Gewagtes Spiel mit Lady Laura

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Schockiert erfährt Bankier Miles Rochdale, warum seine kleine Schwester so oft ihre bildschöne neue Freundin Lady Laura trifft: Sie will von ihr lernen, mit den Männern des ton zu flirten. Das muss er verhindern! Was, wenn irgendein adliger Mitgiftjäger seiner Schwester das Herz bricht? Künftig lässt Miles sie nicht mehr allein mit Laura. Natürlich nur, um sie vor deren Einfluss zu schützen. Denn dass Lauras Nähe ihn zunehmend fasziniert, gesteht er sich nicht ein. Nach einer schmerzlichen Erfahrung kommt für ihn keine höhergestellte Adlige infrage! Aber warum verspürt er dann plötzlich diese gefährlich erregende Sehnsucht nach Lauras Küssen?


  • Erscheinungstag 27.05.2025
  • Bandnummer 428
  • ISBN / Artikelnummer 0814250428
  • Seitenanzahl 256

Leseprobe

Janet Justiss

Gewagtes Spiel mit Lady Laura

1. KAPITEL

„Vielen Dank, Haines, ich kenne den Weg“, sagte Lady Laura Pomeroy und lächelte dem Butler mit einem Blick über die Schulter zu. Sie drehte sich um, um den Salon ihrer Freundin Susanna Rochdale zu betreten – und stieß mit einem hochgewachsenen Mann zusammen, der gerade ging.

Sie kam aus dem Gleichgewicht und stolperte. Kräftige Hände packten sie an den Handgelenken und verhinderten, dass sie stürzte. Sie wollte gerade eine Entschuldigung aussprechen, als sie in ein Paar eisblaue Augen schaute, die so fesselnd waren, dass ihr der Atem stockte.

Der Rest des Gentlemans war ebenso bewundernswert, wie sie feststellte, als sie ihn verstohlen unter den Wimpern hindurch musterte. Schwarze Locken fielen in die breite Stirn, die hohen Wangenknochen und das kräftige Kinn ergaben zusammen ein erfreulich ansehnliches Gesicht. Die breiten Schultern wurden durch einen gut geschneiderten dunkelblauen Gehrock aus teurem Wollstoff betont. Das Hemd war makellos und die Halsbinde meisterhaft gebunden. Die langen Beine in der gelbbraunen Hose waren wohlgeformt.

Doch der Mann sah nicht nur gut aus. Er strahlte zudem eine natürliche Autorität und Männlichkeit aus, die ihre Haut prickeln ließ. Durch die Handschuhe hindurch schienen seine Finger an ihrem Handgelenk ihre Haut zu versengen, und die Hitze strahlte über ihre Arme bis in den ganzen Körper.

„Bitte verzeihen Sie, Sir“, sagte sie ein wenig verspätet. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen.

Es dauerte einen Moment, bis sie merkte, dass ihr Lächeln nicht erwidert wurde. Stattdessen machte der Mann ein verärgertes Gesicht.

„Es ist ohne Zweifel meine Schuld“, sagte er, als er sie losließ und einen Schritt zurücktrat. „Damen, die nicht aufpassen, wohin sie laufen, sollte man stets und überall aus dem Weg gehen. Sie müssen Lady Laura Pomeroy sein. Ich bin Miles Rochdale.“

Laura wusste, dass man sie für hübsch hielt. Ihre Locken in Kombination mit ihrer guten Erziehung und der natürlichen Eleganz brachten ihr im Allgemeinen die Bewunderung der Männer ein. Oder zumindest ihre Liebenswürdigkeit.

Miles Rochdale war gerade eben noch höflich.

Sie knickste, was er mit einer Verbeugung erwiderte. „Ich werde mich in Zukunft bemühen, besser aufzupassen, wohin ich schaue, Mr. Rochdale“, antwortete sie mit spitzem Unterton.

„Ich bin sicher, meine Schwester wird sofort herunterkommen. Falls Sie also im Salon auf sie warten wollen“, sagte er und deutete auf den Raum. „Leider hindern mich dringende Verpflichtungen daran, Ihnen noch länger Gesellschaft zu leisten.“

Wollte er damit andeuten, sie sei zu geistlos, um sich ein paar Minuten selbst zu beschäftigen? Ihre Verärgerung wuchs. Wie bedauerlich, dass es sich für eine Dame nicht schickte, einen Gentleman zu ohrfeigen! Es wäre überaus befriedigend, ihm diesen herablassenden Ausdruck aus dem viel zu hübschen Gesicht zu schlagen.

„Du liebe Güte, wie enttäuschend“, gab sie im hellsten, nichtssagendsten Ton zurück, den sie hervorbrachte. „Wie soll ich nur die Langweile ertragen, ganz allein hier zu sitzen, ohne jede Unterhaltung?“ Sie seufzte tief. „Aber für ein paar kurze Momente schaffe ich es vielleicht.“

„Nur für ein paar. Stets zu Diensten, Mylady“, sagte Rochdale und verbeugte sich ein weiteres Mal.

Er war alles andere als das, dachte Laura missmutig und sah ihm nach. Sie hätte der Versuchung widerstehen sollen, die oberflächliche Naive zu spielen, für die er sie offenbar hielt. Doch diese herablassende Haltung hatte sie nicht verdient.

Wie konnte er es wagen, sie für oberflächlich zu halten, nachdem sie lediglich ein paar Worte gewechselt hatten?

