Hochzeit im Palast des Prinzen

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Seit fünf Jahren träumt Matilda davon, die Frau an der Seite des schönen Kronprinzen Rashad von Bakhar zu sein. Als er sie in seinen Palast bringt, schwebt Matilda auf Wolke sieben: In nur vier Wochen will Rashad sie tatsächlich heiraten. Wartet auf sie ein Happyend wie aus 1001 Nacht?


  • Erscheinungstag 15.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506472
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ob ich eine Frau kennengelernt habe, die ich gern heiraten würde?“

Bei der Frage seines Vaters hätte Prinz Rashad beinahe laut aufgelacht, doch Erziehung und Respekt verboten ihm eine derart ungehörige Reaktion. „Ich fürchte, da muss ich dich enttäuschen“, erwiderte er daher nur.

König Hazar versuchte, sich seine Besorgnis nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Abgesehen von seiner Abneigung gegen die Ehe verkörperte Rashad alles, was man von dem zukünftigen Monarchen von Bakhar erwarten durfte. Seine besonderen Qualitäten zeigten sich während der dunklen Jahre, in denen das kleine Land unter der despotischen Herrschaft von Hazars Onkel Sadiq gelitten hatte.

Obwohl er viele Grausamkeiten erdulden musste, war Rashad als Held aus dem Krieg hervorgegangen, der die legitime Thronfolge wiederhergestellt hatte. Seitdem verehrten die Bakhari ihn wie einen Gott. Nichts, was Rashad sagte oder tat, konnte in ihren Augen falsch sein. Selbst die Tatsache, dass der Kronprinz im Ausland als notorischer Frauenheld galt, wurde stillschweigend akzeptiert, da man allgemein der Ansicht war, dass Rashad sich das Recht verdient hatte, seine Freiheit zu genießen.

„Für jeden Mann kommt einmal die Zeit, eine Familie zu gründen“, hielt der König seinem Sohn vor Augen. „Und dann sollte er sein weltliches Streben aufgeben und sich auf seine Verantwortung besinnen.“

Rashads markante Züge nahmen einen grimmigen Ausdruck an. Zum Thema Verantwortung brauchte er wirklich keine Belehrungen. Im Alter von vier Jahren hatte man ihn brutal von seinen Eltern getrennt und jeden weiteren Kontakt zu ihnen unterbunden. Als er seine Familie schließlich wiedersah, war er bereits ein erwachsener Mann. Ein Überlebender, ein kampferprobter Soldat, der darauf trainiert worden war, Pflichtgefühl und Disziplin über alle anderen Tugenden zu stellen. Allerdings war er nicht bereit, sich aus Gründen der Staatsräson eine Ehe aufzwingen zu lassen.

„Ich habe nicht vor zu heiraten“, stellte Rashad kategorisch klar. „Weder jetzt noch in Zukunft.“

Angesichts der unnachgiebigen Reaktion seines Sohns befürchtete König Hazar, nicht diplomatisch genug vorgegangen zu sein. „Ich bin sicher, dass eine passende Ehefrau sehr viel zu deinem persönlichen Glück beitragen würde“, fügte er auf seine ruhige, sanfte Art hinzu.

Doch anstatt ihn milder zu stimmen, entfachte diese allzu simple Behauptung Rashads Unmut nur noch mehr. Nur ein einziges Mal in seinem Leben hatte eine Frau ihn wirklich glücklich gemacht … bis er herausfand, dass er an eine skrupellose Goldgräberin geraten war. Diese Lektion hatte er nie vergessen. Seitdem war sein Bett der einzige Platz, den Rashad einer Frau in seinem Leben zugestand. Er war ein leidenschaftlicher Mann und wusste guten Sex zu schätzen, doch wie beim Essen legte er dabei Wert auf Abwechslung. Den Glauben an die Liebe hatte er verloren, warum sollte er sich also an eine Frau binden, die ihm tagtäglich die gleiche Kost servierte?

