Gemmas Traum vom Glück

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Eine Zweckehe einzugehen, um das Sorgerecht für seinen kleinen Neffen zu behalten – das war Ethans Plan. Doch schon bald verliert der Footballstar sein Herz an die bezaubernde College-Lehrerin Gemma. Wird sie ihn noch lieben, wenn sie sein dunkelstes Geheimnis erfährt?


  • Erscheinungstag 27.05.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506939
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Einen kleinen Fehler. Den hatte Gemma Gould gemacht. Nur einen kleinen Fehler … und sie würde den Rest ihres Lebens dafür bezahlen.

„Bier oder Bellini?“, murmelte sie, während sie sich um die Bar im Garten ihrer Eltern kümmerte. Die Brautparty ihrer jüngsten Schwester Elyse verwandelte sich gerade in ihren schlimmsten Albtraum.

„Los geht’s, Leute.“ Elyses Trauzeugin klatschte in die Hände. „Rein ins Wohnzimmer. Elyse präsentiert gleich ihre Episode von ‚Das ist mein Kleid!‘.“ Diese Ansage ließ das Blut in Gemmas Adern gerinnen.

Schweiß lief ihr den Rücken hinunter. Vielleicht könnte sie behaupten, dass sie keinen Pfirsichsaft für die Bellinis mehr hatten und sie schnell welchen holen musste. Wofür sie ungefähr drei Tage brauchen würde. Oder noch besser, sie könnte so tun, als ob sie eine Blinddarmentzündung hätte, und für eine Woche verschwinden.

Vor neun Monaten hatte Elyse darauf bestanden, dass Gemma sie nach New York begleitete, um ihr Hochzeitskleid zu kaufen. Dort hatten sie einen Studienfreund von Elyse getroffen, der zufällig als Produzent für die Fernsehserie „Das ist mein Kleid!“ arbeitete. Ehe Gemma wusste, wie ihr geschah, hatte sie die Aufgabe gehabt, vor laufender Kamera andächtige Laute von sich zu geben, während Elyse ein Hochzeitskleid nach dem anderen präsentierte. Simpel.

Nur hatte das nicht so gut geklappt.

„Ich hätte gerne einen Bellini, bitte. Und könntest du dich beeilen, Gemma? Die Episode hab ich im Fernsehen verpasst. Ich habe gehört, sie ist zum Schießen.“

Gemma lächelte mit zusammengebissenen Zähnen. Ja, genau. Sie reichte das Glas über die Bar. „Hier, bitte, Collette.“

„Danke“, piepste die zierliche Brünette. „Weißt du, es ist stark, wie ihr zwei euch dafür entschieden habt, zu so was Peinlichem zu stehen und noch was Lustiges draus zu machen. Echt inspirierend!“

Gemma starrte das Mädchen an. „Danke.“

Als Collette verschwand, schüttete Gemma Eis in den Mixer und schaltete ihn ein. Dabei wandte sie den Blick von den Gästen ab, die ins Wohnzimmer strömten.

Ihre ganze Familie und viele der Gäste hatten die Folge schon gesehen. Die Sendung war Stadtgespräch gewesen, als sie das erste Mal im Fernsehen gelaufen war. Und in einer Stadt, die so klein war wie Thunder Ridge, waren Elyse und sie sofort zu Stars geworden.

Missmutig beobachtete sie, wie der Mixer unglückselige Eiswürfel zerhackte. Ich weiß, wie ihr euch fühlt. Sie hatte alle geistreichen Kommentare über ihren Auftritt in der Serie schon gehört – die ewige Brautjungfer, die nie die Braut sein würde, und dass sie bestimmt an PTBS, dem posttraumatischen Brautjungfern-Syndrom, litt. Und natürlich bemitleideten alle „die arme Elyse“, weil ihre große Schwester eingeschlafen war, während Elyse in ihrem Lieblingskleid über den Laufsteg geschwebt war.