Zugleich wusste sie genau, dass ihre Enttäuschung unangebracht war. Sie hätte nie vom Sohn des Hauses erwartet, dass er nach einer zufälligen Begegnung seinen Aufbruch hinauszögerte, um mit ihr zu plaudern. Warum sollte sie auch? Schon gar nicht, wenn jede Bemerkung diesen abfälligen Unterton hatte. Ganz gleich, wie souverän sein Auftreten und wie faszinierend seine eisblauen Augen waren.

Noch ärgerlicher war, dass seine körperliche Erscheinung etwas in ihr zum Schwingen brachte, trotz seiner unsympathischen Persönlichkeit.

Vielleicht war sie ja doch so oberflächlich, wie er annahm.

Sie war zweimal im Salon auf und ab geschlendert, als ihre Freundin Susanna hereineilte. „Bitte verzeih meine Verspätung“, rief sie und umarmte Laura. „Ich wollte dich nicht warten lassen.“

„Ich habe es tapfer ertragen“, sagte Laura trocken. „Ich habe bereits deinem Bruder versichert, dass ich durchaus dazu in der Lage bin.“

„Du hast Miles getroffen? Wie schade, dass ich ihn verpasst habe. Ich hatte gehofft, dass ich euch einander vorstellen kann. Er ist so beschäftigt, in der Bank und an der Börse, dass er kaum hier ist. Und obwohl man ihn gelegentlich zu Ereignissen des ton einlädt, nimmt er niemals daran teil. Also wollte ich, dass du meinen liebenswürdigen und aufmerksamen Bruder kennenlernst.“

Liebenswürdig? Aufmerksam? Laura schüttelte kaum merklich den Kopf. Entweder sah ihre Freundin den Bruder durch die Brille der schwesterlichen Blindheit oder er verhielt sich bei Zufallsbegegnungen Fremden gegenüber grundlegend anders als im Kreise seiner Familie.

Doch auch bei einer Zufallsbegegnung durfte man wohl etwas mehr Höflichkeit erwarten.

„Du runzelst die Stirn“, stellte Susanna fest. „Hat Miles dich verärgert? Er kann manchmal etwas schroff sein.“

„Aber nein! Ich liebe es, wenn man mich für hohlköpfig und leichtfertig hält.“

Susanna lachte auf. „Ich fürchte, das denkt er von allen Frauen. Wahrscheinlich hatte er es eilig, weil er einen Termin hatte. Seit Papa ihm die Leitung der Bank übertragen hat, lastet eine unglaubliche Verantwortung auf ihm. Aber Papa sagt, er sei überaus kompetent und vollkommen in der Lage, das Geschäft zu übernehmen, obwohl er noch so jung ist.“

„Ich bin überrascht, dass dein Papa sich bereits aus dem Geschäft zurückgezogen hat.“

„Er möchte für das Parlament kandidieren.“

„Oh, wie interessant! Seit der Verabschiedung des Reformgesetzes ist das viel einfacher geworden. Die Bezirke können …“ Als Laura den leicht glasigen Blick ihrer Freundin bemerkte, zügelte sie ihre Begeisterung für politische Themen und schluckte den Rest des Satzes herunter. „Sollen wir lieber über etwas anderes reden?“

„Über Lady Ashdowns bevorstehenden Ball?“, schlug Susanna vor. „Ich muss zugeben, dass ich dem Ereignis mit Sorge und Vorfreude gleichermaßen entgegenblicke.“

Kopfschüttelnd nahm Laura die Hand ihrer Freundin. „Du darfst dich von den alten Drachen nicht einschüchtern lassen. Halte den Kopf hoch, lächle und zeige allen, dass du jedes Recht hast, dich unter sie zu mischen!“

„Die Damen der Gesellschaft sind schon furchterregend genug. Aber die Gentlemen …“ Susanna seufzte. „Die finde ich sogar noch erschreckender. Die vornehmsten machen mir solche Angst, dass ich kein Wort herausbringe. Und ich weiß nie, was ich antworten soll, wenn jemand galant ist. Manchmal wünschte ich, ich könnte Lady Buntings Angebot, mir zu helfen, einfach ablehnen. Aber dann wäre Mama enttäuscht. Ganz unter uns, es ist mir egal, ob ich die gute Partie mache, auf die sie hofft. Aber ich habe versprochen, mir Mühe zu geben, also muss ich vermutlich bis zum bitteren Ende durchhalten.“

„Es ist klug von dir, dass du nicht auf eine schnelle Verlobung aus bist“, sagte Laura ermutigend. „Du bist noch jung, sehr liebenswürdig und mit einer stattlichen Mitgift gesegnet. Du musst nicht das erstbeste Angebot annehmen. Du solltest erst heiraten, wenn du einen Gentleman triffst, bei dem du das Gefühl hast, dein Leben lang mit ihm glücklich sein zu können. Ich werde mich nicht zu einer Entscheidung zwingen lassen. Ganz gleich, wie viele Saisons ich auf dem Heiratsmarkt bleibe!“

Je mehr Saisons, desto besser, dachte sie. Ihr nachsichtiger Papa hatte keine Eile, sie zu verheiraten. Er gestand ihr die Freiheit zu, ihrem Interesse an Mathematik nachzugehen – vermutlich im Gegensatz zu jedem Ehegatten. Ganz zu schweigen von den Anforderungen, die ein Gemahl und Kinder mit sich bringen würden.

„Die schöne Tochter eines Marquis wird immer die Wahl haben“, sagte Susanna. „Obwohl ich nur das Kind eines bescheidenen Bankiers bin, habe ich vor, ähnlich anspruchsvoll zu sein.“

„Wenn das Glück deines Lebens davon abhängt, dass du klug wählst, hoffe ich doch sehr, dass du anspruchsvoll bist“, sagte Laura.