„Ich fürchte, unsere Ansichten zu diesem Thema gehen zu stark auseinander“, erklärte er in endgültigem Tonfall. „Ich habe nicht die Absicht zu heiraten, und nichts, was du sagen könntest, würde meine Meinung ändern.“

König Hazar unterdrückte einen Seufzer. Er kannte seinen Sohn und wusste, dass dieser einen einmal gefassten Entschluss nicht wieder zu ändern pflegte. Allerdings wusste er auch, dass er an Rashads Bindungsscheu nicht ganz unbeteiligt war …

„Vielleicht machst du dir Sorgen, dass deine zukünftige Frau einem bestimmten Bild entsprechen muss“, machte er einen letzten Versuch. „Aber ich bin sicher, dass dein Volk dich genug liebt, um selbst eine Ausländerin zu akzeptieren.“

Rashad presste die wohlgeformten Lippen zusammen. Zweifellos spielte sein Vater auf seine katastrophale Beziehung zu jener Engländerin vor fünf Jahren an. Wusste er denn nicht, wie sehr er damit seinen Stolz verletzte? Damals hatten sie in stillschweigender Übereinkunft den Mantel des Schweigens über diese fatale Episode gebreitet und nie wieder darüber gesprochen.

„Wir leben mittlerweile im einundzwanzigsten Jahrhundert, Vater“, stellte er kühl fest. „Dennoch erwartest du von mir, dass ich mich verhalte wie du und deine Vorväter, indem ich irgendeine gebärfähige junge Frau heirate, nur um einen Erben zu produzieren. Meine Schwestern haben beide gesunde Söhne. Warum sollte nicht einer von ihnen mein Nachfolger werden?“

„Weil väterlicherseits kein königliches Blut in ihren Adern fließt“, hielt Hazar ihm entgegen. „Du wirst eines Tages dieses Land regieren, Rashad. Willst du dein Volk wirklich so enttäuschen?“

Die bekümmerte Miene des alten Mannes versetzte Rashad einen schmerzlichen Stich. „Ich habe nicht generell etwas gegen die Ehe“, räumte er daher in versöhnlicherem Tonfall ein. „Für dich war es sicher das Richtige, aber für mich ist es das nun mal nicht.“

„Dann versprich mir wenigstens, noch einmal gründlich darüber nachzudenken“, bat der König ihn resigniert. „Wir reden dann später noch einmal darüber.“

Als Rashad kurz darauf das Vorzimmer zu seinem Büro betrat, wurde er von einer schwarzhaarigen Schönheit mit dunklen mandelförmigen Augen begrüßt, die sich, ebenso wie das Personal, bei seinem Eintreten respektvoll verneigte.

„Ich habe eine kleine Überraschung für Sie vorbereitet, Königliche Hoheit.“ Mit einem bescheidenen Lächeln deutete sie auf ein kleines, kunstvoll angerichtetes Büfett und fügte hinzu: „Schließlich wissen wir alle, wie oft Sie vor lauter Arbeit das Essen vergessen.“

Obwohl Rashad in diesem Moment lieber allein gewesen wäre, bedankte er sich höflich und ließ sich von ihr Tee und Gebäck servieren. Offenbar hatte sich König Hazars Hoffnung auf eine baldige Eheschließung seines Sohns bereits in Bakhars Adelskreisen herumgesprochen. Farah war eine entfernte Verwandte, und Rashad war klar, dass diese Inszenierung nur dem Zweck diente, ihm ihre Eignung als Gastgeberin und königliche Braut vorzuführen.

Nach etwa zehn Minuten pflichtschuldiger Konversation entschuldigte er sich und zog sich unter dem Vorwand, ein wichtiges Telefonat führen zu müssen, in sein Büro zurück. Beim Durchsehen der Post, die in einem ordentlichen Stapel auf seinem Schreibtisch lag, entdeckte er die monatliche Ausgabe der Studentenzeitung, die er noch immer regelmäßig aus Oxford erhielt. Flüchtig blätterte er sie durch und wollte sie gerade zu den anderen ungelesenen Exemplaren der letzten Jahre legen, als sein Blick auf ein Foto fiel, das ihm sekundenlang den Atem stocken ließ. Es war bei einer Festveranstaltung der Philosophischen Fakultät aufgenommen worden und zeigte Matilda Crawford am Arm eines distinguiert aussehenden, älteren Herrn im Dinnerjackett.

