Historical Platin Band 15

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Drei verführerische Gentlemen auf der Suche nach der großen Liebe.
Miniserie von Julia Justiss

MISS CAROLINES VERWEGENER PLAN
Elegante Ballroben mit glitzernden Bordüren? Hinfort damit! Die schöne Erbin Caroline hat es satt: Heiratswillige Gentlemen umschwirren sie wie die Motten das Licht. Als sie zufällig auf den berüchtigten Lebemann Max Ransleigh trifft, hat sie eine kühne Idee: Sie wird sich von ihm kompromittieren lassen, damit die lästigen Mitgiftjäger fernbleiben!

MADAME LEFEVRES VERRUCHTES VERLANGEN
Niemand wird mir je wieder meine Freiheit rauben! Das hat Elodie Lefevre sich geschworen, als sie dem Gesetz entkam. Doch dann spürt der attraktive Will Ransleigh sie auf und bringt sie zurück nach London. Elodie beschließt, erneut die Flucht zu ergreifen. Doch zuvor will sie nur eins: eine verruchte Nacht mit ihrem verwegenen Entführer verbringen.

LADY DIANAS GRÖSSTE VERSUCHUNG
"Werde meine Geliebte!" Bei diesem skandalösen Vorschlag steht Lady Dianas Herz beinahe still. Sie weiß, dass Alastair Ransleigh sich nur an ihr rächen will, weil sie ihn damals verlassen hat. Doch nun ist Diana frei - und ja, sie will Alastairs Mätresse werden! Denn die lodernde Leidenschaft in seinen Augen erweckt sinnliche Fantasien in ihr …


  • Erscheinungstag 21.02.2020
  • Bandnummer 15
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749378
  • Seitenanzahl 752
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Julia Justiss

HISTORICAL PLATIN BAND 15

PROLOG

Wien, Januar 1815

Als Maximillian Ransleigh das Vorzimmer des Grünen Salons verließ, drangen leise Walzermusik und Stimmengemurmel aus einem der Säle an sein Ohr. Er achtete nicht darauf, sondern ging zum Ende des Flurs, wo im Schatten eines Alkovens eine dunkelhaarige Frau auf ihn wartete. Hoffentlich musste er nicht feststellen, dass ihr Cousin Thierry St Arnaud sie wieder so brutal angefasst hatte, dass ihre Handgelenke und Arme von Blutergüssen übersät waren.

„Was gibt es?“, fragte er. „Er hat Sie doch nicht geschlagen? Der Duke of Wellington betritt wahrscheinlich in diesem Moment den Grünen Salon. Und er hasst es, wenn man ihn warten lässt. Daher habe ich keine Zeit. Wenn Ihre Nachricht nicht so dringend geklungen hätte, wäre ich gar nicht gekommen.“

„Sie erwähnten, dass Sie Wellington hier treffen würden“, gab sie zurück. „Deshalb wusste ich, wo ich Sie finden würde.“ Wie immer klang ihre Stimme sanft. Sie sprach mit einem charmanten französischen Akzent, und in ihren großen dunklen Augen lag ein trauriger Ausdruck. Schon seit ihrer ersten Begegnung hatte Max den Wunsch verspürt, sie zu beschützen.

„Sie sind so freundlich zu mir. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel Ihre Güte mir bedeutet. Es ist nur … Thierry möchte, dass ich ihm für den Empfang morgen neue Spangen für seine Uniform besorge. Ich habe keine Ahnung, wo ich die finden kann. Wenn ich aber die Befehle meines Cousins nicht ausführe …“ Ein Zittern überlief sie. „Verzeihen Sie mir, dass ich Sie mit meinen kleinen Problemen belästige.“

Abscheu und Wut erfüllten Max Ransleigh beim Gedanken an den Mann – nein, den Diplomaten –, der diese zierliche, sanfte Frau so quälte. Er würde einen Grund finden, um Thierry St Arnaud zu einem Boxkampf herauszufordern. Dann konnte er ihm zeigen, wie es sich anfühlte, verprügelt zu werden.

Über die Schulter warf er einen Blick in Richtung des Grünen Salons. Er musste sich beeilen. Dennoch bemühte er sich, nicht ungeduldig zu klingen. „Machen Sie sich keine Sorgen. Allerdings habe ich erst morgen Vormittag Zeit, Sie zu begleiten. Ich bedaure sehr, dass ich jetzt so in Eile bin. Aber ich darf Wellington nicht warten lassen.“

Er verbeugte sich und wandte sich von ihr ab. Sie jedoch griff nach seinem Ärmel, um ihn zurückzuhalten. Ungewohnt mutig trat sie ihm in den Weg. „Bitte, bleiben Sie noch einen Moment. Schon Ihre Anwesenheit gibt mir das Gefühl, nicht ganz so … schwach und hilflos zu sein.“

Ihr Vertrauen erfüllte ihn mit Stolz. Gleichzeitig empfand er Mitleid mit ihr. Sein ganzes Leben lang hatten die unterschiedlichsten Menschen ihn, den jüngeren Sohn eines Earls, um kleinere oder größere Gefallen gebeten. Und diese arme Witwe bat um so wenig.

Er zog ihre Hand an die Lippen und hauchte einen Kuss darauf. „Ich helfe gern. Doch Wellington wird mir das Fell gerben, wenn ich nicht pünktlich bin. Sie wissen, dass er gleich mehrere Regierungsbevollmächtigte treffen will?“

Sie senkte den Kopf. „Natürlich darf ein ehrgeiziger Diplomat wie Sie einen mächtigen Mann wie Wellington nicht verärgern!“ Sie schien noch etwas sagen zu wollen, presste jedoch stattdessen die Lippen aufeinander. Tränen traten ihr in die Augen. „Es tut mir so leid“, flüsterte sie.

Er wollte sie fragen, was sie meinte, als ein Knall die Stille zerriss. Ein Pistolenschuss! Im Grünen Salon.

Dort, wo Wellington sich jetzt aufhalten sollte!

Ein Attentat?

Max schob Madame Lefevre beiseite und stürmte los.

„Bleiben Sie im Schatten!“, rief er ihr über die Schulter hinweg zu, bevor er die Tür zum Grünen Salon aufriss.

Der Gestank nach Schwarzpulver empfing ihn. Rauch erfüllte den Raum. Mehrere Stühle waren umgeworfen worden, und überall lagen Papiere verstreut.

„Wellington? Wo ist Wellington“, schrie er den Korporal an, der sich gemeinsam mit zwei Soldaten bemühte, Ordnung in das Chaos zu bringen.

„Einer der Adjutanten hat ihn zur Hintertür hinausgebracht.“

„Ist er verletzt?“

„Ich glaube nicht. Wellington schimpfte, weil Sie nicht da waren. Wenn er nicht in Erwartung Ihrer Ankunft zur Tür geschaut hätte, als diese geöffnet wurde, dann wäre er wohl getroffen worden. So aber erkannte er die Gefahr sofort und warf sich zur Seite.“

Sie erwähnten, dass Sie Wellington hier treffen würden.

Ganz deutlich erinnerte Max sich an diese Worte. Ebenso wie an die Tränen und das geflüsterte ‚Es tut mir so leid!‘.

Hölle und Teufel, bestand womöglich ein Zusammenhang zwischen den Ereignissen?

Er wandte sich um und rannte zurück in den Flur. Doch die dunkelhaarige Frau war verschwunden.

1. KAPITEL

Devon, Herbst 1815

Wir könnten einfach abreisen“, schlug Max Ransleigh seinem Cousin Alastair vor. Die beiden standen auf dem Treppenabsatz, von dem aus man die große Eingangshalle von Barton Abbey überblicken konnte.

„Wir sind doch gerade erst angekommen“, gab Alastair leicht gereizt zurück. „Die Armen …“ Er wies mit einer Geste auf die Bediensteten, die unten damit beschäftigt waren, das Gepäck von verschiedenen kürzlich eingetroffenen Gästen ins Haus zu schleppen. „Die Reisekisten sind wahrscheinlich bis zum Rand vollgestopft mit teuren Gewändern, Schuhen, Hütchen und den unterschiedlichsten Accessoires. Denn jede der heiratsfähigen jungen Damen möchte besonders hübsch sein, weil sie darauf brennt, sich einen Gatten zu angeln. Und wo wäre das einfacher als auf einer Hausparty? Der reinste Heiratsmarkt! Widerlich!“

„Wenn ihr euch die Mühe gemacht hättet, mir schriftlich mitzuteilen, dass ihr herkommen wollt, dann hätte ich ein anderes Datum für die Hausparty gewählt.“

Als Max sich umwandte, sah er sich Mrs. Grace Ransleigh, der Hausherrin von Barton Abbey, gegenüber.

„Es tut mir leid, Mama“, sagte Alastair, als er die zierliche dunkelhaarige Dame in die Arme schloss. „Du weißt, wie ungern ich schreibe.“

„Was mich immer noch erstaunt“, stellte Mrs. Ransleigh fest. „Ich erinnere mich noch gut an den Jungen, der einen Stift mitnahm, wohin auch immer er ging, damit er sich Notizen zu seinen Beobachtungen machen konnte.“

Einen winzigen Moment lang glaubte Max, das Gesicht seines Cousins spiegele tiefen Schmerz wider.

„Das ist lange her, Mama“, stellte Alastair scheinbar ungerührt fest.

Sie sah bekümmert drein. „Natürlich. Aber eine Mutter vergisst so etwas nicht. Auf jeden Fall bin ich froh, dich heil und gesund vor mir zu haben, nachdem du dich während des Krieges stets in die gefährlichsten Situationen gestürzt hast. Da will ich mich über eine fehlende Nachricht nicht beklagen. Allerdings werdet ihr euch nun damit abfinden müssen, dass ich Gäste habe.“

Sie wandte sich Max zu. „Ich freue mich, dass du Alastair hierher begleitet hast, lieber Max.“

„Wenn ich geahnt hätte, dass du unschuldige Mädchen zu Gast hast, Tante Grace, dann hätte ich mich Alastair nicht angeschlossen.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Unsinn!“ Sie schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass du mir immer willkommen bist, Max, ganz gleich, wie … wie die Umstände sich auch verändert haben.“

„Du bist gütiger als mein Vater“, erklärte er, um einen leichten Ton bemüht. Doch die inzwischen wohlbekannte Mischung aus Zorn, Bedauern und Verbitterung erfüllte ihn. Ihm war klar, dass seine Ankunft eine unangenehme Überraschung für jede Gastgeberin sein musste, die eine Gruppe heiratsfähiger junger Damen und möglicher zukünftiger Ehegatten eingeladen hatte. Leider wusste auch Alastair nichts von der Hausparty, bis Wendell, der Butler, ihm vorhin ein paar Worte zugeflüstert hatte.

„Ich wäre nicht hergekommen, wenn ich geahnt hätte, dass hier ein Heiratsmarkt stattfindet“, versicherte er seiner Tante noch einmal. Er würde sich mit Alastair beraten müssen. „Sollen wir uns ein Glas Wein bringen lassen?“, fragte er ihn.

„In der Bibliothek findet ihr eine volle Karaffe“, sagte Mrs. Ransleigh. „Ich schicke euch auch Wendell mit einem Imbiss. Ihr jungen Männer seid immer hungrig.“

„Eine gute Idee, Mama.“ Alastair schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Und auch Max dankte ihr. Schon wollten sie sich auf den Weg zur Bibliothek machen, als Mrs. Ransleigh sagte: „Ich nehme an, ihr legt keinen Wert darauf, heute Abend mit meinen anderen Gästen zu speisen?“

„Ein gemeinsames Dinner mit diesen kleinen Jungfrauen und ihren Müttern? Nein, ganz bestimmt nicht“, stellte Alastair fest. „Selbst wenn wir plötzlich eine Vorliebe für solche Gesellschaft entwickeln würden, wäre meine ehrbare Schwester bestimmt so entsetzt, uns zu sehen, dass sie unseren Wein vergiften würde. Niemand wünscht, dass Lebemänner wie wir uns zwischen unschuldige junge Mädchen mischen.“

„Die Mütter wären entrüstet, wenn wir auftauchen würden“, stimmte Max ihm zu.

„Allerdings. Also, lass uns gehen, ehe das Parfüm der jungen Damen uns in die Nase dringt.“ Alastair küsste seiner Mutter zum Abschied die Hand. „Sag Jane und Lissa bitte, dass wir uns freuen, wenn sie ein wenig Zeit für uns finden. Natürlich erst, wenn eure jungen Gäste sich zurückgezogen haben.“

Wenig später betraten sie die komfortabel eingerichtete Bibliothek. Auf einem Beistelltisch standen mehrere Karaffen mit Cognac, Brandy und Wein. „Bist du sicher, dass du bleiben willst?“, fragte Max und füllte zwei Gläser mit Wein.

„Zum Teufel, ja! Dies ist mein Haus, und ich kann kommen und gehen, wann ich will – ebenso wie meine Freunde. Zudem bin ich sicher, dass du dich freust, Mama, Jane und Lissa zu sehen. Wendell erwähnte, dass Jane diese Hausparty überhaupt nur wegen ihrer Tochter gibt. Meine Schwester meinte, Lissa solle ein paar Erfahrungen mit jungen Gentlemen sammeln, ehe sie ihre erste Saison in London erlebt. Zum Glück ist sie zu vernünftig, Lissa schon jetzt verheiraten zu wollen. Allerdings bin ich sicher, dass andere Mütter fest entschlossen sind, ihre Töchter, wenn möglich, gleich hier unter die Haube zu bringen.“

Er nahm das Glas, das Max ihm reichte, und seufzte. „Man sollte meinen, dass die Mütter jungfräulicher Töchter kein Interesse daran haben, mich zum Schwiegersohn zu bekommen. Schließlich weiß alle Welt von meinen Affären mit Schauspielerinnen und Tänzerinnen. Doch leider scheinen Reichtum und eine gute Herkunft für manche wichtiger zu sein als ein schlechter Ruf und das Bekenntnis, nie heiraten zu wollen. Lass uns auf dich trinken! Denn dir habe ich es zu verdanken, dass ich mich vor all diesen langweiligen gesellschaftlichen Verpflichtungen drücken kann. Schließlich muss ich mich ja um dich kümmern.“ Er hob sein Glas.

„Darauf, dass du nicht den Gastgeber spielen musst!“ Max prostete ihm zu. „Gut, dass mein ruinierter Ruf wenigsten dir nützt!“ Seine Stimme klang bitter.

„Wenn du auf deine Karriere anspielst … Das ist doch nur ein zeitweiliger Rückschlag. Früher oder später wird man im Außenministerium herausfinden, was sich wirklich in Wien zugetragen hat.“

„Vielleicht.“ Zunächst war Max davon überzeugt gewesen, dass man ihn von jeder Schuld freisprechen würde, sobald die Wahrheit ans Licht kam. Doch bisher hatte sie das nicht getan. „Noch besteht sogar die Möglichkeit, dass man mich vors Militärgericht stellt“, meinte er bitter.

„Nach deinem Einsatz in Waterloo? Du hast in Hougoumont gekämpft! Ganz gleich, welche früheren Fehler man dir anlastet, kein Militärgericht wird dich verurteilen, nachdem du dich dort in die Schlacht gestürzt und vielen deiner Kameraden das Leben gerettet hast. Wen interessiert es da, dass du eigentlich Anweisung hattest, nicht in den Krieg zu ziehen und in England zu bleiben? Selbst die Mitglieder des Garderegiments der Kavallerie, die als besonders engstirnig gelten, wenn es um Disziplin geht, würden nach deinem Einsatz in Waterloo auf eine Anklage gegen dich verzichten.“

„Hoffentlich irrst du dich nicht. Ich habe den guten Namen der Familie schon mehr als genug beschmutzt, wie mein Vater mir vorwarf, als er sich ein einziges Mal dazu herabließ, mit mir zu sprechen.“

Der Earl of Swynford hatte eine Menge schlimmer Dinge gesagt, und die Erinnerung daran quälte Max noch immer. Vor seinem geistigen Auge sah er sich wieder, wie er stumm vor seinem Vater stand, während dieser ihm die schwersten Vorwürfe machte. Er hatte sich nicht verteidigt, nicht einmal gegen so absurde Anschuldigungen wie die, dass er die politische Arbeit seines Vaters enorm erschwert habe, weil niemand im House of Lords nun ein Bündnis mit ihm eingehen wolle. Der Earl hatte ihn als die größte Enttäuschung seines Lebens beschimpft und ihn für unbestimmte Zeit aus Swynford House in London ebenso wie vom Landsitz der Familie in Hampshire verbannt.

„Der Earl hat sich noch nicht beruhigt?“

Die Stimme seines Cousins holte Max in die Gegenwart zurück.

Doch nach einem Blick in Max’ Gesicht meinte Alastair: „Ich fürchte, er ist noch dickköpfiger und engstirniger als die Mitglieder des Garderegiments. Ich würde ihm ja gern ins Gewissen reden. Aber du möchtest das nach wie vor nicht, oder?“

„Du weißt selbst, dass Vater von seinen Ansichten niemals abweicht, wenn jemand ihm widerspricht. Womöglich würde er auch dich aus seinem Umfeld verbannen, was für unsere Mütter sehr schlimm wäre. Nein, es hat keinen Zweck, mit ihm zu sprechen. Dennoch bin ich dir sehr dankbar für deine Loyalität. Du ahnst gar nicht, wie viel sie mir bedeutet.“ Max schluckte.

„Es ist absolut unnötig, dich zu bedanken.“ Alastair füllte rasch noch einmal die Gläser. „Du weißt doch: Ransleigh Rogues halten immer zusammen.“

Max prostete ihm zu. Ransleigh Rogues – die draufgängerischen Ransleighs – war der Spitzname, den man ihm und seinen Cousins schon vor Jahren gegeben hatte. Das Herz wurde ihm leichter, als er daran zurückdachte. Damals, in seinem zweiten Jahr in Eton, hatten er und seine Cousins irgendwo eine Flasche geschmuggelten Cognac aufgetrieben und waren beim Trinken erwischt worden. Einer der Lehrer hatte sie alle bestraft und wohl auch den Ausdruck ‚Ransleigh Rogues‘ zum ersten Mal benutzt. Alastair hatte dann das Motto ‚Ransleigh Rogues halten immer zusammen‘ geprägt.

Auch während des Studiums in Oxford waren sie die Ransleigh Rogues geblieben, die immer zusammenhielten. Sogar als sie in die Armee eintraten, hatten sie versucht zusammenzubleiben, um über Alastair zu wachen. Denn der hatte offensichtlich den Tod in der Schlacht gesucht, nachdem die Frau, die er liebte, die Verlobung gelöst und ihn zutiefst gedemütigt hatte.

Natürlich hatten sie alle auch zu Max gestanden, nachdem er seinen Posten in Wien auf so skandalöse Art verloren hatte. Als er des Verrats verdächtigt nach London zurückgeschickt worden war, hatten sich all die einflussreichen Gentlemen und gesellschaftlichen Möchtegernaufsteiger, die ihm zuvor geschmeichelt hatten, von ihm abgewandt. Nun jedoch mied man seine Gesellschaft. Nur die drei Rogues waren ihm als echte Freunde geblieben.

Über Nacht war sein Leben auf den Kopf gestellt worden. In Wien hatte er noch äußerst verantwortungsvolle Aufgaben gehabt, die ihn wirklich forderten. In London stand er vor dem Nichts. Es gab keine einzige sinnvolle Beschäftigung für ihn. Alle Hoffnung, Karriere im diplomatischen Dienst zu machen, war dahin. In seiner Verzweiflung wäre er durchaus fähig gewesen, eine große Dummheit zu begehen, wenn seine Cousins Alastair, Dom und Will sich nicht um ihn gekümmert hätten.

„Ich bin sicher“, sagte er, „dass mein unerwartetes Auftauchen für Tante Grace sehr unangenehm ist, auch wenn sie es niemals zugeben würde. Da du kein Interesse an diesen heiratsfähigen jungen Damen hast, die sich zurzeit hier aufhalten, sollten wir vielleicht doch abreisen.“

„Das kann ich im Moment nicht. Und außerdem möchte ich wetten, dass Mama sich über deinen Besuch freut. Obwohl sie wahrscheinlich um die moralische Festigkeit ihrer jungen Gäste fürchtet. Schließlich bist du – auch wenn du deinen Posten verloren hast – immer noch der Sohn eines Earls, der …“

„… der von seinem eigenen Vater aus dem Haus geworfen wurde.“

„… der genug Charme besitzt, um ein unschuldiges Mädchen in Versuchung zu führen, wenn er es darauf anlegt.“

„Warum sollte ich das tun? Eine Zeit lang dachte ich, Lady Mary würde mir irgendwann eine gute Gattin sein. Doch da ich nun nicht mehr im diplomatischen Dienst bin, hat sie das Interesse an mir verloren. Ich wiederum lege keinen Wert mehr auf eine Ehe.“ Max bemühte sich um einen leichten Ton. Alastair sollte nicht merken, wie sehr Marys Zurückweisung ihn gekränkt hatte.

„Ich wünschte, Mama und Jane hätten nicht gerade jetzt so viele Gäste eingeladen. Diese Hausparty wird uns in unserer Bewegungsfreiheit einschränken“, schimpfte Alastair. „Aber im Augenblick kann ich nicht fort. Es gibt einige Angelegenheiten zu regeln, die das Gut betreffen. In ein paar Tagen könnten wir nach London zurück. Allerdings würde mir dort Desiree garantiert irgendwo auflauern, um mir erneut eine Szene zu machen.“

„War sie nicht mit dem Smaragdschmuck zufrieden, den du ihr zum Abschied geschenkt hast?“

Alastair seufzte. „Mit der Zeit wurde sie immer gieriger. Und letztendlich ging sie mir genauso auf die Nerven wie ihre Vorgängerinnen.“

Alastairs Gesicht hatte einen harten Ausdruck angenommen. Max wusste, was das bedeutete. Seit dem unerwarteten Ende seiner Verlobung reagierte sein Cousin so, wenn es um Frauen ging. In Gedanken verfluchte Max zum tausendsten Mal die Frau, die Alastair so wehgetan hatte. Wenn er doch nur erkennen würde, dass nicht alle jungen Damen einen so schlechten Charakter hatten wie seine ehemalige Verlobte. Leider war das ein Thema, über das man nicht mit ihm sprechen konnte.

