielleicht Verstand und Vernunft zurück, und das wollte sie nicht riskieren.

Zayn lächelte, als könnte er Gedanken lesen. „Ich habe nicht vor, so zu tun, als wäre dies hier nicht passiert“, sagte er leise und fuhr mit dem Daumen über Sophies Unterlippe.

Sie nickte.

Er wandte sich um und lief direkt aufs Zelt zu. Sophie verharrte noch einen Augenblick auf der Stelle und sah ihm aus brennenden Augen nach, bevor sie ihm folgte. In ihrer Notbehausung angekommen, wurde ihr bewusst, dass ihre Kleider klatschnass an ihrem Körper klebten. Sie begann zu frösteln. Mitten in der Surhaadi Wüste zu frieren, hatte sie nun wirklich nicht erwartet.

Als ihre Zähne zu klappern begannen, schaute Zayn zu ihr. Unter seinem besorgten Blick wurde ihr sofort wärmer und Sophie fragte sich, wann jemand sie zuletzt so angesehen hatte. Oder das Bedürfnis verspürt hatte, für sie zu sorgen. Und wie lange war es her, dass sie sich so etwas gewünscht oder zugelassen hätte?

Wenn überhaupt je …

„Du wirst dich erkälten in den nassen Sachen.“

„Kann schon sein. Es ist wirklich kalt.“

„Du solltest sie ausziehen.“

Wortlos nickte Sophie und zog ihre Tunika über den Kopf, ohne darüber nachzudenken. Aus irgendeinem Grund erschien es ihr nicht peinlich, sondern völlig normal. Dann schob sie die klamme Leinenhose bis zu den Füßen herab und schüttelte sie ab. Jetzt trug sie nur noch ihre Unterwäsche und war sich Zayns intensiven Blicks sehr bewusst. Ihre Hände zitterten leicht, als sie den BH im Rücken öffnete und zu den anderen Sachen legte.

„Hier …“ Zayn hielt ihr die Decke hin, auf der sie bisher gesessen hatten. „Die wird dich wärmen.“

Es war ein Befehl, dem sie nicht zu widersprechen wagte. So legte Sophie sich die Decke über die Schultern und hielt sie vor der Brust zusammen. Dann schaute sie zögernd zu Zayn. Inzwischen hatte auch er sich von seiner nassen Tunika befreit und stand halb nackt vor ihr. Jeder einzelne Muskel unter der bronzefarbenen Haut war perfekt definiert.

Sophie schluckte trocken. Obwohl sie auf gelegentlichen Pool-Partys schon öfter von halb nackten Männern umgeben gewesen war, konnte keiner von ihnen mit diesem Prachtexemplar mithalten. Nie zuvor war sie sich der Anwesenheit eines Mannes derart bewusst gewesen.

Vielleicht lag es auch daran, dass dieser hier sehr dicht vor ihr stand und sie bereits geküsst hatte. Oder daran, dass die anderen sie nicht so angesehen hatten, als wäre sie ein verlockendes Dessert und er am Verhungern …

Wieder begann Sophie zu zittern, doch diesmal nicht vor Kälte.

Zayn wandte sich um, zog seine Hose aus und warf sie zur Seite. Sophies Augen weiteten sich, angesichts der perfekten Rückenansicht, die er ihr dabei präsentierte. Während ihre puritanische Seite damit zufrieden war, dieses heiße Gesamtkunstwerk anzustarren, verlangte ein bisher verborgener Instinkt danach zu berühren, was sie sah.

Natürlich folgte sie ihm nicht. Immerhin war es kaum ein paar Minuten her, dass sie den ersten richtigen Kuss ihres Lebens bekommen hatte und nicht mal gewusst hätte, wie es weitergehen sollte … wenn sie überhaupt dazu bereit gewesen wäre.

„Ich glaube, wir hätten es komfortabler, wenn wir uns beide hinlegen würden.“

„Sicher.“ Sophie nickte und sah zu, wie Zayn eine zweite Decke und zwei Kissen arrangierte, die er in einer Ecke des Zelts deponiert hatte. Sobald er lag und einladend die Decke aufschlug, kam sie zu ihm, immer noch fest in ihre Decke gewickelt.

Einen Moment war es ganz still, obwohl … wenn Sophie lauschte, glaubte sie nicht nur ihren eigenen angestrengten Atem, sondern auch ihrer beider Herzschlag zu hören.

„Wir können uns bestimmt schneller aufwärmen, wenn wir Haut an Haut liegen …“

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, während Sophie fast ungeduldig an ihrer Decke zerrte, näher an Zayn heranrückte und erst zur Ruhe kam, als sie in seinem Arm lag und ihr Kopf auf seiner nackten Brust ruhte. Einen atemlosen Moment war sie davon überzeugt, alles nur zu träumen. Die Situation fühlte sich absolut surreal an und gleichzeitig beängstigend normal und vertraut. Wie passte das zusammen?

„Ich …“ Sie brach ab und schluckte heftig. „Ich möchte …“

Zayn zog sie ein Stück zu sich hoch und verschloss ihre Lippen mit einem Kuss, der so warm und zärtlich war, dass ihr Tränen in die Augen traten. Es war keine Forderung, sondern ein behutsames Vortasten, eine Frage. Sophie schmiegte sich ganz fest an ihn und vertiefte den Kuss mit einer Inbrunst und einem Hunger, der ihn aufstöhnen ließ.

„Bist du dir sicher, was du da von mir forderst?“, fragte er rau.

Sie konnte sich nur noch fester an seinen harten Körper pressen und heftig nicken. Es war der richtige Zeitpunkt, und das kleine Zelt erschien ihr als der beste Platz der Welt.

Nur Zayn war der falsche Mann … verlobt mit einer anderen, Herrscher eines Landes in einem Kulturkreis, der so weit von ihrem eigenen entfernt war, wie man sich nur vorstellen konnte. Gleichzeitig schien er der einzig Richtige zu sein.