Ja, Gemma war bei laufender Kamera eingenickt, hatte geschnarcht und wahrscheinlich gesabbert. Der Kameramann hatte ihr Schläfchen – und Elyses Wutanfall – auf den Bildschirm gebracht. In der Bearbeitung hatten die Macher der Serie noch Gedankenblasen und Soundeffekte eingefügt.

Was für ein Spaß.

Nachdem sie zuerst vor Erniedrigung geweint hatte, hatte Elyse allen bewiesen, dass sie über dieses Schlamassel erhaben war, und über sich selbst gelacht. Trotzdem war Gemma seither nur noch damit beschäftigt, sich dafür zu entschuldigen.

„Wenn du dem Eis zeigen wolltest, wer hier der Boss ist, dann hast du das geschafft, würde ich sagen.“

Die tiefe Stimme und der amüsierte Tonfall sorgten dafür, dass Gemma jeden Muskel in ihrem Körper verkrampfte. Oh, nein. Nein. Sie hatte natürlich gewusst, dass Ethan Ladd eingeladen war. Aber er war so selten in der Stadt, dass sie nicht mit seinem Erscheinen gerechnet hatte.

Verschwinde. Sie drehte den Mixer auf. Der Lärm war nervtötend.

„Ernsthaft? Du tust so, als ob ich nicht da bin?“

„Keineswegs. Ich tue so, als könnte ich dich nicht hören.“ Sie warf noch ein paar Eiswürfel in die Öffnung. Das Knirschen war ohrenbetäubend.

Ethan streckte eine sonnengebräunte Hand über die Bar. Instinktiv wich sie zurück, als er es schaffte, den Mixer auszuschalten.

Der hatte vielleicht Nerven.

Er war mindestens fünfundzwanzig Zentimeter größer als sie und mindestens – wie viel? – fünf, sechs Pfund schwerer?

Lachhaft. So schwer war sie nun auch nicht. Aber als Kind und Teenager war sie immer mollig gewesen. Inzwischen hatte sie gelernt, dass es Menschen gab, die ihre „Kurven“ zu schätzen wussten. Und andere, die dachten, dass sie abnehmen könnte.

Sie schaute nach unten. So spürte sie Ethans Blick eher, als dass sie sah, wie er den Kopf schüttelte. „Du hast den IQ eines Genies und dir fällt nichts Besseres ein, als mich zu ignorieren?“ Er schnalzte mit der Zunge.

„Habe ich nicht. Und ich ignoriere dich nicht“, log sie. Ihre Stimme war so angespannt wie ihre Muskeln. „Ich konzentriere mich.“

„Du warst schon immer eine Perfektionistin“, sagte er trocken. Das klang nicht wie ein Kompliment. „Allerdings hast du für den Augenblick wohl deine Kunden verloren. Ich nehme ein Mineralwasser. Bitte“, fügte er nach einer Pause hinzu.

Sie deutete mit einem Kopfnicken nach links. „In der Kühlbox. Bedien dich.“

„Ich hatte auf ein paar Eiswürfel gehofft.“

„In der Kühlbox.“ Sie sah ihn immer noch nicht an. Ethan Ladd anzusehen war ihr schon immer zum Verhängnis geworden.

„Dann mach ich das mal“, sagte Ethan und verschwand aus ihrem Blickfeld.

Gemma schnappte sich ein Küchentuch und wischte das Wasser auf, das um den Mixer herum Pfützen gebildet hatte. Ihre Gedanken rasten. Als sie sich für den Abend zurechtgemacht hatte, war sie mit ihrem Outfit – einem süßen, roten Kleid mit weißen Punkten im Stil der Fünfzigerjahre – vollauf zufrieden gewesen. Jetzt fragte sie sich, ob sie besser etwas Schickeres oder Zurückhaltenderes genommen hätte.

Verdammt. Ethan Ladd – ausgerechnet heute.

Sie weigerte sich, in seine Richtung zu sehen. Stattdessen hörte sie, wie er in der Kühlbox herumfuhrwerkte und dann zurückkam. Alle ihre Sinne waren aufs Äußerste angespannt.

