Ein Prinz wie aus 1001 Nacht

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Die Heirat Prinz Shahirs mit Lady Pamela steht so gut wie fest. Bis ihm Kirsten begegnet, ein einfaches Zimmermädchen. Obwohl Kirsten nicht standesgemäß ist, träumt der Wüstensohn schon bald von mehr. Da sorgen rätselhafte Diebstähle auf dem herrschaftlichen Besitz plötzlich für neue Wendungen. Shahir muss befürchten, dass Kirsten die Täterin ist!


  • Erscheinungstag 03.07.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715014
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Seine Königliche Hoheit, Prinz Shahir bin Harith al Assad, erreichte sein prächtiges Besitztum im Schottischen Hochland gegen acht Uhr am Morgen.

Wie immer waren alle nur möglichen Vorkehrungen getroffen worden, um ihm die zuvorkommende Behandlung zuteilwerden zu lassen, die er von Geburt an gewohnt war. Als sein Learjet landete, stand an dem privaten Flughafen bereits eine schwere Luxuslimousine mit Chauffeur bereit. Die abgedunkelten Fenster trugen mit dazu bei, ihm die Privatatmosphäre zu gewährleisten, auf die er besonders Wert legte. So wäre auch niemand aus seinem Mitarbeiterstab je auf die Idee gekommen, ihm ein unwillkommenes Gespräch aufzuzwingen.

Allein Fraser Douglas, der Verwalter seines schottischen Besitztums, dem er einen Platz in der Limousine anbot, musste ihm einige Fragen beantworten, ehe auch er sich auf einen Wink des Prinzen hin schweigend in die weichen Ledersitze zurücklehnte.

Die einzige Straße nach Strathcraig Castle, die sich über zwanzig Kilometer durch das schottische Moor hinzog, wurde von imposanten Bergmassiven flankiert. Nach der hektischen Betriebsamkeit des Businesslebens erfreute sich Shahir an der wohltuenden Weite und der klaren Luft. Die einsame, majestätische Landschaft und der weite blaue Himmel erinnerten ihn ein wenig an die heimische Wüste, die er noch mehr liebte als dies hier.

Als die Limousine eine bewaldete Schlucht durchfuhr, wurde der schwere Wagen durch eine Schafherde, die die Straße kreuzte, zum Halten gezwungen. Am Straßenrand stand eine weißhaarige Frau mit einem Fahrrad, die auch darauf wartete, weiterradeln zu können. Erst als sie den Kopf ein wenig zur Seite wandte, stellte Shahir erstaunt fest, dass sie kaum das Teenageralter hinter sich hatte, und ihr langes Haar nicht weiß, sondern platinblond war. In weichen Wellen umfloss es ihr zartes Gesicht. Sie war schlank, hatte große, intelligente Augen und einen vollen, sensiblen Mund. Selbst die schlichte, farblose Kleidung konnte ihrer natürlichen Anmut und Grazie keinen Abbruch tun. Sie erinnerte ihn an das Gemälde eines Engels, das er vor langer Zeit gesehen hatte – rein und unantastbar.

Weniger ehrfürchtig war das plötzlich erwachende Lustgefühl, das Shahir durchflutete, und dessen Heftigkeit und Intensität ihn erstaunte. Denn es war ziemlich lange her, dass eine Frau ihn in dieser Art interessiert hatte.

„Wer ist das?“, fragte er seinen Verwalter, der ihm gegenübersaß.

„Kirsten Ross, Eure Königliche Hoheit“, sagte der ältere Mann mit dem quadratischen Schädel beflissen. Da keine Antwort erfolgte, beeilte er sich, weitere Details zu liefern. „Ich glaube, sie arbeitet als Reinigungskraft im Schloss.“

Nicht im Traum käme Shahir auf die Idee, sich mit einer Bediensteten einzulassen. Wie bedauerlich für ihn, dass dieses Zauberwesen zu seinen Dienstboten gehörte – und dann noch in einer untergeordneten Stellung! Schade, dachte er flüchtig und hakte jeden amourösen Gedanken in Richtung der platinblonden Schönheit ab. Denn Shahir war ein stolzer und sehr anspruchsvoller Mann.