Ein Gefühl der Bitterkeit überkam Max, als ihm einfiel, welche schrecklichen Folgen es gehabt hatte, dass er selbst in Wien auf ein hübsches Gesicht und eine traurige Geschichte hereingefallen war. Warum, zum Teufel, war er nur so ritterlich gewesen?

„Auch ich habe keine Lust, nach London zurückzukehren“, sagte er. „Ich möchte weder Vater begegnen noch all jenen einflussreichen Leuten, die ich früher für meine Freunde gehalten habe. Und der schönen Mrs. Harris möchte ich ebenfalls lieber aus dem Weg gehen, solange sie keinen neuen Beschützer gefunden hat. Es war nicht leicht, mich von ihr zu lösen.“

„Wir könnten nach Belgien reisen und Dom einen Besuch abstatten“, schlug Alastair vor. „Das Letzte, was ich von ihm gehört habe, war, dass Will noch bei ihm ist. Ist das nicht typisch: Wir alle kehren nach England zurück, aber Will findet eine Möglichkeit, auf dem Kontinent zu bleiben. Er behauptet ja, er habe sich in Brüssel niedergelassen, weil an den Spieltischen dort so viel Geld zu gewinnen ist. Angeblich sind die Diplomaten und Offiziere miserable Whist-Spieler.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob Dom sich über unseren Besuch freuen würde. Als ich ihn zuletzt gesehen habe, bekam er eine Menge Laudanum, weil er infolge der Amputation schlimme Schmerzen hatte. Er hat mich beschimpft, ich solle ihn nicht bemuttern wie eine Henne, sondern lieber nach Hause gehen und mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern.“

„Ja, mich wollte er auch fortschicken. Aber ich wollte ihn nicht allein lassen, ehe ich nicht sicher sein konnte, dass er überleben würde.“ Alastair straffte die Schultern. „Ich habe euch dazu gebracht, in die Armee einzutreten. Wenn ich geahnt hätte, was ihr deshalb alles würdet durchmachen müssen …“

„Du hast uns nicht gedrängt, zum Militär zu gehen. Wir haben es nicht anders gemacht als die meisten unserer Freunde in Oxford.“

„Trotzdem werde ich mich erst dann wieder besser fühlen, wenn Dom nach Hause zurückkehren und ein neues Leben führen kann. Es wird nicht leicht sein für ihn. In seinem Regiment gab es niemanden, der besser aussah als er. Und nun ist sein Gesicht von einem Säbelhieb entstellt. Noch schlimmer ist es natürlich, dass er einen Arm verloren hat. Ich wünschte, wir könnten ihn ein wenig aufmuntern.“

„Offen gesagt, halte ich es für besser, wenn wir ihn noch ein bisschen in Ruhe lassen. Wenn das Leben, wie du es immer gekannt hast, vor deinen Augen in Trümmer geht, dann brauchst du Zeit zum Nachdenken. Du musst deine Zukunft neu erfinden.“ Max lachte kurz auf. „Ich selbst habe Monate damit zugebracht und bin noch immer nicht damit fertig. Du hast das Gut, um das du dich kümmern musst. Ich wünschte, ich fände eine neue sinnvolle Aufgabe. Leider habe ich mich nie um etwas anderes bemüht als um eine Stelle im diplomatischen Dienst. Das Kapitel ist abgeschlossen. Wahrscheinlich kann ich wegen meines schlechten Rufs auch keine geistliche Karriere einschlagen, selbst wenn ich behaupten würde, mich berufen zu fühlen.“

„Pastor Max, der Liebling aller Tänzerinnen und Schauspielerinnen?“ Lachend schüttelte Alastair den Kopf. „Unvorstellbar!“

„Vielleicht sollte ich versuchen, mein Glück in Indien zu machen.“

„Ich halte den Fernen Osten für eine recht gute Möglichkeit, reich zu werden. Aber du könntest natürlich auch versuchen, bei der Armee unterzukommen. Das würde deinen alten Herrn wahrscheinlich ziemlich ärgern.“

„Eine nette Vorstellung! Nur leider hast du etwas vergessen: Wellington hat mir trotz meines Einsatzes bei Waterloo nicht verziehen, dass er fast erschossen wurde, als er in Wien auf mich wartete.“ Er litt noch immer sehr darunter, dass der Mann, den er bewundert und dem er mit Hingabe gedient hatte, sich ihm gegenüber so kalt und abweisend verhielt.

„Du wirst bestimmt eine Aufgabe finden, die dir gefällt. Schließlich bist du ein geborener Anführer und zudem der Klügste der Rogues. Vorerst aber lass uns das Beste aus unserem Aufenthalt hier machen. Pass nur auf, dass du nicht in eine Affäre mit einer von Janes Jungfrauen verstrickt wirst.“

„Das versteht sich von selbst! Ich bin froh, dass mein Bruder derjenige ist, der für einen Erben zu sorgen hat, damit die Familie fortbesteht. Ich selbst verspüre nicht die geringste Lust, mich zu verehelichen. Gott möge mich vor allen kupplerischen Müttern und allen heiratswütigen Töchtern schützen!“ Ein Schauer überlief ihn, als er an die Vernunftehe seiner Eltern dachte, in der es wohl nie echte Zuneigung gegeben hatte.

Alastair holte eine Karaffe mit Brandy. „Zeit für stärkere Getränke“, verkündete er und füllte zwei Gläser. „Auf ein Leben in Unabhängigkeit!“

„Wenn ein Leben in Unabhängigkeit bedeutet, dass man den Fesseln der Ehe entgeht, dann will ich darauf trinken“, entgegnete Max und leerte sein Glas in einem Zug.

2. KAPITEL

Stell sich doch nicht so dumm an, Dulcie! Du musst es ausschütteln, ehe du es aufhängst!“

Caroline Denby, die es sich in einem der eleganten Gästezimmer von Barton Abbey mit einem Buch auf dem Sofa bequem gemacht hatte, schaute auf.

Ihre Stiefmutter stand vor dem unglücklichen Dienstmädchen, schaute es zornig an und nahm ihm das mit glitzernden Pailletten bestickte Abendkleid ab. „So!“ Sie schüttelte es aus und gab es Dulcie zurück. Dann wandte sie sich an Caroline. „Liebes, möchtest du das Buch nicht zur Seite legen und das Auspacken der Reisekiste überwachen? Ich fürchte, sonst wirst du in den nächsten Tagen nur zerknitterte Kleider tragen können.“

Widerwillig klappte Caroline das Buch zu. „Natürlich, Stiefmama.“ Schon jetzt zählte sie die Stunden, die sie noch in Barton Abbey würde verbringen müssen. Sie sehnte sich nach Denby Lodge und nach ihren Pferden. Es passte ihr gar nicht, dass sie zehn wertvolle Trainingstage verlieren würde. Ihr Vater hatte eine neue Zuchtlinie, die Denby-Linie, in England bekannt gemacht. Sportliche Gentlemen, die gern Wettrennen austrugen, aber auch die Offiziere der Kavallerie schätzten die robusten, gut ausgebildeten Pferde. Caroline wollte auf keinen Fall den Standard senken, bloß weil ihre Stiefmutter es sich in den Kopf gesetzt hatte, dass sie in den nächsten Monaten heiraten müsse.

Außerdem fühlte sie sich ihrem verstorbenen Vater besonders nahe, wenn sie in seine alten Reitstiefel und eine Männerhose schlüpfte und mit den Stallburschen und Pferdetrainern zusammenarbeitete. Sie hatte ihn sehr geliebt. Stets hatte er über ihr Wohl und das der Pferde, die ihm so viel bedeuteten, gewacht. Himmel, wie sehr sie ihn noch immer vermisste!

Aufseufzend legte sie das Buch aus der Hand und wandte sich Dulcie zu, die gerade damit beschäftigt war, Chemisen, Schnürmieder und Strümpfe aus der Reisekiste zu nehmen, und half ihr dabei, während ihre Stiefmutter sich um die Kleider kümmerte.

Caroline war froh, dass sie die wenig schmeichelhaften Vormittags-, Dinner- und Abendkleider erst wieder sehen musste, wenn sie eines davon tragen würde. Andererseits war es natürlich besser, sich in einem scheußlichen, mit zu viel Rüschen, Pailletten und Schleifen verzierten Kleid in einer unvorteilhaften Farbe zu zeigen, als den Gentlemen zu gefallen und möglicherweise bald Verlobung feiern zu müssen.

„Ich werde mich um alles kümmern, was noch ausgepackt werden muss“, sagte sie zu Lady Denby. „Aber ich möchte auch noch mit Sultan ausreiten, ehe es dunkel wird.“ Als sie sah, dass ihre Stiefmutter einen Einwand vorbringen wollte, setzte sie rasch hinzu: „Du hast doch nicht vergessen, dass ich zu diesem Heiratsmarkt nur unter der Bedingung mitgekommen bin, dass ich jeden Tag ausreiten darf.“

„Caroline, bitte“, protestierte Lady Denby. Sie musterte ihre Stieftochter streng. „Du weißt, dass du diese Hausparty nicht als Heiratsmarkt bezeichnen darfst. Insbesondere …“ Sie warf einen Blick in Dulcies Richtung.

Caroline zuckte die Schultern. „Aber es ist doch ein Markt. Ein paar Gentlemen haben die Einladung zu dieser Hausparty angenommen, weil sie die anwesenden heiratsfähigen Damen begutachten wollen. Wie sehen sie aus? Wie ist ihr familiärer Hintergrund? Wie groß ist ihre Mitgift? Ich finde, das unterscheidet sich nicht sehr von einem Pferdemarkt, obwohl ich hoffe, dass niemand mein Gebiss oder meine Waden prüfen möchte.“

„Ich muss dich doch bitten, dich nicht so vulgär auszudrücken“, meinte ihre Stiefmutter vorwurfsvoll. „Genau wie jede junge Dame gern den Charakter ihres zukünftigen Gatten kennenlernen möchte, wollen die Gentlemen wissen, ob ihre Braut einer angesehenen Familie entstammt und gut erzogen ist.“

„Vergiss die Mitgift nicht!“

Lady Denby reagierte nicht auf den Einwurf. „Ich wünschte, du würdest dich wenigsten einmal darüber freuen, wenn ein netter junger Mann dir seine Aufmerksamkeit schenkt. Schließlich willst du nicht noch eine weitere Saison in London verbringen.“

„Du weißt, dass ich gar nicht heiraten möchte“, sagte Caroline gereizt. „Warum gibst du deine Versuche, mich unter die Haube zu bringen, nicht endlich auf? Dann könntest du dich ganz auf Eugenia konzentrieren. Sie kann es kaum erwarten, endlich zu heiraten. Wenn sie sich hier verlobt und du sie nicht zur Saison nach London bringen musst, kannst du viel Geld sparen.“

„Im Gegensatz zu dir freut Eugenia sich auf ihre Londoner Saison. Außerdem – auch wenn ich nicht taktlos sein möchte – muss ich dich daran erinnern, dass man dich, wenn du nicht bald heiratest, für eine alte Jungfer halten wird.“

„Was mir nur recht wäre! Harry wird das völlig egal sein, wenn er erst wieder hier ist.“

„Ach, Caroline! Indien ist ein ungesundes Land. Dort kann man an allen möglichen Arten von Fieber erkranken. Natürlich denkt man nicht gern daran, aber es ist durchaus möglich, dass Lieutenant Harry Tremaine nie zurückkommt.“ Plötzlich fiel Lady Denby etwas ein. „Er hat dir doch hoffentlich nicht das Versprechen abgenommen, auf ihn zu warten?“

„Nein, wir sind nicht heimlich verlobt“, entgegnete Caroline.

„Dem Himmel sei Dank“, meinte ihre Stiefmutter erleichtert. „Es wäre nicht recht gewesen, so etwas von dir zu verlangen. Schließlich ging bei uns alles drunter und drüber, als er England verließ.“ Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. „Dein armer Papa war ja gerade gestorben. Ich weiß natürlich, dass du Harry Tremaine schon seit einer halben Ewigkeit kennst und dich in seiner Gegenwart sehr wohl fühlst. Trotzdem solltest du irgendeinem anderen jungen Mann die Chance geben, dich besser kennenzulernen. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass jemand dich genauso … schätzen lernt wie Harry.“

Da ihre Vorliebe für Pferde allgemein als unweiblich angesehen wurde, zumal sie kein Interesse an modischer Kleidung und Tätigkeiten wie Sticken, Malen oder auch Klavierspielen hatte, wusste Caroline genau, was ihre Stiefmutter meinte. Gereizt runzelte sie die Stirn. Ihr lag nichts daran, die Bekanntschaft irgendwelcher Gentlemen zu machen. Sie würde auf Harry warten. Bei ihm konnte sie einfach sie selbst sein. Sie konnte ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen und brauchte nicht so zu tun, als würde sie sich in allem seinen männlichen Ansichten beugen.

Ja, sie würde es wagen, ihren Freund aus Kindertagen zu heiraten – obwohl auch er ihr die Angst vor dem Fluch nicht nehmen konnte. Beim Gedanken daran überlief sie ein Schauer. Ganz gewiss würde sie das Risiko, von dem Fluch getroffen zu werden, nicht wegen irgendeines Dandys auf sich nehmen, der es nur auf ihre Mitgift abgesehen hatte.

Unglücklicherweise war sie wohlhabend genug, um trotz ihrer unkonventionellen Lebensweise als gute Partie zu gelten. Während ihrer kurzen Saison in London hatten sich mehrere Gentlemen um sie bemüht. Doch ehe auch nur einer ihr einen Antrag machen konnte, war sie überstürzt nach Denby Lodge zurückgekehrt, weil ihr Vater gestorben war.

Caroline dachte nicht gern an die Zeit in London zurück. Tatsächlich konnte sie sich nicht vorstellen, dass irgendeiner ihrer Verehrer sie wirklich geschätzt hatte. Wer sie heiratete, erlangte die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen, über ihre geliebten Pferde und auch über sie selbst. Was das bedeutete, war ihr klar geworden, als sie erlebt hatte, was ihrer Cousine Elizabeth widerfahren war. Zum Glück war Elizabeths Gatte gestorben, ehe er ihren gesamten Besitz verschleudert hatte. Seitdem war Caroline fest entschlossen, ihr Leben niemals in die Hände eines fremden Mannes zu legen.

Wenn sie wirklich heiraten musste, dann würde sie Harry nehmen. Ihn kannte sie von Kindheit an. Ihm fühlte sie sich verbunden, so wie sie sich ihrem geliebten Vater verbunden gefühlt hatte.

Sie straffte die Schultern und erklärte: „Harry ist seit fünf Jahren bei der Armee. Und in all der Zeit ist mir niemand begegnet, der mir auch nur annähernd so gut gefällt wie er.“

„Ich möchte behaupten, dass du auch nicht ernsthaft nach jemandem gesucht hast, den du mögen könntest. Es ist … unnatürlich, dass eine junge Dame so gar nicht den Wunsch zu heiraten verspürt.“

Es war nicht das erste Mal, dass Lady Denby diese Überzeugung zum Ausdruck brachte. Ehe Caroline jedoch widersprechen konnte, bat sie in versöhnlichem Ton: „Komm, Liebes, es kann nicht schaden, Mrs. Ransleighs Gäste kennenzulernen. Vielleicht befindet sich tatsächlich ein Gentleman unter ihnen, der dir gut gefällt. Du weißt, dass ich nur dein Bestes will.“

Daran hatte Caroline nie gezweifelt. Ihre warmherzige Stiefmutter wollte das Beste für sie. Doch leider stellte sie sich darunter etwas völlig anderes vor als sie selbst.

Ihr Widerstand gegen Lady Denbys wohlmeinende Pläne schwand. Sie schloss ihre Stiefmutter in die Arme und erklärte: „Du möchtest, dass ich glücklich werde. Das ist mir klar. Aber kannst du dir wirklich vorstellen, dass ich die Gattin eines Mannes werde, der in der Stadt wohnt? Wie könnte ich, da ich doch am liebsten in Männerhosen herumlaufe, die Rolle der vornehmen Gastgeberin übernehmen? Mir liegt nichts an eleganten Kleidern, und ich habe auch keinen so sanften Charakter wie du. Deshalb könnte ich niemals so tun, als würde mich jeder Unsinn interessieren, den ein Gentleman zu erzählen hat. Eher würde ich ihm ins Gesicht sagen, dass ich ihn für einen Dummkopf halte.“

„Papperlapapp!“, entfuhr es Lady Denby. „Es stimmt, dass du manchmal ein bisschen ungeduldig bist mit denen, die nicht über deinen scharfen Verstand verfügen. Aber du hast ein gutes Herz und würdest dich niemals absichtlich schlecht benehmen. Außerdem hat dein Papa mich auf dem Sterbebett gebeten, dich bei der Wahl eines Gatten zu unterstützen.“

Caroline hob zweifelnd die Augenbrauen, was Lady Denby veranlasste, ihre Aussage noch einmal zu bekräftigen. „Ich verstehe dein Misstrauen, denn er hat dich ja nie zur Ehe gedrängt. Dennoch ist wahr, was ich sagte. Er bat mich, alles dafür zu tun, damit du dich gut verheiratest.“

„Du hast Papa in den zwei Jahren eurer Ehe sehr glücklich gemacht. Deshalb sollte es mich eigentlich nicht wundern, dass er sich zum Schluss auch für mich ein solches Glück wünschte.“

„Ja, wir waren wirklich sehr glücklich miteinander. Und ich werde nie vergessen, wie freundlich du dich mir gegenüber vom ersten Tag an verhalten hast. Vielen Töchtern ist es gar nicht recht, wenn ihr Vater wieder heiratet.“

„Tatsächlich hätte ich dich zunächst am liebsten aus dem Haus geworfen“, gab Caroline lachend zu. „Ich war entschlossen, dich abweisend und unfreundlich zu behandeln. Aber du warst so sanftmütig und so besorgt um unser Wohl, dass ich einfach nicht böse sein konnte.“

„Ich hoffe sehr“, wechselte Lady Denby das Thema, „dass du dir nicht immer noch Sorgen wegen dieses angeblichen Fluchs machst. Es stimmt natürlich, dass die Geburt eines Kindes für Mutter und Baby immer eine Gefahr darstellt. Aber die meisten von uns überstehen diese Gefahr unbeschadet. Und wenn eine Frau ihr erstes Kind im Arm hält, dann weiß sie, dass dieses Erlebnis jedes Risiko wert ist. Ich wünsche mir sehr, dass du dieses Wunder selbst erlebst, Caroline.“

„Das ist sehr lieb von dir.“ Sie verzichtete darauf, zum x-ten Mal zu erwähnen, wie viele Frauen ihrer Familie – darunter auch ihre eigene Mutter – im Kindbett gestorben waren. Der Fluch war mehr als eine dumme Einbildung. Jetzt jedenfalls war es eindeutig an der Zeit, das Thema zu wechseln. Sonst würde sie womöglich doch noch die Geduld verlieren.

„Also gut“, erklärte sie, „ich werde Mrs. Ransleighs Gästen freundlich und aufgeschlossen begegnen. Da ich allerdings vor dem Dinner noch ausreiten will, muss ich mich nun rasch umkleiden.“ Sie warf ihrer Stiefmutter ein schelmisches Lächeln zu. „Ich verspreche, mein Reitkostüm zu tragen und nicht meine Hose.“

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und Eugenia stürmte ins Zimmer. „Mama, ich habe ganz erschreckende Neuigkeiten gehört. Tatsächlich fürchte ich, dass wir wieder einpacken und abreisen müssen.“

„Abreisen?“, echote Lady Denby und warf ihrer Tochter einen warnenden Blick zu. Dann wandte sie sich zu der Zofe um. „Danke, Dulcie, du kannst jetzt gehen.“

Erst als das Mädchen die Tür hinter sich geschlossen hatte, fragte Lady Denby: „Welches Unglück ist geschehen, das uns zur Abreise bewegen könnte, kaum dass wir hier angekommen sind? Mrs. Ransleigh ist doch hoffentlich nicht krank geworden?“

„Oh nein. Es ist ihr Sohn, Alastair Ransleigh. Ich meine, er ist nicht krank, sondern unerwartet hier eingetroffen. Und er hat einen schrecklich schlechten Ruf. Lady Claringdon sagt, er habe Mätressen und Affären mit schamlosen verheirateten Damen unterhalten.“

„Und was weißt du über Mätressen und schamlose Damen, Eugenia?“, erkundigte Caroline sich belustigt.