Anziehung zwischen Mann und Frau und sexuelle Lust waren Emotionen, vor denen Sophie sich ein Leben lang gefürchtet und die sie peinlichst gemieden hatte. Sie schienen nur zu Schmerz, Tränen und Depressionen zu führen, doch dies fühlte sich ganz anders an.

So leicht, so selbstverständlich, ja fast zwangsläufig. Sie hatte keine Scheu, Zayn zu küssen oder sich vor ihm auszuziehen. Es war einfach nur wundervoll, sich neben ihm auszustrecken und sich von ihm in die Arme nehmen zu lassen.

Zayn presste einen Kuss auf ihre bloße Schulter, bevor er den Kopf hob, ihr das Haar aus dem erhitzten Gesicht strich und ihr in die Augen schaute. „Sophie, ich möchte, dass du sagst, dass du es willst. Ich muss es von dir hören, verstehst du?“

„Natürlich, Zayn“, wisperte sie und legte eine Hand auf seine raue Wange. „Wie könnte ich dich nicht wollen. Ich … ich habe es erwartet oder zumindest davon geträumt, von der ersten Sekunde an. Es musste einfach passieren.“

„Aber nichts ist unausweichlich. Wir haben immer eine Wahl, ist es nicht das, was du selbst mir gesagt hast?“

Sie schauderte leicht. „Ja, das stimmt. Ich hatte meine Chance, als wir uns kennenlernten. Wenn ich ernsthaft darauf bestanden hätte, dass du mich gehen lässt, hättest du es getan. Davon bin ich heute überzeugter denn je. Du hast mich vielleicht manipuliert, aber zu nichts gezwungen. Es war meine freie Entscheidung, mit dir nach Surhaadi zu kommen, mit in die Wüste … und jetzt in deinen Armen zu liegen.“

„Wir sollten es nicht tun.“

„Ich weiß …“, murmelte Sophie zärtlich und küsste ihn auf den Hals. „Aber hast du nicht auch das Gefühl, als wären wir beiden die einzigen Menschen auf der Welt?“

Zayn lachte leise. „Hier draußen ist man schnell geneigt, das zu glauben.“

„Ja, vielleicht sogar ein wenig zu leicht“, bestätigte Sophie ernsthaft. „Aber eines solltest du noch wissen. Die Zeit mit dir hat mich verändert. Das mit der freien Wahl … ich habe es wirklich geglaubt. Aber was ich tat, passierte immer als Reaktion auf das Verhalten anderer Menschen. Wenn sie nicht existieren würden, wenn keine Königreiche oder Verlobte im Weg stünden … wenn es nur uns beide gäbe, würde ich mir nichts anderes auf der Welt wünschen.“

Gepeinigt schloss Zayn die Augen und drückte Sophie ganz fest an sich. „Wenn keine Königreiche existierten, gäbe es auch keine Herrscher und damit auch keine Verpflichtungen, die man einhalten müsste. Und ohne sie würde ich dich wählen, Habibti.“

Unter Sophies Lidern brannten Tränen. „Dann wähle mich, Zayn … jetzt.“

Diesmal war sein Kuss nicht zärtlich, sondern wild, fordernd und genährt von einer überwältigenden Leidenschaft, die Sophie mit sich riss in einen Strudel nie gefühlter Ekstase. Zayn bedachte jede Stelle ihres willigen Körpers mit erotischen Liebkosungen, die ihr den Atem raubten und in fremde Welten entführten, von denen sie bisher nichts geahnt hatte. Instinktiv wölbte sie sich ihm entgegen.

„Sophie … ich muss dich etwas fragen.“

Die Augen fest geschlossen schüttelte sie heftig den Kopf. Was immer es war, sie konnte jetzt nicht darüber reden. Sie wollte überhaupt nicht reden, sondern nur noch fühlen. Darum zerrte sie als Antwort nur ungeduldig am Bund seiner Shorts, und mit einem Aufstöhnen gab Zayn nach.

Sie konnte ihn nicht dicht genug an ihrem vor Verlangen pulsierenden Körper spüren und tat alles, um Zayn noch näher zu kommen, passte sich seinem Rhythmus an und klammerte sich an seine breiten Schultern wie eine Ertrinkende. Doch auf den süßen scharfen Schmerz, der sie plötzlich durchfuhr, war sie nur theoretisch vorbereitet, wenn überhaupt.

Augenblicklich zog Zayn sich zurück, stützte sich auf den Ellenbogen ab und suchte ihren Blick. „Ich … ich wusste nicht. Ich will dir nicht wehtun, Habibti …“

„Das tust du nicht“, behauptete sie, ohne es wirklich zu wissen. Sie sagte es, weil sie nicht wollte, dass er aufhörte. Als er tiefer in sie eindrang, biss sie die Zähne zusammen und warf den Kopf zur Seite.

„Verdammt! Du hast doch gesagt, ich tu dir nicht weh.“

„Da habe ich mich wohl überschätzt …“, murmelte sie kleinlaut. „Bitte verzeih.“

„Wenn sich einer entschuldigen muss, dann ja wohl ich!“ Seine Stimme war voller Selbstvorwürfe.

„Nein, keine Entschuldigungen. Lass uns einfach … bitte …“ Ja, es hatte kurz geschmerzt, gleichzeitig war es aber wundervoll gewesen. Nie hatte sie sich jemandem so nahe gefühlt … so eins. Zum ersten Mal, seit sie denken konnte, hatte Sophie das Gefühl, alle Puzzleteile ihres Lebens fielen plötzlich an den richtigen Platz. Dorthin, wo sie hingehörten.

Wo sie hingehörte!

„Zayn!“

Sekundenlang schauten sie einander tief in die Augen, dann küsste er sie zärtlich auf die Stirn und begann, sich behutsam in ihr zu bewegen. Mit jeder Sekunde ebbte der Schmerz ab und machte einem Lustgefühl Platz, so immens, dass Sophie sich nur staunend an Zayns starken Körper klammern konnte und sich von ihm mitnehmen ließ auf den Gipfel der Ekstase.