„Ich habe sie bisher noch nie gesehen.“

„Kirsten Ross gehört auch nicht unbedingt zu der Sorte Frauen, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.“

Shahir lächelte zynisch. Als Liebhaber schöner Frauen erkannte er ein kostbares Juwel auf den ersten Blick, auch wenn es in einer wenig attraktiven Verpackung steckte. „Sie muss doch an das Aufsehen gewöhnt sein, das ihr Äußeres hervorruft.“

Fraser Douglas zog eine Grimasse. „Ich glaube nicht, dass man sie besonders dazu ermutigt hat, vor dem Spiegel zu stehen. Ihr Vater ist streng gläubig und regiert seine Familie sehr streng.“

Shahir ertappte sich dabei, dass er die attraktive Blondine immer noch anstarrte, und riss sich mit einiger Anstrengung von dem zauberhaften Anblick los.

Der Wagen fuhr weiter. Shahir nahm in Gedanken die Bemerkung seines Verwalters über den Vater des Mädchens auf und überlegte, wo man die Grenze zwischen einem tief empfundenen Glauben und religiösem Fanatismus ziehen musste. Hier, im ländlichen Bereich, schien sich das Leben der Menschen jedenfalls weitgehend um die Kirche und ihre verschiedenen Aktivitäten zu drehen.

Die örtliche Bevölkerung hielt dabei ganz andere moralische und gesellschaftliche Regeln hoch als die sogenannte gehobene Gesellschaft. In der Tat wirkten viele Pächter und Bauern auf auswärtige Besucher ziemlich grimmig, verschlossen und altmodisch, was sicher auch daran lag, dass sie in diesem engen Tal wenig von dem Rest der Welt mitbekamen.

Shahir selbst fühlte sich hier auf Strathcraig mehr zu Hause als in einer nobleren Umgebung, die mehr dem Laissez-Faire verpflichtet war. Dhemen, das kleine Königreich im Mittleren Osten, in dem er geboren wurde, war ähnlich puritanisch. Recht blieb Recht, ein Fehler war ein Fehler, und das Gemeinwohl stand immer über der Freiheit des Einzelnen.

Diesem eindeutigen Regelwerk wagten sich nur wenige entgegenzustellen, und jene, die es trotzdem taten, mussten mit der Schande und Schmach weiterleben, die sie selbst auf sich zogen, wenn sie den ungeschriebenen Geboten zuwiderhandelten.

Auf eine ähnliche Weise akzeptierte auch Shahir die Einschränkungen in Bezug auf sein eigenes Leben, die ihm das Schicksal aufgrund seiner königlichen Geburt abverlangte. Und so konnte jede Frau, die mit ihm das Bett teilte, auch immer nur ein schwacher Ersatz für die Eine sein, die er wirklich wollte. Die Frau, die er liebte und die ihm nie gehören konnte. Gelegentliche amouröse Abenteuer waren sein einziges Ventil gegen die tief sitzende Frustration, auf seine große und einzige Liebe verzichten zu müssen.

Doch inzwischen war er zweiunddreißig Jahre alt und hatte sein Leben eigentlich ganz anders geplant.

Besorgte Verwandte standen geradezu Schlange, um ihn mit den Namen passender Heiratskandidatinnen zu versorgen. Und die hartnäckigeren unter ihnen arrangierten sogar in schöner Regelmäßigkeit Treffen mit infrage kommenden Damen.

Vielleicht ist es wirklich langsam an der Zeit, dass ich in den sauren Apfel beiße und mich für eine von ihnen entscheide, überlegte Shahir, wobei sich seine attraktiven dunklen Züge unwillkürlich verfinsterten.

Eine arabische Frau würde ihre ganze Energie dafür einsetzen, ihm die perfekte Frau zu sein. Als Gegenleistung erwartete sie von ihm Kinder, Reichtum und das Prestige einer wichtigen Stellung. Liebe kam in dieser Gleichung nicht vor – warum sollte sie das auch? Heiraten in diesem Teil der Welt hatte vor allem etwas mit Status, Familienzugehörigkeit und vorrangig mit der Produktion eines Erben zu tun.

