Historical Exklusiv Band 23

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FALSCHES SPIEL AUS LIEBE von GRANT, LAURIE
Als Spionin des Königs soll die junge Französin Elise de Vire den englischen Edelmann Adam Saker heiraten. Geschickt verbirgt sie ihre wahren Absichten vor ihm - obwohl der Charme dieses faszinierenden Mannes heimlich immer mehr ihre Sinne weckt. Wie soll sie auch ahnen, dass er längst ihre List durchschaut hat …

DAS GEHEIMNIS DER SCHÖNEN WITWE von HALL, MARIE-LOUISE
Seine Liebe zu der blutjungen Witwe Seraphina stürzt Richard Durrant, Earl of Heywood, in einen qualvollen Zwiespalt: Folgt er seinem Herzen, muss er seine Königin verraten, in deren Auftrag er Seraphina ausspioniert. Dient er weiter seinem Land, stößt er die Frau ins Verderben, die er über alles begehrt …


  • Erscheinungstag 27.03.2010
  • Bandnummer 23
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956418
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Spione der Liebe

LAURIE GRANT

Falsches Spiel aus Liebe

Die junge französische Witwe Elise de Vire tritt als Spionin in die Dienste ihres Königs, um die blutigen Feldzüge der Engländer zu rächen. Ihr erster Auftrag: Sie soll den englischen Edelmann Adam Saker ehelichen, um ihm wichtige Geheimnisse zu entlocken. Doch sie gerät in einen tiefen Konflikt, als sein Kuss ihr Herz jäh in Flammen setzt …

MARIE-LOUISE HALL

Das Geheimnis der schönen Witwe

England im Jahr 1558: Der königstreue Richard Durrant, Earl of Heywood, droht zu verzweifeln. Mit jedem Tag in der Nähe der ebenso schönen wie geheimnisvollen Witwe Seraphina steigert sich die Qual seines Herzens. Gehört sie wirklich zu den Verrätern um Maria Stuart, muss er Seraphina dem Verderben ausliefern – auch wenn ihr Liebreiz all seine Sinne betört …

PROLOG

Paris, April 1417

„Hilf mir! Ich bin aus Glas! Ich werde zerbrechen!“, jammerte die erbärmliche Gestalt auf dem vergoldeten Thron.

Es war keiner der besseren Tage des Königs von Frankreich. Charles Valois, in hermelinbesetzter purpurner Samtrobe, die fadenscheinig und voller Fettflecken war, starrte mit leerem Blick auf die junge Witwe, dann bedeutete er ihr mit einer Geste seiner schmutzigen, mit langen, gebogenen Fingernägeln unappetitlich aussehenden Hand, dass sie entlassen war.

Elise de Vire blickte entsetzt auf ihren Monarchen. König Charles hatte nichts von ihrer so sorgfältig ausgedachten Bitte um Rache an den Engländern verstanden. War ihre lange Reise von der Normandie in die französische Hauptstadt vergeblich gewesen?

Der König war genauso geistesgestört wie gemunkelt wurde. Elise hatte gehofft, ihn in einer seiner guten Phasen anzutreffen, aber es war bekannt, dass er, wenn er wieder dem Wahnsinn verfiel, monatelang nicht zurechnungsfähig war. Und sie besaß nicht genügend Mittel, um längere Zeit in Paris bleiben zu können.

Ein Lakai trat vor, redete begütigend auf den König ein und führte ihn schließlich aus dem Saal.

„Vielleicht solltet Ihr besser mit mir sprechen, Madame“, sagte eine Stimme aus den Schatten. „Wie Ihr gesehen habt, ist mein Gemahl bedauerlicherweise indisponiert.“

Elise zuckte unwillkürlich zusammen, als eine in Rot gewandete Gestalt aus dem Dunkel erschien. Fettwülste drohten den wertvollen Stoff zu sprengen, als die korpulente Dame sich auf dem Thron niederließ. Drei übereinanderliegende Kinne wabbelten, als sie Elise huldvoll zunickte. Ein grotesker, spitz zulaufender Kopfputz aus versteiftem roten Brokat, mit Schleiern geschmückt, verrutschte dabei leicht, und Elise erhaschte einen Blick auf dunkles ergrauendes Haar. Ein durchdringender Geruch von Parfüm und ungewaschenem Körper schlug der jungen Frau entgegen.

„Königliche Hoheit“, flüsterte Elise und versank in einen tiefen Hofknicks.

Isabella von Bayern bedeutete ihr, sich zu erheben. „Ich habe gehört, was Ihr sagtet“, murmelte sie mit einer vagen Handbewegung zu dem Korridor hin, der die königlichen Gemächer mit dem Audienzsaal verband. „Ich hatte es im Gefühl, dass mein Gemahl der Unterhaltung nicht mehr würde folgen können.“ Sie sprach von dem periodischen Wahnsinn des Königs so beiläufig wie andere vom Wetter.

Elise schwieg, da sie nicht recht wusste, was von ihr erwartet wurde.

„Also! Ihr seid die Witwe, und Ihr wollt Rache für den Tod Eures jungen Ritters“, bemerkte Königin Isabella und musterte Elise prüfend aus blassen Augen, die fast in Fettfalten verschwanden.

„Ja, Königliche Hoheit.“

„Nun, meinen Glückwunsch“, meinte die Königin trocken. „Ihr befindet Euch in guter und zahlreicher Gesellschaft. Ihr seid eine von Tausenden junger Frauen, die an jenem Tag zu Witwen gemacht wurden. Hat Euer Ritter Euch denn keine Kinder hinterlassen, um Euch zu beschäftigen, wie es einer jungen Witwe ziemt?“

„Nein, Königliche Hoheit.“ Elise senkte den Kopf, sodass diese mächtige Frau mit der spöttischen Stimme und Miene ihre Tränen nicht sehen konnte.

Nachdem sie die verstümmelte Leiche ihres Gemahls ehrenvoll bestattet hatte, war Elise in der Hoffnung, wenigstens Aimeris Kind unter dem Herzen zu tragen, in die Normandie zurückgekehrt. Zwei Wochen später hatte sie jedoch gewusst, dass ihr nicht einmal dieser Trost beschieden war.

Sie erkannte bald, dass sie nicht für immer auf Château de Vire bleiben konnte. Für ihren Schwager, Aimeris Erbe, war sie nur eine unnütze Esserin, während seine Frau, ihre Schwägerin, Elise als dienliches Kindermädchen für ihre wachsende Brut betrachtete. Da Elise keinen eigenen Grund und Boden besaß, würde sie stets die arme Verwandte bleiben, es sei denn, sie ginge ins Kloster oder heiratete einen der ältlichen übelriechenden Witwer, die der Schwager ihr vorstellte. Im Alter von achtzehn erschienen ihr diese Aussichten mehr als trübsinnig.

Es waren die Engländer, die ihr den Gatten genommen hatten, mit dem sie erst zwei Jahre verheiratet gewesen war.

Während die Monate vergingen, wandelte sich Elises Kummer in grimmigen Zorn auf die Eindringlinge, und dieser Zorn hatte sie schließlich nach Paris geführt. Sie wollte sich an den Engländern rächen in jeder ihr nur möglichen Weise.

„Ihr habt keine Familie?“, hakte die Königin nach.

„Ich habe nur noch einen Bruder, Königliche Hoheit. Er heißt Jean Jourdain und steht in den Diensten des Herzogs von Burgund. Er lebt in einer Garnison, und dort ist kein Platz für mich …“ Ebenso wenig wie in Jeans Herzen. Elise dachte betrübt an die Entfremdung, die zwischen ihnen entstanden war, seit sie, eine Bürgerstochter, einen Ritter geheiratet hatte, während Jean ein einfacher Soldat blieb. Nein, sie konnte ihren Bruder nicht aufsuchen und von ihm erwarten, dass er sich ihrer annahm.

„Ihr wollt also Frankreich dienen, um an den Engländern Rache zu nehmen“, sagte die Königin. „Ihr habt keinen Landbesitz, den Ihr verwalten müsst, keine hinfällige Mutter oder einen kranken Vater?“

„Der Landbesitz meines Gatten fiel an seinen jüngeren Bruder und dessen Frau. Meine Eltern sind tot. Es gibt niemanden, der von mir abhängig ist, Königliche Hoheit.“

„Hm.“ Die Königin strich sich mit dem Finger über ihre Kinne und überlegte. „Wie alt seid Ihr?“

„Bald neunzehn, Königliche Hoheit.“

„Nun, wie könnten wir Euch wohl einsetzen, damit Ihr Eure Rache bekommt?“

„Mein Gatte hat mir beigebracht, mit Pfeil und Bogen umzugehen. Vielleicht könnte ich ein Heckenschütze werden?“, schlug Elise eifrig vor. „Ich würde nicht zögern, einen Engländer zu erschießen!“

Schallendes Gelächter von den Höflingen begrüßte ihre Idee.

„Welch eine leidenschaftliche Patriotin“, bemerkte die Königin mit einem leisen Lachen und wandte sich dann den Höflingen zu. „Ihr faulen Parasiten könntet Euch ein Beispiel an ihr nehmen!“

„Königliche Hoheit, wenn ich einen Vorschlag machen dürfte …“, ertönte eine Stimme aus dem Hintergrund des Saales.

Elise drehte sich halb um. Ein Mann bahnte sich einen Weg durch die Menge der prächtig gekleideten Herren und Damen bis zur Seite der Königin.

Er war ganz in Schwarz gekleidet, von seiner modischen Kopfbedeckung bis zum Saum seines zobelbesetzten Rocks mit Schlitzärmeln. Schwarze Strumpfhosen bedeckten dicke Waden und verschwanden in schwarzen Schuhen mit gebogener Spitze.

„Monseigneur von Burgund, darf ich Euch Madame Elise de Vire vorstellen?“, sagte die Königin.

Elise knickste erneut, und als sie sich aufrichtete, fand sie sich scharf gemustert von eiskalten blauen Augen. Das also war Jean Sans Peur, der berühmte, furchtlose Anführer der burgundischen Aufständischen, die danach strebten, den Armagnacs die Macht zu entreißen, deren Hoffnungen sich jetzt auf den Dauphin Charles konzentrierten. Es ging das Gerücht um, dass Jean und die Königin, berüchtigt für ihre Affären, trotz ihrer Fettleibigkeit, ein Liebespaar waren, und angesichts des besitzerstolzen Blickes, den Isabella diesem Mann zuwarf, zweifelte Elise nicht an der Wahrheit des Gerüchts.

„Ja, sie könnte eine wirkungsvolle Waffe gegen die Engländer sein.“ Der Herzog stieg von dem Podium herunter, um die junge Frau von allen Seiten zu begutachten. „Hm, eine gute Figur, reizvolle grüne Augen, schönes Haar, ein sinnlicher Mund …“, murmelte er, während er um sie herumging.

Wofür hält er mich, dachte Elise, für eine Stute, die versteigert werden soll? Zornesröte stieg ihr vom Halsausschnitt ihres besten Gewandes aus dunkelblauem Samt ins Gesicht.

„Ah, und sie errötet sogar – wie entzückend“, bemerkte Jean Sans Peur, aber seine Augen verrieten ihr, dass er wusste, dass sie wütend war – und es genoss.

„Meine Königin, ich glaube, sie könnte uns – mit etwas Ausbildung natürlich – als Spionin nützlich sein.“

„Ihr wollt, dass ich nach England gehe?“, fragte Elise erschrocken.

„Sprecht Ihr Englisch?“

„N-nein …“

„Dann würde das kaum sinnvoll sein, nicht wahr? Die Engländer werden jedoch bald genug an unsere Gestade zurückkehren, diese habgierigen Lumpen! Ich entsinne mich, dass Henry, der Möchtegern-Thronräuber, willige Französinnen aus Harfleur mit heiratsfähigen Engländern vermählt hat, in der Hoffnung, dass sie loyale Untertanen in den von ihm eroberten Gebieten sein würden. Ich möchte wetten, dass er das auch wieder tun wird. Unsere gegenwärtigen Spione melden, dass Henry diesmal Caen einnehmen will als Tor zur übrigen Normandie. Ich schlage vor“, fuhr der Herzog von Burgund fort, „dass wir diese patriotische junge Witwe in Caen unterbringen, wo sie eine gute Möglichkeit hat, die Aufmerksamkeit eines Junggesellen des englischen Königshaushalts auf sich zu ziehen. Der Mann sollte natürlich so hochrangig wie möglich sein.“

„Warum?“, fragte Elise kurz und bündig.

„Um Informationen über die Absichten der Engländer zu erlangen, selbstverständlich“, antwortete der Herzog. „Ihr habt doch gesagt, Ihr würdet alles tun, nicht wahr?“

Ihr Herz begann stürmisch zu pochen und drängte sie davonzulaufen. Aber eigentlich hätte dieser Vorschlag sie nicht überraschen sollen. Wie konnte man eine einigermaßen ansehnliche Frau besser einsetzen als zum Spionieren? Wer würde eine hilflose junge Witwe verdächtigen?

„Das habe ich gesagt“, bestätigte Elise mit einer Gelassenheit, die sie nicht empfand. „Und ist es wirklich notwendig, diesen ahnungslosen Mann zu heiraten? Ich bin durchaus bereit, eine Kurtisane zu sein.“

Der Herzog hob eine Augenbraue angesichts ihrer Kaltblütigkeit. „Henry, der ein so prüder König geworden ist, würde Euch wahrscheinlich nicht ohne ein Ehegelübde in der Nähe seiner Männer dulden. Wie ich höre, verbietet er Metzen unter seinen Soldaten und lässt den Frauen den linken Arm abschlagen, wenn sie gegen das Gebot verstoßen. Außerdem wird ein Mann seinem Ehegespons Dinge erzählen, die er niemals einer Dirne gegenüber äußern würde.“

„Was ist mit meinem Mangel an Englischkenntnissen?“

„Keine Sorge, ich zweifle nicht daran, dass Ihr die Sprache rasch erlernen werdet, wenn Ihr das Bett eines Engländers teilt.“ Er lachte spöttisch. „Und macht Euch keine Gedanken über die Last einer dauerhaften Ehe. Ich habe genügend Bischöfe, die mir gern gefällig sind, sodass es ein Leichtes sein wird, eine Annullierung zu erhalten – vorausgesetzt, Euer Engländer überlebt die Attacken der französischen Armee!“

„Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr das tun wollt, Madame de Vire?“, fragte die Königin.

Elise zögerte mit der Antwort, und während dieser Zeitspanne trauerte sie um die Ehrenstellung, die sie als Witwe eines Ritters innegehabt hatte. Sie würde in eine dunkle Welt der Intrige eintreten und gefährliche Risiken auf sich nehmen müssen und danach wohl nicht mehr als eine wahre Edelfrau betrachtet werden können.

