Gezähmt von deinen Küssen

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Von einer festen Bindung hält Cameron nichts. Lieber genießt der Frauenheld sein Luxus-Leben im sonnigen Brisbane. Bis er seine Jugendfreundin Rosie wiedertrifft: jung, schön - und entschlossen, den Casanova zähmen. Doch die Schatten der Vergangenheit verdunkeln bald den Horizont ...


  • Erscheinungstag 03.09.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751517799
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Cameron Kelly öffnete aufs Geratewohl die schwere Seitentür eines Gebäudes, schloss sie vorsichtig hinter sich und wurde von Dunkelheit umhüllt. Eine tiefschwarze Dunkelheit, bei der selbst der mutigste Junge Angst vor den Monstern unter seinem Bett bekam.

Es war schon einige Jahre her, dass Cameron dieser Junge gewesen war. Er hatte früh begriffen, dass die Menschen nicht immer die Wahrheit sagten. Und dass seine Brüder die Monster erfunden hatten.

Durch ein winziges Fenster sah man regelrecht, dass die Luft im winterlichen und sonnigen Brisbane rein war, und er lehnte seine Stirn gegen das kühle Glas.

Ausgerechnet seiner jüngeren Schwester Meg musste er hier draußen begegnen, die, mit einem Kaffeepappbecher in der Hand, mit ihren Freundinnen plauderte.

Wenn Meg ihn dabei erwischt hätte, wie er im Botanischen Garten über Seerosenblättern und Kakteen brütete, statt bis zum Hals in Blaupausen und Genehmigungsverfahren und Bankunterlagen für Millionen teure Wolkenkratzer zu stecken, hätte sie ihn nicht in Ruhe gelassen, bis er ihr den Grund dafür verraten hätte.

Und daher musste er sich verstecken. Weil die Wahrheit ihr nur wehtun würde. Und obwohl er längst als das schwarze Schaf des Kelly-Clans galt, hätte er nie absichtlich jemandem aus seiner Familie wehgetan.

Er hielt seine Uhr in das spärliche Licht, das durchs Fenster fiel, sah, dass es fast neun war und verzog das Gesicht.

Hamish und Bruce – sein Architekt und sein Projektmanager – warteten seit über einer Stunde auf der Baustelle am CK Square auf ihn, damit er die endgültigen Pläne für das vierundfünfzigste Stockwerk absegnete. Er konnte froh sein, wenn sie sich inzwischen nicht gegenseitig erwürgt hatten.

Er wollte gerade die Tür öffnen und gehen, als ihm Meg wieder einfiel – die einzige Person, der er nichts vormachen konnte, obwohl er in seinen beiden älteren Brüdern erfahrene Lehrmeister gehabt hatte. Er ließ die Hand sinken.

Sollten sich Hamish und Bruce ruhig darüber aufregen, wenn er zu spät kam. Dann wären sie sich wenigstens ein einziges Mal in etwas einig. Es machte ihm nichts aus, wenn die Leute glaubten, er habe ein Ego von der Größe Queenslands. Immerhin war er ein Kelly. Der Name stand geradezu für Selbstherrlichkeit.

„Wir haben geschlossen“, hörte er irgendwo hinter sich eine Stimme.

Mit aufgerichteten Nackenhaaren fuhr er herum. Obwohl er seit seinem letzten Jahr an der St. Grellans nicht geboxt hatte, hob er blitzschnell die Fäuste, die Finger so fest um die Daumen geschlossen, dass sie knacksten. Er spähte durch den riesengroßen leeren Raum, konnte jedoch die Hand nicht vor Augen sehen.

„Es tut mir schrecklich leid“, sagte die Stimme. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“

Es war zweifellos eine weibliche Stimme, deren rauchige, süße, weiche Töne durch die Dunkelheit zu ihm drangen, mit einem gehörigen Schuss Sarkasmus, wenn man bedachte, dass sie keine Ahnung hatte, mit wem sie es zu tun hatte.

„Sie haben mich nicht erschreckt“, widersprach er.

