Eine Romanze in Rom

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Diesen Mann schickt der Himmel! Harriet glaubt zu träumen, als der Millionär Marco Calvani ihr ein verlockendes Angebot macht: Wenn sie ihn heiratet, rettet er ihren geliebten Antiquitätenladen vor dem Ruin. Der Italiener ist derart charmant und überzeugend, dass die junge Engländerin sich sofort zu ihm hingezogen fühlt und ihm ohne zu zögern nach Rom folgt. Während Marco ihr die schönsten Seiten Italiens zeigt, beginnt sich Harriet in ihn zu verlieben. Doch je mehr sie ihm ihre Gefühle zeigt, desto verschlossener wird er. Was verbirgt er vor ihr?


  • Erscheinungstag 30.08.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783745753486
  • Seitenanzahl 122
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

„Ich brauche keinen Mann, verstehst du? Ich brauche wirklich keinen, und ich will keinen“, stieß Harriet d’Estino hitzig hervor.

„Harriet, beruhige dich.“ Olympia war schockiert.

„Was soll ich mit einem Mann? Du liebe Zeit, ich habe siebenundzwanzig Jahre ohne so eine lästige und nutzlose Kreatur gelebt …“

„Hörst du mir bitte mal zu?“

„… und wenn dann ausgerechnet meine eigene Schwester mich verkuppeln will … Olympia, du hast Nerven!“

„Ich wollte dich nicht verkuppeln“, versuchte Olympia, sie zu beschwichtigen. „Ich habe nur gedacht, Marco könnte dir nützlich sein.“

„Kein Mann ist nützlich“, entgegnete Harriet energisch.

„Okay, ich sage nichts mehr.“

Harriet und Olympia waren Halbschwestern. Olympia war die jüngere der beiden. Sie war in Italien aufgewachsen, eine strahlende Erscheinung, und ihr langes, gelocktes Haar war perfekt frisiert. Harriet war in England aufgewachsen. Ihr Haar war genauso lang und kastanienbraun wie das ihrer Schwester, es war jedoch glatt und umrahmte ihr ernstes Gesicht.

Olympia sah sich in dem feinen Laden mitten in Londons Westend um. Er war angefüllt mit wertvollen Kunstgegenständen und Antiquitäten.

„Die ist wunderbar“, rief sie aus und betrachtete eine Bronzebüste.

„Römische Kunst aus dem ersten Jahrhundert“, sagte Harriet. „Kaiser Cäsar Augustus.“

„Wirklich gut“, stellte Olympia fest. „Diese edle Nase, der aristokratische Kopf und diese Lippen. Wie diszipliniert und sinnlich zugleich!“

„Du verbringst zu viel Zeit damit, über Sex nachzudenken“, antwortete Harriet streng.

„Und du verbringst viel zu wenig Zeit damit.“

Harriet zuckte die Schultern. „Es gibt interessantere Dinge in meinem Leben.“

„Das ist Unsinn“, entgegnete Olympia voller Überzeugung. „Ich wünschte, du würdest dich für die lebendigen Männer genauso sehr interessieren wie für die toten.“

„Ach ja? Du hast doch gerade von einem Mann geschwärmt, der schon zweitausend Jahre tot ist. Die toten Männer sind sowieso die besseren. Sie lügen nicht und betrügen einen nicht mit der besten Freundin. Und man kann mit ihnen reden, ohne dass sie einen unterbrechen.“

„Du bist wirklich zynisch. Aber Marco ist es auch. Sonst wäre er längst verheiratet.“

„Ich verstehe. Er ist alt und grau.“

„Marco Calvani ist fünfunddreißig, steinreich und außergewöhnlich attraktiv“, erklärte Olympia mit Nachdruck.