„Tschuldigung, Gem.“ Er stand genau hinter ihr, als er um ihren erstarrten Körper herumfasste, um sich ein Glas zu nehmen. Sein Hemd streifte ihre Schulter. Ein Seidenhemd … eine nackte Schulter. Ihr Herz flatterte. Dann legte er seinen rechten Arm um ihre andere Seite und packte den Griff des Mixers. „Ich mag zerstoßenes Eis lieber.“

War das Einbildung oder streifte er sie mit voller Absicht?

„Das macht dir doch nichts aus, oder?“, fragte er, während er die Eissplitter in sein Glas schüttete und den Mixer wieder hinstellte. Er trat links neben sie, machte das Mineralwasser auf und schenkte sich ein Glas ein.

In diesem Augenblick machte Gemma einen fatalen Fehler: Sie schaute auf. Und da war er – sein wunderbarer Mund, der wie zum Küssen gemacht war. Ob man Ethan Ladd nun mochte oder nicht, es war eine Tatsache, dass er ein Adonis war. Das letzte Mal hatte sie ihn vor ungefähr einem Jahr gesehen. Da hatte sie an einer Kreuzung in Portland darauf gewartet, dass die Ampel grün wurde. Und da hatte sie ihn gesehen. Ethan, auf einem Bus. Oder genauer gesagt, sein Bild.

Sein lächelndes Gesicht; goldene Locken; muskulöse Schultern, die wie gemeißelt waren; Bauchmuskeln, die wie aus Granit gehauen wirkten. Er präsentierte seinen „Super Bowl“-Gewinner-Ring, indem er seine Hand an den Bund des winzigsten Slips legte, den man je gesehen hatte.

„Also, deine Schwester scheint ja ihren Spaß zu haben“, bemerkte er.

Gemma hatte so einen trockenen Mund, dass sie kaum sprechen konnte. „Hmm.“

„Und du?“ Im Schutz seines stets präsenten, ach so amüsiert wirkenden Lächelns beobachtete Ethan sie aufmerksam.

„Das ist nicht mein Ding.“ Sie deutete aufs Haus. „Warum nimmst du dein Wasser nicht mit rein, Ethan? Ich bin sicher, Elyse will, dass du das Spektakel siehst.“

„Nein danke. Ich war vor vier Monaten mit Scott und Elyse in Seattle essen. Da habe ich alles darüber gehört. Schläfchen sollen ja sehr gesund sein.“

Gemma hatte das College mit Auszeichnung abgeschlossen, hatte ihren Master gemacht und unterrichtete jetzt Literaturwissenschaft an einem privaten College. Trotzdem schnappte sie nach dem Köder wie eine Forelle. „Ich habe Sommerkurse gegeben. Ich habe Elyse gesagt, dass ich zu viel zu tun habe. Aber sie hat darauf bestanden und … Warum erkläre ich dir das überhaupt?“

„Also, ich bin ja kein Therapeut, aber ich würde sagen, du leidest an übersteigertem Selbstwertgefühl.“

„Das war eine rhetorische Frage! Die solltest du nicht beantworten.“

„Tut mir leid, Frau Professor.“ Er grinste.

„Also …“ Gemma gab sich Mühe, einen gelangweilten Tonfall zustande zu bringen. „… müssen wir uns nur auf einen kurzen Besuch von dir gefasst machen oder drohst du, deinen Heimatort länger heimzusuchen, Ethan?“

Er spielte Football im Angriff für die Seattle Eagles. Ethan war eine echte lokale Berühmtheit. Und seine Werbeauftritte für Männerunterhosen sorgten dafür, dass jetzt eine neue Generation junger Mädchen nach ihm lechzte.