„Wenn es Euch gelingt, Euch bei den Engländern einzuschmeicheln, werde ich dafür sorgen, dass Euer Bruder zum Hauptmann der Artillerie ernannt wird“, versprach der Herzog. „Und nachdem wir die Engländer in den Kanal getrieben haben, sorge ich dafür, dass Ihr einem französischen Edelmann vermählt werdet.“

Nachdem die Engländer in den Kanal getrieben worden waren … das war nur ein ferner Traum, der Elise noch vollkommen unwirklich erschien. Aber Jean würde sich freuen, dachte sie und stellte sich die Freude ihres Bruders über die Beförderung zum Hauptmann vor. Vielleicht würde sie ihm eines Tages erzählen können, dass ihr Einfluss ihm dazu verholfen hatte, und möglicherweise würde sie das einander wieder näher bringen. „Ich werde es tun“, erklärte sie.

„Ausgezeichnet“, sagte der Herzog zufrieden. „Ich finde Euer Deckname, den Ihr in Euren Botschaften an mich benutzen werdet, sollte Füchsin sein. Seid Ihr nicht auch meiner Meinung, meine Königin?“, fragte er, hob eine Strähne von Elises rotbraunem Haar und wickelte sie sich um den Finger.

1. KAPITEL

Caen, September 1417

Elise balancierte vorsichtig auf einem Brett des hohen, schmalen Vorratsregals und spähte durch eine Ritze der von innen vor dem kleinen Fenster befestigten Klappe.

„Was machen sie da nur?“, fragte sie laut, während sie versuchte, durch den Rauch von Kanonenfeuer und einem Dutzend brennender Häuser zu erkennen, was auf dem Platz draußen vor sich ging.

„Was geschieht dort, Madame?“, rief Gilles von unten. Ihr getreuer Diener hatte sie angefleht, sich davor zu hüten, gesehen zu werden, aber da er ein Zwerg und daher zu klein war, um das Fenster zu erreichen, hatte er sie nicht zurückhalten können. Sie musste einfach feststellen, was draußen vor sich ging.

„Die englischen Hunde haben Hunderte von Stadtbewohnern und Soldaten aus der Garnison auf dem Platz zusammengetrieben“, berichtete Elise, als der Rauch sich etwas verzog. Dann ertönten die ersten Schreie, und der Marktplatz wurde zu einem Vorort der Hölle.

„Heilige Jungfrau, sie metzeln sie nieder“, flüsterte Elise entsetzt, als sie das Geschehen draußen beobachtete. „Frauen und Kinder ebenso wie Soldaten! Diese Mörder! Gilles, wir müssen etwas tun!“

„Madame, steigt herunter!“, bat der Zwerg eindringlich, während Elise vor lauter Tränen nichts mehr sehen konnte. Er zupfte beharrlich am Saum ihres Gewandes, bis sie sich ihm zuwandte, erfüllt von Entsetzen und Zorn.

„Aber Gilles, wir können doch nicht zulassen, dass …“ Sie schluchzte bitterlich.

„Madame, nichts, was wir tun könnten, würde das Gemetzel dort draußen aufhalten“, sagte er ernst und zuckte zusammen, als ein hoher Schrei vom Wind in ihr Versteck getragen wurde. „Uns würde lediglich das gleiche Schicksal treffen. Wir können jetzt nichts anderes tun als hoffen, nicht entdeckt zu werden, bis ihr Blutdurst gestillt ist. Wenn wir in unserem Versteck bleiben, haben wir vielleicht eine Möglichkeit zu überleben.“

Elise de Vire kauerte sich in eine Ecke der kleinen Speisekammer, in der sich der vertraute Geruch von Brot, Mehl und trocknenden Äpfeln mit dem Brandgeruch von draußen mischte. Sie musste von Sinnen gewesen sein, die langweilige Geborgenheit des de Vire-Haushalts zu verlassen. Hier würde sie sterben, entweder wenn das Haus mit brennendem Werg in Flammen gesetzt würde oder wenn irgendein verfluchter Engländer sie fand. Sie würde sterben, ohne auch nur das Geringste für die Freiheit Frankreichs getan zu haben. Was hatte sie sich nur dabei gedacht zu glauben, ein Werkzeug zur Errettung ihres Landes sein zu können?

„Sie werden uns finden, sobald sie der leichten Beute überdrüssig werden“, sagte sie. „Ich glaube nicht, dass der Herzog von Burgund etwas wie das hier vorausgesehen hat, als er mich herschickte, meinst du nicht auch?“ Ihr Lachen klang brüchig und etwas überreizt.

„Nein. Bis jetzt hat der englische König bei ehrenhafter Kapitulation immer Gnade gewährt und verfügt, dass keine Bürger verletzt werden sollen. Aber, erinnert Euch daran, Madame, dass ich …“

„Ja, ich weiß, du hast versucht, mir Burgunds Plan auszureden“, ergänzte Elise müde. „Ach, Gilles, ich hätte dir nicht erlauben dürfen, mit mir zu kommen. Ich habe nie bedacht, dass mein Wunsch nach Rache auch deinen Tod zur Folge haben könnte, mein Freund.“

„Madame, Ihr dürft nicht aufgeben!“ Der Zwerg berührte unbeholfen ihre Schulter. „Der Chevalier Aimeri hätte nicht gewollt, dass Ihr jetzt den Mut verliert!“

Elise lachte kurz auf. „Mein verstorbener Gemahl würde fragen, wie ich dazu komme, mich in eine solche Gefahr zu begeben, anstatt in den Schutz eines Klosters, wenn ich schon nicht in Château de Vire bleiben und mich um Béatrices Kinder kümmern wollte. Ich … ich glaube nicht, dass er mein Bedürfnis verstanden hätte, selbst in den Kampf gegen die verhassten Engländer zu ziehen. Das ist etwas für Männer, würde er gesagt haben.“

Gilles nickte. „Er konnte sich glücklich schätzen, Euch zur Frau zu haben, Madame, auch wenn es nur für so kurze Zeit war.“

Dann hörten sie, wie die Tür des zur Hälfte aus Holz gebauten Hauses aufgestoßen wurde, und diesem Geräusch folgten schwere Stiefeltritte. Elise und Gilles erstarrten in der kleinen Kammer und horchten auf die Schritte, die durch das ganze Haus dröhnten. Sie hörten, wie Möbel umgestoßen und Schränke und Schubladen aufgerissen wurden auf der Suche nach Sachen von Wert. Einer der Eindringlinge rief einem anderen etwas in der rauen, gutturalen Sprache der Engländer zu.

Die Schritte kamen näher.

So muss sich eine Feldmaus fühlen, die in der Dunkelheit die Flügel einer jagenden Eule über sich hört und weiß, dass sie gleich entdeckt und von scharfen Krallen ergriffen werden wird, dachte Elise.

Plötzlich drang helles Licht in die dunkle Speisekammer, als die Tür aufgerissen wurde.

Die Schreie hatten aufgehört, und jetzt herrschte auf dem Marktplatz eine unheimliche Stille, nur unterbrochen von dem dann und wann hörbaren Weinen eines verlassenen Kindes. Die Luft auf dem Platz war schwer vom Gestank des Rauches und des Blutes, das den Rinnstein entlang floss. Fliegen umschwärmten bereits die toten Franzosen.

Die Ile St. Jean, der neuere Teil von Caen, war erst vor wenigen Stunden den Engländern in die Hände gefallen, nachdem König Henry beschlossen hatte, seinen Angriff auf diesen Stadtteil zu verlagern. Drei Wochen lang hatten sie die Altstadt belagert, die hoch oben auf einem Hügel lag und von dickeren Mauern und der gut bemannten Zitadelle geschützt wurde. Nun hatten die Engländer gleichzeitig von Osten und von Westen angegriffen, waren durch die bald in die Mauer der Neustadt geschlagenen Breschen geströmt und hatten sich durchgekämpft, bis sie in der Mitte zusammentrafen. Beide Divisionen hatten auf ihrem Weg gnadenlos alles niedergemetzelt.

„Das Töten Unschuldiger soll aufhören“, hatte König Henry befohlen, nachdem er an einer kopflosen Frau vorbeigekommen war, an deren Brust noch immer ein Säugling lag. „Lasst die Männer plündern und vergewaltigen, wenn es denn sein muss, aber von jetzt an soll keine Frau, kein Kind und kein Priester mehr ermordet werden.“

Sir Adam Saker wandte sich angeekelt vom Schauplatz des Blutbads ab. Er war einer der Ersten gewesen, die durch die Mauerbreschen in die Stadt gestürmt waren, und daher war auch seine Waffe blutbefleckt, aber er hatte nur kämpfende Männer erschlagen, keine hilflosen, unschuldigen Bürger oder jene, die ihre Waffen senkten und sich ergaben in dem Glauben, dass ihre Unterwerfung angenommen werden würde.

Irgendwann hatte er in dem dichten Rauch Harry Ingles, seinen Knappen, aus den Augen verloren, und auf der Suche nach dem jungen Mann hatte Adam unvorsichtigerweise seine Kesselhaube abgenommen, um besser sehen zu können. Er hätte fast sein Leben gelassen, als er rücklings von einem französischen Waffenknecht, der aus einer Nebengasse sprang, angegriffen wurde. Der Franzose hatte ihm einen schweren Schlag mit einer Hellebarde versetzt, bevor Adam die Oberhand gewann und ihm sein Schwert durch den Leib stieß.

Danach hatte er seinen Weg fortgesetzt und den Marktplatz kurz nach dem Ende des Massakers erreicht.

Weshalb hatte König Henry ein so rücksichtsloses Abschlachten von Menschen zugelassen – nein, sogar noch ermutigt? Üblicherweise schützte er Frauen, Kinder und Priester durch königlichen Erlass. Hatte der drei Wochen währende Widerstand der Bürger des normannischen Caen ihn so erzürnt und seinen Stolz gekränkt, dass er eine so grausame Vergeltung für erforderlich hielt? Und fand der König sich jetzt barmherzig, nur Vergewaltigung und Plündern zu billigen anstelle des Tötens? Sir Adam hatte das Gefühl, seinen König niemals verstehen zu können …

Verdammt, wo war Harry? Zuletzt hatte er seinen rothaarigen Knappen mit hocherhobenem Schwert der Stadtmitte entgegenstürmen sehen. Junker Harry stürzte sich stets achtlos in die Gefahr, und es wäre ein Wunder, wenn der Junge seinen Leichtsinn lange genug überlebte, um zum Ritter geschlagen zu werden.

„Sir Adam! Seht, was ich gefunden habe!“, schrie der nämliche Harry aus dem Eingang eines halb aus Stein und halb aus Holz gebauten Hauses in der fernen Ecke des Marktplatzes.

Harry stand hinter einer jungen Frau, deren Arme er auf den Rücken gedreht hatte und sie so gefangen hielt. In ihren Bemühungen, sich aus Harrys Griff zu befreien, hatte sich das aufgesteckte Haar der Frau gelöst und bedeckte größtenteils ihr Gesicht, sodass Adam lediglich eine dichte Masse rötlicher Flechten sehen konnte.

Ein weiterer junger Knappe erschien hinter Harry und wehrte die Fäuste des merkwürdigsten kleinen Mannes ab, der Adam je begegnet war.

Als Adam sich mit langen Schritten näherte, sah er, dass der kleine Mann ein Zwerg war, gewiss nicht viel größer als vier Fuß, mit einem Kopf, der für seinen winzigen Körper viel zu groß war. Der Zwerg beschimpfte Harry in wütendem Französisch. In Hörweite angekommen, konnte Adam verstehen, was der Kleine schrie: „Nimm deine Hände von meiner Herrin, du Bastard, du englischer Hund, du Satansbraten! Ich werde dich aufschlitzen wie einen Karpfen!“

„Halt ein mit deinen Drohungen, kleiner Mann, dann werden wir weder dir noch deiner Herrin ein Leid zufügen!“, rief Adam in Französisch.

Der Zwerg drehte sich überrascht um, als er sich in seiner eigenen Sprache angesprochen hörte, und das verschaffte dem anderen Knappen die Gelegenheit, seine Arme zu ergreifen.

„Sie ist eine Dame, Seigneur! Und weshalb sollten wir Euch glauben, nach alledem, was wir eben hier auf dem Platz sehen mussten!“

„Weil Ihr das Wort eines Ritters habt“, entgegnete Adam kurz. Es war ihm gleichgültig, ob dieses seltsame Wesen ihm glaubte oder nicht. Ihm war heiß, er hatte Durst, und sein Kopf schmerzte ganz abscheulich. Etwas Feuchtes, Warmes tröpfelte an seinem Ohr herunter …

Dann gelang es der jungen Frau, einen Arm loszureißen. Sie strich sich die kupferfarbenen Locken aus dem Gesicht und starrte zu Adam auf.

Sie war gewiss nicht schön im klassischen Sinne, wie englische Troubadoure sie besangen, die blonde Frauen mit blauen Augen und milchweißem Teint mit einem Rosenhauch bevorzugten. Diese Frau war groß, vermutlich nur eine Handbreit kleiner als er selbst mit seinen sechs Fuß, und hatte ein herzförmiges Gesicht mit schrägen jadegrünen Augen, die ihn an die Augen einer Katze erinnerten. Ihr Mund glich ebenfalls in keiner Weise der von den Troubadouren gepriesenen zarten Rosenknospe, sondern war breit und rot und weckte in dem Betrachter unversehens sinnliche Gedanken.

Diese Frau ähnelte in nichts Anne, und doch musste er unwillkürlich an Annes goldblonde, vollkommene Schönheit denken. Er spürte plötzlich ein Dröhnen im Kopf und einen Schmerz im Inneren, war sich aber nicht sicher, ob letzterer der vertraute Verlustschmerz war.

Elise betrachtete den verhassten Engländer. Er hatte seine Sturmhaube abgenommen, und sein Gesicht war das eines Abenteurers mit hageren, eckigen Wangenknochen und einer Adlernase, die einmal gebrochen gewesen sein musste. Seine Augen glichen zwei Stückchen polierter Pechkohle und waren ebenso undurchdringlich. Sein Mund bildete eine schmale, harte Linie. Elise hatte seine Worte gehört, konnte sich aber von einem Mann mit einem solchen Gesicht keine Gnade erhoffen. Dennoch musste sie ihr Glück versuchen.

„Monseigneur, ich bin Madame Elise de Vire, und dies ist mein Diener Gilles Le Petit. Wenn Ihr ein wahrer Rittersmann seid, bitte ich um Euren Schutz.“

Etwas blitzte in seinen Augen auf, aber bevor sie erkennen konnte, was es war, wurde es bereits durch ein – wie ihr schien – teuflisches Funkeln ersetzt.

„Madame de Vire, ich wiederhole, was ich bereits sagte: Wenn Ihr keine Gewalt gegen uns anwendet, habt Ihr nichts zu befürchten. Lass sie los, Harry.“

Seine Stimme war so kalt und scharf wie die Schneide seines Schwertes, und sein Französisch makellos. Dennoch meinte Elise, eine gewisse Müdigkeit herauszuhören. Nun, Mord ist auch ein hartes Geschäft, sagte sie sich und richtete sich auf, als der junge Mann ihre Handgelenke freigab.

