Eine Rose für den Highlander

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Entsetzt nimmt Alana wahr, was sich vor ihren Augen abspielt. Diese Szene hat sie erst vor Kurzem im Traum gesehen. Deshalb weiß sie: Wenn sie nicht eingreift, wird der schottische Krieger, der erbittert das Schwert gegen seinen Gegner schwingt, diesen Kampf nicht überleben. Im letzten Moment ruft sie ihm eine Warnung zu, und der stattliche Highlander kann ausweichen. Doch auf die Erleichterung folgt Entsetzen, denn als der fremde Kämpfer sich ihr zuwendet, muss Alana erkennen: Er trägt die Farben des Feindes …


  • Erscheinungstag 10.07.2020
  • Bandnummer 123
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748661
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für Rick Christen

Weil das, was in Vegas geschah,

nicht in Vegas zurückblieb;

weil es zweite Chancen wirklich gibt,

denn zwei sind stets besser als eine;

weil ich dich liebe,

auf ewig.

1. KAPITEL

Brodie Castle, Schottland

1. Dezember 1307

Das Feuer war allgegenwärtig, ein loderndes Inferno. Menschen schrien im Todeskampf, Pferde wieherten panisch, Schwerter klirrten.

Der Rauch verflüchtigte sich. Alana wurde von blankem Entsetzen gepackt.

Das Landgut stand in Flammen, und vor den brennenden Mauern kämpften Männer mit Schwertern und Spießen, zu Fuß und zu Pferde. Bei den einen handelte es sich um englische Ritter in vollem Harnisch, die anderen waren Männer aus dem Hochland. Ein englischer Recke wurde von der Klinge eines Highlanders durchbohrt, mit aufgeschlitztem Rumpf stürzte ein mächtiges Schlachtross zu Boden; sein Reiter, ein Highlander, sprang aus dem Sattel …

Wo bin ich?

Alana schwirrte der Kopf. Der Boden unter ihren Füßen schien bedrohlich zu schwanken. Sie merkte, dass sie fiel, verkrallte sich in die Erde. Sah hoch.

Ihr Blick erfasste einen Mann inmitten des brutalen Gemetzels. Der Krieger kämpfte zu Fuß, ein blutiges Schwert in der Hand. Die langen schwarzen Haare peitschten ihm ins Gesicht, seine Tunika reichte ihm über die bloßen Oberschenkel bis fast zu den Knien, den Fellumhang hatte er über den breiten Schultern zurückgeschlagen. Er brüllte den blutbespritzten Hochlandkriegern etwas zu, trieb sie an. Jeder von ihnen kämpfte verzweifelt um sein Leben.

Die Schlacht wogte hin und her, etliche der englischen Söldner flohen, ein paar Ritter zogen sich im Galopp zurück. Doch der dunkelhaarige Highlander focht weiter, duellierte sich mit einem englischen Ritter. Verbissen hieben sie mit ihren Schwertern aufeinander ein, wieder und wieder.

Alana erstarrte. Was hatte sie gerade gehört?

Ihr Blick flog zu dem Landgut. Aus dem Gebäude drangen die Hilfeschreie einer Frau. Und weinten da nicht auch Kinder?

Irgendwie kam sie auf die Füße. Doch der dunkelhaarige Highlander war bereits bei der lichterloh brennenden Haustür.

Qualm drang durch die Holzbohlen, Flammen schlugen aus dem benachbarten Fenster. Ohne den Rauch, die Hitze oder das Feuer zu beachten, rammte er eine Schulter hart gegen die Tür …

Urplötzlich bekam sie Angst um ihn, ebenso urplötzlich, wie er sich umwandte. Für einen kurzen Moment blickte sie ihm in das kantige, entschlossene Antlitz, starrte in seine durchdringend blauen Augen. Im nächsten Moment stürzte er in das brennende Gebäude.

Als er wieder auftauchte, trug er ein kleines Kind auf dem Arm und trieb eine Frau und ein weiteres Kind vor sich her ins Freie, in Sicherheit.

Sie verspürte grenzenlose Erleichterung. Er hatte die Frau und ihre Kinder gerettet – sie würden nicht sterben!

Das Dach stürzte ein. Hoch schossen die Flammen in den Himmel. Er ließ sich fallen, barg das Kind unter seinem Körper. Glühende Gebälkteile landeten neben ihm auf dem Boden.

Er sprang auf, brachte sich aus der Gefahrenzone. In sicherer Entfernung von dem brennenden Haus übergab er das Kleine seiner weinenden Mutter. Dann drehte er sich um, ließ den Blick suchend über das Gehölz gleiten, in dem Alana sich verbarg. Fast war es, als wisse er, dass sie dort sei.

Ein Hüne mit zotteligem rotem Haar, ein Mann aus dem Trupp der Highlander, tauchte hinter ihm auf, hob den Dolch, um ihn dem Krieger in den Rücken zu stoßen.

„Hinter dir!“, schrie Alana entsetzt.

Der dunkelhaarige Highlander schien die Gefahr zu wittern, denn in dem Moment, da der Dolch herniedersauste, wirbelte er herum. Er gab keinen Laut von sich, erstarrte nur, als die Klinge in seine Brust eindrang. Als Nächstes sirrte sein Schwert durch die Luft, so schnell, dass Alana der Bewegung kaum zu folgen vermochte.

Tödlich getroffen, ging der rothaarige Verräter in die Knie und kippte zur Seite. Der Highlander versetzte ihm einen weiteren tödlichen Stoß, dann hielt er inne, baute sich neben seinem Opfer auf. Er schwankte und stürzte zu Boden …

„Alana! Komm zu dir! Du machst mir Angst!“

Alana keuchte auf, schmeckte Erde und Schnee. Überwältigt vom Anblick der Schlacht – dem Verrat, dessen Zeugin sie gerade geworden war –, brauchte sie einen Moment, bis sie sich wieder rühren konnte.

Die Haare standen ihr zu Berge, in ihrem Nacken prickelte es. Sie hatte das Bedürfnis, sich zu übergeben.

„Alana! Komm schon! Rasch, ehe jemand dich sieht!“ Ihre Großmutter Eleanor rüttelte sie an der Schulter.

Erst jetzt wurde die junge Frau sich ihrer Umgebung bewusst. Sie lag im Schnee, mit dem Gesicht nach unten. Ihre Wangen fühlten sich eiskalt an, ebenso die Hände. Ihre Handschuhe waren steif gefroren. Sie wusste nicht, wie lange sie so gelegen hatte.

Sie rang nach Luft, rang um Fassung, hoffte, dass die Übelkeit vergehen würde. Das Kribbeln im Nacken ließ nach. Ihr Magen beruhigte sich. Sie atmete tief, doch als sie sich mit Eleanors Hilfe aufsetzte, machte ihre Erleichterung einer tiefen Bestürzung Platz.

Vor ihnen lag der kleine Fluss, der außerhalb der Festungsmauern entlanglief und im Frühjahr stets Hochwasser führte. Es war ein klarer, kalter Wintertag, darum hatte sie sich mit den Kindern der Mägde vor die Burg begeben, um mit ihnen zu spielen. Ihr Ohnmachtsanfall musste die Kinder zu Tode erschreckt haben, vermutlich waren sie umgehend zu Eleanor gelaufen.

Alana starrte auf den Fluss. Er war größtenteils zugefroren, doch hier und da konnte sie Wasserpfützen erkennen, die verrieten, dass das Eis zu schmelzen begann. Allmächtiger Gott. Das Wasser … selbst jetzt lockte es, dunkel und rätselhaft, barg Geheimnisse, die zu lüften keine Menschenseele das Recht hatte …

Es war ihre erste Vision seit Monaten. Sie hatte gebetet, niemals wieder von einer heimgesucht zu werden. Mit Mühe riss sie den Blick von dem gefährlichen Gewässer los und rappelte sich auf.

Die Großmutter zog fürsorglich den wollenen Umhang um sie zusammen und musterte sie besorgt. Erst jetzt bemerkte Alana, dass sie nicht allein waren.

In schweren Pelz gehüllt, stand Duncan of Frendraughts Sohn Godfrey breitbeinig hinter Eleanor, die blauen Augen in dem vor Abscheu verzerrten Gesicht furchtsam geweitet. „Was hast du gesehen?“, verlangte er hochfahrend zu wissen.

„Ich hatte keine Vision“, erklärte sie trotzig und reckte das Kinn höher. Sie lebten unter demselben Dach, waren indes nicht verwandt, und obwohl sie in dem Krieg, der das ganze Land überschattete, auf ein und derselben Seite standen, betrachtete sie ihn als ihren Feind.

„Sie ist gestolpert und hingestürzt“, schaltete Eleanor sich ein. In ihrem Ton lag eine für sie ungewöhnliche Autorität.

Godfrey grinste höhnisch. „Ich frage dich noch einmal, Alana. Was hast du gesehen?“ Seine Stimme klang warnend.

Alana erschauderte. „Deinen Vater. Siegreich in der Schlacht“, behauptete sie kühn.

Er hielt ihrem Blick stand. Starrte sie an, versuchte offenbar, zu entscheiden, was er von ihrer Auskunft halten sollte. „Wenn du mich anlügst, wirst du dafür büßen, du Hexe“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und marschierte davon.

Unendlich erleichtert, dass er fort war, sank sie gegen ihre Großmutter. Was hatte sie gerade erschaut?

„Weshalb lehnst du dich gegen ihn auf?“ Eleanor schüttelte den Kopf. „Er könnte dich niederstrecken, wenn er es wollte.“

Alana ergriff ihre Hand. „Er macht mich rasend, Gran.“

Mit blauen Augen musterte die Ältere sie besorgt. Eleanor Fitzhugh war eine zierliche alte Frau, doch sie verfügte über einen starken Willen. Sie selbst mochte gealtert sein, doch ihr Verstand war noch hellwach.

Nichts lag Alana ferner, als ihr Sorge zu bereiten, dennoch tat sie es immer wieder. Eleanor war für sie die Mutter, die sie nie gehabt hatte – und das, obwohl sie nicht einmal wirklich verwandt waren.

