Glück zu dritt

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Zwischen Tori und ihrem smarten Jugendfreund Jake war nie etwas! Warum fühlt sich plötzlich alles so wunderbar anders an, als er ihr Haus auf Vordermann bringt? Die Chemie stimmt – aber das Timing nicht: Tori bekommt endlich ihr Adoptivkind. Wird Jake bei ihr bleiben?


  • Erscheinungstag 27.07.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751522922
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Victoria Phillips war aufgeregt und ängstlich. Aber trotzdem freute sie sich riesig, denn in weniger als vier Wochen würde das Baby da sein.

Es war Anfang September. Der Himmel über Santa Fe leuchtete violett und blassorange, und Tori hastete die drei Stufen zur Veranda ihres Ranchhauses hinauf, das aus luftgetrockneten Lehmziegeln gemauert war. Während sie die Tür aufschloss, musste sie wieder daran denken, dass sie, falls alles nach Plan lief, bald einen kleinen Jungen mit nach Hause bringen würde … Falls Barbara Simmons, die Achtzehnjährige, die sich zu jung fühlte, ein Kind zu erziehen, ihre Entscheidung nicht plötzlich rückgängig machte. Seit Tori sich einverstanden erklärt hatte, das Baby des Mädchens zu adoptieren, bohrte Tag und Nacht die Angst in ihrem Herzen, dass am Ende doch alles ganz anders kommen könnte.

Sie legte gerade ihre lederne Handtasche auf dem Wohnzimmertisch ab, als es an der Haustür klingelte.

Eilig lief Tori aus dem Wohnzimmer. Vielleicht ist es Barbara, dachte sie. Das Mädchen schaute ab und zu mal vorbei und erzählte ihr, wie die Schwangerschaft verlief. Und seit Tori das Baby auf dem Ultraschall gesehen hatte …

Erwartungsvoll riss sie die Tür auf. Plötzlich stockte ihr der Atem. Auf Anhieb erkannte sie den Mann, der auf der Veranda vor ihr stand … Jake Galeno! Gestern Abend hatte sie seine Telefonnummer in einer Zeitungsannonce entdeckt und ihn angerufen, aber sie hatte niemals gedacht, dass er auf ihre Nachricht so schnell reagieren würde. Und auf gar keinen Fall hatte sie damit gerechnet, dass er plötzlich vor ihrer Tür stehen würde. Immerhin waren zwölf Jahre vergangen, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Vor zwölf Jahren hatte er sie zum Abschlussball der High School begleitet, und am Ende jenes wundervollen Abends hatte er ihr einen atemberaubenden Kuss gegeben … Einen Kuss, den sie niemals hatte vergessen können.

Obwohl sie sich mit ihren dreißig Jahren durchaus für eine selbstbewusste Frau hielt, löste der Gedanke an damals immer noch Schwindelgefühle in ihr aus. „Jake! Ich hatte keine Ahnung, ob du dich an mich erinnern würdest. Ich konnte ja nicht damit rechnen, dass du dich so schnell bei mir meldest!“

Ein plötzlicher Windstoß wirbelte durch sein blauschwarzes Haar. An den hohen Wangenknochen, dem markanten Gesicht und an seiner leicht gebogenen Nase konnte man deutlich erkennen, dass Jake Galenos Stammbaum spanische, angloamerikanische und indianische Vorfahren aufwies, und Tori erinnerte sich noch bestens daran, dass sie ihn früher für den attraktivsten Mann gehalten hatte, der ihr jemals unter die Augen gekommen war. Niemand war so sexy wie Jake Galeno.

Niemand ist so sexy wie Jake Galeno, flüsterte es leise in ihrem Innern.