„So wie jene auf dem Marktplatz nichts von Euch zu befürchten hatten, edler Ritter?“, entgegnete sie herausfordernd und fragte sich dann, weshalb sie etwas so Törichtes gesagt hatte. Ihr Ziel war, sich beim Feind einzuschleichen und nicht ihn zu verärgern, bis er sie umbrachte. Dennoch erfüllte es sie mit Genugtuung zu sehen, dass ihre Bemerkung ihn getroffen hatte, denn er wurde weiß um den Mund.

„Mein Name ist Sir Adam Saker, Madame de Vire. Gewiss, Ihr habt keinen Grund, mir zu glauben, aber ich versichere Euch, dass ich an dem Massaker unschuldiger Bürger nicht teilgenommen habe. Ich würde es in keinem Fall getan haben, aber ich war zu dem Zeitpunkt zu sehr damit beschäftigt, meinen Knappen zu suchen, der an meiner Seite hätte sein sollen.“

Merkwürdigerweise glaubte Elise ihm. Sie sah, wie er seinem hinter ihr stehenden Knappen einen bösen Blick zuwarf, und hörte den jungen Mann etwas in Englisch murmeln, vermutlich eine Entschuldigung auf den Vorwurf seines gestrengen Herrn.

„Wenn Ihr mit mir kommen wollt, Madame de Vire …“

Plötzlich erstarb seine Stimme. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht, und Elise sah entsetzt, wie er zu ihren Füßen zusammenbrach.

2. KAPITEL

Als Adam wieder zu sich kam, fühlte er als erstes kaltes Wasser, das von einem nassen Tuch auf seiner Stirn an seinem Hals herunterlief. Erst dann wurde ihm der Schmerz an seiner einen Kopfseite bewusst.

„Liegt still, Engländer, sodass ich das getrocknete Blut aus Eurer Wunde waschen kann“, sagte eine weibliche Stimme gelassen in Französisch.

Es dauerte ein Weilchen, bis Adams verschwommene Sicht sich klärte und er sah, dass er in einem Himmelbett lag. Sein Kopf fühlte sich leicht an. Man hatte ihm Kettenschutz und Lederhaube abgenommen, aber er trug immer noch seine Rüstung. Die Französin mit den rotbraunen Haaren – wie war doch ihr Name? – saß neben dem Bett auf einem Hocker und wrang ein blutbeflecktes Tuch über einer Waschschüssel aus.

Adam überkam eine Welle von Scham, als ihm bewusst wurde, dass er vor seiner Gefangenen ohnmächtig geworden war. Er, ein Ritter des englischen Königreichs, hatte die Besinnung verloren wie ein zartes junges Mädchen.

„Das ist unnötig“, erklärte er kurz angebunden, als er sah, dass Elise ein Pferdehaar in eine Nadel einfädelte.

„Aber Eure Wunde muss genäht werden …“

„Sie wird von allein heilen. Wo bin ich? Wo ist Harry, mein Knappe?“

Elise nahm seine Weigerung gleichmütig hin. „Ihr habt die Besinnung verloren durch den Blutverlust aus Eurer Kopfwunde. Euer Knappe und sein Gefährte haben uns geholfen, Euch nach oben zu tragen. Ein Glück für Euch, dass beide so kräftig sind. Harry bewacht jetzt unten die Tür, damit keiner Eurer eigenen Briganten über Eurem Kopf mein Haus niederbrennt, Sir Adam.“ So, wie sie seinen Namen aussprach, klang er wie Ah-dom. „Der andere ist fortgegangen, um Eurem Herrn Bescheid zu geben, wo Ihr zu finden seid.“

Der Duke of Clarence würde vermutlich lachen und die Geschichte als unglaubwürdig abtun, denn er pflegte immer zu sagen, dass Saker es nicht fertig brachte, verletzt zu werden, obgleich er den Tod oft genug herauszufordern schien. Er würde gewiss nicht glauben, dass Adam wegen einer bloßen Platzwunde am Kopf wie eine Jungfrau ohnmächtig geworden war. Zweifellos würde Clarence, der gern von sich auf andere schloss, seinem Vasallen Adam vorwerfen, ein hübsches Weib gefunden zu haben, das er vergewaltigen wollte.

„Dies … ist Euer Haus?“, fragte er die Französin und begegnete dem klaren Blick ihrer grünen Augen. „Wo ist Euer Ehegemahl, Madame? War er … ist er von der hiesigen Garnison?“

„Mein Gemahl starb in der Schlacht von Agincourt, Sir Adam“, erwiderte sie, stand rasch auf und leerte die Schüssel mit blutigem Wasser aus dem offenen Fenster auf die Straße.

Ein gedämpfter Fluch von unten verriet ihr, dass sie Harry eine Abkühlung verpasst hatte. Sie kehrte zum Bett zurück, ihr Gesicht ein Bild der Unschuld. Adam war der Vorfall nicht entgangen, und er musste sich trotz der Umstände ein Lächeln verbeißen, als er sich Harrys Verdruss vorstellte. Würde war seinem Knappen sehr wichtig.

„Ich bedaure den Verlust, der Euch getroffen hat, Madame.“ Jetzt war vermutlich nicht der beste Augenblick, zu erwähnen, dass auch er bei Agincourt gekämpft hatte. „Hat er Euch kein Rittergut, keine Burg hinterlassen?“

Elise verzog den Mund und blickte ihm gerade in die Augen. „Da ich kein Kind habe, ging das kleine Schloss de Vire an den jüngeren Bruder meines Gemahls. Wir … ich entschied, dass es besser für mich ist, anderswo zu leben.“

Adam fragte sich, ob dieser Schwager vielleicht seine Hände nicht von ihr lassen konnte und sie die Burg verlassen hatte, um seinen lüsternen Annäherungen zu entgehen. Wahrscheinlich, dachte er. Als Witwe war sie offensichtlich keine Jungfrau mehr, aber die junge Frau hatte etwas arglos Sinnliches an sich, als wäre sie sich ihrer Ausstrahlung nicht bewusst. „Ihr lebt allein hier?“, erkundigte er sich, um das plötzlich aufsteigende Bild zu bannen, diese Frau in den Armen zu halten.

Ihr Blick wurde wachsam wie der eines Waldtiers, das eine Falle wittert. „Ich habe meinen Diener, Gilles Le Petit.“

„Nur diesen Zwerg? Keine Leibmagd?“

„Ich hatte eine Dienstmagd, Agathe. Ich habe sie kurz vor der Belagerung zuletzt gesehen. Sie hatte Angst vor den Engländern – aus gutem Grund, wie Ihr gesehen habt“, erwiderte sie mit einer vielsagenden Kopfbewegung zum Marktplatz hin. „Vermutlich ist sie zum Bauernhof ihrer Familie außerhalb von Caen zurückgelaufen. Ja, abgesehen von Gilles bin ich allein.“

Elise hob kampflustig ihr Kinn, und ihre Augen fügten hinzu: Wage nur, mir das Schlimmste anzutun, Engländer!

Adam wollte ihr erneut versichern, dass sie nichts von ihm zu befürchten hatte, aber da trat der Zwerg durch die Tür und reichte dem überraschten Adam einen Pokal mit Wein.

Adam zögerte. Wollten sie ihren Feind jetzt vielleicht vergiften?

„Ah, ich sehe, Ihr zweifelt an unseren guten Absichten“, bemerkte Elise. „Gilles?“ Sie bedeutete dem Zwerg, ihr den Pokal zu bringen, nahm einen Schluck und gab ihn dann mit einem herausfordernden Blick an Adam weiter.

Adam drehte den Kelch, sodass er dort trinken konnte, wo ihre Lippen den Rand berührt hatten. „Nach dieser anmutigen Geste, Madame, kann ich nicht zögern zu trinken.“

Es war die Geste eines Liebhabers. Es freute Adam zu sehen, dass er sie verwirrt hatte, denn ihre Wangen röteten sich leicht, bevor sie ihren Blick abwandte. Er wusste selbst nicht so recht, weshalb er das getan hatte. „Ich danke Euch für Eure Fürsorge, Madame“, sagte er. „Trotz Harrys Wache unten vor der Tür hättet Ihr mir die Kehle durchschneiden können, während ich bewusstlos war – und fliehen, ohne dass der junge Tölpel etwas bemerkt haben würde.“

„Ihr müsst Euch nicht schämen, weil Ihr das Bewusstsein verloren habt.“ Elise hatte sich wieder gefasst, und ein belustigter Ausdruck trat in ihre Augen. „Kopfwunden bluten stark, aber wenn nur die Haut verletzt ist, sind sie selten tödlich.“

„Habt Dank für Euren freundlichen Trost“, entgegnete Adam etwas gereizt, weil er sich durchschaut fühlte. Ihm entging nicht, dass sein Unmut sie nur noch mehr erheiterte. „Ich werde jetzt gehen.“

„Ich bitte um Verzeihung, Seigneur. Es war nicht meine Absicht, Euren Mannesstolz zu kränken“, sagte sie verdächtig sanft. „Lasst uns von etwas anderem sprechen. Ich frage Euch, was wird jetzt mit uns geschehen?“

„Es steht Euch frei zu tun, was Euch beliebt, Madame.“

Aus der Ferne waren die Rufe von Soldaten zu hören, die auf Plünderungen erpicht waren.

„Bitte, Mylord, wie lange wird es dauern, bis ein nicht so ritterlicher Engländer wie Ihr in dieses Haus stürmt und meiner Herrin Gewalt antut? Bevor Ihr die Besinnung verlort, sagtet Ihr, sie könnte mit Euch gehen. Hattet Ihr nicht die Absicht, sie zu irgendeinem Zufluchtsort zu begleiten, wo sie in Sicherheit sein würde, Sir Adam?“

Adam wandte sich von dem Zwerg ab und begegnete nun Elise de Vires flehendem Blick.

Er war so darauf bedacht gewesen, der Wirkung dieser grünen Augen zu entfliehen, dass er in der Tat den Vorschlag vergessen hatte, den er ihr gerade vortragen wollte, als er ohnmächtig wurde. Ein leises Misstrauen regte sich wieder in ihm eingedenk ihrer herausfordernden Worte, die so ganz anders gewesen waren, als ihr flehentlicher, vertrauensvoller Gesichtsausdruck in diesem Augenblick. Vergiss nicht, dass sie der Feind ist, ermahnte er sich.

„Ich hatte lediglich vor, Euch meine Begleitung zu einer Zufluchtsstätte anzubieten, Madame. Gewiss kennt Ihr eine Kirche oder ein Kloster, wo Ihr in Sicherheit sein würdet?“

„L’Abbaye aux Dames, das Trinitatis-Kloster, ist in den Händen Eures Duke of Clarence“, erinnerte sie ihn.

Das Nonnenkloster, ursprünglich von Matilda, der Gemahlin von William dem Eroberer, gegründet, lag außerhalb der Stadtmauern und war von dem Duke zu seinem Hauptquartier gemacht worden.

„Die Nonnen sind immer noch dort“, erklärte er. „Seine Gnaden hat nur einige der größeren Räume beschlagnahmt.“

„Würdet Ihr mich dann bitte dorthin bringen, Sir Adam? Zweifellos wird man auch eine Arbeit für meinen Diener Gilles finden.“

Adam kämpfte mit sich selbst. Ihre Schwierigkeiten sind nicht deine, sagte er sich. Aber sie hat dir geholfen! Nein, wie hätte sie dir etwas antun können, solange Harry in der Nähe war? Leicht, nachdem Harry nach unten gegangen war und du immer noch bewusstlos und hilflos dalagst. Er verlor den Kampf gegen sich selbst. Außerdem musste er sowieso dem Duke Bericht erstatten, da er Clarences Vasall war, und vermutlich würde er ihn dort finden. Indem er seinen Entschluss damit rechtfertigte, dass er lediglich eine ritterliche Pflicht erfüllte und zweifellos Madame Elise de Vire nie wiedersehen würde, sobald er sie der Äbtissin überstellt hatte, sagte er: „Nun gut, macht Euch bereit, dann werde ich Euch zum Kloster bringen.“

„Oh, ich danke Euch, Sir Adam! Der Herr im Himmel wird Euch Eure Güte vergelten!“

Sekundenlang dachte er, sie würde seine Hand küssen, und rettete sich in Schroffheit. „Schick meinen Knappen zu mir“, befahl er dem Zwerg, „und dann hilf deiner Herrin, ihre Habe zu bündeln.“

Elise spürte die Blicke des Ritters, die ihr folgten, während sie sich im Zimmer umherbewegte und Kleidungsstücke aus dem Schrank holte und zusammenfaltete. Dann brachte sie aus der Tiefe des Schranks ein Kästchen zum Vorschein, das ihren bescheidenen Vorrat an Münzen und die Granatbrosche enthielt, die Aimeri ihr geschenkt hatte. Sie legte alles in eine kleine eisenbeschlagene Truhe am Fuße des Bettes und wandte sich dann wieder Sir Adam zu.

„Könnte Euer kräftiger junger Knappe diese Truhe wohl für mich tragen, Mylord?“, fragte sie mit einem gewinnenden Lächeln.

„Ich bin überzeugt, er würde nicht wollen, dass eine Dame ohne ihre Habe auskommen muss, besonders, wenn Ihr vor ihm in dieser Weise mit den Wimpern klimpert, Madame“, entgegnete Adam trocken und mühte sich, seinen zweiten Metallhandschuh ohne die Hilfe seines Knappen anzulegen. „Und bitte, ich bin kein Lord, sondern nur ein Ritter. ‚Sir Adam‘ genügt.“

Elise unterdrückte eine scharfe Antwort und sagte stattdessen: „Ich wollte Euch nicht beleidigen, Sir Adam. Vielleicht solltet Ihr wissen, dass ich vor meiner Ehe nur eine Bürgerstochter war. Alles, was Etikette und Protokoll anbetrifft, ist mir noch immer nicht recht geläufig.“ Das zumindest war die Wahrheit. Ihre Herkunft war ein Makel, den Aimeris Bruder und seine Frau sie stets hatten spüren lassen.

Sir Adam hielt sie also für kokett. Ein verwirrender Mann – erst trank er aus dem Kelch, wo ihre Lippen ihn berührt hatten, und dann benahm er sich so kratzbürstig wie ein Mönch nach ausgedehntem Fasten! Welche Erfahrungen mochten diesen englischen Ritter mit dem dunklen, strengen Gesicht und den misstrauischen Augen geformt haben?

War er von Natur aus argwöhnisch, oder war sie zu weit gegangen? Sie durfte ihre Rolle nicht übertreiben. War es ihr gelungen, ihn zu überzeugen, dass sie nur eine verängstigte junge Witwe war, die Schutz brauchte? Hatte sie in ihm mehr als nur Beschützerinstinkte erweckt? Jetzt wusste sie nicht einmal, ob er von ihr angetan war oder sie verachtete.

