Eine Nacht und tausend Küsse

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Atemlos sieht Maribel, wer unter den Gästen der Feier ist: der griechische Milliardär Leonidas Pallis! Vor zwei Jahren haben sie eine sinnliche Nacht miteinander verbracht. Mit süßen Folgen … Jetzt sucht er wieder ihre Nähe. Wie soll sie nur ihr größtes Geheimnis vor ihm verbergen?


  • Erscheinungstag 15.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506489
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

In dem Augenblick, als die Limousine erschien, ging ein Raunen durch die extravagant gekleidete Menschenmenge, die sich auf den Stufen der Kirche versammelt hatte. Zwei Wagen waren bereits als Vorhut vorgefahren, und nun sicherten breitschultrige Männer mit dunklen Brillen und Funkgeräten an ihren Gürteln eine schmale Gasse durch die Menge. Auf ein Signal vom Sicherheitschef hin schritt der Chauffeur endlich zur hinteren Limousinentür. Spannung lag in der Luft, und die Leute reckten neugierig die Hälse, um einen besseren Blick auf das Geschehen zu bekommen.

Leonidas Pallis trat hinaus auf den Bürgersteig und zog sofort alle Aufmerksamkeit auf sich. Bis hin zu den fein polierten Fingernägeln ein erfolgreicher griechischer Multimilliardär, hochgewachsen und umwerfend attraktiv. Er trug einen schwarzen Kaschmirmantel und darunter einen perfekt geschnittenen dunklen Maßanzug.

Sein makelloses Äußeres sowie sein Ruf, ohne jeden Skrupel zu sein und dabei einem messerscharfen Verstand zu folgen, machten die meisten Menschen um ihn herum nervös. Er gehörte zu einer der reichsten Familien auf diesem Erdball, und der ausschweifende Lebensstil seiner Eltern war geradezu legendär. Auch Leonidas selbst hatte schon früh eine ganz eigene Reputation erlangt, doch kein Pallis hatte beruflich bisher so herausragende Erfolge verzeichnen können wie er. Mit seinen Milliarden war er praktisch das goldene Aushängeschild des Pallis-Clans und wurde allseits ebenso gefürchtet wie verehrt.

Man hatte lange spekuliert, ob er überhaupt an dieser Trauermesse teilnehmen würde. Immerhin war es jetzt zwei Jahre her, seit Imogen Stratton unter Drogeneinfluss bei einem schweren Autounfall ums Leben gekommen war. Auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit Leonidas liiert gewesen war, hatte sie während seiner Studienzeit eine recht emotionale On-Off-Beziehung mit ihm durchlebt. Imogens Mutter Hermione preschte vor, um ihren wichtigsten Gast mit übertrieben aufgesetzter Begeisterung zu begrüßen. Allein die Anwesenheit von Leonidas Pallis verwandelte diese Messe in eine Veranstaltung von höchster gesellschaftlicher Bedeutung.

Doch der griechische Milliardär reduzierte die Förmlichkeiten auf ein absolutes Minimum – die Strattons waren Fremde für ihn. Als Imogen noch am Leben gewesen war, hatte er niemals den Wunsch gehabt, ihre Eltern persönlich kennenzulernen, und jetzt legte er erst recht keinen Wert auf ihr anbiederndes Verhalten.

Ironischerweise glänzte die einzige Person dieser Familie, mit der er früher etwas mehr zu tun gehabt hatte, durch Abwesenheit: Imogens Cousine Maribel Greenaway. Leonidas lehnte das Angebot, zusammen mit der Familie in der ersten Reihe des Altarraums Platz zu nehmen, ab und glitt mit der Geschmeidigkeit eines Panthers auf einen der hinteren Sitze.

Und er fragte sich, was ihn überhaupt dazu bewogen hatte, an dieser Trauerfeier teilzunehmen. Imogen selbst hatte derartige Konventionen vollkommen abgelehnt und war in ihrem Ruhm als Model und Partygirl aufgegangen. Sie hatte dafür gelebt, beachtet und bewundert zu werden, und sie hatte es noch viel mehr geliebt, die Menschen um sich herum zu schocken und zu provozieren.

Allerdings hatte sie sich immer große Mühe gegeben, Leonidas zufriedenzustellen, doch ihre wachsende Drogenabhängigkeit ließ ihn das Interesse an ihr verlieren.

Seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Irgendwann hatte er sie einfach vollständig aus seinem Leben verbannt. Diese Messe war eine Herausforderung für ihn, aber die Vergangenheit war endgültig vorbei und kein Ort, an den Leonidas zurückkehren wollte. Und er bereute nichts.

Maribel lenkte ihren älteren Kleinwagen in eine Parklücke. Sie war einmal wieder viel zu spät dran und sehr in Eile. Hastig drehte sie den Rückspiegel zu sich, klemmte sich eine Spange zwischen die Zähne und zerrte ihre rebellischen Locken, die nach dem Waschen noch nicht wieder ganz trocken waren, zu einer Frisur nach oben.

Die Spange zerbrach in ihren zitternden Fingern, die Locken fielen zurück auf die Schultern, und Maribel wäre am liebsten frustriert in Tränen ausgebrochen. Während sie hektisch versuchte, ihre Haare mit den Fingern zu glätten, stieg sie aus dem Auto.

Seit sie an diesem Morgen aufgestanden war, ging alles schief. Oder vielleicht begann die Kette unglücklicher Umstände auch schon am Abend zuvor, als ihre Tante Hermione anrief und Maribel mit zuckersüßer Stimme versicherte, sie würde vollstes Verständnis dafür haben, falls sie nicht zum Gedenkgottesdienst ihrer Cousine erscheinen möchte.

Maribel war zusammengezuckt, hatte die Zähne aufeinandergebissen und beharrlich geschwiegen. Während der letzten achtzehn Monate hatten ihre Verwandten ihr deutlich gemacht, dass Maribel für sie nun eine Persona non grata war. Das tat weh, da Maribel die ihr verbliebene Familie sehr schätzte. Trotzdem konnte sie auch deren Gefühle verstehen. Immerhin passte sie erstens nicht in die elitäre Stratton-Familie hinein, und obendrein hatte sie auch noch deren Regeln gebrochen.

Ihrem Onkel und ihrer Tante waren Aussehen, Geld und gesellschaftliches Ansehen ausgesprochen wichtig. Dennoch, als Maribel zur Waise wurde, bot der Bruder ihrer Mutter sofort an, seine elfjährige Nichte zu sich zu nehmen. In seinem Haushalt lebten bereits seine eigenen drei Kinder, und Maribel musste schnell lernen, wie man sich still im Hintergrund hielt. In den Augen der anderen fehlte es ihr einfach an der notwendigen Schönheit, Größe und Grazie.

Es wäre eine traurige Zeit geworden, wäre da nicht Imogens unbändige Gier nach Spaß gewesen. Und obwohl Imogen und Maribel nicht das Geringste gemeinsam hatten, fühlte Maribel schon bald eine tiefe Verbundenheit zu ihrer drei Jahre älteren Cousine.

Das war der Hauptgrund, weshalb sie sich nicht davon abhalten lassen wollte, Imogens Trauergottesdienst zu besuchen und ihr auf diese Art erneut die letzte Ehre zu erweisen. Deshalb überwand sie auch dieses unruhige Gefühl in ihrem Herzen – mittlerweile waren zwei Jahre vergangen, da brauchte Maribel nicht mehr so überempfindlich zu sein. Schließlich war er alles andere als sensibel!

Ihre violettblauen Augen blitzten auf, und sie schob automatisch ihr Kinn leicht vor. Sie war siebenundzwanzig Jahre alt, hatte einen Doktortitel erworben und unterrichtete an der Universität Geschichte. Darüber hinaus war sie nicht nur intelligent, sondern ausgeglichen und praktisch veranlagt. Männer spielten in ihrem Leben nur die Rolle als platonische Freunde und Kollegen; sie war zu dem Schluss gekommen, dass es vernünftiger war, keine tieferen Bindungen einzugehen.

Nach einem aufregenden Höhenflug und der schmerzhaften Trauerphase danach hatte sie noch Imogens plötzlichen Tod verarbeiten müssen und jetzt erst ein wenig Seelenfrieden gefunden. Und sie mochte ihr Leben, sogar sehr. Was ging es sie an, wie er dachte? Vermutlich hatte er nie wieder einen Gedanken an sie verschwendet.

In dieser aufgewühlten Stimmung sprang sie die Kirchenstufen hinauf und schob sich auf den erstbesten freien Platz, der sich ihr im hinteren Teil der Kirche bot. Sie konzentrierte sich auf die Predigt und schaute weder nach rechts noch nach links. Trotzdem verspürte sie ein heißes Prickeln, und ihre Wangen färbten sich unwillkürlich rosa. Er war also auch da, dessen war sie sicher.