„Ich bin Scotts Trauzeuge. Da muss ich meine Pflicht tun.“

„Nur zu deiner Information: Wenn du eine Stripperin anheuerst, zerlegt Elyse dich in Einzelteile.“

Er grinste breit. „Ich kenne überhaupt keine Stripperinnen.“

„Nicht mal die, mit denen du ein Verhältnis hattest?“

Da lachte er laut auf. „Und du?“, fragte er. „Du wohnst und arbeitest immer noch in Portland, richtig? Als ich das letzte Mal in Thunder Ridge war, habe ich bei deinen Eltern vorbeigeschaut. Sie haben erwähnt, dass sie dich nicht so oft sehen, wie sie gerne würden.“

Die Tatsache, dass er immer noch ihre Eltern besuchte, war keine Überraschung. Ihre Mutter berichtete jedes Mal stolz darüber. Ethan war zwei Jahre jünger als Gemma und genauso alt wie Scott Carmichael, der Verlobte von Elyse. Die beiden hatten sich beim Schulsport angefreundet. Daher hatte er Scott oft abends oder am Wochenende zu Elyse begleitet.

„Meine Eltern werden erst dann zufrieden sein, wenn alle Kinder wieder zu Hause wohnen – mit oder ohne Ehepartner“, sagte Gemma. Ethan kniff die Augen zusammen, und ihr wurde klar, dass ihre Eltern ihm erzählt haben mussten, dass sie verlobt gewesen war. Ihre Verlobung mit William Munson, einem Mathematikprofessor, hatte sie jedoch vor fast einem Jahr gelöst. „Außerdem“, sagte sie mit gespielter Fröhlichkeit, „komme ich fast jedes Wochenende nach Hause.“

Aus dem Wohnzimmer ertönte hysterisches Gelächter. Ihr Auftritt als schlechteste Brautjunger auf dem Planeten wurde wahrscheinlich mit Surroundsound gezeigt.

Sie senkte den Kopf, damit Ethan nicht sehen würde, wie sie errötete. Dann wischte Gemma sich die Hände an ihrer Schürze ab. „Also, ich geh besser mal … nach dem Dessert sehen.“ Das war eine lahme Ausrede. Aber sie brauchte eine Fluchtmöglichkeit.

Er packte sie am Arm, bevor sie verschwinden konnte. „Warum lässt du es zu, dass sie dich so ausnutzen?“ Seine Worte waren sanft, aber sie gingen ihr durch und durch.

„Ich weiß gar nicht, was du meinst“, sagte sie. Ihre Familie war natürlich nicht perfekt. Als Jüngste konnte Elyse manchmal verwöhnt wirken. Aber ihre Eltern liebten Gemma. „Niemand nutzt mich aus. Ich helfe, weil ich das so will.“

„Bewundernswert.“ Sein Blick wirkte beinahe elektrisch. „Aber wer hilft dir?“

Vielleicht ließ seine gesenkte Stimme die Frage intimer wirken. Oder vielleicht war Gemma einfach müde und verletzlich. Tränen traten ihr in die Augen. Oh nein. Nein. Kommt nicht infrage. Nicht vor ihm.

Zwei Mal in ihrem Leben war sie zutiefst beschämt worden. Das eine Mal wurde gerade im Wohnzimmer vorgeführt. Das andere Mal war lange her – und Ethan Ladd war schuld daran.

Er hatte den Schulball ihres letzten Schuljahrs für sie ruiniert. Er hatte ihr ganzes letztes Schuljahr ruiniert. Punktum. Gemma hatte es ihm zwar heimgezahlt, aber seit jenem schrecklichen Abend war sie zu ihm auf Distanz gegangen. Soweit ihr das möglich war. Nie im Leben würde sie dem wahnwitzigen Bedürfnis nachgeben, sich jetzt an seinen breiten Schultern auszuweinen.