„Godfrey ist ein arroganter Flegel, aber er hat nun mal das Sagen auf der Burg.“ Eleanor seufzte. „Und er wird einen Tobsuchtsanfall bekommen, wenn wir ihm sein Abendessen nicht pünktlich auftischen.“ Sie zögerte. „Eins noch, Alana. Du darfst dir deinen Hass nicht anmerken lassen.“

Das ist unmöglich, dachte Alana sofort. Wie oft hatten sie diese Unterhaltung schon geführt! Sie verabscheute Godfrey nicht nur, weil er sie zur Weißglut brachte und sie ebenfalls verabscheute, sondern vor allem, weil er eines Tages Herr auf Brodie Castle sein würde.

„Ich versuch es ja“, beteuerte sie matt.

„Du musst dir mehr Mühe geben.“ Resolut schlang die Sechzigjährige der zwanzigjährigen Alana den Arm um die Taille und stützte sie auf dem Weg zum Burgtor.

Alanas Knie waren weich, nach wie vor verspürte sie leichte Übelkeit. Wenn sie Gesichte hatte, ging es ihr anschließend jedes Mal so schlecht.

Die Zugbrücke war heruntergelassen, das riesige Tor stand offen. Es war so breit, dass zwei Fuhrwerke oder ein Dutzend Ritter auf Schlachtrössern nebeneinander hindurchpassten. Godfrey war nirgends zu sehen. Leider konnte man ihm nicht leicht aus dem Weg gehen, jedenfalls nicht, solange Brodie Castle dem Earl of Buchan gehörte.

Alanas Mutter, Elisabeth le Latimer, hatte die Burg als Mitgift in die Ehe mit Eleanors Sohn, Sir Hubert Fitzhugh, eingebracht. Sir Hubert war auf dem Schlachtfeld gestorben – kinderlos –, und Elisabeth hatte Trost bei Alexander Comyn, dem Bruder des Earl of Buchan, gesucht. Einige Monate später hatte Alana das Licht der Welt erblickt.

Elisabeth war bei der Geburt des Kindes gestorben, und Lord Alexander Comyn hatte Joan le Latimer, Elisabeths Cousine, geehelicht. Zwei Jahre nach Alanas Geburt war Joans Tochter Alice zur Welt gekommen und ein paar Jahre später ein weiteres Mädchen, Margaret.

Alana war ihrem Vater genau ein Mal begegnet – zufällig, nachdem er und seine Jagdgesellschaft sich in den umliegenden Wäldern verirrt und darum die Nacht auf Brodie verbracht hatten. Zu dem Zeitpunkt war das Mädchen erst fünf gewesen, aber nie würde sie den Anblick ihres hochgewachsenen Vaters vergessen, wie er strahlend im Schein der prasselnden Feuer der beiden riesigen Kamine in der Großen Halle gestanden und Alana mit der gleichen Verwunderung gemustert hatte wie sie ihn.

„Ist das meine Tochter?“

„Das ist sie, Mylord“, hatte Eleanor bestätigt.

Er war vor sie hingetreten, ohne sie aus den Augen zu lassen. Sein unverwandter Blick hatte Alana verunsichert. Was würde er sagen oder tun? Sie war wie erstarrt gewesen. Und er hatte so groß gewirkt, so hoch über ihr aufgeragt, mehr wie ein König denn wie ein Edelmann. Aber dann war er neben ihr in die Hocke gegangen.

„Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich“, hatte er gesagt. „Mit deinem schwarzen Haar und den blauen Augen. Sie war die schönste Frau, die ich je gesehen habe, bis heute ist mir keine schönere begegnet.“

Von Freude überwältigt, hatte sie Lord Comyn scheu angelächelt. Irgendwie war ihr klar gewesen, dass er etwas Anerkennendes gesagt hatte. Ehe er mit seiner Jagdgesellschaft aufgebrochen war, hatte er Eleanor angewiesen, sich gut um seine Tochter zu kümmern. Alana hatte sich in Hörweite befunden und verstanden: Ihrem Vater lag etwas an ihr!

Doch danach war er nie wieder nach Brodie Castle gekommen. Sie hatte mit einem weiteren Besuch gerechnet und schwer unter der Enttäuschung gelitten. Doch mit der Zeit war der Schmerz schwächer geworden und schließlich ganz verblasst. Sie war eben nur ein Bastard.

Mit vierzehn war ihr gesagt worden, dass er eine Heirat für sie arrangieren wolle. Alana hatte es nicht geglaubt. Zu dieser Zeit war sie bereits zu der Überzeugung gelangt, dass ihr Vater nicht einmal mehr wusste, dass sie existierte. Und ehe sie sich darauf hatte freuen können, einen Gatten und ein eigenes Heim zu bekommen, hatte sie herausgefunden, dass ein Landgut in Aberdeenshire ihre Mitgift sein würde.

Eleanor hatte ihr gesagt, dass sie dankbar sein müsse, doch sosehr Alana es auch versuchte, war sie doch bitter enttäuscht. Brodie Castle hatte ihrer Mutter gehört. Eine illegitime Tochter konnte eine solche Feste nicht erben, und da es keine anderen Erben gab, erkannte König Edward von England die Burg dem Earl of Buchan als Lehen zu, und dieser wiederum belehnte seinen treuen Vasallen Duncan of Frendraught damit. Wie töricht es gewesen war, zu glauben, dass ihr Vater ihr – auf welch wundersamem Wege auch immer – Brodie übereignen würde!

Er hatte es nicht getan, und es spielte auch keine Rolle mehr, denn Alana blieb unverheiratet.

Niemand wollte eine Hexe zur Frau.

Eleanor hielt Alanas Arm umfasst, als sie den morastigen Burghof durchquerten. Schweigend gingen sie an ein paar zotteligen Kühen vorüber, die mit dem Rücken zu den Mauern standen und die Köpfe der Sonne zugewandt hatten. Zwei Mägde schöpften Wasser aus dem Brunnen, ein Knabe brachte ein Bündel Holzscheite ins Haus.

Sie traten in die Große Halle, wo es dank der Feuer, die in den beiden Kaminen an den Seitenwänden prasselten, wärmer war. Godfrey und seine Männer saßen an dem wuchtigen Tisch vor einem der Kamine und führten eine hitzige Diskussion.

Alana hoffte, dass sie über ihre erfundene Vision seines siegreichen Vaters stritten. Die Vorstellung gab ihr ein Gefühl der Genugtuung, obwohl sie wusste, dass es kleinlich von ihr war.

Sobald sie in den Küchenräumen waren, zog Eleanor ihre Enkelin beiseite. „Was hast du gesehen?“, fragte sie mit gesenkter Stimme.

Alana blickte sich vorsichtig um. Die Köchin und ihre Mägde waren eifrig damit zugange, das Abendessen vorzubereiten. Ein Stück Wild und ein Lamm staken auf den Drehspießen. Sie streifte den pelzgefütterten Wollumhang ab und hängte ihn an einen Wandhaken. „Eine schreckliche Schlacht. Und einen Fremden, einen Krieger, der von einem seiner Gefolgsleute erdolcht wird.“

Eleanor zuckte zusammen. „Seit wann hast du Gesichte von Fremden?“ Verwundert suchte sie Alanas Blick.

Die jedoch schüttelte langsam den Kopf. „Du weißt, dass ich noch nie eine Vision von jemandem hatte, den ich nicht kenne.“ Es stimmte. Nun, da sie sich die Erscheinung noch einmal in Erinnerung rief, erschrak sie zutiefst. Wie kam es, dass sie diesen Fremden im Kampf gegen die Engländer gesehen hatte? Allein die Vorstellung verursachte ihr wieder ein Kribbeln im Genick.

Ihr Magen krampfte sich zusammen, als stünde eine weitere Vision bevor. Doch es gab kein Wasser, das sie in seine Tiefen hätte locken können …

„Bist du sicher, dass du den Mann nicht kennst?“

Alana war sicher, doch beschwor sie sein Bild noch einmal herauf. Das kantige Gesicht. Die durchdringend blauen Augen. Das schwarze Haar. „Er erschien mir vage vertraut“, räumte sie zögernd ein. „Allerdings glaube ich nicht, dass ich ihm schon einmal begegnet bin. Was hat diese Vision zu bedeuten, Gran?“ War sie nun auch noch dazu verdammt, die Geschicke von Menschen zu sehen, die sie nicht kannte? Litt sie nicht schon genug darunter, die Zukunft ihrer Verwandten und Freunde vorherzusehen?

Eleanor hob die Schultern. „Ich weiß es nicht.“

Die Küchentür wurde aufgestoßen, und Godfrey stapfte in den Raum. „Wo bleibt unser Essen?“, bellte er wütend.

Alana musterte ihn kalt. Wenn er schlechter Laune war, ließ er das an seiner Umgebung aus, und es war besser, sich unterwürfig zu zeigen und ihm aus dem Weg zu gehen. Er hatte ein aufbrausendes Wesen und neigte zu Grausamkeit, genau wie sein Vater.

„Wir wollten gerade anfangen, es aufzutragen“, erwiderte Eleanor leichthin.

Godfrey musterte sie finster. „Das wurde auch Zeit.“

„Brachte der Bote heute Mittag schlechte Nachrichten, Mylord?“, fragte Alana so höflich sie konnte.

Sehr schlechte Nachrichten.“ Godfrey heftete seinen harten Blick auf Alana. „Robert Bruce hat Inverness geplündert und bis auf die Grundmauern niedergebrannt.“

Alana erstarrte. Inverness lag ganz in der Nähe im Süden, höchstens einen Tagesmarsch entfernt von Brodie!

Solange sie zurückdenken konnte, lieferten schottische Familien und Clans sich Kämpfe mit den Engländern – und untereinander. Doch vor nunmehr fast zwei Jahren hatte Robert Bruce, Anwärter auf den schottischen Thron, Red John Comyn, Lord of Badenoch, den Cousin ihres Vaters, ermordet und sich anschließend krönen lassen. Seitdem herrschte Krieg in Schottland.

