Historical Saison Band 71

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EIN SKANDALÖSER GENTLEMAN von DIANE GASTON
Oh, diese schreckliche Kälte! Zitternd schmiegt Tess sich an ihren Retter, der sie im Sturm gefunden und in ein kleines Cottage gebracht hat. Der breitschultrige Gentleman schenkt ihr die ersehnte Wärme - und noch viel mehr … Doch am nächsten Morgen werden sie überrascht. Der Skandal ist perfekt. Und Tess muss heiraten!

EINE SKANDALÖSE LIEBESNACHT von DIANE GASTON
"Lieben Sie mich!" Amelies sehnsüchtiges Flüstern lässt Lieutenant Summerfield alle Vorsicht vergessen. In ihren Armen findet er Trost vor der Schlacht, die ihn erwartet. Einmal noch glücklich sein! Aber als er drei Monate später siegreich zurückkehrt, findet er heraus, dass ihre Liebesnacht weitreichende Folgen hatte …


  • Erscheinungstag 17.03.2020
  • Bandnummer 71
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749637
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Diane Gaston

HISTORICAL SAISON BAND 71

1. KAPITEL

Februar 1815, Lincolnshire, England

Der Winterwind rüttelte an den Fensterscheiben von Summerfield House, als Tess Summerfield der Aufforderung ihrer ältesten Schwester folgte.

Komm in den Tagessalon, hatte auf der Nachricht gestanden.

Noch mehr schlechte Nachrichten, dachte Tess unruhig. In letzter Zeit schien es, als würde Lorene sie und ihre jüngste Schwester nur dann zu sich in diesen Salon rufen, wenn es schlechte Nachrichten gab.

Selbst das Jaulen des Windes schien ein Unheil ankündigen zu wollen.

Der Morgensalon war während der Tage, an denen die Sonne schien, von Licht durchflutet, doch heute wirkte er grau und düster. Lorene stand am Kamin, Genna saß schmollend in einem Sessel nicht weit von ihr entfernt.

„Was ist, Lorene?“, fragte Tess.

Lorene benahm sich seit einiger Zeit recht seltsam. Sie verließ das Haus, ohne zu erklären, wohin sie ging, und blieb stundenlang fort. Der plötzliche Tod ihres Vaters vor zwei Monaten war ihnen bereits wie das Schlimmste vorgekommen, das ihnen geschehen konnte, doch bald danach hatten sie erfahren, dass es ihm vorher noch gelungen war, die Mitgift seiner drei Töchter aufzubrauchen. Die nächste Hiobsbotschaft war, dass der entfernte Cousin, der den Titel und den Besitz ihres Vaters erbte, klar und deutlich erklärt hatte, nicht die Absicht zu haben, für die Mädchen aufzukommen. Schließlich glaubte jeder, dass die skandalösen Summerfield-Schwestern gar nicht wirklich Summerfields waren. Man erzählte sich, dass jede von einem anderen Liebhaber gezeugt worden sei.

Natürlich bevor ihre Mutter mit einem der besagten Liebhaber durchgebrannt war.

Der Erbe ihres Vaters machte den Schwestern außerdem klar, dass er das Gut so bald wie möglich in Besitz zu nehmen gedachte, sie das Haus also unverzüglich zu verlassen hatten – ein Haus, das ihr ganzes Leben lang ihr Zuhause gewesen war.

Was konnte ihnen denn außerdem noch zustoßen?

„Bitte setz dich“, bat Lorene leise, ihr schönes Gesicht kummervoll.

Tess wechselte einen Blick mit Genna und setzte sich gehorsam.

Sofort begann Lorene, unruhig vor ihnen auf und ab zu gehen. „Wir haben uns alle Sorgen gemacht, was aus uns werden soll.“

Sorgen war milde ausgedrückt. Tess rechnete damit, dass sie auseinandergerissen werden würden, gezwungen, eine Position als Gouvernante oder Gesellschafterin anzunehmen. Natürlich nur, wenn sie das Glück hatten, eine solche Position zu finden. Schließlich genossen sie nicht den besten Ruf in der guten Gesellschaft.

„Und mir ist eine Lösung eingefallen“, fuhr Lorene mit gepresster Stimme fort.

Wenn es eine Lösung war, warum wirkte Lorene aber dann so bedrückt? „Was für eine Lösung, Lorene?“

Lorene verschränkte unwohl die Hände. „Ich habe einen Weg gefunden, eure Mitgift zurückzugewinnen und euch wieder zu einer guten Partie zu machen.“

Es wäre eine sehr große Mitgift nötig, um den Skandal vergessen zu machen, der sie ihr ganzes Leben lang verfolgt hatte. Schließlich war da nicht nur die Tatsache, dass ihre eigene Mutter sie im Stich gelassen hatte, sondern außerdem noch der Skandal ihres Vaters. Noch bevor ihre Mutter ihn verließ, hatte er seinen Bastard nach Hause gebracht, um ihn zusammen mit seinen Töchtern aufzuziehen. Selbstverständlich liebten Tess und ihre Schwestern Edmund von ganzem Herzen. Schließlich war er ihr Bruder, auch wenn seine Anwesenheit dem Ansehen der Familie noch mehr geschadet hatte.

„Was für ein Unsinn“, murrte Genna. „Nichts kann uns zu einer guten Partie machen. Unsere Mutter hatte zu viele Liebhaber. Deswegen sehen wir uns auch nicht ähnlich.“

Was nicht ganz stimmte. Sie hatten alle drei eine hohe Stirn und schmale Gesichter, auch wenn Lorene dunkles Haar und braune Augen hatte, Genna blauäugig und blond war und Tess braunäugig mit kastanienbraunem Haar. Genau wie ihre Mutter, wie man Tess gesagt hatte, wenn sie selbst sich auch nicht mehr daran erinnerte, wie ihre Mutter ausgesehen hatte.

Ihr kam ein Gedanke. „Lorene, du willst doch nicht sagen, dass du Mutter gefunden hast? Will sie uns eine Mitgift geben?“

Überrascht sah Lorene auf. „Mutter? Nein, nein. Das ist es nicht.“

„Was ist es dann?“, fragte Genna gereizt.

Lorene blieb abrupt vor ihren Schwestern stehen. „Ich habe geheiratet.“

„Geheiratet!“ Tess sprang auf. „Geheiratet?“

„Das kann nicht sein“, protestierte Genna. „Es hat kein Aufgebot gegeben.“

„Weil wir eine Sonderlizenz hatten.“

Unmöglich! dachte Tess. Lorene konnte kein so großes Geheimnis vor ihr haben. Sie vertrauten sich doch alles an. Fast. „Wer ist es?“, fragte sie und versuchte, nicht gekränkt zu klingen.

Lorenes Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „Lord Tinmore.“

„Lord Tinmore?“, wiederholten Tess und Genna gleichzeitig.

„Der Einsiedler?“, fragte Tess.

Seitdem seine Frau und sein Sohn gestorben waren, hatte Lord Tinmore sich auf seinem Gut in Lincolnshire, nicht weit von ihrem Dorf hier in Yardney, von allem und jedem zurückgezogen. Tess konnte sich nicht vorstellen, wann Lorene dem Mann hätte begegnen können, geschweige denn von ihm umworben worden sein. Niemand bekam Lord Tinmore jemals zu Gesicht.

„Der muss doch achtzig Jahre alt sein!“, rief Genna.

Lorene hob leicht das Kinn. „Er ist erst sechsundsiebzig.“

„Sechsundsiebzig. Das ist natürlich viel besser“, meinte Genna sarkastisch.

