Die heimliche Sehnsucht des Wüstenprinzen

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Der Scheich muss immer aus Pflicht heiraten, niemals aus Emotionen. So lautet ein altes Gesetz im Wüstenstaat Janana. Denn Liebe macht jeden Herrscher verletzlich. Aber seit Kronprinz Sahir mit der wunderschönen Violet eine sinnliche Nacht verbracht hat, zweifelt er. Jede ihrer Berührungen, jeder heiße Kuss treffen ihn mitten ins Herz. Wagemutig beschließt er, sie zu seiner Königin zu machen. Doch da wird Violet wegen eines schweren Diebstahls verhaftet! Hat er sich so entsetzlich in ihr getäuscht – oder steckt eine Palastintrige dahinter?


  • Erscheinungstag 27.05.2025
  • Bandnummer 112025
  • ISBN / Artikelnummer 0800250011
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

Carol Marinelli

Die heimliche Sehnsucht des Wüstenprinzen

PROLOG

„Nicht so schnell, Sahir“, rief Königin Anousheh von Janana ihrem Sohn zu. Die uralten, in den Felsen gehauenen Stufen waren zu schmal, um nebeneinander zu gehen.

Sahir blieb stehen und wartete. Natürlich trug seine herrlich exzentrische Mutter auch für diese strapaziöse Wanderung ein elegantes Gewand und mit Juwelen besetzte Schuhe. Eigentlich fühlte er sich mit seinen dreizehn Jahren zu erwachsen für das jährliche Picknick, auf dem seine Mutter bestand. Außerdem hatte er Angst vor dem unangenehmen Gespräch, das er mit ihr führen musste, wenn sie ihr Ziel erreicht hatten.

Genau wie seine jüngeren Geschwister war Sahir mit dem vagen Wissen aufgewachsen, dass ihre Mutter einen „engen Vertrauten“ hatte – was immer das bedeutete. Als Thronerbe bekam Sahir in den Sommerferien Unterricht, was das königliche Protokoll und die komplizierten Gesetze von Janana betraf. Vor ein paar Jahren hatte er entdeckt, dass ihre Mutter einen Geliebten hatte, sein Wissen aber für sich behalten. Doch wegen des indiskreten Verhaltens ihrer Mutter waren seine jüngeren Geschwister in diesem Sommer von selbst darauf gekommen. Jemand musste ihr etwas sagen!

„Du musst das tun“, hatte Ibrahim verlangt. „Schließlich wirst du einmal König.“

„Mama wird Papa verlassen!“, hatte Jasmine geschluchzt. „Der arme Papa!“

„Nein, wird sie nicht“, hatte Sahir seine Schwester beruhigt. „Laut Gesetz darf die Königin einen Vertrauten haben. Außerdem könnte unser Vater …“ Er verstummte. Wenn er Jasmine sagte, dass ihr Vater eine Haziyya – eine Zweitfrau – haben durfte, würde sie sich nur noch mehr aufregen. Außerdem konnte er sich nicht vorstellen, dass der strenge König dieses Gesetz nutzte.

„Papa sollte freundlicher zu ihr sein“, schimpfte Ibrahim.

„Er hat eine Menge zu tun“, erinnerte Sahir ihn scharf. „Der König muss den Frieden für unser Land sichern.“

Als Kinder hatten sie ihre Mutter oft sticheln gehört, wenn sie sich ignoriert fühlte. Ihr Vertrauter würde ihr wenigstens zuhören und bemerken, was sie trug. In diesem Sommer hatte sich die Situation zugespitzt. Eines Nachts hatte Ibrahim sie gesehen, geschminkt und mit Juwelen geschmückt. Und als Jasmine nach einem Alptraum ins Schlafzimmer ihrer Mutter hatte flüchten wollen, war die Tür verschlossen gewesen.

„Es hat ewig gedauert, bis sie an die Tür kam“, hatte Jasmine hinterher weinend erzählt. „Und dann hat sie mich nicht einmal hineingelassen, sondern mich zurück ins Bett geschickt.“

Was Sahir größere Sorgen bereitete, war der säuerliche Ausdruck auf dem Gesicht seines Leibwächters Aadil, als eine großzügige Lieferung für die Königin eintraf. Aadils Vater war Chefberater des Königs. Wenn der König davon erfuhr … Sahir wusste, dass es erlaubt war, einen Vertrauten zu haben. Aber alle Parteien mussten dabei äußerst diskret vorgehen. Und das tat Königin Anousheh leider nicht mehr.

