Gefährlich erregende Nähe

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Die sexy Fremde an der Bar flirtet so heiß mit Lennox, dass er sich auf einen One-Night-Stand einlässt. Ein Fehler? Er steckt im Wahlkampf für das Amt des New Yorker Bürgermeisters – und Amara entpuppt sich als die Anwältin seines Rivalen! Hat sie ihn in eine Falle gelockt?


  • Erscheinungstag 17.04.2025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751537179
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kira Sinclair

Gefährlich erregende Nähe

1. KAPITEL

Verdammt, das kann doch wohl nicht …! Kinley Sullivan blickte auf den Computerbildschirm und sah nur Nullen blinken. Was war denn da passiert?

Sie wünschte sich, das hier wäre nur ein Alptraum, aus dem sie gleich erwachen würde. Doch sie wusste, es war Realität, bittere Realität.

Von einer Sekunde auf die andere war sie pleite. Völlig mittellos. Das gesamte Geld war weg. Fast 50 Millionen Dollar – einfach verschwunden.

Was der Katastrophe noch die Krone aufsetzte: Jemand hatte sie auf ihrem eigenen Feld geschlagen. So, wie sie sonst die Konten anderer leer räumte, waren jetzt ihre Konten leer geräumt worden. Das fühlte sich verdammt demütigend an.

Jeder Dollar, jeder Cent – alles weg. Das bedeutete auch, dass sie jetzt nicht mehr die finanziellen Mittel hatte, sich weiterer Angriffe zu erwehren. Und die würden kommen, da war sie sich sicher.

Ihre Vergangenheit hatte sie eingeholt.

Verdammt, sie hatte gedacht, sie würde mehr Zeit haben. Mehr Zeit, um Gutes zu tun. Mehr Zeit, Dinge wiedergutzumachen.

Kinley hatte immer gewusst, dass früher oder später eines ihrer Opfer sie finden würde. Man bestahlnicht die Mächtigen, die Gewissenlosen, die Verbrecher, ohne in ihnen Rachegelüste auszulösen. Wenn sie bedachte, dass sie jetzt schon fast zwölf Jahre in diesem „Geschäft“ tätig war – sie hatte mit sechzehn angefangen –, war es eigentlich überraschend lange gutgegangen.

Leider würde derjenige, der sie jetzt gefunden hatte, sich kaum damit begnügen, sein Geld zurückzuhaben. Nein, er würde zusätzlich Rache nehmen wollen, garantiert! Und wenn dieser Mensch ihre Konten gefunden hatte, dann würde er mit Sicherheit auch sie finden!

Sie schoss aus ihrem Stuhl hoch und durchquerte das Wohnzimmer des Penthouses, in dem sie das vergangene Vierteljahr gewohnt hatte. Im Schlafzimmer schnappte sie sich die Fluchttasche, die sie für Fälle wie diesen stets und ständig bereithielt. Bisher hatte sie sie noch nie gebraucht …

Vor einem Jahr war es zum ersten Mal so richtig brenzlig geworden; damals war es zu dem Vorfall mit der Russenmafia und ihrem Halbbruder gekommen. Damals hatte sie auch zum ersten Mal ihrem Halbbruder von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, von dessen Existenz sie erst erfahren hatte, als sie sechzehn war. Nach dem Erlebnis mit den Russengangstern war ihr auch bewusst geworden, dass sie möglicherweise irgendwann von Knall auf Fall verschwinden und ihre gesamte Ausrüstung zurücklassen müsste.

Ganz offensichtlich war dieser Tag jetzt gekommen.

Kinley schnappte sich den USB-Stick, der als Kettenanhänger getarnt war, und hängte ihn sich um den Hals. Das kühle Metall ruhte nun unter ihrem T-Shirt zwischen ihren Brüsten. Sie wusste noch nicht, was sie damit tun würde, aber die belastenden Beweise waren zu wichtig, als dass sie sie mit den anderen Dingen zurücklassen würde.

Gerade wollte sie ihren Laptop in ihren Rucksack packen, als das Benachrichtigungsgeräusch ertönte; sie hatte eine E-Mail erhalten.