Als es vorbei war, lagen sie erschöpft und fest aneinandergeschmiegt einfach nur da. Sophie schaute auf den fliegenden Puls an Zayns gebräunter Kehle, lauschte auf seinen festen Herzschlag unter ihrer Wange, und hörte … sonst nichts. Das Unwetter war vorbei. Und mit ihm ihre gemeinsame Zeit. Der Sand im Uhrglas war durchgelaufen.

Und sie eine Närrin! Wie hatte sie nur glauben können, ein derartiges Erlebnis würde sie nicht verändern? Und sie könnte ihr altes Leben unbeeindruckt weiterführen? Sie hatte sich verändert, für immer. Ihre ganze Welt war auf den Kopf gestellt.

„Zayn?“

„Die Straßen werden noch einige Zeit überflutet sein“, sagte er sanft und zog Sophie dichter an sich. „Du solltest dir etwas Ruhe gönnen, Habibti.“

Mit diesen Worten hatte er die Sanduhr wieder umgedreht und ihnen noch ein wenig mehr Auszeit in der Wüste geschenkt.

8. KAPITEL

Als das erste Morgenlicht durch einen Spalt im Zelteingang schien, lag Zayn schon seit Stunden wach, allerdings ohne sich zu rühren.

Sophie schlief in seinem Arm, weich, anschmiegsam und nackt, wie Gott sie geschaffen hatte. Eine tiefe Zufriedenheit durchströmte ihn wie flüssiger, warmer Honig. Doch dann verebbte das Gefühl unter dem Bewusstsein, was geschehen war.

Ihre Jungfräulichkeit mitten in der Wüste in einer Art Notzelt zu verlieren, hatte Sophie nicht verdient. Noch dazu durch einen Mann, der sie würde ignorieren müssen, sobald er in sein normales Leben zurückkehrte. Und noch weniger verdiente sie es, als Blitzableiter für seine selbst verschuldete Frustration herhalten zu müssen.

Er selbst war längst an einem Punkt angelangt, wo es das Beste und Sicherste für ihn wäre, sich unter eine kalte Dusche zu stellen, bis sein brennender Körper taub und gefühllos sein würde. Bis er sich wieder daran erinnerte, was und wer er war. Und wie seine Pflichten aussahen.

Doch da war dieses süße Zauberwesen, das ihm die Dinge sagte, die er hören wollte, und ihm bereitwillig anbot, wonach er sich am meisten sehnte – ihm suggerierte, der Rest der Welt würde nicht existieren und es gäbe nur sie beide.

Nur zu gern hatte er Sophie zugehört und sich von ihrer Süße und Bereitwilligkeit mitreißen lassen. Und dann …

Anstatt sich wenigstens von ihr zurückzuziehen, sobald er seinen Fehler erkannte, hatte er sie in die Arme genommen und die süße Qual der bevorstehenden Trennung noch verlängert.

Wäre seine Reservierung in der Hölle nicht längst eine ausgemachte Sache, würde sein Verhalten der letzten Nacht ihm den Platz in jedem Fall sichern. Wo habe ich nur mein Verantwortungsbewusstsein gelassen? Was sagte sein Ehrgefühl dazu, eine unschuldige Frau zur Befriedigung seiner Begierde zu missbrauchen? Und das, nachdem sie ihm von dem ersten und einzigen Kuss erzählt hatte, den sie als Teenager bekommen hatte.

Seine größte Angst hatte sich bestätigt: Er hatte sich kein bisschen verändert, sondern war immer noch der egoistische, verwöhnte Junge von früher. Jahre voller Hingabe an einen selbst geschaffenen Ehrenkodex konnten also von einer Nacht voller Lust zunichtegemacht werden … wenn sie nur stark genug war.

Zayn schob Sophie sanft zur Seite, setzte sich auf und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Dann schaute er auf die Frau neben sich, die jetzt im Schlaf maunzte wie ein kleines Kätzchen, bevor sie sich zusammenrollte und ihre runde Stirn an seine Seite presste. Sie sah so jung und schrecklich verwundbar aus. Und schon fühlte Zayn sich noch elender als ein paar Sekunden zuvor.

Seufzend stand er auf und suchte nach seinen Hosen, die er in einer Zeltecke fand. Sie waren immer noch nass, was er wahrscheinlich verdient hatte. Rasch zog er sie über und schlüpfte möglichst lautlos aus dem Zelt. Der Himmel war klar, die Sonne stand hoch am Himmel, und die Straße unter ihnen sah aus, als sei sie inzwischen abgetrocknet. Es gab also keine Entschuldigung, sich noch länger hier aufzuhalten. Das würde den bereits angerichteten Schaden nur vergrößern.

Zayn schaute in Richtung des Zelts und fluchte unterdrückt. Er musste wieder hineingehen, sehen, wie Sophie nackt und schlafwarm auf der Decke lag, die ihr Bett gewesen war, und sich mit den süßen Erinnerungen an die letzte Nacht herumquälen.

Abrupt wandte er sich um, ging zum Wagen, öffnete den Kofferraum, nahm ihr Gepäck heraus und knallte die Klappe wieder zu. Dann schulterte er die Taschen und ging zurück zum Zelt. Als er die Plane im Eingang zurückschlug, saß Sophie aufrecht, die Decke vor der Brust zusammengehalten, und blinzelte ihm verschlafen entgegen. Sie wirkte so frisch und süß. Ein Abbild weiblicher Perfektion, das er kein Recht hatte zu berühren … zu zerstören.

„Guten Morgen.“ Zayn ließ die Taschen zu Boden fallen. „Das Wetter ist gut, darum sind für die Rückfahrt keine Probleme zu erwarten.“

Sophie blinzelte noch heftiger und schien in sich zusammenzusinken. „Oh … es ist schon morgens.“ Sie sah aus, als müsse sie über etwas angestrengt nachdenken, und Zayn fühlte, wie der Druck in seiner Brust zunahm.

„Ich kann draußen warten, bis du dich fertig gemacht hast.“

Sophie nickte nur, daher gab es keinen Grund zu bleiben. Also schnappte er sich seine Tasche und verließ das Zelt. Draußen richtete Zayn sich auf und holte tief Luft. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er die ganze Zeit den Atem angehalten hatte.