Tilda!

Mit leicht bebenden Händen legte Rashad das aufgeschlagene Magazin auf seinen Schreibtisch zurück. Obwohl sie das üppige hellblonde Haar zu einem strengen Zopf gebändigt hatte und ein hochgeschlossenes, ziemlich bieder wirkendes Kleid trug, war ihre umwerfende Schönheit nicht zu übersehen. Mit dem zarten, herzförmig geschnittenen Gesicht, dem makellosen Porzellanteint und den strahlend blaugrünen Augen entsprach sie in jeder Hinsicht dem Bild der sprichwörtlichen englischen Rose.

Erneut nahm Rashad die Zeitschrift in die Hand, um den Kommentar unter dem Foto zu lesen. Tilda selbst war namentlich nicht erwähnt, wohl aber ihr Begleiter. Es handelte sich um einen gewissen Evan Jerrold, ein erfolgreicher Geschäftsmann und ehemaliger Oxford-Absolvent, der seine alte Universität regelmäßig mit großzügigen Spenden förderte.

Noch so ein reicher leichtgläubiger Dummkopf, den sie wie eine Weihnachtsgans ausnehmen kann, dachte Rashad verbittert.

Am meisten bestürzte es ihn jedoch, wie sehr ihm Tildas Anblick noch immer unter die Haut ging. Aber war das in Anbetracht seiner Biografie ein Wunder? Nachdem sein Großonkel Sadiq ihn zwanzig Jahre lang praktisch wie einen Gefangenen gehalten hatte, war Rashad wild entschlossen gewesen, endlich die Freiheit zu genießen, die man ihm so lange vorenthalten hatte. Ironischerweise hatte ausgerechnet König Hazar die Idee gehabt, seinen Sohn nach England zu schicken, damit dieser dort seine Studien beendete und etwas von der Welt kennenlernte. Zu diesem Zeitpunkt besaß Rashad kaum Erfahrungen mit Frauen, und so hatte er sich nur wenige Tage nach seiner Ankunft in Oxford Hals über Kopf in die schöne, vor Leben sprühende Tilda Crawford verliebt.

Sie hatte damals als Kellnerin und Tänzerin in einer Nachtbar gearbeitet und Rashad die herzergreifende Geschichte von ihrem tyrannischen Stiefvater aufgetischt, unter dem die ganze Familie seit Jahren zu leiden hatte. Aufgewachsen in der Überzeugung, dass es seine Pflicht sei, denen beizustehen, die schwächer waren als er selbst, war Rashad unverzüglich in die Rolle des edlen Ritters geschlüpft. Drei Monate später hatten Tildas Schönheit und ihre schamlosen Lügen ihn derart in seinen Bann geschlagen, dass er kurz davor gewesen war, ihr einen Heiratsantrag zu machen.

Bei der Erinnerung an die schlimmste Demütigung seines Lebens straffte Rashad die Schultern und hob stolz den Kopf. Es wurde Zeit, endlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und die hässliche Episode ein für alle Mal aus seinem Gedächtnis zu streichen. Andererseits … Hatte sein würdevolles Schweigen damals nicht dazu beigetragen, dass nun ein weiterer vermögender Mann über den Tisch gezogen wurde? War es nicht vielmehr seine Pflicht, Tildas neuen Bewunderer vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren?

Ein weiteres Mal betrachtete Rashad nachdenklich das Foto von Tilda. Schließlich griff er zum Telefon und ließ sich mit seinem Finanzverwalter verbinden. Wie erwartet, teilte dieser ihm mit, dass von dem zinslosen Darlehen, das Rashad seinerzeit der Crawford-Familie gewährt hatte, noch nicht eine einzige Rate zurückgezahlt worden war.