Shahirs Vater hatte dem Drang seines Sohnes, so lange wie möglich unverheiratet zu bleiben, bisher großes Verständnis entgegengebracht, doch als Nächster in der Thronlinie war Shahir sich schon darüber im Klaren, dass er dem Unvermeidlichen nicht noch viel länger ausweichen konnte.

Glücklicherweise hatte er keinen einzigen romantischen Knochen in seinem Körper! Sein heißblütiges Temperament und seine ausgeprägte Libido hatte er dank fester Prinzipien und seines anspruchsvollen Geschmacks immer unter Kontrolle halten können. Shahir war ein Mann, der der Wahrheit ins Gesicht schaute, wie unangenehm sie auch sein mochte. Niemand, der dumme Fehler machte.

In den Schoß einer königlichen Familie geboren, auf die er sehr stolz war, wusste er genau, was seine Pflichten waren. Und sein scharfer, analytischer Verstand, wie auch seine emotionale Intelligenz sagten ihm, dass es wichtiger war, die richtige Ehefrau zu finden, als auch nur einen Gedanken an eine umwerfende, allerdings absolut unpassende Westeuropäerin zu verschwenden, die zudem noch als eine Art Dienstmagd für ihn arbeitete.

„Du lebst in einer Traumwelt, Kirsten“, stellte Jeanie Murray voller Überzeugung fest. Sie saß auf der abgewetzten, hölzernen Arbeitsplatte in der Küche und machte verbotenerweise eine Zigarettenpause. „Dein Vater wird dich nie von zu Hause weglassen, damit du aufs College gehen kannst.“

Kirsten hörte für einen Moment auf, die kostbare Sauciere aus Sevres-Porzellan zu polieren.

„Ich dachte, er könnte meiner Idee jetzt vielleicht aufgeschlossener gegenüberstehen, da er mit Mabel verheiratet ist.“

„Ha! Auf jeden Fall hat ihn all sein Beten und Predigen nicht davon abhalten können, sich eine neue Braut zu suchen, obwohl deine Mum gerade erst gestorben war!“, empörte Jeanie sich. „Wie man so hört, soll ihm seine häusliche Bequemlichkeit über alles gehen.“ Ohne Kirstens Unbehagen zu bemerken, schüttelte der dralle Rotschopf lachend den Kopf.

„Warum sollte er dich also gehen lassen? Immerhin steuerst du ja auch noch ein ganz schönes Sümmchen zum Haushalt bei. Und versuche jetzt nicht, mir weiszumachen, dass es ihm nicht willkommen ist! Jeder hier weiß doch, wie geizig Angus Ross ist.“

Nur mit Mühe gelang es Kirsten, ein gequältes Aufstöhnen zurückzuhalten, angesichts der Erkenntnis, dass der Geiz ihres Vaters im ganzen Umland als geradezu legendär galt. Jeanies gnadenlose Offenheit und ihre taktlosen Bemerkungen führten häufig zu Reibereien unter dem Personal. Kirsten hingegen fiel es leicht, ihr diesen Wesenszug nachzusehen, weil sie ihre ansonsten warmherzige, freundliche Art schätzte.

„Jeanie …“

„Versuch gar nicht erst, mir etwas vormachen zu wollen. Du weißt ganz genau, dass ich recht habe. Ich habe ein, zwei Geschichten darüber gehört, wie es dir zu Hause ergeht, und das ist ganz bestimmt kein Zuckerschlecken!“

„Trotzdem bin ich nicht bereit, die Belange meiner Familie mit anderen zu diskutieren“, gab Kirsten steif zurück.