Sie öffnete den Laptop und sah, dass die gerade eingetroffene Mail weder einen Betreff noch eine Absenderangabe aufwies. Sehr ungewöhnlich. Ihr Herz schlug wie wild, als sie den Inhalt aufrief.

Sie las den Text und stieß laut mehrere Flüche aus.

Dieser dreckige Bastard! Sie würde ihn umbringen!

Jameson Neally, auch bekannt unter seinem Spitznamen Joker, lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. Der Stuhl war eine Spezialanfertigung und hatte ihn ein kleines Vermögen gekostet, aber wenn man bedachte, dass er fast sechzehn Stunden am Tag vor dem Computer verbrachte, war das Geld gut angelegt. Außerdem konnte er es sich leisten …

Es war dunkel im Raum, nur etliche Computerbildschirme leuchteten. Es war spät, aber es hätte auch nichts geändert, wenn draußen Mittagszeit gewesen wäre. Kein Licht von außen drang hier ein, in diesen Keller, in dem er sein Büro eingerichtet hatte. Und genau so wollte er es auch. Nicht, weil er etwas gegen Sonnenlicht hatte. Sondern weil er etwas gegen neugierige Nachbarn hatte.

Er blieb meistens für sich. Manchmal ließ es sich jedoch nicht vermeiden, dass er ein paar Worte mit dem Ehepaar nebenan oder der älteren Dame mit den vier Katzen gegenüber wechselte. Er blieb dann immer freundlich, aber unverbindlich und gab nichts über sich oder seinen Beruf preis.

Man konnte ja nicht wissen, ob die Eigentümergemeinschaft vielleicht irgendetwas dagegen hatte, dass ein Profi-Hacker im Keller seinem Gewerbe nachging.

Man konnte die Gegend und die Nachbarn als obere Mittelklasse bezeichnen. Unmengen von Reihenhäusern, die alle gleich aussahen und für den Platz, den sie boten, eigentlich viel zu teuer waren. Aber heutzutage war das schon normal.

Er fühlte sich hier zu Hause.

Er hatte sich dieses Durchschnittshaus vor ein paar Jahren gekauft, weil er hier unauffällig leben konnte, aber nach und nach war ihm bewusst geworden, dass es ihm hier wirklich gut gefiel. Die Atmosphäre, die Nachbarschaft war so ungefähr wie die, in der er mit seinen Eltern zusammen aufgewachsen war. Bis seine Eltern dann verstorben waren und ihn ganz allein zurückließen.

Tampa im Bundesstaat Florida bot ihm viel Sonnenschein, auch wenn er das viel zu wenig nutzte. Die Stadt war groß genug, dass er hier im Notfall unauffällig in der Menge untertauchen konnte.

Aber all das war ihm im Augenblick nicht so wichtig. Im vergangenen Jahr hatte er in jeder freien Minute, die ihm nach Erledigung seiner anderen Jobs blieb, eine Frau überwacht. Nicht, weil er dafür bezahlt wurde – obwohl er das wurde –, sondern weil es ihm ein ganz persönliches Anliegen war. Nichts hätte ihn davon abbringen können.

Diese Kinley Sullivan faszinierte ihn; sie hatte ihn von Anfang an fasziniert, als sie zum ersten Mal auf seinem Computermonitor erschienen war. Sie war brillant, einfallsreich, man konnte fast schon sagen: genial. Und sie war ein Einzelgängertyp, genau wie er.

Er hatte sie zwar noch nie persönlich getroffen, aber dennoch verband sie beide etwas.

Joker schloss die Augen und lehnte sich zurück. Er seufzte tief. Kinley Sullivan würde ihn mit Sicherheit am liebsten umbringen für das, was er ihr gerade angetan hatte. Dabei hatte er durch seine Tat vermutlich verhindert, dass sie umgebracht wurde. Zumindest, dass sie heute noch umgebracht wurde. Wenn sie klug genug war, das Flugticket zu nutzen, das er ihr gerade auf elektronischem Weg zukommen lassen hatte.

Natürlich, sie würde vor Wut kochen, weil er ihr gesamtes Geld gestohlen hatte. Aber so erging es einem eben, wenn man sich über ein Jahr lang jeder Kontaktaufnahme verweigerte und einige wirklich, wirklich böse Menschen einen dann aufspürten.