Rasch wechselte er die Kleidung, schlüpfte in Leinenhose und T-Shirt und stopfte die klammen Sachen achtlos in die Tasche. Dann wartete er einen Moment, bevor er erneut das Zelt betrat. Sophie hatte sich ebenfalls für eine leichte Leinenhose zum lose fallenden Seidentop entschieden und hockte mit erwartungsvollem Gesicht im Schneidersitz auf der Decke, die ihnen letzte Nacht als Liebesnest gedient hatte.

Zayn schluckte trocken, als ihn unwillkommene Bilder überschwemmten. Schluss damit! Wichtig war jetzt ein klarer, radikaler Schnitt. Eine andere Option gab es nicht.

„Hast du Hunger?“

Sie senkte den Blick und schüttelte stumm den Kopf.

„Dann können wir aufbrechen.“

Sie rührte sich nicht.

„Du müsstest schon das Zelt verlassen, damit ich es abbauen und verstauen kann“, sagte er mit belegter Stimme.

„Ist es kalt draußen?“

„Nein.“

„Gut, ich hasse es nämlich zu frieren …“ Immer noch seinen Blick meidend, raffte sie ihre Sachen zusammen und verließ das Zelt, den Kopf hoch erhoben.

Wie eine echte Sheikha, schoss es Zayn durch den Kopf, und der Drang, Sophies volle, trotzig geschürzte Lippen zu erobern, wurde fast übermächtig. Doch dazu hatte er kein Recht. Es war vorbei.

Während Sophie darauf wartete, dass Zayn ihren Lagerplatz räumte, hielt sie sich tapfer aufrecht. Auch während der langen Rückfahrt zum Palast ließ sie sich nichts anmerken. Erst nachdem sie die Tür ihrer Suite hinter sich geschlossen hatte, brach sie zusammen und begann, haltlos zu weinen. Sie schien gar nicht mehr aufhören zu können.

Sie fühlte sich entsetzlich, vernichtet … oder zumindest verändert.

In der letzten Nacht war alles so wundervoll und vollkommen gewesen. Doch sobald die Wüste hinter ihnen lag, wurde ihr bewusst, dass sie dort etwas zurückgelassen hatte, das sie zukünftig sehr vermissen würde: ihren seelischen Schutzpanzer! Die Fähigkeit, sich von Emotionen und Menschen fernzuhalten, die ihr schaden oder sie auf ihrem selbst gewählten Weg an die Spitze behindern konnten.

Sophie starrte zur Decke empor, während unaufhaltsam heiße Tränen über ihre Wangen rannen und das Kopfkissen durchnässten.

Jetzt lag ihr Herz nicht nur ungeschützt und angreifbar in ihrer Brust, es gehörte ihr nicht einmal mehr. Sie hatte es verloren, an einen Mann, der sie nicht wollte. Dessen höchstes Ziel es war, alle zu schützen, die um ihn herum waren. Der eine Tragödie erlebt und ihr erlaubt hatte, sich wie eine hartnäckige Schlingpflanze um seinen Lebensbaum zu winden und ihn langsam zu ersticken. Und sie konnte dem Mann, den sie liebte, nicht helfen.

In den nächsten Tagen gelang es Sophie, jede Begegnung mit Zayn zu vermeiden. Sie lenkte sich damit ab, den Artikel über Surhaadis Geschichte von der Vergangenheit bis zur Gegenwart und über die Kultur des Landes zu verfassen.

Über Zayns persönliche Tragödie zu schreiben, brachte sie nicht übers Herz. Genau genommen kam er in ihrem Artikel überhaupt nicht vor, weil sie Angst hatte, jedes Wort und jede Anekdote, die mit ihm zusammenhing, würde verraten, wie sehr sie den Mann liebte, der sich auf die Hochzeit mit einer anderen Frau vorbereitete.

Ganz tief in ihrem Innern hoffte sie, Zayn würde das Schweigen zwischen ihnen beenden. Aber das war der naive, unvernünftige Teil ihres Ichs, den sie lieber im Zaum halten sollte. Trotzdem, träumen ist ja wohl noch erlaubt!

Sophie klappte ihr Notebook zu, stand auf und massierte die schmerzende Stirn. Die winzigen Fältchen, die sich in den letzten Tagen gebildet hatten, wollten nicht verschwinden. Sie schienen sich fest eingegraben zu haben. So wie die Erinnerung an jene Nacht in der Wüste …

Egal wie viel Zeit vergangen war und wie viele Kilometer zwischen dem Palast und dem kleinen Zelt lagen, das für eine kurze Zeit ihr privates Paradies bedeutet hatte, ihre Haut brannte immer noch von Zayns Berührungen. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen beim Gedanken an die wohltuende Nähe und das wortlose Verständnis, das sie in ihrem Kokon geteilt hatten, der die reale Welt ausschloss.

Wenn es nur mich selbst gäbe, würde ich dich wählen …

Wieder und wieder gingen ihr diese Worte durch Kopf und Herz. Weckten unsinnige Hoffnungen, die nicht sein durften.

Bevor Sophie sich Rechenschaft darüber abgeben konnte, was sie aus ihrer selbst gewählten Enklave trieb, fand sie sich auch schon auf dem langen Gang vor ihrer Suite wieder, der wie gewöhnlich verwaist erschien. Wie der gesamte Palastflügel, in dem sie untergebracht war. Das einzige Geräusch hier war das Klackern ihrer Absätze auf dem antiken Fliesenboden.

Sophie marschierte weiter und weiter, bis sie schließlich die riesige Eingangshalle erreichte, wo sie einzelne Bedienstete herumhuschen sah. Es war schon spät, sodass der Rest der Armada sich wahrscheinlich bereits für die Nacht zurückgezogen hatte. Wie gewöhnlich schaute niemand in ihre Richtung, und Sophie fragte sich, was man wohl von ihr dachte oder über sie munkelte. Selbst wenn sie insgeheim als Zayns Geliebte angesehen wurde, schien es zumindest niemanden zu interessieren.