„Warum heiratest du ihn dann nicht? Du hast gesagt, er hätte dir einen Heiratsantrag gemacht?“

„Aber nur weil seine Mutter eine Freundin unserer Großmutter väterlicherseits war. Sie hat die sentimentale Vorstellung, die beiden Familien durch eine Heirat zu verbinden.“

„Tut er etwa, was sie will? Dann ist er ein Schwächling.“

„Nein, das ist er nicht.“ Olympia musste lachen. „Marco macht, was er will. Er ist Banker und widmet sich beinah ausschließlich seiner Arbeit. Er ist der Meinung, es sei Zeit zu heiraten. Es liegt ihm jedoch nicht, sich um eine Frau zu bemühen.“

„Demnach ist er schwul.“

„Nein, angeblich nicht. Er steht in dem Ruf, ein Frauenheld zu sein. Man könnte sagen, er liebt die Frauen und verlässt sie, aber er liebt sie nicht wirklich. Er lässt sich auf keine Gefühle ein, sondern nur auf kurze Affären, und er verabschiedet sich wieder, ehe die Beziehung zu intensiv wird.“

„Das hört sich so an, als wäre er unwiderstehlich. Ist dir das klar?“

„Ich finde es nur fair, seine guten und schlechten Eigenschaften zu erwähnen. Marco hat nichts im Sinn mit Romantik. Er heiratet eher aus Gründen der Vernunft, und weil ich geglaubt habe, du …“

„Glaubst du, ich würde einen Mann nehmen, den du zurückgewiesen hast? Nein, danke, Olympia.“

„Sei doch nicht so empfindlich. Ich habe den Flug auf mich genommen, nur um dich zu warnen, dass er vielleicht nächste Woche hier auftaucht.“

„Dafür bin ich dir dankbar. Ich habe schon lange vor, eine Reise zu machen. Nächste Woche wäre der richtige Zeitpunkt.“

„Du liebe Zeit!“ Olympia machte eine hilflose Handbewegung. „Manchen Menschen kann man einfach nicht helfen. Du wirst dein Leben als alte Jungfer beenden.“

Harriet lächelte und sah dabei ganz bezaubernd aus. „Wenn ich Glück habe, wird es so sein.“

1. KAPITEL

„Mein lieber Junge, hast du dir das auch gut überlegt?“

Signora Lucia Calvani sah ihrem Sohn mit besorgter Miene zu, während er den Koffer zumachte. Marco lächelte sie liebevoll an. „Was gibt es da zu überlegen, Mutter? Ich tue nur das, was du von mir verlangt hast.“

„Unsinn! Du tust immer nur das, was dir passt“, entgegnete sie skeptisch.

„Das stimmt. Aber es passt mir, dir den Gefallen zu tun“, antwortete Marco ruhig. „Du wünschst dir eine Verbindung zwischen mir und der Enkelin deiner Freundin, und ich halte diesen Vorschlag für ganz vernünftig.“

„Wenn das heißt, dass dir diese Idee gefällt, dann sag es bitte. Aber red bitte nicht mit mir, als wärst du auf einer Vorstandssitzung“, beschwerte Lucia sich.

„Entschuldige.“ Reumütig küsste er sie auf die Wange. „Ich verstehe jedoch nicht, was du hast, denn immerhin tue ich das, was du vorgeschlagen hast.“

„Als ich erwähnt habe, du könntest vielleicht Ettas Enkelin heiraten, habe ich an Olympia gedacht, wie du genau weißt. Sie ist elegant, weltgewandt, kennt in Rom die richtigen Leute und würde eine wunderbare Ehefrau sein.“

„Leider kann ich dir nicht zustimmen. Sie ist leichtfertig, verantwortungslos und unreif. Ihre Schwester ist älter und ein ernsthafter Mensch, wie ich vermute.“

„Sie ist in England aufgewachsen. Vielleicht spricht sie noch nicht einmal Italienisch.“

„Olympia hat mir versichert, dass sie es tut. Sie ist so etwas wie eine Intellektuelle, und sie könnte meinen Ansprüchen genügen.“

„Deinen Ansprüchen genügen?“, wiederholte seine Mutter bestürzt. „Wir sprechen hier über eine Frau, nicht über ein Aktienpaket.“

„Es war nur so eine Redensart.“ Marco zuckte die Schultern. „Habe ich noch etwas vergessen einzupacken?“