Jeanie verdrehte unbeeindruckt die Augen und grinste. „Ich wette, du bist immer noch fürs Kochen und die grobe Hausarbeit zuständig, stimmt’s? Mabel, dieser alte Sauertopf, wird dich genauso wenig gehen lassen wollen wie dein Vater, wenn du mich fragst.“

„Das tue ich aber nicht.“

„Du musst den Tatsachen ins Auge sehen, Kirsten! Du bist jetzt zweiundzwanzig, und der einzige Weg, endlich ein eigenes Leben führen zu können, heißt Flucht! Lauf, so schnell und so weit dich deine Beine tragen, ehe dieses egoistische Pärchen dich einholen kann!“

„Wir werden sehen“, murmelte Kirsten und senkte den Kopf, um sich wieder ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Es würde sie eine ganz schöne Stange Geld kosten, irgendwo allein einen Haushalt einzurichten. Einfach wegzulaufen mochte eine reizvolle Idee sein, aber ohne den notwendigen Rückhalt, auch eine ziemlich törichte. Denn dann würde sie unweigerlich in die Armut abrutschen.

Wovon Kirsten träumte, war, sich eine kleine, gemütliche Wohnung leisten zu können, von wo aus sie ihre Zukunft planen konnte. Ich muss nur noch eine Weile Geduld haben, redete sie sich ein.

Immerhin war sie erst sechs Wochen im Castle angestellt. Und da ihr Vater einen Großteil ihres Verdienstes dafür verlangte, dass er sie weiter zu Hause wohnen ließ, würde es wohl noch ein paar Monate dauern, ehe sie daran denken konnte, ihren Traum zu verwirklichen. Doch so eilig war es ihr damit auch gar nicht.

Ihr Job, so schlicht und unbedeutend er auch sein mochte, war für Kirsten eine Art Rettungsanker. Ihr gefiel es, sich in der mittelalterlichen Pracht des historischen Castles aufhalten und bewegen zu können. Selbst der lange Weg bis hierher, den sie jeden Morgen mit ihrem Rad zurücklegte, vermittelte ihr ein lang entbehrtes Gefühl von Freiheit. Ebenso die Gelegenheit, völlig unterschiedliche Menschen zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen. Trotzdem war ihr stets bewusst, dass es ihr nicht auf Dauer genügen würde, als Putzkraft tätig zu sein.

Kirsten erwartete mehr von ihrem Leben, doch dafür waren eine gute Ausbildung und weitere Qualifikationen notwendig.

Allein die Vorstellung, sich ihrem Vater offen zu widersetzen, jagte ihr eine Heidenangst ein. Seit ihrer Kindheit war Kirsten eingebläut worden, dass sie sich seinen rigiden Dogmen und Lebensregeln frag- und klaglos zu unterwerfen hatte. Angus Ross war ein kalter, einschüchternder Mann mit einem Hang zur Gewalttätigkeit, vor der sie ihre verstorbene Mutter mehr als einmal zu beschützen versucht hatte.

Kirstens Augen verdunkelten sich. Immer noch war sie voller Trauer über den Verlust des einzigen Menschen, den sie wirklich geliebt hatte. Als Isobel Ross schwer erkrankte, war ihre Tochter gerade mal dreizehn. Sie erholte sich nie mehr, und ihr zunehmender Verfall erforderte eine immer intensivere Pflege und Betreuung, die allein auf Kirstens Schultern lastete. Ihr Vater nannte das Frauenarbeit und war nicht bereit, auch nur den kleinen Finger krumm zu machen, um seiner Tochter zu helfen. Und ihr älterer Bruder Daniel war viel zu sehr in die Arbeit auf der Farm eingespannt, um Kirsten eine Stütze sein zu können.

Einst Klassenbeste, versäumte Kirsten zunehmend immer mehr Schultage und damit wurden naturgemäß auch ihre Leistungen schlechter. Sobald es gesetzlich erlaubt war, nahm Angus seine Tochter aus der Schule, damit sie ihre Mutter und den Haushalt rund um die Uhr betreuen konnte.

Irgendwann wurden ihrem Bruder Daniel die unbeugsamen Hausregeln zu viel, die aus dem zunehmenden religiösen Fanatismus seines Vaters resultierten, und er ging ohne große Erklärungen einfach fort.

Kirsten selbst verließ die elterliche Farm in den folgenden fünf Jahren einzig und allein, um sonntags zur Kirche zu gehen und den wöchentlichen Einkauf zu erledigen. Ihr Vater hatte nichts für gesellschaftliche Vergnügungen übrig und wies jedem Besucher die Tür.