„Oh, Sahir …“ Seine Mutter war außer Atem, als sie oben ankamen. Doch sie erholte sich, während Sahir den Teppich und die Decken ausbreitete, die er schon früher hinaufgetragen hatte. „Das sieht wunderbar aus“, lobte sie ihn. „Es ist gut, wenn du lernst, das ohne Diener zu tun.“

„In der Schule mache ich mein Bett selbst.“ Er öffnete den Picknickkorb, den er die Treppe hinaufgeschleppt hatte, und schenkte seiner Mutter einen Eistee ein. „Hier.“

„Danke.“ Durstig trank sie. „Ich meinte, es ist gut, wenn du diese besonderen Orte kennst.“

Sahir verdrehte die Augen. Letztes Jahr hatten sie eine staubige Palasttreppe erklommen, das Jahr davor einige Höhlen erforscht. „Die Orte, die du mir zeigst, sind nahezu unerreichbar.“

„Genau.“ Seine Mutter lächelte. „Dort kannst du Dinge tun, ohne dass andere davon wissen. Vielleicht möchtest du eines Tages etwas Privatsphäre genießen.“

Ausgerechnet unsere Mutter spricht von Privatsphäre, dachte Sahir, als sie sich setzten, Eistee tranken und die Leckereien aßen, die er besorgt hatte. Dabei versuchte seine Mutter, mit ihrem schweigsamen Sohn über sein Leben in London, die Schule und seine Freunde zu reden.

„Schade, dass Carter dieses Jahr nicht kommen konnte.“

„Er verbringt den Sommer auf Borneo bei seinem Großvater.“

„Armer Carter. Die ganze Familie auf so tragische Weise zu verlieren.“ Sie seufzte. „Spricht er manchmal von ihnen?“

„Nein. Nie.“ Sahir schüttelte den Kopf. Vor einigen Jahren waren die Mutter und der kleine Bruder seines Freundes von einem Krokodil getötet worden. Der Vater war bei dem Versuch, beide zu retten, ebenfalls umgekommen. Sahir wusste nur, was in der Presse berichtet worden war. Carter hatte nie darüber gesprochen. „Manchmal scheint es, als hätte er sie vergessen.“

„Das hat er nicht“, erklärte seine Mutter bestimmt. „Sei für ihn da, Sahir. Lade ihn in den Ferien und zu Festen zu uns ein. Sprich ihre Namen aus …“

„Das habe ich versucht.“

„Du wirst wissen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist.“

Hinter dem Palast glühte die Wüste in einem feurigen Orange. Die Wellen des Ozeans brachen sich an den Felsen unter ihnen. Sahir schaute auf die Stadt. Janana war ein Land der Kontraste – wunderschön und gnadenlos, mächtig und zerbrechlich. Er kannte die Geschichte seines Landes. Sein Vater war distanziert und unnahbar. Dennoch war Sahir sehr stolz auf ihn. König Babek von Janana hatte lange und hart gekämpft und eine florierende Hauptstadt mit einem zentralen Geschäftsviertel, modernen Krankenhäusern, Hotels und Designerläden aufgebaut, obwohl die Älteren und der Rat strikt dagegen gewesen waren. Königin Anoushehs Leidenschaft galt der alten Stadt und der Wüste.

Sie schauten auf den Palast mit der prachtvollen antiken Zitadelle. Von diesem Aussichtspunkt aus war die Setarah – die sternförmige Struktur – deutlich zu erkennen. Die versteckten Gänge und Treppen, die zu dem nicht überdachten zentralen Turm mit seinem wunderbaren Blick auf den Nachthimmel führten, blieben jedoch im Verborgenen.

Vor einigen Jahrhunderten hatte ein gewaltiges Erdbeben Janana verwüstet. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Auch der Palast war betroffen. Ein Flügel stürzte ein und begrub die Königin und viele ihrer Diener unter sich. Kurz nach dem Erdbeben nahm der damalige König sich das Leben und stürzte das ohnehin schon angeschlagene Land damit in noch größeres Chaos. Um derartige Tragödien fortan zu verhindern, wurden die Ehegesetze geändert. Alle zukünftigen Könige oder Königinnen durften nur eine Leidenschaft haben – das Königreich Janana. Liebe war etwas für das gemeine Volk, nicht für Herrscher.