Er sah sich in seiner Wohnung um, in die die Morgensonne durch die offene Balkontür hereinschien. Sekundenlang atmete er die frische Luft tief ein und genoss den Ausblick auf die Via Veneto. Von seinem Apartment im fünften Stock des modernen Gebäudes konnte er den Petersdom in der Ferne sehen und den Tiber. Glockenklang lag über der Stadt, und Marco nahm sich einen Moment Zeit, zu lauschen und das in der Sonne glitzernde und funkelnde Wasser des Tibers zu betrachten. Das machte er jeden Morgen, egal, wie eilig er es hatte. Und das hätte viele seiner Bekannten überrascht, die ihm so etwas nicht zutrauten.

Die teure, aber spartanische Einrichtung seiner Wohnung hätte diese Leute in ihrem Vorurteil bestärkt. Es war das Zuhause eines Mannes, der sich selbst genug war. Der Fußboden war aus Marmor, die Möbel waren modern, und das Ganze wurde etwas aufgelockert durch einige wertvolle antike Vasen und Gemälde.

Es passte zu Marco, dass er mitten in Rom wohnte, denn er war durch und durch ein Römer. Seine Größe, sein Stolz und die leicht arrogante Kopfhaltung ließen den Schluss zu, dass er ein Nachkomme römischer Kaiser war.

Das war vielleicht gar nicht so weit hergeholt, denn waren nicht die internationalen Banker so etwas wie die Kaiser der Neuzeit? Mit seinen fünfunddreißig Jahren hatte er es in der Welt der Hochfinanz weit gebracht. Deshalb war es sicher kein Zufall, dass er von seiner zukünftigen Ehe redete, als handelte es sich um eine geschäftliche Transaktion.

Er schenkte seiner Mutter ein charmantes Lächeln. „Es überrascht mich, dass du dich beschwerst. Immerhin hast du selbst diese Verbindung vorgeschlagen.“

„In dieser Familie muss ja irgendjemand für standesgemäße Ehen sorgen. Wenn ich an diesen alten Dummkopf in Venedig denke, der sich mit seiner Haushälterin verlobt hat …“

„Mit dem alten Dummkopf meinst du wohl meinen Onkel Francesco, den Conte Calvani, das Oberhaupt unserer Familie“, stellte Marco fest.

„Dass er ein Conte ist, hindert ihn offenbar nicht daran, sich wie ein Dummkopf zu benehmen“, entgegnete Lucia. „Und dass Guido sein Erbe ist, hindert den jungen Mann nicht daran, genauso dumm zu sein und eine Engländerin zu heiraten.“

„Aber Dulcie stammt doch aus einer Adelsfamilie, deshalb passt sie zu ihm“, wandte Marco leicht spöttisch ein.

„Die Mitglieder dieser Adelsfamilie haben ihr ganzes Vermögen beim Glücksspiel und dergleichen verloren. Ich habe schlimme Geschichten über Dulcies Vater gehört. Dass seine Tochter besser ist als er, kann ich kaum glauben.“

„Francesco und Guido würde es nicht gefallen, dass du ihre Frauen kritisierst“, warnte Marco sie. „Sie sind beide momentan blind vor Liebe, wie man so sagt, und würden dir deine Bemerkungen übel nehmen.“

„Ich habe nicht die Absicht, ihnen zu nahe zu treten. Aber was wahr ist, das ist wahr. Einer von euch muss eine gute Partie machen. Wen dein Cousin aus der Toskana heiraten wird, weiß ja auch niemand.“

Marco zuckte die Schultern. „Leo wird wahrscheinlich gar nicht heiraten. Natürlich gibt es genug Frauen, die ihn nehmen würden. Ich könnte mir vorstellen, dass er sehr begehrt ist für flüchtige Affären …“

„Spar dir die unanständigen Bemerkungen“, unterbrach Lucia ihn energisch. „Wenn er seine Pflicht nicht tun will, musst du umso mehr bereit sein, deine zu tun.“

„Deshalb fliege ich ja jetzt nach England. Wenn die Frau mir gefällt, werde ich sie heiraten.“

„Und wenn du ihr gefällst. Vielleicht fällt sie dir ja nicht zu Füßen.“

„Dann komme ich zurück und erzähle es dir.“

Marco schien von dem Gedanken überhaupt nicht beunruhigt zu sein. Es gab nur wenige Frauen, die von ihm nicht beeindruckt waren. Olympia hatte ihn abgewiesen, aber sie kannten sich schon seit der Kindheit und waren wie Bruder und Schwester.