Ihre Gedanken überschlugen sich. Stille senkte sich über die Küche.

„Habt ihr Angst?“, brüllte Godfrey höhnisch. „Fürwahr, die solltet ihr haben! Bruce ist seit einem Jahr auf dem Vormarsch. Er hinterlässt nichts als Tod und Zerstörung. Und wenn er hierherkommt, schleift er Brodie Castle und bringt uns alle um.“ Damit machte er kehrt und stürmte aus dem Raum.

Die Köchin und ihre Mägde waren leichenblass.

Auch Alana hatte Angst. Als Bruce von einer Handvoll ihm ergebener Bischöfe gekrönt worden war, in einer Zeremonie, zu der nur die engsten Verbündeten und Freunde geladen gewesen waren, hatte niemand daran geglaubt, dass er triumphieren würde. Wie sollte er die Großmacht England besiegen – oder auch nur die Großmacht der Familie Comyn? Außerdem war sein Heer im vergangenen Sommer bei Methven aufgerieben worden – von Aymer de Valence, dem jetzigen Earl of Pembroke. Bruce und seine bunt zusammengewürfelte, halb verhungerte Streitmacht hatten sich vor Valence und den Engländern in die Wälder und Berge geflüchtet und waren zu Fuß quer durch Schottland zurückgewichen. Bei Angus Og MacDonald, dem mächtigen Stammesfürsten von Kintyre, hatten sie schließlich Zuflucht gefunden.

Nachdem Angus Og und Christina MacRuari ihm Ende des Jahres Männer, Pferde und Schiffe zur Verfügung gestellt hatten, war Bruce im Januar nach Schottland zurückgekehrt, um blutige Rache zu nehmen. Den Winter hatte er damit verbracht, seine Ländereien in Carrick zurückzuerobern. Wo er von seinen ehemaligen Landsassen nicht mit offenen Armen empfangen worden war, hatte er Unterschlupf in den Wäldern gesucht und Dörfer und Landgüter in unregelmäßigen Abständen überfallen, bis die Bewohner ihn um Frieden anflehten und bereit waren, hohe Tribute dafür zu zahlen.

Dann hatte er ganz Galloway mit Krieg überzogen, um Vergeltung für die Gefangennahme und Hinrichtung von zweien seiner Brüder zu üben. Bei Loudoun war er schließlich auf Aymer de Valence getroffen, hatte dessen Truppen vernichtend geschlagen und sich danach dem Norden Schottlands zugewandt, dem Gebiet der Buchans.

Denn der Earl of Buchan – und damit die gesamte Familie Comyn – war sein ältester und ärgster Feind.

Im Herbst hatte Bruce einige kleinere Burgen eingenommen, ehe er kurz hintereinander die Festungen der Buchans in Inverlochy und Urquhart erstürmt und dem Erdboden gleichgemacht hatte. Und wie es schien, marschierte er weiter den Great Glen hinauf, denn jetzt war auch Inverness in seine Hände gefallen!

War es denkbar, dass Robert Bruce tatsächlich siegen würde? Und hatte er überhaupt ein Interesse daran, Brodie Castle anzugreifen? Alana erschauderte. Bisher war der Krieg viel zu weit entfernt gewesen, als dass er sie persönlich hätte in Mitleidenschaft ziehen können. Eine Angelegenheit, die ihren Vater und die Familie betraf, zu der sie nie gehört hatte.

Brodie Castle war eine so unbedeutende Burg! Weshalb sollte Bruce sich die Mühe machen, sie anzugreifen?

Doch was war mit der Vision, die sie gehabt hatte? Hatte sie ein Gefecht im Kampf um Schottlands Thron gesehen?

Sie eilte Godfrey hinterher.

„Alana!“, rief ihre Großmutter ihr nach.

Alana lief weiter. In der Großen Halle holte sie Godfrey ein. „Wohin marschiert Bruce als Nächstes?“, fragte sie ihn atemlos.

Godfrey blitzte sie an. „Weiter nach Norden, ganz gewiss, um Nairn oder Elgin zu überfallen“, blaffte er sie an. Nairn und Elgin waren die größten Festungen der Comyns. „Und Brodie liegt genau dazwischen.“

Alana fing an zu zittern. „Wird er uns angreifen?“

„Ich hoffe nicht! Wir wären nicht darauf vorbereitet“, erwiderte Godfrey düster. „Ich habe einen Boten zu meinem Vater geschickt und mehr Männer angefordert. Duncan wird uns sicher welche geben, und ich hoffe, Buchan auch. Unterdessen scheuche ich jeden Freisassen und jeden Dörfler, den ich finden kann, zu den Waffen, für den Fall, dass wir die Burg tatsächlich verteidigen müssen.“

Alana starrte ihn an. Es war eine Sache, Kenntnis davon zu haben, dass ein schrecklicher Krieg um die schottische Krone im Land tobte, und eine ganz andere, die Front so nahe zu wissen – die Schneise der Zerstörung, die der ruchlose Robert Bruce hinterließ.

Plötzlich beugte Godfrey sich zu ihr vor, beunruhigend nah. Als er sprach, strich sein Atem über ihre Wange. „Du solltest zusehen, dass du eine Vision hast, Alana. Eine von Brodie und dem Schicksal der Burg!“

Alana errötete. „Du weißt genau, dass meine Gesichte sich nicht auf Befehl einstellen!“

„Ach ja? Oder ist es nicht eher so, dass wir hier auf Brodie dir egal sind?“ Godfrey gab ein missfälliges Schnauben von sich und wandte sich zum Tisch, wo seine Männer saßen. „Bring uns mehr Wein“, befahl er, ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen.

Für einen kurzen Moment blieb Alana stehen und musterte ihn. Gleichgültig, wie sehr sie sich auch bemühte, sie konnte die Verachtung für ihn nicht unterdrücken. Und er hatte recht, zum Teil jedenfalls. Sein Wohl und Wehe kümmerte sie nicht. Nicht im Geringsten.

Als sie wieder in die Küche kam, packte Eleanor ihre Hand. „Was ist los, Kind?“

„Wir müssen damit rechnen, dass Bruce angreift, Gran.“

Eleanor schwieg. „Wenigstens hast du Brodie Castle nicht brennen sehen“, sagte sie nach einem Moment.

Richtig, dachte Alana. In ihrer Vision hatte nicht Brodie in Flammen gestanden. Es lag ein kleiner Trost in der Erkenntnis.

Alana richtete sich auf und wischte sich den Schweiß ab, der ihr trotz der Kälte auf der Stirn stand. Wie ein Dutzend anderer Burgbewohner, zumeist junge Burschen, aber auch alte Männer und Frauen ihres Alters, hielt sie einen Spaten in der Hand und half, den Burggraben zu erweitern, für den Fall, dass sie angegriffen wurden.

Ihre Finger waren trotz der Handschuhe eiskalt, es war kurz vor Sonnenuntergang, und die Wolken, die über den Himmel trieben, verhießen weiteren Schneefall. Es hatte Stunden gedauert, die vereiste Schneedecke zu entfernen, und nun stachen sie die Spaten in gefrorene Erde. Eigentlich taten sie eine Arbeit, die starke, ausgewachsene Männer erfordert hätte, doch die meisten dieser Gegend waren seit Jahren im Krieg. Nur eine Handvoll Männer befand sich noch auf Brodie, falls die Burg verteidigt werden musste.

Einer von Godfreys Gefolgsleuten gab ihnen ein Zeichen, dass sie für heute Schluss machen konnten; den Rest würden sie morgen erledigen. Erschöpft stützte Alana sich auf den Spaten.

Bilder erschienen vor ihrem inneren Auge, Bilder des beeindruckenden, kraftvollen Hochlandkriegers, wie er sein kleines Heer in der Nähe des brennenden Anwesens gegen die Engländer geführt hatte. Sie seufzte unhörbar. Wie sehr sie wünschte, die Erinnerung an ihn würde sie nicht unablässig verfolgen!

Sie kannte nicht einmal das Landgut, um das der Kampf tobte. Vergebens versuchte sie sich zu erinnern, ob sie ein Banner oder die Farben eines Plaids gesehen hatte. Aber selbst die Gegend war ihr fremd vorgekommen. Nur eines fiel ihr jetzt auf – sie hatte Schneereste auf dem Boden gesehen. Demnach hatte der Kampf im Winter stattgefunden.

Um jeden Preis wollte sie jedoch die Identität des Hochlandkriegers herausfinden – und den Grund für ihre Vision von ihm.

Alana folgte den anderen in die Burg. Sie ging in die Große Halle, und obwohl Godfrey dort auf und ab marschierte, trat sie an einen der hohen Kamine, um sich die Hände zu wärmen.

Sobald er sie bemerkte, wirbelte Godfrey herum und stürmte auf sie zu. Seine Miene verhieß nichts Gutes. Alanas Blick fiel auf das entrollte Pergament in seiner Hand. Er wedelte damit vor ihrem Gesicht herum.

„Du wirst dich freuen, zu hören, dass mein Vater keinen einzigen Mann entbehren kann und ich Brodie ganz allein verteidigen muss.“ Er schleuderte ihr das Pergament vor die Füße.

Alanas Herz begann zu rasen. „Wieso sollte mich das freuen?“

„Ach, komm schon! Wir wissen doch beide, wie sehr du mir Brodie Castle neidest, weil du glaubst, ein Anrecht auf die Burg zu haben, und dass du mich hasst, weil ich hier Herr und Gebieter sein werde – auch über dich!“ In seinem Ton lag keine Häme. Nur Zorn.

„Brodie Castle gehörte meiner Mutter, also habe ich ein Anrecht. Jedenfalls, wenn dir etwas zustößt“, erwiderte sie vorsichtig.