„Natürlich erinnere ich mich an dich“, erwiderte Jake mit leisem Spott. „Oder hast du im Ernst geglaubt, dass ich unsere Nacht in Camelot jemals vergessen könnte?“

Tori ging es genauso. Der Saal, in dem der Abschlussball stattgefunden hatte, war nach Motiven um den sagenhaften König Arthur dekoriert worden, und eine wundervolle Nacht lang hatte sie sich von Jake in die Welt der mittelalterlichen Legende entführen lassen. Äußerlich mochte Jake Galeno vielleicht ein wenig rau wirken, aber seine tiefe, ruhige, weiche Stimme hatte sie sanft eingehüllt und ihr Inneres durchflutet wie die uralten Melodien der indianischen Musik, die sie so sehr liebte. Jetzt schaute er sie aus seinen schwarzen Augen an und fesselte ihren Blick. Es handelte sich nur um eine winzige Sekunde, aber für sie war es wie eine kleine Unendlichkeit. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander.

Schließlich brach er das Schweigen. „Du hast mich angerufen, weil du Reparaturen an deinem Haus erledigt haben willst?“

Bestimmt hält er mich für absolut unfähig! dachte sie. Sie strich sich die Strähnen ihrer dunkelblonden Pagenfrisur hinter das Ohr und schluckte kräftig. „Ja, stimmt. Bitte komm doch rein.“

Jake hatte zwar schmale Hüften, aber er war sehr groß und breitschultrig, und deshalb schien er den ganzen Raum auszufüllen, als er ihr Haus betrat. Nur weil Tori die beste Freundin seiner Schwester Nina gewesen war, hatte er sie zum Abschlussball ausgeführt. Aus purer Freundlichkeit. Danach waren sie wieder getrennte Wege gegangen. Damals hatte er seine Ausbildung an der Polizeischule gerade abgeschlossen und bei der Polizei in Albuquerque seinen ersten Job angenommen. Warum ist er jetzt nach Santa Fe zurückgekehrt? fragte sich Tori.

„Du hast mir auf den Anrufbeantworter gesprochen, wann du bei dir zu Hause zu erreichen bist“, erinnerte er sie. „Der Kostenvoranschlag wird genauer, wenn ich vor Ort einen Blick auf die Sache werfen darf.“

„Die anderen Handwerker, die ich angerufen habe, haben es noch nicht einmal für nötig gehalten, sich überhaupt bei mir zu melden“, beschwerte sich Tori. „Immerhin, einer hat zwei Wochen später bei mir angerufen und mir erklärt, dass sein Terminkalender aus allen Nähten platzt. Bis Weihnachten ist er voll besetzt.“

Beiläufig ließ Jake die gebräunte Hand in die Tasche seiner Jeans gleiten. „Meine Firma existiert erst seit einem halben Jahr. Aber seitdem bin ich tatsächlich dauernd ausgebucht. Ein Projekt ergibt das nächste. Demnächst bin ich mit einem Haus in der Nähe von Española fertig. Dann kann ich mich um dich kümmern, vielleicht nächste Woche Dienstag?“

„Fantastisch! In ein paar Wochen will ich die Sache hinter mir haben …“ Tori brach ab. Jake interessiert sich bestimmt mehr für seinen Kostenvoranschlag als für dein Privatleben, ermahnte sie sich streng.

„Was ist in ein paar Wochen?“, hakte Jake freundlich nach. „Was Besonderes?“

Sie zögerte nur kurz. „Ich werde Mutter.“

Unwillkürlich glitt sein Blick über ihre weite türkisfarbene Hose. Der Stoff schmiegte sich an ihren Körper, wenn sie sich bewegte, und wenn sie still stand, fiel er locker an ihm herunter. Jakes eindringlicher Blick verursachte ein unangenehmes Gefühl in ihrer Magengegend. „Oh nein, ich bekomme kein Baby. Also, äh, nicht auf natürlichem Weg. Ich adoptiere ein Kind.“

„Ein Neugeborenes?“

„Ja. Es handelt sich um eine private Vereinbarung. Zwischen einer jungen, unverheirateten Mutter und mir.“

Jake lächelte. „Und du kannst es kaum erwarten.“

„Stimmt. Ich will, dass alles in Ordnung ist, wenn das Kind kommt. Alles muss perfekt sein … Wie lange warte ich schon auf ein Baby …“

„Hast du nie geheiratet?“, fragte Jake spontan.