„Ich mache mir Sorgen um dich.“ Lucia sah ihn an und versuchte herauszufinden, was er wirklich dachte. „Ich wünsche mir, dass du glücklich verheiratet bist, statt deine Zeit mit Affären zu verschwenden, die dir nichts bedeuten. Du hättest Alessandra heiraten sollen. Dann könntest du schon drei Kinder haben.“

„Wir passten nicht zusammen. Das musst du akzeptieren.“ Seine Stimme klang freundlich, aber bestimmt.

„Natürlich.“ Lucia wusste, wenn Marco sich verschloss, musste sie das Thema fallen lassen.

„Ich muss fahren“, erklärte er. „Mach dir keine Sorgen, Mutter. Ich will Harriet d’Estino nur kennen lernen und ein Bild von ihr gewinnen. Wenn sie mir nicht gefällt, ist die Sache damit erledigt. Harriet würde nie etwas davon erfahren.“

Als Marco an Bord des Flugzeugs nach London ging, gestand er sich ein, dass sein Verhalten sehr ungewöhnlich war. Normalerweise dachte er gründlich nach, ehe er handelte. Er war ein ordnungsliebender Mensch und führte ein geregeltes Leben. Nur Beständigkeit, Charakterfestigkeit und das richtige Handeln zur richtigen Zeit führten seiner Meinung nach zum Erfolg. Er hatte sich vorgenommen gehabt, mit dreißig zu heiraten. Und das hätte er auch getan, wenn Alessandra ihren Entschluss nicht geändert hätte.

Rasch verdrängte er diesen Gedanken wieder. Alles, was mit seiner aufgelösten Verlobung zusammenhing, war Vergangenheit. Er hatte aus der Erfahrung gelernt und würde seine Gefühle nie wieder so offen zeigen.

Der Vorschlag seiner Mutter, eine Vernunftehe zu schließen, hatte seine volle Zustimmung gefunden. Eine Familie zu gründen, ohne sich gefühlsmäßig zu binden, hielt er für eine gute Lösung.

Am späten Nachmittag traf er in London ein und nahm sich eine Suite im Hotel Ritz. Den Rest des Tages verbrachte er online. Er arbeitete bis drei Uhr in der Nacht. Dann ging er ins Bett und schlief genau fünf Stunden.

Zum Frühstück bestellte er sich Obst und Kaffee. Anschließend ging er zu Fuß zu der Galerie d’Estino, die nicht weit vom Hotel entfernt war. Um Viertel vor neun traf er dort ein. Es war noch nicht geöffnet, und er nutzte die Zeit, sich einen ersten Eindruck von der Galerie zu verschaffen, ehe er die Besitzerin kennen lernte.

Obwohl er durch die Schutzgitter vor den Schaufenstern nicht allzu viel sehen konnte, schien das, was zu erkennen war, sehr erlesen und geschmackvoll zu sein. Er stellte sich Harriet d’Estino als elegante, intelligente und intellektuelle Frau vor und fing an, sich für sie zu erwärmen.

Das Gefühl verschwand jedoch, als die Zeit verstrich und das Geschäft auch nach neun noch nicht geöffnet war. Das war ineffizient und unverzeihlich, wie er fand. Als er sich schließlich umdrehte, stieß er mit jemandem zusammen.

„Au!“

„Verzeihung“, entschuldigte er sich bei der jungen Frau.

„Es ist schon okay“, erwiderte sie. „Wollten Sie in den Laden?“

„Er sollte längst geöffnet sein“, stellte Marco fest.