„Und das wünschst du dir sehnlichst, nicht wahr? Ich traue dir nicht, Alana!“

„Ich will nicht, dass Brodie Robert Bruce in die Hände fällt.“ Und das meinte sie ernst. Ihr Vater mochte vergessen haben, dass sie existierte, doch er war nun mal ihr Vater, und darum würde sie sich ihm gegenüber loyal verhalten. „Wie können wir die Burg verteidigen?“

Godfrey musterte sie mit eigentümlichem Blick, dann begann er abermals, auf und ab zu gehen wie ein gefangenes Tier im Käfig. „Es ist aussichtslos. Wir können Bruce nicht standhalten, wenn er uns angreift. Unsere einzige Hoffnung besteht darin, dass es ihm um Nairn, Elgin und Banf geht, und während wir hier reden, ist der Earl bereits auf dem Weg nach Nairn zu meinem Vater, um Pläne für die Verteidigung des Buchan-Gebiets zu machen.“

Unter all seinem Zorn hatte Godfrey offensichtlich Angst. Fast verspürte Alana Mitleid mit ihm. Er befand sich in einer ausweglosen Lage, denn ohne Soldaten konnte er Brodie nicht halten. „Ich hörte, dass Bruce Inverlochy, Urquhart und Inverness bis auf die Grundmauern zerstört hat. Ist das wahr?“

„Ja.“ Er blickte sie scharf an. „Ich weiß, weshalb du fragst, aber ich kann dir nicht sagen, ob er Brodie niederbrennen würde. Er wütet wie ein Teufel. Jede Festung, die er einmal erobert hat, zerstört er, damit man sie nicht zurückerobern und gegen ihn in Stellung bringen kann.“

Die Vorstellung, Brodie in Schutt und Asche zu sehen, war unerträglich. Sie schloss die Augen, um die schrecklichen Bilder zu verbannen. Ihr war elend. Hoffentlich war das Gefühl, einer Ohnmacht nahe zu sein, kein Vorbote einer neuerlichen Vision – einer Vision, in der Brodie Castle bis auf die Grundmauern heruntergebrannt sein würde.

„Eins noch, Alana.“ Godfreys barsche Stimme holte sie in die Wirklichkeit zurück. „Auch Sir Alexander ist auf dem Weg nach Nairn.“

Sie erstarrte.

„Was ist los?“ Er grinste herausfordernd. „Warum wirst du so blass? Es ist doch nicht das erste Mal, dass dein Vater sich in der Nähe aufhält, ohne dir einen Besuch abzustatten.“

Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Natürlich war es nicht das erste Mal, dass ihr Vater in der Umgegend war, ohne nach Brodie zu kommen. Wie jenes eine Mal, als sie noch ein kleines Kind gewesen war. Hoffte sie immer noch, ihn wiederzusehen? Was käme für sie dabei heraus?

Als sie vierzehn gewesen war, hatte er versucht, eine Heirat für sie zu arrangieren, doch seine Anstrengungen waren rasch im Sande verlaufen. Seitdem hatte sie nie wieder von ihm gehört. Wenn er sie hätte sehen wollen, hätte er nach ihr schicken können. Das war nicht geschehen, und so musste sie annehmen, dass er sie vergessen hatte oder sich nichts aus ihr machte. Es tat immer noch weh, obwohl sie geglaubt hatte, darüber hinweg zu sein.

„Weil du ein Bastard bist, den er nicht will“, setzte Godfrey boshaft hinzu.

Wut schoss in ihr hoch. Sie trat ihm entgegen. „Macht es dir Spaß, mich zu quälen?“

„Und wie! Im Übrigen, Alana, wirst du umgehend nach Nairn aufbrechen.“

Sie starrte ihn zitternd an. Erlaubte er sich einen schlechten Scherz?

Er grinste träge. „Mein Vater verlangt, dass du auf der Stelle zu ihm kommst.“

„Warum sollte Duncan nach mir schicken?“, fragte sie vorsichtig. Sie kannte Godfrey gut genug, um zu wissen, dass er keine Gelegenheit ausließ, eins seiner grausamen Spielchen mit ihr zu treiben.

„Was denkst du? Hexe!“

Alana erschrak. „Was hast du ihm erzählt?“

„Sagtest du nicht, du habest meinen Vater in einer Schlacht siegen sehen?“

Ein Schauder überlief sie. Duncan wusste von ihren Visionen – und auch jeder auf Brodie. „Du hast ihm von meiner Erscheinung erzählt“, sagte sie langsam.

„So ist es. Und er wünscht dich zu sprechen.“ Godfrey bückte sich und hob das Pergament auf. Er warf es ins Feuer und beobachtete, wie es verbrannte. „Wenn ich du wäre, würde ich mir gut überlegen, was ich gesehen habe. Er wird Einzelheiten wissen wollen.“

„Ich habe dir gesagt, was ich sah“, protestierte sie schwach. Ihre Gedanken überschlugen sich. Dass sie eine Vision von Duncan gehabt hatte, war eine Lüge gewesen. Sie hasste Duncan, fürchtete ihn weit mehr als Godfrey. Was sollte sie tun? Duncan würde sie schlagen, wenn er erfuhr, dass sie gelogen hatte. Ganz sicher würde er sich irgendeine Strafe für sie ausdenken.

„Du freust dich gar nicht? Willst du Sir Alexander nicht wiedersehen?“

Alana konnte nicht klar denken. So töricht es auch sein mochte, musste sie doch zugeben, dass sie hoffte, ihrem Vater zu begegnen.

Im Übrigen konnte sie nur hoffen, dass Nairn nicht angegriffen wurde, nicht in der nächsten Zeit.

„Aber das ist doch Wahnsinn!“ Eleanor wurde leichenblass.

Alana lächelte grimmig. „Ich kann mich Duncans Befehl nicht widersetzen, Gran, das weißt du. Und du weißt auch, dass er nicht erbaut sein wird, wenn er hört, dass ich gelogen habe.“

Eleanor setzte sich, ohne etwas zu erwidern. Die Frauen teilten sich eine enge Schlafkammer, die gerade einmal Platz bot für zwei schmale Betten, einen Nachttisch und dazwischen eine Truhe, in der sie ihre Habseligkeiten aufbewahrten. Sorgfältig faltete Alana ein zusätzliches Gewand und legte es zu den anderen, die sie mitzunehmen gedachte.

„Etwas Gutes hat die Sache jedenfalls“, erklärte Eleanor schließlich forsch. „Du wirst deinen Vater treffen und ihn daran erinnern, dass es dich gibt.“

Die Worte gaben Alana einen dumpfen Stich ins Herz. „Wenn Duncan es nicht befohlen hätte, würde ich mich nicht nach Nairn begeben“, erwiderte sie vorsichtig.

„Mach mir nichts vor, Mädchen. Wir wissen beide, dass du deinen Vater gern sehen möchtest. Und mir wäre wohler, wenn er endlich sein Versprechen einlösen und dich anständig verheiraten würde.“

„Er kann nichts daran ändern, dass alle Welt mich als Hexe betrachtet.“ Alana lächelte. Sie wollte nicht, dass man sah, wie viel es ihr ausmachte, was die Leute von ihr dachten.

„Und ob er könnte – er ist der mächtige Sir Alexander, der Lieblingsbruder des Earl!“

Mit einem Mal war Alana überwältigt vor Rührung. „Was würde ich bloß machen ohne dich, Gran?“

Eleanor trat an die geöffnete Truhe und nahm ihre eigenen Kleidungsstücke heraus. „Ich bin alt, Alana, und irgendwann wirst du ohne mich zurechtkommen müssen. Darum wünsche ich mir einen guten Ehemann für dich.“ Sie kramte einen Leinensack aus der Truhe, in den sie ihre Sachen packte. „Ich komme mit dir nach Nairn.“

Überrascht drehte Alana sich um. „Gran …“, warf sie protestierend ein. Nairn lag nur einen halben Tagesritt von Brodie entfernt, doch obwohl Eleanor rüstig und gelenkig war, konnte sie unmöglich reiten. Sie würden ein Fuhrwerk oder eine Sänfte nehmen müssen. Außerdem war es mitten im Winter, und neue Schneefälle drohten. Es war besser, wenn die Großmutter nicht mitkam.

„Fang nicht an zu streiten. Ich habe Buchan und deinen Vater jahrelang nicht gesehen. Und du und Buchan, ihr kennt euch noch nicht. Vielleicht können wir den Earl dazu bringen, einen geeigneten Gatten für dich zu finden, wenn es deinem Vater schon egal ist, was aus dir wird. Immerhin bist du Buchans Nichte.“

Alana wollte die Gesundheit ihrer Großmutter nicht aufs Spiel setzen, indem sie sie auf eine Reise mitten im Winter mitnahm, und wenn sie noch so kurz war. Außerdem eilte Buchan der Ruf voraus, kalt und rücksichtslos zu sein.

„An meiner Schande kann er nichts ändern“, sagte sie schulterzuckend.

„Oh doch, das kann er sehr wohl“, erwiderte Eleanor fest. „Er ist der mächtigste Mann im Norden Schottlands.“

Am nächsten Morgen brachen sie auf. Die Sonne schien, doch in der Nacht hatte es heftig geschneit, und der frische Schnee lag wie eine schützende Decke über dem Land. Die Straße, die Wälder, die Berge – alles war weiß.

Sie reisten in einem kleinen Karren, und Alana versuchte, das Maultier auf dem Fahrweg zu halten. Godfrey hatte nichts dagegen gehabt, dass Eleanor sie begleitete, ihnen aber nur einen Mann zum Geleit mitgegeben. Connaught ritt neben dem Karren her. Er trug ein Kettenhemd unter seinem Pelzumhang.

Mit dem Karren kamen sie in dem tiefen Schnee nur langsam voran. Am frühen Nachmittag, als sie Nairn fast erreicht hatten, versteifte Alana sich plötzlich.

Irgendetwas stimmte nicht.

Sie brauchte kein zweites Gesicht, um das zu wissen; die Gefahr war ganz deutlich zu spüren. Auf einmal bemerkte sie die graue Dunstglocke, die über dem Waldrand vor ihnen hing, und roch Rauch.

„Irgendwo brennt es“, sagte Connaught scharf und brachte sein Pferd abrupt zum Stehen.