„Nichts natürlich“, gab diese errötend zurück. „Abgesehen von dem, was ich aus dem Klatsch in der Schule geschlossen habe. Ich habe nur Lady Claringdons Worte wiederholt.“

„Arme Mrs. Ransleigh“, meinte Lady Denby mitleidig. „Das ist für sie wirklich eine unglückliche Situation. Sie kann ihrem Sohn unmöglich verbieten, sein eigenes Haus zu betreten.“

„Ja, sie steckt in einem Dilemma. Fortschicken kann sie ihn nicht. Aber wenn wir ihm begegnen sollten … Lady Claringdon meint, der gute Ruf einer jungen Dame sei schon gefährdet, wenn man sie nur im Gespräch mit Mr. Ransleigh sieht. Ist das nicht furchtbar!“ Sie krauste ihre hübsche Stirn. „Und ich habe das Schlimmste noch gar nicht erwähnt!“

„Um Himmels willen, noch mehr schlechte Nachrichten?“

„Allerdings. Mr. Ransleigh hat seinen Cousin mitgebracht. Maximillian Ransleigh.“

„Was ist daran schlimm?“, wollte Caroline wissen. Sie erinnerte sich, den Namen schon einmal gehört zu haben. „Ist das nicht der jüngere Sohn des Earl of Swynford? Gut aussehend, wohlhabend und erfolgreich?“

„Vielleicht war das früher so. Doch seitdem hat sich die Situation grundlegend verändert. Lady Claringdon hat mir alles erzählt.“ Eugenia warf ihrer Stiefschwester einen mitleidigen Blick zu. „Du wirst nichts davon gehört haben, weil du London so plötzlich verlassen musstet, als dein Papa von uns ging.“

„Was ist mit diesem Maximillian Ransleigh los?“, erkundigte sich Lady Denby.

„Er wurde von allen Max der Große genannt, die Gesellschaft liebte ihn, und es hieß, er könnte jede Dame mit seinem Charme erobern. Er trat in die Armee ein und kämpfte gegen Napoleon. Später, während des Wiener Kongresses wurde er Wellington als persönlicher Assistent zugeteilt. Nichts schien seine Karriere mehr behindern zu können. Doch dann soll er eine Affäre mit einer geheimnisvollen Französin gehabt haben. Zur gleichen Zeit wurde ein Attentat auf Wellington unternommen. Ransleigh verlor seinen Posten und wurde nach Hause geschickt.“

Caroline runzelte die Stirn. „Was genau hat sich zugetragen?“

„Die Einzelheiten kannte Lady Claringdon nicht. Aber sie ist sich ganz sicher, dass sein Ruf beschädigt war, als er nach dem Wiener Kongress nach London zurückkehrte. Das allein war schlimm genug. Aber dann entkam Napoleon aus dem Exil auf Elba und marschierte auf Paris zu. Mr. Ransleigh setzte sich einfach über den Befehl hinweg, in England zu bleiben, bis die Wiener Geschichte geklärt wäre. Er reiste nach Brüssel, wo er sich seinem früheren Regiment anschloss.“

„Hat er bei Waterloo gekämpft?“

„Ich glaube, ja. Trotzdem ist noch nicht klar, ob er vor ein Militärgericht gestellt wird. Sein Vater, der Earl, soll über Ransleighs Verhalten so erbost gewesen sein, dass er ihn aus dem Haus geworfen hat. Und Lady Mary Langton, die angeblich heimlich mit ihm verlobt war, hat sich geweigert, ihn auch nur zu empfangen. Wie man hört, hat er inzwischen geschworen, nie zu heiraten, und sich seinem Cousin Alastair Ransleigh angeschlossen, um sich wieder den weniger tugendhaften Damen zu widmen.“

Die Ransleigh Rogues … Harry hat von ihnen gesprochen, erinnerte sich Caroline. Er hatte die Cousins gemocht.

„Lady Claringdon war den Tränen nahe, als sie mir das alles erzählte“, fuhr Eugenia fort. „Sie hatte wohl ihre Netze nach ihm ausgeworfen, ehe er seine Aufmerksamkeit auf Lady Mary konzentrierte. Jetzt will sie natürlich nichts mehr mit ihm zu tun haben. Schließlich ist allgemein bekannt, dass er in einen Skandal verwickelt war und sich zudem schlechte Gesellschaft gesucht hat.“

„Wie schade!“, seufzte Lady Denby. „Schließlich ist er der Sohn eines Earls.“

„Müssen wir nun abreisen, Mama? Oder glaubst du, dass wir bleiben können, wenn wir uns nur bemühen, den beiden Ransleighs aus dem Weg zu gehen?“

Einen Moment lang starrte ihre Mutter nachdenklich ins Nichts. „Mrs. Ransleigh und ihre älteste Tochter, Lady Jane Gilford, gehören zur besten Gesellschaft. Ich bin sicher, die beiden haben längst mit den Gentlemen gesprochen und ihnen erklärt, dass sie entweder abreisen oder sich von den Hausgästen fernhalten müssen.“

„Damit sie eine unschuldige junge Dame nicht ruinieren, ehe die auch nur die Chance bekommt, in die Gesellschaft eingeführt zu werden?“, meinte Caroline und zwinkerte Eugenia zu.

Doch die reagierte gar nicht. Lady Denby allerdings erklärte: „Ich bin sicher, dass das Problem bereits gelöst wurde. Dennoch werde ich mich jetzt auf die Suche nach Mrs. Ransleigh machen und ihr ein paar Fragen stellen.“

„Wie, um Himmels willen, möchtest du diese Fragen formulieren?“, rief Caroline. „Willst du etwa sagen: ‚Entschuldigen Sie, Mrs. Ransleigh, ich möchte nur sichergehen, dass weder Ihr draufgängerischer Sohn noch Ihr schändlicher Neffe den Ruf meiner unschuldigen Mädchen in Gefahr bringt?‘“

Lady Denby tätschelte ihrer Stieftochter lachend den Arm. „Natürlich ist es keine angenehme Aufgabe. Aber du kannst mir glauben, dass ich meine Frage bedeutend taktvoller formulieren werde.“

„Vielleicht sperrt sie die Gentlemen auf dem Dachboden ein oder im Weinkeller, damit die Gäste vor ihnen sicher sind“, scherzte Caroline.

„Wie kannst du so etwas sagen!“, meinte Eugenia vorwurfsvoll. „Dies ist eine ernste Angelegenheit. Wenn der Ruf einer jungen Dame beschädigt ist, wird sie nie einen guten Ehemann finden. Ich finde das Ganze überhaupt nicht lustig, zumal Lady Melross heute Nachmittag eingetroffen ist.“

„Anita Melross?“, stöhnte Lady Denby. „Ihr müsst euch von eurer besten Seite zeigen, Mädchen. Lady Melross genießt es, Gerüchte in die Welt zu setzen. Sie wird nicht zögern, jede nachteilige Kleinigkeit über euch in ganz London zu verbreiten.“

Die offenbar echte Sorge ihrer Stiefmutter bewirkte, dass Caroline rasch wieder ernst wurde. „Ich verspreche dir, mich gut zu benehmen.“

„Und ich werde unsere Gastgeberin aufsuchen, um ein kleines Gespräch mit ihr zu führen. Bitte, denkt an euren Ruf, Mädchen. Eugenia, bleib auf deinem Zimmer, solange die Situation noch ungeklärt ist.“

„Natürlich, Mama. Ehe du mir nicht sagst, dass ich in Sicherheit bin, werde ich keinen Fuß vor die Tür setzen.“

Caroline verdrehte die Augen. Sie konnte es kaum erwarten, endlich zu ihrem Ritt aufzubrechen. Und sie war gewiss nicht bereit, sich wegen irgendwelcher dummen Konventionen von diesem Vergnügen abhalten zu lassen.

Sobald Lady Denby den Raum verlassen hatten, läutete Caroline nach Dulcie, damit diese ihr beim Anlegen des Reitkostüms half. Beim Anblick der Kleidungsstücke entschlüpfte ihr ein Seufzer. Wie viel bequemer war doch die Hose, die sie daheim trug. Tatsächlich war sie so klug gewesen, diese in ihr Reisegepäck zu schmuggeln. Natürlich musste sie angemessen angezogen sein, wann immer damit zu rechnen war, der Gastgeberin oder anderen Gästen zu begegnen. Doch wenn sie bereits in der Morgendämmerung ausritt, würde sie auf das Kostüm verzichten und stattdessen Hose und Stiefel tragen.

Ob sie auf ihren Ausritten einen der skandalumwitterten Ransleigh-Männer treffen würde? Im Gegensatz zu ihrer Stiefschwester fürchtete Caroline sich nicht vor einer Begegnung mit Alastair oder Max Ransleigh. Keiner der beiden würde so von ihrem Charme hingerissen sein, dass er sie auf einem Heuhaufen im Stall verführte.

In diesem Moment klopfte es, und Dulcie trat ein. „Wir müssen uns beeilen!“ Caroline befürchtete, Lady Denby könne zurückkehren und auch ihr befehlen, das Zimmer nicht zu verlassen.

Wenig später eilte sie im Reitkostüm zu den Stallungen.

Caroline genoss ihren Ausritt sehr. Sultan war der beste Hengst, den die Denby-Zucht bisher hervorgebracht hatte. Sie ließ ihn traben und galoppieren und kehrte schließlich im Schritt zurück.

Als sie den Hof vor den Stallungen erreichte, gestand sie sich ein, dass sie ein wenig enttäuscht darüber war, dass sie weder Alastair noch Max Ransleigh zu Gesicht bekommen hatte. Sie hätte so gern einmal einen echten Rogue kennengelernt. Ihre Stiefmutter wäre natürlich entsetzt, wenn sie davon erführe. Und wenn Lady Melross von einem solchen Treffen hörte, würde sie zweifellos überall herumerzählen, Miss Denby sei eine junge Dame mit viel zu lockeren moralischen Vorstellungen.

Aber vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn sie bei den Mitgliedern der guten Gesellschaft als ruiniert galt. Sie würde dann keine weitere Saison in London ertragen müssen, und sie könnte in Ruhe auf Harrys Rückkehr warten, um ihn zu heiraten.

Caroline glitt aus dem Sattel, übergab Sultan an einen der Stallburschen und machte sich auf den Weg zum Haus. Unterwegs überprüfte sie ihre Idee, ihren Ruf zu ruinieren, auf Schwachstellen. Lady Denby würde natürlich zunächst enttäuscht, unglücklich und verärgert sein. Doch bald schon würde sie mit Eugenia nach London übersiedeln, wo es bestimmt mehr als genug andere Skandale gab. Und dann wird bald niemand mehr an meinen Fehltritt denken, dachte Caroline.

Als sie ihr Zimmer betrat und nach Dulcie läutete, stand ihr Entschluss fest. Sie würde alles daransetzen, einen der Ransleigh-Rogues kennenzulernen. Vielleicht konnte sie ihn davon überzeugen, sie zu kompromittieren.

3. KAPITEL

Drei Tage später saß Max Ransleigh, ein Buch in der Hand haltend, im Gewächshaus von Barton Abbey.

Alastair war unterwegs, um sich um irgendwelche Farmangelegenheiten zu kümmern. Da Max ihn nicht hatte begleiten wollen, war er auf die Idee verfallen, sich ins Gewächshaus zurückzuziehen, um ungestört zu sein.

Ruhelosigkeit erfüllte ihn. Daran war er inzwischen gewöhnt. Vor dem Zwischenfall in Wien war er stets beschäftigt gewesen. Die Tatsache, nun zum Nichtstun verdammt zu sein, belastete ihn nach wie vor sehr.

Er verspürte durchaus nicht den Wunsch, sich unter Mrs. Ransleighs Gäste zu mischen. Aber er war dazu erzogen worden, aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben teilzunehmen. Ob es sich nun um Dinner-Gesellschaften mit ausländischen Diplomaten oder um vertrauliche Gespräche mit britischen Regierungsmitgliedern gehandelt hatte – zu seinen beruflichen Pflichten gehörte es, sich sicher zwischen all diesen Menschen zu bewegen. Er besaß ein ausgesprochenes Talent dafür, allen, mit denen er sich unterhielt, das Gefühl zu vermitteln, dass sie intelligent, gebildet, charmant und humorvoll waren und etwas wirklich Wichtiges zu sagen hatten. Ein Talent, das er vielleicht nie wieder brauchen würde …

Erneut regten sich Zorn und Enttäuschung in ihm. Er musste unbedingt eine neue sinnvolle Beschäftigung finden. Wofür sonst sollte er all die Energie aufwenden, die in ihm brodelte?

So tief war er in seine Gedanken versunken, dass er die Schritte, die sich ihm näherten, erst hörte, als sie ganz nah waren. Da er keinen anderen als Alastair erwartete, zwang er sich zu einem Lächeln und wandte sich um.

Der Anblick, der sich ihm bot, raubte ihm die Sprache.

Statt seines Cousins stand eine junge Dame vor ihm, die ein unglaublich geschmackloses Dinnerkleid trug. Der braunrote Stoff war mit Unmengen von pinkfarbenen Seidenrosen, Spitzenbordüren und falschen Perlen besetzt. Insgesamt macht das Kleidungstück einen so vulgären Eindruck, dass Max eine Weile brauchte, bis er sich so weit gefasst hatte, dass er den Blick heben und das Gesicht der jungen Frau anschauen konnte.

Ihre Augen blickten sehr ernst. „Mr. Ransleigh?“, fragte sie und machte einen kleinen Knicks.

Da erst wurde ihm klar, dass sie wohl aus gutem Haus stammte, vermutlich zu den Gästen seiner Tante gehörte und sich ganz gewiss nicht bei ihm im Gewächshaus aufhalten sollte – zumal sie offenbar nicht von einer Anstandsdame begleitet wurde, wie ein rascher Blick in Richtung Tür bewies.

„Haben Sie sich verlaufen, Miss?“, fragte Max höflich und erhob sich. „Gehen Sie zurück zur Terrasse und halten Sie sich links. Die Terrassentür, die in den Großen Salon führt, steht bestimmt offen. Sie sollten keine Zeit verlieren, denn Ihre Mama vermisst Sie bestimmt schon.“ Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr, dass sie sich beeilen musste, damit niemand sie hier bei ihm entdeckte.

Doch statt seine Anweisung zu befolgen, trat sie noch einen Schritt näher. „Ich habe nicht nach meiner Mama gesucht, sondern nach Ihnen. Und es war erstaunlich schwer, Sie zu finden. Drei Tage habe ich gebraucht, um Sie aufzuspüren.“

Max trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Wenn er die Einladung einer Gastgeberin annahm, die auch unverheiratete junge Damen unter ihrem Dach beherbergte, verhielt er sich seit jeher sehr vorsichtig. Er achtete peinlich genau darauf, sich niemals allein an einen Ort zu begeben, der sich, so wie das Gewächshaus, für ein heimliches Rendezvous eignete. Er zweifelte nicht daran, dass die Gäste seiner Tante ausgiebig über Alastair und ihn selbst geklatscht hatten. Dabei musste doch irgendwer die junge Dame in dem hässlichen Kleid vor ihm gewarnt haben!

Aber vielleicht verwechselte sie ihn ja mit Alastair. Allerdings war es kaum vorstellbar, dass eine ehrbare Jungfrau sich heimlich mit seinem als Rogue bekannten Cousin treffen wollte. Noch unvorstellbarer war es, dass Alastair, der sinnliche, weltgewandte und erfahrene Frauen schätzte, sich die Mühe machen würde, ein unschuldiges Mädchen auf Abwege zu führen.

„Bedauerlicherweise bin ich nicht derjenige, den Sie suchen, Miss“, erklärte er. „Mein Name ist Maximillian Ransleigh, und alle Welt würde es als überaus unpassend empfinden, dass Sie mit mir sprechen. In Ihrem eigenen Interesse sollten Sie jetzt …“

„Ich weiß, wer Sie sind“, unterbrach sie ihn. „Gerade deshalb wollte ich ja mit Ihnen reden. Ich …“ Ihre Wangen röteten sich. „Ich möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten.“

Max wollte seinen Ohren nicht trauen. „Einen Vorschlag?“, wiederholte er.

„Ja. Übrigens bin ich Caroline Denby, die Tochter des verstorbenen Sir Martin Denby, dem Gründer des Denby-Gestüts.“

Dieses absurde Gespräch wurde immer absurder. Dennoch verbeugte Max sich. „Guten Tag, Miss Denby. Ich habe von Sir Martins Zuchterfolgen gehört. Darf ich Ihnen mein Beileid zum Verlust Ihres Vaters ausdrücken? Was alles Weitere betrifft, möchte ich allerdings vorschlagen, dass Mrs. Ransleigh später ein Treffen zwischen uns arrangiert, bei dem Sie sich von einer Anstandsdame begleiten lassen. Sie verstehen doch, dass Ihr guter Ruf auf dem Spiel steht, wenn man Sie mit mir sieht?“

„Aber darum geht es doch! Ich möchte, dass mein Ruf ruiniert wird.“

Sie hätte nichts sagen können, was ihn mehr überrascht hätte.

Während er Miss Denby ungläubig anstarrte, fuhr sie in aller Eile fort: „Ich fürchte, die Situation ist ziemlich kompliziert. Da ich über eine beachtliche Mitgift verfüge …“, ihre Stimme nahm einen betrübten Klang an, „… wollen mich alle möglichen Gentlemen zum Altar führen. Und meine Stiefmutter ist davon überzeugt, dass eine Frau heiraten muss. Ich hingegen verspüre nicht den geringsten Wunsch, mich zu verehelichen. Deshalb wäre es gut, wenn man mich in einer kompromittierenden Situation mit einem Mann überraschen würde, der sich weigert, mich zur Frau zu nehmen. Dann wäre ich nämlich ruiniert. Meine Stiefmutter müsste ihre Bemühungen aufgeben, einen passenden Gatten für mich zu finden, denn kein ehrbarer Mann wäre bereit, mich zu heiraten.“

Blitzartig wurde ihm klar, warum sie ihn aufgesucht hatte. Einen Moment lang versteifte er sich vor Zorn. Dann wandte er sich mit einem kurzen Nicken und einem kalten „Adieu, Miss Denby“ ab und eilte zur Tür.

Caroline lief ihm nach, erwischte ihn am Ärmel und hielt ihn fest. „Bitte, Mr. Ransleigh, hören Sie mich wenigstens an! Ich weiß, wie verrückt das klingt, und vielleicht habe ich Sie gekränkt, aber …“

„Miss Denby, das ist die mit Abstand verrückteste, beleidigendste und schockierendste Idee, die man mir je unterbreitet hat. Natürlich werde ich niemandem davon berichten. Sollte jedoch Ihre arme, schwer geprüfte Stiefmutter, der meine ungeteilte Sympathie gilt, jemals von diesem Vorschlag erfahren, so wird sie Sie zweifellos für einen Monat bei Wasser und trocken Brot einsperren.“

Lachend erwiderte Caroline: „Ich bin tatsächlich eine schwere Prüfung für Lady Denby. Aber es wäre zwecklos, mich einzusperren, weil ich einfach aus dem Fenster klettern würde. Und da ich Sie, Mr. Ransleigh, nun schon beleidigt und schockiert habe, könnten Sie mir vielleicht doch die Möglichkeit geben, Ihnen alles zu erklären.“

Er hätte natürlich Nein sagen und sich so rasch wie möglich entfernen müssen, doch tatsächlich war diese Begegnung so absurd, dass er eine gewisse Faszination und Neugier empfand.

„Also gut, Miss. Ihre Erklärung! Aber bitte in aller Kürze!“

„Mir ist klar, dass mein Vorschlag … ungewöhnlich ist. Wie ich schon sagte, besitze ich eine beachtliche Mitgift und bin zudem in einem Alter, in dem die meisten Frauen längst verheiratet sind. Solange mein Vater lebte …“, erklärte sie, ohne ihren Kummer zu verbergen, „… war das kein Problem. Er hat mich nie zur Ehe gedrängt. Tatsächlich haben wir in den letzten Jahren gemeinsam daran gearbeitet, das Denby-Gestüt zu dem zu machen, was es jetzt ist. Mein größter Wunsch ist es, diese Arbeit fortzusetzen.“

Sie hob den Kopf, schaute Max kurz in die Augen und fuhr fort: „Nach dem Tod meines Vaters hat meine Stiefmutter es sich leider in den Kopf gesetzt, mich möglichst rasch unter die Haube zu bringen. Wegen meiner Mitgift findet sie auch genügend interessierte Gentlemen, obwohl ich kaum eine der Eigenschaften besitze, die Männer sich bei ihrer Braut wünschen. Wenn mein Ruf ruiniert wäre, würden all meine Verehrer das Interesse an mir verlieren. Meine Stiefmutter müsste nicht länger nach einem Gatten für mich suchen, und ich könnte weiterhin in Denby Lodge leben und mich um die Pferde kümmern, so wie es mein Wunsch ist.“

„Sie wollen tatsächlich nie heiraten?“ Gegen seinen Willen war es ihr gelungen, sein Interesse zu wecken.

„Ich habe … einen sehr guten Freund. Aber er ist bei der Armee und hält sich zurzeit in Indien auf. Es wird noch eine Weile dauern, bis er zurückkehrt.“

„Und dieser sehr gute Freund wird nicht erbost sein, wenn er herausfindet, dass Ihr Ruf ruiniert ist?“

Sie winkte ab. „Nein, er würde darüber lachen, denn er findet die meisten gesellschaftlichen Konventionen albern und überflüssig.“

„Dennoch sieht er es vielleicht nicht gern, dass jemand die Ehre der Frau beschmutzt, die er heiraten möchte.“

„Ich werde Harry die Zusammenhänge natürlich erklären müssen. Bestimmt wird er es verstehen. Schließlich sind wir seit unserer Kindheit eng befreundet. Er wird verstehen, dass ich … dass ich etwas unternehmen musste, gerade weil ich auf ihn warten wollte.“

Max runzelte die Stirn. „Ich möchte noch einmal zusammenfassen, was Sie mir gesagt haben. Sie wollen mit mir in einer kompromittierenden Situation überrascht werden. Danach soll ich mich weigern, Sie zu heiraten, damit Sie ruiniert sind. Denn dann wird kein ehrbarer Gentleman mehr um sie anhalten, und Sie können in aller Ruhe auf die Rückkehr Ihres Jugendfreundes warten, der Sie trotz allem zu seiner Gattin machen wird.“

Zustimmend nickte sie.