„Danke, Ethan“, sagte sie mit ihrer besten Lehrerstimme. „Aber ich habe jede Menge Unterstützung. Und jetzt muss ich dafür sorgen, dass der Käsekuchen zwanzig Minuten lang auf Raumtemperatur gebracht wird. Also entschuldige mich bitte.“

„Ich komme mit.“

„Das ist nicht nötig.“

„Doch, ist es. Ich hab mir einen vegetarischen Burger mitgebracht. Der ist noch in der Küche.“

Sie warf einen Blick auf seine Muskeln, die auch unter T-Shirt und Jeans deutlich zu erkennen waren. „Vegetarisch?“, fragte sie skeptisch, während sie zur Terrassentür ging. „Seit wann das denn?“

„Mein Körper ist ein Tempel.“ Schalk lag in seinen Worten. Er hielt ihr die Tür auf. „Muss die jahrelangen Ausschweifungen irgendwie wettmachen.“

Er wollte eine Reaktion provozieren. „Pass auf, dass du deine Ernährung nicht zu schnell umstellst“, antwortete sie. „Du willst doch keinen Schock riskieren.“

Ethans entspanntes Lachen erfüllte die Küche. Ihr Körper reagierte darauf mit Gänsehaut. Verdammt.

„Das war nur ein Witz mit dem Burger.“ Er warf einen Blick in den Kühlschrank. „Das ist eine Menge Käsekuchen.“ Dann fing er an, Schachteln in seinen Armen aufzustapeln.

„Ich mach das schon“, protestierte sie.

Er beachtete sie nicht und stellte den Kuchen auf der Kochinsel ab. Einen Karton machte er auf. „Schokolade und Marshmallows“, murmelte er. Er wusste genau, wo er suchen musste, und holte sich Teller und Gabel.

„Aufhören!“, befahl sie. „Ich hab doch gesagt, dass der Kuchen nicht geschnitten werden soll, bis er zwanzig Minuten bei Raumtemperatur gestanden hat.“

„Eine Regel, die eindeutig gebrochen werden muss. Wie so viele andere“, sagte er genüsslich und ließ ein Riesenstück Käsekuchen auf den Teller gleiten.

„Ich habe gedacht, du willst deinen Körper wie einen Tempel behandeln.“

„Das tue ich. Ich bringe ihm gerade eine Opfergabe dar.“ Ethan schien den Bissen in seinem Mund zerschmelzen zu lassen. Die Augen hatte er halb geschlossen.

Gemma bekam weiche Knie. Wie machte er das nur? Wie schaffte er es, beim Essen sexy auszusehen? Kein Wunder, dass er für seinen Sex-Appeal so bekannt war wie für seine Footballtricks. Plötzlich hatte Gemma einen Riesenappetit – aber nicht auf Käsekuchen.

„Gemma? Hallo, Gemma!“

Ethans Stimme schreckte sie auf. „Was?“

„Ich habe gesagt, bist du sicher, dass du nicht auch was willst?“ Er hielt ihr die Gabel hin. Die Augen hatte er immer noch halb geschlossen. Er sah aus, als ob er gerade aus dem Bett gerollt war. Oder noch im Bett war.

Oh ja, ich will dich … „Nein! Auf gar keinen Fall!“ Sie marschierte zur Kochinsel und machte die Schachtel zu. Dann bückte sie sich und zog ein Tablett aus dem Schrank.

In wenigen Augenblicken würden die Gäste aus dem Wohnzimmer kommen. Sie würden lachen und Witze über ihren Fernsehauftritt machen. Elyse würde auch ein Lachen zur Schau tragen. Aber Gemma wusste genau, dass ihre perfektionistische Schwester innerlich weinte. Denn Gemma hatte ihren großen Auftritt ruiniert. Also würde sie – erneut – versuchen, alles wiedergutzumachen.

„Ich muss das Tablett fürs Dessert herrichten“, erklärte sie Ethan. „Du hast jede Menge Fans da draußen. Warum ziehst du nicht los und sonnst dich in deinem Ruhm?“

„Also, genau das ist der Grund, warum ich nicht da draußen sein will. So viel Aufmerksamkeit steigt mir zu Kopf, und ich arbeite daran, demütig zu bleiben.“

Er setzte so eine unschuldige Miene auf, dass Gemma spürte, wie ein echtes Lächeln ihre Lippen kräuselte.

Ethan lehnte sich an die Kochinsel. „Wie wäre es, wenn ich dir mit dem Nachtisch helfe? Ich verspreche auch, keinen Kuchen mehr zu essen. Pfadfinderehrenwort.“

Bevor sie sein Angebot höflich ablehnen konnte, klingelte sein Handy.