„Warum nehmen sie dann nicht die Fäuste herunter, ehe sie sich noch selbst k. o. schlagen?“

Cameron ließ die Hände sinken und straffte sein Jackett.

„Ich habe nichts gegen eifrige Besucher“, sagte die spöttische Stimme. „Aber die Vorstellung fängt erst in einer halben Stunde an. Sie sollten lieber draußen warten.“

Die Vorstellung? Camerons Augen hatten sich ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt. Er erkannte Umrisse, Stuhlreihen, die wie in einem Hörsaal angeordnet waren. Sie waren leicht zurückgeneigt, damit das Publikum nach oben blicken konnte, ohne einen steifen Nacken zu bekommen, denn die Vorstellung fand nicht auf einer Bühne statt, sondern unter dem großen Kuppeldach.

Es hatte ihn ins Planetarium verschlagen. Seit seiner Kindheit war er nicht mehr hier gewesen. Es kam ihm vor, als wären die Plastikschalenstühle und der abgeschabte Teppich unter seinen Füßen noch dieselben.

Er reckte den Hals und versuchte Form und Zustand des Daches zu erkennen. Als Statiker fragte er sich, wie die hohe Decke gestützt wurde, während das Kind in ihm über die tiefe, dunkle, unendliche Schwärze staunte. Nachdem der Spaziergang zwischen Rhododendren nicht geholfen hatte, löste sich seine innere Anspannung nun endlich.

Er blickte noch immer in die Höhe, als er sagte: „Wenn es Ihnen recht ist, würde ich gern hier warten.“

„Das geht eigentlich nicht.“

„Warum nicht?“

„Regeln. Vorschriften. Sicherheit am Arbeitsplatz. Brandschutz. Heute ist Dienstag. Sie tragen die falschen Schuhe. Suchen Sie sich etwas aus.“

Er senkte langsam den Kopf und blickte auf seine Schuhe, die er selbst kaum erkennen konnte, obwohl er ihnen um einiges näher war als sie. Erneut spähte er in das Nichts, konnte aber immer noch niemanden erkennen.

War sie vom Wachpersonal und würde ihn hochkant rausschmeißen? Ein Eindringling wie er, der allein sein wollte – getrieben von dem Verlangen, sich von dem Thema abzulenken, um das seine Gedanken kreisten, seit er heute morgen im Fernsehen die Wirtschaftsnachrichten gesehen hatte?

„Wenn Sie jetzt gehen, lasse ich Ihnen einen Platz reservieren“, schlug die honigsüße Stimme vor.

Dann gehörte sie also zum Management. Irgendwie war er enttäuscht.

„Ich reserviere Ihnen sogar persönlich einen schönen bequemen Platz“, fuhr sie fort. „Genau in der Mitte, der weder wackelt noch jedes Mal quietscht. Was sagen Sie dazu?“

Er sagte gar nichts. Er wusste, dass sie näher gekommen war, weil er zu seiner Linken einen Lufthauch gespürt hatte, das Rascheln von Stoff auf Haut. Der süße Vanilleduft, den er außerdem plötzlich von ihr wahrnahm, erinnerte ihn daran, dass er Hunger hatte.

Er fluchte leise, als ihm einfiel, warum er vergessen hatte zu frühstücken.

Der Fernsehauftritt in den Wirtschaftsnachrichten von eben jenem Mann, der ihn vor Jahren zum Außenseiter in der eigenen Familie gemacht hatte, war kein Blitz aus heiterem Himmel gewesen. Quinn Kelly, sein Vater, betrieb schamlos Eigenwerbung für das Familienunternehmen: die Kelly Investment Group, von der Presse treffend doppeldeutig „KInG“ (König) genannt.

Sein Vater war der Inbegriff des australischen Traums. Der Einwanderer, der mit nichts als den eigenen Kleidern am Leib ins Land gekommen war, hatte ein Finanzimperium aufgebaut, um das ihn jeder beneidete, und eine große, ausgelassene, fotogene Familie gegründet, die von der Presse verehrt wurde. Groß, attraktiv, charmant und direkt wie er war, lebte dieser Mann, als sei er unsterblich, und die Welt glaubte ihm – weil er überall seine Finger drin hatte.