„Ich war verheiratet. Ein paar Jahre lang, aber es hat nicht funktioniert. Nach der Scheidung habe ich meinen Mädchennamen wieder angenommen.“

„Kein einfacher Job, ein Kind allein großzuziehen.“

Immer derselbe Spruch, dachte Tori genervt. Langsam konnte sie ihn nicht mehr hören. Weder von ihrer Mutter noch von den Medien oder von der zweifelnden Stimme in ihrem Kopf, die sich immer wieder unverhofft zu Wort meldete. „Jedenfalls leichter als mit einem Mann, der mich früher oder später doch im Stich lassen wird. Oder als mit einem Mann, der mein Vertrauen nicht verdient. Oder einem, der mich nicht als gleichberechtigte Partnerin ansieht.“

Jake zog die Augenbrauen zusammen. „Tut mir leid, wenn ich den Finger auf eine offene Wunde gelegt habe. Aber mir steht tagtäglich vor Augen, wie meine Schwester sich mit ihren beiden Jungen abmüht, seit ihr Mann gestorben ist.“

„Oh, Jake, bitte entschuldige. Ich hatte ja keine Ahnung! Nina und ich haben uns vor ein paar Jahren aus den Augen verloren. Ich habe noch nicht einmal gewusst, dass sie überhaupt verheiratet war. Und jetzt ist sie verwitwet! Nina hat Söhne, hast du gerade gesagt?“

Er lächelte. „Zwillinge. Ab und zu hole ich sie für einen Tag zu mir. Glaub nicht, dass ich dann auch nur eine Sekunde zur Ruhe komme. Sie wirbeln herum wie ein Tornado. Eine Woche Knochenarbeit vom Morgengrauen bis Sonnenuntergang kostet mich weniger Energie.“

Obwohl seine Bemerkung trocken und sarkastisch klang, begriff Tori, dass er sehr stolz auf seine Neffen war. „Hast du keine eigenen Kinder?“, bohrte sie neugierig nach.

Plötzlich kniff Jake die Lippen zusammen. „Nein“, presste er mürrisch hervor. „Ich war nie verheiratet. Und ich werde auch nie heiraten.“

Knisterndes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Draußen hupte ein Auto. Tori nutzte die Gelegenheit, den Blick von ihm abzuwenden und aus dem Fenster zu schauen. „Vielleicht fangen wir draußen mit der Besichtigung an. Am besten, wir gehen durch die Küche“, schlug sie vor, eilte voran und wagte es nicht, noch einen Blick in die schwarzen Augen zu werfen. Augen, die sie immer noch ungeheuer faszinierten.

Graue Wölkchen mit kitschigen hellrosa Flecken durchzogen den violetten Himmel, als Jake auf Victoria Phillips’ Terrasse stand und die Wetterschäden an der nördlichen Außenwand ihres Hauses betrachtete. Jedenfalls versuchte er mit aller Macht, sich auf die Mauer zu konzentrieren – und nicht auf sie. Als er am vergangenen Abend ihre Nachricht auf dem Anrufbeantworter abgehört hatte, hatte er sich wie mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit versetzt gefühlt. Mit ihrem dunkelblonden glatten Haar und ihren blaugrünen Augen war sie für ihn immer eine Schönheit gewesen. In seiner Fantasie hatten ihre weichen Kurven sich für einen Moment lang wohlig an seinen kantigen Körper geschmiegt. Als er ihr das erste Mal begegnet war, war sie siebzehn gewesen und er einundzwanzig. Ein Jahr später hatte er sie zum Abschlussball begleitet, weil ihr Date von einem Tag auf den anderen mit einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus gelandet war. Damals hatte er das Gefühl gehabt, als hätte sie eine Lunte gelegt, die sein Verlangen irgendwann zur Explosion bringen würde. Aber er fühlte sich dafür verantwortlich, ihre Unschuld zu schützen.