In der festen Überzeugung, eine gerechte Sache zu vertreten, ordnete Rashad an, die Angelegenheit ab sofort mit äußerstem Nachdruck zu verfolgen. Dann klappte er die Zeitschrift zu und legte sie zu den anderen.

Tilda sah ihre Mutter entsetzt an. „Wie hoch sind deine Schulden?“

Mit gepresster Stimme wiederholte Beth Crawford die Summe. „Es tut mir ja so leid“, brachte sie unter Tränen hervor. „Ich hätte es dir schon vor Monaten sagen sollen, aber ich konnte es einfach nicht. Stattdessen habe ich alles verdrängt und gehofft, dass sich das Problem irgendwie von allein löst …“

Tilda war noch immer wie vor den Kopf geschlagen. Bestimmt lag da irgendein Missverständnis vor. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie es Beth gelungen sein sollte, sich derart hoch zu verschulden. Kein vernünftiger Mensch hätte ihrer notorisch in Geldnöten steckenden Mutter eine solche Summe geliehen, die sie nie im Leben würde zurückzahlen können. „Wann hast du das Darlehen denn aufgenommen?“, fragte sie so ruhig wie möglich.

Beth, die es nicht über sich brachte, ihre Tochter anzusehen, betupfte sich mit dem Taschentuch die vom Weinen geschwollenen Augen. „Vor fünf Jahren. Aber ich weiß nicht, ob man es als Darlehen bezeichnen kann.“

„Kann ich den Vertrag einmal sehen?“

Nach kurzem Zögern ging Beth an den Wohnzimmerschrank und kramte eine Weile umständlich darin herum. Schließlich beförderte sie eine größere Frischhaltebox zutage und kehrte damit an den Tisch zurück. „Irgendwo musste ich die Papiere ja verstecken“, erklärte sie verlegen, als sie Tildas verständnislosem Blick begegnete. „Ich hatte Angst, dass du oder deine Geschwister sie findet und ihr mich fragt, worum es dabei geht.“

Als Tilda die Box öffnete und sich ein dicker Stapel zum Teil noch ungeöffneter Briefe auf den Küchentisch ergoss, gab sie unwillkürlich einen schockierten Laut von sich. „Wann hast du die letzte Rate bezahlt?“, fragte sie matt.

Beth strich sich nervös das kurze blonde Haar aus der Stirn. „Ich … nun ja, offen gestanden war es mir bisher noch nicht möglich, mit der Rückzahlung zu beginnen.“

Tilda erwiderte nichts, doch ihr bestürzter Blick sprach Bände.

„Ich wollte es tun, das musst du mir glauben“, beteuerte Beth. „Aber ständig kamen irgendwelche Rechnungen dazwischen oder eins der Kinder brauchte neue Schuhe oder Geld für den Bus. Und dann stand Weihnachten vor der Tür, und ich brachte es nicht fertig, die Kinder zu enttäuschen. Sie mussten ja schon das ganze Jahr auf so vieles verzichten …“

„Schon gut, Mum, ich weiß“, beschwichtigte Tilda sie und versuchte, sich ihr Entsetzen nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Ihre Mutter war eine labile Frau, die zu Panikattacken neigte. Vor vier Jahren hatte sie zum letzten Mal das Haus verlassen, dann wurde die Außenwelt zu bedrohlich für sie. Agoraphobie lautete die Fachbezeichnung für ihre krankhafte Angst vor öffentlichen Plätzen. Dennoch hatte Beth ihr Möglichstes getan, um für den Unterhalt ihrer Familie zu sorgen. Sie war eine geschickte Näherin und hatte mittlerweile einen festen Stamm von Kunden, für die sie Vorhänge, Kissenbezüge und manchmal auch maßgeschneiderte Kleidung anfertigte. Viel mehr als ein Zubrot verdiente sie damit allerdings nicht.