„Also, Miss Denby, ich muss Ihnen sagen, dass ich zwar als Rogue gelte, aber trotzdem ein Gentleman bin. Ich ruiniere keine unschuldigen jungen Damen. Doch selbst wenn ich auf Ihren Vorschlag einginge, hieße das nicht, dass Ihr Plan funktioniert. Die Aufregung und die Anfeindungen infolge des Skandals könnten Sie durchaus dazu bringen, sich letztendlich doch für die Ehe mit mir zu entscheiden. Ich aber – bitte, nehmen Sie das nicht persönlich – verspüre nicht das geringste Verlangen danach, mich zu binden.“

„Mir – bitte, nehmen Sie das ebenfalls nicht persönlich – geht es genauso. Und schließlich kann niemand uns zur Ehe zwingen.“

Dessen war er sich nicht sicher. Trotzdem sagte er nur: „Wenn Sie unbedingt ruiniert werden wollen, hätten Sie sich auch an meinen Cousin Alastair wenden können. Sein Ruf ist noch skandalöser als meiner.“

„Ich habe darüber nachgedacht, bin jedoch zu dem Schluss gekommen, dass es keine gute Lösung wäre. Erstens bin ich im Haus seiner Mutter zu Gast und möchte sie auf keinen Fall in Verlegenheit bringen. Zweitens heißt es, dass er zwar die Vergnügungen schätzt, die eine Affäre mit sich bringt, dass er aber eigentlich eine Abneigung gegen Frauen hegt, seit er in der Liebe enttäuscht wurde. Sie hingegen scheinen Frauen zu mögen. Und drittens hatte ich gehofft, sie würden meine Beweggründe verstehen. Denn Sie haben im Zusammenhang mit Ihrer zerstörten beruflichen Karriere selbst erleben müssen, wie grausam es ist, wenn andere über unser Schicksal entscheiden und wir kaum Einfluss darauf nehmen können.“

Er hatte nicht erwartet, dass sie seine Situation so gut würde einschätzen können. Plötzlich empfand er große Sympathie für diese junge Frau, die den einzigen Menschen verloren hatte, der sich stets auf ihre Seite gestellt hatte. Seit dem Tod ihres Vaters schienen alle sie in eine Rolle drängen zu wollen, die ihr ganz und gar nicht behagte.

Caroline ahnte, was in ihm vorging, und vergewisserte sich: „Sie verstehen mich, nicht wahr? Sie haben zwar diesen schlimmen beruflichen Rückschlag hinnehmen müssen. Aber da Sie ein Mann sind, können Sie neue Pläne schmieden. Ich hingegen werde alle Rechte verlieren, wenn ich dem Druck nachgebe und heirate. Mein gesamter Besitz, ja, selbst mein Körper wird zum Eigentum meines Gatten, sobald ich Ja gesagt habe. Er kann das Gestüt verkaufen, mein Vermögen verspielen, und mit mir machen, was er will. Ich würde die Arbeit meines Vaters so gern fortsetzen. Doch welcher Gentleman würde mir das gestatten? Bitte, Mr. Ransleigh, ich brauche Ihre Hilfe!“

Ihre Idee war, wie sie selbst zugegeben hatte, vollkommen verrückt. Deshalb war es unsinnig, auch nur darüber nachzudenken. Er müsste sie wegschicken, denn er wollte sie nicht kompromittieren. Aber sie faszinierte und amüsierte ihn – mehr als irgendwer sonst in letzter Zeit.

„Sie lieben diesen Harry?“, erkundigte er sich.

„Er ist mein bester Freund“, sagte sie schlicht. „Wir fühlen uns wohl miteinander und verstehen uns gut.“

„Ich bin erstaunt. Keine leidenschaftlichen Bekenntnisse? Keine tiefen Seufzer? Keine Gedichte auf die Schönheit Ihrer Augen? Ich dachte, das ist es, was alle Frauen sich wünschen.“

„Wahrscheinlich wäre all das ganz nett. Jedenfalls behauptet meine Stiefschwester das. Aber ich bin weder so schön wie Eugenia noch so zart und hingebungsvoll. Ihr Anblick regt die Gentlemen tatsächlich dazu an, Gedichte auf sie zu verfassen.“ Sie zuckte die Schultern. „Harry wird mich heiraten, wenn er aus Indien zurückkommt. Im Moment hilft mir das jedoch überhaupt nicht.“

„Sie könnten ihm schreiben und eine offizielle Verlobung vorschlagen.“

Jetzt seufzte sie. „Wenn ich darüber nachgedacht hätte, hätte ich ihn schon vor seiner Abreise nach Indien bitten sollen, sich mit mir zu verloben. Aber mein Vater war gerade völlig unerwartet von uns gegangen. Und ich …“ Ihre Stimme schwankte. „Ich war nicht ich selbst. Erst Wochen später, als meine Stiefmutter mir klarmachte, dass Harry vielleicht nie zurückkehren würde, und begann, mich zur Ehe zu drängen … Erst da begriff ich, welche Auswirkungen Papas Tod auf meine Zukunftspläne hatte. Ich werde jedoch dem Wunsch meiner Stiefmutter nicht nachgeben. Sie kann mich so vielen Gentlemen vorstellen, wie sie nur will. Ich werde keinen von ihnen heiraten.“

„Es tut mir leid, dass Sie sich in einer solchen Zwickmühle befinden“, erklärte Max. Und das war nicht gelogen. „Dennoch möchte ich Ihnen zu bedenken geben, dass Sie das Glück Ihrer Familie nicht ganz aus den Augen verlieren dürfen. Wenn Sie in einen Skandal verwickelt sind, wird das nicht ohne Auswirkungen auf Ihre Stiefmutter und Stiefschwester bleiben. Sie wollen doch gewiss nicht, dass die beiden leiden müssen.“

„Wenn man mich auf einem Ball während der Saison in London überraschen würde, wie ich Sie küsse, dann wäre das schlimm für meine Stiefmutter und Eugenia. Sollte ich jedoch hier ruiniert werden, dann ist der Skandal längst vergessen, wenn die Saison beginnt. Im Übrigen sind Eugenia und ich nicht blutsverwandt. Sie ist keine Denby, sondern eine Whitman. Ihre Mitgift wird ebenso wie ihre Schönheit dafür sorgen, dass jeder interessierte Gentleman darüber hinwegsieht, dass sie das Unglück hat, mich zu kennen. Auch an den Makel, der Ihnen anhaftet, wenn Sie mich ruinieren, wird in ein paar Monaten niemand mehr denken.“

Max schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, Sie wissen nicht viel darüber, wie die Mitglieder der guten Gesellschaft mit Skandalen umgehen. Deshalb muss ich, obwohl ich mich durch Ihr ungewöhnliches Angebot geehrt fühle …“

Ihr Lachen überraschte ihn so, dass er den Faden verlor.

„Ganz offensichtlich fühlen Sie sich keineswegs geehrt“, rief sie. „Da wir aber gerade von Ehre sprechen … Es heißt, Sie hätten in Waterloo gekämpft.“

„Ja, in einem Gardeinfanterieregiment.“ Der plötzliche Themenwechsel verwirrte ihn.

„Dann waren Sie in Hougoumont“, stellte sie fest. „Jeder in England bewundert die tapferen Männer dieses Regiments, die aufopferungsvoll, mutig und hartnäckig das Gut Hougoumont gegen die angreifenden Franzosen verteidigt haben. Auch Ihnen, Mr. Ransleigh, bringt man bestimmt Hochachtung wegen Ihres Kampfgeistes entgegen. Viele Offiziere werden sich auf Ihre Seite stellen, wenn sie von Ihren beruflichen … Problemen erfahren. Statt sich weiterhin um eine diplomatische Karriere zu bemühen, könnten Sie die Militärlaufbahn einschlagen. Doch da Sie im Moment nichts Besseres zu tun haben, als den Rogue zu spielen, könnten Sie erst einmal mir helfen.“

„Glauben Sie wirklich, es wäre eine Hilfe, wenn ich Sie ruiniere? Was für eine ungewöhnliche Vorstellung.“

Trotz ihres schrecklichen Kleides fehlte es Miss Denby nicht an Charme und Anziehungskraft. Sie war zweifellos die ungewöhnlichste junge Dame, die er je getroffen hatte. Temperamentvoll, klug, mutig und einfallsreich. Deshalb reizte es ihn, ihrem Wunsch nachzugeben, auch wenn er sich kaum etwas Unvernünftigeres vorstellen konnte. Schade, dass es – gleichgültig wie sie darüber dachte – einen riesigen Skandal gäbe, wenn er sie kompromittierte. Sehr wahrscheinlich würde er sie dann wirklich heiraten müssen.

Diese Erkenntnis hätte ihn dazu bringen müssen, Miss Denby endgültig fortzuschicken. Nachdenklich betrachtete er ihre hoffnungsvoll auf ihn gerichteten Augen. Dann wanderte sein Blick langsam nach unten – und er bemerkte, dass das abscheuliche Kleid tatsächlich einen Vorteil hatte: einen modisch tiefen Ausschnitt. Miss Denby mochte ein wenig verrückt sein, aber an ihren Brüsten war nichts auszusetzen.

Max vermochte nichts dagegen zu tun, dass sein Körper heftig auf die Reize der jungen Dame reagierte. Plötzlich konnte er sich sehr gut vorstellen, wie er sie kompromittierte. Hier im Gewächshaus. Er würde ihre Brüste umfassen und hingerissen lauschen, wie sie vor Lust stöhnte.

Verdammt! Er gebot seinen Gedanken Einhalt und richtete den Blick wieder auf Miss Denbys Gesicht. Sie hatte zwar ein erstaunliches Talent, die Dinge beim Namen zu nennen, aber sie war dennoch eine unschuldige junge Dame. Zweifellos ahnte sie nicht einmal, was es bedeutete, ihn darum zu bitten, sie zu kompromittieren.

Statt sie fortzuschicken, fragte er: „Wissen Sie, was Sie tun müssen, um als ruiniert zu gelten?“

Sie errötete, was ihm bewies, dass sie tatsächlich gänzlich unschuldig war. „Es müsste genügen, in einer kompromittierenden Situation überrascht zu werden. Da Sie ein welterfahrener Gentleman sind, dachte ich, Sie wüssten, wie das zu bewerkstelligen ist. Natürlich möchte ich nicht, dass Sie …“, sie zögerte, zwang sich aber sogleich weiterzusprechen, „… dass Sie mich schwängern.“

Einen Moment lang war er sprachlos. „Fehlt Ihnen denn jegliches weibliche Schamgefühl?“, fragte er dann.

„Wahrscheinlich ja“, gab sie zurück. „Meine Mutter starb bei meiner Geburt. Und mein Vater, dessen einziges Kind ich bin, hat mich eher wie einen Sohn behandelt. Ich fühle mich in Hosen und Reitstiefeln wohler als im Abendkleid.“ Sie betrachtete kurz ihr Abbild, das sich in der Scheibe des Gewächshauses spiegelte. „Insbesondere, wenn es sich um Kleider wie dieses handelt.“

Unwillkürlich blickte er wieder auf ihre Brüste. Er wusste genau, dass er nicht mit Miss Denby gesehen werden durfte, wenn er einen Skandal und die darauf folgende Verpflichtung, sie zu heiraten, vermeiden wollte. Dennoch konnte er den Gedanken nicht verdrängen, dass es eine Freude sein würde, diese so anziehende junge Frau zu verführen. „Das Kleid hat durchaus seine Vorzüge“, murmelte er.

Er hatte nicht beabsichtigt, das laut auszusprechen. Denn jetzt schaute Miss Denby zu ihm hin und bemerkte sofort, welchen ihrer Körperteile er anstarrte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und erklärte: „Verflixt, da muss ich wohl eine Stola umlegen. Als wäre das Kleid nicht schon überladen genug …“

Sein Herz schlug plötzlich schneller. Diese hübschen Rundungen hinter einer Stola zu verstecken, das grenzte an ein Verbrechen!

Mit einem Schulterzucken versuchte er, die Versuchung abzuschütteln. „Da Sie so offen und ohne Umschweife sprechen, hätte ich angenommen, dass Sie auch einen einfachen Kleiderstil bevorzugen“, stellte er fest. „Sucht Lady Denby die Kleider für Sie aus?“

Lachend schüttelte sie den Kopf. Es war ein so ansteckendes Lachen, dass er einfiel.

„Nein, nein. Meine Stiefmutter verfügt über einen sehr guten Geschmack. Ich selbst habe mich für diesen Stil entschieden.“ Sie seufzte. „Ich wünschte, sie hätte mir gestattet, den blassgelben Seidenstoff zu kaufen, der mich so krank aussehen ließ.“

Ungläubig schaute er sie an. „Sie ziehen sich so geschmacklos an, um unattraktiv zu wirken?“

Ihr Blick bewies, dass das keine kluge Frage war. „Natürlich. Ich habe Ihnen doch erzählt, dass ich auf keinen Fall heiraten will. Das Kleid hilft, Bewunderer abzuschrecken. Aber die Brille ist noch besser.“ Sie holte eine Brille aus ihrem Retikül, setzte sie auf und sah ihn durch die dicken Gläser an.

Ihre dunklen Augen wirkten so riesig, dass Max unwillkürlich einen Schritt zurücktrat.

Das brachte sie erneut zum Lachen. „Finden Sie nicht auch, dass ich jetzt aussehe wie ein Insekt hinter Glas? Meine Stiefmutter weiß natürlich, dass ich gar keine Brille brauche. Deshalb kann ich sie nicht tragen, wenn sie in der Nähe ist. Ein Jammer, denn die Brille ist überaus effektiv, wenn es darum geht, Mitgiftjäger abzuschrecken. Leider gibt es trotzdem den einen oder anderen Mann, der sich weder von meinen Kleidern noch von der Brille in die Flucht jagen lässt. Im Übrigen hilft die Brille nicht, wenn die Gentlemen auf meinen Busen starren. Ich muss also unbedingt an diese Stola denken.“

Es handelt sich ja auch um ganz besonders hübsche Brüste, dachte Max. Und laut sagte er: „Ist es wirklich nötig, dass Sie Ihre Verehrer in die Flucht jagen?“

Da sie die Skepsis in seiner Stimme hörte, errötete sie ein wenig. „Ja. Sie umwerben mich jedoch nicht, weil sie sich für mich interessieren. Sie haben es nur auf meine beachtliche Mitgift abgesehen. Vermutlich müssen Sie als Sohn eines Earls auch alle möglichen Tricks anwenden, um sich vor ehrgeizigen Müttern und deren heiratswütigen Töchtern zu schützen.“

Damit hatte sie recht. Und er gab es sogleich zu.

„Dann verstehen Sie mich ja sicher.“

„Hm … Trotzdem muss ich Ihnen mitteilen, Miss Denby, dass ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren könnte, Sie zu ruinieren.“

„Sind Sie sich ganz sicher? Es würde mir so viel bedeuten, und ich stünde für immer in Ihrer Schuld.“

Ihre Worte brachten seine ritterliche Seite zum Vorschein. Eben jene Seite, die ihn auch in Wien in Schwierigkeiten gebracht hatte. Diese Erfahrung würde ihn doch wohl davor bewahren, noch einmal einer beinahe Unbekannten seine Hilfe anzubieten!

Er musste vorsichtig sein! Doch es ließ sich nicht leugnen, dass er Miss Denby mochte. Ihr verrückter Vorschlag, ihre offene Art, ihre entwaffnende Ehrlichkeit und ihr Ideenreichtum gefielen ihm. Dennoch hegte er nicht die Absicht, sich an eine junge Frau zu binden, mit der er nichts gemeinsam hatte außer dem Wunsch, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. „Es tut mir leid“, sagte er, „aber ich kann Ihnen nicht helfen.“

Noch immer schaute sie ihn hoffnungsvoll an, so als habe sie nicht verstanden, was er ihr mitgeteilt hatte. Die groteske Brille hatte sie wieder abgenommen. Und jetzt fiel ihm auf, dass sie schöne braune Augen hatte. Er bemerkte auch die Sommersprossen auf ihrer samtenen Haut, ein Beweis dafür, dass sie viel Zeit im Freien verbrachte, zweifellos weil sie es liebte, die Pferde auf dem Gestüt zu reiten.

Miss Denby hat ihre Verkleidung sehr geschickt gewählt, stellte Max schockiert fest. Hinter dem geschmacklosen Kleid verbarg sich eine hübsche junge Frau, die ein wenig älter, jedoch vor allem viel attraktiver war, als er zunächst angenommen hatte.

Ein Grund mehr, weder ihre noch seine eigene Zukunft zu zerstören.

„Sind Sie sicher?“, wiederholte sie leise.

„Ich bedauere, dass ich Ihre Bitte zurückweisen muss“, murmelte er. „Aber ja, ich bin mir sicher.“

Zum ersten Mal, seit sie im Gewächshaus aufgetaucht war, schien ihre Energie zu schwinden. Sie ließ die Schultern sinken, ihre Augen blickten matt und ein leiser Seufzer entschlüpfte ihrem Mund.

Diese Zeichen der Entmutigung berührten ihn mehr, als ihm recht war. Es war lächerlich, eine Entscheidung zu bedauern, die er getroffen hatte, um Miss Denby vor einem schlimmen Schicksal zu bewahren. Zum Glück straffte sie die Schultern, ehe er den Fehler begehen konnte, seinen Entschluss umzuwerfen. „Ich werde Sie nicht länger stören“, verkündete sie. „Danke, dass Sie mich angehört haben.“

„Es war mir ein Vergnügen“, entgegnete er, was tatsächlich der Wahrheit entsprach. Und obwohl es ihn nichts anging, erkundigte er sich: „Was haben Sie nun vor, Miss Denby?“

„Ich werde wohl eine andere Lösung für mein Problem finden müssen. Auf Wiedersehen, Mr. Ransleigh.“

Sie knickste, er verbeugte sich, und dann war sie fort.

Wieder erfüllte ihn dieses absurde Gefühl des Bedauerns. Dass er ihrer verrückten Bitte nicht nachgegeben hatte, war zweifellos richtig. Aber er wünschte sehr, dass er ihr irgendwie hätte helfen können.

Sie war eine ungewöhnliche Frau! Er konnte sich gut vorstellen, dass ihr Vater sie wie einen Jungen behandelt hatte. Ihre offenen Worte, ihr direkter Blick und ihre festen Schritte erinnerten tatsächlich mehr an einen Mann als an eine junge Dame. Sie schmollte nicht, wenn sie enttäuscht wurde. Und sobald sie begriffen hatte, dass sein Entschluss feststand, hatte sie nicht mehr versucht, ihn umzustimmen. Die Vorstellung, dass sie so weibliche Waffen wie Tränen oder hysterische Anfälle einsetzen könne, war absurd.

Max war immer stolz auf seine gute Beobachtungsgabe gewesen. Doch diesmal hatte sie ihn im Stich gelassen. Er hatte eine halbe Ewigkeit gebraucht, um hinter der hässlichen Aufmachung die hübsche Frau zu entdecken.

Stirnrunzelnd überlegte er, ob sie gar nicht wusste, wie anziehend sie tatsächlich war. Die meisten Männer hätte sie mit ihren weiblichen Rundungen, den schönen Augen und dem zum Küssen einladenden Mund dazu bringen können, ihren Wunsch, sie zu kompromittieren, zu erfüllen. Das aber schien ihr nicht bewusst zu sein. Warum sonst hätte sie es mit klugen Worten versuchen sollen?

Wenn sie sich ins Gewächshaus geschlichen und ihn auf der Bank sitzend überrascht hätte … Wenn sie sich an ihn geschmiegt und ihm ihren Wunsch ins Ohr geflüstert hätte … Wenn sie jene runden weiblichen Schätze seinen Händen dargeboten und ihre Lippen nah an seinen Mund gebracht hätte … Ja, dann hätte er sie wohl, ohne auch nur einen Gedanken an die Folgen zu verschwenden, so wild und leidenschaftlich geküsst, dass sie alles um sich her vergessen hätte.

Die Vorstellung bewirkte, dass ihn ein heißer Schauer überlief und dass seine Finger zu kribbeln begannen, so als könnte er Miss Denbys weiche Haut fühlen. Verdammt, sein letztes erotisches Abenteuer lag viel zu lange zurück! Aber deshalb durfte er nicht vergessen, dass er niemals eine unschuldige junge Frau verführen würde. Niemals, auch dann nicht, wenn sie verführt werden wollte!

Einen Moment lang wünschte er sich, Miss Denby wäre weder so unerfahren noch aus so guter Familie. Dann hätte er sich nicht schämen müssen, wenn er die restlichen Tage auf Barton Abbey gemeinsam mit ihr in seinem Bett verbracht hätte. Nur zu deutlich hatte er ihre leidenschaftliche Natur gespürt. Welcher Genuss wäre es, ihre Leidenschaft zu wecken und ihr die Freuden der körperlichen Liebe zu zeigen!

Aber sie entstammte einer angesehenen Familie. Und zwei Wochen voll leidenschaftlichster Lust waren es nicht wert, sich für den Rest des Lebens an eine Ehefrau zu binden.

Bei dem Gedanken daran, wie lächerlich ihr Vorschlag gewesen war, musste Max grinsen. Was für ein verrücktes junges Ding! Hatte er je zuvor eine so faszinierende Frau getroffen? Ihr war es tatsächlich gelungen, ihn von seinen eigenen Sorgen abzulenken und ihn zum Lachen zu bringen. Dafür gebührte ihr seine Bewunderung und Dankbarkeit. Hoffentlich gelang es ihr, eine Lösung für ihr Problem zu finden.

Sein Lächeln erstarb, als er an ihre letzte Bemerkung dachte. Hatte sie gemeint, sie wolle einen anderen Weg suchen, um einer unerwünschten Heirat zu entgehen? Oder hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie weiter nach einem Mann suchen würde, der bereit war, sie zu ruinieren?