Als sie der Versuchung nicht länger widerstehen konnte, ließ sie ihren Blick schweifen und entdeckte ihn mehrere Reihen vor sich auf einem Platz direkt am Gang. Die für seine Familie typische hochgewachsene Gestalt war unverkennbar. Zudem hatten sich unübersehbar mindestens drei Frauen absichtlich in seine unmittelbare Nähe gesetzt.

Unfreiwillig amüsierte sie sich über diese Szenerie. Sie konnte die Frauen gut verstehen. Leonidas war unbeschreiblich gut aussehend, hatte ein wildes, ungebändigtes Wesen und einen mörderischen Sex-Appeal. Er verführte Frauen dazu, ihre Manieren zu vergessen.

Ohne Vorwarnung wandte er sich plötzlich zu Maribel um und betrachtete sie. Sein direkter Blick traf sie wie ein Schlag, und sofort meldete sich ihr Fluchtinstinkt. Sie fühlte sich wie ein Fisch am Haken und zwang sich energisch zur Ruhe. Es war unfassbar peinlich, dabei erwischt zu werden, wie man jemanden hemmungslos musterte. Dabei wollte sie doch so unbeteiligt wie möglich erscheinen …

Die glamouröse Blondine, die sich neben ihr auf die Kirchenbank gleiten ließ, bot eine willkommene Ablenkung. Hanna hatte für dieselbe Modelagentur gearbeitet wie Imogen. Ohne auf die Worte des Pfarrers zu achten, lamentierte Hanna ausgedehnt über den Verkehr, der ihre Verspätung verursacht hatte. Dann zauberte sie einen Schminkspiegel hervor und zupfte sich die Haare zurecht.

„Stellst du mich Leonidas Pallis vor?“, bat sie und trug reichlich Lipgloss auf. „Ich meine, schließlich kennst du ihn schon eine Ewigkeit.“

Stur blickte Maribel geradeaus. „Aber nicht so gut, wie du meinst.“

„Genau, du hast damals doch als so eine Art Haushälterin oder Ähnliches bei Imogen gelebt? Trotzdem wird er sich sicherlich an dich erinnern. Weißt du eigentlich, wie außergewöhnlich das ist? Kaum jemand hat einen persönlichen Bezug zu Leonidas Pallis.“

Maribel schwieg. In ihrem Hals formte sich ein dicker Kloß, der ihr das Sprechen ohnehin unmöglich gemacht hätte. Sie musste an Imogen denken, die ihr Herz an einen Mann verloren hatte, den sie nicht haben konnte. Ein Mann, der nicht bereit war, ihr die Stabilität im Leben zu geben, die sie so dringend gebraucht hätte. Auch für Maribel selbst war es nicht immer einfach gewesen: Mit Sorge hatte sie das Leben ihrer Cousine verfolgt, das von Schwächen und Fehlern geprägt war, und hatte darüber ihre eigenen unerfüllten Bedürfnisse verdrängt.

Immun gegen den Wink, dass während eines Trauergottesdienstes Stille in der Kirche angebracht war, plapperte Hanna weiter: „Ich dachte nur, wenn du mich vorstellst, wird unsere Begegnung natürlicher und nicht so aufgesetzt.“

Natürlich? dachte Maribel verächtlich. Hanna trug ein hautenges, knallig pinkfarbenes Kostüm, das unverschämt kurz geschnitten war. Das dazu passende Hütchen, das mit Spangen in ihren blonden Haaren befestigt war, hätte viel eher zu einer Hochzeitsfeier gepasst.

„Bitte, bitte, bitte! In Fleisch und Blut ist er noch viel grandioser!“, flötete Hanna in ihr Ohr.

Und er ist ein rücksichtsloser Kerl, fügte Maribel in Gedanken hinzu und war selbst geschockt, dass sie bei einer Trauermesse in der Kirche zu solchen Gedanken fähig war. Mit hochroten Wangen verdrängte sie diese unangemessenen Vorwürfe.

Leonidas amüsierte sich seinerseits über das steinerne kurze Nicken von Maribel. Die einzige Frau, die sich standhaft weigerte, von ihm beeindruckt zu sein. Eine Herausforderung, die er unmöglich hatte ausschlagen können, so viel musste er zugeben. Und heute sah sie noch viel schöner und begehrenswerter als früher aus – nicht mehr bloß hübsch. Aber irgendwie hatte sie es schon immer geschafft, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Ihre besondere, einzigartige Ausstrahlung war mit den Jahren noch viel femininer geworden.