„Stimmt. Warten Sie einen Moment, ich muss den Schlüssel suchen.“ Die Frau zog einen Schlüsselbund hervor.

Während sie den richtigen Schlüssel suchte, betrachtete Marco sie. In den Jeans, dem weiten Pullover und dem blauen Hut, unter dem ihr Haar völlig verborgen war, wirkte sie recht unscheinbar. Vielleicht war sie attraktiv, aber das ließ sich schwer sagen. Offenbar war es schwierig, Personal zu finden, sonst hätte Harriet d’Estino nicht so eine ungeschickte und linkische Frau eingestellt.

Schließlich hatte sie den richtigen Schlüssel gefunden. „Einen Moment noch“, sagte sie und öffnete die Gitter, „gleich kann ich mich um Sie kümmern.“

„Eigentlich wollte ich mit der Besitzerin sprechen.“

„Können Sie nicht mit mir vorlieb nehmen?“

„Leider nicht.“

Die junge Frau schwieg sekundenlang. Dann warf sie ihm einen misstrauischen Blick zu, und ihr Verhalten änderte sich. „Das hätte ich mir denken können. Aber ich hatte gehofft, noch etwas Zeit zu haben … Das heißt, sie hat es gehofft. Es tut mir leid, Miss d’Estino ist noch nicht da.“

„Wissen Sie, wann sie kommt?“, fragte er geduldig.

„Oh, das kann lange dauern. Ich kann ihr etwas ausrichten.“

„Könnten Sie ihr sagen, Marco Calvani sei da gewesen, um mit ihr zu sprechen?“

Sie sah ihn verständnislos an. „Wer?“

„Marco Calvani. Sie kennt mich nicht, aber …“

„Sind Sie etwa nicht der Gerichtsvollzieher?“, unterbrach sie ihn.

„Nein.“ Marco blickte unwillkürlich auf seinen Armani-Anzug.

„Sind Sie sicher?“

„Das wüsste ich, wenn es so wäre.“

„Natürlich“, erwiderte sie zerstreut. „Sie sind Italiener, stimmt’s? Mir ist Ihr leichter Akzent zunächst gar nicht aufgefallen.“

„Ich bin stolz darauf, dass ich jede Fremdsprache beinah akzentfrei spreche“, erklärte er langsam. „Würden Sie mir bitte verraten, wer Sie sind?“

„Ich? Oh, ich bin Harriet d’Estino.“

„Sie?“ Er konnte sein Erstaunen nicht verbergen.

„Ja. Warum nicht?“

„Sie haben mir doch gerade noch erzählt, sie sei nicht hier.“

„Habe ich das?“, fragte sie zerstreut. „Das muss ein Missverständnis gewesen sein.“

Marco überlegte, ob die junge Frau vielleicht verrückt oder krank war. Sie nahm den Hut vom Kopf, und ihr langes Haar fiel ihr über die Schultern. In dem Moment wurde ihm klar, dass sie die Wahrheit gesagt hatte, denn sie hatte dasselbe kastanienbraune Haar wie Olympia. Sie war wirklich die Frau, von der er geglaubt hatte, sie könnte eventuell seine Ehefrau werden. Er atmete tief ein.

Harriet runzelte die Stirn. „Sind wir uns schon einmal begegnet?“, fragte sie.

„Nicht dass ich wüsste.“

„Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor.“

„Wir sind uns wirklich noch nie begegnet“, bekräftigte er.

„Ich mache uns Kaffee.“ Harriet ging in den hinteren Teil des Ladens und stellte die Kaffeemaschine an. Sie ärgerte sich darüber, dass sie trotz Olympias Warnung alles falsch gemacht hatte. Aber sie war beinah überzeugt gewesen, dass Marco sowieso nicht kommen würde. Außerdem hatte sie ganz andere Sorgen: Sie wusste nicht, woher sie das Geld nehmen sollte, um ihre Schulden zu bezahlen.