Ihre geliebte ältere Schwester sollte einen uralten Einsiedler geheiratet haben? Das war mehr, als Tess ertragen konnte. „Aber warum, Lorene? Warum solltest du so etwas tun?“

Lorene sah sie verzweifelt an. „Ich habe es für euch getan, Tess. Für euch beide. Lord Tinmore hat mir versprochen, euch mit einer Mitgift zu bedenken und euch eine Saison in London zu ermöglichen. Er wird sogar Edmund helfen, in der Armee voranzukommen, und ihm geben, was er für seinen Unterhalt braucht. Er ist ein sehr guter Mensch.“

„Ich habe dich nie um eine Mitgift gebeten“, sagte Genna. „Und Edmund kann durch eigene Arbeit vorankommen.“

„Du weißt, das ist nicht möglich, jetzt da der Krieg vorüber ist“, erwiderte Lorene hitzig. „Schon jetzt hat er nicht genug. Ein Offizierspatent kostet Geld, weißt du?“

Genna schüttelte den Kopf. „Hat unsere Mitgift ihm denn nicht genügt?“

Ihr Vater hatte den Rest ihres Geldes dazu benutzt, Edmund den Rang eines Lieutenant zu sichern.

Sofort nahm Lorene ihren Bruder in Schutz. „Edmund weiß nichts davon, Genna, und du darfst es ihm auch niemals sagen. Er wäre am Boden zerstört, wenn er es wüsste. Außerdem hatte Papa vor, die Gelder für unsere Mitgift neu aufzubringen. Er versicherte mir, seine letzte Investition würde uns alles einbringen, was wir brauchten.“

Wahrscheinlich würde sie sich allerdings als ebenso erfolglos erweisen wie all seine vorigen. Und sollte es dieses Mal doch wider Erwarten anders ausgehen, was nicht sehr wahrscheinlich war, würde der Gewinn direkt an seinen Erben gehen.

Lorene würde allerdings niemals etwas Schlechtes über ihren Vater sagen. Oder über sonst irgendjemanden. Sie glaubte von jedem nur das Beste. Selbst von ihrer Mutter. Lorene hatte sie stets verteidigt und gesagt, dass es richtig gewesen sei für sie, ihre Töchter im Stich zu lassen, weil sie mit einem Mann davongelaufen war, den sie wirklich liebte.

Aber Tess hatte sich immer gefragt, was mit der Liebe war, die eine Mutter für ihre Kinder empfinden sollte. Und jetzt machte Lorene denselben Fehler wie ihre Eltern – sie ging eine lieblose Ehe ein.

Tess sah sie finster an. „Du kannst Lord Tinmore unmöglich lieben.“

„Nein, ich liebe ihn nicht“, gestand Lorene. „Aber das tut nichts zur Sache.“

„Nichts zur Sache?“, stieß Tess aufgebracht hervor. „Hast du denn nichts von unseren Eltern gelernt? Du wirst unglücklich sein und er ebenfalls.“

„Nein.“ Lorene hob stolz das Kinn. „Ich habe ihm versprochen, ihn glücklich zu machen, und ich habe die Absicht, mein Versprechen zu halten.“

„Und was ist mit dir?“, fragte Tess.

Lorene senkte den Blick. „Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Was wäre aus dir und Genna geworden, wenn ich nichts unternommen hätte?“ Ihre Frage benötigte keine Antwort. Sie wussten alle, wie ihr Schicksal ausgesehen hätte.

„Ich habe lange darüber nachgedacht“, fuhr sie leise fort. „Es war die einzige Lösung. Wenn ich es nicht getan hätte, wären wir alle unglücklich geworden. Durch meine Ehe mit Lord Tinmore gibt es für euch und Edmund noch Hoffnung. Mit einer guten Mitgift könnt ihr heiraten, wen ihr möchtet. Ihr werdet nicht verzweifeln.“

Was Lorene sagen wollte, war, dass sie, Tess, Genna und selbst Edmund aus Liebe heiraten und ein gesichertes Leben führen konnten. Sie hatten die Möglichkeit, glücklich zu werden, doch Lorene zahlte dafür einen hohen Preis. Sie verzichtete auf die Möglichkeit, selbst glücklich zu werden. Sie verzichtete auf die große Liebe.

Unwillkürlich schoss Tess ein Gedanke durch den Kopf. Wenn sie eine Mitgift hätte, könnte Mr. Welton um sie werben. Sie wandte beschämt das Gesicht ab. Wie fürchterlich von ihr! Wie konnte sie sich über Lorenes Opfer freuen? Schnell fasste sie sich wieder. „Wie hast du es aber geschafft, Lorene? Wie bist du ihm überhaupt begegnet?“

„Ich ging zu ihm. Ich bat ihn, mich zu heiraten, und er war einverstanden.“

„Ohne vorher um dich zu werben?“

Lorene warf Tess einen ungeduldigen Blick zu. „Wozu denn auch? Wir besprachen die Angelegenheit während einiger meiner Besuche, und dann beschaffte Lord Tinmore sich eine Sonderlizenz. Als sein Sekretär das Dokument brachte, traute uns der Pfarrer seiner Kirche in seinem Salon.“

„Du hättest uns einladen können“, beschwerte Genna sich. Offensichtlich war sie auch gekränkt.

Lorene drehte sich zu ihr um. „Ihr hättet versucht, mich davon abzuhalten.“

„Ja, das hätte ich auf jeden Fall“, sagte Genna entschieden.

Der Wind ließ die Fensterscheiben erzittern. Tess überlegte, ob sie Lorene aufgehalten hätte, aber sie wusste es nicht. Die Wolken, die das Haus überschatteten, teilten sich, und ein kleiner Lichtstrahl bahnte sich einen Weg durch sie hindurch.

Sie waren gerettet. Lorene hatte sie gerettet.

Und sich selbst für sie geopfert.

Kaum zwei Wochen später lag Tess Summerfield träge auf dem Bett in einem der vielen Schlafzimmer von Tinmore Hall. Das Zimmer war Genna gegeben worden, die jetzt hinter einer Staffelei neben dem Fenster stand. Lorene war wieder damit beschäftigt, nervös auf und ab zu gehen, wie es in letzter Zeit ihre Gewohnheit zu sein schien.

„Eine sehr nette Hausparty, oder?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Sehr nett!“, stimmte Tess begeistert zu.

So viel hatte sich so schnell verändert. Zwei Tage nachdem Lorene ihnen von ihrer Ehe erzählt hatte, waren sie alle aus dem Haus ausgezogen, das bisher ihr Heim gewesen war, und hatten lediglich je eine Truhe mit ihren Habseligkeiten mitgenommen. Und jetzt hatte Lord Tinmore einige Gäste zu einer hastig arrangieren Gesellschaft eingeladen, um seinen engsten Freunden seine neue Frau vorzustellen. In etwa einem Monat würden sie nach London reisen, um sich völlig neu einzukleiden und bei Beginn der Saison den bestmöglichen Eindruck zu machen. Lorenes Eheschließung war noch immer gewöhnungsbedürftig, doch Tess konnte nicht anders, als voller Aufregung an alles zu denken, was ihnen bevorstand.

Sie war Lorene unendlich dankbar, doch gleichzeitig fühlte sie sich entsetzlich schuldig. Genna andererseits war alles andere als dankbar. Sie blieb genauso mürrisch wie an dem Tag, als Lorene ihnen ihr Geheimnis verraten hatte.

„Es ist doch nett, nicht wahr, Genna?“ Auch Tess fehlte ihr Zuhause, doch sie war entschlossen, Lorene in jeder Hinsicht beizustehen.

Genna warf ihren Malpinsel in einen Wasserkrug und wirbelte zu ihr herum. „Ich hasse die Hausparty. Ich hasse alles daran.“

„Genna!“, tadelte Tess sie.