Seine gute Laune schwand. Und ihm war plötzlich so kalt, als hätte er sich in einen eisigen Fluss gestürzt. Miss Denbys Vorschlag hörte sich verrückt an, und jeder ehrbare Gentleman würde ihn ablehnen. Doch wenn sie nun an einen gewissenlosen Frauenhelden geriet, der ihr Angebot nur zu gern annahm? Ein Kuss, ein paar Liebkosungen, und dann? Was würde geschehen, wenn der Mann, an den sie sich mit ihrer Bitte wandte, sich nicht damit zufrieden gab? Wenn er ihr womöglich die Unschuld nahm?

Die Vorstellung beunruhigte ihn mehr, als ihm lieb war. Vergeblich versuchte er, sich selbst davon zu überzeugen, dass Miss Denbys Probleme ihn nichts angingen. Am besten vergaß er sie samt ihren bezaubernden Brüsten. Doch das wollte ihm nicht gelingen. Trotz der ernüchternden Erfahrung, die er in Wien gemacht hatte, drängte ihn die in seinem Charakter verwurzelte Ritterlichkeit, einer Dame in Bedrängnis beizustehen.

Natürlich konnte er ihren Vorschlag nicht annehmen. Aber solange er sich in Barton Abbey aufhielt, würde er über Miss Caroline Denby wachen.

4. KAPITEL

Caroline verbrachte eine unruhige Nacht, weil sie ständig darüber nachgrübelte, warum ihr Gespräch mit Max Ransleigh so kläglich gescheitert war.

Am nächsten Morgen stand sie sehr früh auf, schlüpfte rasch in die Hose, das Hemd und die alte Tweed-Jacke, die sie heimlich mit nach Barton Abbey gebracht hatte. Zum Schluss zog sie die Reitstiefel an. Dann schlich sie sich zu den Stallungen, wo sie nur einen schläfrigen Pferdeknecht antraf. Sie erklärte ihm, dass sie seine Hilfe nicht brauche, und sattelte Sultan.

Sie war sich ziemlich sicher, dass niemand sie überraschen würde, denn nach dem Dinner am vorhergehenden Abend hatten die meisten Gäste sich zum Kartenspielen getroffen. Gewiss waren sie bis spät in die Nacht wach geblieben und würden erst spät zum Frühstück erscheinen. Sie konnte also in aller Ruhe einen Ausritt unternehmen und ins Haus zurückkehren, ohne in ihrer Verkleidung gesehen zu werden.

Sie führte Sultan hinaus auf den Hof, saß auf und galoppierte wenig später mit ihm den Weg entlang.

Eine Zeit lang gab Caroline sich ganz dem Vergnügen hin, das der wilde Ritt ihr bereitete. Nach einer Weile allerdings holten ihre Probleme sie ein, und sie wurde sich ihres Dilemmas wieder bewusst.

Es war natürlich dumm gewesen, all ihre Hoffnung darauf zu setzen, dass Max Ransleigh sie kompromittieren würde. Tatsächlich hatte sie nicht einen Augenblick lang daran gezweifelt, dass er auf ihren Vorschlag eingehen und sie vor einer unerwünschten Ehe bewahren würde. Himmel, wie hatte sie nur so naiv sein können?

Ein wenig unwillig gestand sie sich ein, dass sie trotz aller Enttäuschung auch eine gewisse Erleichterung über seine Zurückweisung verspürt hatte. Lady Claringdon hatte ihn als charmant bezeichnet. Aber er hatte nicht nur Charme. Seine rasche Auffassungsgabe und sein Sinn für Humor hatten ihr sehr gefallen. Sein prüfender Blick allerdings hatte sie irgendwie beunruhigt. Fast war es, als hätte er sie berührt, so intensiv war sie sich seiner Nähe bewusst gewesen.

Als er sie fragte, ob sie wisse, was sie tun müsse, um kompromittiert zu werden, da hatte sie sich unwillkürlich vorgestellt, dass er sie an sich ziehen und küssen würde. Eine Vorstellung, die ihr auch jetzt wieder die Röte ins Gesicht trieb. In seiner Gegenwart hatte sie sich ganz und gar nicht so entspannt und selbstbewusst gefühlt wie in Harrys.

Vielleicht hatte sie deshalb in der vergangenen Nacht so schlecht geschlafen. Sie war aufgewühlt und verunsichert gewesen. Deshalb hatte sie alle Gentlemen vor ihrem inneren Auge vorbeiziehen lassen, die an Mrs. Ransleighs Hausparty teilnahmen. Aber nicht ein einziger schien als Alternative zu dem berüchtigten Rogue in Frage zu kommen.

Sicher, Mr. Alastair Ransleigh hatte einen noch schlechteren Ruf. Zweifellos würde sie als ruiniert gelten, wenn man sie allein mit ihm überraschte. Vielleicht sollte sie ihr Glück bei ihm versuchen. Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, ihn ausgerechnet im Haus seiner Mutter dazu zu bringen, sie zu kompromittieren.

Wenn die Saison begann, würde sie ihn vielleicht in London treffen und ihm ihren Vorschlag unterbreiten können. Das allerdings würde andere Probleme nach sich ziehen. Sie hatte Max Ransleigh versichert, dass ihr gesellschaftlicher Ruin sich kaum auf die Zukunft ihrer Stiefschwester auswirken würde. Das galt allerdings nur für den Fall, dass sie hier und jetzt kompromittiert wurde. In London würde alles anders sein. Auf keinen Fall durfte sie Lady Denbys Freundlichkeit damit vergelten, dass sie ihr und Eugenia schadete.

Also wandte sie ihre Gedanken wieder den Gentlemen zu, die sich in Barton Abbey aufhielten.

Wenn es ihr nicht gelang, einen von ihnen dazu zu bringen, ihr zu helfen, dann sah ihre Zukunft finster aus. Ein kalter Schauer überlief sie, als sie sich in Erinnerung rief, wie unglücklich sie während ihrer Saison in London gewesen war. Sie hatte es gehasst, an Bällen, Dinner-Gesellschaften, musikalischen Soireen und Kartenabenden teilzunehmen, wo sie sich von Männern umgeben sah, die es nur auf ihr Vermögen abgesehen hatten.

Es musste doch eine Möglichkeit geben, sich all das zu ersparen! Sollte sie vielleicht doch einen Brief an Harry schicken und ihn bitten, sich schriftlich mit ihr zu verloben? Würde Lady Denby etwas so Informelles als bindend betrachten?

Plötzlich wurde ihr bewusst, wie weit sie sich mit Sultan von den Stallungen entfernt hatte. Es war an der Zeit umzukehren. Abwechselnd im Schritt und im Trab reitend machte sie sich auf den Rückweg.

Max zwinkerte schläfrig, griff nach Angel und Fischkorb und folgte Alastair zum Fluss. Sein Cousin wollte unbedingt ein paar Forellen fürs Frühstück angeln. Deshalb hatte er ihn schon vor Sonnenaufgang geweckt.

In kameradschaftlichem Schweigen folgten sie dem Weg zum Fluss. Plötzlich blieb Alastair stehen.

„Bei Jupiter, siehst du das Pferd dort auf der Koppel? Ein schönerer Hengst ist mir seit einer halben Ewigkeit nicht untergekommen. Weißt du, wem das Tier gehört?“

Stirnrunzelnd beobachtete Max Pferd und Reiter, wobei er sich wunderte, dass es einem Stalljungen überhaupt erlaubt war, einen so wertvollen Hengst zu reiten. Allerdings schienen die beiden hervorragend aufeinander eingespielt zu sein.

„Ich habe keine Ahnung, wer der Besitzer sein könnte“, stellte er fest. „Aber du hast zweifellos recht. Es ist ein wunderschönes Tier!“

„Den Stalljungen kenne ich auch nicht“, bemerkte Alastair. „Wahrscheinlich gehört der Hengst einem von Mutters Gästen. Verständlich, dass er seinen eigenen Reitknecht mitgebracht hat. Ein so edles Tier würde ich auch keinem Fremden anvertrauen wollen. Offen gesagt, ärgert es mich manchmal, dass ich für Futter und Unterbringung fremder Pferde aufkommen muss. Aber in diesem Fall bin ich gern großzügig.“

„Ist es nicht eher deine Mutter, die sich großzügig benimmt, Alastair?“

„Hm, in gewisser Weise schon. Dennoch bin ich es, der sich um alle finanziellen Dinge kümmert. Natürlich gönne ich Mama und Jane die Freude, die ihnen diese Hausparty bereitet. Wenn sie nur einen anderen Zeitpunkt gewählt und weniger langweilige Gäste eingeladen hätten!“

Unwillkürlich musste Max lächeln, als er an eine gewisse junge Dame dachte, die zu den Gästen zählte, aber ganz gewiss nicht langweilig war. Wie absurd Miss Denby mit dieser hässlichen Brille ausgesehen hatte. Und dann das abscheuliche Kleid, das sie nur trug, um Mitgiftjäger abzuschrecken. Ihre so perfekt geformten Brüste fielen ihm ein – was eine unerwartet heftige Reaktion seines Körpers zur Folge hatte.

Verdammt, er durfte nicht vergessen, dass es ganz und gar unmöglich war, eine unschuldige Schönheit wie Miss Denby zu verführen! Entschlossen wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Pferd zu, das der Reitknecht jetzt in Richtung Stall lenkte.

„Ich würde mir den Hengst gern aus der Nähe ansehen“, erklärte Alastair. „Wenn wir da vorn nach rechts abbiegen, kürzen wir den Weg ab und müssten eigentlich gleichzeitig mit Pferd und Reiter bei den Stallungen eintreffen.“

Max nickte, und mit großen Schritten eilten sie zurück, durchquerten einen Hain und traten auf den Weg hinaus, als der Junge gerade vorbeiritt.

Erschrocken über ihr unerwartetes Auftauchen bäumte das Pferd sich auf. Ein unerfahrener Reiter wäre dadurch wohl in Schwierigkeiten geraten, doch der Bursche hatte das Tier sofort wieder unter Kontrolle.

„Ich wollte den Hengst nicht erschrecken“, sagte Alastair entschuldigend. „Wir haben ihn schon eine Weile beobachtet und sind fasziniert von seiner Schönheit.“

Auch Max war im Begriff, seine Bewunderung zum Ausdruck zu bringen. Doch als er den Reiter jetzt von Nahem sah, wollte er seinen Augen nicht trauen. Schockiert erkannte er, dass der Stallbursche gar kein Junge war – sondern Miss Denby!

Im gleichen Moment bemerkte auch Alastair, dass hier eine Frau im Herrensattel ritt. „Hölle und Teufel!“, entfuhr es ihm. „Ein Mädchen!“ Dann lüpfte er den Hut und verbeugte sich. „Guten Morgen, Miss. Sie besitzen ein wirklich wundervolles Pferd!“

Caroline ließ den Blick von Alastair zu Max wandern und erschrak. Erst in diesem Moment hatte sie ihn erkannt. Verflixt, man hatte sie erwischt, wie sie als Junge verkleidet ausritt! „Meine Stiefmutter wird bestimmt entsetzt und zornig sein“, murmelte sie. Eine äußerst unangenehme Situation. Doch daran ließ sich nun nichts mehr ändern. „Guten Morgen, Mr. Ransleigh“, grüßte sie Max.

Alastair hob die Brauen und warf seinem Cousin einen fragenden Blick zu. Offenbar erwartete er, dass Max ihm die junge Dame vorstellte. Das behagte ihm zwar nicht, aber er musste sich in das Unabwendbare fügen.

„Miss Denby, darf ich Sie mit meinem Cousin und unserem Gastgeber Mr. Alastair Ransleigh bekannt machen.“

Sie verzog das Gesicht. „Es wäre mir lieber, wenn Sie das nicht täten. Könnten wir nicht einfach so tun, als seien wir uns nicht begegnet? Ich war so sicher, in mein Zimmer zurückkehren zu können, ohne von irgendwem bemerkt zu werden.“

„Keine Sorge, Miss Denby“, beruhigte Max sie. „Dieses Treffen wird unser Geheimnis bleiben. Denn auch wir sollen und wollen nicht gesehen werden.“

Sie lächelte Alastair an. „Unter diesen Umständen ist es mir eine Freude, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Ransleigh.“

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, gab er zurück. Alastair hatte die Zeit genutzt, um die junge Dame eingehend zu mustern. Und was er sah, gefiel ihm.

Max, dem das nicht entgangen war, hätte seinem Cousin am liebsten einen Kinnhaken versetzt. Bis zu diesem Morgen hatte er geglaubt, nichts könne die weiblichen Formen einer Frau besser zur Geltung bringen als ein Seidenkleid, das die Figur betonte. Nun, er hatte sich getäuscht. Miss Denby hätte in einem modischen Kleid bestimmt bezaubernd ausgesehen. Doch in ihrer männlichen Verkleidung war sie geradezu unwiderstehlich.

Die Hose umschloss ihre Oberschenkel und die Hüften wie eine zweite Haut. Die Tweed-Jacke hatte sie nicht zugeknöpft. Und da sie kein Krawattentuch trug, konnte man deutlich ihren schlanken biegsamen Hals und noch ein wenig mehr bewundern. Am liebsten hätte er die Lippen auf ihre runden Brüste gepresst.

Er zwang sich, den Blick von all diesen verführerischen weiblichen Rundungen abzuwenden. Dabei bemerkte er, dass Miss Denby ein paar Strähnen ihres glänzenden langen Haars in die Stirn und auf die Schultern fielen. Zwar hatte sie die rotbraunen Locken unter dem Hut zu verbergen versucht, doch bei dem wilden Ritt mussten sich ein paar Haarnadeln gelöst haben.

Und nun, dachte er, sieht es fast so aus, als sei ihr Haar beim Liebesspiel zerzaust worden.

In Alastairs Augen glühte ein Feuer, das den Schluss nahelegte, dass er genau den gleichen Gedanken gehabt hatte.

Erneut regte sich in ihm der Wunsch, sich mit seinem Cousin zu prügeln. Verdammt, was war nur mit ihm los? Er konnte doch unmöglich Eifersucht empfinden!

„Ich danke Ihnen für Ihr Entgegenkommen“, ließ sich in diesem Moment Miss Denby vernehmen. „Jetzt allerdings sollte ich so schnell wie möglich ins Haus zurückkehren und mich umziehen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag, Gentlemen.“

„Warten Sie, Miss Denby“, bat Alastair. „Bitte! Als wir das Haus verließen, regte sich dort noch gar nichts. Sie brauchen sich also nicht zu beeilen. Und ich wüsste so gern mehr über Ihr Pferd. Sie trainieren es selbst, nicht wahr?“

Als ihr klar wurde, wie ernst Alastairs Bitte gemeint war und wie sehr er Sultan bewunderte, lächelte sie erfreut.

„Sultan ist jetzt vier Jahre alt“, sagte sie, „und ich setze die größten Erwartungen in ihn. Er stammt aus der Zucht meines Vaters. Bestimmt wäre er ein großartiges Jagd- oder Kavallerie-Pferd. Allerdings könnte ich mich nie von ihm trennen!“

„Ein Pferd aus der Zucht Ihres Vaters? Sprechen Sie hier von Sir Martin Denby, dem Besitzer des Denby-Gestüts?“, vergewisserte Alastair sich. Und als sie nickte, setzte er hinzu: „Dann wundert es mich nicht, dass Sultan so schnell und kräftig ist. Max, erinnerst du dich an die beiden Pferde, die Mannington von Sir Martin gekauft hat? Er hatte sie mitgebracht nach Spanien und ritt sie während des Krieges gegen Napoleon. Mutige, starke Tiere!“

„Lord Mannington?“ Nachdenklich krauste Caroline die Stirn. „Ach ja, jetzt fällt es mir ein. Er hat Aladin und Percival gekauft, ältere Halbbrüder von Sultan. Es freut mich zu hören, dass sie sich bewährt haben.“

„Mannington hat mehrfach betont, dass sie ihm mit ihrer Schnelligkeit und Ausdauer einige Male das Leben gerettet haben.“ Erneut musterte Alastair die junge Dame, wobei er ihrem Gesicht und besonders ihrem intelligenten Augenausdruck mehr Aufmerksamkeit schenkte als beim ersten Mal. „Sie wissen offenbar genau über alles Bescheid, was Ihr Vater getan hat.“

„Ich habe ihm geholfen, seit ich mein erstes Pony ritt“, gab sie mit unverkennbarem Stolz zurück. „Ich habe die Fohlen trainiert, die Zuchtbücher geführt und schriftlich festgehalten, welches Pferd zu welchem Preis an wen verkauft wurde. Papa wiederum hat sich meistens mit der Zucht selbst beschäftigt.“

„Ihr Vater muss Ihnen sehr fehlen“, meinte Alastair mitfühlend. „Darf ich Ihnen mein Beileid aussprechen.“

Einen Moment lang wurden ihre Augen dunkel vor Trauer.

„Auch für das Gestüt muss sein Tod ein großer Verlust sein“, fuhr Alastair fort. „Wer hat die Leitung dort übernommen?“

„Ich.“ Kampflustig hob sie das Kinn, so als erwarte sie eine abfällige Bemerkung. „Papa hat stets Wert darauf gelegt, mich in jeden Bereich einzuweihen. Das Denby Gestüt ist mein Leben. Aber …“, sie wies auf die Angeln, die die Männer trugen, „… ich möchte Sie nicht länger aufhalten, sonst beißen die Forellen womöglich nicht mehr.“

„Miss Denby.“ Max verbeugte sich.

Sie nickte ihm zu und ließ Sultan in Richtung Stall gehen. Über die Schulter fragte sie: „Ich kann mich auf Ihre Diskretion verlassen, Gentlemen?“

„Selbstverständlich!“, versprach Alastair.

„Danke.“

Gereizt stellte Max fest, dass sein Cousin die hübsche Kehrseite der Reiterin nicht aus den Augen ließ. Der Teufel sollte Alastair holen!

Miss Denby und Sultan verschwanden hinter dem Stallgebäude, und Alastair wandte sich Max zu. „Wie kommt es, dass du die schöne Miss Denby nie erwähnt hast?“, wollte er wissen. „Hast du noch mehr so interessante Geheimnisse? Ich dachte, du bist zutiefst deprimiert, weil du deine Stellung verloren hast. Doch stattdessen stellst du heimlich den Frauen nach und lernst tatsächlich ein so appetitliches kleines Ding wie unsere Reiterin kennen.“

Es kostete Max einige Mühe, nicht aufzubrausen. „Darf ich dich daran erinnern“, erklärte er steif, „dass das appetitliche kleine Ding zu den Gästen deiner Mutter gehört? Allein schon deshalb ist Miss Denby unerreichbar für jemanden wie mich oder dich. Da brauche ich dir wohl nicht auch noch ins Gedächtnis zu rufen, dass unerfahrene Frauen in der Regel weder deinem noch meinem Geschmack entsprechen.“

„Ist sie wirklich unerfahren?“, gab Alastair zweifelnd zurück. „Um Himmels willen, sie trägt Hosen und reitet im Herrensattel! Ich kann noch immer nicht fassen, dass ich nicht sofort bemerkt habe, dass der vermeintliche Stallbursche eine Frau war! Das beweist wieder einmal, dass man nur das sieht, was man zu sehen erwartet. Immerhin muss ich zugeben, dass sie eine exzellente Reiterin ist.“ Er lachte leise auf. „Ich hätte nichts dagegen, von ihr bestiegen zu werden und zu spüren, wie sie ihre wohlgeformten Beine um meine Hüften schlingt.“

Eine Woge des Zorns überrollte Max. „Hör auf damit“, schimpfte er. „Sie ist eine Dame, und du beleidigst sie.“

„Du hast es wohl selbst auf sie abgesehen?“ Alastair zeigte keinerlei Reue. „Wenn sie aller Welt ihren famosen Hintern zeigt, dann braucht sie sich nicht zu wundern, dass sie bei jedem heißblütigen Mann verbotene Wünsche weckt. Übrigens, ich sehe gerade, dass wir nicht die Einzigen sind, die sie bewundert haben.“ Er wies auf eine Gestalt in der Nähe der Koppel. „Da ist noch ein Mann, der anscheinend die Augen nicht von ihr lassen konnte.“

Max schaute in die angegebene Richtung. „Wer ist das?“ Er kniff die Augen zusammen.

„Woher soll ich das wissen? Vermutlich einer von Mutters Gästen. Einer dieser Dummköpfe, die nichts Besseres zu tun haben, als heiratsfähige junge Damen zu begutachten. Schwächlinge allesamt! Dandys! Wenn ich schon sehe, wie sie sich anziehen!“ Voller Verachtung schüttelte Alastair den Kopf. „Doch noch einmal zurück zu dem Mädchen … Bist du sicher, dass die Kleine noch unschuldig ist?“

„Vollkommen!“

„Kennst du sie etwa näher?“

Zu lügen wäre sinnlos gewesen. Also gab Max seinem Cousin eine verkürzte Version seines ersten Treffens mit Miss Denby. Den skandalösen Vorschlag, den sie ihm unterbreitet hatte, erwähnte er vorsichtshalber nicht.

Dennoch meinte Alastair: „Hölle und Teufel, was für ein Temperament! Sie würde eine wundervolle Geliebte abgeben.“ Als er sah, dass Max ihn erneut tadeln wollte, machte er eine beschwichtigende Geste. „Reg dich nicht unnötig auf. Ich habe begriffen, dass Miss Denby tabu ist. Es wird wohl stimmen, dass sie eine Dame ist. Was mich allerdings noch mehr darüber staunen lässt, dass sie Hosen trägt und im Herrensattel reitet.“

Max hob leicht die Brauen.