In Alanas Nacken begann es zu prickeln. Bei der grauen Dunstglocke handelte es sich tatsächlich um Rauch. Hastig zog sie die Zügel an, das Maultier blieb schnaubend und mit aufgestellten Ohren stehen.

„Alana …“, raunte Eleanor neben ihr.

Doch die junge Frau reagierte nicht. Angespannt lauschte sie dem angstvollen Wiehern von Pferden in der Ferne, erspähte Feuerschein jenseits der Bäume. Und bildete sie es sich ein, oder hörte sie da nicht auch Schmerzensschreie von Menschen?

Die Laute von Mensch und Tier waren so vertraut – genau wie in ihrer Vision!

Das Herz schlug ihr bis zum Hals. „Kannst du vorausreiten und nachsehen, was los ist, ohne dass man dich bemerkt?“, fragte sie Connaught.

„Ja.“ Der Soldat gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte los.

Allein mit ihrer Großmutter in dem Karren auf der einsamen, verschneiten Landstraße, ohne die gewohnten dichten Wälder um sich herum, fühlte Alana sich unendlich schutzlos.

Eleanor ergriff ihre Hand. „Wir sollten umkehren.“

Alana zögerte. „Ich frage mich, ob es das Gefecht ist, das ich in meiner Vision gesehen habe, Gran.“

Die Großmutter antwortete nicht. Gespannt blickte sie Connaught entgegen, der eben zurückgeritten kam.

„Der Hof der MacDuffs wurde angegriffen, Boath Manor! Sie brennen ihn nieder. Und sie führen die Banner von Bruce.“

Alanas Anspannung wuchs. „Es ist doch nicht sein Heer, das dort hinter den Bäumen kämpft, oder doch?“

Connaught schüttelte den Kopf. „Nein, Herrin. Nur ein paar Dutzend Highlander. Aber sie kämpfen gegen Duncans Leute.“

Alanas Herz klopfte wie wild. Sie waren nur einen Steinwurf von einer schrecklichen Schlacht entfernt, die wie so viele andere um Schottlands Thron geführt wurde.

„Wendet das Fuhrwerk, Mistress Alana“, befahl Connaught knapp. „Wir müssen verschwinden, sonst entdeckt man uns noch.“

Sie dachte an den dunkelhaarigen Highlander, der von einem seiner Gefolgsleute verraten worden war. Wenn sie ihm begegnen und Zeugin des Attentats werden würde, konnte sie jetzt unmöglich umkehren. Sie hätte nicht zu sagen vermocht, aus welchem Grund, aber sie fühlte sich verpflichtet, ihn zu warnen.

Schnurstracks kletterte sie vom Karren herunter. „Bring Mistress Eleanor zurück nach Brodie, Connaught“, wies sie an.

„Alana!“, keuchte Eleanor entsetzt. „Du kannst nicht allein hierbleiben. Lass uns umkehren!“

„Ich muss herausfinden, was dort hinter den Bäumen geschieht. Aber ich verspreche dir, dass ich in Deckung bleibe.“ Alana hatte den Satz kaum beendet, da hörte sie lautes Pferdewiehern und das Brüllen einiger Männer. Die Schlacht rückte näher.

Als sie sich umdrehte, konnte sie durch die Bäume sehen, wie die Flammen gen Himmel schlugen, hell und leuchtend. „Mit dem Karren schaffen wir es nie, ihnen zu entkommen“, ließ Connaught sich hinter ihr vernehmen. „Und ich will verdammt sein, wenn ich mein Leben aufs Spiel setze, um eine alte Vettel und eine Hexe zu retten.“ Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt davon.

Fassungslos sah Alana ihm hinterher. Er ließ sie beide tatsächlich schutzlos zurück – zwei wehrlose Frauen!

„Alana, wenn sie hier entlangkommen, musst du dich in Sicherheit bringen. Schnell, lauf in den Wald!“ Eleanors Augen waren vor Schreck geweitet.

Alana griff nach dem Zaumzeug des Maultiers. „Du glaubst doch nicht, dass ich dich allein zurücklasse, Gran. Wir suchen dir ein Versteck.“

„Und was ist mit dir? Ich bin eine alte Frau, ich habe mein Leben hinter mir. Aber du bist jung, deines liegt noch vor dir.“

„Sag so etwas nicht. Und jetzt komm.“ Alana führte den Esel von der Straße fort, was kein leichtes Unterfangen war.

Das Tier benahm sich störrisch und ungebärdig, der Schnee wurde immer tiefer, und schließlich blieb der Karren stecken. Aber wenigstens standen sie nicht mehr weithin sichtbar auf der Straße, auch wenn das Maultier die Hufe in den Schnee stemmte und keinen Schritt weiterging.

Alana sah sich um und entdeckte einen Felsvorsprung in der Nähe. Sie konnte Eleanor auf dem Karren lassen oder sie dort, in einer Felsspalte, verstecken.

„Ich würde lieber hier sitzen bleiben“, sagte Eleanor, als könne sie Gedanken lesen.

Alana nickte. „Ich bleibe nicht lange fort.“ Sie legte der Großmutter eine zusätzliche Pelzdecke um.

Eleanor nahm ihre Hand. „Ich habe Angst um dich. Warum willst du nicht hier warten, wo du halbwegs sicher bist?“

Alana zögerte kurz. Was war los mit ihr? Weshalb wollte sie unbedingt herausfinden, ob es sich bei dem Gefecht, das hinter den Bäumen im Gange war, um das aus ihrer Vision handelte? Und weshalb wollte sie den dunkelhaarigen Highlander vor dem Verrat warnen? Um ihm eine Verwundung zu ersparen? Ihn vor dem Tode zu bewahren?

Denn sie hatte gesehen, wie er niedergestochen wurde, hatte gesehen, wie er zu Boden sank. Sie wusste nicht, ob er überleben oder sterben würde.

„Ich komme wieder. Ich lasse dich nicht hier zurück.“ Sie schlang die Arme um ihre Großmutter und drückte die Alte fest an sich.

„Du bist genauso eigensinnig und tapfer wie deine Mutter.“

Irgendwie schaffte Alana es, zu lächeln. Dann löste sie sich und machte sich auf den Weg.

Sie war derart aufgewühlt, dass sie die Kälte nicht spürte, als sie durch den Schnee zurück zur Straße stapfte. Der Schlachtenlärm wurde lauter, je näher sie der Baumreihe kam, auf die sie zusteuerte. Es roch stärker nach Rauch. Ihre Angst nahm zu, ihr Herz schlug rasend schnell. Als sie den Waldrand erreicht hatte, blieb sie stehen und stützte sich gegen einen Birkenstamm, um nicht zusammenzubrechen.

Vor ihren Augen spielten sich die Ereignisse genau so ab, wie sie es in ihrer Vision gesehen hatte!

Das Landgut stand in Flammen, und vor seinen Mauern lieferten sich englische Ritter und Hochlandkrieger eine erbitterte Schlacht. Der Schnee war blutgetränkt. Schwerter schlugen gegeneinander, Pferde wieherten durchdringend. Plötzlich ging eines der Rosse zu Boden, und der Highlander auf ihm sprang aus dem Sattel …

Alana merkte, wie die Knie unter ihr nachzugeben drohten. Nein, sie würde nicht zusammenbrechen. Verzweifelt ließ sie den Blick über die Kämpfenden schweifen.

Das Herz schien ihr geradezu gegen die Rippen zu trommeln.

Einen Fellumhang über den Schultern, das blutige Schwert in der Hand, kämpfte der dunkelhaarige Highlander verbissen gegen einen englischen Ritter. Ihre riesigen Schwerter schlugen klirrend gegeneinander, wieder und wieder, inmitten blutüberströmter, kämpfender Männer.

Sie kannte ihn aus ihrer Vision.

Alana war überwältigt. Was hatte es zu bedeuten, dass sie nun auf ihre Wirklichkeit gewordene Vorhersehung stieß?

Schreie aus dem brennenden Gebäude drangen an ihre Ohren.

Der Highlander schien sie ebenfalls zu hören. Er stieß das Schwert in die Scheide und lief zur Haustür, aus der Flammen schlugen, genau wie aus dem danebenliegenden Fenster. Er rammte eine Schulter gegen das Holz.

Und plötzlich wandte er sich um und sah zum Waldrand – als sähe er direkt zu ihr herüber.

Alana erstarrte. Es fühlte sich beinahe an, als hätten ihre Blicke sich verfangen. Aber das konnte nicht sein.

Im nächsten Moment war er in dem brennenden Haus verschwunden. Flammen schossen aus den Mauerritzen nahe der Tür.

Alana überlegte nicht lange. Sie verließ die Deckung und lief los, auf die kämpfenden Männer zu, hin zu dem brennenden Gebäude.

Der Highlander erschien in der Türöffnung, einen kleinen Jungen auf den Armen. Eine Frau und ein weiteres Kind rannten an ihm vorbei nach draußen. Als er selbst loslief, krachte das brennende Gebälk hernieder. Er ließ sich fallen und schützte das Kind mit seinem Körper.

Alana stolperte, fiel hin, rappelte sich wieder auf.

Er war ebenfalls aufgestanden und brachte den Jungen zu seiner Mutter. Dann wirbelte er herum und starrte sie an.

Diesmal konnte er sie genau sehen. Diesmal wusste sie sicher, dass ihre Blicke sich begegnet waren, trotz der kämpfenden Männer zwischen ihnen. Schwer atmend, hielt sie inne, starrte ihn ebenso überrascht und verblüfft an wie er sie.

Und plötzlich sah sie den rothaarigen Mann hinter ihm. Er näherte sich rasch und war nur noch wenige Schritte von ihm entfernt.

Ihr Herz schien auszusetzen. Das dort war der Kerl, der den dunkelhaarigen Krieger verraten, ihn ermorden wollte. „Hinter dir!“, schrie sie, so laut sie konnte.