„Das ist so ein Schandfleck“, sagte seine Mutter mit Blick auf den zerstörten Flügel.

„Er dient als Mahnmal.“ Sahir wiederholte, was er gelernt hatte. „Das Herz des Herrschers darf nur seinem Land gehören.“

„Sobald dein Vater den Frieden ausgehandelt hat, werde ich dafür kämpfen, dass der Flügel restauriert wird und in seinem alten Glanz wiedererstrahlt.“ Seine Mutter hatte immer große Pläne. „Ich weiß, dass es dem Monarchen verboten ist zu lieben, Sahir. Aber ich glaube, dass ein Herz zum Teilen da ist.“

„Ja. Das Herz eines Königs muss all seinen Untertanen gleichermaßen gehören.“

„Ich will, dass du mir zuhörst.“ Seine Mutter stellte ihren Eistee ab. „Nur weil du einmal König sein wirst, heißt das nicht, dass du allem zustimmen musst, was die Älteren …“

„Ich stimme ihnen auch nicht immer zu“, fiel Sahir ihr ins Wort. Ihm war bewusst, dass seine Mutter einsam war. Aber er verstand auch die Anforderungen an seinen Vater. „Ich lerne. Noch bin ich nicht König, und bis dahin halte ich mich an die Regeln. Das tust du doch auch! Besonders an die, die dir gefallen.“

„Wie bitte?“

„Deine Diskretion lässt zu wünschen übrig.“

„Sahir?“ Sie legte den Kopf schief und sah ihn mit ihren haselnussbraunen Augen an. „Was willst du damit sagen?“

Sahir hielt ihrem Blick stand. Er wollte seinen Schmerz über dieses Gespräch nicht offenbaren. „Im Palast ist kein Platz für einen unvorsichtigen Vertrauten.“

Zu seiner Überraschung lachte sie. So sehr, dass ihr die Tränen kamen. „Oh, Sahir. Manchmal bist du so bieder – genau wie dein Vater.“

„Er ist der König!“

„Jaja.“ Sie wurde wieder ernst. „Du hast recht.“

„Mutter, bitte sei vorsichtiger.“ Seine Stimme brach. Er hatte alles getan, um Jasmine zu beruhigen, aber insgeheim fürchtete auch er sich vor dem, was geschehen könnte.

„Es war richtig, mit mir darüber zu reden, Sahir.“ Sie umfasste sein Kinn. „Ich kümmere mich darum. Und nun lass uns unser Picknick genießen. Morgen fliegst du nach London zurück, und bald beginnt die Schule wieder.“

Sahir nickte, dann runzelte er die Stirn. Seine Mutter hatte plötzlich Nasenbluten. „Mutter, du blutest.“

„Sicher von dem steilen Anstieg.“ Sie nahm eine Serviette. „Haben wir noch Eis?“

„Natürlich.“ Er fühlte sich schrecklich. „Ich hätte nichts sagen sollen.“

„Mir geht es gut, Sahir.“ Sie legte einen Arm um seine Schultern. „Ich weiß, dass es sehr viel Mut erfordert hat, mit mir darüber zu reden.“

„Wirst du vorsichtiger sein?“

Sie nickte. „Alles wird gut.“

Drei Wochen später wurde Sahir aus dem Unterricht geholt und darüber informiert, dass Königin Anousheh schwer erkrankt sei. Mitten auf dem Heimflug erfuhr er, dass seine Mutter tot war.

1. KAPITEL

„Meine Entscheidung steht fest.“

Beim plötzlichen Klang der tiefen Stimme des Kronprinzen Sahir von Janana erhoben sich die Mitglieder seines Teams und verneigten sich. Alle hatte angenommen, dass er sich oben für die Hochzeit umzog, zu der er eingeladen war.

Das Haus in Belgravia war elegant – ein weißes Stuckgebäude mit einem riesigen Balkon – und so groß, dass es auch Platz für Wohnungen seiner Bediensteten bot. Im von Mauern umgebenen Garten auf der Rückseite des Hauses führte ein gesicherter Aufzug zur Hauptwohnung. Es war Sahirs Zuhause, wenn er in London war. An diesem Vormittag fühlte es sich jedoch nicht so an. Das Esszimmer, in dem er kleine Empfänge und private Abendessen veranstaltete, war zu einem Besprechungsraum umgewandelt worden.