Exakt ein Jahr nach dem Tod seiner Frau heiratete er Mabel – eine griesgrämige, scharfzüngige Frau. Ihr verdankte Kirsten ihren jetzigen Job. Denn Mabel war es gewesen, die Angus klargemacht hatte, dass seine Tochter auf diese Weise die Haushaltskasse nicht unbeträchtlich aufstocken konnte.

„Na, dann kann ich nur hoffen, dass wenigstens der Besuch unseres umwerfend attraktiven Scheichs einen kleinen Lichtblick in dein armes Leben bringt“, platzte Jeanie fröhlich heraus und holte Kirsten damit aus ihren schweren Erinnerungen zurück.

„Diesen Lichtblick habe ich bereits hinter mir“, entgegnete sie trocken. „Als ich heute mit dem Rad hierherkam, stand ich vor einer Schafherde zufällig neben der Luxuslimousine des Prinzen und war selbstverständlich entsprechend beeindruckt.“

„Ach, seine Limousine!“ Jeanie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir müssen überlegen, wo du dich verstecken kannst, damit du den Mann selbst zu Gesicht bekommst! Ich habe ihn bereits ein paar Mal aus der Ferne gesehen, und ich schwöre dir, der macht aus jeder Heiligen eine Sünderin!“

Jeanie stöhnte theatralisch auf und zog noch ein letztes Mal an ihrer Zigarette, ehe sie sie ausdrückte. Dann rutschte sie vom Tresen herunter und verstaute den Aschenbecher wieder in seinem Versteck.

„Er ist eine wahre Versuchung!“

„Dann werde ich erst recht darauf achten, nicht seinen Weg zu kreuzen“, meinte Kirsten gelassen. „Denn ich will auf keinen Fall meine Arbeit verlieren.“ Gleich an ihrem ersten Tag hatte man sie davon unterrichtet, dass für alle Angestellten im Schloss die gleiche Regel galt – nämlich, so leise und unsichtbar wie möglich zu sein, sobald der Hausherr im Lande war. Und sollte der Zufall es wollen, dass man seinem phänomenal reichen, königlichen Arbeitgeber irgendwo begegnete, dann hatte man auf der Stelle in eine andere Richtung zu entschwinden.

„Wenn ich dein Gesicht und deinen Körper hätte, würde ich hundertprozentig eine Gelegenheit finden, Seiner Königlichen Hoheit irgendwo direkt vor die Füße zu fallen“, verkündete Jeanie lachend. „Ist er erst einmal auf dich aufmerksam geworden, verfällt er deiner Schönheit unter Garantie und wird dich als seine Geliebte irgendwo in einer eigenen Wohnung oder sogar einem eigenen Haus unterbringen!“, schwärmte sie weiter.

„Dann bist du eine gemachte Frau! Denk nur an die vielen schönen Kleider, die er dir schenken wird … und Juwelen! Also, wenn irgendjemand den Prinzen aufreißen kann, dann du!“

Kirsten starrte Jeanie zunehmend irritiert aus ihren schönen großen Augen an und errötete. „Ich … ich bin wirklich nicht der Typ …“

„Besser für dich, du wärst es“, unterbrach Jeanie sie ungeduldig. „Ich weiß mir wenigstens Spaß zu verschaffen und lache oft und gern. Aber wenn du nicht aufpasst, dann verwandelt dich dein Vater noch in eine alte, sauertöpfische Jungfer!“

Kirsten widmete sich nun den übrigen Teilen des Sevres-Porzellans. Doch in ihren Gedanken war sie meilenweit von hier entfernt. Jeanies offene, burschikose Art war ihr ganz und gar fremd. Sie selbst war in einem Haus aufgewachsen, in dem das Wort Sex einzig und allein in der Übersetzung ihres Vaters existierte, und die lautete: Sünde.