Susanna lächelte. „Wenn man in Gegenwart eines Gentlemans kein Wort herausbringt, ist es einfach, sie zu entmutigen. Vielleicht hat mein gesellschaftliches Ungeschick sogar etwas Gutes.“

„Es ist kein Vorteil, wenn du vor dem Gentleman stehst, den du gerne ermutigen möchtest.“ Nachdem sie ihre Freundin gemustert hatte, schüttelte Laura den Kopf. „Du musst deine Schüchternheit überwinden. Lerne, was du sagen musst, wie du ohne Worte kommunizieren kannst – und wie du mit einem Mann tändelst.“

Erschrocken riss Susanna die Augen auf. „Ich will nicht aufdringlich wirken!“

„Nicht aufdringlich. Du musst nur wissen, wie du dich mit geeigneten jungen Männern unterhalten kannst. Wie du höflich das Interesse derjenigen im Keim erstickst, die du nicht magst, und diejenigen ermutigst, die dir gefallen. Und du musst lernen, denjenigen die Stirn zu bieten, die versuchen, dich einzuschüchtern, ganz gleich ob Gentleman oder Dame.“

„Da ich nicht aus dem Adel stamme, wird der ton mich niemals vollständig akzeptieren“, sagte Susanna. „Darum bin ich nicht erpicht darauf, an den Bällen und Tanztees und Dinnerabenden der Saison teilzunehmen. Ich würde lieber keinen Adligen heiraten. Mein Vermögen ist vielleicht gerne gesehen, aber mich verabscheut man.“

Nachdem Laura gerade erst recht herablassend behandelt worden war, konnte sie diese Bedenken gut nachvollziehen. Sie runzelte die Stirn, um die Erinnerung an die Begegnung mit Susannas Bruder abzuschütteln. „Du ignorierst einfach alle, die unhöflich sind, und konzentrierst dich auf die, die dich freundlich behandeln. Und bei diesen Gentlemen musst du es schaffen, eine vergnügliche Unterhaltung zu führen. Wenn du weißt, was du wann sagen musst, wird die Teilnahme an gesellschaftlichen Ereignissen zum Vergnügen. Selbst wenn du am Ende keinen Mann findest, den du heiraten möchtest.“

„Sollen wir bei Hatchard’s anhalten und mir ein Buch mit Anweisungen kaufen?“, fragte Susanna lachend. „Ich bezweifle, dass es so ein Buch gibt.“

Laura grinste. „Das ist nicht nötig. Ich kann es dir beibringen. Ich möchte nicht, dass du dich jemals wieder unbehaglich fühlst, wenn du in Gesellschaft bist.“

„Du scheinst immer ganz genau zu wissen, was du sagen musst! Aber kann man solche Fähigkeit erlernen?“

„Natürlich. Ich will damit nicht sagen, dass ich alles weiß – aber in meiner ersten Saison habe ich ein paar nützliche Techniken gelernt. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, Botschaften zu übermitteln, ohne ein Wort zu sagen – durch die Art, wie du deinen Fächer hältst oder durch die Sprache der Blumen. Es gibt Situationen, in denen du gefahrlos angemessene Reaktionen einüben kannst, bis die richtige Antwort ganz automatisch kommt, ohne dass du darüber nachdenken musst.“

„Es wäre wunderbar, wenn ich mich in Gesellschaft unbefangener fühlen würde“, räumte Susanna ein. „Glaubst du wirklich, du könntest es mir beibringen?“

„Aber ja doch! Hast du heute Nachmittag Zeit?“ Susanna nickte. „Dann können wir noch heute anfangen. Lady Ashdowns Ball ist in zwei Tagen, und wir haben keine Zeit zu verlieren. Ein wenig Übung, und du kannst es mit dem ton aufnehmen!“

Susanna erschauderte. „Mir sinkt der Mut bei dieser Vorstellung. Aber wenn es dir wirklich nichts ausmacht, wäre ich dir überaus dankbar. Wenn ich mir vorstelle, nicht jede Begegnung mit einer Lady Arbuthnot oder einem Lord Sinclair zu fürchten! Oder Miss Arsdale oder Miss Wentworth.“

„Denen gehst du am besten aus dem Weg. Aber wenn du sie treffen musst, sollten wir dich vorbereiten, damit du angemessen reagieren kannst. Wir sollten den Tee besser ausfallen lassen und sofort zur Modistin fahren. Wir wollen uns doch nicht abhetzen, wenn wir die Stoffe aussuchen.“

„Diesen Ausflug kann ich aufrichtig genießen“, sagte Susanna und erhob sich.

„Ausgezeichnet. Letzte Woche habe ich einen hellgrünen Krepp entdeckt, der dir wunderbar stehen wird. Ich kann es kaum abwarten, ihn dir zu zeigen.“

Susanna eilte hinaus, und Laura sah ihr lächelnd nach. Einige Angehörige der feinen Gesellschaft fragten sich, warum sie sich ausgerechnet mit der Tochter eines Bankiers angefreundet hatte, die nichts außer einer gewaltigen Mitgift zu bieten hatte. Doch Titel und jahrhundertealte Stammbäume, deren Abkömmlinge sich viel zu wichtig nahmen, hatten Laura noch nie interessiert. Sie konnte nicht verstehen, wie ein vernünftiger Mensch nicht von Susanna Rochdales Liebenswürdigkeit, Unschuld und sanftem Charme angetan sein konnte.