„Wie bist du überhaupt an das Darlehen gekommen?“ Tilda hielt es kaum für wahrscheinlich, dass jemand an der Tür geklingelt hatte, um ihrer Mutter eine solche Summe anzubieten.

Offenbar hatte Tilda mit ihrer Frage einen heiklen Punkt berührt. Sichtlich unbehaglich rutschte Beth auf ihrem Stuhl hin und her, bis sie endlich mit der Sprache herausrückte. „Rashad hat es mir gegeben“, gestand sie ihrer Tochter mit bebender Stimme. „Das war auch der Grund, warum ich dir die Sache so lange verschwiegen habe. Ich fühlte mich so schuldig und wollte dich nicht aufregen.“

Rashad?“, stieß Tilda fassungslos hervor. Sie war kreidebleich geworden, sodass ihre blaugrünen Augen plötzlich riesig und seltsam unwirklich erschienen. „Du hast ausgerechnet ihn um finanzielle Hilfe gebeten?“

„Bitte sieh mich nicht so an!“, flehte Beth und brach erneut in Tränen aus. „Rashad hat doch immer gesagt, dass er uns alle wie seine eigene Familie betrachtet. Und außerdem war ich davon überzeugt, dass er dich heiraten würde. Da dachte ich, es wäre in Ordnung, das Geld von ihm anzunehmen.“

Eine Weile war Tilda zu erschüttert, um etwas zu erwidern. Diese Erklärung sah ihrer naiven Mutter nur zu ähnlich. Sie hatte Rashad sofort ins Herz geschlossen, und nachdem er mit seiner locker kameradschaftlichen Art auch zu Tildas Geschwistern schnell Kontakt gefunden hatte, war Beth bei jedem seiner Besuche förmlich aufgeblüht. Daher hatte Tilda es auch nie über sich gebracht, ihr zu erklären, wie und warum es zwischen ihr und Rashad zur Trennung gekommen war.

Von einer plötzlichen Unruhe ergriffen, stand sie auf und ging zum Fenster. Während sie geistesabwesend den Blick über den Vorgarten der Doppelhaushälfte und die belebte Straße davor schweifen ließ, jagten tausend Gedanken durch ihren Kopf. Was musste Rashad jetzt von ihr halten? Zweifellos war er davon ausgegangen, dass sie von dem Darlehen gewusst hatte. Woraus sich wiederum die Frage ergab, ob er einfach Mitleid mit ihrer Mutter gehabt oder sich von weniger edlen Motiven hatte leiten lassen. Zum Beispiel von der Hoffnung, dass seine Großzügigkeit es ihr leichter machen würde, sich ihm hinzugeben.

Bei dem Gedanken, dass Rashad dieses Darlehen quasi als Kaufpreis für ihre Jungfräulichkeit betrachtet haben könnte, krampfte sich alles in Tilda zusammen. Vielleicht tat sie ihm schrecklich Unrecht, aber für gewöhnlich verrieten Taten mehr über Menschen als Worte. Und es war eine nüchterne Tatsache, dass Rashad ihr eiskalt den Laufpass gegeben hatte, nachdem ihm klar geworden war, dass sie nicht mit ihm schlafen würde.

„Du weißt ja nicht, wie verzweifelt ich damals war.“ Beth’ bedrückte Stimme riss Tilda unvermittelt aus ihren Grübeleien. „Dein Stiefvater hatte uns in eine schreckliche Notlage gebracht. Wir waren mit den Hypothekenzahlungen für das Haus so im Rückstand, dass ich Angst hatte, wir würden am Ende noch unser Dach über dem Kopf verlieren …“

Die Erwähnung ihres Stiefvaters half Tilda, das Bild von Prinz Rashad Hussein Al-Zafar, der einmal ihre große Liebe gewesen war, zu verdrängen. Auf den ersten Blick ein attraktiver, wortgewandter Charmeur, hatte Scott Morrison sich sehr schnell als völlig gewissenloser Abzocker entpuppt. Er hatte Beth als junge Witwe mit zwei kleinen Kindern geheiratet und es geschafft, innerhalb weniger Jahre sämtliche Rücklagen seiner neuen Familie zu verprassen. Die Geburt von drei weiteren Kindern und der ständige Stress, mit ihrem unberechenbaren, notorisch untreuen Ehemann fertig zu werden, hatten Beth immer mehr ausgelaugt und sie am Ende zu einer verängstigten, psychisch kranken Frau gemacht.