„Wenn ihre Stiefmutter sie wirklich verheiraten will, könnte das tatsächlich einige Probleme aufwerfen. Stell dir nur vor, wie die Klatschbasen reagieren, wenn sie von den Reitgewohnheiten der Kleinen erfahren. Obwohl … Also ich kann mir durchaus vorstellen, dass der eine oder andere Gentleman die Fesseln der Ehe gern auf sich nimmt, wenn das Denby-Gestüt dadurch zu seinem Eigentum wird.“

„Genau das befürchtet Miss Denby. Sie will nicht heiraten, weil sie dann riskiert, die Kontrolle über den Besitz zu verlieren.“

Alastair nickte. „Das kann ich sogar verstehen. Niemand würde die Führung eines so hervorragenden Gestüts jemandem überlassen wollen, der von der ganzen Materie keine Ahnung hat.“

„Ja, es muss schrecklich sein zu erleben, wie etwas, für das man jahrelang gearbeitet hat, von jemanden übernommen wird, der es nicht halb so gut macht wie man selbst. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie es wohl ist, zusehen zu müssen, wie das eigene Lebenswerk ruiniert wird, während man selbst keine Möglichkeit hat, das zu verhindern.“

Alastair warf ihm einen forschenden Blick zu. Vermutlich nimmt er an, ich spreche mehr von meinen eigenen Erfahrungen als von Miss Denbys Befürchtungen, überlegte Max. „Ich wünsche ihr auf jeden Fall alles Gute. Sie ist ein merkwürdiges Mädchen, so viel steht fest. Trotzdem ist sie zweifellos attraktiv. Ihr Mut beeindruckt mich, obwohl ich denke, dass er die meisten Gentlemen eher irritieren und erzürnen würde. Aber einige von ihnen würden wohl tatsächlich darüber hinwegsehen, um das Gestüt an sich zu bringen. Und nun …“, kopfschüttelnd betrachtete er die Angel, „… sollten wir und beeilen, sonst fangen wir nichts mehr.“

Max war stehen geblieben, um den Mann zu mustern, der – genau wie sie – Miss Denby und Sultan beobachtet hatte und der jetzt anscheinend zum Herrenhaus zurückkehren wollte. Irgendetwas an dem Unbekannten gefiel ihm nicht.

5. KAPITEL

Sehr zufrieden mit ihrem Angelerfolg baten Max und Alastair die Köchin, ihnen zwei der gefangenen Forellen zum Frühstück zu braten.

Nachdem sie die Küche verlassen hatten, begab Alastair sich auf sein Zimmer, um sich umzukleiden. Max jedoch blieb vor der Tür zu den Räumlichkeiten seiner Tante stehen.

Während er schweigend neben seinem Cousin am Flussufer gesessen hatte, war ihm die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gegangen, wie unglücklich Miss Denby sein musste. Nein, das war nicht ganz richtig. Eigentlich hatte er nicht vergessen können, wie hübsch und temperamentvoll sie war. Es fiel ihm schwer, nicht an ihr ansteckendes Lachen, ihre runden Brüste und ihre entzückende Kehrseite zu denken. Aber er hatte sich gezwungen, über ihre schwierige Situation und auch über den Mann nachzugrübeln, der sie offenbar beobachtet hatte.

Um ihr zu helfen, war ihm nichts anderes eingefallen, als bei seiner Tante ein paar Informationen einzuholen. Denn obwohl es ihm seltsam vorkam, konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, etwas unternehmen zu müssen. Sollte Tante Grace ihm versichern, dass zu ihren Gästen nur die ehrenwertesten Gentlemen gehörten, dann brauchte er sich keine weiteren Sorgen um Miss Denby zu machen.

Er klopfte und wurde sofort hereingebeten.

„Max, welch angenehme Überraschung!“ Grace Ransleighs Gesicht drückte Erstaunen, Neugier und echte Freude aus. „Trinkst du eine Tasse Schokolade mit mir? Oder soll ich einen Kaffee für dich bringen lassen? Ich habe gehört, dass viele Offiziere nach dem langen Aufenthalt auf dem Kontinent lieber Kaffee als Tee trinken. Und da ich bisher eine so schlechte Gastgeberin war …“

„Unsinn!“, unterbrach Max sie. „Ich will dich nicht lange aufhalten und möchte nichts trinken. Ja, ich werde mich nicht einmal setzen, denn ich war mit Alastair zum Angeln am Fluss und bin noch nicht dazu gekommen, mich umzuziehen.“

Sie hob die Augenbrauen. „Ich bin euch beiden sehr dankbar dafür, dass ihr euch von meinen anderen Gästen fernhaltet. Du weißt, wie gern ich euch bitten würde, an den gemeinsamen Mahlzeiten oder an unseren Unternehmungen teilzunehmen. Aber das ist leider ganz unmöglich. Sag, musstest du die Hoffnung, einen neuen Posten im diplomatischen Dienst zu finden, wirklich aufgeben?“

„Vorerst ja. Ich habe allerdings ein paar Ideen für die Zukunft, doch es wäre sinnlos, sie in die Tat umsetzen zu wollen, solange Vater so verärgert ist. Er könnte jeden meiner Pläne zunichtemachen, wenn er das nur will.“

„Allerdings! Das ist typisch James“, meinte sie mitfühlend. „Er ist ein brillanter Redner und ein fähiger Politiker, aber seine Qualitäten als Vater waren noch nie überragend. Wenn er nur nicht so dickköpfig wäre! Manchmal würde ich ihn am liebsten durchschütteln.“

Das Mitgefühl seiner Tante tat ihm gut. Doch eigentlich hatte er sie ja aufgesucht, weil er etwas anderes mit ihr besprechen wollte. „Lass uns nicht über mich und meine Probleme reden“, meinte er. „Erzähl mir lieber, ob du mit dem Verlauf deiner Hausparty zufrieden bist. Ich weiß, dass es Jane hauptsächlich darum geht, ein paar Ehen zu stiften. Hat sie Erfolg gehabt? Und vor allem: Hat Lissa ihren Traummann gefunden?“

„Lissa amüsiert sich köstlich. Und mehr wollen wir auch gar nicht. Ich jedenfalls möchte nicht, dass sie so jung heiratet. Was die anderen Gäste betrifft, so scheint es da ein paar vielversprechende Entwicklungen zu geben.“

Um einen unverfänglichen Ton bemüht, berichtete Max, dass er zufällig eine der jungen Damen kennengelernt hatte. Und da er sah, wie erschrocken seine Tante dreinblickte, versicherte er ihr rasch, dass nichts Skandalöses geschehen war. „Sie stürzte gestern Nachmittag ins Gewächshaus, wohin ich mich zum Lesen zurückgezogen hatte. Vermutlich wollte sie ein Zusammentreffen mit einem ihrer Verehrer vermeiden. Eine äußerst ungewöhnliche junge Dame in einem abscheulichen Kleid!“

„Das kann nur Caroline Denby gewesen sein“, rief Grace Ransleigh lachend aus. „Ihre Stiefmutter ist der Verzweiflung nahe, weil das Mädchen absolut nicht heiraten will. Miss Denby ist übrigens älter, als du zu glauben scheinst.“

Wenn man ihn gefragt hätte, was ihm an Miss Denby aufgefallen war, dann hätte er gewiss nicht an ihr Alter gedacht. Sogleich fielen ihm ein paar ganz andere Eigenschaften ein, die für sie typisch zu sein schienen. Doch er sagte nur: „Wie alt ist sie denn?“

„Miss Denby ist fünfundzwanzig.“ Grace Ransleigh seufzte. „Trotzdem hat Lady Denby die Hoffnung, einen Gatten für ihre Stieftochter zu finden, noch nicht aufgegeben. Immerhin ist Caroline eine reiche Erbin.“

„Fünfundzwanzig? Mein Gott, eine Greisin!“

„Eine alte Jungfer“, korrigierte seine Tante ihn. „Es ist sehr ungewöhnlich, dass eine junge Dame aus gutem Haus mit Mitte zwanzig noch ledig ist. Man sollte also annehmen, dass sie alles tun würde, um einen Ehemann zu finden. Aber offenbar will sie gar nicht heiraten. Komisch, denn eigentlich erscheint sie mir recht intelligent. Allerdings ist sie ziemlich schüchtern, und wenn man nicht gerade über Pferde redet, bringt sie kaum ein Wort über die Lippen. Erschwerend kommt hinzu … Du weißt, dass ich nicht gern schlecht über meine Gäste rede, aber ich kann es nicht anders sagen. Erschwerend kommt hinzu, dass sie keine Ahnung von Mode und einen erschreckend schlechten Geschmack hat. Ihr abscheuliches Kleid ist ja auch dir gleich aufgefallen.“

„Ja“, gab er zu. Aber meine Aufmerksamkeit galt mehr dem tiefen Ausschnitt als dem überladenen Stil. „Dann gibt es also niemanden, der ihr den Hof macht?“

„Ich hatte gehofft, sie und Lord Stantson würden sich gut verstehen. Er interessiert sich genau wie sie für Pferde. Und da er nicht mehr ganz jung und ein echter Gentleman mit einem ruhigen Wesen ist, dachte ich, sie würde sich vielleicht zu ihm hingezogen fühlen.“

Max runzelte die Stirn.

„Es gibt genug Mädchen, denen die jungen Draufgänger zu wild und unzuverlässig sind und die es deshalb vorziehen, einen reifen Mann zu ehelichen.“

„Hm …“

„Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber ich denke, dass auch Mr. Henshaw sich um sie bemüht. Allerdings hat sie bisher keinen der beiden ermutigt.“

Henshaw, das musste der Mann sein, der Miss Denby beobachtet hatte! Max kannte ihn nicht sehr gut, aber nun, da er den Namen gehört hatte, erinnerte er sich an ihn.

„Diana Denby ist fest entschlossen, das Mädchen unter die Haube zu bringen, ehe ihre eigene Tochter Eugenia im nächsten Frühjahr in die Gesellschaft eingeführt wird. Eugenia Whitman ist fast genauso reich wie Miss Denby und dazu viel jünger, hübscher und wortgewandter. Sie verfügt über all jene weiblichen Tugenden, an denen den Gentlemen so viel liegt. Sollten die Stiefschwestern gemeinsam eine Saison in London erleben, so würde das die Chancen der älteren sehr schmälern.“ Grace Ransleigh stieß einen tiefen Seufzer aus.

Da Max fand, dass Caroline Denby keineswegs unattraktiv war, hätte er am liebsten widersprochen. Doch er wusste ja, wie viel Mühe die junge Dame darauf verwandte, genau den schlechten Eindruck zu vermitteln, den seine Tante von ihr gewonnen hatte.

„Warum will Lady Denby das Mädchen denn unbedingt verheiraten, wenn es doch so gar nicht zur Ehefrau geeignet ist und zudem nicht heiraten will? Warum sollte Miss Denby nicht zurückgezogen auf dem Gestüt leben und sich um die Pferde kümmern?“

„Jede junge Dame muss irgendwann heiraten. Was sonst sollte sie tun? Außerdem ist Miss Denby wirklich sehr reich.“

„Das erklärt zumindest, warum Männer ihr nachstellen, die sie nicht im Geringsten dazu ermutigt.“ Einen Moment lang hatte Max gehofft, Miss Denbys Problem sei nicht so schwerwiegend, wie er befürchtet hatte. Doch da gab es noch etwas, das ihn beunruhigte.

Seine beruflichen Verpflichtungen hatten ihn daran gehindert, sich in den letzten Jahren häufig in London aufzuhalten. Aber jetzt fiel ihm ein, dass er Henshaw nicht nur hin und wieder gesehen, sondern auch einiges über ihn gehört hatte. War in den Clubs nicht die Rede davon gewesen, dass er hoch verschuldet war und eine reiche Gattin suchte?

„Ist Henshaw ein Mitgiftjäger?“, erkundigte er sich.

Grace Ransleigh errötete. „Das zu behaupten wäre sehr unhöflich. Er entstammt einer alten Familie und ist ein Ehrenmann. Es stimmt allerdings, dass er gern eine Erbin heiraten würde – genau wie viele andere Gentlemen auch.“

Er ist also ein Mitgiftjäger, dachte Max. „Gibt es unter deinen Gästen sonst noch jemanden, der die Angel nach Miss Denby ausgeworfen hat?“

Diese Frage erregte die Aufmerksamkeit seiner Tante. Prüfend musterte sie ihn. „Du interessierst dich für sie?“

„Sieht sie aus wie eine junge Dame, die mein Interesse wecken könnte?“ Er schämte sich, weil er in herablassendem Ton über die faszinierendste junge Frau sprach, die ihm in letzter Zeit begegnet war. Aber was blieb ihm anderes übrig?

Zum Glück wusste Grace Ransleigh, dass er in der Vergangenheit ausnahmslos mit jungen Schönheiten geflirtet hatte. Das hoffnungsvolle Leuchten in ihren Augen erlosch. „Nein“, murmelte sie.

„Ich fand sie allerdings erfrischend unkonventionell.“

„Oh ja, das ist sie. Arme Diana! Sie tut mir wirklich leid, weil das Mädchen ihr solche Schwierigkeiten bereitet.“

Da er nun alles, was ihn interessierte, erfahren hatte, beschloss Max, sich zu verabschieden. Womöglich kam seine Tante sonst noch auf die Idee, ihm eine Braut zu suchen. „Mein Frühstück müsste inzwischen fertig sein“, erklärte er. „Und ich gestehe, dass ich recht hungrig bin.“

„Lasst euch die Forellen schmecken. Es war nett, mit dir zu reden. Und ich hoffe sehr, dass du lange genug bleibst, um mir ein wenig mehr von deiner Zeit zu widmen, sobald die Gäste abgereist sind. Und Lissa und Jane freuen sich ebenfalls darauf, sich endlich ausführlich mit dir unterhalten zu können.“

„Das würde mir auch gefallen.“

„Dann bis bald, mein Lieber. Ich wünsche dir einen schönen Tag.“

Max zog ihre Hand an die Lippen und hauchte einen Kuss darauf. „Viel Spaß mit deinen Gästen!“ Damit verabschiedete er sich und begab sich in den Raum, den Alastair zu seinem Privatsalon erkoren hatte. Unterwegs dachte er über all das nach, was er soeben erfahren hatte.

Es gab also zwei Gentlemen, die an Miss Denby interessiert waren: Stantson und Henshaw. Seine Tante schien davon überzeugt zu sein, dass es sich um Ehrenmänner handelte. Und das bedeutete, dass er sich keine Sorgen um Miss Denby machen musste. Vorsichtshalber würde er Alastair noch fragen, was er über die beiden wusste. Wenn auch sein Cousin nichts Nachteiliges über sie zu berichten hatte, dann bestand wohl keine Gefahr für die junge Dame.

Max fand es ein wenig verwirrend, dass Caroline Denby eine solche Faszination auf ihn ausübte. Im Allgemeinen bevorzugte er tatsächlich Frauen, die ganz anders waren als sie. Dennoch hatte er nicht die Wahrheit gesagt, als er seiner Tante versicherte, er habe kein Interesse an Miss Denby. Tatsächlich bedauerte er, dass er sie vermutlich nicht wiedersehen würde. Im Gegensatz zu all den anderen jungen Damen in Barton Abbey war sie überhaupt nicht langweilig.

Einige Tage später saß Max wieder mit einem Buch im Gewächshaus. Alastair hatte sich mit dem Gutsverwalter in dessen Haus verabredet. Somit blieb er sich selbst überlassen.

Am Abend zuvor hatte sein Cousin ihm mitgeteilt, dass er einen Brief aus London erhalten hatte. Darin hatte unter anderem gestanden, dass der Colonel, der Max’ früheres Regiment geführt hatte, von Paris nach England zurückgekehrt war. Alastair hatte vorgeschlagen, sich bei dem Colonel nach einer Offiziersstelle in der Armee zu erkundigen. Max hatte beschlossen, diesen Rat zu befolgen. Seitdem verspürte er endlich wieder ein wenig Hoffnung in Bezug auf seine Zukunft.

Entspannt schlug er sein Buch auf und vertiefte sich in den Inhalt. Erst als ihm ein Hauch von Lavendel in die Nase stieg, schaute er auf. Im gleichen Moment hörte er, wie jemand ein leises „Oh“ ausstieß.

Nicht weit von ihm entfernt stand Miss Denby.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Erscheinen ihn so freuen würde.

Sie allerdings schien seine Freude nicht zu teilen. Sie ging ein paar Schritte rückwärts und meinte: „Verzeihen Sie, Mr. Ransleigh, ich wollte Sie nicht stören.“

„Dann sind Sie nicht hier, weil Sie nach mir gesucht haben?“, neckte er sie.

„Keineswegs! Ihre Cousine Lissa, die sich mit meiner Stiefschwester Eugenia angefreundet hat, erwähnte, dass Sie und Alastair heute gar nicht hier sein würden.“

„Sie wollten also wirklich nicht zu mir?“ Er setzte eine betrübte Miene auf. „Das versetzt meinem Selbstbewusstsein einen herben Schlag.“

Im ersten Moment sah sie verwirrt drein, doch dann begriff sie, dass er sie nur neckte. „Ich bin ziemlich sicher, dass Ihr Selbstbewusstsein diesen Rückschlag recht gut verkraftet. Aber wie ich schon sagte: Ich möchte Sie bei Ihrer Lektüre nicht stören. Deshalb werde ich mich sofort zurückziehen.“

Das war natürlich klug. Doch es gefiel ihm nicht. „Da Sie mich nun einmal beim Lesen unterbrochen haben, können Sie ruhig einen Moment bleiben, Miss Denby.“

Sie hob die Brauen. „Sie möchten ein wenig mit mir plaudern, damit wir ein weiteres kleines Geheimnis miteinander teilen?“

Er lachte. Wie schön, dass sie ihn ebenfalls neckte! „Setzen Sie sich ein paar Minuten zu mir!“ Einladend wies er auf den Platz neben sich – und stellte überrascht fest, dass er tatsächlich den Atem anhielt, so gespannt war er auf ihre Antwort. Es wurde ihm auch bewusst, wie sehr sein Puls sich bei ihrem Anblick beschleunigt hatte. Und sogar andere Teile seines Körpers reagierten auf ihre Anwesenheit. Gewiss wäre es vernünftiger gewesen, sich von ihr fernzuhalten. Aber er verspürte nicht die geringste Lust, sich vernünftig zu benehmen.

Er hörte, wie ihre Röcke raschelten, als sie sich zu ihm setzte. Bedauernd stellte er fest, dass sie wieder eines ihrer hässlichen Kleider trug. Und diesmal hatte sie nicht vergessen, ihre wundervollen Brüste unter einer Stola zu verstecken.

Nun, immerhin konnte er sich an ihrem Gesicht mit den fein geschwungenen Lippen und den warm blickenden Augen erfreuen.

Während er sie noch fasziniert musterte, hob sie den Blick. Ihre Augen verdunkelten sich. Und ihm war, als würde er in diesen Tiefen versinken.

Rede mit ihr, sonst geht sie wieder, schalt er sich selbst. Doch stattdessen beugte er sich ein wenig zu ihr hinüber und fragte sich, wonach ihre Lippen wohl schmecken würden. Bei Jupiter, warum übte diese junge Frau, die nicht einmal besonders schön war, eine so starke Anziehungskraft auf ihn aus?

„Sind Sie Ihrem Ziel ein wenig näher gekommen?“, erkundigte er sich.

Sie gab einen kleinen enttäuschten Laut von sich, wobei sie die Lippen zu einem O formte.

Wie gern hätte er sie geküsst!

„Ich fürchte, nein“, erklärte Caroline. „Wie zu erwarten war, kommt keiner der Männer – ich spreche von den offiziellen Gästen Ihrer Tante – in Frage.“ Ihre Augen blitzten schelmisch auf. „Bei ihnen handelt es sich ausnahmslos um Gentlemen. Um sicher zu gehen, habe ich jeden von ihnen noch einmal einer Überprüfung unterzogen. Einige umwerben offensichtlich die eine oder andere junge Dame. Zwei sind an mir interessiert. Sie würden kaum Nein sagen, wenn sie die Chance bekämen, mich zu kompromittieren, aber sie würden auch darauf bestehen, mich zu heiraten. Ich werde also weitersuchen müssen.“

Sie krauste die Stirn. „Vielleicht wäre es einfacher, wenn Lady Melross nicht ebenfalls zu den Gästen zählte. Ich persönlich hege ja den Verdacht, dass Lady Claringdon darauf gedrängt hat, dass die alte Klatschbase eingeladen wird. Denn so ist sichergestellt, dass jeder Gentleman, der in einer auch nur annähernd kompromittierenden Situation mit einer jungen Dame überrascht wird, gezwungen ist, ihr einen Antrag zu machen. Es sei denn, er würde keinen Wert darauf legen, als Ehrenmann zu gelten.“ Sie seufzte. „Ich wünschte, einer von ihnen wäre unmoralisch genug, mich zu ruinieren.“

„Lady Melross genießt es, schlecht über andere zu reden“, stimmte Max ihr zu. Er verabscheute die Dame, denn sie war eine der Ersten gewesen, die das Gerücht über das Ende seiner Karriere in die Welt hinausposaunt hatte. Auch von dem Streit mit seinem Vater hatte sie irgendwie erfahren. Und natürlich hatte sie nicht gezögert, all ihren Freundinnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit davon zu erzählen. Er wusste, dass es für sie nichts Schöneres gab als schlechte Nachrichten. Dennoch hatte er den Eindruck gewonnen, dass sie es besonders auf ihn abgesehen hatte.