Das Schwert wieder erhoben, wirbelte der Highlander herum. Anscheinend erkannte er keine Gefahr und drehte sich wieder in ihre Richtung. Doch der rothaarige Schotte hielt einen Dolch in der Hand und kam immer näher …

„Hinter dir! Achtung!“ Abermals schrie Alana aus Leibeskräften. Wieder drehte der Highlander sich um, und der Attentäter rammte ihm den Dolch in die Brust. Beinahe gleichzeitig stieß der dunkelhaarige Krieger zu. Es war ein tödlicher Stoß. Der Verräter ging in die Knie und sank zu Boden.

Über das Kampfgeschehen hinweg sah der Highlander Alana für einen Moment an. Dann wankte er und fiel vornüber. Ringsum tränkte Blut den Schnee.

Alana hörte sich selbst laut aufschreien. Sie begann zu rennen, zwischen den englischen Rittern auf ihren Pferden hindurch, die davongaloppierten. Auch diejenigen, die eben noch zu Fuß gekämpft hatten, flohen. Zurück blieben der Trupp der siegreichen Hochlandkrieger, die Verwundeten und Sterbenden und die Toten.

Die Angst verlieh ihr unglaubliche Kraft. Alana lief um Gefallene herum, stolperte über den ausgestreckten Arm eines Toten. Jemand versuchte, sie zu packen, sie wich der Hand aus.

Dann hatte sie ihn erreicht. Sie sank neben ihm im Schnee auf die Knie.

„Ihr seid verletzt!“, rief sie.

Er sah sie durchdringend an und packte sie grob beim Handgelenk. „Wer seid Ihr?“

Wie gebannt, starrte sie in seine blauen Augen, in denen unverhohlener Argwohn stand. „Ihr blutet. Lasst mich Euch helfen.“ Doch er lockerte seinen Griff kein bisschen – sie konnte sich nicht rühren.

„Wollt Ihr mir helfen?“, stieß er hervor. „Oder seid Ihr darauf aus, mir etwas anzutun?“

2. KAPITEL

Alana hielt die Anspannung kaum aus. Der Highlander machte keine Anstalten, ihr Handgelenk freizugeben, und sein Blick schien sie zu durchbohren. „Dughall“, sagte er schroff, ohne sie aus den Augen zu lassen, „zieh den Dolch heraus.“

„Ja, Mylord.“ Ein muskulöser blonder Hüne kniete nun ebenfalls neben dem Verletzten und zog die Klinge ruckartig aus der Wunde. Im nächsten Moment quoll ein Schwall Blut hervor.

Alana unterdrückte einen Aufschrei. Der Highlander gab keinen Laut von sich, aber er wurde leichenblass und lockerte seinen Griff, sodass sie sich losreißen konnte. Sie griff nach ihren Rocksäumen, knäuelte sie zusammen und presste den Stoffbausch auf die Wunde, so fest sie konnte. War dieser Mann noch bei Trost?

„Sehr gekonnt, wie Ihr die Klinge habt entfernen lassen“, murmelte sie bissig. Gottlob hatte die Waffe sein Herz verfehlt. Der Stich befand sich ein ganzes Stück darüber, fast an seiner Schulter, wie sie erleichtert feststellte.

Er betrachtete ihr entblößtes Knie, während ein anderer seiner Männer ihr ein Stück Leinen reichte. Rasch drückte Alana es anstelle ihrer Röcke auf die Wunde, die nicht aufhörte zu bluten.

Der Mann, den der Highlander Dughall genannt hatte, kniete noch immer neben dem Verletzten und bot ihm einen Schlauch an, aus dem eine scharf riechende Flüssigkeit sickerte. Der dunkelhaarige Krieger setzte ihn sich an die Lippen und trank.

Alana begann zu zittern, doch nicht vor Kälte. Sie war sich der Anwesenheit des Highlanders, dem sie zu helfen versuchte, mit jeder Körperfaser bewusst. Seine Nähe überwältigte sie. „Die Wunde muss gesäubert werden. Und genäht“, klärte sie ihn auf.

Er maß sie mit eisigem Blick. „Weshalb solltet Ihr mir, einem Fremden, einen Dienst erweisen wollen?“

Alana konnte ihm keine Antwort geben. Sie wusste nicht, was sie dazu trieb, ihm zu helfen. Sie wusste nicht, wieso sie sich um ihn sorgte. Aber sie war erleichtert, dass er das Attentat überlebt hatte.

Sie hatte ebenso wenig eine Erklärung für ihre Erleichterung.

Als sie ihm die Antwort schuldig blieb, verdunkelten sich seine Augen vor Misstrauen. Er rappelte sich hoch, schaffte es, zum Stehen zu kommen, doch im nächsten Moment begann er zu schwanken wie ein Baum im Wind.

„Was tut Ihr da?“ Entsetzt warf sie einen Blick auf den blutgetränkten Leinenverband in ihren Fingern. Dann stand sie ebenfalls auf und versuchte, ihn zu stützen.

„Dughall, gib den Männern Befehl, die Zelte aufzustellen. Wir schlagen unser Lager für die Nacht hier auf.“ Ohne sie eines Blickes zu würdigen, schüttelte er sie ab und wandte sich zu dem zerstörten Landgut um. Es lag in Schutt und Asche, doch einige größere Balken brannten noch. Er wirkte zufrieden. „Diesen Hof wird keiner mehr als Hinterhalt gegen uns benutzen.“

Alana fiel ein, was sie über Bruce gehört hatte – dass sein Heer keinen Stein auf dem anderen ließ. Es schien wahr zu sein.

Der Highlander wandte sich zu ihr um. „Und nun zu Euch, mein Engel der Barmherzigkeit.“ Seine Stimme klang höhnisch.

Hitze stieg ihr in die Wangen. Er wirkte nicht sonderlich dankbar für ihre Hilfe. Eher ablehnend.

„Ich konnte Euch nicht verbluten lassen.“

Er drehte sich von ihr fort, als habe er nichts gehört. „Und, Dughall? Bring mir Nadel und Faden.“

„Wird gemacht, Iain.“ Dughall setzte sich in Bewegung.

Ihr Puls raste. Er heißt Iain. Was war so bedeutungsvoll daran für sie? Schnell sagte sie: „Ich sehe, dass eine schlichte Stichwunde Euch nichts anhaben kann. Dennoch solltet Ihr Euch schonen, Mylord.“

„Ein Engel – fürwahr!“ Wieder musterte der Highlander sie spöttisch. „Warum nicht? Warum wolltet Ihr einen Fremden nicht verbluten lassen?“

Sie wusste es selbst nicht.

„Wieso wart Ihr in dem Waldstück? Seid Ihr von dem Anwesen geflohen, als wir es angriffen?“ Sein Ton war scharf.

„Nein.“ Sie zögerte, als ihr einfiel, dass Eleanor sich noch in ihrem Versteck befand. In einer Stunde würde es dunkel sein, und er war ein Gefolgsmann von Robert Bruce. Er hatte gegen Duncans Ritter gekämpft. Wenn sie enthüllte, wer sie war oder wohin sie wollte – und erst recht, aus welchem Grund –, würde sie sich in Gefahr bringen. Denn er war ein Feind, auch wenn sie unerklärlicherweise nicht anders gekonnt hatte, als ihm zu helfen. „Ich bin auf dem Weg nach Nairn, Verwandte besuchen.“ Es war sicher keine schlechte Idee, so nahe wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben.

„Ihr reist allein?“ Der Zweifel in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Und dann werft Ihr Euch mitten in eine Schlacht, um einem Fremden zu helfen?“ Er starrte sie durchdringend an.

Sie befeuchtete sich die Lippen. Es war verständlich, dass er so misstrauisch reagierte. „Ich reise nicht allein. Meine Großmutter wartet mitsamt unserem Fuhrwerk und dem Zugtier im Wald. Wir hörten den Schlachtenlärm …“ Sie verstummte. Wie um Himmels willen sollte sie fortfahren?

„Und dann habt Ihr beschlossen, Euch den Kampf aus der Nähe anzusehen? Ihr werdet mir schon eine überzeugendere Geschichte auftischen müssen, Mylady.“ Er musterte sie von Kopf bis Fuß. „Wer seid Ihr? Wen besucht Ihr in Nairn?“

„Ich stamme nicht von der Burg“, brachte sie zustande. Hatte er sie gerade angesehen, als wäre sie ein Freudenmädchen, das seine Aufmerksamkeiten erwartete? „Wir sind einfache Leute, Bauern …“ Sie konnte kaum sprechen. Die Männer, die sie kannte, pflegten sie nicht auf diese Weise anzuschauen – dazu hatten sie zu viel Angst vor ihr.

Der Highlander blickte sie unverwandt an.

„Meine Großmutter hat Heiltränke dabei.“ Immerhin, das stimmte. Endlich bekam Alana wieder etwas Luft. „Wenn Ihr gestattet, werden wir Eure Wunde säubern, sie nähen und mit Salbe bestreichen. Aber dazu muss ich meine Großmutter herholen, Mylord. Sie ist eine alte Frau, und es ist kalt.“

Er drehte sich um. „Fergus, such das Waldstück nach einem Fuhrwerk mit einer alten Frau ab und bring sie her.“

Ein Hochlandkrieger mit langem blondem Haar kam dem Befehl nach.

Wenn Alana gehofft hatte, dass dies das Ende der Unterhaltung wäre, hatte sie sich getäuscht.

„Ihr habt mir immer noch nicht erklärt, weshalb Ihr mitten ins Schlachtgetümmel gelaufen seid, Mistress, anstatt Euch im Unterholz zu verbergen und zu beten, wie Frauen es in solchen Situationen zu tun pflegen“, hakte er nach.

Wieder wusste sie nicht, was sie antworten sollte.

Seine Augen verengten sich, er packte sie bei den Schultern und führte sie zu dem Zelt, das seine Gefolgsleute offenbar als Letztes errichtet hatten. Es war das größte von allen. Er schlug die Klappe vor dem Eingang zurück und bedeutete ihr, hineinzugehen.