Der Inhalt der Zeitschriften und Magazine, die Kirsten seit Antritt ihrer Arbeit hier im Schloss in die Hände gefallen waren, hatte sie regelrecht schockiert, denn die einzige Lektüre, die es zu Hause gab, waren die Bibel und verschiedene religiöse Traktate gewesen. Und es war bereits etliche Jahre her, dass ihr Vater den Fernseher als Teufelswerkzeug erkannt und aus seinem Haus verbannt hatte.

Nicht ohne schlechtes Gewissen musste sich Kirsten allerdings eingestehen, dass sie sich sehr für die fantastische bunte Mode und die exotischen Schauplätze in den Illustrierten erwärmen konnte.

Wenn ihr Vater nur ein wenig weltoffener und verständnisvoller wäre. Wenn er sie doch auch mal mit anderen jungen Leuten ausgehen lassen würde. Irgendwie musste er ihre verstorbene Mutter schließlich kennengelernt haben, ehe sie heirateten.

Doch leider war Angus Ross ein unverbesserlicher Sturkopf und in seinen Forderungen ebenso unvernünftig und übertrieben wie in seinen Geboten. So hatte er es auch geschafft, sich mit den Gemeindeältesten zu überwerfen, und besuchte seither nicht einmal mehr die Gottesdienste. Und natürlich durften fortan auch Mabel und seine Tochter nicht mehr in die Kirche gehen.

Kirsten liebte Musik. Eines ihrer wenigen, harmlosen Vergnügen war ihr kleines Radio gewesen. Angus hatte es in einem Wutanfall zertrümmert, nachdem Mabel ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, dass seine Tochter ihrer Meinung nach viel zu viel kostbare Zeit mit dem Ding verschwende. Sogar Mabel erschrak damals über die heftige Reaktion ihres Gatten, doch für Kirsten war es nur ein schwacher Trost, dass selbst ihre Stiefmutter sich nicht besonders glücklich in dieser so hastig geschlossenen Ehe fühlte.

„Möchtest du sie haben?“ In der Mittagspause hielt ihr ein anderes Dienstmädchen eine Hochglanzillustrierte entgegen, in der sie zuvor geblättert hatte. „Ist schon okay. Ich bin damit durch“, versicherte sie, als Kirsten zögerte.

Heftig errötend ließ sie einen gemurmelten Dank hören und schämte sich ihrer fatalen Schwäche. Doch die Neugierde war größer als ihre moralischen Bedenken. Und als sie den Personalraum im Untergeschoss wieder verließ, hörte sie hinter sich leises Tuscheln.

„Ist es nicht eine Schande? Man sollte diesen Angus Ross dafür auspeitschen, was er seiner armen Tochter antut! Sie fürchtet sich ja vor ihrem eigenen Schatten!“

Oh nein! Das tue ich nicht! dachte Kirsten rebellisch und radelte sich allen Schmerz und Frust von der Seele, indem sie auf ihrem Heimweg so fest in die Pedale trat, wie sie nur konnte. Doch ebenso wenig, wie sie sich vor ihrem eigenen Schatten fürchtete, wollte sie unnötigen Streit mit ihrem Vater heraufbeschwören, ehe sie die Möglichkeit hatte, von ihm wegzugehen.

Der warme Fahrtwind des Frühsommertages, der ihre zarte Haut streichelte, besänftigte rasch wieder ihr aufgebrachtes Gemüt. Außerdem war es Freitag. Für Kirsten der schönste Tag in der Woche. Ihre Arbeit endete früher, und daheim würde sie das Haus eine Weile für sich haben, weil ihr Vater und Mabel am Freitagnachmittag immer den Großeinkauf für die nächste Woche erledigten. Anschließend besuchten sie noch Mabels alte Mutter und blieben zum Abendessen dort. Kirsten nahm sich vor, einen ausgedehnten Spaziergang mit dem Hund zu unternehmen und in Ruhe die Illustrierte durchzustöbern.