Cameron war nicht klar gewesen, dass auch er diesen Mann für unsterblich hielt, bis ihm dessen Blässe unter der Schminke aufgefallen war, die eingefallenen Wangen, die glanzlosen Augen. Stundenlang hatte er sich einzureden versucht, dass er sich irrte. Warum sollte er sich um einen Mann sorgen, der so ungeniert einen Keil zwischen ihn und seine Familie getrieben hatte, um die eigene Haut zu retten, und damit seine naive Vorstellung von Vertrauen und Ehrlichkeit für immer zerstört hatte?

Es war neun Uhr morgens und Cameron wünschte bereits, der Tag sei vorbei.

„Die Tür ist direkt hinter Ihnen“, sagte das bis jetzt einzige Highlight seines Tages.

Cameron richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Obwohl mir die Vorstellung gefällt, dass Sie jeden einzelnen Sitz für mich testen, möchte ich die Vorstellung eigentlich gar nicht sehen.“

„Sie brauchen nicht schüchtern sein“, entgegnete sie, und ihre spöttische Stimme ging ihm durch und durch. „Selbst große Jungs wie Sie finden es mitunter tröstlich, dass es dort draußen im Kosmos Größeres und Großartigeres gibt als Sie selbst, das noch lange weiter strahlt, nachdem Sie nur noch eine zweizeilige Todesanzeige in der Lokalzeitung sind.“

Zu seiner eigenen Überraschung lachte er laut. Es geschah nicht oft, dass es jemand wagte, ihn auf den Arm zu nehmen. Er war zu erfolgreich, sein Ruf zu unerbittlich, sein Nachname zu berühmt. Vielleicht gefiel es ihm deshalb.

„Mal abgesehen von ihrer Kompetenz, was große Jungs angeht“, sagte er, „habe ich die Show schon vor vielen Jahren gesehen, als ich noch zur Schule ging.“

„Vor vielen Jahren?“, erwiderte die rauchige Stimme. „Da haben Sie aber Glück, dass die Astronomen genau zu diesem Zeitpunkt gesagt haben: ‚Tja, das war’s dann. Wir haben so viele Sterne gefunden, dass sich noch hundert Generationen von verliebten Pärchen gegenseitig zum Valentinstag beschenken können. Wozu sollen wir die ewigen Rätsel des Universums noch weiter untersuchen?‘“

Wieder musste er lachen. Und zum ersten Mal seit Stunden hatte er das Gefühl, er könne seinen Kopf drehen, ohne sich dabei total zu verspannen. Er hatte keine Ahnung, ob diese Frau achtzehn oder achtzig war, ob sie verheiratet war oder Single oder überhaupt von diesem Planeten, aber es war ihm egal.

Etwas bewegte sich. Cameron wandte den Kopf nach links, und endlich sah er sie: einen dunklen Umriss, der mit den Schatten verschwamm. Wenn sie auf gleicher Höhe stand wie er, war sie groß. Er meinte lange gewellte Haare zu erkennen und einen schlanken Körper in einem leichten knöchellangen Kleid.

Zwar war er in den Park gekommen, um sich von einer unbequemen Wahrheit abzulenken, doch die einzige Wahrheit schien jetzt diese Stimme zu sein, die ihn immer tiefer in die Dunkelheit zog.

„Wie wäre es, wenn Sie das Licht anschalten?“, fragte er.

„Würden Sie mir glauben, wenn ich sage, dass ich Energie sparen will?“

Sein Lächeln wurde breiter, und die Anspannung in seinen Schultern verflüchtigte sich. „Keine Sekunde“, sagte er, seine Stimme einige Nuancen tiefer, bemüht, dieser Stimme Kontra zu bieten – dieser rauchigen weiblichen Stimme, die es wagte, sich über ihn lustig zu machen.