Joker wusste nicht mal, wer diese Bösewichte überhaupt waren, aber das war auch egal. Kinley war sehr gut darin, mächtige und skrupellose Leute gegen sich aufzubringen. Wer es in diesem Fall war, der es auf sie abgesehen hatte, würde er ja von ihr erfahren, wenn sie bei ihm auftauchte.

Er konnte nur hoffen und beten, dass sie bei ihm auftauchte!

Wenn Gray Lockwood, Kinleys Halbbruder und Jokers Freund und gelegentlicher Auftraggeber, herausbekam, was Joker getan hatte …! Nein, er würde diese Methoden ganz sicher nicht gutheißen. Aber Joker hatte nicht wirklich eine Wahl gehabt. Er war ja schon seit Monaten hinter Kinley her, und bisher war sie ihm immer einen Schritt voraus gewesen.

Das war frustrierend und kratzte an seinem Selbstbewusstsein. Ganz davon abgesehen, dass es ja schließlich darum ging, Kinley das Leben zu retten. Beim letzten Mal, als Gray und er sie aufgespürt hatten, schoss gerade die Russenmafia auf sie. Kinley geriet immer und immer wieder in hochgefährliche Situationen, und aus irgendeinem Grund hatte Joker diesen unbezähmbaren Drang danach, sie zu beschützen.

Und das bedeutete auch, sie vor sich selbst zu schützen.

Sie war ganz alleine, und das schon seit langer Zeit. Dabei gab es ja sogar Menschen, die ihr helfen wollten. Gray hatte ihm die Anweisung gegeben, keinen Druck auszuüben, sondern sie nur zu überwachen. Er wollte, dass Kinley sich aus eigenem Antrieb zur Kontaktaufnahme entschloss.

Joker verstand durchaus, warum das Gray so wichtig war. Kinley musste aus freien Stücken entscheiden, ob sie ihnen vertrauen wollte. Davon abgesehen verstand Gray am allerbesten, was es bedeutete, seine Freiheiten aufzugeben. Denn er hatte zehn Jahre im Gefängnis verbracht – für ein Verbrechen, das er gar nicht verübt hatte.

Was die ganze Angelegenheit zusätzlich verkomplizierte: Es war Kinley gewesen, die ihn dieses Verbrechens bezichtigt hatte. Sicher, sie hatte zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich gewusst, was sie tat und wen sie da in den Abgrund riss, aber trotzdem …

Es war schon ein ziemlicher Kuddelmuddel!

Auf jeden Fall hatte Joker sich bisher zurückgehalten, hatte nur beobachtet und abgewartet. Bis zum heutigen Abend.

Sicher würde Gray Jokers Plan nicht gutheißen, aber jetzt war es zu spät, die Sache war angelaufen. Kinleys Geld war futsch; es lag jetzt auf einem seiner eigenen Offshore-Konten. Joker würde Gray erst mal noch heraushalten. Zumindest so lange, bis Kinley wirklich auftauchte und er besser einschätzen konnte, wie groß die Gefahr wirklich war, in der sie steckte.

„Sie Arschloch!“

Die weibliche Stimme ließ Joker herumfahren. Ihm war klar, es konnte nur eine Person sein. Allerdings war er überrascht, wie früh sie hier auftauchte. Das Flugzeug, für das er ihr auf digitalem Wege ein Ticket geschickt hatte, würde erst in einigen Stunden landen …

Wie zum Teufel hatte sie ihn gefunden? Und wie hatte sie es hier herein in sein Allerheiligstes geschafft, ohne eine der Alarmanlagen auszulösen?

Sein Herz schlug schnell. Nein, Angst hatte er nicht, denn für gewalttätig hielt er Kinley nicht. Dennoch war es sein Plan gewesen, sich mit ihr in einem gut besuchten Café zu treffen. Dort, in einem öffentlichen Raum, wo man nicht unangenehm auffallen wollte, hätte sie vielleicht noch am ehesten seinen Erklärungen zugehört, ohne auszuflippen. Er hätte ihr in aller Ruhe verständlich gemacht, dass er ihr Geld nicht wirklich geraubt hatte, sondern nur kurzzeitig anderswo platziert.