Tori war für ihn immer noch außerhalb der Reichweite. Sein Leben verlief in unruhigen Bahnen. Er war sich noch nicht einmal sicher, dass er wirklich in Santa Fe bleiben wollte. Im Moment hatte er unbezahlten Urlaub, aber es würde ihn nur einen einzigen Anruf bei der Polizei in Albuquerque kosten, und er konnte wieder in sein altes Einsatzkommando zurückkehren. Das wollte er auf keinen Fall. Und noch weniger hatte er die Absicht, sich mit einer Frau wie Tori einzulassen. Noch vor einem Jahr war er Experte darin gewesen, die Absichten anderer Menschen besser zu durchschauen als seine eigenen. Wenn sein Talent ihn nicht im Stich gelassen hatte, dann konnte er sichergehen, dass die Adoption eines Babys Tori Phillips mehr bedeutete als eine heiße Affäre.

„Du hast erzählt, dass das Bad neu gefliest werden soll. Und du willst einen Arzneischrank montieren. Außerdem soll der Wandschrank im Kinderzimmer repariert werden“, zählte Jake auf.

Trotz der Abendsonne konnte er erkennen, dass ihre Wangen sich rot gefärbt hatten. „Ich zeig’s dir.“ Schnell hastete Tori zum Haus und in Richtung Badezimmer.

Auf Anhieb erkannte er, dass die Fliesenarbeiten rund um die Badewanne und das Waschbecken viel Zeit und Mühe kosten würden. „Die Verfugung hier ist verdammt alt“, bemerkte Jake fachmännisch, während er mit den Fingern über die Ritzen fuhr, aus denen der Putz bröckelte. Anschließend nahm er den Arzneischrank und die Beleuchtung unter die Lupe, die Tori besorgt hatte. Es überraschte ihn nicht, dass beides qualitativ hochwertig war. Nachdem sie ihm gestern auf den Anrufbeantworter gesprochen und er ihre Adresse aus dem Telefonbuch herausgefischt hatte, war er an ihrer Galerie vorbeigefahren. Die Galerie lag am Old Santa Fe Trail, und finanziell musste sie sich ziemlich gut stehen, wenn sie sich das kleine Häuschen leisten konnte. Immobilien in Santa Fe kosteten ein Vermögen.

„Hier ist der Schrank.“ Sie führte ihn in das zukünftige Kinderzimmer und öffnete die Tür zum Wandschrank. „Oben sollen Regalbretter angebracht werden, und unten will ich Bügel aufhängen.“ Sie zeigte auf die beschädigten Stellen an der Wand. Der Putz bröckelte bereits ab. „Kriegst du das hin?“

„Als ich zehn Jahre alt war, hat mich mein Onkel unter seine Fittiche genommen“, erklärte Jake. „Ich kriege alles hin. Mauern, Fliesenlegen, Marmor- und Terrazzoarbeiten.“

„Richtig. Ich erinnere mich. Du hast bei deinem Onkel gearbeitet, bevor du zur Polizeischule gegangen bist“, meinte Tori.

„Dein Gedächtnis funktioniert ganz ausgezeichnet.“

„Ich jedenfalls kann mich noch ganz genau an jedes einzelne Wort erinnern, das wir damals auf dem Abschlussball gewechselt haben.“ Plötzlich wurde sie rot, als hätte sie ein unausgesprochenes Geheimnis gelüftet. Hastig wechselte sie das Thema. „Was meinst du, wie lange du für die Sanierung brauchst? Barbaras Baby kommt Ende September.“

„Es ist dir bestimmt recht, wenn ich mich ranhalte. In vier oder fünf Tagen kann der Job erledigt sein.“

„Großartig. Dann bleiben mir noch drei Wochen, um alles vorzubereiten.“

„Heute Abend mache ich die Aufstellung und schicke dir den Kostenvoranschlag per Post“, schlug Jake vor. „Oder ich rufe dich an.“

„Genau. Ruf mich einfach an.“

„Vielleicht willst du die Abrechungsposten einzeln aufgestellt sehen“, widersprach er.

„Nein. Du hast mein vollstes Vertrauen.“

Ihre Worte überraschten ihn. „Wieso?“

„Weil ich nicht glaube, dass der junge Mann, der mich damals zum Abschlussball begleitet hat, sich total verändert hat. Damals hättest du mich ziemlich leicht ausnutzen können. Hast du aber nicht.“ Tori lachte auf. „Noch was, Jake. Ich bin nicht mehr so naiv wie damals.“

Soll das eine Warnung sein? wunderte sich Jake überrascht. „Ich werde bei Gelegenheit dran denken.“

Hastig verließ er das Schlafzimmer, eilte zum Eingang und öffnete die Tür.