Lorene winkte ab. „Schon gut. Lass sie reden.“

Genna errötete. „Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass du diesen Mann geheiratet hast – diesen alten Mann. Und noch dazu für Geld. Seine Gäste halten dich für eine Glücksjägerin, und sie haben recht.“

„Das reicht jetzt, Genna!“, rief Tess. „Lorene hat es doch nur für uns getan.“

„Ich habe sie nicht darum gebeten.“ Genna sah Lorene bedrückt an. „Ich hätte dich nie um so etwas gebeten. Niemals.“

„Das hat keine von euch.“ Lorene legte ihr beschwichtigend eine Hand auf den Arm. „Außerdem ist der Earl ein guter Mensch. Seht doch, was er bereits für uns getan hat.“

Er hatte ihnen auf Tinmore Hall ein neues Zuhause gegeben, hatte die Schneiderin des Dorfes beauftragt, ihnen neue Kleider zu nähen. Und er hielt sein Versprechen und war im Begriff, für sie und Genna eine Mitgift zu arrangieren und für Edmund, dessen Regiment sich auf dem Kontinent befand, eine monatliche Unterstützung.

Tess setzte sich auf. „Es war ein so tapferes Opfer. Siehst du das denn nicht, Genna? Lord Tinmore wird uns eine ansehnliche Mitgift geben, und wir bekommen eine Saison in London, wo wir vielleicht einen Mann für uns finden können.“

Mr. Welton würde in London sein. Er hatte gesagt, dass er sich während der Saison dort aufhalten würde. Tess konnte es kaum erwarten, ihm von ihren veränderten Umständen zu erzählen.

„Du wirst die Wahl unter vielen jungen Männern haben, Genna.“ Lorene drückte ihren Arm. „Du wirst nicht heiraten müssen, nur um ein Dach über dem Kopf haben zu können oder etwas zu essen. Du wirst auf den Mann warten können, für den du wirklich etwas empfindest.“

„Du kannst eine Liebesheirat eingehen.“ Es war genau das, was Tess sich mehr wünschte als alles andere.

Tess galt als die praktischste Schwester, vernünftig und tatkräftig. Wären Lorene und Genna nicht sehr erstaunt, wenn sie wüssten, dass sie ein geheimes tendre für einen Mann hatte? Sie brauchte nur an ihn zu denken, und schon wurde ihr ganz schwindlig vor Aufregung.

Genna schüttelte bekümmert den Kopf. „Du hast einen hässlichen, übel riechenden alten Mann geheiratet, damit Tess, Edmund und ich aus Liebe heiraten können. Ich gratuliere dir, Lorene. Wir sollen also glücklich sein darüber, dass du unseretwegen das Bett mit ihm teilen musst.“

Lorene wurde blass. „Diese Seite der Angelegenheit geht dich nichts an, sondern nur mich allein. Hörst du?“

„Aber was ist mit deinem Leben, Lorene? Mit deinen Möglichkeiten? Deiner Liebesheirat?“, rief Genna aufgewühlt.

Lorene presste sich eine Hand auf die Stirn. „Ich habe mich entschieden. Für euch. Und Lord Tinmore war so gut, dir dieses schönes Zimmer zu überlassen und deine Farben und deine Leinwand. Er hat für jede von uns eine neue Garderobe bestellt, und bald bringt er uns nach London, wo wir uns noch mehr herausputzen …“

Genna unterbrach sie heftig: „Und was musst du im Gegenzug dafür tun, Lorene?“

Ihre Schwester sah sie ausdruckslos an. Sie straffte die Schultern und wandte sich ab. „Ich muss jetzt gehen und sehen, ob alles vorbereitet ist für unsere Gäste. Ich erwarte von dir, dass du dich angemessen vor ihnen benimmst, Genna.“

„Ich weiß, wie man sich angemessen benimmt“, herrschte Genna sie an. „Hat Papa uns nicht beigebracht, uns niemals wie unsere Mutter zu verhalten?“

Nach einem letzten vernichtenden – und bedrückten, wie Tess fürchtete – Blick ging sie aus dem Zimmer.

Tess sprang auf. „Wie konntest du nur, Genna? Davon zu reden, dass sie Lord Tinmores Bett teilen muss.“

Doch Genna verschränkte ungerührt die Arme vor der Brust. „Nun, wir haben doch darüber nachgedacht, oder? Was sie für ihn tun muss. Und das nur unseretwegen.“

Tess fühlte sich ebenso schuldig, und unwillkürlich ließ sie es an ihrer Schwester aus. „Wir können aber nicht darüber sprechen! Es tut ihr weh. Das hast du doch gesehen.“

Zwar schnaubte Genna nur gereizt, aber sie senkte betroffen den Blick.

„Ihr zuliebe müssen wir das Beste aus allem machen“, sprach Tess weiter. „Sie hat uns mit ihrem Opfer ein unglaublich großes Geschenk gemacht. Wir sind frei zu heiraten, wen immer wir wollen.“ Sie musste an Mr. Welton denken. „Es ist nicht richtig, sie deswegen auch noch zu beschimpfen.“

„Na gut.“ Genna wandte sich wieder ihrem Aquarellbild zu. „Aber was sollen wir tun, wenn wir einen der Gäste sagen hören, sie hätte Lord Tinmore wegen seines Geldes geheiratet? Sollen wir einfach nur zustimmen und sagen: Ja, so ist es, sie ist genau wie unsere Mutter? Die hat Vater auch nur wegen seines Titels und Vermögens genommen.“

Das war allerdings eine Wahrheit, die besser unerwähnt blieb.

„Wir geben einfach vor, nichts gehört zu haben“, sagte Tess entschieden. „Wir tun so, als hätten Lorene und Lord Tinmore aus Liebe geheiratet und würden uns für beide freuen.“

„Hm. Eine Liebesheirat zwischen einer schönen jungen Frau und einem übel riechenden alten Mann.“ Gemma hieb mit dem Pinsel auf ihre Leinwand ein. „Und was sagen wir, wenn sie uns vorwerfen, dass auch wir Lord Tinmore ausnutzen?“

„Wir?“ Tess blinzelte. „Hat das irgendjemand gesagt?“

Genna zuckte mit den Schultern. „Nicht zu mir direkt. Noch nicht. Also, wie soll ich mich verhalten, wenn es doch noch jemand tut?“

Über eine solche Möglichkeit hatte Tess noch nicht nachgedacht, aber natürlich ergab es Sinn. Sie, Genna und Edmund hatten im Grunde mehr von Lord Tinmores Geld zu gewinnen als Lorene. Sein Geld würde ihnen so viele Möglichkeiten erschließen – Möglichkeiten, die Tess mit Freude erfüllten.

Bis ihr schlechtes Gewissen sie wieder quälte. „Wir zeigen ihm einfach unsere Dankbarkeit für alles, was er für uns tut. Denn schließlich sind wir doch dankbar, oder?“Genna setzte ein kühles Lächeln auf. „Sehr dankbar.“

Sie würde auf Genna aufpassen müssen, die impulsiver und unverblümter war, als gut für sie war. Tess wechselte das Thema. „Ich glaube, Lord Tinmore hat bis zum Dinner nichts weiter für uns geplant.“

Die Gäste standen ihm im Alter sehr viel näher als seiner Frau und brauchten deswegen nach ihrer gestrigen Reise hierher etwas Zeit zum Ausruhen. Tess vermutete, dass sie die erste Einladung nach Tinmore Hall seit wohl dreißig Jahren wohl vor allem deswegen angenommen hatten, weil sie die Frau kennenlernen wollten, die es geschafft hatte, Lord Tinmore aus seinem Schneckenhaus zu locken.

Tess graute sich vor der zweiten Begegnung mit den Gästen. Die Reisekleidung der Damen war sehr viel schöner als selbst ihr bestes Kleid. Ihre Abendkleider hatten ihr regelrecht den Atem genommen. Die neue Garderobe, die Lord Tinmore für sie geordert hatte, würde erst in einer Woche fertig sein, aber Tess konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie und ihre Schwestern bis dahin so schäbig aussehen sollten.

„Möchtest du mit mir ins Dorf gehen?“, schlug sie vor.

Genna sah erstaunt aus. „Warum willst du ins Dorf?“

„Um ein wenig Spitze und Bänder zu besorgen. Ich hoffe, damit unsere Kleider ein wenig zu verschönern.“

„Es wäre dumm von dir zu gehen.“ Gemma wies auf das Fenster. „Es wird regnen.“

Tess warf einen Blick auf den bewölkten Himmel. „Bestimmt nicht, bevor ich wieder zurück bin.“

„Nun, ich riskiere es jedenfalls nicht.“ Genna tauchte die Spitze ihres Pinsels in Farbe.