Er war immerhin ein Kelly.

Rosie hielt Abstand.

Nicht, weil der Eindringling gefährlich wirkte. Sie kannte die Verstecke und Schlupfwinkel hier wie ihre Westentasche, und nachdem sie ihr halbes Leben lang die Sterne beobachtet hatte, sah sie im Dunkeln wie eine Katze. Und so träge, wie er vorhin die Fäuste geballt hatte, als wüsste er instinktiv, dass niemand es wagen würde, ihn anzugreifen, hätte sie sicher ein oder zwei Treffer gelandet.

Sie hielt Abstand, weil sie wusste, wer er war.

Der Mann in der dunklen Jeans, dem Nadelstreifenjackett, der glänzenden Krawatte und gebügeltem Baumwollhemd unter einem eleganten Pullunder mit V-Ausschnitt war Cameron Kelly.

Der unbeschreiblich attraktive Cameron Kelly. Der smarte ernste Cameron Kelly mit dem ozeantiefen Blick. Von den Kellys aus Ascot. Die Kellys waren eine riesige Familie, eine Investmentbanker-Dynastie, die in jeglicher Hinsicht gesegnet war.

Sie hätte die unzähmbare Haartolle, die breiten Schultern und seinen appetitlichen Nacken überall wiedererkannt. Gott allein wusste, wie viele Stunden sie in der Schulkapelle von St. Grellans damit verbracht hatte, ihn von hinten anzustarren.

Nicht, dass er sie wiedererkannt hätte, wenn sie vor ihm gestanden oder das Licht angeschaltet hätte. Sie war das Kind mit dem Stipendium gewesen, das jeden Tag zwei Busse und einen Zug von der bescheidenen Sozialwohnung, in der sie mit ihrer alleinstehenden Mutter wohnte, zur Schule nehmen musste. Er hingegen hatte an der St. Grellans Geburtsrecht gehabt.

Nach Abschluss der Schule hatten sie in völlig unterschiedlichen Kreisen verkehrt, doch die Kellys waren nie ganz aus ihrem Blickfeld verschwunden. In den Hochglanzmagazinen hatte sie verfolgt, wie der fesche Patriarch Quinn Kelly hier ein Kunstobjekt kaufte oder dort ein Rennpferd verkaufte, während seine Frau Mary üppige Festessen für dieses oder jenes Staatsberhaupt gab. Brendan, der Älteste und die rechte Hand seines Vaters, hatte geheiratet, zwei wunderschöne Töchter bekommen, war dann auf tragische Weise Witwer geworden und hatte so weiter zur Legende der Familie beigetragen. Dylan, der nächste, war der Charmeur. Sein breites, blendend weißes Lächeln forderte jede Zeitschriftenleserin heraus, sich der Schar von Schönheiten anzuschließen, die vergeblich auf seinen Anruf warteten. Meg, die Jüngste, galt als gelangweilt und schön genug, um jedem Hollywoodstarlet Konkurrenz zu machen.

Doch der Kelly, für den Rosie eine heimliche Schwäche hatte, hielt sich meist vor den neugierigen Augen der Paparazzi versteckt. Sein Beitrag zur Legende der Kellys bestand darin, alle paar Wochen neue Gefährtinnen an seiner Seite zu präsentieren: eine hübsche blonde Senatorin an seinem Arm bei einer Party hier, eine langbeinige blonde Tänzerin an seiner Seite bei einer Benefizveranstaltung dort.

Doch sobald er ohne Blondine irgendwo auftauchte, wurde Rosie wieder schwach.

„Und was“, fragte sie, „führt Sie hierher, wenn Sie nicht ein für alle Mal herausfinden wollen, wer den Mond und die Sterne aufgehängt hat?“

„Die Zentralheizung“, sagte er, ohne zu zögern. „Draußen ist es eiskalt.“

Sie lächelte, allzu bereit, seinem Charme zu erliegen, wenn man bedachte, dass der Mann für schlanke schlaue Mädchen mit undefinierbarer Haarfarbe und keinem nennenswerten Dekolleté noch immer blind zu sein schien.