Mühelos war sie ihm gefolgt. „Wenn du Nina triffst, sag ihr doch bitte mein herzliches Beileid. Vielleicht hat sie Lust, sich demnächst mal mittags zum Essen mit mir zu treffen.“

„Bestimmt. Ich richte es ihr aus.“

Er warf Tori Phillips einen letzten Blick zu. Aus der jungen Schulabgängerin von damals ist eine äußerst attraktive Frau geworden, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf. Als er das Haus verließ, hoffte er inständig, dass es kein Fehler gewesen war, den Job anzunehmen.

Am nächsten Abend gegen acht klingelte das Telefon. Sofort erkannte Tori die Stimme am anderen Ende.

„Tori? Hier ist Nina.“

„Nina! Wie geht’s dir? Jake hat mir die Sache mit deinem Mann erzählt. Es tut mir unendlich leid.“

Am anderen Ende herrschte einen Moment lang Schweigen. „Es war für alle ein Schock. Aber inzwischen kommen wir zurecht. Jake … kurz nachdem es passiert war … er war vollkommen verzweifelt. Konnte nichts mit sich anfangen. Das war einer der Gründe, weshalb er nach Santa Fe zurückgekehrt ist, und ich bin sehr dankbar dafür. Die Jungen brauchen ihn.“

„Es freut mich, dass er dir eine Hilfe ist. Wie lange warst du verheiratet?“, wollte Tori wissen.

„Acht Jahre. Es … es war keine glückliche Ehe.“

Die beiden Frauen schwiegen wieder. Tori wusste nicht recht, was sie sagen sollte, obwohl ihre frühere Freundin ihr gegenüber nie einen Hehl daraus gemacht hatte, was sie für andere Menschen wirklich empfand. Insgeheim hatte sie gehofft, dass die alte Vertrautheit sofort wieder hergestellt sein würde, sobald sie mit Nina telefonierte. „Jake hat mir verraten, dass du Zwillinge hast.“

„Und du willst ein Baby adoptieren! Wie wär’s, wenn wir mal ausführlich quatschen? Komm doch morgen Abend zum Essen zu mir nach Hause. Dann kannst du auch gleich meine Söhne kennenlernen.“

„Mach dir meinetwegen keine Umstände“, wehrte Tori ab.

„Es macht mir keine Umstände“, beharrte Nina. „Mom übernimmt das Kochen. Mein Freund wird auch hier sein. Genau wie Jake.“

„Jake?“

„Ja. Ab und zu weiß er ein gutes Abendessen zu schätzen. Habt ihr zwei euch über die alten Zeiten unterhalten?“

„Gab es die überhaupt? Er hat mich doch nur zum Abschlussball ausgeführt“, wandte Tori ein.

„Soweit ich weiß, habt ihr euch prächtig unterhalten“, widersprach Nina. „Ich glaube, damals hatte er gerade die Polizeischule hinter sich gebracht. Dann ging alles ziemlich schnell. Ich wünschte nur …“

Tori fragte sich, warum Nina ihren Satz nicht zu Ende sprach. „Was wünschst du dir?“

„Hat er dir nicht erzählt, was geschehen ist? Warum er nach Santa Fe zurückgekommen ist?“

„Nein. Vergiss bitte nicht, dass er mich nicht besucht hat, um mir Gesellschaft zu leisten“, erklärte Tori. „Er wollte sich das Haus ansehen, das saniert werden soll. Aber nun sag schon, warum ist er denn nach Santa Fe zurückgekommen?“

„Das überlasse ich besser ihm selbst“, erklärte Nina. „Er schätzt es gar nicht, wenn ich anderen Leuten Geschichten aus seinem Leben erzähle.“

„Und bist du dir sicher, dass er nichts dagegen hat, wenn ich beim Dinner auftauche? Vielleicht schätzt er es auch nicht, wenn du sein Berufsleben mit seinem Privatleben vermischst.“