Susannas schüchternes Lächeln hatte sie sofort für sie eingenommen, und es hatte sich rasch eine aufrichtige Freundschaft zwischen ihnen entwickelt. Es war ihr ein Vergnügen, die Warmherzigkeit ihrer Freundin zu vergelten. Sie würde Susanna darin unterstützen, sich besser mit der feinen Gesellschaft zurechtzufinden, in die sie von ihrer Mutter gedrängt wurde.

Unvermittelt musste sie an ein Paar eisblaue spöttische Augen denken. Wenn sie Susanna Nachhilfe gab, würde sie auch ihrem respektlosen Bruder häufiger begegnen. Während sie ihre Freundin auf die feine Gesellschaft vorbereitete, sollte Laura sich vielleicht etwas einfallen lassen, wie sie Miles Rochdale seinen herablassenden Blick austreiben könnte.

Ein paar Stunden später kam Miles aus dem Bankhaus zurück. Als er den Türknauf des Salons berührte, hielt er inne und dachte an seine Begegnung vom Morgen.

Es kam nicht oft vor, dass einem eine entzückende junge Dame buchstäblich in die Arme fiel. Im ersten Schrecken hatte er sie einfach nur angestarrt.

Und sie war es allemal wert, angestarrt zu werden. Ein knabenhaftes, herzförmiges Gesicht, die Augen blauer als ein Sommerhimmel im Juni. Im Sonnenlicht, das durch das Oberlicht fiel, schimmerten die Locken wie Gold. Dazu eine hinreißend kurvige Figur … Er mochte unermüdlich arbeiten, aber er war immer noch ein Mann und hatte ganz unwillkürlich auf so viel weibliche Schönheit reagiert.

Zum Glück blickte sie zu ihm auf und lächelte, bevor er zu hingerissen war. Ein neckendes verführerisches Lächeln, das er nur zu gut wiedererkannte. Ein Lächeln, bei dem sich sein Herz schmerzlich zusammenzog und das sich in ihn hineinbohrte wie eine scharfe Klinge. Es rief bittere Erinnerungen in ihm wach, von denen er geglaubt hatte, sie längst hinter sich gelassen zu haben.

Lady Laura mochte zwar blond sein, nicht brünett, sie war hochgewachsen, nicht zierlich, aber dieser gut einstudierte Blick sollte ihn verführen, genau wie Arabellas Blick es getan hatte. Sofort war er auf der Hut, und wenn sie nicht seine Hilfe gebraucht hätte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, hätte er sie von sich gestoßen.

Im selben Moment war ihm klar geworden, dass diese verlockende Jungfer die Tochter des Marquis sein musste, die sich unerklärlicherweise mit seiner Schwester angefreundet hatte. Erneut runzelte er die Stirn.

Sie sah aus wie jede junge Dame der feinen Gesellschaft. Er wusste nicht viel über weibliche Mode, doch selbst er erkannte teure Stoffe und meisterhafte Nähkünste, wenn er sie sah. Ihr goldenes Haar war zu prächtigen Locken hochgesteckt, sodass die zierlichen Ohren mit den kostspieligen Saphirohrringen zu sehen waren, deren blauer Glanz sich in der dazu passenden Halskette und dem Armband wiederholte.

Sie war eine betörende Dame der feinen Gesellschaft, doch zum Glück war er bei dieser Begegnung älter, weniger leicht zu beeindrucken und auf der Hut.

Wahrscheinlich war er unhöflich gewesen, doch er hasste die Vorstellung, dass seine Schwester ihre Zeit mit so einer Frau verbrachte. Schlimm genug, dass Mutter prompt eingewilligt hatte, als Lady Bunting angeboten hatte, Susanna in die Gesellschaft einzuführen. Sie war eine alte Freundin seiner Mutter, deren Gatte in den Adelsstand erhoben worden war. Miles sorgte sich um seine hinreißende Schwester und wollte nicht, dass sie von einem dieser nichtsnutzigen Sprösslinge des Adels geblendet wurde. Deren Väter kamen zuhauf in sein Bankhaus, weil sie Kredite brauchten, um ihre extravaganten Sperenzien zu finanzieren.

Er hatte darauf bestanden, dass Susanna nur in Begleitung einer Anstandsdame ausging, damit ihr nichts zustieß. Doch er wusste nur zu gut, dass jederzeit einer der sogenannten Gentlemen des Adels sie aus purer Langeweile ermutigen und mit ihrer Zuneigung spielen könnte. Sobald er das Interesse an ihr verlor, würde er sie verlassen und ihr das Herz brechen.

Arabella hatte ihre Sache bei ihm jedenfalls ausgezeichnet gemacht.

Er war naiv, vertrauensselig und geblendet gewesen, und sie musste ihn nicht groß ermutigen. Er hatte geglaubt, die Beziehung, zu der sie ihn verleitet hatte, sei aufrichtig – dabei hatte sie die ganze Zeit nur mit ihm gespielt, um ihre Verführungskünste zu verfeinern. Erneut lief er vor Wut und Reue rot an, als er an ihre spöttische Zurückweisung dachte. Er hatte wirklich geglaubt, sie hätte sich gewünscht, dass er ihr einen Antrag machte.

Doch für seine Schwester wäre es weitaus schlimmer, wenn irgendein adliger Verehrer sie zu einer Heirat überredete – in der Absicht, sich durch die Mitgift ein Leben des Müßiggangs zu ermöglichen. So eine Ehe konnte ihr nur Leid und Elend bringen. Sie wäre immer eine Außenseiterin in der Welt ihres Gatten, der sie ignorierte, während er ihr Geld mit Karten, Wetten, Pferden, Prunk und Mätressen verschleuderte.