Nachdem sie das blutige Massaker auf dem Marktplatz mitansehen musste, fiel es ihr schwer, sich in Erinnerung zu rufen, dass sie nicht nur eine verängstigte junge Witwe war, sondern ein Werkzeug der Rache.

Dann merkte sie, dass Sir Adam sie noch immer sehr nachdenklich betrachtete, und machte sich an der Truhe zu schaffen.

Elise war froh, dass sie ihn gebeten hatte, sie zum Dreifaltigkeitskloster zu geleiten. Bei den guten Nonnen würde sie sicher sein und dennoch Verbindung zu den Engländern haben, da das Kloster zugleich das Hauptquartier des königlichen Herzogs war. Gewiss war das vorteilhaft, um nützliche Informationen zu erlangen. Und Sir Adams Knappe hatte ihr erzählt, dass Thomas, Duke of Clarence, Sir Adams Lehnsherr war, was bedeuten konnte, dass Sir Adam häufig im Kloster erscheinen würde …

Nun, wenn Sir Adam sie bloß für ein albernes, kokettes weibliches Wesen hielt, dann würde sie eben andere unter den Engländern finden, die sie anziehend fanden – zu ihrem Pech.

3. KAPITEL

In stummem Einverständnis nahmen Sir Adam und Elise die Rue Exmosine, die an den Molen vorbei zur Abbaye aux Dames führte und es ihnen ermöglichte, die Marktplatz-Gegend zu umgehen.

Dennoch gab es auch hier alle paar Meter Spuren des Blutbads: gefallene französische Landsknechte mit schrecklichen, blutverkrusteten Wunden, Frauen, die mit ausgebreiteten Beinen auf dem Rücken lagen, die Röcke hochgeschlagen über die toten Gesichter, herumirrende, weinende Kinder, die nach ihren Müttern suchten, die vermutlich tot waren.

Immer noch zogen Rauchschwaden durch die Luft. Überall standen Häuser in Flammen, aus denen oft mit Beute beladene englische Soldaten, die sich gegenseitig mit Zurufen anfeuerten, rannten. Einige von ihnen gaben angesichts von Sir Adam und seiner Begleiterin laut ihrem Beifall Ausdruck, da sie offensichtlich annahmen, die hübsche Rothaarige hätte zugestimmt, sich ihm hinzugeben als Gegenleistung für seinen Schutz. Sie bedachten den Zwerg, der an ihrer Seite ging, mit Schmähungen, aber als Sir Adam ihnen einen durchdringenden Blick zuwarf, hörten sie auf, den Kleinen zu hänseln.

Bis sie endlich die Sicherheit des Klosters erreicht hatten, zitterte Elise am ganzen Körper, ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren und ihre grünen Augen wirkten riesig. Adam bemerkte, dass sie ihre Hände zwischen den Falten ihres Gewandes ballte – vor Angst und Entsetzen oder vor Wut? Er stellte sich vor, seine Schwestern oder Anne wären in der gleichen Lage … und konnte es ihr nicht verübeln.

Adam brachte sie zum Hauptgebäude des Klosters, in dem immer noch die Benediktinerinnen residierten, und suchte den Empfangsraum der Äbtissin auf. Auf sein Klopfen hin öffnete die Oberin die Tür und blickte misstrauisch auf den Engländer, der vor ihr stand. Dann sah sie jedoch die junge Frau hinter ihm, trat vor und breitete die Arme aus.

„Meine liebe Madame de Vire, ich habe mir Sorgen um Euch gemacht, vor allem, da ich doch wusste, dass Ihr allein wart …“

Schluchzend warf Elise sich in die Arme der Äbtissin und sank an ihre schmale Brust.

„Mein armes Kind, beruhigt Euch! Ihr seid in Sicherheit. Alles wird wieder gut werden!“, tröstete die Äbtissin und streichelte das wirre Haar der jungen Frau, während sie Adam mit einem finsteren Blick bedachte. „Hat dieser Mann Euch in irgendeiner Weise Schaden zugefügt?“

„Nun, weshalb sollte ich sie herbringen, wenn ich …“, begann Adam entrüstet, aber die Äbtissin brachte ihn mit einer gebieterischen Handbewegung zum Schweigen, um Elises Antwort zu hören.

„Nein, Ehrwürdige Mutter, das hat er nicht“, erwiderte Elise schließlich, das Gesicht immer noch an die schwarze Kutte der Äbtissin gepresst. „Er hat mir nur Freundlichkeit erwiesen und mich zu Euch gebracht, in der Hoffnung, dass Ihr Raum für mich habt. Ich habe meinen Diener Gilles bei mir, und er wird mehr als bereit sein, jegliche Arbeit zu verrichten, die Ihr ihm auftragt.“

„Aber gewiss, Ihr müsst bleiben – und Euer Diener ebenfalls, obgleich Ihr nicht die Erste seid, die hier Zuflucht sucht. Wir beherbergen alle, die zu uns kommen, von Dienstmägden und Kaufmannsfrauen bis zu den Gemahlinnen von Rittern, und bald werden wir enger zusammenrücken müssen. Heute ist ein böser Tag, ein wahrlich böser Tag“, fügte sie mit einem weiteren finsteren Blick auf den englischen Ritter hinzu. „Ihr könnt jetzt gehen, Sir. Es ist gut zu wissen, dass es wenigstens einen englischen Ritter gibt, der nicht vergessen hat, ehrenhaft zu handeln“, räumte sie dann widerstrebend ein und entließ ihn mit einer Handbewegung.

Harry Ingles setzte die eisenbeschlagene Truhe ab, und Sir Adam entfernte sich mit einem Seufzer der Erleichterung in der Absicht, den Klostergarten zu durchqueren und zu erkunden, ob Clarence bereits in sein Quartier zurückgekehrt war.

„Sir Adam?“

Adam drehte sich um. Elise hatte sich aus der Umarmung der Äbtissin gelöst und sah ihn mit feucht schimmernden Augen an. „Ich … ich möchte Euch danken für das, was Ihr getan habt. Ich werde Euch stets in meine Gebete einschließen.“

„Es war nicht der Rede wert“, murmelte er verlegen und wollte weitergehen, aber er konnte seinen Blick nicht von ihrem Gesicht lösen.

Elise trat auf ihn zu. „Vielleicht … werde ich Euch wiedersehen, da Euer Lehnsherr hier logiert?“

Jetzt schoss die hinter ihr stehen gebliebene Äbtissin ihm einen bitterbösen Blick zu. „Vielleicht“, erwiderte er überrascht. Er wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte, und so betrachtete er sie noch einen Augenblick stumm, bevor er sich abwandte und Elise einfach stehen ließ.

Wie sich herausstellte, war der Duke of Clarence noch nicht zurückgekehrt, aber ein Lakai, der sein Zimmer herrichtete, konnte Adam mitteilen, dass er den Duke in einem großen Haus aus grauem Stein in der Nähe des Marktplatzes finden würde. Dieses Haus war von König Henry beschlagnahmt worden, um dort alle Beute von großem Wert unterzubringen.

Adam seufzte tief, denn inzwischen war es Spätnachmittag, und er hatte gehofft, nicht erneut in die eroberte Stadt mit den grausigen Bildern und Gerüchen gehen zu müssen. Er sehnte sich danach, seine Rüstung abzulegen, seine schweißdurchtränkte Kleidung durch saubere zu ersetzen und ein Weilchen den relativen Frieden seines Zelts zu genießen, das wie die der anderen Ritter außerhalb der Klostermauern stand. Aber er hatte keine andere Wahl, und so kehrte er mit Harry zur Ile St. Jean zurück.

Sie fanden das graue Steinhaus ohne Mühe, denn Adam hatte es bemerkt, als er vor nur einer Stunde mit Madame de Vire daran vorbeigegangen war. Kaum hatte Adam das Haus betreten, sah er bereits seinen Lehnsherrn zwischen Stapeln von Teppichen, zusammengerollten Gobelins, Truhen mit Münzen, Gold- und Silbergeschirr und Weinfässern umherschlendern. Er gab den Soldaten, die immer noch Beute aus der eroberten Stadt hereintrugen, Anweisung, wohin sie die Sachen legen sollten. Adam entgingen nicht die vielen gemurmelten Flüche und grollenden Blicke, als die Männer ihre Beute abliefern mussten.

Der Herzog trug an jedem seiner dicken Finger einen Ring, und als Adam sich näherte, hielt er gerade ein Rubin-Collier ins Licht.

„Ah, Saker! Dies ist eine wahre Schatzkammer, ist es nicht so? Und Henry sagt, dass alles mir gehört mit Ausnahme eines französischen Geschichtsbuchs, das er gern haben möchte. Caen ist in der Tat eine reiche Stadt.“ Es fehlte nicht viel, und Thomas of Clarence hätte vor lauter Freude einen Luftsprung gemacht.

War eine reiche Stadt“, berichtigte Adam mit einem spöttischen Zucken seiner Brauen, das der Herzog jedoch nicht bemerkte, so versunken war er in den Anblick all der Schätze.

„War“, bestätigte er. „Ich würde sagen, wir haben ihnen gezeigt, wer hier der Herr ist, eh, Adam? Diejenigen, die noch übrig sind, knien auf den Straßen und bitten meinen königlichen Bruder um Gnade, wenn er des Weges kommt! Was haltet Ihr von diesem Halsschmuck? Er würde Mavis’ Hals ganz reizend zieren, nicht wahr? Und sie vielleicht im Bett zu noch größeren Geschicklichkeiten ermuntern?“ Clarence bezog sich auf seine neueste Mätresse, eine wohlgerundete Witwe eines der wenigen englischen Ritter, die vor zwei Jahren in der Schlacht bei Agincourt gefallen waren.

„Zweifellos, Your Grace.“

Clarence blickte auf. „Ihr seid mächtig trüben Sinnes für einen Mann, der den ganzen Nachmittag mit einer ansehnlichen Französin getändelt hat, wie ich von Tom Barrington hörte. Was ist mit Euch? War sie Euch nicht gefällig? Ihr seid einer der Eroberer, Saker – nehmt Euch, was Ihr haben wollt.“

Der zweitgeborene Sohn des verstorbenen Henry IV besaß die gleichen äußerlichen Vorzüge wie sein königlicher Bruder, aber im Gegensatz zu Henry keinerlei Maß und Selbstdisziplin. Schon jetzt machte sich seine Vorliebe für gutes Essen in einem dicker werdenden Bauch und einem Ansatz zu Hängebacken bemerkbar. Sowohl seine wie auch Henrys Heldentaten bei der Weiblichkeit waren legendär gewesen, bevor Henry König wurde. Kaum hatte er den Thron bestiegen, wurde Henry ein ernster Mann, der sich ganz seinem Königtum widmete, während Clarence kaum Grund sah, seine Lebensweise zu ändern.

Adam vermochte Clarences Worte nicht übelzunehmen, denn wie üblich wurden diese von einem charmanten Lächeln begleitet, und unwillkürlich lächelte Adam zurück.

„Ich fürchte, der Bericht meines Erfolgs bei besagter Französin wurde reichlich übertrieben, Euer Gnaden“, erwiderte er etwas zerknirscht. „Es ist wohl wahr, dass ich in ihrem Bett erwachte – aber nur, weil ich auf ihrer Türschwelle ohnmächtig wurde wie eine liebeskranke Jungfrau.“

„Was Ihr nicht sagt! Ich wollte es nicht glauben, als der Junge mir erzählte, dass sie Euch nach oben tragen mussten! Habt einen Schlag auf den Kopf bekommen, ist es nicht so? Ein Glück, dass Ihr einen so harten Schädel habt! Nun, wie dem auch sei, geht nur zurück zu Eurer Französin. Wie ich höre, ist sie recht ansehnlich – wenn man Rothaarige mag. Ich für mein Teil bevorzuge blonde Frauen. Erzählt ihr, dass es ihre Schönheit war, die Euch die Besinnung verlieren ließ, und dass Ihr sie nicht vergessen könnt!“

„Nein, das glaube ich nicht … Ich bin überzeugt, für sie bin ich nur ein weiterer englischer Teufel – mit einem geteilten Schweif und einem Pferdefuß!“ Er fügte nicht hinzu, dass die Französin mit dem zimtfarbenen Haar auch seinem Geschmack nicht entsprach. Es gab nur eine Frau für ihn, die goldblonde Anne – und sie konnte er nicht haben. „Außerdem bin ich zu erschöpft, um an ein Weib denken zu können.“

„Nach einer Rast und einer guten Mahlzeit wird Euch eher danach zumute sein“, bemerkte der Herzog weise. „Vielleicht sehe ich sie mir mal an, wenn Ihr nicht geneigt seid. Eine Frau, die mir das Bett wärmt, wäre mir heute höchst willkommen! Sie wohnt am Marktplatz, sagte mir der Junge.“

Adam hätte nicht erklären können, weshalb er plötzlich Ärger verspürte. Er war nicht prüde, aber es freute ihn, dem Herzog mitteilen zu können, dass er die Französin dort nicht mehr antreffen würde. „Ihr werdet das Haus leer vorfinden, Euer Gnaden. Ich habe sie zum Kloster begleitet, bevor ich zu Euch kam.“ Er fügte nicht hinzu, dass es sich um dasselbe Kloster handelte, in dem Clarence logierte, und mit etwas Glück würde der Herzog sie nie zu Gesicht bekommen, wenn sie sich in den Räumen der Nonnen versteckt hielt.

Adam redete sich ein, dass er Elise de Vire lediglich die Belästigungen des Herzogs ersparen wollte. Nach ihren letzten schrecklichen Erfahrungen würde sie gewiss nicht darauf erpicht sein, eine Liaison mit dem verhassten Feind einzugehen.

Clarence hob und senkte gleichmütig die Schultern. „Es gibt noch andere. Aber es wird spät. Lasst mich noch Wachposten für dieses Haus einteilen, und dann möchte ich, dass Ihr mich zum Mahl in den Gemächern meines königlichen Bruders begleitet. Henry hat mich ausdrücklich gebeten, Euch mitzubringen.“

„Zum Essen … mit dem König? Aber Euer Gnaden, ich bin nicht angemessen gekleidet, um Euch zum König zu begleiten!“, protestierte Adam und deutete auf seine Rüstung.