Auf dem Weg nach unten war er einigen Palastdienern begegnet, die seine formelle Kleidung für den morgigen Tag ins Ankleidezimmer brachten. Hier in London hatte er sonst nur seine eigenen Bediensteten und ein handverlesenes Team, das ihn begleitete. Die Ankunft der Palastdiener fühlte sich an wie eine Invasion. Obendrein war auch noch Aadil dabei, Sahirs ehemaliger Sicherheitsmann und nun engster Berater des Königs. Er war es gewesen, der ihn damals so kalt über den Tod der Königin informiert hatte.

Sahir ging durch den Raum, setzte sich ans Kopfende des Tischs und bedeutete allen, sich ebenfalls zu setzen. „Heute ist nur minimale Sicherheit erforderlich. Was noch?“ Er sah zu seiner Privatsekretärin Pria.

„Einige geringfügige Änderungen für morgen.“ Sie reichte ihm die aktualisierte Übersicht. „Der Zeitplan ist eng. Wir müssen zehn Minuten früher los.“

„Verstehe.“ Sahir überflog den Plan, seinen Augen entging nichts. Unter den Namen einiger Gäste, die an der morgigen Veranstaltung teilnahmen, waren Notizen hinzugefügt worden, um die Unterhaltung zu erleichtern. Der König und die Königin eines benachbarten Landes waren kürzlich wieder Großeltern geworden. Gut zu wissen. Er würde seine Glückwünsche ausrichten. Dann las er den Zusatz: Sagt Alf mabrouk – tausend Glückwünsche. Eine gängige Floskel, aber etwas zu überschwänglich für seinen Geschmack. Er las weiter. Der Schwager eines Sultans war verstorben – Sahir sollte dem Sultan im Namen von Janana sein Beileid ausdrücken.

Aadil sprach über einige europäische Royals, die morgen ebenfalls anwesend sein würden. „Anlässlich Eures Geburtstags wurde ein exquisites Geschenk geschickt – eine juwelenbesetzte goldene Amphore. Vielleicht ein kleines Dankeschön?“ Er wandte sich an Pria. „Haben wir ein Foto?“

„Nicht nötig. Es wird nur eine kurze Begrüßung.“ Sahir sah zu Aadil. „Sonst denken die Leute noch, ich hätte etwas vor.“ Sein Leibwächter Maaz unterdrückte ein Lächeln. Auch Pria musste sich beherrschen, nicht zu kichern. Außerhalb des Palasts war Sahir lässiger und zeigte Ähnlichkeit mit seiner temperamentvollen eigensinnigen Mutter.

„Hoheit?“ Aadil runzelte die Stirn.

„Ich dachte, ein Mitglied der königlichen Familie von Janana muss stets beherrscht sein und nicht allen die Hand schütteln und überschwänglich reden.“

„Es ist ein schmaler Grat, Hoheit.“

„Nicht für mich.“ Sahir konnte ebenso rigide und streng sein wie sein Vater. Der plötzliche Tod seiner Mutter hatte ihn erschüttert. Doch er hatte schnell gelernt, dass es besser war, keine Gefühle zu zeigen, und eine undurchdringliche Mauer um sein Herz errichtet. Im Gegensatz zu seinem Vater fragte er nicht ständig seine Berater oder traf sich mit Hakaam, dem „Seher“. Sahir verließ sich lieber auf sich selbst. Wenn er Weisheit oder Führung brauchte, ging er lieber allein in die Wüste und dachte nach, anstatt in längst verglühten Sternen nach Antworten zu suchen.

„Sanfte Unterhaltung, Hoheit …“, begann Aadil.

„Ich bin nicht sanft“, unterbrach Sahir ihn. „Aber ich bin ein Gentleman und werde jeden respektvoll begrüßen.“ Sie gingen die restlichen Pläne für morgen durch. Er würde das Haus um zehn Uhr verlassen und sich achtundvierzig Minuten später in die Fahrzeugkolonne einreihen. Um sechs Uhr abends wäre er wieder zurück in der Botschaft. Rückflug nach Janana um elf Uhr nachts. „Danke.“ Er erhob sich, doch Aadil schnitt noch einmal das Thema Sicherheit an.