Miss Denby trommelte gedankenverloren mit den Fingern auf der Bank. „Ich wünschte, ich könnte mein Pferd heiraten. Sultan ist – Anwesende ausgeschlossen – das interessanteste männliche Wesen weit und breit. Und er würde es auch bleiben, selbst wenn man ihn … äh … seiner männlichen Werkzeuge beraubte.“

Max brach in lautes Lachen aus. „Sie sagen wirklich die merkwürdigsten Dinge!“, stieß er schließlich atemlos hervor. „Eine Dame …“ Er konnte nicht weitersprechen, weil ihn ein neuer Lachanfall schüttelte.

„Eine echte Dame würde so etwas natürlich nicht einmal denken“, vollendete Miss Denby seinen Satz. „Nun, ich bin eben keine. Und es wäre schön, wenn ich alle heiratswütigen Gentlemen davon überzeugen könnte. Schließlich könnte ich nie eine gute Ehefrau abgeben.“

Da er um die erregende Weiblichkeit ihres Körpers wusste, vermochte Max ihre Einschätzung nicht zu teilen. Es gab Bereiche des Ehelebens, für die Miss Denby zweifellos hervorragend geeignet war. Doch darüber durfte er jetzt nicht nachdenken. Schließlich würde es fatale Folgen haben, wenn er die Selbstbeherrschung verlöre. Also wechselte er rasch das Thema. „Trainieren Sie Sultan nach wie vor jeden Morgen?“

„Ja.“

„Im Herrensattel?“ Er rief sich ihre entzückende Kehrseite in Erinnerung, die die Männerhose so vorteilhaft zur Geltung gebracht hatte.

„Nein, ich habe mich von Hose und Reitstiefeln verabschiedet, nachdem das Zusammentreffen mit Ihnen und Ihrem Cousin mir so deutlich gezeigt hat, dass ich vorsichtiger sein muss. Ich reite zwar recht früh aus, aber nicht immer gelingt es mir, alle Begegnungen zu vermeiden. Lord Stantson hat mich kürzlich gefragt, ob er mich bei meinen Ausritten begleiten dürfe. Zum Glück hat er mein Nein klaglos akzeptiert. Er ist ein echter Gentleman. Doch ich weiß, dass er Mrs. Ransleighs Einladung hauptsächlich deshalb angenommen hat, weil er sich nach dem Tod seiner ersten Frau gern wieder verheiraten möchte. Da ich nicht seine Gattin werden will, liegt es mir fern, ihn zu ermutigen.“

Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck des Abscheus an, als sie fortfuhr: „Mr. Henshaw hingegen lässt sich einfach nicht entmutigen. Ich habe ihm deutlich gesagt, dass ich es vorziehe, allein zu reiten. Trotzdem hat er gestern und vorgestern bei den Stallungen auf mich gewartet. Wie soll ich Sultan trainieren, wenn wir ständig bei der Arbeit gestört werden?“

Sie senkte den Blick. „Obwohl es an meinem Reitkostüm absolut nichts auszusetzen gibt – vielleicht mit Ausnahme der Farbe, die mir nicht steht –, starrt Henshaw mich ständig an. Ich gestehe, dass er mir manchmal regelrecht Angst macht. Er sieht mich an, als wolle er mich verschlingen.“

Max runzelte die Stirn. An den letzten Tagen hatte sie, wie sie betonte, ein konventionelles Reitkostüm getragen, aber Henshaw hatte sie mindestens ein Mal auch in Hosen gesehen. War er ihr an jenem Morgen nahe genug gekommen, um ihre Reize deutlich zu erkennen? War er genauso fasziniert wie Alastair und ich, fragte sich Max.

Wenn dem so war, dann brauchte sich niemand zu wundern, dass Henshaw die junge Dame anschaute, als wollte er sie verschlingen. Das änderte aber nichts daran, dass er den aufdringlichen Dandy am liebsten zusammengeschlagen hätte. Wie konnte Henshaw es wagen, sich über Caroline Denbys Wünsche hinwegzusetzen und sie zu ängstigen!

„Er ließ sich nicht davon abbringen, die ganze Zeit an meiner Seite zu bleiben, obwohl es doch offensichtlich war, dass ich mit Sultan arbeiten wollte“, berichtete Miss Denby. „Und er ist nicht einmal ein guter Reiter! Sein Pferd tut mir jedes Mal leid, wenn ich sehe, wie er an den Zügeln zerrt. Heute bin ich noch früher als sonst ausgeritten, nur um ihm nicht zu begegnen.“

„Über seine Fähigkeiten als Reiter kann ich mir kein Urteil erlauben“, meinte Max. „Im Sattel habe ich ihn nie gesehen. Aber ich vermute, dass er seinen Schneider reich macht. Er kleidet sich so … auffällig.“

„Da haben Sie recht“, stimmte Caroline lachend zu. „Er weiß so gut über die neueste Mode Bescheid, dass er sich eigentlich schämen müsste, auch nur mit mir gesehen zu werden. Ich wünschte, ich wüsste, wie ich ihn davon abbringen kann, mir nachzustellen.“ Sie sah Max an, so als wolle sie sich vergewissern, dass er Henshaws dandyhafte Kleidung ebenso lächerlich fand wie sie.

Er nickte, doch seine Gedanken waren in eine ganz andere Richtung gewandert als ihre. Miss Denbys Lavendelduft umhüllte ihn wie ein Schal aus feinster Seide. Beinahe unwiderstehlich fühlte er sich zu ihr hingezogen. Er wollte an ihrem Ohrläppchen knabbern, ihren Nacken küssen und mit der Zunge ihre Haut schmecken. Ein so heftiges Verlangen nach ihr überfiel ihn, dass sein Blut zu kochen schien.

„Also“, sagte sie jetzt ein wenig atemlos, „ich sollte wohl besser gehen, ehe uns jemand zusammen sieht. Es sei denn …“ Nervös strich sie sich eine Locke aus der Stirn, und ihre Stimme begann zu zittern. „Es sei denn, Sie wären bezüglich meines Vorschlags inzwischen zu einer anderen Entscheidung gelangt.“

Sie beugte sich leicht nach vorn, und der Schal, den sie über die Schultern geworfen hatte, verrutschte, sodass Max den Ausschnitt des hässlichen erbsengrünen Kleides zu sehen bekam. Miss Denbys wundervolle Brüste hoben und senkten sich in raschem Rhythmus.

Oh mein Gott! Zumindest mein Körper wünscht, dass ich meine Entscheidung ändere!

Es fiel ihm unsagbar schwer, vernünftig zu sein. Sein Herz raste. Seine Sinne standen in Flammen. Er verspürte ein überwältigendes Verlangen, Caroline Denby zu küssen, ihren Mund zu erforschen, ihre Brüste zu umschließen und jede Stelle ihres warmen weichen Körpers zu streicheln.

Max hob den Blick zu ihren Augen, deren goldener Schimmer ihn zu magnetisieren schien. Einen Moment lang hielt er den Atem an. Die Versuchung war wirklich zu groß.

Doch nein! Noch hatte er den Kampf nicht aufgegeben. Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen, ehe sein Verstand den Sieg über dieses nie gekannte Verlangen davontrug. Seine Stimme klang heiser, als er sagte: „Ein überaus verführerischer Vorschlag. Doch leider muss ich ihn auch heute ablehnen.“

Er wollte sich erheben, sich mit einer Verbeugung verabschieden und das Gewächshaus verlassen. Aber dazu war er nicht in der Lage.

Auch Caroline rührte sich nicht. Sie studierte sein Gesicht. Sie fühlte diese unerklärlich starke Anziehungskraft und diese beinahe greifbare Spannung zwischen ihnen.

Es war ihr schwergefallen, ihren Vorschlag zu wiederholen, und sie hatte sich ihrer Worte ein wenig geschämt. Nun jedoch beugte sie sich, wie von einer unsichtbaren Macht gedrängt, zu Max hinüber, bis ihr Mund den seinen fast berührte.

Er zwang sich, reglos sitzen zu bleiben, obwohl er sich mit jeder Faser seines Körpers danach sehnte, seine Lippen auf die ihren zu pressen. Die Stimme der Vernunft war schwach, aber doch nicht so schwach, dass er sie hätte ignorieren können. Sei kein Dummkopf und benimm dich nicht wie ein ehrloser Mann, flüsterte sie, geh fort, solange du dazu noch in der Lage bist.

Max versuchte es. Doch seine Kraft reichte nur aus, nichts zu tun, was er hätte bereuen müssen. Aber voller Ungeduld wartete er darauf, dass Miss Denby ihn zuerst küssen würde.

Ihre Augenlider flatterten und schlossen sich dann. Ihr warmer Atem strich über sein Gesicht, ein kleiner Vorgeschmack auf größere herrlichere Vergnügungen. Begierde flammte in ihm auf. Jetzt, schrie sein Körper, jetzt!

Doch statt ihn zu berühren, straffte Miss Denby die Schultern. „Ich muss gehen.“

Max schüttelte den Kopf. Nicht als Zeichen der Verneinung – Miss Denby hatte ja recht –, sondern um sich von dem überwältigenden Wunsch zu befreien, sie zurückzuhalten. Er war erfahren genug, um genau zu wissen, wie er sie dazu bringen konnte, bei ihm zu bleiben. Aber er wusste auch, dass er das nicht tun durfte.

„Zu gehen wäre das Klügste, wenn auch nicht das Angenehmste“, murmelte er.

„Ja, das Klügste“, wiederholte sie und stand auf. „Danke, dass Sie mir Ihre Zeit geschenkt haben. Auf Wiedersehen, Mr. Ransleigh.“

Jetzt erhob auch er sich. „Auf Wiedersehen, Miss Denby.“ Er deutete eine Verbeugung an.

Schweigend sah er ihr nach, während sie zum Ausgang ging. Sein Körper protestierte. Es fiel ihm unsagbar schwer, ihr nicht zu folgen, um sie dann festzuhalten, an sich zu ziehen und zu küssen.

In diesem Moment drehte sie sich noch einmal um. „Sie haben mich tatsächlich in Versuchung geführt“, stellte sie erstaunt fest.

Worte, die ihn stolz machten und ihn in seiner Männlichkeit bestärkten! Er wollte etwas erwidern, aber da hatte sie die Tür schon erreicht und schlüpfte hinaus.

Zu spät beschloss er, ihr doch noch nachzugehen. Als er aus dem Gewächshaus lief, näherte sich Miss Denby bereits dem Wohnhaus.

Das genügte, um ihn zur Vernunft zu bringen.

Bei Jupiter, wenn ihre Nähe ihn so aus dem Gleichgewicht brachte, dann war es wohl besser, ihr künftig aus dem Weg zu gehen. Sonst stand er noch, ehe er sich versah, als Bräutigam vor dem Altar. Ausgerechnet er, der er sich immer etwas auf seine Selbstbeherrschung und seine Klugheit im Umgang mit Frauen eingebildet hatte …

Er sah ihr nach. Dann, kurz ehe sie ins Haus trat, tauchte auf einmal noch eine zweite Person auf.

Henshaw!

Max knirschte mit den Zähnen. Misstrauisch beobachtete er, was geschah.

Henshaw verbeugte sich, woraufhin Miss Denby einen Knicks andeutete. Er bot ihr den Arm an, was sie mit einem Kopfschütteln ablehnte. Mit einer knappen Geste wies sie zu den Stallungen hin. Henshaw zuckte die Schultern und bot ihr zum zweiten Mal seinen Arm an. Sie erklärte etwas und endlich schien Henshaw ihr Nein zu akzeptieren. Dennoch begleitete er sie.

Max kehrte zurück, um sein Buch zu holen, und machte sich dann auf den Weg ins Haus. Unterwegs traf er auf Alastair, der von den Ställen kam.

„Ich glaube“, sagte Alastair, „ich habe eben den Mann gesehen, der Miss Denby an jenem Morgen beobachtet hat.“

„Ja“, bestätigte Max, „es ist David Henshaw. Ich nehme an, du kennst ihn.“

„Ja, flüchtig. Ich habe ihn hin und wieder in meinem Club in London gesehen. Ich erinnere mich, dass er sich stets schrecklich herausputzt. Ob sein Schneider ihm nie geraten hat, etwas mehr Zurückhaltung an den Tag zu legen? Seltsam, dass ausgerechnet er die unkonventionelle Miss Denby umwirbt, die am liebsten Männerkleidung trägt.“

„Sie ist von diesem Verehrer ganz und gar nicht begeistert.“

„Ah, du hast dich mit ihr unterhalten? Denkst du etwa darüber nach, ihr selbst den Hof zu machen?“

Max warf Alastair einen vernichtenden Blick zu. „Sieht sie aus wie eine Frau, der ich gern den Hof machen würde?“ Er schämte sich, weil er davon ablenken wollte, wie attraktiv und faszinierend er Caroline Denby fand. Wie schrecklich, wenn seine Tante auf die Idee käme, er und Miss Denby würden gut zusammenpassen. Womöglich würde sie auf eine Verlobung drängen. Undenkbar! Auch wenn er eben noch davon geträumt hatte, sie zu verführen …

„Ich gebe zu, dass sie anders ist als die Frauen, die du üblicherweise bevorzugst. Trotzdem … Findest du nicht, dass sie das gewisse Etwas hat? Auf ungewöhnliche Art ist sie sehr erregend, nicht wahr? Schade, dass sie eine ehrbare kleine Jungfrau ist. Wer sie besitzen will, muss sie heiraten.“

„Das weiß ich selbst“, murmelte Max, der noch immer nicht fassen konnte, wie schwer es gewesen war, der Versuchung zu widerstehen.

„So betrachtet, wundert es mich nicht, dass Henshaw ein Auge auf sie geworfen hat, zumal sie recht vermögend sein soll“, fuhr Alastair fort. „Ich habe gehört, er sei inzwischen so verschuldet, dass er sich nicht nach Hause traut, weil dort die Gläubiger auf ihn warten. Wenn er nicht im Schuldturm landen will, muss er sich eine Gattin mit viel Geld suchen – und das möglichst schnell!“

In der Vergangenheit hatte Max kaum je darüber nachgedacht, dass ein Ehemann nach Lust und Laune über das Vermögen seiner Frau verfügen konnte. Erst sein Gespräch mit Miss Denby hatte ihm diese Tatsache zu Bewusstsein gebracht. Seitdem war er zu der Überzeugung gekommen, das sei ziemlich ungerecht. „Es erscheint mir nicht fair, dass jemand sich erst durch eigenes Verschulden in finanzielle Schwierigkeiten bringt und dann das Geld einer Frau nutzt, um den Folgen seines Tuns zu entgehen.“

„Aber genau das passiert ständig“, meinte Alastair mit einem Schulterzucken.

Dass Männer so etwas dauernd machen, ist keine Entschuldigung, fand Max. Und laut fragte er: „Weiß Tante Grace Bescheid über Henshaws Situation?“

„Keine Ahnung, ob sie die Einzelheiten kennt. Doch sie weiß bestimmt, dass er eine reiche Erbin heiraten will. Das versucht er nämlich schon seit Jahren. Aber da er ein so überheblicher Langeweiler ist, will ihn natürlich keine Frau. Sag, hast du Lust auf ein Billardspiel vor dem Dinner? Ich könnte Wendell bitten, dafür zu sorgen, dass wir im Billardzimmer ungestört bleiben.“

Max nickte zustimmend, doch mit seinen Gedanken war er noch immer bei Miss Denby und Henshaw. Der Mann hatte sich nicht geschämt, sie trotz ihrer Ablehnung weiter zu drängen, seinen Arm zu nehmen. Aber war er auch verzweifelt genug, sie mit üblen Tricks zur Ehe zu zwingen?

Wahrscheinlich ist mein Urteilsvermögen getrübt, weil ich den Mann einfach nicht mag, versuchte Max, sich selbst zu beruhigen. Tante Grace würde niemals einen Herrn einladen, den sie nicht für einen Ehrenmann hielt. Er brauchte sich also keine Sorgen zu machen.

Trotzdem beschloss er, Miss Denby am nächsten Morgen vor Henshaw zu warnen. Er würde einfach so früh aufstehen, dass er ein Stück mit ihr ausreiten konnte.

6. KAPITEL

Am nächsten Morgen stand Max vor Sonnenaufgang auf. Da er nicht riskieren wollte, Miss Denby zu verpassen, betrat er die Stallungen, noch ehe der Horizont langsam hell wurde.

Einige Zeit später hatte er seinen Hengst im Hof so oft auf und ab geführt, dass die Pferdeknechte, die inzwischen ihrer Arbeit nachgingen, verwunderte Blicke tauschten.

Zum Teufel, wo blieb Miss Denby?

Vielleicht hatte sie sich einfach aus Vorsicht entschieden, auf den morgendlichen Ritt zu verzichten, damit sie Henshaw nicht begegnete? Viel Zeit blieb diesem nämlich nicht mehr, wenn er sie erobern wollte. Von seinem Cousin hatte Max erfahren, dass die Hausparty sich dem Ende zuneigte. Am Abend zuvor hatte Alastair ein wenig mit seiner Schwester Jane geplaudert. Und die hatte ihm voller Stolz anvertraut, dass bald zwei Verlobungen gefeiert werden würden. Sie hatte auch erwähnt, dass Lissa sich mit Eugenia Whitman angefreundet hatte und ihrer ersten Saison in London entgegenfieberte.

Miss Whitman, erinnerte Max sich, war laut Aussage seiner Tante jünger, schöner und wortgewandter als ihre Stiefschwester Caroline Denby. Diese Bemerkung nahm er ihr noch immer übel. Miss Denby hatte Vorzüge, die nicht zu verachten waren. Und dabei dachte er nicht an ihre Mitgift – auch wenn diese zweifellos der Grund dafür war, dass Henshaw sich für sie interessierte.

Nun, bald würde sie vor dessen Nachstellungen sicher sein. Zumindest bis zum nächsten Frühjahr. Würde sie dann – so wie sie befürchtete – eine weitere Saison in London über sich ergehen lassen müssen? Würde Lady Denby sie zwingen, ihre geliebten Pferde zu verlassen, um in der Stadt an all jenen gesellschaftlichen Ereignissen teilzunehmen, die sie so verabscheute?

Schade, dass ihr Jugendfreund Harry so unerreichbar weit fort war. Sie hätte es verdient, einen Mann zu heiraten, der ihre Eigenheiten zu schätzen wusste und ihr aufrichtig zugetan war. Einen, der sie nicht daran hinderte, sich dem von ihrem Vater aufgebauten Gestüt zu widmen.

Als Max sich auf den Rückweg zum Haus machte – sein Pferd hatte er einem der Stallknechte überlassen –, spielte er mit dem Gedanken, sich von Miss Denby zu verabschieden. Leider wusste er nicht recht, wie er das bewerkstelligen sollte, ohne die noch anwesenden Gäste darauf aufmerksam zu machen, dass die junge Dame mit ihm bekannt war. Nun, vielleicht konnte er ihr einen Besuch auf dem Gestüt abstatten, sobald er seine eigenen Angelegenheiten geregelt hatte. Oder sie würden sich in London begegnen.

Der Tag verging quälend langsam. Da Alastair wieder einmal seinen Pflichten als Gutsbesitzer nachgehen musste, beschloss Max schließlich, sich noch einmal mit seinem Buch ins Gewächshaus zurückzuziehen. Leise öffnete er die Tür und atmete tief ein. Ein Hauch von Jasmin und andere schwache Düfte kitzelten seine Nase. Plötzlich vernahm er Stimmen. Sie waren allerdings zu leise, als dass er die Worte hätte verstehen können.

Im ersten Moment wollte er sich zurückziehen. Aber dann überkam ihn die Neugier. Hatte sich eines der frisch verlobten Paare hier verabredet, um ein paar Minuten lang ungestört zu sein? Da wäre es nicht fair gewesen zu stören. Als Gentleman musste er das Gewächshaus verlassen.

Doch da hörte er, wie eine Frau laut und deutlich sagte: „Ihr Antrag ehrt mich, Mr. Henshaw. Aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir zwei nicht zusammenpassen.“

Caroline Denby! Max blieb abrupt stehen. War Henshaw ihr heimlich ins Gewächshaus gefolgt, um sie unter Druck zu setzen?

Sein erster Impuls war, ihr zu Hilfe zu eilen. Aber vielleicht würde sie ihm seine Einmischung übelnehmen. Schließlich war sie eine ungewöhnlich durchsetzungsfähige kluge Frau, die durchaus in der Lage war, einen unerwünschten Verehrer in seine Schranken zu weisen. Dennoch konnte er sich nicht dazu überwinden, das Gewächshaus zu verlassen. Wahrscheinlich war es dieser Beschützer-Instinkt, der ihn davon abhielt. Er unterdrückte einen Fluch. Schließlich wusste er ja nur zu gut, dass es seine Ritterlichkeit gewesen war, die ihn schon einmal in große Schwierigkeiten gebracht hatte.

Jetzt redete Henshaw. Aber er sprach so leise, dass Max nur erraten konnte, was er sagte. Miss Denbys Antwort hingegen war wieder gut zu verstehen.

„Nein, ich werde meine Meinung nicht ändern. Sie werden zugeben müssen, dass ich alles in meiner Macht Stehende getan habe, um Sie zu entmutigen. Deshalb kommt mein Nein bestimmt nicht überraschend für Sie. Und jetzt lassen Sie mich bitte allein!“

„Sie haben hier auf einen anderen Mann gewartet, nicht wahr?“, gab Henshaw laut und offenbar sehr verärgert zurück. „Auf Max Ransleigh vielleicht? Er wird Sie nie heiraten. Obwohl sein Vater sich von ihm losgesagt hat, besitzt er Geld genug, um ein angenehmes Leben zu führen. Sollte er sich jemals zur Ehe entschließen, wird er eine Gattin wählen, die einer der wirklich vornehmen Familien entstammt. Im Übrigen ist bekannt, dass er weltgewandte, niveauvolle junge Schönheiten bevorzugt, zu denen Sie ja nun eindeutig nicht gehören. Meiner Meinung nach brauchen Sie sich überhaupt nicht mehr viel Hoffnung auf einen Antrag zu machen. Wenn Sie also nicht als alte Jungfer sterben wollen, sollten Sie mir besser Ihr Jawort geben.“

Was für ein taktloser, boshafter, geldgieriger Idiot! Max kochte vor Zorn. Am liebsten hätte er sich auf Henshaw gestürzt und ihm einen ordentlichen Kinnhaken verpasst. Doch er wusste, dass Miss Denby sich nichts weniger wünschte als einen Zeugen für die peinliche Szene. Also biss er die Zähne zusammen, ballte die Hände zu Fäusten und blieb, wo er war.