„Na schön, dann gehe ich eben allein.“ Auch in Yardney war Tess meist allein spazieren gegangen.

Yardney, ihr Zuhause. Und es befand sich nur wenige Meilen von hier entfernt. Offensichtlich hatte Lorene die Strecke oft genug zurückgelegt, um Lord Tinmore zu einer Ehe überreden zu können. Warum sollte sie nicht auch bis Yardney gehen und nicht nur bis zum näher gelegenen Dorf? Es würde nur ein wenig länger dauern. In Yardney würde sie bei Mr. Weltons Tante vorbeischauen können. Und falls Mr. Welton noch immer bei ihr zu Gast war, könnte sie ihm erzählen, dass sie bald wieder eine Mitgift haben würde.

„Am besten nimmst du eins der Dienstmädchen mit“, sagte Genna. „Das ist es doch, was reiche Mündel tun, oder?“

Vielleicht – wenn sie gewollt hätte, dass man wusste, wie ihr Ziel lautete. Außerdem war Lord Tinmore nicht ihr Vormund, wenn sie auch offensichtlich unter seinem Schutz standen.

„Lord Tinmore wird sich nichts dabei denken, wenn ich ohne Begleitung ins Dorf gehe. Schließlich bin ich mein ganzes Leben lang allein spazieren gegangen.“ Zumindest hoffte sie, dass Lord Tinmore nichts dagegen haben würde. Sie und Genna hatten ihn kaum zu Gesicht bekommen, außer während einiger Mahlzeiten, die sie inzwischen mit ihm eingenommen hatten. Sie öffnete die Tür. „Jedenfalls gehe ich jetzt.“ Mit etwas Glück würde es ihr gelingen, ihre Kleider bis zum Dinner abzuändern und vielleicht gleichzeitig ihr zukünftiges Glück voranzutreiben.

Genna sah nicht von ihrer Malerei auf. „Na ja, falls es doch regnen solltte und du bis auf die Haut nass werden und dich erkälten solltest, erwarte nicht von mir, dir die Nase zu putzen.“

Auf diese Weise war auch ihr Vater erkrankt, aber das hatte Genna im Augenblick wahrscheinlich vergessen.

„Ich erkälte mich nie.“ Tess verließ entschlossen das Zimmer.

Es begann erst zu regnen, als Tess Yardney bereits verlassen hatte und auf dem Weg zurück nach Tinmore Hall war. Die ersten Tropfen, die auf den Weg plätscherten, verwandelten sich schnell in einen wahren Platzregen. Nur Augenblicke später war es, als würden alle Himmelsschleusen geöffnet werden. Gleich darauf war Tess bis auf die Haut durchnässt. Selbst ihre Einkäufe, in Papier gewickelt und unter ihrem Umhang verborgen, wurden allmählich nass.

„Genna, was wirst du schadenfroh sein“, murmelte sie.

Aber es war richtig gewesen zu kommen. Tess hatte zwar feststellen müssen, dass Mr. Welton bereits nach London abgereist war, aber er wusste von Lorenes Heirat. Also hatte sie seiner Tante noch von den Neuigkeiten berichtet. Jetzt würde er sie gewiss aufsuchen, sobald Lord Tinmore sie alle für die Saison mit nach London genommen hatte. Nur noch wenige Wochen.

Der Weg wurde immer schlammiger, und mit jedem Schritt wurde es schwieriger für Tess, die Füße zu heben. Wasser strömte so heftig an ihrer Hutkrempe herunter, dass sie kaum etwas sehen konnte, und die Regentropfen trafen wie kleine spitze Eisnadeln auf ihr Gesicht. Bis zum Pförtnerhaus des Gutes musste sie noch mindestens zwei Meilen gehen.

Inzwischen kam es Tess so vor, als müsste sie bei jedem Schritt ihre Füße aus dem Griff eines hinterhältigen Geschöpfes reißen, das entschlossen war, sie aufzuhalten. Zu versuchen, das Tempo zu erhöhen, war völlig unmöglich. Endlich sah sie die Brücke durch den dichten Regen.

Doch der Fluss schoss wie ein wilder Strom darüber hinweg.

„Oh, nein!“ Doch Tess’ Protest wurde vom Wind verschluckt.

Was sollte sie nur tun? Tess kannte keinen anderen Weg nach Tinmore Hall. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als bis zum Dorf zu gehen, wie sie es von vornherein hätte tun sollen. Der Regen peitschte jetzt regelrecht auf sie ein.

Verzweifelt blickte sie sich um und sah zu dem Wald neben dem Weg hinüber. Zuhause hätte sie eine Abkürzung durch den Wald und über die Felder gekannt. Sie hätte schon längst wieder vor dem Kaminfeuer gesessen und sich aufgewärmt. Doch hier wagte sie es nicht, den Weg zu verlassen.

Grüble nicht, sondern setz einfach einen Fuß vor den anderen, redete sie sich gut zu. Doch Verzweiflung begann bereits in ihr aufzusteigen. Sie ging weiter und weiter, eine Ewigkeit, wie ihr schien, bis sie glaubte, den schwachen Umriss des Dorfkirchturms zu sehen. So schnell wie möglich, eilte sie weiter, doch plötzlich strömte das Wasser auch über diesen Weg. Tess konnte nicht vorwärts, und sie konnte nicht rückwärts.

Aber wenigstens gab es noch die Möglichkeit, nach Yardney zurückzukehren. Vielleicht konnte sie bei Mr. Weltons Tante Zuflucht suchen. Oder an die Tür von Summerfield House klopfen.

Also drehte Tess sich um und kam wieder an der Straße vorbei, die zur überfluteten Brücke führte. Ein kurzes Stück weiter war der Weg ebenfalls überschwemmt. Entsetzt machte Tess wieder kehrt und kämpfte sich vorwärts, bis sie einen anderen Weg fand, ohne zu wissen, wohin der sie führen würde.

Wenn sie doch nur der vertrauten Gegend ihrer Kindheit näher wäre. Dort würde sie ein Haus finden, in dem man sie willkommen heißen würde. Aber jetzt wusste sie nicht einmal mehr, wo sie war oder wie sie sich jemals wieder zurechtfinden sollte. Sie hatte sich vollkommen verirrt, war nass bis auf die Haut und fror entsetzlich.

2. KAPITEL

Marc Glenville verwünschte den Regen.

Wieso es ausgerechnet dann wie aus Eimern gießen musste, wenn er auf dem Weg zurück nach London war, ging über seinen Verstand. Es sei denn, die Wettergötter hatten irgendwie seine Stimmung eingefangen. Nach London zurückzukehren war niemals ein Vergnügen. Aber ihm blieb nichts anderes übrig. Seine Geschäfte in Schottland waren erledigt.

Sein Pferd strauchelte, Marcs Kopf neigte sich leicht nach hinten und kaltes Wasser lief ihm den Nacken hinunter. Geschäfte in Schottland – dass er nicht lachte!

Das war das Märchen, das er seinen Eltern aufgetischt hatte und jedem anderen, der ihn gefragt hatte, wo er sich in den vergangenen langen Monaten aufgehalten hatte. Aber es war nicht die Wahrheit.

Er war in Frankreich gewesen, in Paris und auf dem Land, wo er sich unter die Bonapartisten gemischt hatte und all jene, die über Louis’ Rückkehr auf den Thron murrten. Es war seine Aufgabe, zu ermessen, ob der Unmut sich in offenen Aufruhr verwandeln könnte.

Alles für König und Vaterland.

Allerdings blieb es recht ruhig. Die Franzosen, ebenso wie die Engländer, waren des Kämpfens müde. Marc hatte seine Berichte abgegeben. Niemand würde jetzt noch etwas von ihm verlangen. Höchste Zeit, dass er sich um persönlichere Angelegenheiten kümmerte.