Sie war jetzt nah genug, um das dezente Karomuster seines Pullunders zu erkennen, den feinen Platinfaden im Knoten seiner Krawatte und sein Stirnrunzeln, als sich ihre Blicke beinahe trafen.

Sie machte zwei entschlossene Schritte rückwärts. „Das Café auf dem Hügel hat draußen diese coolen Heizöfen aus glänzendem Messing. Und ich habe gehört, dass es dort sogar Kaffee geben soll.“

Nach einer längeren Pause drang seine Stimme zu ihr wie ein Donnergrollen. „So verlockend das klingt, mir gefällt es hier besser.“

Wie war es möglich, dass ihr bei diesem Mann noch immer die Knie versagten, obwohl er nicht einmal ihren Namen zu kennen schien. Sie schlang ihre rostrote perlenbestickte Strickjacke fester um sich und verdrängte einen vertrauten Schmerz, den sie längst vergessen geglaubt hatte – den brennenden Schmerz, für andere unsichtbar zu sein.

Als Kind eines Vaters, der sie verlassen hatte, noch ehe sie geboren war, und einer Mutter, die darüber nie hinwegkam, war sie von Natur aus unscheinbar und schüchtern gewesen. Eine Schule voller Politiker-, Millionärs- und sogar Königskinder hatte die Sache nicht besser gemacht.

Doch seit sie ihren Abschluss in Astrophysik gemacht hatte, in Spanien mit den Stieren gerannt war, in Ägypten am Fuße der Sphinx gestanden hatte, einen Monat mit viel Grappa auf einem Boot vor Venedig verbracht und aus jedem Winkel der Erde die Sterne beobachtet, hatte sie sich mit ihrer Herkunft ausgesöhnt. Inzwischen genoss sie ihr Leben in vollen Zügen und ließ sich von niemandem Vorschriften machen.

Als Cameron einen Schritt vor machte, wich sie zurück und verdrehte die Augen. Dass sich dabei eine Wimper in ihrer Kontaktlinse verfing, geschah ihr nur recht, fand sie.

Während sie die Wimper vorsichtig löste, kam sie zu dem Schluss, dass Cameron Kelly nicht mehr derselbe war. Dieser Mann war nicht mehr der Cameron Kelly, der ihr Lächeln erwidern würde, wenn sie je den Mut gehabt hätte, zuerst zu lächeln. Vielleicht war er es nie gewesen.

Jetzt war er jedenfalls der Mann, der sie die letzten wertvollen Minuten kostete, die ihr mit dem Teleskop der Sternwarte blieben, ehe die Venus, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdiente, aus ihrem Blick entschwand.

„Okay, verraten Sie mir, was ich sagen oder tun muss, damit Sie verduften?“ Sie rückte ihre Kontaktlinse zurecht. „Ich kann italienisch, spanisch, ein bisschen chinesisch. Komme ich damit bei Ihnen irgendwie weiter?“

„Und wenn ich gehe und außer mir kommt niemand?“

Rosie streckte die Arme seitlich aus. „Dann … schnappe ich mir einen Sitz, lege meine Füße auf den Stuhl vor mir und werfe Popcorn an die Decke, während ich den Text des Erzählers mitspreche. Das wäre nicht das erste Mal.“

Das brachte ihr wieder ein Lachen ein, ein tiefes, trockenes, donnerndes, männliches Lachen. Ihre Knie spürten es als Erstes, der Rest ihres Körpers folgte, bis sogar die Zehen köstlich prickelten.

Sie erinnerte sich genau an das dazugehörige Lächeln und an tiefe Kerben um den Mund, verlockende Fältchen um die strahlend blauen Augen und obendrein ein Grübchen.

Ach du Schande, so tief war sie schon lange nicht mehr im Sumpf ihrer Vergangenheit versunken. Es wurde Zeit, dass sie den Typen loswurde, ehe unerwünschte Erinnerungen hochkamen.