„Sie haben vollkommen recht“, erklärte Miss Denby überraschend ruhig. „Ich besitze keine der Tugenden, die Männer an ihren Gattinnen schätzen. Wie Sie mir gerade bestätigt haben, bin ich weder schön noch weltgewandt. Sie können eine viel bessere Ehefrau als mich finden, Mr. Henshaw. Warum warten Sie nicht, bis die Saison beginnt, und suchen sich dann eine passende Braut?“

„Leider, meine Liebe, sind meine Gläubiger sehr ungeduldig. Keiner von ihnen ist bereit, noch ein paar Monate auf sein Geld zu warten. Deshalb bitte ich Sie zum letzten Mal, mich zu heiraten. Auch wenn es Ihnen an Stil ebenso mangelt wie an vielen wünschenswerten Talenten besitzen Sie jedoch einen gewissen … Charme und das Vermögen, das ich so dringend brauche, um meine Gläubiger zufriedenzustellen.“

Was für ein ungehobelter Kerl! Max war im Begriff, Henshaw zur Rede zu stellen, ihn kräftig zu schütteln und ihn dann aus dem Gewächshaus zu werfen. Aber es gab zwei Gründe, die ihn davon abhielten. Durch sein Auftauchen wollte er Miss Denby nicht in eine noch unangenehmere Situation bringen. Außerdem musste er an seine eigene Zukunft denken. Es wäre fatal, wenn Henshaw das Gerücht in die Welt setzte, Max Ransleigh habe sich heimlich mit Miss Denby getroffen.

Seine Entscheidung, sich nicht einzumischen, geriet ins Wanken, als er ein Geräusch hörte, das nur von einem Schlag herrühren konnte.

„Fassen Sie mich nicht an!“, rief Miss Denby zornig. „Sie sind mir gegen meinen Willen hierher gefolgt. Und wenn Sie nicht bereit sind zu gehen, werde ich das Gewächshaus verlassen. Da ich Sie vor meiner Abreise wohl nicht mehr sehen werde, sage ich Ihnen schon jetzt Adieu.“

„Nicht so schnell, meine Liebe. Sie werden mich heiraten – auch wenn wir beide uns anderes von der Zukunft erhofft haben.“

„Lassen Sie sofort meinen Arm los! Es ist sinnlos, mich festzuhalten, denn nichts in der Welt könnte mich bewegen, Ihre Gattin zu werden.“

„Ich habe gehofft, Sie würden vernünftig sein. Aber wenn Sie sich weiter so dickköpfig zeigen, muss ich leider zu anderen Mitteln greifen. Ehe ich Sie gehen lasse, werden Sie sich in einem Zustand befinden, der Ihnen keine andere Wahl lässt, als mich zu heiraten.“

Diese Drohung bewirkte, dass Max losstürmte. Noch ehe er die beiden erreichte, drangen die Geräusche eines Handgemenges an sein Ohr. Entschlossen, Henshaw eine Lektion zu erteilen, bog Max in den nächsten Gang ein. Dann, als er hörte, wie Stoff zerrissen wurde, loderte seine Wut mit erneuter Macht auf. Hölle und Teufel, er war bereit, den Schurken zu erschlagen.

Wenige Augenblicke später sah er, wie Henshaw die sich heftig wehrende Caroline Denby mit einer Hand auf die Bank zu drücken versuchte, während er mit der anderen Hand ihre Röcke hochschob.

Im Laufen stieß Max eine Topfpalme um, und das Scheppern ließ Henshaw aufschauen. Das widerliche Grinsen auf seinem Gesicht verblasste, und die Begierde in seinen Augen wich einem Ausdruck der Überraschung. Dann erkannte er Max und erbleichte vor Schreck.

Miss Denby nutzte den Moment, um ihm ein Knie in die Weichteile zu rammen und ihm einen heftigen Nasenstüber zu versetzen.

Henshaw heulte auf, ließ von ihr ab und stolperte ein paar Schritte rückwärts. Blut tropfte aus seiner Nase. „Du Miststück! Das wirst du noch bereuen!“

Max packte ihn beim Arm, wirbelte ihn herum und stieß ihn dann heftig von sich. Eine weitere Pflanze fiel um, und Henshaw landete neben ihr auf dem Boden. Da Max das Gewächshaus seiner Tante nicht verwüsten wollte, griff er nun nach Henshaws Krawattentuch. Mit einem Ruck zog er den Mann hoch. „Miss Denby wird bestimmt nichts bereuen! Aber Sie, Henshaw, Sie unmoralischer Schurke, werden Ihres Lebens nicht mehr froh, wenn Sie nicht genau tun, was ich Ihnen sage. Sie entschuldigen sich jetzt bei Miss Denby, packen in aller Eile und reisen so schnell wie möglich ab. Denn sonst erzähle ich Lady Melross, dass Sie über eine unschuldige junge Frau hergefallen sind.“ Abrupt ließ er Henshaw los.

Der taumelte und stieß hervor: „Sie wollen mir drohen? Sie? Jeder weiß, dass Sie aus dem diplomatischen Dienst ausgeschlossen und sogar vom eigenen Vater verstoßen wurden. Wer sollte Ihnen glauben?“

„Wer sollte mir glauben?“ Max sprach jetzt mit sanfter Stimme. „Meine Tante vielleicht? Oder auch Lady Melross, sobald sie einen Blick auf Ihr Äußeres geworfen hat.“

Henshaw schaute an sich hinunter und begriff, dass sein Kontrahent recht hatte. Die Spuren des Kampfes waren nicht zu übersehen. Natürlich konnte er sich irgendwelche Lügen ausdenken, um seine blutende Nase zu erklären. Dennoch konnte kein Zweifel daran bestehen, dass Mrs. Ransleigh ihrem Neffen eher Glauben schenken würde als ihm. Sie würde sich nicht schützend vor einen ihrer Gäste stellen, wenn ein Verwandter Unterstützung brauchte.

Fluchend begann Henshaw, rückwärts zu gehen.

Max wandte sich Miss Denby zu. „Sind Sie verletzt?“, erkundigte er sich besorgt.

„Nein.“ Sie zitterte am ganzen Körper, und ihre Stimme hörte sich fremd an.

Ohne Max aus den Augen zu lassen, hatte Henshaw den Gang erreicht, der direkt zum Ausgang führte. Da er wusste, dass er sich jetzt in sicherem Abstand von seinem Gegner befand, rief er drohend: „Ich werde das nicht vergessen, Ransleigh. Eines Tages werde ich mich rächen, an Ihnen und an der kleinen Hure.“

„Es wäre klüger, wenn Sie meine Anweisungen befolgen würden“, gab Max zurück. „Sie wollen doch nicht, dass ich Sie nach Strich und Faden verprügele.“

Henshaw wartete nicht ab, ob er seine Drohung sogleich in die Tat umsetzen würde. Er rannte zur Tür, riss sie auf und stürzte aus dem Gewächshaus.

Max zuckte die Schultern und drehte sich wieder zu Miss Denby um, die noch immer völlig verstört wirkte. Mit bebenden Fingern versuchte sie, ihr zerrissenes Kleid vor der Brust zusammenzuhalten. Es war offensichtlich, dass sie Trost und Hilfe brauchte.

Wie kann ich sie am besten beruhigen, fragte sich Max.

Sie war kreidebleich. Ihre dunklen Augen spiegelten Wut, Schock und Angst wider. Von ihrem Umhang waren die Knöpfe abgerissen, sodass er sich nicht mehr schließen ließ. Und im Oberteil ihres Kleides klaffte ein langer Riss.

In diesem Moment wünschte Max, er hätte Henshaw einfach durch die Glasscheiben des Gewächshauses nach draußen gestoßen. Ein paar auffällige schmerzhafte Schnittwunden … Aber nein, solche Fantasien waren unsinnig. Viel wichtiger war es, sich um Miss Denby zu kümmern.

„Als ich vor ein paar Minuten das Gewächshaus betrat“, sagte er, „hörte ich Stimmen. Aber da ich nicht verstehen konnte, was gesprochen wurde, begriff ich zunächst nicht, was vorging. Ich wollte mich zurückziehen, doch dann wurde mir – beinahe zu spät – klar, dass Sie sich in Schwierigkeiten befanden. Es tut mir so leid, dass ich Ihnen das Ganze nicht ersparen konnte. Wenn Sie wollen, werde ich Henshaw öffentlich zur Rechenschaft ziehen. Ich könnte ihn auch bewusstlos schlagen, wenn Sie das wünschen.“

„Ihn zu verprügeln wird nichts nutzen.“ Sie versuchte zu lächeln. „Allerdings muss ich zugeben, dass ich ihm gern selbst noch ein paar Ohrfeigen und Nasenstüber versetzen würde. Er hat eines meiner besten hässlichen Kleider ruiniert.“

Erleichtert stellte Max fest, dass etwas Farbe in ihre Wangen zurückgekehrt war. Auch ihre Stimme hörte sich jetzt kräftiger an. Er hätte sie also wohl allein lassen können, um Henshaw die verdiente Abreibung zu erteilen. Doch er blieb bei Miss Denby.

„Dieser Nasenstüber hat mich sehr beeindruckt“, stellte er bewundernd fest. „Wo haben Sie gelernt, so zuzuschlagen?“

„Harry hat mir ein paar Tricks gezeigt“, gab sie zurück. „Ich gestehe, dass ich ein wenig stolz auf mich bin, weil ich so gut getroffen habe. Doch leider hilft mir das bei der Lösung meines wichtigsten Problems überhaupt nicht. Wie kann ich ungesehen in mein Zimmer zurückkommen? Meine Stiefmutter würde bei meinem Anblick in Ohnmacht fallen. Es wäre ja nicht schlimm, wenn man mich als ruiniert betrachten würde. Aber ich möchte auf keinen Fall dazu gedrängt werden, einen Schurken wie Henshaw zu heiraten.“

„Keine Frau sollte einen solchen Mistkerl heiraten müssen.“

„Leider ist dieser Mistkerl stärker, als ich erwartet hatte“, murmelte Caroline und starrte auf ihr zerrissenes Kleid. „Ich hatte angenommen, ich könnte mit einem Dandy wie ihm fertig werden.“ Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sich in Erinnerung rief, wie knapp sie einer Vergewaltigung entgangen war. „Nun bedauere ich noch mehr, dass Sie mein Angebot abgelehnt haben. Sie hätten mich bestimmt auf viel angenehmere Art kompromittiert.“

Max sah, wie schwer es ihr fiel, tapfer zu sein. Und zu seinem Entsetzen lösten sich nun zwei große Tränen aus ihren Augen. In diesem Moment schwor er sich, Henshaw nicht ungeschoren davonkommen zu lassen. Doch zunächst zog er Miss Denby an sich und flüsterte: „Wenn ich Sie kompromittiert hätte, hätte ich daraus ein schönes Erlebnis für Sie gemacht.“ Sanft strich er ihr über den Rücken. „Ich verachte Männer, die sich Frauen aufdrängen. Mit ein wenig Rücksichtnahme und Erfahrung erreicht man doch viel mehr. Man kann so wunderbare Dinge tun. Dies zum Beispiel.“ Er beugte sich zu ihr hinab und küsste die Sommersprossen auf ihrer Nase.

Er hatte nicht vergessen, wie heftig er sie bei ihrer ersten Begegnung im Gewächshaus begehrt hatte. Auch jetzt verspürte er dieses Verlangen, aber viel wichtiger war es für ihn, sie auf sanfte Art vergessen zu lassen, was Henshaw ihr angetan hatte.

Zum Glück hatte sie Vertrauen zu ihm. Sie schmiegte sich an ihn, und er spürte, wie Spannung und Angst von ihr abfielen. Er drückte ihr ein paar kleine Küsse auf die Wangen.

Sie seufzte auf. Und nach einer Weile murmelte sie: „Es ist wirklich sehr angenehm, von Ihnen kompromittiert zu werden. Ich werde ihre liebenswürdige Art, mir zu helfen, nie vergessen, Mr. Ransleigh.“

„Max“, korrigierte er sie lächelnd. „Bitte, wenden Sie sich jederzeit an mich, wenn Sie Hilfe brauchen. Es wird mir eine Ehre sein, für Sie zu tun, was auch immer in meiner Macht steht.“

Sie kam nicht dazu, ihm zu antworten, denn ein misstönender Schrei ließ sie zusammenfahren.

„Bei Gott, Miss Denby, was tun Sie da?“, erklang eine schrille Frauenstimme.

Eine Katastrophe! Max spürte, wie sein Herzschlag ins Stolpern geriet. Er hob den Kopf, um über Miss Denbys Schulter hinweg in die Richtung zu schauen, aus der sich die Frau näherte.

Verdammt, es war Lady Melross!

7. KAPITEL

Caroline war beim Klang der Stimme zusammengezuckt. Nun drehte sie sich um, wobei sie ihr zerrissenes Kleid vor der Brust zusammenhielt. Als sie Lady Melross erkannte, die empört auf sie zumarschierte, schloss sie für einen Moment entsetzt die Augen. Ein Albtraum, aus dem sie gleich erwachen würde! Doch als sie die Lider wieder hob, war Lady Melross noch immer da.

Ein boshafter Schimmer zeigte sich in ihren Augen. Tatsächlich scheint sie eine gewisse Genugtuung darüber zu empfinden, mich in einer so kompromittierenden Situation überrascht zu haben, dachte Caroline.

Unfähig sich aus Max’ Armen zu lösen, spürte sie, wie eine heftige Übelkeit in ihr aufstieg. Welch schrecklicher Tag! Muss denn wirklich alles schiefgehen? Für Lady Melross sieht es so aus, als habe Mr. Ransleigh versucht, mich zu verführen, ja, als habe er sogar Gewalt angewendet. Dabei wollte er mich doch nur trösten. Verflixt, nun wird die alte Klatschbase keine Zeit verlieren, die Neuigkeit laut hinauszuposaunen!

Sie hob den Kopf und erwiderte tapfer Lady Melross’ anklagenden Blick. „Es ist nicht, wie Sie denken!“, stieß sie hervor. Dabei wusste sie genau, dass jede Erklärung sinnlos war. Wütend und der Verzweiflung nahe, wünschte sie in diesem Moment, sie könnte Henshaw einholen, ihm ihre Verachtung entgegenschreien und ihm das Gesicht zerkratzen.

Max Ransleigh hatte ja nie die Absicht gehabt, ihren Ruf zu gefährden. Im Gegenteil, er hatte ihren Vorschlag abgelehnt. Dann aber hatte er sich in einer Situation wiedergefunden, in der ihm als Gentleman keine Wahl blieb: Er hatte ihr zu Hilfe kommen müssen. So war er durch Henshaws schurkisches Benehmen in eine Lage geraten, die ihn in ein völlig falsches Licht rückte.

Es ist allein meine Schuld! Und sie hatte keine Ahnung, wie sie das alles wieder in Ordnung bringen sollte.

„Nicht, wie ich denke?“, echote Lady Melross. „Um Himmels willen, Miss Denby, halten Sie mich für eine einfältige alte Frau, die nicht versteht, was sich direkt vor ihren Augen abspielt? Es wundert mich gar nicht, dass mir ein Vögelchen gezwitschert hat, im Gewächshaus geschähen interessante Dinge.“

„Ein Vögelchen?“, wiederholte Caroline verwirrt. „Was meinen Sie damit?“

„Irgendjemand, der von diesem Rendezvous wusste, hat mir einen Zettel zugesteckt. Vielleicht waren Sie es ja selbst, Miss Denby?“

„Henshaw, dieser Mistkerl“, flüsterte Caroline. Flehend schaute sie Max, der sie inzwischen losgelassen hatte und einen Schritt zurückgetreten war, an. Doch seine Miene wirkte verschlossen und abweisend.

Es muss Henshaw gewesen sein, dachte sie. Wer sonst könnte ein Interesse daran haben, dass Lady Melross mich mit Max allein in einer scheinbar eindeutigen Situation überrascht? Bestimmt hat Henshaw darauf gebaut, dass ich durch den darauf folgenden Skandal gezwungen sein würde, ihn zu heiraten.

Dieser Zusammenhang musste doch auch Max Ransleigh klar sein – oder?

„Von Ihnen, Ransleigh“, tönte Lady Melross, „hätte ich allerdings einen besseren Geschmack und mehr Raffinesse erwartet! Obwohl … Nach den Vorfällen in Wien muss man wahrscheinlich, was Ihren Charakter betrifft, auf alles vorbereitet sein …“ Sie wandte sich wieder Miss Denby zu. „Sie wiederum sind gerissener, als ich gedacht hätte. Hier!“ Sie bückte sich, hob Carolines Umhang auf und legte ihn ihr um die Schultern. „So wirken Sie wenigstens einigermaßen anständig.“

Vom Eingang her waren erneut Schritte zu vernehmen. „Anita?“, rief jemand. Gleich darauf bog Lady Claringdon um die Ecke. „Oh!“ Abrupt blieb sie stehen und starrte von einem zum anderen. „Ransleigh“, meinte sie dann vorwurfsvoll, „wie hinterlistig! Da halten Sie sich von der offiziellen Gesellschaft fern, um insgeheim alles für die Verführung eines unschuldigen Mädchens vorzubereiten! Und Sie, junge Dame …“, sie musterte Caroline herablassend, „… haben offenbar bekommen, was Sie verdient haben.“

„Allerdings“, stimmte Lady Melross ihrer Freundin zu. „Sie dummes Mädchen! Wissen Sie denn nicht, dass Ransleighs Vater sich von ihm losgesagt hat? Dass er Sie nun heiraten muss, bringt Ihnen also nicht die hohe gesellschaftliche Stellung ein, von der Sie geträumt haben. Während Sie sich auf dem Gestüt aufgehalten haben und nichts anderes im Kopf hatten als diese Pferde, hat Ransleigh für einen so üblen Skandal gesorgt, dass er nirgends mehr empfangen wird. Er …“

„Das genügt, Lady Melross“, unterbrach Max sie. „Dass Sie mich beleidigen, ist mir gleichgültig. Aber ich werde nicht zulassen, dass Sie Miss Denby schikanieren. Sie steht unter Schock und sollte sofort ins Haus zurückkehren, um sich ein wenig zu erholen.“ Damit wandte er sich Caroline zu und fuhr in sanftem Ton fort: „Werden Sie den beiden Damen gestatten, Sie zu Ihrem Zimmer zu begleiten? Wir reden später über alles.“

„Es wäre mir lieber, wenn wir jetzt …“

„Nein“, fiel Lady Melross ihr ins Wort. „Ransleigh hat recht. In diesem Aufzug können Sie sich unmöglich mit ihm oder sonst irgendwem unterhalten. Gehen wir also! Sie auch, Ransleigh! Ich habe zwar keine Ahnung, womit Sie Ihr Verhalten entschuldigen wollen, aber Sie werden nicht umhinkönnen, mit Lady Denby zu sprechen.“

„Ich möchte gern zuerst mit meiner Stiefmutter reden“, meinte Caroline. Die arme Lady Denby würde einem Zusammenbruch nahe sein, wenn sie durch jemand anderen von dem Skandal erfuhr. Sie würde ja die Zusammenhänge nicht verstehen. Ja, dachte Caroline, ich muss ihr alles erklären, damit sie sich ein wenig beruhigen kann, ehe Max mit ihr spricht.

Lady Claringdon runzelte die Stirn. „Arme Diana! Sie hat es wirklich nicht verdient, in eine so peinliche Lage zu geraten. Und gerade jetzt, da Eugenia doch in der nächsten Saison in die Gesellschaft eingeführt werden soll. Es ist einfach schrecklich!“

„Jawohl, schrecklich!“, bekräftigte Lady Melross. Dabei war ihrer Stimme deutlich anzuhören, wie sehr sie die Situation genoss. „Kommen Sie endlich, Miss Denby. Und vergessen Sie nicht, den Umhang richtig zuzuhalten. Schließlich wollen wir nicht, dass womöglich noch eine der anständigen jungen Damen einen Schock erleidet, nur weil wir ihr zufällig unterwegs begegnen.“ Sie warf Max einen zugleich vorwurfsvollen und triumphierenden Blick zu. „Ich bin sicher, Ransleigh, dass Lady Denby später nach Ihnen schicken wird. Vielleicht wäre es klug, wenn Sie Ihre Tante schon vorher über das Debakel informierten, das Sie angerichtet haben.“

Max achtete gar nicht auf Lady Melross’ Gerede, sondern beruhigte Caroline mit den Worten: „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde Sie später aufsuchen und alles in Ordnung bringen.“ Ermutigend lächelte er sie an.

Resolut griff Lady Melross nach Miss Denbys Arm und zog sie mit sich fort.

Autor

Julia Justiss
Julia Justiss wuchs in der Nähe der in der Kolonialzeit gegründeten Stadt Annapolis im US-Bundesstaat Maryland auf. Das geschichtliche Flair und die Nähe des Meeres waren verantwortlich für zwei ihrer lebenslangen Leidenschaften: Seeleute und Geschichte! Bereits im Alter von zwölf Jahren zeigte sie interessierten Touristen das historische Annapolis, das für...
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