„Ich hab gedacht, ich hätte das stumm geschaltet.“ Er verzog das Gesicht. „Entschuldigung.“ Zum Handy sagte er: „Ethan hier.“

Während er dem Anrufer zuhörte, quälte Gemma sich mit Erinnerungen an den Schulball: ihrer Begeisterung, als sie geglaubt hatte, dass Ethan mit ihr zum Ball gehen wollte. Ja, er war zwei Jahre jünger, aber an der Thunder Ridge Highschool gab es damals kein Mädchen, das die Gelegenheit nicht beim Schopf ergriffen hätte. Und Gemma, sie hatte … also, sie …

Oh, komm schon. Gib es zu.

Da Ethan sich halb von ihr abgewendet hatte, betrachtete sie seine starken, breiten Schultern und seufzte. Sie hatte davon geträumt, dass er sie bemerken würde. Dass sie Zeit zusammen verbringen, gemeinsam lernen, sich über Musik und Bücher und Filme und Sport unterhalten würden. Nicht, dass sie sich für Sport begeisterte, aber dank ihres fotografischen Gedächtnisses hatte es nicht lange gedauert, die Statistiken für jeden Spieler in der Liga auswendig zu lernen. Nur damit sie gewappnet war.

„Wovon in aller Welt reden Sie?“ Ethans Ton war scharf und besorgt und brachte Gemma in die Gegenwart zurück.

„Nein, das habe ich nicht gewusst. Wo ist sie?“ Ethan hatte die Zähne so fest zusammengebissen, dass er nur mühsam ein Wort herausbrachte. „Das wird nicht nötig sein. Ich werde mich selbst um sie kümmern … Ich verstehe. Ja, tun Sie das. Ich bin übers Handy erreichbar.“

Dann folgte Schweigen. Das drückendste Schweigen, das Gemma je erlebt hatte. Sie verspürte ein dringendes Bedürfnis, etwas Tröstliches zu sagen.

Plötzlich sah er nicht wie Ethan, der König der Thunder Ridge Highschool, aus. Oder wie Ethan, der Footballstar, oder Ethan, das Sexsymbol. Oder wie der Junge, der sie dazu gebracht hatte, sich wie das hässliche Entlein zu fühlen. Vielleicht zum ersten Mal wirkte er wie ein ganz normaler Mensch. Und er sah einsam aus.

„Alles klar?“, fragte sie versuchsweise.

Ihre Stimme schien den Bann zu brechen. „Ich muss gehen.“ Er sah sie nicht an. „Sag Elyse und Scott, dass ich sie anrufe.“

Er schien noch kurz zu zögern. Dann verschwand er.

Gemma sagte sich, dass es nicht nötig war, Mitleid mit dem Riesenrüpel zu haben. Er hatte gerade ihre freundliche Nachfrage zurückgewiesen.

Heftig schüttelte sie den Kopf. Sie war über dreißig, hatte eine großartige Karriere und gute Freunde. Sie war verlobt gewesen und würde sicherlich wieder einen Partner finden. Irgendwann würde Ethan Ladd nicht mehr die Macht haben, ihr das Gefühl zu vermitteln, wertvoll, attraktiv und wichtig zu sein – oder zurückgewiesen und verschmäht.

Sie musste nur diese Hochzeit überstehen. Dann wäre Ethan wieder verschwunden. Ihr normales Leben würde weitergehen. Ihr Herz würde aufhören, jedes Mal so heftig zu schlagen, wenn sie an Hochzeiten und wahre Liebe dachte. Oder an den ersten Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte.

2. KAPITEL

Zwei Monate nach der Brautparty war Gemma wieder in Thunder Ridge. Sie verbrachte das Wochenende bei ihren Eltern, damit ihre Mutter bei den letzten Hochzeitsvorbereitungen Publikum hatte.