„Das macht nichts“, tat Clarence seinen Einwand mit einer Handbewegung ab. „Henrys Kammerdiener wird dafür sorgen, dass Ihr ein Bad nehmen könnt und angemessen ausgestattet werdet, bevor Ihr vor Euren Monarchen tretet. Nun kommt schon, ist es nicht vorzuziehen, am Tisch des Königs zu speisen und die besten beschlagnahmten Weine zu genießen, als ein Stück kalten Braten und ein Bier in Eurem Zelt zu Euch zu nehmen, Saker?“

Adam wusste, wann er geschlagen war, und fügte sich in das Unvermeidliche. Wenn der König befahl, musste man gehorchen. „Gewiss – angenommen, ich könnte überhaupt ein Stück Fleisch finden. Es wird mir eine Ehre sein, Euch zu begleiten, Euer Gnaden, aber ich muss gestehen, dass ich etwas verwirrt bin. Ihr sagtet, dass Seine Majestät meine Anwesenheit wünscht? Warum?“

Er war Henry natürlich schon bei verschiedenen Gelegenheiten begegnet. Adam war einer der jüngsten Junker gewesen, die anlässlich der Krönung Henry V zu Rittern geschlagen wurden, und seit er in die Dienste von Thomas of Clarence getreten war, hatten er und sein Herr den König oft aufgesucht. Gewiss, Henry kannte seinen Namen, aber der König besaß auch ein erstaunliches Gedächtnis für Namen und hätte die meisten der Männer, die bei Agincourt gekämpft hatten, benennen können. Aus welchem Grund wollte Henry ihn sprechen? War es möglich, dass ihm das gleiche Gerücht zu Ohren gekommen war wie dem Herzog, dass Adam den Nachmittag mit einer französischen Witwe getändelt hatte, anstatt die eroberte Stadt für seinen Herrscher zu sichern?

Seine Miene musste wohl etwas von seiner Befürchtung verraten haben, denn Clarence lachte belustigt. „O nein, mein Bruder hat nicht die Absicht, Euch wegen lüsternen Verhaltens zu tadeln – das wäre wohl auch kaum gerecht, nachdem er Vergewaltigung und Plünderung gestattet hat, meint Ihr nicht? Aber ich denke, ich werde es ihm überlassen, Euch zu sagen, was er von Euch will“, fügte er hinzu und war nicht bereit, Adams Neugier zu stillen.

Das Mönchskloster St. Stephen, wo der König Quartier genommen hatte, lag außerhalb der westlichen Mauer von Caens älterem Stadtteil. Ebenso wie das Nonnenstift war es Teil der von William dem Eroberer geforderten Buße, nachdem er gegen den Willen des Papstes seine Cousine Matilda zur Frau genommen hatte.

Der König hatte tatsächlich Vorsorge getroffen. Während Clarence anderswohin geleitet wurde, führte ein Lakai Adam in ein Gastgemach, wo ein großer Eichenzuber und ein Kammerdiener ihn erwarteten. Adam hatte Harry zum Zelt zurückgeschickt und ließ sich daher von dem Diener aus seiner Rüstung schälen. Unterdessen leerten zwei Lakaien mehrere Kübel dampfenden Wassers in den Zuber, und wenig später konnte Adam, nun sich selbst überlassen, das heiße Bad genießen. Das warme Wasser entspannte seine schmerzenden Muskeln, während er sich den Schmutz der Schlacht abwusch.

Er verdrängte willentlich die Erinnerung an jene, die er am Vormittag während des Sturmangriffs durch die östliche Mauer getötet hatte. Es war ein fairer Kampf gewesen, und wäre er weniger geschickt gewesen, könnte er jetzt ebenso leicht unter den Toten liegen wie die verzweifelten Franzosen, die versucht hatten, ihre Stadt zu verteidigen und ihn zurückzuschlagen.

Hier fehlt nichts außer der Betreuung von einer Schlossherrin, dachte Adam, als er sich das Haar mit dem Stück Seife einseifte, das ihm ausgehändigt worden war. Dann spülte er den Schaum mit dem neben dem Zuber bereitgestellten Kübel Wasser ab. Es wäre angenehm gewesen, sich von einer Frau den Rücken schrubben zu lassen – er hätte sogar die schielende Edyt akzeptiert, die Küchenmagd in Saker Castle, die ihr starkes Interesse an dem jungen Adam nie verhehlt hatte.

Aber die Erinnerung an seine Heimatburg ließ ihn sofort an die Schlossherrin von Saker Castle denken – die Frau seines Bruders. Mit einem unterdrückten Fluch stieg er aus dem Badezuber und griff nach dem Tuch, um sich abzutrocknen. Man durfte den König nicht warten lassen.

Seinem Versprechen getreu, hatte Henry angeordnet, ein Leinenhemd, Strumpfhosen, einen knielangen Rock aus fein gesponnener, weicher Wolle und Schnabelschuhe für Adam in das Zimmer zu legen. Adam zog die Kleidungsstücke an und genoss das Gefühl sauberer, weicher Gewandung an seinem Körper nach dem monatelangen Feldzug in grober, schmutziger Kleidung. Er fragte sich, ob er die Sachen wohl behalten durfte. Und jetzt beschäftigte ihn noch mehr als zuvor, weshalb der König ihn derart verwöhnte.

König Henry mit seiner Vorliebe für Schlichtheit schlief angeblich in einer ganz gewöhnlichen Mönchszelle in diesem Kloster, aber der Raum, in den Adam geführt wurde, war keineswegs schlicht.

Es war ein großes Gemach mit türkischen Teppichen auf dem Boden, Gobelins an den Wänden und echtem Glas in den Fenstern. Ein helles Feuer brannte im Kamin und spendete Licht und willkommene Wärme an diesem frischen Herbstabend. König Henry und sein Bruder Thomas of Clarence saßen an einem langen Tisch mit kunstvoller Einlegearbeit und tranken Wein aus edelsteinbesetzten Pokalen.

„Ah, Saker, da seid Ihr ja“, begrüßte ihn der Herzog und winkte ihn heran. „Kommt her und esst mit uns.“

Adam verbeugte sich tief vor dem König und dann vor dessen Bruder. „Euer Gnaden, ich fühle mich zutiefst geehrt.“

König Henry sah müde aus, war aber in ungewöhnlich leutseliger Stimmung. „Willkommen, Sir Adam! Wie Thomas bereits sagte – kommt und setzt Euch zu uns.“ Mit einer Handbewegung forderte er die im Hintergrund des Raumes wartenden Diener auf, den ersten Gang zu servieren.

Als das in klarer Fleischbrühe gegarte Kaninchen ihnen vorgesetzt wurde, erklärte Henry: „Thomas hat uns erzählt, dass Ihr heute einen Schlag auf den Kopf erhalten habt, Adam. Fühlt Ihr Euch wieder wohlauf?“

„Ich habe mich davon erholt, danke, Eure Hoheit“, antwortete Adam und strich sich über das immer noch feuchte schwarze Haar. „Selbst die Kopfschmerzen sind nach dem höchst erfrischenden Bad verschwunden.“ Wie immer berührte des Königs aufrichtiges Interesse Adam sehr – und zugleich erstaunte es ihn erneut, dass dies derselbe Mann war, der heute ein Massaker veranstalten ließ.

„Er hat uns außerdem erzählt, dass Euch eine schöne junge Französin geholfen hat, die Ihr später ins Kloster geleitet habt“, fuhr Henry fort. „Ihr habt Lob verdient, Sir Adam. Ich wünschte, dass mehr von meinen Männern so ritterlich wären, da diese Franzosen doch rechtens auch unsere Untertanen sind“, fügte er tugendhaft hinzu, senkte den Kopf und nahm einen Löffel von seiner Brühe.

Adam wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Anscheinend wurde jedoch hierzu keine Antwort von ihm erwartet, und so begann er sein Essen zu genießen, als ein Gericht nach dem anderen aufgetragen wurde.

Dem Kanincheneintopf folgten gebratenes Wild in würziger Sauce, Fisch-Gelee, Hühnchen mit Mandeln, gekochte Gemüse und Apfelküchlein. Dazu gab es den besten Burgunder, den Adam je getrunken hatte.

Adam bemerkte, dass der König nur wenig aß und sich nur kleine Portionen von den einfacheren Speisen nahm – und seinen Wein mit Wasser verdünnte. Clarence dagegen zeigte keinerlei Zurückhaltung und häufte sich große Mengen von allem, was auf dem Tisch stand, auf seinen Teller.

Während der Mahlzeit unterhielten sich die beiden Brüder, und Adam hörte zu und beobachtete den jeweils Sprechenden.

„Es war ein großer Sieg heute, ein großer Sieg, obgleich die Zitadelle und die Altstadt sich noch ergeben müssen“, sagte Henry mit leuchtenden Augen.

„Sie werden sich bald ergeben, mein königlicher Bruder. Das Versprechen des Dauphins, ihnen zu Hilfe zu kommen, ist nur eine Farce, und das wissen alle.“

„Ja … ich denke, wir werden einige Tage warten, bis wir ihnen ein Ultimatum zur Übergabe stellen. Sollen sie die Schauergeschichten des heutigen Tages hören – und den Vorteil meiner anschließenden Gnade sehen –, die hinter den Mauern zusammengepferchten Bürger werden fordern, dass die Garnison sich ergibt.

„Zweifellos“, stimmte Clarence zu.

Henry beendete seine Mahlzeit lange bevor sein Bruder und Adam gesättigt waren, drängte sie jedoch höflich weiterzuessen, als Adam es bemerkte und ebenfalls aufhören wollte. „Fahrt nur fort, Euer Essen zu genießen, edler Ritter. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mein Magen mich bestraft, wenn ich viel esse, aber es gibt keinen Grund, weshalb ein Mann, der tapfer gekämpft hat, sich nicht satt essen sollte.“

Schließlich hatte sogar Clarence genug und wischte sich nach einem lauten Rülpser mit einer Leinenserviette das Gesicht ab.

König Henry beugte sich vor. „Sir Adam, zweifellos habt Ihr von dem bedauerlichen Tod von Sir Edmund Springhouse am heutigen Tag gehört?“

Adam nickte, und seine Miene wurde grimmig. „Er war ein tapferer Ritter, Majestät. Es war ein schrecklicher Tod.“ Sir Edmund war in einen Graben gefallen, als er durch eine der Mauerbreschen vorwärtsstürmte, und die Franzosen hatten brennende Strohballen auf den hilflos daliegenden Mann heruntergeworfen. Adam konnte immer noch seine Todesschreie hören.

„Sein Tod ist ein großer Verlust, Adam, so wie der Tod jedes meiner Ritter, aber in seinem Fall trifft sein Verlust uns mehr, als Ihr ahnen könnt. Sir Edmund befehligte unsere Späher und Spione.“

Adam sah ihn fassungslos an und versuchte, die Bedeutung der Worte des Königs zu begreifen. „Sir Edmund? Aber er wirkte immer so … so einfach … ich meine …“

„Dass Ihr nicht vermutet habt, dass Springhouse noch andere Fähigkeiten hatte und mehr als nur ein gewöhnlicher Krieger war, wie? Genauso sollte es auch sein, Saker, denn wenn Ihr nicht hinter seine schlichte Fassade geblickt habt, taten es die Spione der Armagnacs und der Burgunder auch nicht. Und glaubt mir, sie sind überall. Glücklicherweise hat mein Schreiber sämtliche Nachrichten, die Springhouse für mich gesammelt hat, in allen Einzelheiten aufgeschrieben, sodass sein Nachfolger nicht ganz von Neuem anfangen muss. Und jetzt kommt Ihr ins Spiel, Saker. Ihr seid ein ausgezeichneter Ritter und habt keine ersichtlichen anderen Interessen – es spricht zu Euren Gunsten, dass Ihr kein Weiberheld seid, aber ich glaube, Ihr seid zu mehr befähigt. Ich möchte Euch die Aufgaben von Sir Edmund übertragen.“

„Ihr wollt, dass ich Euer Spionagenetz leite?“, fragte Adam ungläubig. „Aber warum, Eure Majestät?“

„Warum nicht?“, entgegnete König Henry und lehnte sich in dem großen, geschnitzten Holzsessel zurück. „Ihr sprecht ein exzellentes Französisch und wisst auch zu lesen und zu schreiben, wie uns berichtet wurde“, fügte er mit einem Blick zu Clarence hinzu. „Die Beherrschung der französischen Sprache ist eine immer stärker in Vergessenheit geratende Fähigkeit unserer Aristokraten. Noch vor zwei Generationen sprach ein Baron nur mit seinen Dienern Englisch, aber seither haben die Zeiten sich geändert.“

„Ja, Sire, aber …“

„Und nachdem, was heute auf dem Marktplatz geschehen ist, glauben wir, dass Ihr eine sehr gute Tarnung habt.“

„Wie das, mein König?“ Adam blickte verwirrt.

„Ihr kamt nach dem – nennen wir es den bedauerlichen Vorfall, als wir uns von unserem Zorn überwältigen ließen und gestattet haben, dass viele Unschuldige erschlagen wurden, auf den Marktplatz, und wir bemerkten Euren Gesichtsausdruck. Oh, macht Euch nicht die Mühe, es zu leugnen. Ihr wart entsetzt und angewidert, ist es nicht so?“ Der König sah Adam mit seinen braunen Augen durchdringend an.

„Eure Hoheit …“, begann Adam, „hat bisher immer Gnade gezeigt … zumindest bei jenen, die sich ergaben, und stets Frauen und Kinder verschont. Ich … ich konnte das nicht verstehen, aber ich maße mir nicht an, über Eure Entscheidung zu urteilen, Sire.“

Henry wandte seinen Blick ab. „Es ist gut, dem Herrgott das Urteil darüber zu überlassen, aber ich will Euch sagen, dass ich für das heutige Massaker bis zum Ende meines Lebens Buße tun werde.“ Seine Stimme klang tonlos, und nur ein Zucken der Mundwinkel verriet Adam ein wenig von den Gefühlen des Königs.

„Aber da ich Euren Gesichtsausdruck sah“, fuhr der König fort, „haben ihn andere wahrscheinlich auch gesehen. Zudem ist da noch Eure gute Tat, was diese junge Französin anbetrifft. Ihr habt Euch sehr ritterlich benommen, denn Ihr hättet Euch ihr auch aufzwingen können.“ Er winkte ab, als Adam zu protestieren versuchte. „Versteht Ihr nicht, dass Euer offensichtliches Mitgefühl für die Franzosen eine hervorragende Tarnung bietet? Ich möchte, dass Ihr fortfahrt, Euch franzosenfreundlich zu verhalten – selbst wenn es den Anschein erweckt, dass Ihr die Handlungsweise Eures Königs missbilligt. Nur Thomas und ich werden wissen, dass es lediglich eine Pose ist. Wenn Ihr das tut, wird es Euch möglicherweise in die Lage versetzen, von denen, die Euch für einen Freund der Franzosen halten, gewisse … Auskünfte zu erlangen – ebenso wie von den Spitzeln, die wir bereits eingeschleust haben. Wer würde dann argwöhnen, dass Ihr in Wahrheit gegen sie arbeitet?“

„Könnte es sein, dass ich persönlich hinter die Linien gehen muss, Sire?“ Adam war ein tapferer, mutiger Ritter im Kampf, aber bei dem Gedanken, ohne Rüstung und Schwert in feindliches Gebiet zu gehen – in einer Verkleidung vorzugeben, etwas zu sein, das er nicht war –, wurde ihm innerlich kalt zumute.

„Spionieren ist ein schmutziges Geschäft und kaum geeignet für einen Edelmann … nein, ich denke nicht, dass ein solches Verfahren erforderlich sein dürfte.“

Es entging Adam jedoch nicht, dass er es nicht ausdrücklich ausschloss.