„Du bist mein Gast. Und was Jake betrifft, es dürfte ihm nicht schaden, wenn sein Beruf und sein Privatleben sich ein bisschen in die Quere kommen. Er weiß immer noch nicht, wohin die Reise gehen soll. Segelt ziellos durch die Weltgeschichte.“

Tori war sich sicher, dass das Baby ihrem Leben den Sinn geben würde, nach dem sie sich so sehr sehnte. Natürlich liebte sie die Arbeit in ihrer Galerie. Sie förderte eingeführte Künstler, entdeckte neue und verschaffte ihnen die Chance, sich am Markt zu etablieren. Aber sie wusste auch, dass sie nicht nur auf der Welt war, um zu arbeiten und ein bequemes Leben zu führen. Sie sehnte sich danach, Mutter zu sein. So sehr, dass ihr jedes Mal die Tränen in die Augen schossen, wenn sie an die schreckliche Geschichte dachte. An den Autounfall, in den sie und Dave verwickelt worden waren. An jenen Unfall, der ihr jede Chance geraubt hatte, auf natürlichem Weg ein Kind zu bekommen. Aber sie zweifelte nicht im Geringsten daran, dass sie das Kind, das sie auf dem Ultraschall gesehen hatte, mit jeder Faser ihres Herzens lieben würde.

„Nichts ist wichtiger, als ein Ziel vor Augen zu haben“, stimmte sie zu. „Du kannst mir alles beibringen, was ich als Mutter wissen muss. Und mir Tipps für die Erstausstattung geben. Mir Sachen empfehlen, von denen mir nicht im Traum eingefallen wäre, sie zu kaufen.“

„Tori, es wird mir unendlich guttun, dich wiederzusehen.“

„Du ahnst nicht, wie sehr ich mich darauf freue. Sag mir, wann ich da sein soll. Und wie fahre ich am besten?“

Die Sonne strahlte noch hell über die San Felipe Avenue, als Tori am nächsten Abend die Auffahrt zu Ninas Haus hinauffuhr. Jakes hellblauer Truck parkte bereits vor dem Haus.

Heute Nachmittag hatte sie noch kurz bei ihrem Lieblingschocolatier vorbeigeschaut und eine Schachtel Pralinés gekauft. Sie hoffte, dass die Süßigkeiten allen schmecken würden. Entschlossen atmete sie durch und bereitete sich innerlich darauf vor, Jake wieder unter die Augen zu treten.

Anders als erwartet war Jake zutiefst überrascht, als er die Tür öffnete und Tori auf der Veranda stehen sah. Sein Blick fiel auf die Schokobox und glitt an ihrer burgunderroten Hose und ihrem Top nach oben. Man konnte ihm ansehen, dass er angestrengt nachdachte, bis er endlich eins und eins zusammengezählt hatte. „Nina hat dich also zum Dinner eingeladen.“ Er bemühte sich, möglichst sachlich zu klingen.

„Ja. Allerdings hatte ich angenommen, dass sie es dir erzählt. Ich …“

Nachdem Nina ihre Freundin entdeckt hatte, schubste sie ihren Bruder unsanft zur Seite, zog Tori nach drinnen und umarmte sie herzlich. „Wie schön, dich endlich wiederzusehen!“

Dann eilte Nina mit Tori in das kleine Wohnzimmer, das vor lauter Besuch fast aus den Nähten zu platzen schien. Sie stellte Tori ihrer Mutter vor. Rita Galeno war jetzt Mitte fünfzig. Ihr Haar war vollständig grau, und sie hatte es immer noch zu einem Knoten gebunden, den sie am Hinterkopf festgesteckt hatte.