Hatte er nicht auch einen Anteil daran? Und sofort reizte ihn der Gedanke, seine Verführungskünste erneut zum Zuge kommen zu lassen. Diese verwegene Vorstellung rührte an seiner schlummernden Libido und ließ sie mit vulkanischer Kraft zum Leben erwachen …

Nach der Messe wollte Maribel so schnell und unauffällig wie möglich die Kirche verlassen, vor allem als sie ihre Familie bemerkte, die Leonidas ganz offensichtlich den Weg abschneiden wollte. Nur leider blockierte Hanna den Ausgang für Maribel und machte damit eine Flucht unmöglich.

„Warum hast du es denn so eilig?“, zischte Hanna entnervt. „Leonidas hat genau in unsere Richtung geschaut. Er hat mich schon bemerkt. Ich habe dich doch nur um einen kleinen Gefallen gebeten.“

„Jemand, der so hübsch ist wie du, braucht mich nicht als Vermittler“, wisperte Maribel verzweifelt.

Hanna kicherte stolz. Entschlossen warf sie ihre blonden Locken zurück und schoss zielstrebig den Gang zwischen den Kirchenbänken entlang. Maribel hingegen hastete blindlings in Richtung Ausgang und stolperte dabei über einen Fotografen, der vor der Tür darauf lauerte, mögliche Prominenz für einen Artikel auf der Gesellschaftsseite seiner Zeitung einzufangen. Angelockt hatte ihn wahrscheinlich die Flotte der dunklen Limousinen, mit denen Leonidas und seine Bodyguards angerückt waren. Während Maribel sich entschuldigte, ihre schmerzende Schulter rieb und weiterlief, hörte sie hinter sich, wie er ihr ein paar wüste Worte nachrief.

Kühl ignorierte Leonidas die zahlreichen Versuche, mit ihm in Kontakt zu treten, und schritt durch das Portal der Kirche. Maribels spektakuläre Flucht weckte seinen Jagdinstinkt. Denn normalerweise war Maribel eine recht konservative und sehr wohlerzogene Dame. Er hatte erwartet, sie würde ihn dezent widerwillig begrüßen und einige Worte mit ihm wechseln.

Aber sie war nicht einmal lange genug geblieben, um sich mit den Strattons zu unterhalten. Während sein Sicherheitsteam die Paparazzi daran hinderte, Fotos von ihm zu schießen, beobachtete Leonidas, wie Maribel auf ein kleines rotes Auto zusteuerte.

Für eine so zierliche Frau bewegte sie sich erstaunlich schnell – vermutlich, um ihm so rasch wie möglich zu entkommen. Mit einer knappen Kopfbewegung bestellte er seinen Sicherheitschef zu sich und gab ihm einen eindeutigen Befehl.

Als Hermione Stratton, dicht gefolgt von ihren beiden Töchtern, schwer atmend neben ihm zum Stehen kam, sprach Leonidas sie mit tiefer, samtweicher Stimme an: „Warum ist Maribel verschwunden?“

„Maribel?“ Die ältere Dame riss die Augen weit auf und wiederholte den Namen, als hätte sie ihn nie zuvor gehört.

„Wahrscheinlich eilt sie nach Hause zu ihrem Baby“, bemerkte die größere, hellblonde Tochter mit einem Anflug von Hohn.

Obwohl er es sich nicht anmerken ließ, war Leonidas ob dieses lässigen Kommentars wie vom Donner gerührt. Maribel hatte ein Baby? Ein Baby? Seit wann? Und von wem?

Hermione Stratton schürzte missbilligend die Lippen. „Sie ist leider alleinerziehend.“

„Aber nicht im herkömmlichen Sinne. Sie wurde sitzen gelassen“, informierte ihre Tochter Leonidas und strahlte ihn an.

„Typisch“, kicherte ihre Schwester und verdrehte die Augen. „Obwohl sie so schlau ist, hat sie den größten Fehler überhaupt begangen.“

Fünf Minuten nachdem sie die Kirche verlassen hatte, hielt Maribel am Straßenrand, um sich ihre Jacke auszuziehen. Wenn ihre Nerven verrücktspielten, wurde ihr immer unerträglich heiß.