Einen Moment lang blieb Sophie stehen und holte tief Luft. Bis hierher hatte sie sich noch keine konkreten Gedanken darüber gemacht, was sie überhaupt vorhatte. Doch plötzlich wusste sie mit absoluter Klarheit, dass sie Zayn finden und mit ihm reden musste.

Nicht einmal mehr während der Mahlzeiten hatte sie ihn zu Gesicht bekommen. Immer ließ er sich mit wichtigen, unaufschiebbaren Verpflichtungen entschuldigen. Keine Frage, dass er ihre Gegenwart absichtlich mied … so, wie sie es bisher auch gehalten hatte.

Je näher sie Zayns Quartier kam, desto heftiger zog sich ihr Magen zusammen. Vor der Tür zu seiner Suite blieb sie mit wild pochendem Herzen stehen. Ob sie anklopfen sollte? Und wenn … würde er antworten? Hielt er sich überhaupt in seinen Räumen auf? Wenn nicht, müsste die Tür abgeschlossen sein. Was bedeutete, um das festzustellen, könnte sie eigentlich vorsichtig die Klinke herunterdrücken und …

Überrascht stellte sie fest, dass die Tür nicht verriegelt war. Nach einem tiefen Atemzug stieß Sophie sie entschlossen auf. Das Licht im Eingangsbereich war gedimmt, sodass ihr Blick unwillkürlich vom hellsten Fleck angezogen wurde. Ein Kamin! So etwas hätte sie hier absolut nicht erwartet. Vor Verblüffung übersah sie die dunkle Silhouette des Mannes, der in einem Lehnstuhl vor dem offenen Feuer saß. Sie nahm Zayn erst wahr, als er die Hand nach einem Glas ausstreckte, das neben ihm auf einem Tischchen stand.

„Oh, ich habe gar nicht erwartet, dich hier anzutreffen“, sagte sie von der Tür her, unsicher, ob sie näher treten oder lieber wegrennen sollte. Was natürlich unsinnig wäre, da er ihre Anwesenheit längst registriert hatte. Sicher würde sie für ihr unbefugtes Eindringen nicht gleich im Palastkerker enden, oder doch?

„Was hast du denn erwartet, hier zu finden, wenn nicht mich?“, erwiderte Zayn und nahm einen Schluck von seinem Drink.

„Gesucht habe ich dich schon“, gestand Sophie ohne eine Spur von Verlegenheit. „Ich wusste aber nicht, ob ich Erfolg haben würde.“

„Verstehe …“ Er nahm einen weiteren Schluck. „Und wie kann ich dir helfen?“

„Wir haben uns so lange nicht gesehen, und da …“ Sie schluckte und nahm all ihren Mut zusammen. „Und da dachte ich, wir könnten vielleicht in unserem Interview fortfahren.“ Wo das hergekommen war, wusste sie selbst nicht, doch jetzt, da sie es ausgesprochen hatte, erschien es ihr als eine gute Idee.

„Ich glaube, ich habe bereits alles Wissenswerte erzählt.“

Sophie nagte an ihrer Unterlippe. „Ich aber noch nicht!“

Er hob die Brauen. „Schlägst du etwa vor, dass ich dich jetzt im Gegenzug interviewen soll?“

„Warum nicht?“, fragte sie trotzig.

Zayn leerte sein Glas und stellte es auf dem Tischchen ab. Sein Blick war unergründlich. Schließlich machte er eine einladende Geste. „Setz dich.“

Sophie nickte, kam näher und nahm im Lehnstuhl ihm gegenüber Platz. Dann faltete sie die Hände im Schoß und wartete.

„So, dann soll ich dich jetzt also ausfragen.“

„Es ist dein Interview.“

„Aber ich habe niemanden, dem ich eine Story verkaufen will.“

„Dann frag doch einfach, was dich am meisten interessiert.“

„Okay …“ Zayn ließ sie keine Sekunde aus den Augen, und unter seinem Blick wurde Sophies Mund ganz trocken. „Warum warst du immer noch Jungfrau?“

Jetzt krampfte sich auch noch ihr Magen zusammen. Sie hätte auf die Frage vorbereitet sein müssen. „Ehrlich gesagt, habe ich selbst noch nie darüber nachgedacht. Aber wenn du mich so fragst … ich wollte einfach nicht so sein wie meine Mutter. Niemals Sklave einer Leidenschaft, die dir nichts Gutes tut, sondern dich nur gefangen hält. Aber inzwischen glaube ich, dass noch etwas anderes dahintersteckt.“

„Und was?“

„Um Sex zu haben, musst du nackt sein.“

Zayns Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, nur in den dunklen Augen loderte es heiß auf. „Was das betrifft, musst du wahrlich keine Komplexe haben.“

„Darum geht es nicht. Ich rede nicht von der physischen Komponente“, erklärte Sophie ernsthaft. „Sich mit jemandem auf diese Weise zu vereinigen macht dich verletzlich. Das wusste ich auch, ohne es ausprobieren zu müssen. Ich habe es bei meiner Mutter gesehen, und es hat mir schreckliche Angst gemacht. Wenn du dich bis zu einem bestimmten Punkt nackt machst, kannst du auch dein wahres Ich nicht mehr verbergen. Und das galt es für mich immer und unter allen Umständen zu schützen.“

Sie lachte spröde und strich sich eine vorwitzige Locke aus der Stirn.

„Ist schon komisch … aber ich habe dir doch von meinem Dad und meiner Fantasie erzählt, wie ein Treffen mit ihm für mich aussehen müsste. In meiner Lieblingsfantasie war ich stets eine völlig andere Person, und das hat mein gesamtes Leben bestimmt. Geradezu verzweifelt habe ich darum gerungen, jemand anders zu sein, als es mir in die Wiege gelegt wurde. Der Mensch zu werden, der ich verdient hätte zu sein. Aber das hat nichts damit zu tun, wie ich wirklich bin.“

Sie seufzte.