Es war angenehm warm im Innern. Ein halbwüchsiger Bursche legte Felle aus und richtete eine Lagerstatt, ehe er das Zelt verließ. Von draußen drang der Duft von gebratenem Fleisch an ihre Nase – das Kochfeuer war offenbar angefacht. Alana schlang die Arme um den Oberkörper. Sie fühlte sich unbehaglich, nicht nur wegen ihrer Lügen. Die Dämmerung hatte vorhin eingesetzt, und der dunkelhaarige Highlander und sie befanden sich ganz allein in dem Zelt. Er war und blieb ein Feind. Ein Krieger. Das machte ihr Angst.

Dughall trat durch den Eingang, einen Leinenbeutel in der Hand. „Soll ich die Naht anbringen?“

Erschrocken wandte Alana sich zu dem Highlander um. „Mylord, die Wunde muss erst gesäubert werden.“ Wie leicht konnte er sich Wundfieber zuziehen und sterben, wenn der Stich nicht gereinigt wurde!

Ohne sie aus den Augen zu lassen, ließ Iain sich auf die Pritsche sinken und schob den Fellumhang über seiner Schulter zurück. Für einen kurzen Moment starrte Alana auf seinen breiten Brustkorb, die muskulösen Arme. Seine Tunika war blutgetränkt.

„Kommt her, Engel der Barmherzigkeit“, befahl er mit einem höhnischen Unterton.

Sie senkte den Blick und eilte zu ihm. „Es muss anhaltender Druck auf die Wunde ausgeübt werden.“ Sie versuchte, forsch zu klingen. „Sonst besteht die Gefahr, dass Ihr verblutet.“

„Gib ihr ein Messer“, befahl er Dughall, dann wandte er sich an Alana. „Schneidet die Tunika auf.“

Sie nickte und ergriff das Messer, das Dughall ihr reichte. Im nächsten Moment packte der Highlander ihr Handgelenk erneut. Alana erstarrte und begegnete seinem unbarmherzigen Blick.

„Wagt es nicht, irgendetwas Krummes zu versuchen, wenn Ihr Euch nicht meinen Zorn zuziehen wollt“, warnte er sie leise.

Sie nickte. Glaubte er wirklich, sie wolle ihn erstechen?

Er ließ sie los. Rasch schnitt sie die Tunika bis zum Gürtel auseinander, zog die beiden Teile zur Seite und tat so, als sähe sie weder das beeindruckende Muskelspiel seines Oberkörpers noch die dunkle Behaarung, die sich auf seiner Brust kräuselte, oder das goldene Kreuz, das er an einer Kette um den Hals trug. Dann streifte sie ihm den Stoff über die Schulter und legte eine tiefe Wunde frei, die wieder zu bluten begonnen hatte.

Dankbar nahm Alana das frische Verbandszeug, das Dughall ihr reichte, und presste es auf die Verletzung. Vor Schmerz sog Iain geräuschvoll die Luft ein. Ihre Blicke trafen sich.

„Es tut mir leid … Ich versuche, Euch so wenig wie möglich wehzutun.“ Sie war sich seiner Nähe überdeutlich bewusst und sah beiseite.

„Ihr habt keine Schwielen.“

Sie zuckte zusammen und sah ihn erschrocken an. Wovon redete er?

„An Euren Händen.“ Die Bemerkung hatte etwas Endgültiges, Triumphierendes.

Endlich ging ihr auf, was er meinte: Wenn du eine Bäuerin wärst, hättest du Schwielen an den Händen. Alana konnte ihn nur anstarren. Er hatte ihre Schwindelei durchschaut.

Der Highlander lächelte träge, gefährlich. „Wer seid Ihr, meine Dame? Und erzählt mir nicht, Ihr wärt eine Bauersfrau – ich kann es nicht leiden, wenn man mich belügt.“

„Man hat uns nach Nairn beordert“, gelang es ihr, zu antworten. „Meine Großmutter führt Heiltränke mit sich.“

„Eine Antwort, die keine ist.“

Ihre Wangen brannten. Sie wandte sich zu Dughall. „Könnt Ihr mir heißes Wasser und Seife bringen?“

„Aye, Mylady.“ Der blonde Hochlandkrieger schlüpfte aus dem Zelt.

„Die Wahrheit“, verlangte Iain.

Sein unverwandter Blick drohte sie aus der Fassung zu bringen. „Wir wissen nicht, warum man uns rufen ließ“, log sie verzweifelt. „Wahrscheinlich werden die Elixiere meiner Großmutter gebraucht.“

Bedächtig ließ er den Blick seiner blauen Augen über ihr Antlitz gleiten. Ob er ihr glauben würde, obwohl sie so schamlos log? Und schlecht obendrein? Duncan of Frendraught war sein Feind – würde es ihr überhaupt nützen, wenn sie nicht die Wahrheit sagte? „Aber Ihr solltet nicht sprechen. Sondern Euch ausruhen.“

„Ihr versteht Euch nicht auf diese Sorte Spielchen. Ihr habt keine schnellen Antworten parat.“ Er klang nachdenklich.

Sie hob den Verband, um zu sehen, ob die Wunde noch blutete, und war erleichtert, als sie feststellte, dass die Blutung zum Stillstand gekommen war. „Ein Leben zu retten ist kein Spielchen.“

„Ihr könnt oder wollt mir nicht sagen, wer Ihr seid“, fuhr er gedankenvoll fort. „Ein Spitzel wäre vorbereitet.“

„Ich bin kein Spitzel, Mylord“, erklärte Alana kurz angebunden. Er glaubte, sie sei eine Spionin? Wie beängstigend! „Ich bin völlig unbedeutend.“

Er schenkte ihr ein kaltes Lächeln. „Ihr seid bedeutend, Mädchen, sonst würdet Ihr mir nichts vorlügen. Und“, er machte eine wirkungsvolle Pause, „Ihr fasziniert mich.“

Bestürzt sah sie ihn an. Sein Interesse war ihr unwillkommen. Ganz und gar unwillkommen!

„Eine junge Frau, allein im Wald mit ihrer Großmutter, nicht weit entfernt von Nairn. Eine junge Frau, die das Schlachtgetümmel nicht flieht, sondern sich hineinstürzt – und einen völlig Fremden vor Verrat warnt. Wie lange, glaubt Ihr, werde ich brauchen, um Euren Namen herauszufinden?“

Wenn er herausfinden wollte, wer sie war, würde es ihm sicher alsbald gelingen. Man kannte sie und Eleanor in der Gegend. Aber bis dahin wäre sie längst wieder fort. Hoffte sie jedenfalls.

„Und Ihr, Mylord? Ihr führt Bruces Banner. Ihr führt diesen Trupp Männer an. Ihr kommt aus dem Hochland. Eurer Mundart nach würde ich sagen, von den Inseln im Westen.“

„Im Gegensatz zu Euch, Mylady, habe ich nichts zu verbergen. Ich bin Iain of Islay.“

„Iain ist ein Name, der ziemlich oft vorkommt“, gab Alana ruhig zurück, doch ihr Herz tat einen Satz. Sie hatte von Iain of Islay gehört – einem Krieger, den man Iain den Erbarmungslosen nannte. Verwandt mit Alasdair MacDonald, dem Herrscher der Inseln, und dessen Bruder, Angus Og. Man sagte ihm nach, dass er rücksichtslos, blutrünstig und unbesiegbar sei.

„Habt Ihr Angst?“

Dughall kam zurück, und Alana zwang sich, Iain of Islay anzusehen. „Ich hasse den Krieg. Ich hasse den Tod. Natürlich habe ich Angst. So viele Männer sind heute gestorben.“

Unverwandt erwiderte er ihren Blick.

„Seid Ihr ein Vetter von Angus und Alasdair MacDonald?“ Sie musste ihn einfach fragen.

„Dann kennt Ihr mich also“, stellte er leise fest.

Er war es. Dieser schwarzhaarige Mann war der barbarische Highlander, der sich Iain der Erbarmungslose nannte, der Krieger, der niemals einen Feind am Leben ließ.

Und sie befand sich in seinem Lager – in seinem Zelt.

Sie sprang auf die Füße, tat einen Schritt rückwärts, fort von der Pritsche. „Ich … hörte von Euch.“

Er gab einen Laut von sich, in dem eindeutig Befriedigung mitschwang. Und dann trat plötzlich Eleanor in das Zelt, zitternd, gefolgt von Fergus. Die Spannung verflüchtigte sich augenblicklich.

„Endlich!“ Erleichtert umarmte Alana ihre Großmutter. „Ist dir kalt? Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.“

„Ich habe mich eine Weile ans Feuer gestellt, um mich aufzuwärmen, Alana.“ Eleanor drückte sie an sich.

Alana zuckte unmerklich zusammen. Nun wusste Iain, wie sie hieß. Wenn er Nachforschungen anstellte, würde er morgen schon wissen, dass sie Elisabeth le Latimers illegitime Tochter war, von Brodie Castle kam und dass ihr Vater Sir Alexander war. Wahrscheinlich erfuhr er dann auch, dass man sie für eine Hexe hielt.

Sie musste das Lager verlassen, ehe er etwas über sie herausfand.

Iain ließ sie und Eleanor nicht aus den Augen. „Eure Enkelin hat sich vorbildlich um mich gekümmert, alte Frau.“

„Ich hätte nichts anderes erwartet. Niemand ist so gütig wie sie“, antwortete Eleanor gelassen. „Gestattet Ihr, dass ich mich ebenfalls um Euch kümmere, Mylord?“

„Er ist Iain, Großmutter.“ Alana merkte, wie er sie beiläufig ansah, und setzte hinzu: „Iain MacDonald.“

Eleanor trat zu seiner Lagerstatt, kniete sich an seine Seite und nannte ihren Namen, genau wie Alana befürchtet hatte. „Ich heiße Eleanor. Eine tiefe Stichwunde, die Ihr da habt. Sie wird genäht werden müssen. Alana, bring mir die Schüssel mit dem heißen Wasser.“

Sofort bemerkte Alana die Belustigung in Iains Blick. Nun kannte er auch den Namen ihrer Großmutter. Wenn er sich entschloss, Erkundigungen über sie einzuziehen, würde er im Handumdrehen wissen, dass sie von Brodie Castle kamen. Es war praktisch ein Kinderspiel.