Als Expertin für Antiquitäten war Harriet unschlagbar. Sie hatte einen sicheren Geschmack und ein gutes Gespür. Viele wichtige Institutionen holten ihren Rat ein und ließen Gutachten von ihr erstellen. Es gelang ihr jedoch nicht, aus ihrer Begabung Kapital zu schlagen. Deshalb stapelten sich ihre unbezahlten Rechnungen.

Sie wünschte, sie hätte diesem Mann nicht verraten, dass sie finanzielle Probleme hatte, und hoffte, dass er es gar nicht mitbekommen hatte. Als Marco sich neben sie stellte, fiel ihr wieder die Ähnlichkeit auf mit jemandem, den sie kannte.

Harriet hatte Olympia versprochen, sich Marco gegenüber nicht anmerken zu lassen, dass sie gewarnt worden war. Deshalb beschloss sie, die Ahnungslose zu spielen.

„Warum wollten Sie mich sehen, Signor … Calvani. Das war doch Ihr Name, oder?“

„Sagt Ihnen mein Name nichts?“

„Leider nicht. Sollte er es?“

„Ich bin ein Freund Ihrer Schwester Olympia und hatte gedacht, sie hätte mich erwähnt.“

„Wir sind nur Halbschwestern und sehen uns nicht oft. Wir sind auch nicht zusammen aufgewachsen. Wie geht es ihr?“, fragte sie betont beiläufig.

„Sie ist immer noch ein schöner Schmetterling. Ich habe ihr erzählt, dass ich Sie bei meinem Aufenthalt in London besuchen würde. Hätten Sie Lust, den Abend mit mir zu verbringen? Wir könnten uns eine Theateraufführung oder dergleichen ansehen und anschließend essen gehen.“

„Ja, das wäre schön.“

„Was möchten Sie sehen?“

„Ich habe versucht, Karten für Dancing on Line zu bekommen, aber es ist mir nicht gelungen. Heute Abend ist die letzte Vorstellung.“

„Vielleicht kann ich noch Karten erstehen.“

„So kurzfristig?“

„Ich kann mir einen Fehlschlag doch gar nicht erlauben, oder?“ Er verzog das Gesicht. „Überlassen Sie es mir. Ich hole Sie um sieben ab.“

„Gut. Wir können ja immer noch woandershin gehen. Es ist mir egal.“

„Wir sehen uns diese Show an“, erklärte er bestimmt. „Bis heute Abend.“

„Bis heute Abend“, erwiderte Harriet wie betäubt.

Marco ging zur Tür. Auf einmal blieb er stehen und drehte sich zu Harriet um. „Übrigens, ich glaube daran, dass man das Private mit dem Geschäftlichen verbinden kann. Würden Sie bitte das hier prüfen und für mich schätzen?“ Er zog ein Päckchen aus der Tasche und machte es auf.

Harriet nahm die wunderschöne Halskette aus massivem Gold behutsam in die Hand, legte sie auf den Tisch und knipste die helle Lampe an.

„Ein Freund von mir in Rom hat sich auf solche Sachen spezialisiert“, behauptete Marco. „Er ist der Meinung, dies sei das beste und wertvollste griechische Schmuckstück, das er jemals gesehen hat.“

„Griechisch?“ Harriet blickte ihn an. „Nein, es ist etruskisch.“

Sie hatte den ersten Test bestanden. Marco ließ sich jedoch seine Freude darüber nicht anmerken, sondern stellte sie weiter auf die Probe.

„Sind Sie ganz sicher? Mein Freund ist Fachmann auf diesem Gebiet.“

„Es ist nicht schwierig, griechische und etruskische Kunstgegenstände zu unterscheiden“, erwiderte sie. „Der etruskische Schmuck aus dem dritten bis ersten Jahrhundert v. Chr. ähnelt oft dem griechischen, doch der keltische Einfluss …“

Mit wachsender Zufriedenheit hörte Marco ihr zu. Harriet war vielleicht etwas außergewöhnlich, sie war jedoch genauso gebildet und intelligent, wie er gehofft hatte. Das wertvolle Schmuckstück befand sich seit zweihundert Jahren im Besitz seiner Familie. Es stammte aus der Zeit der Etrusker, wie Harriet sogleich gemerkt hatte.