„Eure Hoheit, ich muss betonen, dass es sich um hochrangige Gäste handelt. Es wäre nachlässig, die Sicherheit nicht zu erhöhen.“

Sahir biss die Zähne zusammen, sagte aber ruhig: „Die Feier heute ist rein privat. Der Empfang nicht viel mehr als ein Abendessen. Eine geschlossene Gesellschaft mit ausgewählten Gästen.“ Sein Freund Carter Bennett hatte vor ein paar Wochen völlig überraschend geheiratet. Das glückliche Paar feierte seine Vermählung heute im engsten Kreis in London. Wäre Sahir heute nicht ohnehin wegen königlicher Termine in London gewesen, hätte er nicht teilnehmen können. Doch so konnte er Carters Trauzeuge sein. Eine leichte Aufgabe. Erst wurde im Pflegeheim der Brautmutter die Hochzeitstorte angeschnitten, danach gab es ein Dinner in einem Restaurant. Er sollte nicht einmal eine Rede halten. „Carter hat seine eigenen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, den Ort jedoch unter Berücksichtigung meiner Anforderungen ausgewählt.“ Er wandte sich an Maaz, der zusammen mit Layla heute sein Sicherheitsteam bilden würde. „Sind Sie zufrieden mit den Vorkehrungen?“

Layla nickte. „Alle Gäste sind überprüft worden. Carter wird Euren Titel nicht erwähnen. Das Restaurant wurde durchsucht und wird jetzt überwacht. Ich übernehme, sobald die Hochzeitsgesellschaft eintrifft. Maaz fährt gleich zum Pflegeheim.“

„Großartig.“ Sahir entließ sein Team – für heute. Die meisten freuten sich über den unerwarteten freien Tag, doch einige blieben noch, unter ihnen Aadil.

Faisal, der Majordomus, legte eine Hochzeitskarte vor ihn auf den Tisch. Sahir wollte schon den juwelenbesetzten Füller nehmen, den er für königliche Aufgaben nutzte, zögerte dann aber. Dies war eine persönliche Angelegenheit. Also bat er um seinen Lieblingskugelschreiber – ein Geschenk von Carter zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag. „Wie lautet der Name der Braut?“

„Grace“, antwortete Faisal.

„Danke.“ Normalerweise musste Sahir nur unterzeichnen, doch hier ging es um Carter. Also schrieb er, dass er den beiden viel Glück für die Zukunft wünsche, und unterzeichnete. Zum Glück musste er nur seinen Namen schreiben.

Derweil erklärte Faisal ihm, was als Hochzeitsgeschenk ausgewählt worden war. „Ein zweiarmiger Kerzenleuchter in Silber und Roségold aus der Setarah-Sammlung. Die Tropfenfänger …“

„Danke“, unterbrach Sahir ihn. Er kannte die Sammlung. Einige Teile davon waren hier in London. Er hoffte, dass der Bräutigam den Leuchter im Fall einer Scheidung behalten konnte, behielt diesen Gedanken aber für sich. Über persönliche Dinge sprach er nie.

Normalerweise verschenkte er nichts von seinem Erbe. Aber Carter war ein begnadeter Architekt und arbeitete mit ihm zusammen an Plänen für den Wiederaufbau des Palasts. Er würde dieses Geschenk zu schätzen wissen.

Da Karte und Geschenk erledigt waren, ging Sahir in seine Suite, um sich umzuziehen. Faisal half ihm in das Jackett seines Stresemanns und steckte ihm den Blumenschmuck ans Revers. Merkwürdige Wahl, dachte Sahir und betrachtete die lila Blume. Für seinen Geschmack war sie etwas zu groß. Angeblich war es eine Wasserhyazinthe. Die Blumen waren extra und auf ausdrücklichen Wunsch der Braut aus Borneo eingeflogen worden.

Sobald Sahir fertig angezogen war und bereit, den Bräutigam abzuholen, ging Layla mit ihm die letzten Einzelheiten durch.

„Ich folge Euch, Hoheit. Maaz und ich werden vor dem Pflegeheim und später vor dem Restaurant sein. Falls die Presse kommt oder es Probleme mit der Sicherheit geben sollte …“

„Wird es nicht,“ sagte Sahir zuversichtlich. Layla gab ihm den aktualisierten Code für den Privatgarten und erklärte ihm den Fluchtweg aus dem Restaurant. Er wiederholte den Code und steckte den Schlüssel ein, den er benutzen sollte, falls der Code nicht funktionierte. In dem Moment klingelte sein Handy. Es war Carter.