„Verstehst du jetzt, was ich mit nackt meine und warum ich unbedingt vermeiden wollte, mich vor anderen in so einem Zustand zu präsentieren?“

Zayn spürte einen metallischen Geschmack im Mund, den er als Vorboten aufsteigender Panik diagnostizierte. Es war wie ein Moment seltener Klarheit, in dem man erkannte, dass man geliefert war, dass es keinen Ausweg gab. Sophies gnadenlose Aufrichtigkeit zwang ihn in die Knie. Was sie ihm gerade gestanden hatte, war, dass sie im Zusammensein mit ihm zum ersten Mal ihre Urängste überwunden und sich getraut hatte, sie selbst zu sein …

Mit zitternden Händen schenkte er sich einen neuen Drink ein und leerte das Glas in einem Zug. „Und … warst du nackt, als wir miteinander geschlafen haben“, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte und sie ihm die Luft zum Atmen nahm.

„Ja.“

„Habe ich wirklich dich gesehen?“

„Ja.“ Sophie schaute auf ihre Hände, dann hob sie den Kopf und suchte seinen Blick. „Aber habe ich auch dich gesehen, Zayn?“

„Ich bin nicht sicher, wie du das meinst. Natürlich hast du mich gesehen.“

„Den Herrscher über Surhaadi … den Scheich, aber auch den Mann Zayn?“ Sie sah ihn vor sich, auf dem Gipfel höchster Lust, glaubte immer noch, die Intensität ihrer Verbindung zu spüren. Trotzdem war es so, als wären ihr nur kurze Einblicke – wie vereinzelte Sonnenstrahlen hinter der schwarzen Wolkendecke seiner Vergangenheit – auf den Mann gewährt worden, der sich nicht ganz hingeben konnte.

„Der Scheich ist der Mann, der Mann ist der Scheich … und so weiter“, murrte Zayn.

„Und gäbe es keine Königreiche und Scheichs, was wäre dann?“ Verzweifelt hoffte sie darauf, noch einmal zu hören, was er ihr in jener Nacht gesagt hatte.

„Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann“, kam es nüchtern zurück. „Fakt ist, Surhaadi ist ein Königreich, dessen Herrscher ich bin. Und als solcher bin ich verpflichtet, das Richtige für mein Volk zu tun.“

„Und was ist das Richtige? Etwa, eine Frau zu heiraten, die du nicht liebst?“

„Die Hochzeitsvorbereitungen sind im vollen Gang. Ich habe Christine und ihren Eltern mein Wort gegeben, das ich nicht zurücknehmen kann. Und Leila ist …“ Er brach ab, biss sich auf die Lippe und gab sich dann einen Ruck. „Meine Schwester durchlebt gerade eine schwere Zeit. Aber es ist nicht mein Geheimnis, deshalb kann ich dir nichts darüber erzählen. Ich habe bereits eine Schwester verloren, Sophie. Diesmal darf ich nicht versagen …“

„Du bist der stärkste Mann, den ich je kennengelernt habe, Zayn. Mit jedem einzelnen Atemzug tust du mehr für andere als ich in meinem gesamten Leben. Unzählige Jahre habe ich damit verschwendet, einem Mann hinterherzulaufen, der sich meiner Existenz kaum bewusst ist. Ist das überhaupt ein Leben?“

„Das stimmt nich Sophie“, erinnerte er sie rau. „Du bist hier, weil du einer Freundin helfen willst. Denk nicht, ich hätte das vergessen. Aber ich habe leider keinen Skandal für dich, jedenfalls nicht den, auf den du aus bist.“

„Darum geht es schon längst nicht mehr“, murmelte sie erschöpft. „Ich habe inzwischen begriffen, dass du nichts Weltbewegendes über die Chatsfields im Ärmel hast.“

Und dass ich dir deswegen nicht mal böse sein kann! fügte sie für sich in Gedanken hinzu. Denn Zayn tat ja nichts anderes als sie: Er versuchte eine Person zu schützen, die er liebte. Bei ihm war es seine Schwester Leila, und sie fühlte sich ihrer Freundin verpflichtet. „Ich werde trotzdem alles tun, um Isabelle zu unterstützen, mit meinen Mitteln …“

„Aber worum geht es dir dann?“

„Nur um dich und mich.“ Sophie lächelte traurig. „Mit dir habe ich etwas erlebt, das mich von Grund auf verändert hat. Es ist, als könnte ich plötzlich die Person sein, die ich mir immer erträumt habe.“

„Was zwischen uns passiert ist, muss ein Geheimnis der Wüste bleiben. Und es darf sich nie wiederholen.“

In Sophies Augen glomm ein Funke auf, der Zayn den Atem verschlug.

„Bitte …“, sagte sie ohne besondere Betonung. „Nur eine weitere Nacht, damit ich weiß, dass ich mich nicht in mir selbst geirrt habe. Ich will doch nicht den Scheich, sondern nur den Mann Zayn.“

„Sophie, du weißt nicht, was du da verlangst“, warnte er sie. „Der Mann, von dem du redest, ist selbstsüchtig und zerstörerisch. Er hat den Tod über seine eigene Familie gebracht und ist es nicht wert, auch nur die gleiche Luft mit dir zu atmen.“

„Ich halte ihn für ehrenwert, sensibel und einfach wundervoll.“

Zayn sprang auf, umfasste ihr Handgelenk und zog sie ebenfalls von ihrem Stuhl hoch. „Du bist eine Närrin!“

Vielleicht war sie das. Vielleicht sah sie Dinge, die gar nicht existierten. Aber möglicherweise war sie auch die Einzige, die den wahren Mann hinter der harten Maske erkannte. Sie musste ihn nur dazu bringen, sich mit ihren Augen zu sehen …

Sophie hob sich auf die Zehenspitzen, lehnte sich vor und streifte Zayns Lippen mit ihren. Der Funke, der schon die ganze Zeit zwischen ihnen glomm, weitete sich durch die sanfte Berührung zu einem Flächenbrand aus, der schnell außer Kontrolle geriet. Mit einem Aufstöhnen schlang Zayn die Arme um ihre Hüften und presste sie so fest an sich, dass sie kaum noch atmen konnte.