Rita freute sich, als sie Tori wiedersah. „Ich kann mich gut an dich erinnern“, grüßte sie freundlich. „Du warst diejenige, die Nina davon überzeugt hat, dass ihre Augen viel zu hübsch sind, um sie mit Mascara und Lidschatten und all diesem Zeug zu verunstalten.“

Ein blonder junger Mann mit blitzenden blauen Augen trat dichter an Nina heran und schlang einen Arm um ihre Hüfte. „Stimmt das? Hast du dich wirklich so angemalt?“

Nina lachte laut auf. „Ich war jung und widerspenstig und überzeugt, dass ich die Weisheit mit Löffeln gefressen hatte, bis Tori eines Tages aufkreuzte. Tori, darf ich dir meinen Freund vorstellen. Das ist Charlie Nexley.“

„Ist doch gar nicht dein Freund“, krähte ein ungefähr fünfjähriger Junge dazwischen. „Das ist dein Lover.“

„Ricky“, warnte Nina das Kind, ganz offensichtlich der eineiige Zwilling des zweiten Jungen, der in Reichweite neben ihm stand.

„Wir haben sie beim Knutschen erwischt“, bestätigte Rickys Bruder und nickte ernst.

Nina wurde knallrot. Höchste Zeit für Jake, einzugreifen. Er beugte sich hinunter, legte den rechten Arm um Rickys Schulter und den linken um die seines Bruders. „Ricky, Ryan, die hübsche Lady heißt Miss Phillips. Eure Mom und ich kennen sie schon sehr lange.“

„Als du selbst noch ein Kind warst?“, fragte Ryan unschuldig.

Jake lachte. „Nein, so lang nun auch wieder nicht. Aber was haltet ihr davon, wenn wir uns aus dem Staub machen und die Frauen sich selbst überlassen?“ Ohne Tori noch eines weiteren Blickes zu würdigen, stand Jake auf und schob die beiden Jungen zur Tür.

Die Spannung ließ spürbar nach, nachdem Jake das Wohnzimmer verlassen hatte. Tori bot Nina die Schokolade an. „Ich hoffe, ihr mögt Schokolade. Ein kleines Geschenk für euch alle.“

„Oh, vielen Dank. Aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen.“

Charlie grinste und nahm ihr die Schachtel aus der Hand. „Am besten, ich verstaue sie außer Sichtweite, bis die Zwillinge ihr Abendbrot gegessen haben.“

Als er in der Küche verschwunden war, erhob Rita sich aus ihrem Sessel. „Ich schaue mal nach der Suppe.“

Nina zwinkerte Tori verschwörerisch zu. „Tomaten mit Reis und grünen Chilis haufenweise. Das Hühnchen hat sie wahrscheinlich auch in Pfeffer geschmort. Ich hoffe, dein Gaumen ist darauf vorbereitet.“

„Hört sich fantastisch an.“ Tori legte ihre Handtasche auf dem Kiefernholztisch neben der Tür ab. „Tausend Dank für die Einladung, Nina. Aber … Jake sah nicht so aus, als hätte er gewusst, dass ich heute zum Dinner komme.“

„Stimmt.“

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen den beiden Frauen aus, bis Tori schließlich wieder das Wort ergriff. „Findest du das fair ihm gegenüber? Vielleicht will er keine fremden Leute am Tisch sitzen haben …“

„Wenn überhaupt, dann betrachtet er Charlie als Fremden und ganz bestimmt nicht dich. Wenn ich ihm erzählt hätte, dass ich dich eingeladen habe, hätte er selbst vielleicht auf das Dinner verzichtet. Es herrscht immer ein merkwürdiger Unterton in seiner Stimme, wenn er von dir spricht. Manchmal glaube ich fast, dass …“ Sie brach ab und grinste verschmitzt. „Kann es sein, dass zwischen euch die Funken sprühen?“

Tori war nicht in der Stimmung, ihre Gefühle preiszugeben. „Kann es sein, dass deine Fantasie mal wieder mit dir durchgeht?“

Nina musterte ihre Freundin eindringlich und schüttelte dann den Kopf. „Nein. Ich weiß, was ich sehe. Tori, um die Wahrheit zu sagen, ich habe dich heute eingeladen, weil ich überzeugt bin, dass Jake dringend Hilfe braucht.“

Tori war überrascht. Warum um alles in der Welt sollte Jake Galeno Hilfe brauchen? dachte sie. Ausgerechnet er. Jake machte immer den Eindruck, als hätte er sein Leben fest im Griff. „Dein Bruder braucht Hilfe? Inwiefern?“