4. KAPITEL

Elise meinte den Verstand zu verlieren vor lauter Langeweile. Sie war jetzt seit einer Woche Gast des Klosters der Benediktinerinnen, und obgleich sie hier in Sicherheit war, gab es wenig anderes zu tun als essen, schlafen und mit den zwölf Frauen zu plaudern, die hier ebenfalls Zuflucht gesucht hatten. Außerdem konnte sie natürlich auch einige der zahlreichen Gottesdienste besuchen, die den Tagesablauf der Benediktinerinnen bestimmten. Die Glocken läuteten und riefen um Mitternacht, im Morgengrauen, am Vormittag, zu Mittag, am Nachmittag, zur Abenddämmerung und zur Schlafenszeit zum Gebet. Elise hatte niemals auch nur die geringste Neigung verspürt, eine Nonne zu werden, obgleich sie die Hingabe dieser Frauen bewunderte, aber jetzt besuchte sie aus schierer Langeweile ein oder zwei der täglichen Offizien. Wie konnte sie Frankreich dienen, hier hinter diesen Klostermauern?

Sie hatte jeden sonnigen Nachmittag im Klostergarten verbracht, der sowohl den Nonnen wie auch den englischen „Gästen“ zugänglich war, und Ausschau nach Sir Adam Saker gehalten.

Aber nicht einen Blick auf den großen, dunkelhaarigen Ritter hatte sie erhaschen können. Immerhin hatte sie für die Äbtissin an einem Altartuch gestichelt, bis ihr die Augen versagten. Auch hatte sie versucht, mit anderen englischen Rittern und Edelmännern Gespräche anzuknüpfen – in der Hoffnung, Informationen zu entlocken –, aber die meisten von ihnen sprachen kaum Französisch, und einer von ihnen hatte ihre Gesprächsbereitschaft für eine Einladung gehalten, sie zu betätscheln!

Gilles war gerade zur rechten Zeit im Garten erschienen, als Elise dem rotgesichtigen, beleibten Baron eine Ohrfeige versetzte. Angesichts des Zwerges hatte der Edelmann sich getrollt und leise Verwünschungen über die kokette Art der Französinnen gemurmelt.

„Was habt Ihr erwartet, Madame?“, fragte Gilles barsch, als Elise wütend auf und ab lief. „Ihr habt ihn angesprochen und ihm zugelächelt, während alle anderen Frauen flüchten oder sich zumindest abwenden, wenn Engländer erscheinen.“

„Offenbar braucht ein Engländer nicht mehr als das, um sich ermutigt zu fühlen“, entgegnete Elise verärgert. „O Gilles, ich wette, du würdest lieber einer echten Dame dienen als einer ränkeschmiedenden Frau wie mir.“

„Ich diene Euch gern, Madame“, erklärte der Zwerg, „aber ich möchte Euch daran erinnern, dass Ihr angeboten habt, auf jede Euch nur mögliche Weise Informationen für die Königin zu beschaffen. Ist es notwendig, auf eine junge und handsame Informationsquelle zu warten, und muss dieser Mann Euch gleich die Ehe bieten? Einer, der weniger wie ein Adonis aussieht, ist vielleicht eher willens, Euch alles zu erzählen, nur um Eure Gunst zu erringen!“

„Gewisslich nicht! Weshalb sollte ich mir wünschen, in einer Ehe an einen Engländer gefesselt zu sein, sei er nun ansehnlich oder nicht!“ Sie kehrte ihm kurz den Rücken zu, wandte sich aber dann wieder um und sah ihn an. „Ich weiß, dass ich nicht zu … zu anspruchsvoll sein darf, indes dieser Mann war zu fett, und sein Atem hat gestunken! Und seine Hände waren … waren dicke rote Pranken!“ Elise schauderte.

In diesem Augenblick donnerten in der Ferne die englischen Geschütze alle gleichzeitig los, und gleich darauf waren die Einschläge im Mauerwerk zu hören.

„O Gilles, wenn einmal nicht die Glocken läuten, dann macht die verdammte Artillerie Lärm. Ich schwöre, hier habe ich ständig Kopfschmerzen – du nicht auch?“, fragte Elise. „Wenn sich nicht bald etwas ändert, werde ich wahnsinnig.“

Einmal hatte Elise versucht, das Klostergrundstück zu verlassen, um in die Neustadt zu gehen und nachzusehen, was dort vor sich ging – und ob irgendetwas aus ihrem Haus gerettet werden konnte, falls es noch stand. Am Tor war Elise jedoch von einem Wachposten zurückgeschickt worden, der ihre Bitten nicht zu verstehen schien. Der Mann war zwar höflich gewesen, das musste sie zugeben, aber er hatte sie nichtsdestotrotz sehr bestimmt daran gehindert, das Kloster zu verlassen.

Die anderen Frauen zeigten sich nicht sonderlich beunruhigt, als sie mit der Nachricht zu ihnen zurückkehrte, dass sie praktisch Gefangene waren. Einige, die bei den Kämpfen ihre Ehegatten verloren hatten, überlegten ernsthaft, den Schleier zu nehmen, während die anderen es gelassen betrachteten und jeden Tag nahmen, wie er kam.

„Die Äbtissin möchte Euch sehen“, bemerkte Gilles. „Vielleicht verschafft Euch das eine Ablenkung.“

„Wahrscheinlich hat sie bloß die Absicht, mich wegen meines unziemlichen Benehmens zu tadeln“, entgegnete Elise trübsinnig. „Zweifellos hat Matilde wieder einmal ihrem Entsetzen über mein ‚schamloses Kokettieren‘ Ausdruck gegeben.“

„Ha! Diese Frau würde jeden Mann nehmen, der sie eines zweiten Blickes würdigt, und ihr Ehegespons liegt noch keine Woche im Grab!“, rief Gilles hitzig und brachte mit seiner Heftigkeit Elise zum Lächeln.

Die Äbtissin hatte jedoch offensichtlich nicht im Sinn, Elise wegen ihres Benehmens zu tadeln.

„Madame de Vire, ich hoffe, Ihr fühlt Euch nicht unglücklich bei uns?“, fragte Mutter Marie du Sacré Cœur. Ihre Röcke raschelten, als sie vortrat und Elises Hände umfasste.

„Nein, Ehrwürdige Mutter, es ist nur, dass mir … diese Untätigkeit zu schaffen macht“, antwortete Elise und betrachtete prüfend die Miene der Äbtissin nach Anzeichen von Missbilligung, fand aber keine.

„Ihr findet ein Leben der Beschaulichkeit nicht erstrebenswert?“ Die Oberin wirkte belustigt.

„Ich fürchte, nein“, gestand Elise. „Ich verspüre keine göttliche Berufung.“

„Es gibt auch andere Aufgaben, die unser Herrgott uns auferlegt“, erklärte Mutter Marie.

Jetzt wird sie mich drängen, einen guten Ehemann zu finden und ihm Kinder zu schenken, dachte Elise, denn welch anderen Nutzen hat eine Frau, wenn sie nicht Gott dienen will?

„Zum Beispiel gibt es da die Pflicht gegenüber dem König“, fuhr die Äbtissin zu Elises Überraschung fort. „Mit Gewissheit ist es auch eine heilige Aufgabe, unser Land von den Engländern zu befreien. Mein nobler Gönner, der Herzog von Burgund, weiß, dass die ‚Füchsin‘ wegen der Belagerung von Caen durch die Engländer nicht mit ihm in Verbindung treten konnte. Er bittet mich, Euch zu sagen, dass Ihr nicht den Mut verlieren sollt und ihm durch mich alle Botschaften übermitteln könnt, so Ihr welche habt.“

Elise stand der Mund offen vor lauter Staunen. „Ihr … Ihr wisst, dass ich … eine Spionin bin, Mutter Marie?“

Die Äbtissin nickte. „Ja, ich weiß es. Ich wurde sowieso neugierig, als ich von einer jungen Witwe hörte, die zu einer solchen Zeit nach Caen gekommen war, um sich hier niederzulassen. Obschon ich hinter Klostermauern lebe, verfolge ich stets aufmerksam, was draußen jenseits dieser Mauern geschieht, müsst Ihr wissen. Und als Caen dann belagert wurde, erhielt ich eine Botschaft von Seiner Gnaden, in der mir der Herzog mitteilte, dass Ihr sein Lockspitzel seid, und dass er sich Sorgen mache um Eure Sicherheit für den Fall, dass Caen zerstört und geplündert werden sollte, wie es dann auch kam. Ich glaube, Euer Ziel ist, eine … eine Beziehung mit einem Engländer anzuknüpfen, vorzugsweise ein Edelmann, der König Henry nahesteht?“

„Ja, Ehrwürdige Mutter. Der Herzog war der Meinung, dass der englische König erneut seine unvermählten Männer dazu ermutigen würde, Französinnen zu heiraten, um seine Herrschaft in den eroberten Gebieten zu festigen. Aber ich muss nicht unbedingt heiraten, wenn ich auch … ohne das wertvolle Informationen erhalten kann …“ Elise konnte der Äbtissin nicht in die Augen sehen. Sie fragte sich, was die ältere, keusch lebende Frau, die vermutlich niemals die Berührung eines Mannes erlebt hatte, von ihr denken mochte, weil sie willens war, ihren Körper einzusetzen, um Frankreich zu helfen.

„Ihr seid eine wagemutige junge Frau“, bemerkte Mutter Marie du Sacré Cœur. „Ich bin überzeugt, unser Herrgott wird Eure gute Absicht, Frankreich zu helfen, segnen, selbst wenn Ihr eine Sünde begehen müsst, um von Nutzen zu sein.“

„Ich danke Euch, Ehrwürdige Mutter. Ihr seid sehr gütig, mich nicht zu verdammen. Ich muss jedoch gestehen, dass es mir nicht gelungen ist, auch nur irgendeine Auskunft zu erhalten, die ich dem Herzog übermitteln könnte. Ich habe festgestellt, dass mir verwehrt wird, das Kloster zu verlassen, und ich weiß nicht einmal, was in Caen vor sich geht!“

„Nun, was das betrifft, kann ich Euch das Neueste berichten, mein Kind. Die Zitadelle hat von den Engländern die Aufforderung erhalten, sich spätestens bis neunzehnten September zu ergeben. Wenn der Dauphin die Altstadt bis dahin nicht befreit hat, haben sie geschworen, sich den Engländern zu ergeben, die ihrerseits gelobt haben, niemandem ein Leid anzutun.“

Elise gestattete sich einen verächtlichen Laut. „Können wir dem Wort dieser blutdurstigen Räuber trauen? Glaubt Ihr, dass der Dauphin kommen wird, Mutter Marie?“

„Der Dauphin? Ba, eher wird Gottes Sohn zum zweiten Male auf Erden erscheinen! Nein, mein Kind, ich glaube, wir werden erleben, dass der Rest von Caen sich am genannten Tag ergeben wird, und ich denke auch, dass das Blutbad beendet ist – zumindest für Caen. Dann, wenn König Henry verfährt wie schon zuvor und Engländer mit Französinnen vermählt, werdet Ihr Eure Chance bekommen, Euch unter den Feinden einzunisten – wenn nicht schon zuvor. Habt Ihr bereits einen bestimmten Engländer im Sinn?“

Diese Frage traf Elise unvorbereitet, und unwillkürlich stieg ihr Röte in die Wangen. „Nein, Mutter Marie, das ist nicht von Wichtigkeit für mich, solange ich nur meinen Racheschwur erfüllen kann“, erwiderte sie verlegen, „Die Engländer haben meinen Gemahl bei Agincourt getötet, müsst Ihr wissen.“

„Gott hab’ ihn selig“, sagte die Äbtissin und bekreuzigte sich. „Ich meinte jedoch einen Anflug von, sagen wir, Interesse in den Augen dieses großen, dunkelhaarigen Engländers, der Euch zu uns brachte, bemerkt zu haben. Und ich könnte schwören, dass er Euch nicht ganz und gar … missfallen hat.“

Elise begann unruhig auf und ab zu gehen. „Das ist nur so, weil er ehrenhaft gehandelt hat – der erste Engländer, der sich als wahrer Ritter erwiesen hat. Aber seither habe ich ihn nicht mehr gesehen, Mutter Marie. Und mir ist es gleichgültig, die Wollust welchen englischen Feindes ich zum Vorteil Frankreichs ausnutze“, erwiderte sie und fragte sich, ob es eine größere Sünde war, eine Äbtissin zu belügen als einen anderen Menschen.

Die Glocke läutete zum Mittagsoffizium. „Lasst nicht zu, dass Eure Rache Euch zu einer harten Frau macht, mein Kind“, warnte die Äbtissin. „Ich werde sehen, ob ich etwas tun kann … um Euch mit diesem Ritter wieder zusammenzubringen – oder mit einem anderen passenden Engländer. Und jetzt überlasse ich Euch diese Kammer, um eine Nachricht für Burgund aufzusetzen.“ Sie deutete auf Pergament und eine Schreibfeder auf dem Schreibpult. „Ich werde in die Kapelle gehen, also könnt Ihr ungestört schreiben. Lasst Eure Botschaft dann hier liegen.“

Schon am nächsten Morgen, als Elise im Klostergarten saß und den Herbstsonnenschein genoss, sah sie die Äbtissin ihr Versprechen erfüllen. Mutter Marie hatte Harry Ingles auf dem Weg durch den entfernteren Teil des Klosterhofes aufgehalten, sprach zu ihm und deutete in ihre Richtung. Gleich darauf nahm der Junker mit dem weithin leuchtenden karottenroten Schopf den Pfad, der geradewegs zu der Steinbank führte, auf der Elise saß.

Elise unterdrückte ein Lächeln, als sie den jungen Mann näherkommen sah. Sie hielt es nicht für wahrscheinlich, dass ein Junker sie ihrem Ziel näherbringen konnte, insbesondere einer, der noch so jung war, dass erst ein zarter Flaum an seinem Kinn von künftigem Bartwuchs zeugte, aber man konnte natürlich nie wissen.

„Madame de Vire, ich wünsche Euch einen guten Tag!“, begrüßte er sie überschwänglich in grässlichem Französisch. „Ich habe Euch seit dem Tag, als ich Euch in Eurem Haus versteckt fand, nicht mehr gesehen. Ich hoffe, Ihr seid mir deshalb nicht immer noch böse?“

„Nein, natürlich nicht. Immerhin ist Krieg, nicht wahr?“, entgegnete sie mit einem Schulterzucken und bedachte den Junker mit einem strahlenden Lächeln. „Und Ihr habt mir nichts zuleide getan … Es freut mich, Euch wiederzusehen, Junker.“

Es amüsierte sie, dass er vor Freude rot wurde. Dieser junge Mann hatte noch nicht gelernt, seine Gefühle zu verbergen und sich überlegen und gelangweilt zu geben.