Miles hatte keine Ahnung, warum Lady Laura Pomeroy beschlossen hatte, sich mit seiner Schwester anzufreunden, mit einem Mädchen, das nicht einmal vorgeben wollte, dem Adel anzugehören. Wahrscheinlich war sie genauso launisch wie ihre männlichen Gegenstücke und würde Susanna fallen lassen, sobald der Reiz des Neuen vergangen war. Seine sanfte Schwester würde am Boden zerstört sein.

Er sorgte sich um den Einfluss, den diese Frau auf seine Schwester hatte. Er wollte nicht, dass Lady Laura seine Schwester in eine eitle, leichtfertige Debütantin verwandelte, einen selbstsüchtigen Leichtfuß, der mit den Herzen der Männer spielte.

Aber wie sollte er diese Freundschaft untergraben? Susanna blickte zu dieser Frau auf und würde Lady Laura um jeden Preis verteidigen, sobald er versuchen würde, sie schlechtzumachen.

Miles seufzte erneut und betrat den Salon. Er wollte doch nur, dass seine kleine Schwester einen Mann aus ihrer Klasse heiratete. Einen Mann, der sie um ihrer selbst willen achten und sich um sie kümmern würde und der ihr einen sicheren Platz unter ihresgleichen bot. Wenn es sein musste, würde er sogar persönlich zu Veranstaltungen des ton gehen, die er normalerweise mied. Er würde über Susanna wachen und sicherstellen, dass sie nicht von einem jener adligen Tunichtgute verführt wurde, die er in seinen Jahren in Oxford zuhauf kennengelernt hatte.

Und er musste sie davon abhalten, die Einstellungen und Gewohnheiten ihrer Möchtegernfreundin aus der feinen Gesellschaft nachzuahmen.

2. KAPITEL

Miles wollte gerade in sein Studierzimmer gehen, als er sah, wie der Butler Susanna zurück ins Haus begleitete. Lächelnd blieb er stehen, als sie auf ihn zueilte, gefolgt von ihrer Zofe, die eine ganze Reihe Schachteln trug. Er umarmte sie und beugte sich vor, um sie auf die Wange zu küssen.

„Hallo, mein Sonnenschein! Wie ich sehe, warst du mit deiner Freundin einkaufen. Ich hoffe, sie hat dich nicht zur Verschwendung verführt.“

„Ganz im Gegenteil! Lady Laura hat mir geraten, mir nur das Minimum an Kleidern zuzulegen, die für ein angemessenes Auftreten nötig sind. Der Geschmack ändert sich zu schnell, sagt sie. Und sie hat recht, es wäre reine Verschwendung, zu viele Kleider machen zu lassen.“

„Lady Laura rät zu Besonnenheit und Sparsamkeit?“, fragte er überrascht.

„Ja. Trotz ihrer hohen Geburt ist sie sehr vernünftig.“

Miles verkniff sich die Erwiderung, dass es noch zu früh sei, sie für einen Tugendengel zu halten.

„Sie ist überhaupt nicht leichtfertig oder oberflächlich.“ Susanna legte den Kopf schräg und sah ihn prüfend an. „Allerdings scheinst du das bei der Begegnung mit ihr angedeutet zu haben.“

Verärgert sagte Miles: „Hat sie sich bei dir ausgeweint?“

„Nein, das hat sie nicht. Und es ist hässlich, so etwas zu sagen!“ Susanna warf den Kopf zurück. „Du hast offenbar beschlossen, sie nicht zu mögen, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, warum.“

„Es ist nicht so, dass ich sie nicht mag“, flunkerte er. Wenn er bestätigte, dass er Vorurteile hatte, würde es ihm noch schwerer fallen, seine Schwester von dieser Frau zu entfremden. „Ich wollte nicht unfreundlich wirken, ich war einfach nur … abgelenkt.“

Zu seiner Erleichterung schien diese Erklärung seine Schwester zufriedenzustellen. Ihr Lächeln kehrte zurück, und sie drückte seine Hand. „Ich wusste es. Kannst du kurz mit auf mein Zimmer kommen? Ich muss mich frisch machen, bevor Lady Laura wiederkommt.“

Genügte ein Besuch am Tag denn nicht?, dachte Miles verärgert. Gleichwohl bot er ihr lächelnd seinen Arm. „Es ist mir ein Vergnügen, die entzückendste Dame von London begleiten zu dürfen.“

„Schmeichler“, sagte Susanna und sah ihn voller Zuneigung an, als sie durch die Halle zur Treppe gingen. „Lady Laura ist mir eine große Hilfe. Sie hat sich mit mir angefreundet, als die meisten jungen Damen des ton meine Existenz kaum zur Kenntnis genommen haben. Ich würde mir wünschen, dass ihr zwei Freunde werdet.“

Wenn Ostern und Pfingsten auf einen Tag fallen, dachte er. Doch er sagte: „Ich muss jeden mögen, der meine kleine Schwester glücklich macht.“

„Ich glaube, nachdem ich ein wenig Unterricht bekommen habe, werde ich sogar noch glücklicher sein.“

„Was für Unterricht? Du bist perfekt, so wie du bist.“

Susanna drückte seinen Arm. „Du bist viel zu nachsichtig, lieber Bruder! Du weißt doch, wie schüchtern ich in Gesellschaft bin. Zumindest wüsstest du es, wenn du mich hin und wieder begleiten würdest. Ich weiß, dass die Aristokraten in Oxford dich nicht nett behandelt haben, und ich hatte damit gerechnet, dass es mir ebenso ergehen würde. Aber ich bin nicht so kühn wie du. Ich fühle mich dann unwohl und weiß nie, was ich tun oder sagen soll.“