„Ich bin auf dem Weg“, erklärte Sahir.

„Kleine Planänderung“, entgegnete Carter. „Wie treffen uns im Pflegeheim. Grace möchte, dass ich vor dem Anschneiden der Hochzeitstorte etwas Zeit mit ihrer Mutter verbringe. Um sicherzugehen, dass sie beruhigt ist.“

„Alles klar.“

„Du glaubst sicher, dass ich nur wegen des Testaments meines Großvaters …“

„Carter“, unterbrach er seinen Freund. „Es ist egal, was ich denke.“

„Ich weiß, dass du kein Fan der Ehe bist.“

„Das warst du bisher auch nicht.“

„Die Dinge ändern sich, Sahir. Menschen ändern sich.“

Aber Sahir wollte sich nicht ändern. Er hatte keine Lust auf eine arrangierte Ehe, und Liebe wollte er auch nicht. Mit seinem Vater hatte er vereinbart, dass er frühestens mit vierzig heiraten würde. Allerdings kam ihm das jetzt mit fünfunddreißig verdammt nah vor. „Du durftest dir deine Braut wenigstens selbst aussuchen. Und ich bin sicher, du hast eine gute Wahl getroffen.“

„Das habe ich“, erwiderte Carter. „Wenigstens kannst du dir deine Zweitfrau selbst aussuchen.“

Sahir ignorierte den kleinen Witz. Carter kannte einige der Regeln, würde sie aber nie verstehen. „Carter, du weißt, dass ich dir immer nur das Beste wünsche.“

„Das weiß ich. Aber könntest du auch Grace mit in deine guten Wünsche einschließen?“

„Natürlich.“ Sahir hoffte aufrichtig, dass beide das bekamen, was sie sich aus dieser Verbindung erhofften. „Ich wünsche euch beiden alles Glück.“

„Gut.“

„Bist du sicher, dass du keine Reden willst?“, hakte Sahir nach.

„Es ist ein informelles Abendessen. Reden sind nicht erforderlich. Wir sehen uns am Pflegeheim. Schick mir eine SMS, wenn du da bist.“

„Natürlich.“

„Danke, dass du heute dabei bist, Sahir. Das bedeutet mir sehr viel.“

Nachdenklich beendete Sahir das Gespräch. Es klang fast, als würde Carter diese Ehe wirklich viel bedeuten. Doch seine zynische Natur gewann schnell wieder die Oberhand. Mit Liebe hat das sicher nichts zu tun.

Sahir lenkte seinen schnittigen silberfarbenen Wagen aus der Garage. Zum Glück war er während der Fahrt allein. London war atemberaubend. Doch sein Weg führte ihn weg vom wunderschönen Stadtzentrum und hinaus in die Vororte. Wie besprochen parkte Maaz bereits vor dem Pflegeheim, als Sahir auf den Parkplatz eines unscheinbaren Gebäudes fuhr. Layla folgte ihm und parkte in gebührendem Abstand. Sahir wollte Carter gerade eine SMS schicken, als ein Taxi vorfuhr, aus dem zuerst ein Paar schwarze Stilettos und dann eine Menge lila Seide zu sehen waren. Im Rückspiegel sah er, dass Layla lässig an ihrem Wagen lehnte. Dennoch beobachtete sie alles genau. Dass sein Sicherheitspersonal in allem und jedem eine Bedrohung sah, nervte ihn. Sämtliche Personen auf der Gästeliste waren doch diskret überprüft worden. Prompt erhielt er eine Nachricht von Layla.

Brautjungfer. Violet Lewis.

Das hätte Sahir auch allein herausbekommen. In dieser Gegend gab es an einem Samstagnachmittag sicher wenig Gelegenheit, ein Abendkleid zu tragen. Aber das atemberaubende Kleid passte zu ihrem Namen. Es war violett, nicht lila. Eine gewagte Wahl, denn die Haut der Frau war sehr blass, obwohl es bereits Ende September war. Das blonde Haar hatte sie locker hochgesteckt. Die Frau holte ein Handy aus ihrer kleinen Abendtasche und zahlte das Taxi. Sie sah fröhlich aus und schien nicht zu bemerken, dass sie beobachtet wurde.