Na ja, den Plan mit dem Café konnte er jetzt vergessen.

Erstaunlicherweise waren ihm an ihr als Erstes ihre blauen Augen aufgefallen, blaue Augen, die zornig funkelten. Erst danach war ihm bewusst geworden, was sie in der Hand hielt. Eine Pistole. Eine Pistole, die auf ihn gerichtet war.

Kinley ging auf ihn zu. Innerlich spannte er sich an, bereit, sie anzugreifen, falls es nötig sein würde, aber er hoffte, es würde nicht nötig werden. Schließlich wollte er sie ja beschützen, nicht verletzen.

Noch immer kam sie ihm näher, die Waffe auf ihn gerichtet. Er glaubte an ihrer Körpersprache ablesen zu können, dass sie nicht schießen würde – aber hundertprozentig sicher konnte er sich dessen natürlich nicht sein. Andererseits wusste er, dass sie – von allen Fehlern, die sie haben mochte, abgesehen – im Kern so etwas wie ein guter Mensch war. Denn nur ein Mensch mit Charakter bestahl beispielsweise Drogenhändler, um ihr Geld dann gleich anschließend an Hilfsorganisationen für Drogensüchtige zu spenden.

„Wo ist mein Geld?“, zischte sie.

Joker hielt die Hände hoch, um sie von seiner Wehrlosigkeit und Friedlichkeit zu überzeugen, und erhob sich ganz langsam. „Warum legen Sie nicht erst mal die Waffe weg, Kinley?“

„Warum geben Sie mir nicht erst mal mein Geld zurück, Jameson?“

Aha, sie kannte seinen wirklichen Namen. Den kannten nur wenige. Sein Kontaktmann beim FBI, ihr Bruder und seine Partner bei der Detektei Stone Surveillance, außerdem noch der einzige Freund aus seiner Kinderzeit, mit dem er noch Kontakt hatte. Er wusste ja, dass Kinley auf ihrem Gebiet fast unschlagbar war, aber dass sie seinen Namen hatte ermitteln können, das überraschte ihn dann doch.

„Sie bekommen das Geld zurück, Kinley. Versprochen.“

Seine Beteuerung schien sie zu beruhigen. Sie ließ die Waffe sinken.

„Die ganze Aktion hat nur dem Ziel gedient, Kontakt zu Ihnen zu bekommen“, versicherte er ihr.

Sie verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. „Warum haben Sie nicht einfach nett gefragt?“

Er sah sie erstaunt und ungläubig an. „Na hören Sie mal, Kinley. Seit fast einem Jahr versuche ich ständig, Kontakt mit Ihnen aufzunehmen. Aber Sie haben mich durchgehend ignoriert.“

„Vielleicht hätten Sie etwas netter fragen müssen. Oder einfach akzeptieren, dass ich an einem Treffen nicht interessiert bin.“

Ganz langsam trat Joker auf sie zu. Sie blieb ruhig stehen. „Ich musste Sie einfach in die Ecke treiben, damit Sie mir endlich zuhören“, beteuerte er. „Sie schweben in großer Gefahr, Kinley.“

Sie lachte auf. „Erzählen Sie mir lieber was Neues. Natürlich schwebe ich in Gefahr. Ich habe eine Menge wirklich böser Jungs gegen mich aufgebracht. Gray hat mich beim letzten Mal davonkommen lassen, und ich habe nie verstanden warum. Ich wusste, dass Sie für ihn arbeiten. Vielleicht wollte er sich seine Rache für später aufsparen …“

Sie schien von jedem Menschen nur das Schlechteste zu erwarten. Irgendwie auch kein Wunder, wenn er an ihre Vorgeschichte dachte. Sie war ihr Leben lang nur übervorteilt und ausgenutzt worden.

Er beobachtete sie ja schon seit Monaten. Daher wusste er, dass sie niemanden an sich heranließ. Sie hatte keine Freunde. Sie hatte ja nicht mal Bekannte! Und auch keinen Wellensittich oder Goldfisch.