Miles wurde wütend. „Wenn die feine Gesellschaft so dumm ist, dich respektlos zu behandeln, werden wir Lady Bunting einfach sagen, dass du kein Verlangen mehr hast, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.“

„Aber das wäre äußerst unhöflich, nachdem sie sich so freundlich um mich bemüht hat. Mama wäre ebenfalls enttäuscht. Und ich hätte das Gefühl, vor denen klein beigegeben zu haben, deren Anerkennung ich weder suche noch schätze. Nein, besser, ich rüste mich, um solche Situationen in Zukunft zu meistern.“

„Aha, du willst dich also wehren. Und wie willst du das anstellen, meine tapfere Kriegerin? Mit einem Schwert, das du unter deinem Rock versteckst? Einer Pistole in deinem Retikül?“

„Keine Gewalt. Die rechten Worte und angemessene Manieren werden genügen“, sagte Susanna. „Lady Laura hat mir angeboten, mir beizubringen, wie ich mich in der feinen Gesellschaft verhalten soll und was ich sagen soll, wenn jemand eine herablassende Bemerkung macht oder mich ignoriert.“ Susanna warf ihm einen spitzbübischen Blick zu. „Und was genauso wichtig ist – sie wird mir zeigen, wie ich reagieren soll, wenn ein Gentleman Interesse an mir zeigt. Wie ich ihn geschickt ermutigen oder entmutigen kann. Kurz, ich werde das Kokettieren lernen!“

Miles sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt und musste sich auf die Zunge beißen, um sein Missfallen nicht laut zu äußern. Bemüht um einen unbekümmerten Tonfall, sagte er: „Der Herr behüte uns! Koketterie ist das Letzte, was du erlernen müsstest. Notfalls werde ich dich in deinem Zimmer einsperren, um das zu verhindern.“

Susanna stupste ihn an. „Sei nicht albern! Du musst zugeben, dass es mir sehr von Nutzen sein wird. Wenn ich weiß, wie ich auf einen Gentleman reagieren soll, werde ich mich wesentlich sicherer fühlen. Ich möchte ruhig, gelassen und selbstbewusst wirken, nicht eingeschüchtert und verängstigt. Lady Laura kommt heute Nachmittag, um mir meine erste Unterrichtsstunde zu geben.“

„Bist du sicher, dass ich dir das nicht ausreden kann?“, fragte Miles, während er sie in ihr Zimmer begleitete.

Susanna schüttelte den Kopf. „Das kommt gar nicht infrage“, erwiderte sie und blieb neben ihrem Frisiertisch stehen.

Plötzlich sah sie ihn nachdenklich an. „Du könntest ebenfalls von ihren Ratschlägen profitieren. Charlotte und du kennt euch praktisch seit der Wiege, und alle rechnen damit, dass ihr heiratet. Aber sie hat es verdient, ein wenig umworben zu werden.“

„Wir sind beide vernünftig und wissen, was vom anderen zu erwarten ist. Es gibt keinen Grund für blumige Reden oder irgendeinen romantischen Unsinn.“

„Romantischer Unsinn?“, wiederholte Susanna. „Du hast doch wohl nicht etwa vor, die Heirat genauso anzugehen wie eines deiner Bankgeschäfte?“

„Das ist die beste Herangehensweise.“

Susanna schüttelte verwundert den Kopf. „Du reduzierst die Ehe auf ein nüchternes Geschäft? Ich hoffe, du verliebst dich eines Tages so sehr, dass du alles zurücknimmst.“

Er hatte einmal geglaubt, verliebt zu sein – und unter den Folgen gelitten. Noch einmal würde er sich nicht freiwillig für dieses Experiment zur Verfügung stellen.

Nein, er würde eine vernünftige Verbindung mit einer Frau seiner eigenen Klasse eingehen, die er respektierte. Das Verlieben würde er den gedankenlosen Toren überlassen.

„Und ich hoffe, dass du, kleine Schwester, einen freundlichen Gentleman findest, der dich schätzt und für dich sorgt, anstatt sich theatralisch in Pose zu werfen und schlechte Verse über deine Augenbrauen vorzutragen.“

„Das eine muss das andere nicht ausschließen“, entgegnete sie.

„Wenn du so gut über das Umwerben Bescheid weißt, wozu brauchst du dann noch Unterricht?“

Sie verdrehte die Augen. „Bescheid zu wissen und in der Lage zu sein, das Wissen anzuwenden, sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Wenn ich den freundlichen Gentleman auf mich aufmerksam machen will, der mich schätzt und mich versorgen wird, sollte ich wohl besser in der Lage sein, mich mit ihm zu unterhalten. Anstatt in seiner Gegenwart nur stumm und steif wie ein Zaunpfahl herumzusitzen.“

„Ich hoffe, du hast es nicht auf einen Adligen abgesehen“, sagte er. Erneut bemühte er sich um einen heiteren Tonfall, obwohl ihm vor dieser Aussicht graute.

„Ich habe es auf niemanden Bestimmtes abgesehen – noch nicht.“ Sie setzte sich an ihren Frisiertisch und nahm ihre Haarbürste. „Aber wenn ich den Mann kennenlerne, von dem ich mir gerne den Hof machen lassen würde, möchte ich wissen, wie ich ihn dazu ermutigen kann. Und ihm den Kopf verdrehen“, sagte sie und warf ihm einen verschmitzten Blick zu.