Dann nahm sie eine in silberfarbenes Geschenkpapier eingeschlagene Box mit unheimlich viel Kräuselband aus dem Wagen. Als der Taxifahrer etwas sagte, lachte sie, hob den Saum ihres Kleids an und schritt in ihren Stilettos über den öden Parkplatz. Das schulterfreie Kleid betonte ihre blassen Schultern.

Sahir blieb im Wagen sitzen. Er hatte keine Lust, sich mit der Brautjungfer zu unterhalten, die nun durch die Glastür ins Innere des Gebäudes schaute und dann eine Nachricht in ihr Handy tippte. Doch als das Taxi wegfuhr, änderte sich ihre Haltung schlagartig. Auf einmal sank sie regelrecht in sich zusammen, lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Gerade hatte sie in ihrem wunderschönen Kleid noch so heiter und selbstbewusst gewirkt. Nun wirkte sie einsam und traurig. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch, als wollte sie sich selbst beruhigen und sprach leise vor sich hin. Wie eine Schauspielerin, die vor dem Auftritt noch einmal ihren Text übt.

Plötzlich war Sahir in höchster Alarmbereitschaft. Vielleicht hatten seine Leute doch recht. Vielleicht war Violet Lewis eine Bedrohung – allerdings anders, als sie dachten … Denn nun wollte er doch zu ihr gehen und mit ihr reden.

2. KAPITEL

Violet konnte sich gut selbst motivieren. Ohne den luxuriösen silbernen Wagen und dessen Fahrer zu bemerken, konzentrierte sie sich auf die bevorstehende Feier, die es durchzustehen galt. Du schaffst das. Lächele einfach und übersteh diesen Tag. Für Grace!

Die letzte Woche war sehr schwer gewesen. Dabei sollte sie das gewohnt sein. Eine Sozialarbeiterin hatte Violets Leben einmal als Achterbahnfahrt bezeichnet. Welch eine Untertreibung! Gleich nach ihrer Geburt war Violet ihrer Mutter weggenommen worden. Ihre Kindheit hatte sie bei ihren chaotischen Eltern oder in Pflegefamilien verbracht. Sie sehnte sich nach Frieden. Einem Zuhause. Einer normalen Familie.

Letzteres hatte sie nur bei Grace und deren Mutter erlebt. Als Kind war Violet oft bei den beiden gewesen. Nach der Schule gab es Kekse oder Kuchen und auch Hilfe bei den Hausaufgaben. Oft wusch Mrs. Andrews Violets Schuluniform gleich mit, wenn sie Wäsche machte. Josephine Andrews war Violet weitaus mehr eine Mutter gewesen als ihre eigene. 

Im Alter von sechzehn Jahren hatte Violet mit der Hilfe einer neuen wunderbaren Sozialarbeiterin und der Unterstützung von Grace und Mrs. Andrews einen Vollzeitjob in der örtlichen Bücherei bekommen und war in eine Wohngruppe gezogen. Dort hatte sie ihr eigenes Zimmer mit einer kleinen Küche und Bad und war für alle Ausgaben selbst verantwortlich. Ihr kleines Heim war sauber und ordentlich, und alle Rechnungen wurden pünktlich bezahlt. Auch wenn sie deshalb oft von Suppe leben musste. Sie war schnell völlig selbstständig geworden und in ein Apartment ihrer Wahl gezogen. Mit den Jahren hatte sie verschiedene Mitbewohnerinnen gehabt. Zuletzt Grace. Violets Eltern waren schon lange weggezogen, hatten ihr aber einen Ruf hinterlassen, mit dem sie zu kämpfen hatte. Jetzt, mit fünfundzwanzig, konnte nichts und niemand Violet etwas anhaben – zumindest schien es so. Wegen ihrer Schlagfertigkeit und ihrer wilden Art hielten die meisten sie für mutig und ein wenig kokett. In Wahrheit war das alles Fassade. Violet hatte schon sehr früh gelernt, weder Schwäche noch Angst zu zeigen. Männern gegenüber war sie misstrauisch. Daher war sie bisher kaum geküsst worden. Doch in letzter Zeit versuchte sie, all das abzuschütteln, und hatte sich bei einer Dating-Webseite angemeldet.

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