Bereits eine halbe Stunde später marschierte sie über die Felder ihres Vaters, die bis an den großen, dichten Wald heranreichten. Erschrocken stellte sie fest, dass sich frische, tiefe Fußspuren in dem weichen Erdboden abzeichneten, die sich beim nächsten Regen mit Wasser füllen würden. Es war erst ein paar Wochen her, dass ihr Vater einen Wutanfall bekommen hatte, weil er ein jugendliches Pärchen dabei überraschte, als es mit dem Motorrad über sein frisch eingesätes Feld fuhr. Die Vorstellung, wie sich ein erneuter Besuch der jugendlichen Vandalen und weitere Verwüstungen seines Landes auf ihren Vater auswirken würden, entlockte Kirsten einen tiefen Seufzer.

Spontan beschloss sie, ihn den Schaden lieber selbst entdecken zu lassen und schlug einen Bogen, der sie auf einen kleinen, wenig benutzten Pfad brachte. Sie folgte ihm durch den Wald bis auf die Kuppe des Hügels. Dort zog sie die Schuhe aus, öffnete die oberen Knöpfe ihrer Bluse und löste ihr Haar, entschlossen, noch ein Weilchen die nachmittägliche Sonne zu genießen.

Squeak, ihr kleiner, kurzbeiniger Mischlingshund, ließ sich mitten auf den Graspfad plumpsen und hechelte vor Erschöpfung. Er stellte nicht einmal seine kleinen spitzen Ohren auf, als aus der Ferne über das Tal hinweg Motorengeräusch erklang, was Kirsten zu der Annahme brachte, dass er noch tauber war, als sie es bisher gedacht hatte.

Kirsten streckte sich auf dem weichen Gras aus, stützte sich bequem auf einen Ellbogen und schlug die Zeitschrift auf. Es dauerte nicht lange, dann war sie völlig in der Welt der Mode und der Reichen und Schönen versunken. Gerade betrachtete sie träumerisch eine elegante Abendrobe, da hörte sie ein donnerndes Geräusch. Bereits in der nächsten Sekunde fuhr sie aus ihrer ruhenden Position hoch, als ein schwarzes Motorrad über die Hügelkuppe schoss und direkt auf Squeak zuhielt.

Geistesgegenwärtig hechtete Kirsten auf ihn zu, schnappte sich das arme, alte Hündchen und rollte sich zur Seite. Weniger als zwei Meter von ihr entfernt, brachte der Raser seine schwere Maschine mit einem halsbrecherischen Manöver zum Stehen, wobei Schmutz und kleine Erdklumpen nach allen Seiten spritzten.

Der Schock über den Fastunfall ließ Kirsten am ganzen Körper zittern und versetzte sie in eine ungewohnte heiße Wut. „Sie dürfen hier nicht fahren!“, schrie sie die Gestalt in schwarzem Leder an, während sie sich bemühte, auf die Füße zu kommen.

Auch Shahir bebte vor Ärger. Und zwar über das dumme, leichtsinnige Geschöpf, das sich ihm hier, mitten auf dem Weg, geradezu als Ziel präsentierte. Sie hätte getötet werden können! Und dann schrie sie ihn auch noch an! Was für eine Unverschämtheit.

Zu ihrem eigenen Glück gab sie dabei ein Bild ab, das diesen unglaublichen Eklat abmilderte. Ihr offenes silberblondes Haar floss wie ein schimmernder Wasserfall über die Schultern bis fast zur Taille hinab. Die funkelnden Augen waren nicht keltisch blau, wie er zunächst vermutet hatte, sondern strahlten im tiefen, geheimnisvollen Grün der Farne und Moose, wie man sie hier überall fand. Sie war sehr schlank und überraschend groß. Selbst barfüßig reichte sie Shahir, der seine stattliche Körpergröße Berbervorfahren verdankte, bis übers Kinn.

„Und Sie sind nicht nur ein Eindringling …“, setzte Kirsten erneut an, kam damit aber nicht weit.

„Ich bin kein Eindringling!“, meldete sich eine dunkle Stimme unter dem Visier des schwarzen Motorradhelmes hervor, der sein Gesicht immer noch vor ihr verbarg.

„Dies hier ist Privatbesitz, also sind Sie ein Eindringling“, wiederholte sie ungerührt. Was Kirsten betraf, machte sich der Fremde durch die Weigerung, sich für sein Fehlverhalten zu entschuldigen, nicht gerade beliebter. „Ist Ihnen eigentlich bewusst, wie schnell Sie gefahren sind?“

„Das weiß ich sogar ganz exakt“, kam es arrogant zurück.