Miles presste die Lippen zusammen, um keine scharfe Antwort zu geben. Er wollte auf keinen Fall, dass sie irgendetwas von Lady Laura lernte, doch wenn er noch mehr Einwände gegen den Plan vorbrachte, würde er seine Schwester eher verärgern als überzeugen.

Vielleicht sollte er die Ausrede nutzen, die sie ihm angeboten hatte, und dem Unterricht beiwohnen. Natürlich nicht, um zu lernen, wie er die vernünftige Charlotte umwerben konnte, sondern um Lady Lauras Anweisungen mit vernünftigen Argumenten zu untergraben.

Er wollte sich zwar nur ungern dem geübten Charme der liebenswürdigen Schönheit aussetzen, aber inzwischen war er klug genug, ihrer Anziehungskraft zu widerstehen. Und Gentleman genug, um sich nicht von ihr provozieren zu lassen. Er würde aufmerksam zuhören und höflich, aber unmerklich jede Empfehlung, die ihm für seine Schwester als unpassend erschien, ablehnen.

„Vielleicht hast du recht“, sagte er schließlich, „und ich sollte an eurem Unterricht teilnehmen.“

Susanna riss die Augen auf, die Hand mit der Bürste erstarrte. „Du willst dabei sein? Ich muss zugeben, dass ich nur gescherzt hatte, aber das wäre ja wunderbar! Bist du sicher, dass du die Zeit dafür erübrigen kannst?“

„Wie könnte ich mir entgehen lassen, wie meine Schwester sich in eine Herzensdiebin verwandelt?“, neckte er.

Susanna lachte. „Vielleicht wird ja doch noch ein Kavalier aus meinem Bruder.“

Miles lachte „Unwahrscheinlich.“

„Nicht wahrscheinlicher, als dass ich schüchternes Ding eine Herzensdiebin werde. Aber ich freue mich, dass du beim Unterricht dabei sein wirst. Ich mag Laura so sehr. Zeit mit ihr zu verbringen ist der beste Weg für dich, zu erkennen, wie liebenswert, klug und bewundernswert sie ist.“

„Wenn du das sagst“, antwortete er trocken.

Susanna schaute auf die Uhr auf dem Kaminsims. „Ich erwarte Laura in einer Stunde. Kannst du dann in den Salon kommen?“

Er müsste zurück ins Bankhaus, aber das würde er auf die Zeit nach dem „Unterricht“ verschieben. Es war wichtiger, zu Hause zu bleiben und seine Schwester zu behüten.

Bei der Aussicht, die betörende Lady Laura wiederzusehen, raste sein Puls, doch natürlich freute er sich keineswegs darauf.

Als Miles die Treppe hinunterging, überkam ihn eine dunkle Vorahnung. Auf was hatte er sich da eingelassen?

In seinem Studierzimmer ging er direkt zur Anrichte, um sich etwas zu trinken einzuschenken.

Wie sollte er Lady Lauras Ratschläge abwehren, ohne unhöflich zu wirken?

Unvermittelt tauchte sie vor seinem inneren Auge auf, und er erinnerte sich an das Gefühl ihrer schlanken Arme unter seinen Händen, an die Wärme ihres Körpers, als sie ihn fast berührt hatte, an den Rosenduft, der von ihren goldenen Locken aufstieg. Erneut regte sich etwas in seinem Körper.

Leise fluchend kippte er den Scotch herunter. Solange er ihr gegenüber auf der Hut blieb, würde er ihren körperlichen Reizen doch gewiss widerstehen können, oder?

Das würde er noch früh genug herausfinden.

In einer Stunde würde sie kommen.

Bei diesem Gedanken füllte er sein Glas erneut.

3. KAPITEL

Etwas mehr als eine Stunde später klopfte Laura an die Tür des Stadthauses der Rochdales. Sie hatte sich mit Sorgfalt angekleidet und trug jetzt ihr am wenigsten auffälliges Nachmittagskleid – keine einfache Aufgabe, denn die aktuelle Mode schrieb übertriebene Ärmel und eine Fülle an Spitze vor. Susannas Bruder war zwar nur selten zu Hause, aber es gab immer die Chance, dass Laura ihm begegnete. Und dann wollte sie so gebildet und reif wie möglich wirken.

Auf dem Weg zum Salon erhaschte sie einen kurzen Blick auf sich im Spiegel. Mit den mäßig weiten Ärmeln, die am Handgelenk zu Manschetten gerafft waren, dem hohen Kragen und dem schmal geschnittenen Hemdblusenkleid könnte sie vielleicht als Gouvernante durchgehen – oder als Angestellte in einem Bankhaus, dachte sie spöttisch. Ihr war immer noch nicht eingefallen, was sie zu Miles Rochdale sagen könnte, falls sie ihn traf. Hoffentlich würde ihre schlichte Aufmachung einen vernünftigen Eindruck machen, während sie auf einen Geistesblitz wartete.

Sie hatte ihre Fächer mitgebracht. Da Susanna oft viel zu schüchtern war, um etwas zu sagen, würde Laura damit beginnen, sie mit dieser Art der Kommunikation vertraut zu machen, die keine Worte brauchte. Das würde ihr Selbstbewusstsein stärken, und danach konnten sie dazu übergehen, die Kunst der Konservation einzuüben.