In der Hoffnung, dass er ihr folgen würde, machte sie einen Bogen um ihn und lockte ihn in Richtung Ausgang. „Ich dachte, Sie interessieren sich nicht für die Vorstellung?“

„Sie hätten das Popcorn nicht erwähnen sollen.“

Er kam näher. Das diffuse Licht, das durch das Fenster in der Tür hinter ihr fiel verlieh seiner Kleidung Farbe. Sie warf durch das Türfenster einen Blick hinaus auf die leuchtende Uhr an der Wand neben der Kasse. Die Venus war höchstens noch fünfzehn Minuten zu sehen. Wenn sie die heutigen Messungen noch abschließen wollte, musste sie sich beeilen. „Dann gehen Sie ins Kino. Da gibt es mehr Action.“

„Mehr Action als Supernovas, Rote Zwerge und Meteorschauer?“

„Typisch Mann“, sagte sie. „Zum Glück gibt es für die Feinheiten des Universums uns Frauen. Sie sollten ab und zu einfach mal still sitzen und den Mond betrachten. Manche Probleme lösen sich dann ganz von selbst.“

„Vielen Dank für den Rat.“ Im verschwommenen Sonnenlicht, das durch das kleine Seitenfenster drang, sah sie, wie er die Achseln zuckte. „Ich habe Ihnen etwas verschwiegen. Ich besitze selbst ein Teleskop.“

Verdammt! Es gab nicht viel, womit man sie aus dem Konzept bringen konnte, doch wer selbst nur ein flüchtiges Interesse für ihre große Leidenschaft besaß, zog sie unwiderstehlich in ihren Bann.

„Was für eins?“, fragte sie.

„Es ist silbern. Kein echtes Silber. Vielleicht nicht einmal versilbert. Aber es sieht silbern aus.“

„Die silbernen sind die besten. Der Extraglanz begünstigt die Lichtbrechung.“

Sie genoss die halbe Sekunde, die er brauchte, um zu merken, dass sie ihn auf den Arm nahm. Sie genoss es so sehr, dass sie sich eingestehen musste, dass sie noch immer eine Schwäche für ihn hatte.

„Um ehrlich zu sein“, sagte er, „das Einzige, woran ich mich von damals erinnere, sind die Wurmlöcher. Und ich bin Manns genug zuzugeben, dass sie mich einige schlaflose Nächte gekostet haben.“

Seine Stimme war tief. Rau. Vieldeutig. Einen Moment lang hielt sie die Luft an, ehe sie sie mit einem tiefen Seufzer entweichen ließ.

Sie spielte mit einer türkisen Perle an ihrer Strickjacke. Sie hatte sie von einer Frau annähen lassen, der sie auf dem Weg nach Rosarito in Mexiko begegnet war. Rosie hatte dort allein in einer Hütte gewohnt, die aus lauter Sachen gebaut war, die sie am schönsten Strand der Welt gefunden hatte. Die Perle an der Strickjacke erinnerte sie daran, dass sie viel gesehen und viel erlebt hatte und nicht leicht zu beeindrucken war.

Kein Grund also über die Begegnung im Dunkeln mit Cameron Kelly ins Schwärmen zu geraten.

Sie richtete sich auf. „Na gut. Da Sie sich die Vorstellung nicht ansehen wollen, kann ich es Ihnen ja verraten. Pluto ist kein Planet mehr.“

„Wirklich nicht?“, fragte er aufrichtig schockiert. „Der arme Pluto.“

Diesmal war sie es, die lachte. Ein volles, heiteres, äußerst reizendes Lachen.

Zu spät bemerkte sie, dass Cameron nun so nah war, dass sie das Sonnenlicht auf seiner gebräunten Haut, der geraden Nase, dem glatt rasierten Kinn und den tief liegenden Augen sehen konnte. Augen, die sich inzwischen an das Licht gewöhnt hatten und endlich ihrem Blick begegneten.

Erst als sein Blick sich von ihr löste, bekam sie wieder Luft. Leider ließ er sie nicht so leicht davonkommen.