Ein Einzelgänger erkannte einen anderen sofort. Vielleicht fühlte er sich deshalb so verwandt mit ihr …

„Kinley, damit wir das gleich klarstellen: Gray hat mit der Sache nichts zu tun. Er weiß auch nicht, was hier gerade läuft. Und die Gefahr, von der ich gesprochen habe – die ist ernster als das Übliche. Viel, viel ernster. Diesmal handelt es sich nicht um irgendeinen südamerikanischen Drogenboss oder einen osteuropäischen Waffenhändler. Bei den Leuten bekommt man schnell heraus, wer sie sind, und man kann sie relativ leicht überwachen. Aber hier liegt der Fall anders.“ Er seufzte. „Ich weiß nicht, wen Sie diesmal verärgert haben – aber da lief ein richtig großes Ding gegen Sie, und was immer es war, die Bombe wäre schon in Kürze geplatzt. Deshalb musste ich dringend mit Ihnen sprechen, und weil ich wusste, dass Sie vernünftigen Argumenten ja doch nicht zugänglich sind, habe ich das mit dem Geld gemacht …“

Sie umfasste den Griff der Pistole fester. „Sie haben mir alles genommen, all mein Geld“, murmelte sie, „nur um mit mir zu sprechen? Ist Ihnen da nichts anderes eingefallen?“

Jameson zucktemit den Schultern und zeigte einen Anflug von Lächeln. „Hat doch geklappt.“

Sie hob die Waffe wieder – und zielte auf ihn. Er spannte sich an, versuchte, in ihren Augen zu lesen. Natürlich, sie war wütend auf ihn, fuchsteufelswild, aber sie würde doch sicherlich nicht auf ihn schießen. Oder …?

Irgendwie konnte er sie verstehen, ihre Wut, ihr Misstrauen. Kinley Sullivan befand sich auf der Flucht, seit sie sechzehn war. Ganz allein, mit niemandem an ihrer Seite, dem sie trauen konnte. Sie war vor ihren Eltern davongelaufen, vor dem Verbrecherleben, das sie in Las Vegas führten.

„Hören Sie mir zu, Kinley“, sagte er beschwörend. „Ich kann alles belegen, ich zeige Ihnen die Konten, wenn Sie wollen. Das Geld ist da, es ist nur im Moment woanders. Aber sagen Sie mir einfach, wohin Sie es überwiesen haben möchten, und ich schicke es sofort los. Ich will Sie nicht berauben, Kinley, wirklich nicht. Ich will Ihnen nur helfen. Ich will nur, dass Sie in Sicherheit sind.“

Noch immer hielt sie die Pistole auf ihn gerichtet, aber er erkannte den Zweifel in ihren Augen. „Und Ihr Bruder … der will auch nur das Beste für Sie.“

Sie lachte höhnisch auf. „Ja, na klar doch. Wahrscheinlich als Dank dafür, dass ich sein Leben ruiniert habe.“

Natürlich, sie glaubte, das hätte sie getan, aber die Wahrheit war um einiges komplizierter. „Nein, Sie haben sein Leben nicht ruiniert, aber das sollten Sie mit ihm klären.“

„Versuchen Sie nicht, mich besoffen zu quatschen, Jameson. Ich weiß doch, sobald ich die Waffe weglege, springen Sie auf mich zu, überwältigen mich und verfrachten mich zu meinem Bruder.“

Irgendwie kränkte es ihn, dass sie ihm so misstraute, obwohl es andererseits völlig verständlich war.

„Wenn Gray wirklich wollte, dass ich Sie gewaltsam zu ihm bringe, hätte er das schon vor Monaten haben können“, argumentierte er.

„Ach ja, wirklich?“, fragte sie spöttisch lächelnd. „Wir wissen doch beide, dass Sie mich schon seit einem Jahr jagen – nur gekriegt haben Sie mich nie. Sie waren immer ein Sekündchen zu spät dran.“

Ja, damit hatte sie recht. Das war eine Schlappe für ihn. Aber umso mehr faszinierte ihn diese Frau …

Er war verdammt gut in seinem Job, das wusste er. Aber vielleicht, nur vielleicht, war sie sogar noch ein bisschen besser. Das hätte er natürlich niemals zugegeben. Nicht mal, wenn sie ihm ihre Pistole direkt an den Kopf gehalten hätte.