Höchste Zeit, sich ein für alle Mal die Tatsache klarzumachen, dass sein Bruder ihn nie wieder über den Frühstückstisch hinweg angrinsen und dass sein bester Freund nie wieder zu Besuch kommen würde. Als er vorgab, Monsieur Renard zu sein, ein gewöhnlicher citoyen Frankreichs, hatte er fast vergessen können, dass sein Bruder Lucien seit vier Jahren tot war und Charles seit fast drei. Doch jedes Mal, wenn er wieder nach Hause kam, rechnete er unwillkürlich damit, sie durch die Tür kommen zu sehen.

Tiefer Kummer durchfuhr ihn wie ein Blitzschlag. Närrischer Lucien, unbesonnener Charles. Ihr Tod war so unnötig gewesen.

Marc zwang sich zur Ruhe und hob das Gesicht dem kalten Regen entgegen. Es war immer besser, seine Gefühle im Griff zu haben. Als Agent für den König konnte es ihm das Leben retten, hier in London würde es ihm helfen, nicht den Verstand zu verlieren.

Lieber Gott, war dieser eisige Regen nicht nur daran schuld, dass er bis auf die Haut durchnässt wurde, sondern auch an diesen düsteren Gedanken? Konzentrier dich auf den Weg und dein armes Pferd, wies Marc sich zurecht. Heil über diesen schlammigen, tief zerfurchten Weg zu kommen war ein wahrer Kampf, selbst für ein so robustes Tier wie sein Pferd.

Der Hengst schnaubte heftig.

„Nicht so leicht, was, Apollo?“ Marc tätschelte ihm den Hals.

Er hatte gehofft, in Peterborough noch vor Einbruch der Nacht einzutreffen, aber bei diesem Wetter war das unmöglich. Wenn er das nächste Dorf erreichte, könnte er von Glück sagen, und dabei hoffen, dass es im Gasthaus ein Zimmer mit einem sauberen Bett gab.

Der Regen hatte ihn gezwungen, die Hauptstraße zu verlassen, und jetzt ritt er Apollo über jeden Weg, der noch gangbar war. Die Verspätung ärgerte ihn nicht allzu sehr. Schließlich erwartete ihn niemand. Seinen Eltern hatte er nichts von seiner Ankunft gesagt. Sollte es doch eine Überraschung werden.

Marc graute es vor dem Besuch, aber es wurde allmählich Zeit, dass er seinen Platz als Erbe einnahm, jetzt, da die Pflicht ihn nirgendwo anders hinschicken würde. Und er würde Doria Caldwell, Charles’ Schwester, aufsuchen und zu Ende bringen, was bereits unter ihnen abgemacht war, seit Charles getötet worden war. Er war es Charles schuldig.

Außerdem war die Caldwell-Familie, jetzt nur noch bestehend aus Doria und ihrem Vater, so angenehm normal, respektabel und vernünftig, dass er es genießen würde, zu ihr zu gehören.

Blitze zuckten über den Himmel, Donner ließ die Erde beben. Er musste doch in der Nähe irgendeines Dorfes sein. Lange genug war er schon unterwegs. Mit leicht zusammengekniffenen Augen sah er nach vorn in der Hoffnung, Dächer in der Ferne zu entdecken, ein Straßenschild oder sonst irgendein Anzeichen dafür, dass er bald Obdach finden würde. Doch der Regen war wie ein grauer Vorhang, der alles im Abstand von nur einem halben Meter vor ihm verbarg. Außerdem schien der Vorhang sich mit ihm zu bewegen, sodass Marc ständig von einem finsteren Nebel umgeben zu sein schien. Ihm wurden die Lider schwer.

Wieder blitzte es, und ihm war, als hätte er jemanden auf dem Weg gesehen. Er bemühte sich, genauer hinzuschauen, und tatsächlich – eine zierliche Gestalt erschien wie aus dem Nichts. Eine Frau. Sie war zu Fuß und hatte offenbar noch nicht bemerkt, dass ein Reiter auf sie zukam.

„Hallo!“, rief Marc. „Hallo, Sie da!“

Die Frau, in einen dunklen Umhang gehüllt, drehte sich um und wedelte heftig mit den Händen, um ihn zum Anhalten zu bewegen.

Als könnte irgendein Gentleman es über sich bringen, einfach an ihr vorbeizureiten.

Bei ihr angekommen, stieg er ab. „Madam, wohin wollen Sie? Kann ich Ihnen meine Hilfe anbieten?“

Sie sah ihn an. Es war eine junge Frau, recht hübsch, wenn ihr Gesicht auch angespannt war von Angst und Erschöpfung. „Ich möchte nach Tinmore Hall.“ Das Sprechen schien ihr schon fast zu viel zu sein.

„Zeigen Sie mir die Richtung. Ich bringe Sie auf meinem Pferd hin.“

Doch sie schüttelte den Kopf. „Es ist nicht möglich. All das Wasser. Alles ist überschwemmt. Wir können nicht hin. Wir können auch nicht zum Dorf.“ Ihre Stimme zitterte von der Kälte.

Er reichte ihr die Hand. „Kommen Sie. Ich helfe Ihnen auf mein Pferd.“ Ihr Umhang war so nass, als wäre er gerade aus dem Wasser gezogen worden. Ihr Hut wies keine Form mehr auf, und was viel schlimmer war, ihre Lippen waren blau vor Kälte. „Wir werden einen Ort finden, wo wir Sie wieder trocken bekommen.“

Zwar nickte sie, aber der Blick ihrer Augen war ausdruckslos. Sie reichte ihm ein durchweichtes Päckchen, das er in eine seiner Satteltaschen steckte. Dann hob er die Frau auf Apollo und stieg hinter ihr auf. „Ist es so bequem? Fühlen Sie sich sicher?“

Sie nickte wieder, bebte aber am ganzen Leib. Marc legte die Arme um sie, wusste aber, dass ihr das nicht helfen würde, warm zu werden. Er nahm die Zügel, und der arme Apollo, jetzt noch mehr Gewicht auf dem Rücken, setzte sich wieder in Bewegung.

„Ich kenne die Gegend nicht“, sagte er so laut, dass sie ihn über den Regen hinweg hören konnte. „Wie weit ist das nächste Dorf entfernt?“

„Ich habe mich verirrt. Ich weiß nicht, wo Yardney ist.“

Yardney musste ein nahe gelegenes Dorf sein. „Wir werden es finden.“ Allerdings redete er sich schon seit einer Stunde oder länger ein, dass er gleich auf ein Dorf stoßen würde.

„Kalt“, sagte sie erschaudernd. „So kalt.“

Sie musste so schnell wie möglich aus dem Regen heraus und an ein warmes Feuer. Schon so mancher war vor Kälte gestorben. Er spürte, wie sie sich an ihn lehnte und ein wenig entspannte.

Sie ritten weiter, bis ein Schild vor ihnen auftauchte. „Sehen Sie?“, rief er. „Kirton.“

Aber es kam keine Antwort von ihr.

Etwas später erreichten sie eine Stelle des überschwemmten Weges. Marc kehrte um, und bald gelangten sie wieder auf den Kreuzweg. Dieses Mal schlug er die andere Richtung ein. Hier gab es Felder, auf denen Getreide angebaut wurde. Es musste doch irgendwo in der Nähe auch Häuser geben.

Wenn er nur durch diesen verflixten Regen etwas sehen könnte!

Sie kamen an einen schmaleren, raueren Weg, einen bloßen Feldweg. Marc folgte seinen Windungen, hoffte insgeheim, dass er hier nicht kostbare Zeit verschwendete, und hielt Ausschau nach irgendetwas mit Wänden und einem Dach.

Plötzlich stand ein kleines Häuschen vor ihnen. Allerdings schien kein Kerzenlicht aus den Fenstern und kein Rauch kam aus dem Schornstein. Wenn sie Glück hatten, würde es wenigstens trocken darin sein.