Sophie legte ihre Sehnsucht, ihr Mitgefühl, ihr brennendes Verlangen und ihre ganze Liebe in einen Kuss voller Leidenschaft und Hingabe, um ihm zurückzugeben, was er für sie getan hatte: alle Masken, Schutzwälle und äußeren Einflüsse einfach abzustreifen, um dem wahren Zayn endlich Raum zum Atmen zu geben. Ihn in ein Leben zurückzuholen, das er sich aus Schuldbewusstsein und unsinniger Selbstkasteiung versagte.

Mit fiebrigen Händen zupfte sie an seinem Shirt. Sie wollte seine Haut auf ihrer spüren, den magischen Moment der Klarheit und die perfekte Einheit wiederfinden, die sie dort draußen in der Wüste verbunden hatte.

Mit einem unterdrückten Fluch drängte Zayn Sophie gegen die Wand neben dem Kamin, so abrupt und hart, dass ihr für einen Moment die Luft wegblieb. Doch das war egal. Es tat ja nicht weh, sondern fühlte sich wundervoll an, ihm endlich wieder nahe zu sein, von ihm begehrt zu werden.

Zayn zog sein Shirt über den Kopf und feuerte es zu Boden. Vergessen waren Skrupel und Zurückhaltung. Sie lächelte. Endlich!

Eifrig nestelte sie an seinem Gürtel, und sobald sie die Schnalle aufbekommen hatte, zerrte sie am Bund seiner Leinenhose.

„Warte!“ Seine Stimme sagte ihr, dass er nicht schockiert, sondern längst jenseits jeder Kontrolle und Selbstbeherrschung war.

„Warum?“, fragte sie rau, obwohl sie die Antwort zu kennen glaubte, wenn sie in seine dunklen Augen schaute, in denen sich ihr eigenes Verlangen widerspiegelte.

„Es sei denn, du willst es auf die harte, schnelle Art.“

Sophie errötete und fühlte sich nur noch mehr animiert. „Wer weiß? Könnte eine interessante Erfahrung sein …“

Zayn lachte rau, zog sie an sich und hob sie hoch. „Niemals! Ich weiß etwas Besseres für dich.“ Fest an seine nackte Brust gedrückt trug er sie in den hinteren Teil der riesigen Suite. Selig schlang Sophie die Arme um seinen Nacken.

Zayn trug sie zu einer Tür, die er rüde mit dem Fuß aufstieß. Dahinter verbarg sich ein Schlafzimmer nahezu olympischen Ausmaßes. Angesichts so viel Pracht und Luxus entschlüpfte Sophie ein überraschter Laut.

Mit Zayn zusammen zu sein war alles, was sie begehrte, egal ob in einem Zelt mitten in der Wüste oder in einem Palast. Was allein zählte, war seine Nähe. Doch dies hier war zweifellos der Wunschtraum jeder romantisch veranlagten Frau, denen sich Sophie ab sofort auch zugehörig fühlte.

Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, als Zayn sie auf dem breiten Bett absetzte. „Später werde ich mir alle Zeit der Welt nehmen, jeden Zentimeter deines Körpers zu erkunden“, versprach er heiser.

Später!

Für sie würde es kein später geben, sie wussten es beide. Aber das machte nichts.

Es war ohnehin nur eine wunderschöne Fantasie von der Sorte, wie Sophie sie bisher verachtet und als unrealistische Träumerei abgetan hatte. Doch jetzt und hier war sie bereit, alles zu glauben und alles für möglich zu halten. Wenigstens für einen Augenblick ihren Zynismus und ihre Vorbehalte beiseitezuschieben und einfach nur den magischen Moment zu umarmen, der sich ihnen bot.

Sie nickte. „Ja, später …“

Bereitwillig kam sie ihm entgegen, und Zayn akzeptierte die stumme Einladung. Während er sich in ihr bewegte, folgte sie seinem Rhythmus, ohne sein dunkles Gesicht auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Mit brennendem Blick saugte sie jede sichtbare Emotion in sich auf, entschlossen, sie für immer in ihrer Erinnerung und ihrem Herzen abzuspeichern. Schließlich würde sie ein Leben lang davon zehren müssen.

Als er den Höhepunkt erreichte, spürte sie heiße Tränen unter ihren Lidern brennen. Endlich sah sie Zayn, den Mann … nur ihn und nichts anderes. Und endlich konnte auch Sophie ihren Emotionen freien Lauf lassen, fühlte sich hinweggerissen in einen Sturm der Leidenschaft, der sie beide über den Zenit der Welt hinauskatapultierte.

Als sie nur zögernd in die Realität zurückkehrte, wusste Sophie, dass es nie wieder so sein würde wie noch eine Stunde zuvor. Etwas hatte sich geändert, sie hatte sich verändert. „Ich liebe dich …“, raunte sie, während heiße Tränen über ihre Wangen liefen.

Zayn stockte der Atem. Er versuchte, Luft zu holen, doch Sophies Kopf wog plötzlich bleischwer auf seiner Brust. Abrupt machte er sich frei, rollte zur Seite aus dem Bett und verfluchte seine Schwäche in jeder Sprache, deren er mächtig war. Hatte er sich nicht geschworen, sie nie wieder zu berühren?

Und jetzt das!

Eine heiße Welle von Scham erfasste ihn, sein Magen krampfte sich zusammen, und der Druck in seiner Brust wurde fast unerträglich. Was sollte er nur tun? Wenn es allein um ihn gegangen wäre, hätte er sich nie wieder von Sophie getrennt, nicht für eine Sekunde. Aber da waren Surhaadi, Christine und Leila, an die er denken musste. Und an allererster Stelle Sophie selbst. Sie verdiente einen besseren Mann als ihn.

„Tu das nicht, Sophie … bitte!“, flehte er und hasste sich dafür. Wenn er der Mann wäre, den sie in ihm sah, würde er das mit sich allein ausmachen, anstatt sich so schwach zu zeigen. Vor allem hätte er sich gar nicht erst auf sie einlassen dürfen, schon nicht in der Wüste! Stattdessen benahm er sich wie ein verantwortungsloser Teenager beim ersten aufregenden Date. Und dann wiederholte er den Fehler auch noch.