„Nun … ja … Ich weiß es zu würdigen, dass Ihr Sir Adam geholfen habt. Er ist ein fabelhafter Mann, nicht wahr?“

„Er kann sich glücklich schätzen, einen so tapferen, loyalen Knappen zu haben“, sagte Elise und ließ ihre Augen aufleuchten. „Wie ich hörte, habt Ihr Euch beim Ansturm auf Caen ausgezeichnet!“

Die Röte in Harrys Wangen vertiefte sich, und Elise fühlte sich an einen jungen Jagdhund erinnert, den sie einmal besessen hatte. Der Welpe war stets außer sich geraten vor lauter Freude, wenn sie seinen Bauch gekitzelt und ihn gelobt hatte.

„Ja, Madame, das habe ich. Allerdings sagte Sir Adam, ich sei ein tollkühner junger Stier, der keinen Verstand zwischen den Ohren hat!“

„Unsinn! Ihr wart so mutig, dass man Euch gewiss eines Tages als Held besingen wird! Und was habt Ihr in den vergangenen Tagen getan, seit wir uns zuletzt sahen? Hält Euer Herr Euch in Trab mit Botschaften, die Ihr hierhin und dorthin bringen müsst?“

„Ach, Sir Adam macht sich nur Sorgen um meine Sicherheit – und er hat auch recht. Ich hatte großes Glück, dass ich nicht von irgendeinem Schützen als Zielscheibe benutzt wurde! Ihr müsst wissen, dass mein Vater Burghauptmann auf Saker Castle ist, und Sir Adam möchte ihm und meiner Mutter nicht mitteilen müssen, dass ich den Tod gefunden habe. Und ja, ich war in den letzten Tagen sehr beschäftigt! Ich wurde auserwählt, auf einem weißen Pferd und mit einer weißen Fahne zur Zitadelle hinauf auf den Hügel zu reiten, um der Garnison die Bedingungen der Kapitulation zu überbringen“, berichtete er.

„Ah, Ihr seid wahrlich mutig! Sie hätten Euch aufhängen und von der Schutzwehr baumeln lassen können als ein Zeichen von Trotz und Hohn!“ Jetzt war ihre Bewunderung nicht gespielt, denn oft genug bezahlten Boten mit ihrem Leben, wenn die Belagerten nicht bereit waren zu verhandeln.

Harry fühlte sich sichtlich ungeheuer geschmeichelt. „Es war nicht der Rede wert! Jemand musste es schließlich tun, nicht wahr? Und ich war nicht wirklich in Gefahr. Ich glaube, sie werden nachgeben – ich bitte um Verzeihung, Madame.“

„Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen“, versicherte sie freundlich und klimperte ein wenig mit den Wimpern. „Ich denke auch, sie sollten besser aufgeben. Niemand kann der mächtigen englischen Armee widerstehen. Und wie vertreibt Euer Herr sich die Zeit?“

„Sir Adam? Oh, er ist oft beim König, aber er sagt nicht, worüber sie reden … Tatsächlich kam ich her, um Sir Adam vielleicht hier anzutreffen. Ihr habt ihn wohl nicht gesehen?“

Elise schüttelte den Kopf, aber bevor sie Antwort geben konnte, ertönte eine Stimme hinter ihr.

„Nein, sie hat mich nicht gesehen, aber du hast mich jetzt gefunden, Harry. Was wolltest du denn von mir?“

Erschrocken drehte Elise sich um. Sir Adam Saker lehnte neben der Außentreppe, die zum Quartier des Duke of Clarence führte. Wie viel von ihrer Unterhaltung hatte er gehört? Jetzt stieg ihr heiße Röte in die Wangen.

Harry fasste sich rasch und übermittelte seine Botschaft in Englisch. Elise beobachtete die beiden, und dann begegnete ihr Blick Sir Adams Augen – dunkle, undurchdringliche Augen, die nichts preisgaben. Er murmelte einige strenge Worte, offenbar Anweisungen, woraufhin der Jüngling nach einem hastigen Lebewohl zu Elise in entgegengesetzter Richtung verschwand.

„Erprobt Ihr Eure Ränke an meinem Knappen, Madame?“

Sir Adam stand da, groß und beeindruckend. Ein in Gold gestickter Falke im Flug zierte die Vorderseite seines Obergewandes. Das Familienwappen, dachte Elise. Und in der Tat, ein Saker war eine Falkenart. Der gefältelte Rock war kurz und lenkte den Blick auf wohlgeformte Beine in enganliegenden schwarzen Strumpfhosen und kurzen Stiefeln aus weichem Leder mit Stulpen. Sein Kopf war unbedeckt, und der Wind zauste leicht sein schwarzes, in der Sonne glänzendes Haar. All diese Einzelheiten bemerkte Elise, bevor sie dem englischen Ritter erneut in die Augen schaute. Sir Adam betrachtete sie immer noch mit absichtlicher Gründlichkeit.

„Euer Junker Harry ist ein netter Bursche“, sagte sie schließlich und versuchte, nicht gereizt zu klingen, um die Unterhaltung zu ihren Gunsten zu wenden. „Aber es ist nicht galant von Euch, Sir Adam, anzudeuten, dass eine Frau es nötig hat zu üben“, fügte sie mit einem schrägen, koketten Blick hinzu, der ganz und gar ungewöhnlich für sie war.

„Nur eine Redensart, Madame. Natürlich werden alle Französinnen mit dem Wissen, wie man Männer bezaubert, bereits geboren – oder sie nehmen das Wissen mit der Muttermilch auf.“ Diese Vorstellung schien ihm nicht sonderlich zu gefallen.

„Und glaubt Ihr, dass Harry von mir bezaubert ist?“, fragte Elise scheinheilig und sah erfreut, dass seine Lippen schmal wurden.

„Zweifellos wird er erneut Euer Lob singen, wie an jenem ersten Tag. Es ist ein grausam Ding, achtlos das Herz eines Grünschnabels zu stehlen, Madame.“

„Solches war gewiss nicht meine Absicht, Sir Adam. Ich habe ihn lediglich gefragt, was er zum Zeitvertreib getan hat, denn ich habe mich hier ganz schrecklich gelangweilt. Es gibt nichts zu tun als Sticken und Beten, Schlafen und Essen – und man gestattet mir nicht, das Kloster zu verlassen.“

„Nur um Eurer eigenen Sicherheit willen, Madame. Es herrscht immer noch viel Unruhe in der Stadt. Aber zweifellos wird man Euch bald gehen lassen. Wir erwarten in Kürze die Kapitulation der Garnison.“

„Ihr seid Euch wohl sehr sicher, dass genau das geschehen wird“, entgegnete sie. „Sagt mir, seid Ihr immer so sicher?“ Jetzt blickte sie wieder zu ihm auf und zwang sich, in die gefährlichen Tiefen dieser dunklen Augen zu sehen.

„Nicht immer, Madame, aber das Versäumnis des Dauphins, Caen zu retten, scheint eine sichere Sache zu sein.“

„Und was dann, edler Ritter?“

Sir Adam war etwas unbehaglich zumute, und so gab er vor, sie misszuverstehen. „Dann werden wir weiterziehen. Die Garnison lassen wir natürlich in englischen Händen zurück.“

„Natürlich“, entgegnete Elise leichthin. „Ich meinte jedoch, was dann mit mir geschieht.“

„Ich bin überzeugt, dann wird Euch niemand mehr hindern, von hier fortzugehen.“

„Ich frage mich, ob mein Haus wohl noch steht? Wisst Ihr das, Sir Adam?“

Adam wandte die Augen ab. Der Puls klopfte an seinem Hals, was Elise nicht entging. „Es steht noch“, antwortete er schließlich, „aber das ist auch alles. Drinnen ist kaum etwas übriggeblieben. Das meiste wurde gestohlen oder verbrannt.“

Elise vermutete, dass er nicht hatte zugeben wollen, dass er ihr Haus überprüft hatte. Für einen kleinen Augenblick gestattete sie sich die Ängste, die jede wohlbehütet aufgewachsene, nunmehr alleinstehende Frau angesichts der Wahrscheinlichkeit, kein Heim mehr zu haben, empfinden musste. Sie blickte mit tränenfeuchten Augen zu dem vor ihr stehenden Ritter auf. „Aber wohin soll ich gehen? Ich habe nur wenig Mittel … Ich werde den Schleier nehmen … oder eine Dienerin werden müssen!“

Sein Gesicht verfinsterte sich, und seine Augen wurden schwarz. „Gewiss besteht keine Notwendigkeit, Eure missliche Lage über Gebühr zu dramatisieren, Madame. Eine ansehnliche junge Frau wie Ihr kann stets irgendeinen Tölpel finden, der sich um den kleinen Finger wickeln lässt. Ich wünsche Euch einen guten Tag!“ Er deutete eine knappe Verbeugung an und ging davon, ohne auch nur noch einen Blick zurückzuwerfen.

Elise blieb allein mit ihrer Wut. Verdammt soll er sein, dieser Schuft mit seiner spöttischen Unverschämtheit, seiner Verachtung und seinem Misstrauen, das ihn so geschickt die zarte Falle vermeiden ließ, die sie ihm zu stellen versucht hatte!

Es verging eine ganze Weile, bis ihr bewusst wurde, dass diese Begegnung letztlich doch kein völliger Fehlschlag gewesen war. Sie beunruhigte Sir Adam Saker, und das war immerhin viel besser als Gleichgültigkeit.

Der neunzehnte September kam und mit ihm die erwartete Kapitulation, denn, wie ebenfalls erwartet, war der Dauphin nicht herbeigeeilt, um der belagerten Garnison zu helfen. Die Bürger der Altstadt, die ganz und gar nicht geneigt waren, sich abschlachten zu lassen wie ihre Mitbürger in der Neustadt, und ebenso wenig ausgehungert werden wollten, hatten ihre Wünsche bekanntgegeben: Sie waren bereit, sich zu ergeben, um zu überleben.

Punkt zwölf Uhr mittags ergab sich also die Garnison von Caen in aller Form, und die Besatzung ritt oder marschierte aus der Zitadelle. Alle, die Rüstung trugen, durften sie behalten, aber sie mussten alle Schwerter, Kampfkeulen, Spieße und Lanzen sowie Bogen und Handfeuerwaffen auf den wachsenden Haufen neben den Geschützen legen.

„Ich hätte gedacht, sie würden länger durchhalten“, hörte Adam den König zu seinem Bruder sagen. Sie saßen zu Pferd im Innenhof der Festung und sahen dem Auszug der mürrisch blickenden Soldaten zu. „Sie hatten einen Brunnen mit gutem Wasser, immer noch reichlich Wein, und sie hatten noch nicht alle Lebensmittel verbraucht …“

„Mit anderen Worten, wir Engländer würden weitergekämpft haben, bis wir verhungert wären“, bemerkte Thomas. „Ganz recht, Majestät. Aber die kleinen Froschesser sind eben keine Engländer. Und wir haben ihren Kampfgeist gebrochen, als wir die angeblich unbezwingbaren Mauern der Neustadt einschlugen. Oder vielleicht war es der unzuverlässige Dauphin, der ihnen den Mut nahm.“

Ein solcher Mangel an Entschlossenheit war Henry unverständlich. Es war ihm ebenso unverständlich gewesen, dass seine kleine Armee vor zwei Jahren bei Agincourt gegen eine so überwältigende Übermacht gewinnen konnte. Er schüttelte den Kopf, aber dann erhellte sich seine Miene, als er auf die vortrefflich gebauten, starken Mauern der Burg blickte.

„Nun, was immer der Grund war, dem Herrgott sei Dank. Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Ich möchte die Königliche Kapelle … dort haben“, sagte er und deutete nach Südosten. „Würdest du dich darum kümmern, Thomas?“

Thomas machte auf dem Rücken seines Schlachtrosses eine Verbeugung und blickte dann zu Adam hin, wobei er mit den Augen rollte und offensichtlich Henrys Frömmigkeit belustigend fand. Adam verzog keine Miene. Es war eine Sache, wenn der Herzog über seinen älteren Bruder lachte, aber eine ganz andere, sollte sich ein bloßer Ritter desgleichen erdreisten. Adam fand König Henrys religiösen Eifer eher bewundernswert, hatte indes nicht das Bedürfnis, ihm nachzueifern. Wer konnte schon wissen, ob der englische Erfolg nicht doch Henrys Gebeten zu verdanken war?

„Wir werden morgen Abend ein Bankett im Dreifaltigkeitskloster geben, um den großen Sieg zu feiern, der uns gewährt wurde“, verkündete der König unerwartet. „Für alle meine Edlen und so viele meiner Ritter wie möglich. Die übrigen sollen an langen Tischen, die im Hof des Konvents aufzustellen sind, bewirtet werden.“

„Sehr wohl, Bruder, aber wieso dort?“, fragte Thomas überrascht. Als Henry angelegentlich eine Braue hob, fügte er hastig hinzu: „Natürlich bist du willkommen … ich dachte nur, du würdest lieber in St. Stephen feiern wollen und dir die Mühe ersparen, dich auf die andere Seite der Stadt zu begeben.“

„Es wird keine Mühe sein und zudem vielleicht weise, sich in königlichem Prunk zu zeigen – der Eroberer, mit allem, was dazu gehört“, erklärte König Henry. „Es geht darum, dass dein Hauptquartier dort ist, wo die Frauen sind – das heißt, die Bräute.“

„Bräute?“, wiederholte Thomas verständnislos.

„Ja.“ Henry lächelte über die verblüffte Miene seines Bruders. „Ich habe beschlossen, so zu verfahren wie schon zuvor und unvermählten Edlen meines Gefolges, die bereit sind, hier zu siedeln, willige französische Bräute anzubieten. Auf diese Weise kann ein loyaler Kern unter den Einwohnern gebildet werden, die willens sind zu kooperieren, solange wir sie nur in Frieden lassen. Es ist bereits eine Botschaft ausgesandt worden, sowohl zur Stadt als auch zu den Frauen, die im Kloster Zuflucht gesucht haben. Sie verkündet ein großzügiges Angebot von fünf Pfund Belohnung und die Zuerkennung von verfügbarem Grundbesitz für jeden Engländer, der eine französische Braut nimmt. Sie können sich bei dem Bankett kennenlernen und gegenseitig auswählen.“

„Wahrhaftig, Bruder, du bist sehr emsig gewesen“, murmelte Thomas voller Bewunderung. „Das zu beobachten dürfte ein rechter Spaß werden … und vielleicht gelingt es mir, irgendeine junge demoiselle davon zu überzeugen, dass es auch mich nach einer französischen Braut gelüstet. Zumindest lange genug, um dem Abend ein reizvolles Ende zu sichern.“ Der Herzog schmunzelte in Gedanken an diese Aussicht. Henry tat, als würde er nicht verstehen.