„Sehen Sie!“, rief er, doch seine Begleiterin antwortete nicht.

Apollo begann, mit neuer Energie zu galoppieren, sobald er die mögliche Zuflucht entdeckt hatte. Als sie näher kamen, bemerkten sie auch einen kleinen Stall, und Marc lenkte Apollo zuerst zu dessen Tür. Behutsam stieg er ab, wobei er die junge Frau stützte. Dann ließ er sie in seine Arme rutschen, legte sie sich über die Schulter und entriegelte die Stalltür. Sofort trabte Apollo hinein.

Marc setzte die Frau auf einen trockenen Flecken Erde. „Kalt“, flüsterte sie und rollte sich auf dem Boden zusammen. Wenigstens war sie noch am Leben.

Sein Pferd tätschelnd, sagte Marc: „Sie hat Vorrang, alter Junge. Ich kümmere mich um dich, sobald ich kann.“

Und so verließ er den Stall, eilte zur Tür des Landhäuschens und hämmerte auf sie ein. Doch es kam keine Antwort, und im Inneren blieb es dunkel. Marc holte einen Satz von Generalschlüsseln aus der Manteltasche – welcher Agent, der etwas auf sich hielt, hatte nicht für alle Fälle einen Dietrich bei sich? Er probierte mehrere aus, bevor endlich einer das Schloss öffnete.

Das Licht von außen tat nicht viel, um das Innere des Häuschens zu erleuchten, aber Marc entdeckte sofort einen Kamin und eine Pritsche mit mehreren Decken darauf. Das würde reichen.

Schnell kehrte er zum Stall zurück. Apollo wieherte, als er ihn kommen sah.

„Du wirst noch eine Weile warten müssen, alter Junge.“

Wieder hob Marc die junge Frau hoch, die mit ihrer durchweichten Kleidung ziemlich viel wog. Sie stöhnte auf, als Marc sie sich abermals über die Schulter legte und durch den Regen zum Haus lief.

Seine erste Aufgabe war, sie von ihren nassen Kleidern zu befreien. Vorsichtig legte er sie auf den Boden, wo es nichts ausmachte, wenn ihre Sachen alles nass machten. Nachdem er seinen Mantel ausgezogen hatte, ging er so schnell vor, wie er nur konnte. Er schnitt die Schnürbänder ihres Kleides und ihres Mieders durch und zog sie vollkommen aus.

Unwillkürlich versuchte sie, sich zu bedecken, doch nicht aus Schamgefühl. „Kalt“, brachte sie nur mit zitternden Lippen hervor.

Sie war eine wahre Schönheit mit ihren vollen, festen Brüsten, der schmalen Taille und den langen, wohl geformten Beinen. Marc musste bei ihrem Anblick schlucken, erlaubte sich aber nur einen Blick, bevor er eine der Decken nahm und sie um sie wickelte. Von hier trug er sie zu der Pritsche und wickelte auch die zweite Decke um sie.

Inzwischen hatten seine Augen sich an die Dunkelheit im Raum gewöhnt. Er sah einen Stapel von Holzscheiten, Anmachholz und Kohle. Auf dem Kaminsims fand er dann noch Kerzen und einen Zündstein. Sofort machte er sich daran, ein Feuer zu entzünden. Als es stark genug brannte, warf er sich wieder den Mantel über und lief in den Regen hinaus, um sich um Apollo zu kümmern.

Der Stall war gut ausgestattet mit trockenen Tüchern und Bürsten. Marc rieb das arme Pferd, so gut er konnte, trocken und legte ihm am Ende eine Decke über. Es gab genug Heu, das Apollo gierig zu futtern begann, und eine Pumpe, von der Marc Wasser für seinen durstigen Hengst schöpfte.

„So, mein Guter.“ Marc strich über Apollos Hals. „Mehr kann ich nicht für dich tun. Bald wird der Regen aber aufhören, und mit etwas Glück werden wir uns noch vor Sonnenuntergang auf den Weg machen können. Jetzt friss erst einmal und ruh dich aus. Später sehe ich wieder nach dir.“

Doch der Regen machte noch immer keine Anstalten nachzulassen, als Marc zum Haus zurückkehrte. Besorgt beugte er sich über seinen neuen Schützling. Ihre Wangen hatten endlich Farbe angenommen, dem Himmel sei Dank, und ihre Haut fühlte sich wärmer an. Ihre Gesichtszüge hatten sich entspannt, und sie schlief ruhig.

Marc atmete zutiefst erleichtert auf, und erst jetzt fiel ihm auf, dass auch er nass war, fror und völlig erschöpft war. Er zog alles bis auf Hemd und Hose aus und schob einen Sessel so dicht wie möglich ans Feuer. Eigentlich hätte er ihre Kleidung zum Trocknen aufhängen sollen, aber die Wärme des Feuers war einfach zu verlockend. Stattdessen blieb Marc sitzen und starrte die junge Frau an.

Sie war entzückend, aber wer mochte sie sein?

Ihr Gesicht war charaktervoll mit den vollen Lippen und der eleganten Nase, den wohl geformten Brauen und den langen Wimpern. Ihre Kleidung verriet ihm nicht, ob sie von vornehmer Herkunft war oder nicht. Aber was für eine Frau würde während eines solchen Unwetters spazieren gehen? Sie erwähnte Tinmore Hall, Lord Tinmores Gut. Vielleicht gehörte sie dort zu den Bediensteten?

Wenn er ihre Hände sehen könnte, würde er mehr wissen. Waren sie rau von der Arbeit oder nicht? Aber sie lagen unter der Decke. Das Haar hatte sie sich zu einem schlichten Knoten hochgesteckt, wie es wohl jede Frau für einen Spaziergang ins Dorf getan hätte. So würde es niemals trocknen.

Marc löste die Haarnadeln aus ihrer Frisur und breitete ihr langes dunkles Haar, so gut es ging, auf dem Kissen aus. Dann lehnte er sich zurück. Lieber Himmel, jetzt sah sie aus wie eine griechische Göttin – vielleicht Aphrodite, die Göttin der Liebe, der Schönheit und der Lust.

Wenn sie aufwachte, würde sie sich nach Lust sehnen? Sein Blut geriet in Wallung. Was ihn sehr viel mehr erwärmte als das Kaminfeuer.

Das Erste, was Tess bewusst wurde, war lautes Donnern und stetes Regengeprassel. Sie erinnerte sich daran, dass sie einen Spaziergang gemacht hatte. Und dann daran, dass der Regen sie völlig durchnässt hatte.

Ihre Kleider!

Sie setzte sich abrupt auf. Eine Decke umhüllte sie – und mehr nicht.

„Sie sind aufgewacht“, hörte sie eine Männerstimme sagen.

Ein Mann saß in einem Sessel nicht weit von ihr. Natürlich – der Mann auf dem Pferd. Also hatte sie ihn wirklich gesehen.

„Wo bin ich?“, fragte sie mit rauer Stimme. Ihre Kehle war völlig ausgedörrt. „Wo sind meine Sachen?“

„Ich habe eine Leine improvisiert und sie aufgehängt.“ Er wies auf eine Stelle hinter ihr.

Sie drehte sich um und sah ihr Kleid, ihren Umhang, ihr Mieder und ihr Unterkleid auf einem Seil, das quer durch den Raum verlief. Neben ihren Sachen hingen ein Männermantel, Gehrock und Weste.

Der Mann fuhr fort: „Wir sind in einem kleinen Landhäuschen irgendwo in Lincolnshire, aber ich will verdammt sein, wenn ich wüsste, wo genau. Sie waren völlig durchnässt und wären bald erfroren. Ich musste Sie abtrocknen und wärmen, sonst …“ Er zuckte mit den Schultern.

„Sie haben mich hergebracht?“ Und dann hatte er sie ausgezogen? Tess errötete tief bei der Vorstellung.