„Nicht was tun?“, fragte sie mit runden Augen.

„Du weißt genau, was ich meine“, knurrte Zayn. „Du bringst Gefühle in … in diese Angelegenheit. Dafür ist einfach kein Platz.“

„In meinen Augen der einzig richtige Platz“, widersprach sie leise. „Ich habe sie viel zu lange verdrängt und dadurch gar nicht wirklich gelebt.“ Schwungvoll warf Sophie die Decke zurück und präsentierte sich ihm voller Unschuld in ihrer ganzen Süße. Ihre blasse, zarte Haut, die er unter seinen Fingern und am ganzen Körper gespürt hatte. Auf jede erdenkliche Art liebkost und …

Er wünschte, sie würde sich wieder bedecken, denn Sophie anzusehen war, als schaue man mitten in die Sonne. Ein Licht, zu hell, zu strahlend, intensiv und pur, um es zu ertragen.

„Wirst du es wirklich tun?“, fragte sie plötzlich ganz ernst.

„Was tun?“

„Sie heiraten. Willst du dich wirklich für dein Land auf diese Weise kasteien und selbst verleugnen?“

„Warum sollte ich nicht?“, entgegnete er und versuchte, das Brennen in seiner Brust zu ignorieren.

„So kann man doch nicht leben, immer nur für andere, nie für sich selbst.“

Zayns Kopf schoss hoch, sein Blick wurde kalt. „Genau dazu bin ich seit meiner Geburt bestimmt. Doch als junger Mann war ich zu feige und frivol, um mich der Verantwortung zu stellen. Jetzt werde ich es tun, und ein paar Momente, in denen ich nicht ganz bei mir war, werden daran nichts ändern. Sobald Christine hier ankommt, will ich ihr gestehen, was ich getan habe, und sie um Vergebung bitten. Und jede weitere Sekunde unseres Lebens werde ich ihr treu sein … ihr und meinem Land.“

„Um deinem Land zu dienen, willst du einer Frau Treue vorheucheln? Mach dir doch nichts vor, Zayn. In deinem Herzen würdest du sie betrügen … und dich selbst. Und was ist mit Liebe?“

„Liebe?“ Er spie das Wort fast aus. „Ich habe noch nie erlebt, dass etwas Gutes dabei herauskommt, sobald sie im Spiel ist. Jasmine hat Damien geliebt, und jetzt ist sie tot. Und Leila? Glaubst du, dass James Chatsfield sie wirklich liebt? Denkst du, dass diese Liebe irgendetwas Positives für sie bereithält?“

Er wusste, dass er seine Schwester damit verriet, doch ein Zurück schien es nicht mehr zu geben. Erregung, Selbstverachtung und Frustration verbanden sich in ihm zu einem gefährlichen Gemisch, das sich ein Ventil suchte, egal welchen Schaden die Explosion anrichten würde. Doch dann erkannte Zayn plötzlich, dass er gegen etwas viel Größeres und Stärkeres ankämpfte und wütete als Sophies unerwartetes Liebesgeständnis. Dass er sie nur als Blitzableiter für das unentwirrbare Gefühlschaos in seinem Innern missbrauchte … erneut missbrauchte, und diesmal ging es nicht um körperliche Lust, sondern etwas sehr viel Tiefgreifenderes.

„Liebe ist ein absolut überschätztes Gefühl. Was allein zählt, ist Pflichtbewusstsein.“

„Pflichtbewusstsein ohne Liebe?“ Sophie schüttelte den Kopf. „Das ist nur eine leere Worthülse, weiter nichts.“

„Nur, wenn du nicht danach handelst“, wandte Zayn scharf ein. „Und ich bin fest entschlossen, danach zu handeln. Ich muss tun, was ich tun muss.“

Sie seufzte. „Tu lieber etwas für dich selbst als immer nur für andere.“

„Für mich? Das verdiene ich nicht, ich habe es mir selbst verspielt mit Jahren voller Egoismus und einem Leben voller Ausschweifung. Aber das ist vorbei.“

Einen Moment blieb es totenstill zwischen ihnen, dann neigte Sophie den Kopf zur Seite und suchte seinen Blick. „Weißt du was, Zayn? Bisher habe ich allein für den Moment gelebt, in dem ich meinem Vater gegenübertreten und ihm sagen wollte, was für ein Fehler es war, mich nicht zu akzeptieren. Mein ganzes Leben habe ich auf den einen Moment ausgerichtet. Allein darum bin ich in New York geblieben: um mir zu erkämpfen, worauf ich Anspruch hatte, was mir aber verweigert wurde. Darum habe ich die Schule gewählt, auf die auch seine anderen, seine legitimen Kinder gingen. Ich habe rund um die Uhr gelernt, um besser zu sein als sie, und mich zu dem Journalistenjob hochgearbeitet, allein für einen Augenblick des Triumphes vor dem Angesicht eines Mannes, dem es absolut egal ist, ob ich existiere oder nicht. Und jetzt? Plötzlich zählt das gar nichts mehr. Ich würde alles aufgeben … für dich.“

Sie lachte trocken, aber es klang eher wie ein Aufschluchzen.

„Ist das nicht absurd? Mein Leben lang habe ich mich darauf vorbereitet, vor meinem Vater zu stehen und ihn zu bitten, sich für mich zu entscheiden, weil ich beweisen kann, dass ich es wert bin. Und jetzt stehe ich vor dir und wünschte, du würdest dich für mich entscheiden, obwohl ich es nicht wert bin. Ich habe keinen Namen, keinen Titel, bin keine Prinzessin, kann dir nicht helfen und deinem Land nichts nützen. Aber ich liebe dich. Und ich habe einfach keine Lust mehr, darauf zu warten, bis ich das Gefühl habe, ich sei deiner Liebe wert. Ich frage einfach danach. Was habe ich auch zu verlieren? Wovor sollte ich mich fürchten?“

Sophie zuckte mit den Schultern und lachte erneut. Diesmal klang es ein wenig zittrig, aber wie befreit.

Autor

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