„… aber zum Glück hatte Rashad mir angeboten, das Haus zu kaufen, damit es auf seinen Namen läuft und Scott keinen Zugriff mehr darauf hat.“

Tilda wirbelte herum. „Soll das heißen, dass unser Haus jetzt Rashad gehört?“, stieß sie entsetzt hervor.

Beth rang die Hände, und die Tränen begannen wieder zu fließen. „Ich wollte doch nur, dass wir alle in Sicherheit sind und …“

„Hör zu, Mum“, unterbrach Tilda sie mit fester Stimme, „du machst uns jetzt am besten eine schöne Tasse Tee, während ich in Ruhe diese Briefe durchgehe. Wenn ich mir erst einmal einen Überblick verschafft habe, wird mir schon eine Lösung einfallen.“

Sie wusste, dass jetzt all ihre Selbstdisziplin gefragt war, um mit der Situation fertig zu werden. Auf keinen Fall durfte sie jetzt auch noch in Panik verfallen, sondern musste es irgendwie schaffen, einen klaren Kopf zu behalten. Während Beth sich am Herd zu schaffen machte, ordnete Tilda die Briefe systematisch nach Datum und begann dann, sie durchzulesen Mit jedem Schreiben, das sie beiseitelegte, wurde der Ernst der Lage offensichtlicher.

Mittlerweile hatte Rashad einen Londoner Anwalt eingeschaltet, der bereits ein Mahnverfahren eingeleitet hatte. Der Kaufpreis für das Haus war fair gewesen, aber nach Abzug der Hypotheken war nicht viel davon übrig geblieben. Daher war Beth zur Begleichung ihrer diversen Schulden eine weitere beträchtliche Summe vorgeschossen worden. Kulanterweise hatte man ihrer Mutter ein volles Jahr gewährt, um ihre Angelegenheiten zu ordnen, bevor sie zum ersten Mal gebeten wurde, sich zu entscheiden, ob sie das Haus zurückkaufen oder stattdessen lieber Miete zahlen wolle.

Tilda fand eine Kopie des Mietvertrages, den Beth unterschrieben hatte. „Wieso hast du dich für ein Mietverhältnis entschieden?“, fragte sie heiser. Ihr Mund fühlte sich an wie ausgetrocknet.

Beth drehte sich zu ihr um und machte eine unbestimmte Handbewegung. „Es schien mir irgendwie die … übersichtlichste Lösung zu sein.“

„Aber du hast keine Miete bezahlt, stimmt’s?“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, denn Tilda hatte bereits eine Aufstellung der Mietrückstände entdeckt.

„Ich konnte das Geld nicht aufbringen.“

„Nicht einmal für eine einzige Miete?“

Tilda sah, wie ihre Mutter ihrem Blick auswich und fragte sich, ob es noch etwas gab, das sie ihr verschwieg. „Mum!“, drängte sie. „Gibt es noch weitere Probleme?“

Beth presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. „Was denkst du über das alles, nachdem du nun die Briefe gelesen hast?“, wechselte sie rasch das Thema.

Tilda war sich sicher, dass da noch etwas im Busch war, sah jedoch ein, dass im Moment jedes weitere Nachhaken zwecklos war. Was die Briefe betraf, war sie alles andere als optimistisch. Die letzten Mahnschreiben waren in einem frostigen, kompromisslosen Ton gehalten und ließen keinen Zweifel daran, dass als nächster Schritt eine Räumungsklage folgen würde. Plötzlich hatte Tilda das Gefühl, als würde sich eine Eisenklammer um ihre Brust legen. Würde Beth es schaffen, damit fertig zu werden? Und falls nicht … welche Auswirkungen hätte das auf ihre jüngeren Geschwister?