Also würde die kleine kupferhaarige französische Witwe nicht verhungern oder in erniedrigenden Dienst gehen müssen. Dieser Gedanke versetzte Adam einen unerwartet schmerzhaften Stich. Sie braucht nur auf den ersten unverheirateten Gentleman zuzugehen, der ihrem anspruchsvollen Geschmack entspricht, mit ihren langen Wimpern klimpern, und schon ist sie eine achtbare englische Braut mit einem Ehegespons, der fürderhin für ihre Bedürfnisse aufkommt. Die Vorstellung hinterließ einen üblen Geschmack in Adams Mund.

„Zweifellos werden viele unserer Junggesellen das Angebot annehmen“, bemerkte Thomas mit einem Seitenblick zu Adam hin. „Weshalb heiratet nicht auch Ihr eine Französin, Adam? Es ist an der Zeit, für einen Erben zu sorgen, meint Ihr nicht? Wie steht es mit diesem leckeren Rotschopf, den Ihr gerettet habt? Ich habe sie im Klostergarten gesehen – sie würde Euch des Nachts angenehm warmhalten!“

„Nein, danke, Euer Gnaden. Wenn ich bereit bin, eine Frau zu nehmen, werden gewiss noch einige englische Edelfräulein übrig sein“, entgegnete Adam.

„Schau her, jetzt hab ich ihn aus der Fassung gebracht! Es war nur ein Scherz, Adam“, beschwichtigte Clarence und knuffte spielerisch Adams Schulter, woraufhin das schwarze Schlachtross des Ritters sich erschrocken aufbäumte und die Zähne fletschte.

Der König blickte nachdenklich, als Adam sich darauf konzentrierte, seinen Hengst zu bändigen. „Hm, das ist eine überlegenswerte Idee. Ja! Ich denke, Ihr solltet eine Französin ehelichen, Adam. Es wäre genau das Richtige, um Eure profranzösische Pose zu bestätigen. Ihr seid doch noch nicht versprochen oder anverlobt? Habt Ihr ein Liebchen jenseits des Kanals?“

Adam wich das Blut aus dem Gesicht. „Nein, Sire“, antwortete er und fragte sich, ob er wagen konnte, Einspruch zu erheben. Eine Vision seiner verlorenen Liebe stieg vor ihm auf: Anne, ein Lächeln auf den rosigen Lippen, ihre sanften blauen Augen erfüllt von Liebe – für seinen Bruder John …

Ein anderes Gesicht erschien vor seinem geistigen Auge – das Gesicht von Elise de Vire mit den hohen Backenknochen, den exotisch mandelförmigen jadegrünen Augen und dem Mund, der zu breit war, um als schön zu gelten, aber dennoch Lust zum Küssen weckte … Dieses Gesicht, umgeben von zimtfarbenen Haaren, die an das Fell einer Füchsin erinnerten, die durch einen sonnengefleckten Wald lief … War Elise ebenso verstohlen und verschlagen wie eine Füchsin?

„Nun gut, das ist geregelt“, sagte König Henry, der Adams erschrockenes Schweigen für Zustimmung hielt. „Und wenn Euch die junge Frau, der Ihr behilflich wart, gefällt, dann nehmt doch sie, wie Thomas bereits vorgeschlagen hat. Sie ist die Witwe eines Ritters, ist es nicht so? Warum sucht Ihr sie nicht vor dem Bankett auf und fragt sie? Ihr würdet ein hübsches Paar abgeben.“ Der König lächelte und war sehr zufrieden mit sich.

„Wie Ihr wünscht, Sire“, murmelte Adam, und die Gedanken jagten sich in seinem Kopf. Der König hatte es zwar wie einen Vorschlag klingen lassen, aber Adam zweifelte nicht daran, dass es in Wahrheit ein königlicher Befehl war. Er spielte flüchtig mit dem Gedanken, eine andere der Frauen zu wählen, die im Kloster Zuflucht gesucht hatten. Er wusste, dass es unter ihnen noch andere von edler Herkunft gab, die angenehm aussahen und im Wesen vermutlich weitaus fügsamer waren als die temperamentvolle Elise de Vire.

Aber dann verwarf er diese Idee wieder, kaum dass er sie gedacht hatte. So unbehaglich er sich auch in ihrer Nähe fühlte, wollte er sie keinesfalls von irgendeinem rotgesichtigen, beleibten Baron beansprucht sehen. Das konnte er nicht zulassen. Natürlich liebte er sie nicht, denn sein Herz gehörte bereits für immer Anne, auch wenn sie keinen Anspruch darauf erhoben hatte. Und in seiner neuen Eigenschaft als Befehlshaber der englischen Spione würde es nur gut sein, die durchtriebene französische Witwe unter seiner Aufsicht zu haben. Er konnte sich nicht vorstellen, dass diese Frau, die alle Engländer verdammte, sich einem von ihnen plötzlich sanft und freundlich zuwenden würde. Nein, es war besser, sie dort zu wissen, wo er sie im Auge behalten konnte.

5. KAPITEL

Adam hatte eigentlich vorgehabt, noch am gleichen Tag mit Elise zu sprechen, um ihr vierundzwanzig Stunden Zeit zu geben, sich an den Gedanken einer Ehe mit ihm zu gewöhnen, aber er kam nicht dazu. Die Ankunft einer seiner Spitzel aus dem Süden – in welche Richtung die Armee demnächst marschieren würde – und die Notwendigkeit, sich ausführlich mit diesem Mann zu unterhalten, nahm Adam bis weit nach Einbruch der Dunkelheit in Anspruch.

Auch am nächsten Tag erhielt er keine Gelegenheit, da Clarence und der König in allerlei Angelegenheiten seine Anwesenheit wünschten und offenbar vergessen hatten, dass sie selbst vorgeschlagen hatten, dass Adam die junge Französin aufsuchen sollte.

Es war Adam nicht möglich, sich eher freizumachen als kurz vor dem Bankett. Was, wenn sich bereits ein anderer um ihre Hand beworben hatte? Unwillkürlich beschleunigte Adam seine Schritte, als er durch die Klostergänge eilte – so sehr, dass Harry rennen musste, um Schritt zu halten. Der junge Knappe verbiss sich ein Grinsen, denn es war ratsam, seinen Herrn nicht zu ärgern. Adam war schon am Morgen gereizt gewesen, und als er im Laufe des Tages immer wieder aufgehalten wurde, hatte Harry wohl bemerkt, dass Sir Adam nur noch in großer Mühe seinen Unmut zügeln konnte.

Das Bankett sollte im Saal des Gästeflügels abgehalten werden, dem einzigen Raum im Kloster, der groß genug war, um die Reihen von Bocktischen aufzustellen. Lakaien eilten umher und legten weiße Tischtücher und Silbergeschirr auf, das von St. Stephen herübergeschafft worden war. Offenbar unbekümmert, dass ihre Anwesenheit die Arbeit der Lakaien behinderte, schlenderten Lords, Ritter und französische Damen durch die Gänge zwischen den Tischen. Das Stimmengewirr war längst zu hören, bevor Adam den großen Saal erreichte. Er blieb am Eingang stehen und sah sich um. Wohin er auch blickte, überall unterhielten sich Männer mit Frauen, lächelten, zwinkerten, scherzten und schäkerten, und manche hielten sich bereits an den Händen und sprachen nur mit den Augen. Anscheinend war der Krieg zwischen Frankreich und England kein Hindernis, zarte Bande zu knüpfen.

Nachdem er bereits auf dem Korridor jedes Paar, das ihm begegnete, genau betrachtet hatte, wanderte sein Blick jetzt ruhelos durch den Saal auf der Suche nach der kupferhaarigen Französin, aber er konnte sie nicht finden. Vielleicht hatte sie sich zu dem niederen Volk im Klosterhof gesellt, wo ebenfalls Tische aufgestellt worden waren?

Er entließ Harry mit einer strengen Ermahnung, sich aus Schwierigkeiten herauszuhalten und keiner französischen demoiselle Versprechungen zu machen, die er nicht halten konnte, dann kehrte er um und ging hinaus in den Hofgarten. Auch hier hatte er jedoch kein Glück.

Adam sagte sich, dass Elise de Vire ihm die Entscheidung abgenommen hatte. Ob sie nun die Stadt verlassen oder festgestellt hatte, dass es für sie noch andere Möglichkeiten innerhalb der Mauern von Caen gab, war für ihn nicht von Bedeutung. Er würde in den Saal zurückkehren, sich die verfügbaren Damen passender Herkunft anschauen – und die ganze Angelegenheit vergessen, wenn ihm keine gefiel. Was konnte der König schon tun? Ihn wegen Verrats verurteilen, weil er sich geweigert hatte, eine Vernunftehe einzugehen?

Es wäre ihm nicht möglich gewesen zu erklären, wie es kam, dass er plötzlich die Äbtissin höchstpersönlich fragte, ob sie wisse, wo er Madame de Vire finden könne.

Elise kniete vor dem Altar der Marienkapelle. Dem trotzigen Ausdruck nach zu urteilen, den Adam auf ihrem Gesicht sah, bevor er ihr seine Anwesenheit kundtat, betete sie jedoch nicht, obgleich ihr Blick auf die Heilige Jungfrau gerichtet war. Er hüstelte.

„Oh! Ihr seid es! Ihr dürftet nicht hier sein … Das ist der Bereich der Nonnen und für Gäste nicht zugänglich …“ Adam hob beschwichtigend die Hand, als Elise aufsprang.

„Macht Euch deswegen keine Sorgen, Madame. Ich bin mit Wissen und Erlaubnis der Mutter Äbtissin hier. Sie sagte mir, ich könnte Euch vielleicht hier finden.“

„Oh … ich verstehe.“ Sie senkte ihren Blick, um seinem forschenden Blick zu entgehen, und starrte auf ihre ineinander verkrampften Hände.

„Ihr nehmt nicht an dem Bankett teil?“, fragte er schließlich.

„Doch … ich wollte nachher dorthin zurückgehen. Es war nur so laut … Und überall taten sich Männer und Frauen zusammen, um zu heiraten, so als würden sie sich Partner zum Tanz wählen … oder als würde morgen die Posaune zum Jüngsten Gericht ertönen.“ Sie machte eine Handbewegung, wie um anzudeuten, wie diese ganze Atmosphäre auf sie gewirkt hatte. „Ich musste einfach für einen Augenblick all dem entkommen.“ Wie sollte sie ihm erklären, dass sie nur lange genug hatte flüchten wollen, um ihm Zeit zu geben zu erscheinen – falls er überhaupt zu dem Bankett kommen würde. Erst als sie den ersten Engländer auf sich zukommen sah, war Elise bewusst geworden, wie sehr sie sich erhofft hatte, von Sir Adam Saker erwählt zu werden. Und dabei wusste sie nicht einmal, ob er bereits verheiratet oder anverlobt war!

„Es geht dort oben wirklich zu wie in einem Tollhaus“, gab Adam zu und fühlte sich außerordentlich erleichtert, sie in der Kapelle gefunden zu haben. „Ihr … Ihr seht ganz bezaubernd aus, Madame.“

Es war die reine Wahrheit. Sie trug ein pfauenblaues Gewand, das hoch gegürtet war. Die langen, nach unten zu immer weiter geschnittenen Ärmel waren an den Handgelenken zurückgeschlagen und gaben den Blick frei auf enge Ärmel aus cremefarbener Seide, die bis zu den Ellenbogen mit kleinen Silberknöpfen besetzt waren. Ein herzförmiger Kopfputz mit einem zarten Netzschleier verbarg bis auf einige vorwitzige Löckchen ihr kupfernes Haar. Adam fragte sich, weshalb die gegenwärtige Mode von den Frauen verlangte, ihr Haar zu verbergen, da es doch eines ihrer reizvollsten Attribute darstellte.

„Ich danke Euch, Sir Adam“, murmelte Elise, während Adam überlegte, was ihn dazu gebracht hatte, über die Absurdität von Kleidermoden nachzudenken. Sie hielt den Blick immer noch bescheiden gesenkt – vielleicht, damit er nicht das triumphierende Aufblitzen in ihren Augen sehen konnte?

„Als ich Euch nicht im großen Saal sah, dachte ich, dass Ihr Euch möglicherweise den Scharen angeschlossen habt, die Caen verlassen“, bemerkte er und hätte sich dann selbst einen Tritt geben mögen, weil er damit zugab, nach ihr gesucht zu haben. „Jetzt seid Ihr frei und könntet das Kloster jederzeit verlassen. Allen, die aus Caen abreisen, wird gestattet, Juwelen und eine kleinere Summe Geld mitzunehmen.“

„Wie überaus gnädig von König Henry“, entgegnete sie höhnisch und blickte endlich wieder zu ihm auf. Das Licht der geweihten Kerzen spiegelte sich in ihren Augen. „Einige von denen, die sich entschieden hatten fortzugehen, sind bereits nach Caen zurückgekehrt. Sie erzählen, dass nur ein oder zwei Meilen außerhalb des südlichen Stadttors Männer auf sie warteten, um ihnen die zweitausend Goldkronen abzunehmen, die sie angeblich mitnehmen durften. Außerdem wurden ihnen feine Kleidungsstücke, die sie trugen, vom Leib gerissen und den Frauen der Schmuck weggenommen. Eine Frau wurde sogar in einen Hain gezerrt und um ihre Ehre erleichtert! So sieht die Gnade Eures Königs aus, Sir Adam“, fügte Elise kühl hinzu. „Das möchte ich nicht am eigenen Leibe erfahren, deshalb bleibe ich hier.“

„Es tut mir leid, das zu hören. Ich werde es sofort dem König melden, und dann werden die Missetäter bestraft werden“, versprach Adam, bekümmert, dass ihr Gespräch eine so unerfreuliche Wende genommen hatte. Wie sollte er jetzt ihre kühle Abwehr durchbrechen und ihr die Ehe anbieten? Ihre Augen funkelten ihn zornig an, und sein Versprechen besänftigte sie überhaupt nicht. Sie wartete einfach ab, was er als nächstes sagen würde.

„So, dann seid Ihr also bereit, einen Engländer zu ehelichen?“, fragte er, und seine Stimme klang unnatürlich laut in der stillen Kapelle.

Elise blickte auf die Reihen brennender Kerzen vor dem Altar, deren Flammen im Luftzug flackerten. „Es scheint zu diesem Zeitpunkt meine beste Möglichkeit zu sein, da ich nicht den Wunsch habe, ins Kloster zu gehen oder mich in den Dienst zu verdingen. Und ich möchte auch nicht nach Vire zurückkehren, um von der Mildtätigkeit meines Schwagers zu leben.“

„Zweifellos werden sich viele unverheiratete Ritter und vielleicht sogar ein oder zwei Barone um Eure Hand bemühen, sobald Ihr in den Saal zurückkehrt“, meinte Adam und beobachtete ihr Mienenspiel.

Autor

Laurie Grant
Schon als kleines Mädchen las Laurie Grant leidenschaftlich gern. Als sie in der öffentlichen Bibliothek alle Bücher kannte, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich ihre eigenen Storys auszudenken und niederzuschreiben. Später begann sie sich für Geschichte zu interessieren, und im Jahr 1987 verfasste sie schließlich ihren ersten historischen Liebesroman.
Ihre...
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