Sie bekam das Bild nicht aus dem Kopf, wie hinreißend Leonidas ausgesehen hatte. Aber was konnte sie auch erwarten? Schließlich war er erst einunddreißig Jahre alt.

Mit beiden Händen umklammerte sie das Lenkrad und erlaubte ihren Emotionen für einen Augenblick, sie völlig zu überwältigen. Dann lockerte sie ihren Griff ganz allmählich wieder und erinnerte sich daran, dass sie jegliche Schwärmereien für Leonidas längst überwunden hatte. Allerdings hielt ihr rebellischer Verstand erbarmungslos an den schmerzhaften Erinnerungen fest …

Auf dem Weg zu ihrem Sohn dachte sie an Ginny Bell, ihre Freundin und Babysitterin, die in einem Cottage ganz in Maribels Nähe wohnte. Die Vierzigjährige war verwitwet, hatte als Lehrerin gearbeitet und studierte zurzeit wieder.

Schlank, mit ihrem akkurat geschnittenen schwarzen Bob, stand sie in der Tür, als Maribel auf das Haus zuging.

„Meine Güte, so früh habe ich dich gar nicht zurückerwartet!“, rief Ginny ihr entgegen.

Elias ließ sein Puzzle stehen und rannte durch die Küche, um seine Mutter zu begrüßen. Er war sechzehn Monate alt – ein hinreißendes Kind mit schwarzen Löckchen und nussbraunen Augen. All die natürliche Wärme und Energie seines Wesens zeigte sich in seinem Lächeln und in der Begeisterung, mit der er die Umarmung seiner Mutter erwiderte.

Nur Ginny zog die Stirn kraus. „Ich dachte, deine Tante und dein Onkel würden nach der Messe noch einen Empfang geben.“

Mit knappen Worten beschrieb Maribel das Telefonat, das sie mit ihrer Tante geführt hatte.

„Wie kann Hermione Stratton dich nur so ausschließen?“, beschwerte Ginny sich fassungslos. Sie war voller Mitgefühl für ihre jüngere Freundin und wusste genau, wie viel die Strattons Maribel zu verdanken hatten. Sie hatte loyal über Imogen gewacht, während die restliche Familie des Models um Imogen und deren zunehmend unberechenbares und peinliches Verhalten einen riesigen Bogen machte.

„Tja, ich habe eben meinen Ruf ruiniert, indem ich Elias zur Welt brachte“, erklärte Maribel resigniert.

„Als deine Tante dich zu einer Abtreibung überreden wollte, weil sie deine Schwangerschaft als gesellschaftlichen Makel betrachtete, hat sie eindeutig eine moralische Grenze überschritten. Du bist doch kein unmündiger Teenager mehr“, ereiferte sich Ginny. „Und was ihren Vorwurf angeht, du kämest nicht gut zurecht: Du gehörst zu den besten Müttern, die ich kenne!“

Zerknirscht sah Maribel sie an. „Vermutlich hat meine Tante das gar nicht so böse gemeint. Um fair zu sein: Es war in ihrer Jugend tatsächlich eine Sünde, ein uneheliches Kind zu bekommen.“

„Warum nimmst du sie in Schutz? Diese Frau hat dich seit jeher wie eine ungebetene arme Verwandte behandelt!“

„So schlimm war es auch nicht. Meine Tante und mein Onkel hatten einfach kein Verständnis für meine akademischen Ambitionen.“ Ratlos hob sie die Hände. „Ich war der Außenseiter dieser Familie und so ganz anders als meine Cousinen.“

„Sie scheinen dich aber ziemlich unter Druck gesetzt zu haben, damit du dich anpasst.“

„Noch mehr wurde Imogen gemaßregelt und kritisiert“, wandte Maribel ein. Sie dachte an ihre labile Cousine, die ihr Leben lang so sehr auf Anerkennung und Bewunderung angewiesen gewesen war, dass sie weder mit Ablehnung noch mit Rückschlägen fertig wurde.

Elias befreite sich aus den Armen seiner Mutter, um dem Postboten entgegenzulaufen, der gerade vor dem Haus gehalten hatte. Er war ein sehr lebhaftes Kind, das neugierig seine Umwelt erkundete. Und während Ginny ein Paket entgegennahm, sammelte Maribel all die Utensilien ihres Sohns zusammen.

„Kannst du nicht noch auf einen Kaffee bleiben?“, fragte Ginny, als sie zurückkam.