Er betrachtete ihr Haar. Das musste ziemlich durcheinander sein, dachte sie, nachdem sie es seit ihrer Ankunft hier vor Sonnenaufgang mal hochgesteckt, mal offen, mal zum Knoten gedreht und dann zu Zöpfen gebunden getragen hatte. Sie trug ein langes, geblümtes Kleid, dass heute morgen auf dem Korb mit sauberer Wäsche ganz oben gelegen hatte, eine Strickjacke, die sie im Kofferraum gefunden hatte und die bequemen Stiefel, mit denen sie um die ganze Welt gereist war und die sie heil wieder nach Hause getragen hatten, aber alles andere als schick waren.

Sein prüfender Blick dauerte nur kurz. Kaum mehr als den Bruchteil einer Sekunde. Dennoch drängte es sie, ihr Haar zu richten, den BH zurechtzurücken und mit den Fingern eventuelle Spuren von Wimpertusche unter den Augen fortzuwischen.

Sie war zunächst dankbar, als sein Blick zu ihren Augen zurückwanderte. Doch alle Dankbarkeit war vergessen, als seine blauen Augen ihren Blick gefangen hielten. Ihre Kehle wurde trocken. Vergeblich versuchte sie zu schlucken. Sie hatte das bestimmte Gefühl, dass sie dringend etwas erledigen musste, konnte sich aber um nichts in der Welt daran erinnern, was. Sie wünschte sich sehnlichst Erleuchtung.

Und die bekam sie. Dutzende fluoreszierender Glühbirnen flackerten mittlerweile an den Wänden wie Discobeleuchtung. Cameron hielt ihren Blick, und sie fragte sich einen Moment lang, warum sie je geglaubt hatte, ihn zu kennen …

Und dann lächelte er, und schien nur noch aus Grübchen und Augenfältchen zu bestehen. Und sie fühlte sich, als sei sie wieder vierzehn, samt Brille, seltsamen Klamotten, und unsterblich verliebt.

Kontaktlinsen hatten die Brille ersetzt, und ihre Secondhandkleider waren wahrscheinlich immer noch ein wenig seltsam. Doch das verträumte Mädchen von damals gab es nicht mehr.

Mit jedem Aufflackern des grellen weißen Lichts konzentrierte Rosie sich darauf, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben.

2. KAPITEL

Adele, dachte Rosie fluchend.

Adele musste das Licht angeschaltet haben. Sie war Rosies beste Freundin und Leiterin des Planetariums.

„Es werde Licht“, sagte Cameron und sah sich um, ehe sein Blick wieder bei ihr landete.

Trotz ihrer erstaunlichen Fähigkeit, im Dunkeln ziemlich viel sehen zu können, war sie nicht auf diese Augen vorbereitet: blauer als blau, umrandet von dichten kastanienbraunen Wimpern in derselben Farbe wie sein perfekt zerzaustes Haar.

Was den Rest anging … Die Jahre hatten die weichen Konturen geschärft, den zarten Körper gestählt und das jugendliche Ungestüm durch unerschütterliches Selbstbewusstsein ersetzt, das ihn umgab wie eine zweite Haut.

Weshalb sie sich mit ihrem unfrisierten Haar, den bequemen Schuhen und der lässigen Kleidung vorkam wie eine Vogelscheuche.

„Mensch, Süße, du wirst noch zum Vampir!“, rief Adele, während sie die Treppe hinunterpolterte. „Deine Nachtaktivität hinterlässt langsam Spuren. Oh, tut mir leid. Ich dachte, du bist allein.“

Autor

Ally Blake
Ally Blake ist eine hoffnungslose Romantikerin. Kein Wunder, waren die Frauen in ihrer Familie doch schon immer begeisterte Leserinnen von Liebesromanen.

Sie erinnert sich an Taschen voller Bücher, die bei Familientreffen von ihrer Mutter, ihren Tanten, ihren Cousinen und sogar ihrer Großmutter weitergereicht wurden. Und daran, wie sie als junges Mädchen...
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