Doch dann fügte Harriet hinzu: „Leider ist die Halskette nicht echt.“

Marco sah sie erstaunt an. „Natürlich ist sie echt.“

„Nein. Es tut mir leid. Es ist eine sehr gute Imitation, sogar die beste, die ich je gesehen habe. Ich kann verstehen, dass Ihr Freund darauf hereingefallen ist.“

„Aber Sie nicht.“ Er ärgerte sich.

„Schon immer hat mich die Kunst der Etrusker ganz besonders fasziniert“, stellte sie fest. „Vor zwei Jahren habe ich mich an Ausgrabungen beteiligt, und es war …“

„Das qualifiziert Sie Ihrer Meinung nach dafür zu behaupten, diese Halskette sei ein Imitat“, unterbrach Marco sie. Vor lauter Ärger vergaß er seine guten Manieren.

„Passen Sie mal auf, ich weiß, wovon ich rede. Offenbar weiß es Ihr Freund nicht, denn er kann noch nicht einmal etruskische von griechischer Kunst unterscheiden.“

„Aber laut Ihrer Behauptung ist es eine Fälschung und somit weder das eine noch das andere“, entgegnete er.

„Es ist ein Imitat. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, er hat ein etruskisches Schmuckstück und kein griechisches kopiert“, erklärte Harriet energisch.

Was für eine erstaunliche Verwandlung! dachte er. Harriet war nicht mehr die etwas ungeschickte Frau von vorhin, sondern wirkte jetzt sehr selbstsicher, autoritär, hart und unbeugsam. Und das gefiel ihm.

„Heißt das, die Halskette ist wertlos?“, fragte er.

„Nein, das ist sie nicht. Das Gold hat einen bestimmten Wert.“ Sie redete mit ihm, als wäre er ein Kind, das sie besänftigen musste.

Marco biss die Zähne zusammen. „Würden Sie mir bitte erklären, wie Sie zu dem Urteil gekommen sind?“ Seine Stimme klang kühl.

„Mein Instinkt und meine Gefühle sagen mir, dass es eine Kopie ist.“

„Das heißt, es handelt sich um weibliche Intuition, oder?“

„Bestimmt nicht“, erwiderte Harriet scharf. „Das hat damit überhaupt nichts zu tun. Mein Instinkt und meine Gefühle basieren auf meinem Wissen und meiner Erfahrung.“

„Für mich klingt das nach weiblicher Intuition. Warum geben Sie es nicht einfach zu?“

In ihren Augen blitzte es auf. „Wenn Sie nur gekommen sind, um mich zu beleidigen, verschwenden Sie Ihre Zeit. Allein das Gewicht der Halskette beweist, dass es sich um eine Kopie handelt. Eine echte etruskische Kette würde mehr wiegen. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass etruskisches Gold …“ Wieder sprudelten ihr die Worte nur so aus ihr heraus. Sie war sich ihrer Sache völlig sicher.

Aber sie irrt sich, und wenn sie immer so arbeitet, ist es kein Wunder, dass sie mit ihrem Geschäft keinen Erfolg hat, überlegte Marco. „Okay, okay“, unterbrach er sie, „ich glaube Ihnen ja, dass Sie sich gut auskennen.“

„Reden Sie nicht so gönnerhaft mit mir.“

Was mache ich da eigentlich? fragte er sich plötzlich. Als er das Treffen mit Harriet geplant hatte, hatte er nicht vorgehabt, sich von ihr so sehr ärgern zu lassen, dass er die Beherrschung verlor. Er musste kühl und sachlich bleiben. Nur so konnte man gewinnen und Erfolg haben. Doch Harriet hatte es geschafft, ihn innerhalb weniger Minuten aus dem Konzept zu bringen.