Er mochte auf den ersten Blick wie einer der üblichen Motorradrüpel wirken, aber seine Sprache verriet Kirsten, dass dem nicht so war. Sein Akzent entsprach dem der englischen Oberschicht, und obwohl die tiefe Stimme durch den Helm gedämpft klang, sprach er so deutlich akzentuiert, dass man jedes Wort verstehen konnte.

Kirsten mahnte sich, nicht zu viel in diesen Umstand hineinzuinterpretieren. Auch ein feiner Pinkel aus der Stadt konnte sich benehmen wie der letzte Rüpel. Das hatte sie ja gerade am eigenen Leib zu spüren bekommen. Energisch schob sie ihr kleines, festes Kinn vor.

„Nun, Sie haben mich und meinen armen Hund jedenfalls fast zu Tode erschreckt“, sagte sie streng und setzte Squeak wieder auf dem Boden ab, weil er ihr langsam zu schwer wurde. Weit davon entfernt, sich wie ein traumatisiertes Tier zu benehmen, wieselte der undankbare Hund gleich zu dem Fremden hinüber, warf sich zu seinen Füßen und wedelte wie verrückt mit dem Stummelschwanz. Dann schloss er die Augen und schlief auf der Stelle ein.

„Wenigstens schreit er nicht so laut wie Sie“, stellte Shahir trocken fest.

„Ich habe nicht geschrien!“ So viel Uneinsichtigkeit gegenüber den eigenen Fehlern strapazierte selbst Kirstens ansonsten hohe Toleranzschwelle. „Ich hätte dabei umkommen können … und Sie auch!“

Shahir schob sein Visier hoch, und Kirsten hielt unwillkürlich den Atem an. Ihr erster Gedanke war, dass er den Blick eines Greifvogels hatte – starr, ohne zu blinzeln. Wie die Habichte, Falken und Adler aus der Falknerei von Strathcraig Castle. Die Farbe seiner Augen war ein seltener Goldbronzeton, und umgeben waren sie von langen, dichten Wimpern.

Kirstens Herz vollführte einen seltsamen Sprung in der Brust und schlug plötzlich im Hals. Alle Sinne schienen bis aufs Äußerste geschärft zu sein, während die Zeit fast stillstand.

„Nun übertreiben Sie mal nicht“, brummte Shahir.

„Sie … Sie sind in einer unverantwortlichen Geschwindigkeit den Hügel hinaufgerast …“, brachte sie atemlos hervor.

Shahir beobachtete, wie das Sonnenlicht ihr Haar in flüssiges Silber zu verwandeln schien und konnte sich kaum noch davon zurückhalten, es zu berühren. Unerwartet fühlte er sich von einem heftigen Verlangen ergriffen, was ihn derart irritierte, dass ihm zum ersten Mal im Leben die Worte fehlten.

„Bin ich das …?“ Langsam nahm er den Helm vom Kopf und strich sich das wirre Haar aus der Stirn. Kirstens Mund wurde trocken. Dieser Fremde war so unerwartet attraktiv, dass sie ihn einfach nur anstarren konnte. Er hatte ein Gesicht, das man nicht so schnell vergaß.

Stark und herb, mit hohen Wangenknochen, einer leicht gebogenen Nase, dunklen kräftigen Brauen über den hellen Habichtaugen und einem festen Mund, der gleichzeitig großzügig und sensibel wirkte. Seine bronzene Hautfarbe und das nachtschwarze Haar ließen trotz seiner perfekten englischen Aussprache auf andere Vorfahren schließen.

Alles an diesem Mann faszinierte Kirsten aufs Heftigste. Ihr war so schwindelig, wie sie es aus der Kinderzeit kannte, wenn man sich zu schnell und zu lange im Kreis gedreht hatte. Und in ihrem Unterleib breitete sich ein seltsames, ziehendes Gefühl aus, wie sie es noch nie verspürt hatte.

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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