„Es war wenigstens ein Dach über dem Kopf und ausgestattet mit Brennholz und Kohle.“

Tess sah sich benommen um. Es war ein kleines Haus mit einer Art Spülküche in einer Ecke. Das einzige Mobiliar waren ein Tisch mit Stühlen, der Sessel, in dem der Gentleman saß und ein Bett, das er dicht ans Feuer geschoben haben musste.

Sie fror nicht mehr, wie Tess plötzlich bewusst wurde.

Der Mann änderte seine Stellung, sodass sein Gesicht vom Kaminfeuer beleuchtet wurde. Er hatte rabenschwarzes Haar, dichte Brauen und ein Bartschatten zeigte sich auf Wangen und Kinn. Umso auffälliger waren seine durchdringenden blauen Augen. Tess hatte noch nie einen Mann wie ihn gesehen. Und er trug nur Hose und Hemd und nicht einmal Schuhe.

Sie schluckte mühsam. „Wer sind Sie?“ Das Laken rutschte ihr von einer Schulter, und hastig zog sie es wieder hoch.

Sofort erhob er sich. Er war sogar größer als ihr Halbbruder, und der war bereits über eins achtzig. „Mein Name ist Marc Glenville.“ Er verbeugte sich knapp. „Zu Ihren Diensten.“ Er ließ die Augenbrauen in die Höhe schnellen. „Und Sie?“

Tess schluckte wieder. „Ich heiße Tess Summerfield.“ Eigentlich hätte sie sich als Miss Summerfield vorstellen sollen, denn Lorene war jetzt Lady Tinmore, und so war Tess die älteste unverheiratete Schwester.

Sie berührte verlegen ihr Haar. Es hing offen herunter! Was war mit ihrem Haar passiert?

„Ich habe Ihnen die Haarnadeln herausgenommen.“ Der Mann – Mr. Glenville – setzte sich wieder. „Und ich musste Sie entkleiden, Miss Summerfield, aber nur weil Sie sonst erfroren wären. Ich gebe Ihnen mein Wort als Gentleman, dass es notwendig war. Ihr Leben war in Gefahr.“

Er war ein Gentleman. Sein Akzent, seine Haltung, alles wies darauf hin, dass er von vornehmer Herkunft war.

„Ich erinnere mich an gar nichts“, flüsterte Tess.

„Das lag an der Unterkühlung und ist ein weiteres Zeichen dafür, wie dringend nötig es war, Sie aufzuwärmen.“ Seine Stimme war tief und beruhigend.

Eigentlich hätte sie unter den Umständen – an einem unbekannten Ort, allein mit einem Fremden und noch dazu nackt – sehr viel verängstigter sein müssen. Aber es war sehr viel beängstigender gewesen, stundenlang durch den kalten Regen zu laufen.

„Ich muss Ihnen danken, Sir“, sagte sie leise. „Wie es aussieht, verdanke ich Ihnen mein Leben.“

Er senkte den Blick. „Es war reines Glück, dass ich das Häuschen hier gefunden habe. Wahrscheinlich ist es die Hütte eines Waldhüters, die er nur benutzt, wenn er in diesem Teil des Anwesens etwas zu tun hat.“ Er sprang auf. „Sind Sie hungrig? Ich habe einen Kessel für Teewasser entdeckt.“

Sie nickte. „Tee wäre wundervoll.“

Und so hängte er den Kessel über das Feuer und hob etwas vom Boden auf, das wie eine Satteltasche aussah. „Ihr Pferd!“ Tess erinnerte sich jetzt an ein Pferd.

Er lächelte. „Apollo.“

Stand das arme Tier etwa noch im Regen? „Sie müssen ihn hereinbringen.“

Er machte eine beschwichtigende Geste. „Keine Sorge. Apollo steht trocken und warm in einem Stall und hat so viel Wasser und Heu, wie das Herz begehrt. Als ich nach ihm sah, schien er mir sehr zufrieden zu sein. In ein paar Minuten werde ich wieder nach ihm sehen.“ Er trug die Satteltasche zum Tisch und holte eine Blechdose und etwas, das in ein Öltuch gewickelt war, heraus.

Während er sich in der Spülküche zu schaffen machte und Tess den Rücken zukehrte, stand Tess auf und ging, die Decke fest um sich ziehend, zu der Hängeleine, um nach ihrer Kleidung zu sehen. Ihr Kleid war noch immer nass, aber das Unterkleid schon fast trocken.

„Mr. Glenville?“ Sie nahm das Unterkleid von der Leine.

Er sah über die Schulter. „Ja?“

Sie presste sich das Unterleid an die Brust. „Können Sie sich bitte eine Weile nicht zu mir umdrehen? Ich möchte … ich möchte mein Unterkleid anziehen.“

Ohne ein Wort zu sagen, wandte er sich wieder ab und drehte das Gesicht dem Fenster zu.

Marc betrachtete ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe. Was vielleicht nicht besonders anständig von ihm war, aber er konnte einfach nicht widerstehen. Sie sah von hinten ebenso verlockend aus wie von vorn.

Was schadete es schon, sie ein wenig zu betrachten?

Allerdings spürte er, wie sein Körper heftig auf diese aufregende Schönheit reagierte. Hastig suchte Marc nach Teetassen und einer Teekanne. Die Kanne fand er schließlich, musste sich aber mit zwei Toby-Krügen zufriedengeben, die die Form eines sitzenden, Bier trinkenden Mannes aufwiesen.

„Sie können sich jetzt umdrehen.“ Ihre Stimme klang atemlos und leise. Wusste sie eigentlich, wie verführerisch das war?

„Ist Ihr Unterkleid trocken?“, fragte er, so leichthin er nur konnte.

„Ein wenig klamm vielleicht noch, aber ich fühle mich so besser.“ Sie hatte immer noch die Decke um sich geschlungen.

Marc hob die beiden Krüge hoch. „Die werden uns leider für unseren Tee genügen müssen.“ Er stellte sie auf den Tisch. „Macht es Ihnen etwas aus, ein wenig damit zu warten? Ich sollte kurz nach meinem Pferd sehen.“

„Apollo?“ Sie erinnerte sich an den Namen. „Selbstverständlich macht es mir nichts aus. Mir wäre fürchterlich zumute, wenn Ihr armes Pferd meinetwegen leiden müsste.“

Meinte sie das sarkastisch? Er musterte sie prüfend, konnte aber nichts als Sorge in ihrem Blick erkennen. Dass sie sich um sein Pferd sorgen sollte, fand er fast ebenso verführerisch wie ihr Spiegelbild und ihre leise Stimme.

Marc warf sich den Mantel um die Schultern. „Ich bin gleich wieder da und kümmere mich um den Tee.“

Draußen fühlte sich der Schlamm unter seinen bloßen Füßen zwar fast schmerzhaft kalt an, aber das war immer noch besser für ihn, als die nassen Stiefel zu tragen, selbst wenn er sich hätte hineinzwängen können. Der Regen hatte nachgelassen, aber die Sonne ließ sich nicht blicken. Selbst wenn der Regen völlig aufhören sollte, würden die Wege nicht vor Sonnenuntergang wieder begehbar sein.

Er und Miss Summerfield würden die Nacht miteinander verbringen müssen.

Es würde eine lange, qualvolle Nacht werden. Sosehr sein Körper auch nach der süßen jungen Frau verlangte, konnte Marc seinen Gelüsten natürlich nicht nachgeben. Es sei denn, sie selbst würde sich ihm anbieten …

Apollo wieherte.

„Wie geht es dir, alter Junge? Warm genug?“

Er und Apollo hatten bereits unzählige, sehr viel gefährlichere Abenteuer als dieses miteinander erlebt, aber es tat Marc leid, ihm ein weiteres zumuten zu müssen. Er fand eine etwas dickere Decke und legte sie Apollo über den Rücken. „Das wird dich schön warm halten.“ Danach mistete er den Stall aus und füllte neues Heu und frisches Wasser nach, bevor er zum Häuschen zurückkehrte.