„Verzeihen Sie“, entschuldigte er sich. „Ich wollte nicht unhöflich sein.“

„Es ist durchaus verständlich, dass Sie mir nicht glauben wollen“, erwiderte sie so freundlich, dass Marco sich vor lauter Ärger kaum noch beherrschen konnte. Harriet gab ihm die Kette zurück. „Wenn Sie wieder in Rom sind, können Sie Ihren Freund bitten, das Schmuckstück genauer zu prüfen. Aber Sie sollten seinem Urteil nicht vertrauen, weil er offenbar noch nicht einmal den Unterschied zwischen griechischer und etruskischer Kunst kennt.“

„Ich hole Sie um sieben ab“, erklärte Marco und lächelte leicht gequält.

2. KAPITEL

Um sieben blickte Harriet aus dem Fenster ihres Geschäfts hinaus in den Regen. Sie war zu Hause gewesen, hatte sich dort umgezogen und sich beeilt, um rechtzeitig wieder zurück zu sein. Sie hatte Marco nicht warten lassen wollen.

Doch er kam nicht. Als er um Viertel nach sieben immer noch nicht da war, fluchte sie leise vor sich hin und beschloss ärgerlich, nach Hause zu fahren.

Sie schloss den Laden ab und ging hinaus in den Regen. In dem Moment hielt ein Taxi am Straßenrand an. Die Tür wurde geöffnet, und jemand streckte die Hand aus dem Innern des Wagens. Harriet nahm sie und wurde in den Wagen gezogen.

„Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe“, sagte Marco. „Wegen des Regens habe ich ein Taxi genommen, doch dann saß ich im Stau fest. Glücklicherweise fängt die Show erst um acht an. Wir sollten es schaffen, selbst wenn es in dem Tempo weitergeht.“

„Heißt das, Sie haben wirklich Karten bekommen?“, fragte Harriet überrascht.

„Natürlich. Haben Sie es bezweifelt?“

„Ich bin beeindruckt.“

Noch beeindruckter war sie, als sie feststellen musste, dass er die teuersten Karten besorgt hatte. Dieser Mann hatte offenbar die besten Kontakte.

Während der Aufführung betrachtete Marco Harriet immer wieder. Sie ist nicht unbedingt schön, überlegte er. Sie war attraktiv und so schlank wie ein Model, aber nicht dünn. Wenn sie mehr Wert auf ihr Äußeres legte, wäre sie noch eleganter, sagte er sich. Ihre Bewegungen wirkten geschmeidig. Das weiche Material des knöchellangen roten Abendkleids schmiegte sich verführerisch an ihre schlanke Gestalt. Doch die Farbe passte nicht zu ihrem kastanienbraunen Haar, das ihr offen über die Schultern fiel. Sie hätte es hochstecken sollen, das würde ihr Gesicht und ihren schlanken Hals betonen, dachte er. Hatte sie niemanden, der sie auf solche Feinheiten aufmerksam machte?

Der Schmuck, den sie trug, passte nicht zu ihr. Sie sollte Gold tragen, aber keine feinen, zierlichen Schmuckstücke, sondern auffallende, üppige, die zu der Aura von Ruhe und Stärke passen, die sie umgibt, überlegte Marco. Es würde ihm gefallen, sie mit Goldschmuck zu verwöhnen.

Dancing on Line war ein sehr modernes Musical. Es war eine witzige Satire auf das Internet mit guten Melodien und ausgezeichneten Tänzern. Harriet und Marco genossen die Aufführung und verließen anschließend das Theater in gehobener Stimmung. Es hatte aufgehört zu regnen, und das Taxi, das Marco bestellt hatte, stand schon bereit.

„Ich kenne ein kleines Restaurant, wo es das beste Essen von London gibt“, erklärte er.

Autor

Lucy Gordon
<p>Die populäre Schriftstellerin Lucy Gordon stammt aus Großbritannien, bekannt ist sie für ihre romantischen Liebesromane, von denen bisher über 75 veröffentlicht wurden. In den letzten Jahren gewann die Schriftstellerin zwei RITA Awards unter anderem für ihren Roman „Das Kind des Bruders“, der in Rom spielt. Mit dem Schreiben erfüllte sich...
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