Sie mussten sein Lager so schnell wie möglich verlassen.

Alana tat, wie ihre Großmutter ihr geheißen. Dann sah sie schweigend zu, wie Eleanor die Wunde auswusch, mied jedoch Iains Blick, obwohl sie sich indes mit jeder Faser ihres Körpers bewusst war, dass er sie beobachtete.

„Alana hat eine ruhigere Hand als ich, und sie macht kleinere Stiche“, sagte Eleanor, als sie fertig war. „Ich überlasse es ihr, die Naht zu legen, Mylord.“

„Nennt mich Iain“, korrigierte er sie. „Ich bin nur ein viertgeborener Sohn.“

Ein viertgeborener Sohn also. Alana reichte ihm den Schlauch mit dem, wie sie vermutete, Whisky. Jüngere Söhne pflegten entweder Kirchenmänner zu werden oder Glücksritter. Er hatte anscheinend Letzteres gewählt. „Ich brauche mindestens zwei Männer, die Euch festhalten.“

Gierig trank er einen großen Schluck aus dem Schlauch. „Ihr werdet keinen brauchen. Gebt mir das Messer.“

Er würde genauso wenig still liegen können wie alle anderen Männer, wenn sie ihm die Nadel ins Fleisch stach. „Mylord …“

„Gebt mir das Messer, Alana“, befahl er erneut.

Langsam atmete sie aus. Es war beunruhigend, verstörend, dass er sie bei ihrem Namen nannte.

Sie gab ihm das Messer und schnappte sich die eingefädelte Nadel. Er würde ihr die Arbeit nur erschweren. Wenn er anfing, sich zu winden, würde es schwierig werden, eine ordentliche Naht zu legen. Männer und ihr dummer Stolz!

Iain nahm den Griff des Messers zwischen die Zähne.

Vorsichtig stach sie die Nadel in die Haut. Er spannte sich an und gab einen rauen Laut von sich, ohne indes auch nur zu zucken.

Alana hütete sich, ihn anzusehen. Rasch und entschlossen brachte sie zehn Stiche an, sodass die Wunde völlig geschlossen war. Iain bewegte sich nicht ein einziges Mal, zuckte während der ganzen Prozedur nicht einmal zusammen. Am Ende verknotete sie den Faden, und Eleanor schnitt ihn durch. Nun endlich wagte Alana es, Iain anzusehen.

Er hatte die Augen geschlossen, lange dichte Wimpern beschatteten seine Wangen. Sein Gesicht war kalkweiß und glänzte schweißnass. Ob er das Bewusstsein verloren hatte? Sie hoffte es für ihn.

Als Eleanor Salbe auf die Wunde zu streichen begann, flogen seine Lider auf, und sein Blick suchte Alanas, nicht den ihrer Großmutter. „Ich danke Euch.“

„Ihr dürft jetzt nicht sprechen“, erwiderte sie leise. „Normalerweise verlieren Männer das Bewusstsein bei dieser Tortur. Ihr solltet schlafen.“

Er musterte sie eingehend. „Engel“, flüsterte er schließlich.

Alana verspürte ein merkwürdiges Flattern in der Magengrube. Diesmal hatte kein Spott in seiner Stimme gelegen. Sie hob den Whiskyschlauch an seine Lippen, sodass er trinken konnte. Kurz darauf fielen ihm die Augen zu, und sein Atem vertiefte sich. Er war eingeschlafen.

Erschöpft setzte sie sich auf die Fersen. Was war gerade geschehen?

Er war der Krieger aus ihrer Vision, ein Fremder, und sie saß dessen ungeachtet in seinem Zelt neben ihm und kümmerte sich um seine Verwundung! Aus welchem Grund hatte sie die heutige Schlacht vorhergesehen – und ihn? Und warum lag ihr so viel an seinem Wohlergehen? Warum wollte sie ihn unbedingt vor dem Tod bewahren? Er war ein barbarischer Highlander, berüchtigt für seine Gnadenlosigkeit in der Schlacht.

Sie vermochte den Blick nicht von ihm abzuwenden. Im Schlaf wirkten seine strengen Züge gelöst; mit seinem dunklen Haar und dem wie gemeißelt wirkenden Gesicht war er attraktiv wie alle Männer aus dem Clan der MacDonald. Und wie alle Hochlandkrieger war er groß und von athletischer Statur, mit vom langjährigen Gebrauch des Schwertes und der Streitaxt gestählten Armen – und Beinen, denen man ansah, dass er es gewohnt war, auf Pferden zu reiten und Berge zu überwinden.

Wer war dieser Mann, dem man eine beinahe tödliche Verletzung beigebracht hatte? Der bei Bewusstsein blieb, während sie die Wunde nähte, und der seine Männer weit fort von zu Hause in die Schlacht führte? Der Mann, den man Iain den Erbarmungslosen nannte? Ließ er tatsächlich keinen Feind am Leben?

Aber sie hatte doch mit eigenen Augen gesehen, wie er die Frau und deren Kinder aus dem brennenden Haus gerettet und dabei das eigene Leben aufs Spiel gesetzt hatte!

Etwas in ihr sträubte sich dagegen, dass sie Feinde sein sollten, auch wenn die Umstände sie dazu machten. Aber obwohl sie es bis jetzt geschafft hatte, ihm die Wahrheit über ihre Herkunft und ihren Vater zu verschweigen, würde er bald herausfinden, dass sie eine Comyn war.

Würde er ihnen gestatten, zu gehen, wenn er zu sich kam? Sollten sie versuchen, das Lager vorher zu verlassen?

Eleanor hatte die Wundsalbe aufgetragen und legte ein frisches Leinentuch darauf. Sie fixierte Alana mit forschendem Blick. „Ich will ihn nicht wecken, um ihm den Verband anzulegen. Wir können ihn morgen verbinden.“

„Morgen?“ Alana sah erschrocken auf. „Ich finde, wir sollten aufbrechen, ehe er zu sich kommt. Ehe er herausfindet, wer mein Vater ist.“

Eleanor nahm ihre Hand. „Wir können jetzt nicht aufbrechen. Es ist zwar nur ein kurzer Fußmarsch bis Nairn, aber die Dämmerung hat eingesetzt, und bald ist es dunkel draußen.“

Großmutter hatte recht, sie konnten nicht verschwinden. Alana heftete den Blick auf Iain. Er schlief fest, seine Gesichtszüge waren gelöst wie die eines Kindes. Sie hatte dennoch Angst vor ihm. Er misstraute ihr.

„Sag, was ist passiert?“, drang Eleanor flüsternd in sie.

Alana wandte sich zu ihr um und ergriff nun die schmalen Hände der Älteren. „Es war genau, wie ich es vermutet hatte, Gran! Bei dem Gefecht um Boath Manor handelte es sich um den Kampf in meiner Vision – und er ist der Fremde, von dem ich sah, dass er von seinem Gefolgsmann verraten wird.“

Die beiden Frauen starrten einander an.

„Ich verstehe es nicht“, murmelte Alana schließlich.

Eleanor schüttelte den Kopf. „Ich auch nicht. Aber eines Tages werden wir wissen, was diese Vision bedeuten sollte und weshalb du diesen Mann gesehen hast. Im Augenblick ist es aber müßig, das herausfinden zu wollen. Heute Nacht bekommen wir keine Antworten.“

Alana erkannte, dass die Großmutter erschöpft war. Sie nahm die alte Frau in den Arm. „Ich hätte dich nicht mitkommen lassen sollen. Du könntest warm und sicher in deinem Bett auf Brodie Castle liegen und schlafen!“

„Es war nicht deine Entscheidung, Mädchen.“ Eleanor lächelte. „Was macht dir solche Sorgen?“ Zu gut kannte sie ihre Enkelin.

„Er gehört zu den Feinden. Er führt Bruce Banner. Er hat Duncans Soldaten angegriffen.“ Alana schüttelte langsam den Kopf. „Was, wenn er uns nicht gehen lässt? Er ist misstrauisch mir gegenüber.“ Sie fügte nicht hinzu, dass sie ihm niemals von ihren Visionen erzählen würde.

„Wenn er erfährt, dass du die Nichte des Earl of Buchan bist, werden wir ihm ohnehin reinen Wein einschenken müssen. Und beten, dass wir für ihn keinen Wert als Geiseln haben.“

Alana zögerte. Buchan und Bruce waren erbitterte Feinde, die einander am liebsten tot sehen wollten. Bruce wäre sicher angetan, wenn er sie zur Geisel nehmen könnte, selbst wenn kein Lösegeld dabei heraussprang. Sie bezweifelte, dass Iain sie ohne Weiteres fortziehen ließ, wenn er die Wahrheit erfuhr. Er wirkte ehrgeizig auf sie – und absolut skrupellos. Auch wenn sie ihm erklärten, dass Alana ihrem Onkel und ihrem Vater gleichgültig war und die Comyns kein Lösegeld für sie zahlen würden, konnte es gut sein, dass Iain of Islay ihnen nicht glaubte. Und selbst wenn er es tat – das Ahnungsvermögen sagte ihr, dass er ein widersprüchlicher Mensch war und dass sein Verhalten jeder Berechenbarkeit entbehrte. Es konnte durchaus sein, dass er sie als sein Ass im Ärmel betrachtete.

Sie warf einen Blick in seine Richtung. Reglos lag er da und schlief. Er war erschreckend attraktiv, auf eine enorm kraftvolle, männliche Weise.

Autor

Brenda Joyce

Brenda Joyce glaubt fest an ihre Muse, ohne die sie nicht New York Times Bestseller-Autorin hätte werden können. Ihre Ideen treffen sie manchmal wie ein Blitz – zum Beispiel beim Wandern, einem ihrer Hobbys neben der Pferdezucht. Sie würde sich niemals ohne eine Inspiration an den Schreibtisch setzen und einfach...

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