„Hören Sie, Kinley, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Das alles hier hat mit Gray nichts zu tun. Sie waren in großer Gefahr, nur deshalb habe ich zu diesem Mittel gegriffen. Aber wie gesagt, Ihr Geld ist ja nicht weg.“

Ganz vorsichtig, um sie nur nicht zu reizen, bewegte er sich seitwärts zu dem Computer, der ihm am nächsten stand, und tippte mit einem Finger auf der Tastatur herum. Aus seinem Blickwinkel hatte er nur eingeschränkte Sicht auf den Monitor, aber er wusste ja, was er ihr zeigen wollte. „Schauen Sie selbst, Kinley. Alles in bester Ordnung.“

Sie warf einen Blick auf den Monitor. „Soll das ein Witz sein?“, stieß sie hervor. „Falls ja, kann ich darüber nicht lachen. Ich sehe nur Nullen.“

Was, nur Nullen? Das konnte doch nicht sein! Joker zog den Monitor zu sich heran.

Tatsächlich! Er konnte es kaum glauben. Da, wo viele Millionen hätten sein müssen, waren in der Tat nur 0,00 Dollar ausgewiesen.

„Verdammter Mist! Das gibt’s doch nicht!“

Tja. Offenbar war irgendein Unbekannter ihnen beiden einen Schritt voraus.

2. KAPITEL

Am liebsten hätte Kinley ihre Wut einfach herausgeschrien. Aber sie wollte in Gegenwart dieses Mannes nicht die Kontrolle über sich verlieren.

Pleite. Sie war komplett pleite.

Die Millionen Dollar auf ihrem Konto hatten ihr immer ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Sie hatte immer nur ungern auf das Geld zurückgegriffen, weil es gestohlenes Geld war. Aber gerade zu Beginn hatte sie keine andere Möglichkeit gesehen. Sechzehn Jahre alt, auf sich allein gestellt, auf der Flucht. Auf der Flucht vor Menschen, die ihr Böses antun wollten.

Ja, sie hatte in ständiger Gefahr gelebt, und weil das ohnehin nicht mehr zu ändern war, hatte sie sich entschlossen, eine Art moderner Robin Hood zu werden. Ihr Computertalent machte es ihr leicht, den Reichen – natürlich nur den verbrecherischen Reichen – ihr Geld zu stehlen, um es den Bedürftigen zu geben. Zwangsläufig erhöhte sich dadurch die Zahl ihrer Feinde. Denn jeder Verbrecher, den sie bestahl, schwor ihr bittere Rache.

Irgendwann hatte sie eine seelische Hornhaut dagegen bekommen. Gegen die Ängste, gegen die Unsicherheit.

Aber gestern hatte Jameson Neally ihr Vermögen gestohlen, das Geld, das eine Art Sicherheitsnetz für sie war. Und jetzt fühlte sie sich wirklich hilflos. So viele Menschen hatten ihr Rache geschworen – und jetzt hatte sie beinahe selbst das Bedürfnis, Rache zu nehmen. An Jameson Neally.

Aber nein, so war sie nicht. Auge um Auge, Zahn um Zahn – das sollte nicht ihre Philosophie werden. Auch wenn ihre Eltern versucht hatten, sie so zu erziehen. Zu einem Menschen ohne Skrupel.

„Wo genau ist mein Geld denn jetzt?“, stieß Kinley mit zusammengebissenen Zähnen hervor.

Jokers ratloser Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Aber noch immer klammerte sie sich an die Hoffnung, dass er sich vielleicht nur einen grausamen Scherz mit ihr erlaubte. „Also, was ist mit dem Geld?“

„Ja, also, ich …“

„Jetzt erzählen Sie mir nicht, Sie haben es verloren.“

Joker schüttelte fast panisch den Kopf. Er setzte sich an den Computer und tippte wild auf der Tastatur herum. Immer wieder blickte er ungläubig auf den Bildschirm.

„Was ist denn jetzt?“, fragte sie fordernd.

„Es … es ist gestohlen“, stotterte er kopfschüttelnd.

Sie konnte es kaum glauben. Der Dieb, der ihr ihr Geld gestohlen hatte, hatte es sich selbst wieder stehlen lassen. So etwas konnte wirklich nur ihr passieren! Denn in ihrem Leben lief niemals etwas glatt …

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