Das Läuten der Türglocke durchdrang unvermittelt die angespannte Stille.

Beth blickte auf ihre Armbanduhr und sprang erschrocken auf. „Du liebe Güte, das ist Evan. Ich hatte ganz vergessen, dass er heute kommen wollte.“ Nervös fuhr sie sich mit der Hand über die verweinten Augen. „Ich muss schrecklich aussehen! Was soll er bloß von mir denken, wenn er mich so sieht …“

„Ich mache ihm auf und kümmere mich um ihn“, erbot Tilda sich sofort. „In der Zwischenzeit kannst du dich ein bisschen frisch machen.“ Sie war dankbar für die Unterbrechung, denn so kam sie wenigstens nicht in Versuchung, ihre Mutter mit falschen Versprechungen zu beruhigen. Nur die sofortige Rückzahlung der Schulden könnte ihr Problem lösen, und da sie alle arm waren wie die Kirchenmäuse, mussten sie sich darauf gefasst machen, schon bald auf der Straße zu stehen.

Vor drei Jahren hatte Tilda ihren festen Job als Sekretärin aufgegeben, um Betriebswirtschaft zu studieren. Damals schien es ihr eine vernünftige Entscheidung zu sein, da sie mit einem akademischen Abschluss weit bessere Verdienstmöglichkeiten hatte. Jetzt wünschte sie, sie hätte es nicht getan, denn mittlerweile waren all ihre Ersparnisse aufgebraucht, und außerdem musste sie noch ihr Studentendarlehen zurückzahlen. Obwohl sie inzwischen eine Festanstellung mit guten Aufstiegschancen bei einer Agentur für Unternehmensberatung hatte, war ihr Gehalt noch recht bescheiden, da sie gerade erst als Juniorpartnerin eingestiegen war und so gut wie keine Berufserfahrung hatte.

Als Tilda die Tür öffnete und ihrem ehemaligen Chef Evan Jerrold gegenüberstand, musste sie trotz ihrer inneren Anspannung ein amüsiertes Lächeln unterdrücken. Wieder einmal trug er eine dicke Rolle Vorhangstoff unter dem Arm. Seit er Tilda an einem regnerischen Abend von der Arbeit nach Hause gefahren und bei dieser Gelegenheit ihre Mutter kennengelernt hatte, waren seine Besuche eine regelmäßige Einrichtung geworden. Immer wieder dachte er sich neue Verschönerungsmöglichkeiten für sein Haus aus, was ihm – wie Tilda sehr wohl wusste – nur als Vorwand diente, Beth auf seine rührend altmodische Art den Hof zu machen.

Nachdem sie Evan ins Arbeitszimmer ihrer Mutter geführt und ihm einen Tee gebracht hatte, packte sie die Briefe zusammen, die noch auf dem Küchentisch lagen, und nahm sie mit nach oben in ihr Zimmer. Um sich Mut zu machen, atmete sie mehrmals tief durch, dann griff sie nach ihrem Handy und wählte die Nummer der Anwaltskanzlei, die mit ihrer Mutter korrespondiert hatte. Sie vereinbarte einen Termin für den nächsten Vormittag und rief anschließend in ihrer Agentur an, um sich einige Tage Urlaub zu nehmen.

Das nächste Telefonat führte sie mit ihrer Bank. Auf die Frage nach ihrem maximalen Kreditrahmen teilte man ihr mit, dass zurzeit leider gar kein Kredit möglich sei, da sie sich bei ihrer derzeitigen Anstellung noch immer in der Probezeit befände. Da es nicht in Tildas Natur lag, so schnell aufzugeben, rief sie noch drei weitere Bankinstitute an, wo man ihr jedoch dieselbe Auskunft gab.

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Reich, rücksichtslos und traumhaft schön!