„Offenbar kann er es nicht verwinden, was in Albuquerque geschehen ist. Es hat mit seiner Arbeit zu tun, und er muss dringend darüber reden, aber genau das wird er um keinen Preis tun. Er muss das Trauma bewältigen, endlich weiterkommen mit seinem Leben, und er behauptet, dass er auf dem besten Weg ist. Aber er lügt. Ich habe gedacht, dass er ein bisschen lockerer wird, wenn ich dich heute Abend einlade. Nur wenn er mit den Zwillingen zusammen ist, ist er noch ganz der Alte. Vielleicht rufst du ihm ja wieder ins Gedächtnis zurück, dass Jake Galeno früher mal ein ganzer Kerl gewesen ist.“

„Aber vielleicht mache ich alles nur noch schlimmer.“

„Ach was.“ Nina wischte die Bedenken ihrer Freundin vom Tisch. „Komm mit in die Küche. Hilf mir beim Salat.“

Während Nina arbeitete und erzählte, starrte Tori aus dem Fenster und beobachtete Jake. Ninas Bruder wirkte ganz und gar nicht wie ein Mann, der Hilfe brauchte. Er lachte und tobte und spielte Fangen mit den Zwillingen. Selbst damals, als er noch viel jünger gewesen war, hatte sie tiefes Vertrauen zu ihm verspürt. Jake Galeno vermittelte das Gefühl, ganz genau zu wissen, was er konnte und wer er war. Nach außen strahlte er auch jetzt noch Selbstbewusstsein aus. Aber was ging in seinem Innern vor? Was war in Albuquerque geschehen?

Tori, Nina und deren Mutter tauschten ihre Lieblingsrezepte aus, und Charlie ging in die Garage, um den Luftdruck von Ninas Autoreifen zu überprüfen.

Kurze Zeit später rief Nina die Jungen ins Haus. Weil die Zwillinge sich im Bad drängelten, ging Jake zum Waschbecken in die Küche. „Und? Habt ihr euch viel zu erzählen?“, fragte er Tori, nachdem er sich die Hände gewaschen und den Hahn wieder zugedreht hatte.

„Wir waren gerade dabei, unsere Lieblingsrezepte auszutauschen.“

„Hätte ich mir denken können“, spottete er. „Was sollten drei Frauen in der Küche auch sonst machen.“

Eingeklemmt zwischen Waschbecken und Ablage, stand Tori direkt neben ihm. Jake drehte seinen Körper leicht zu ihr hin. Jetzt war er so dicht, dass sie seine Wärme spüren konnte … Die Luft zwischen ihnen war wie elektrisiert. Wie angewurzelte stand sie da und starrte fasziniert auf das dunkle Brusthaar, das aus dem V-Ausschnitt seines grünen T-Shirts hervorlugte.

Er griff um ihren Körper herum und strich mit der Hand unversehens über ihren Rücken. „Ich brauche das Handtuch“, erklärte er heiser.

Ihre Blicke begegneten sich, und plötzlich holte die Erinnerung sie wieder ein. Ihr stand lebhaft vor Augen, wie er sie damals vor zwölf Jahren auf der Veranda in die Arme geschlossen und seinen Mund auf ihre Lippen gesenkt hatte. Ein Schimmer in seinen Augen verriet ihr, dass auch er sich urplötzlich erinnert hatte. Vielleicht dachte er sogar darüber nach, wie es wäre, wenn er sie jetzt wieder küssen würde.

Als er nach dem Handtuch auf der Ablage griff und ein paar Schritte zurückgetreten war, schalt sie sich insgeheim für ihre lächerlichen Gedanken.

Autor

Karen Rose Smith
<p>Karen Rose Smith wurde in Pennsylvania, USA geboren. Sie war ein Einzelkind und lebte mit ihren Eltern, dem Großvater und einer Tante zusammen, bis sie fünf Jahre alt war. Mit fünf zog sie mit ihren Eltern in das selbstgebaute Haus „nebenan“. Da ihr Vater aus einer zehnköpfigen und ihre Mutter...
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