„Tut mir leid. Ich würde gern, aber ich habe noch eine Menge zu tun“, entschuldigte sich Maribel und schämte sich im gleichen Moment. Natürlich hätte sie noch eine halbe Stunde entbehren können, aber die Begegnung mit Leonidas hatte sie dermaßen aus der Fassung gebracht, dass sie sich nach der Ruhe und Sicherheit ihres eigenen Zuhauses sehnte.

Auf dem Heimweg atmete sie erst auf, als sie das ehemalige Haus ihrer Eltern erblickte, zu dem eine kurze, dicht bewachsene Allee führte. Maribel hatte das romantische alte Cottage nach dem Tod ihres Vaters geerbt, und lange Jahre war es vermietet gewesen. Nachdem es leer stand, hatte jeder geglaubt, Maribel würde es schließlich verkaufen und das Geld in ein schickes Stadtapartment investieren.

Zur gleichen Zeit dämmerte Maribel allerdings bereits, dass sie schwanger sein könnte, und das stellte ihr ganzes Leben auf den Kopf, als aus dem Verdacht Gewissheit wurde. Nachdem sie das Haus, in dem sie wenigstens für kurze Zeit elterliche Liebe und Aufmerksamkeit erleben durfte, besichtigt hatte, entschied sie sich, ihrer strebsamen Arbeitswelt den Rücken zu kehren und sich ihrer Mutterrolle zu widmen.

Sie ignorierte die Bedenken, dieses Grundstück sei zu abgeschieden, und renovierte es von Grund auf. In einem kleinen Tal zwischen London und Oxford gelegen, bot ihr das alte Farmhaus Zugang zu beiden Welten. Und sie genoss das Privileg, gute Freunde wie Ginny in der Nähe zu haben, die ihr bei der Kinderpflege zur Hand gehen konnten.

„Maus, Maus, Maus!“, kreischte Elias begeistert und wand sich wie ein Aal, als Maribel ihre Haustür aufschloss.

Der ängstliche irische Wolfshund Maus versteckte sich wie üblich unter dem Tisch. Er kam erst hervor, nachdem er sicher war, dass nur Elias und Maribel das Haus betraten. Dann allerdings begrüßte er seine Familie mit unverhohlener Begeisterung.

Kurz darauf schrie ihr Sohn vor Schmerz auf. Müde und unaufmerksam, wie er um diese Zeit war, hatte er sich den Kopf am Kühlschrank gestoßen. Tröstend nahm Maribel Elias auf den Arm und pustete in seine Haare. Dann wiegte sie ihn hin und her und brachte ihn nach oben in sein Kinderzimmer, damit er einen Mittagsschlaf halten konnte.

Er schlief fast augenblicklich ein, aber Maribel wusste, dass die Ruhe nur von kurzer Dauer sein würde. Er war ein sehr temperamentvolles kleines Kind. Liebevoll betrachtete sie ihn für ein paar Minuten und war beeindruckt von der Ähnlichkeit, die er mit seinem attraktiven Vater hatte. Dieser kleine Spatz war vermutlich das Beste, das Leonidas jemals im Leben zustande gebracht hatte.

Zusammen mit Maus ging sie anschließend in ihr sonnendurchflutetes Arbeitszimmer, um sich die Aufsätze vorzunehmen, die dort auf ihre Korrektur warteten. Eine ganze Weile später fing Maus an zu bellen und stupste aufgeregt gegen Maribels Arm.

Zehn Sekunden nach dieser Warnung hörte sie, wie ein Wagen vor der Veranda hielt. Verwundert stand sie auf, ging durch den Flur und stellte fest, dass sich noch weitere Fahrzeuge ihrem Haus näherten. Durch das Fenster sah sie eine große dunkle Limousine. Wer sonst, außer Leonidas, könnte das sein?

Für den Bruchteil einer Sekunde war sie wie erstarrt, dann hetzte sie ins Wohnzimmer und sammelte in Windeseile Elias’ Spielzeug vom Boden auf. Es klingelte, noch bevor sie damit fertig war. Das ließ ihr kaum Zeit, noch einen prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen: Ihre Augen waren angstgeweitet, und sie erschien unendlich blass.

Was will er bloß hier? schoss es ihr durch den Kopf. Wie hatte er herausgefunden, wo sie wohnte? Und warum interessierte es ihn überhaupt?

Das erneute schrille Klingeln riss sie aus ihren Gedanken. An die für einen Pallis typische Ungeduld konnte Maribel sich noch gut erinnern!

Zögernd öffnete sie die Haustür.

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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