Als sie den Salon betrat, rief sie: „Susanna! Bist du bereit …?“

Der Rest des Satzes blieb ihr im Halse stecken, als sie nicht nur ihre Freundin erblickte, sondern auch ihren Bruder. Miles Rochdale erhob sich, um sie zu begrüßen.

Vor lauter Schrecken fehlten ihr die Worte – und straften Susannas Lob Lügen, dass sie stets wüsste, was sie sagen sollte. Während sie wie angewurzelt stehen blieb, bewies der wohlige Schauder, der sie packte, dass ihre vorige heftige Reaktion auf Miles Rochdale leider kein Zufall gewesen war.

Während sie versuchte, mit ihrer unerwarteten Reaktion fertigzuwerden, kam Susanna zu ihr und umarmte sie. Miles Rochdale blieb stehen und versuchte zu lächeln. Kurz darauf kamen ihr automatisch die passenden höflichen Worte über die Lippen, obwohl sie immer noch durcheinander war.

Obwohl die Luft zwischen ihnen knisterte, spürte sie, dass Miles Rochdales Lächeln genauso falsch war wie ihr eigenes. Aber warum war er hier, wenn er sie nicht mochte?

„Gestattet mir, dass ich euch dieses Mal richtig vorstelle“, sagte Susanna. „Lady Laura, darf ich dir meinen Bruder, Miles Rochdale vorstellen? Miles, Lady Laura Pomeroy.“

Nachdem alle hinreichend geknickst und sich verbeugt hatten, führte Susanna Laura zum Sofa. Sie hatte ihre Fassung immer noch nicht ganz wiedergewonnen, doch zum Glück ließ Mr. Rochdale sich im Ohrensessel nieder, anstatt sich neben sie zu setzen.

Doch selbst aus mehreren Schritten Entfernung nahm sie seine männliche Gegenwart beunruhigend deutlich wahr.

Fühlte er sich auf ähnliche Weise zu ihr hingezogen? Ein verstohlener Blick auf sein Gesicht lieferte keinen Hinweis darauf, dass sie irgendeinen Reiz auf ihn ausübte.

Verärgert mahnte sie sich, sich nicht wie eine Närrin aufzuführen und sich zu beherrschen.

Mr. Rochdale räusperte sich. „Susanna sagte mir, dass Sie mich bei unserer ersten Begegnung für recht unhöflich hielten. Ich entschuldige mich dafür, denn das war gewiss nicht meine Absicht. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur vorbringen, dass ich in Gedanken zu sehr mit geschäftlichen Angelegenheiten beschäftigt war.“

Laura musterte ihn. Er schien es durchaus aufrichtig zu meinen, doch sie war sicher, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie Verachtung, keine Unaufmerksamkeit in seinem Blick gesehen. Machte er ihr ein Friedensangebot, um seiner Schwester eine Freude zu machen?

Was immer seine Gründe waren, die Höflichkeit gebot es, dass sie auf ähnliche Weise etwas darauf erwiderte. „Es besteht kein Grund, um Verzeihung zu bitten, Mr. Rochdale. Ich bin sicher, Sie wollten niemanden absichtlich kränken.“

Ihre Worte waren höflich, doch es gelang ihr nicht, ihren Zweifel gänzlich aus ihrer Stimme zu verbannen. Susanna schien es nicht zu bemerken, doch Mr. Rochdale hob eine Braue.

Bevor er etwas erwidern konnte, sagte Susanna: „Darf ich dir einen Tee anbieten?“

„Sehr gerne“, sagte Laura aufrichtig erfreut. An Mr. Rochdale gewandt sagte sie: „Es war sehr freundlich von Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, sich zu entschuldigen. Susanna erzählte mir, dass die Geschäfte Sie sehr in Anspruch nehmen, also lassen Sie sich bitte nicht länger aufhalten.“

Sie lächelte und erwartete, dass er sich erheben und verabschieden würde. Stattdessen sagte er: „Ich hätte selbst gerne etwas Tee.“

Ihr Lächeln verblasste, ein winziges Stirnrunzeln trat an seine Stelle. Er war also fest entschlossen, sich gesellig zu geben. Wollte er sich aufrichtig mit ihr versöhnen?

Sein Blick war freundlich, solange sie ihn direkt ansah. Doch sobald sie ihn aus dem Augenwinkel musterte, während ihre Freundin den Tee einschenkte, wurde die herzliche Miene durch etwas vollkommen anderes abgelöst, fast so etwas wie … Argwohn? Sie konnte es nicht sicher benennen. Aber sie wurde auch das Gefühl nicht los, dass Miles Rochdale sie immer noch mit Missfallen betrachtete, ganz gleich, wie hübsch er seine Worte wählte. 

Sie dagegen hatte törichterweise Mühe, seinen Reizen zu widerstehen und ihn nicht pausenlos anzulächeln. Am liebsten würde sie sich mit ihm unterhalten und sein Interesse wecken.

Der Teufel soll ihn holen, dachte sie und nahm einen Schluck Tee, der so heiß war, dass sie sich beinahe verbrüht hätte. Zugegeben, seine ansehnliche Erscheinung zog sie an – das war nicht ungewöhnlich. Dieser lebensstrotzende unwiderstehliche Mann würde keine aufmerksame Frau kaltlassen. Für die Dauer des Tees würde sie seine männliche Schönheit auskosten und anschließend ihn und seinen unterschwelligen Tadel aus ihren Gedanken verbannen.

Sie war es nicht gewohnt, dass man ihr mit so viel Missbilligung begegnete. Hoffentlich würde die Zeit, die sie zum Teetrinken brauchte, sie von dieser unpassenden Anziehungskraft heilen.

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