Als Gemmas Schwester Lucy um elf Uhr abends bei ihren Eltern anrief, ob jemand bitte, bitte, bitte Ohrentropfen und ein Gel für zahnende Babys holen könnte – „Das rosane, nicht das weiße. Das in Rosa!“ –, weil Owen seit zwei Stunden ununterbrochen brüllte, erbot sich Gemma, die Fahrt zu übernehmen.

Im Supermarkt angekommen, beschloss sie, dass ein Snack die mitternächtliche Fahrt unterhaltsamer machen würde. Also schnappte sie sich eine Packung Kekse und fügte noch eine Tüte Kartoffelchips hinzu. Mit dem Korb voller Seelentröster ging sie in Richtung Apothekenprodukte. Als sie um die Ecke bog, stieß sie fast mit einem anderen spätabendlichen Einkäufer zusammen.

„Oh! Himmel. Ich habe nicht erwartet, dich zu sehen.“

„Ja, also, ich auch nicht. Ich … musste nur ein paar Sachen besorgen.“ Ethan deutete mit einem Kopfnicken auf den voll beladenen Einkaufswagen und dann – war das möglich? – wurde er rot. Will sagen, sein außerordentlich attraktives Gesicht lief puterrot an. Sein attraktives, von Erschöpfung gezeichnetes Gesicht.

Warum wurde er rot? Abgesehen davon, dass er müde wirkte, sah er großartig aus. Sie dagegen hatte ein T-Shirt mit der Aufschrift „Eat, Sleep, Repeat“ und ihre quietschrosa Schlafanzughose angehabt, als Lucy angerufen hatte. Und sie hatte nicht eingesehen, warum sie sich für einen Ausflug zum Supermarkt umziehen sollte.

Ihre Überraschung, Ethan hier zu sehen, verwandelte sich in Schock, als sie den Inhalt seines Einkaufswagens bemerkte.

„Kekse für zahnende Babys?“ Sie zog eine Augenbraue hoch.

„Ja.“ Er sah sich um, dann zuckte er eine Schulter. „Die mag ich eben.“

Mit einer Hand fuhr er sich durchs dichte, goldene Haar. Das hatte er anscheinend schon ein paarmal gerauft. Mit der anderen Hand klammerte er sich so am Einkaufswagen fest, dass seine Knöchel weiß hervorstanden.

Gemma betrachtete den Rest seines Einkaufs.

Kaffee, Milch, Energydrinks, Wattebäusche, ein Thermometer, Taschentücher, Babyfeuchttücher …

Babyfeuchttücher? Sie schaute genauer hin. Jawohl. Feuchttücher für Babys. Und Babynahrung! Er hatte mindestens vier verschiedene Sorten im Wagen. Und diese Packungen da waren …

Ach, du lieber Himmel. Ethan kaufte Windeln. Wegwerfwindeln. Wieder ein paar unterschiedliche Sorten. Außerdem entdeckte sie genau das, wonach sie suchte – ein Gel für zahnende Babys.

„Das ist das weiße“, sagte sie und deutete auf die kleine Schachtel mit dem Bild eines Zahns. „Du solltest die in Rosa nehmen. Meine Schwester sagt, das wirkt am besten.“

Stirnrunzelnd schaute Ethan in die Richtung ihres Fingers. „Ehrlich? Und wo haben die die hier?“

Gemma fühlte sich, als ob sie gerade einen sehr merkwürdigen Traum hatte. Sie führte ihn hin. „Die hier.“ Sie nahm eine Packung aus dem Regal. „Hat Wunder gewirkt, als mein Neffe Owen seinen ersten Zahn bekommen hat.“

Autor

Wendy Warren

Wendy lebt mit ihrem Ehemann in der Nähe der Pazifikküste. Ihr Haus liegt nordwestlich des schönen Willamette-Flusses inmitten einer Idylle aus gigantischen Ulmen, alten Buchläden mit einladenden Sesseln und einem großartigen Theater. Ursprünglich gehörte das Haus einer Frau namens Cinderella, die einen wunderbaren Garten mit Tausenden Blumen hinterließ. Wendy und...

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