Als er die Tür öffnete, stand Miss Summerfield bereits da und reichte ihm ein Handtuch. „Ich habe das gefunden. Damit können Sie sich die Füße abtrocknen.“

Im Haus war es heller als vorhin. „Sie haben Lampen angezündet.“

„Nur zwei. Um den Tee zubereiten zu können.“ Sie ging zum Tisch. „Er hat lange genug gezogen, glaube ich, und sollte jetzt fertig sein.“

Sie hatte den Tee zubereitet?

„Kommen Sie, setzen wir uns“, bat sie ihn. Sie trug noch immer das Laken, aber sie hatte es zu einer Art Tunika umfunktioniert und sich einen Strick um die Taille gebunden.

„Sie haben ein Kleid aus dem Laken gemacht.“

Sie lächelte und sah sogar noch hinreißender aus. „Ich musste mir etwas einfallen lassen, damit ich die Hände benutzen konnte, ohne dass das Laken ständig herunterrutschte. Wahrscheinlich sollte ich eine Münze hierlassen, weil ich Löcher für den Kopf und die Arme ins Laken schneiden musste.“

Er hängte seinen Mantel auf. „Sehr einfallsreich von Ihnen.“

Wieder lächelte sie. „Danke.“

Während sie ihm den Tee in einem der Krüge reichte, setzte er sich an den Tisch.

„Leider konnte ich keinen Zucker finden“, sagte sie.

„Das macht nichts.“ Ihre Finger berührten sich, als er den Krug entgegennahm. Unwillkürlich sah Marc ihre Hände an und konnte keine Anzeichen harter Arbeit an ihnen entdecken.

Jetzt setzte auch sie sich und schenkte sich selbst ein. „Ich habe noch nie Tee aus solchen Krügen getrunken. Oder sonst irgendetwas. Aber ich habe sie schon im Geschäft im Dorf gesehen.“

Marc überlegte. Eine vornehme junge Dame würde wahrscheinlich nicht aus einem Toby-Krug getrunken haben. Aber ein Dienstmädchen vielleicht auch nicht. Wer war diese Miss Tess Summerfield nur?

Er nahm einen Schluck von seinem Tee und tippte nachdenklich mit den Fingern gegen den Krug. „Sie erwähnten Tinmore Hall, als ich Sie fand. Sind Sie dort angestellt?“

„Angestellt?“ Sie sah ihn verwundert an. „Nein, ich wohne dort. Jetzt jedenfalls. Wir – meine Schwestern und ich – sind vor Kurzem dort hingezogen.“ Sie hielt inne, als wüsste sie nicht, ob sie mehr verraten dürfte. „Meine Schwester Lorene ist die neue Lady Tinmore.“

Aber das ergab doch keinen Sinn. „Ich dachte, der alte Earl ist noch am Leben. Hatte er einen Enkelsohn?“

Sie begegnete ruhig seinem Blick. „Lord Tinmore lebt, und er hat keinen Enkel. Meine Schwester hat den alten Lord geheiratet.“

Er hob erstaunt die Brauen. „Den alten Lord? Der Mann muss weit über siebzig sein.“

„Er ist fast achtzig Jahre alt.“ Sie reckte leicht das Kinn. „Woher kennen Sie Lord Tinmore?“

Marc nahm einen weiteren Schluck Tee. „Ich kenne ihn nicht, ich weiß nur von ihm. Mein Vater ging mit seinem Sohn zur Schule, und er hat den Tod des Sohnes erwähnt. Es kam plötzlich, wie ich mich erinnere.“ Er musterte sie neugierig. „Ihre Schwester hat einen Mann von fast achtzig Jahren geheiratet?“

„Ja.“ Sie senkte nicht den Blick.

Sie war also die Schwester von Lord Tinmores Frau? Nun, dann war sie gewiss kein Hausmädchen. Marc glaubte außerdem, dass der alte Earl kaum unter seinem Stand geheiratet hätte. Männer seiner Stellung taten das nicht. Die meisten Männer waren zu weise, um so etwas zu tun.

„Wer ist Tess Summerfield aber, dass ein Earl ihre Schwester heiraten würde?“, fragte er unumwunden.

Sie antwortete ihm ebenso unumwunden. „Ich bin die zweitälteste Tochter des verstorbenen Sir Hollis Summerfield of Yardney.“

Sir Hollis? Jetzt fiel es Marc ein. Er hatte von ihm gehört – oder vielmehr von dessen Frau. Es hieß, Sir Hollis’ Frau hätte so viele Liebhaber gehabt, dass jede ihrer Töchter von einem anderen Mann gezeugt worden sei – und keine von ihnen von Sir Hollis selbst.

Dennoch mussten sie als respektable junge Damen erzogen worden sein und standen jetzt wohl unter dem Schutz des Earl of Tinmore.

Marc rieb sich die Stirn. „Das ändert natürlich einiges. Wir müssen sehr vorsichtig sein, nicht zusammen gesehen zu werden.“

„Ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen zusammen gesehen zu werden!“, erwiderte sie abrupt. „Ich versichere Ihnen, dass ich mich sofort auf den Weg machen werde, sobald der Regen aufhört.“

Marc brachte es nicht übers Herz, ihr zu erklären, dass es dafür sehr wahrscheinlich zu dunkel sein würde.

„Entschuldigen Sie, Mr. Glenville“, sage sie jetzt leise. „Ich wollte nicht so undankbar klingen. Sie hätten mich auf der Straße zurücklassen können.“

Er musste ein Lächeln unterdrücken. Welcher Mann hätte diese süße junge Frau einfach ihrem Schicksal überlassen? „Sie haben nicht undankbar geklungen, Miss Tess Summerfield.“ Er sprach ihren Namen genießerisch aus.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, errötete sie. „Ich weiß, was Sie für mich getan haben. Sie haben mich gerettet. Und mir ist natürlich bewusst, dass unsere Situation ausgesprochen kompromittierend ist.“

Zumindest war sie sehr offenherzig, und das wusste Marc zu schätzen.

„Ich möchte nur nicht, dass Ihr guter Ruf gefährdet wird“, erklärte er. „Das war alles, was ich sagen wollte.“

Sie nickte. „Ich weiß. Aber ich brauche nur die Straße zurück nach Tinmore Hall zu erreichen. Ich werde niemandem sagen, wo ich gewesen bin und mit wem. Wenn Sie mich bis dorthin begleiten würden, können Sie sich darauf verlassen, dass ich nichts verraten werde. Niemals.“

„Ich werde Sie sicher zurückbringen.“ Das war von Anfang an seine Absicht gewesen. „Und ich werde ebenfalls nichts verraten.“

Sie hielt ihm die Hand hin. „Abgemacht.“

Er legte seine große, raue Hand in ihre kleine, zarte. „Ja, Miss Summerfield. Abgemacht.“

3. KAPITEL

So aus der Nähe betrachtet, kamen Mr. Glenvilles blaue Augen ihr so intensiv und faszinierend vor, dass Tess nicht den Blick von ihnen nehmen konnte. Ebenso wenig wie sie seine starke Hand loslassen konnte. Tess spürte, wie sie errötete.

„Sind Sie hungrig, Miss Summerfield?“, fragte er und gab sie frei.

„Ein wenig“, sagte sie atemlos. Sie war am Verhungern.

Er griff nach dem Öltuchpäckchen. „Ich habe hier ein wenig Brot und Käse.“ Er öffnete das Band und enthüllte einen kleinen Laib Brot und ein Stück Käse. Zuerst brach er etwas Brot vom Laib und reichte es Tess.

Es war ein wenig feucht, aber das war ihr gleichgültig. Sie biss sofort hinein. Und als Mr. Glenville ihr ein Stück Käse gab, musste sie sich zusammenreißen, um es nicht gierig zu verschlingen.

„Essen Sie nicht zu schnell“, warnte er sie und biss von seinem Käse ab.

Sein Verhalten ihr gegenüber hatte sich irgendwie verändert, ohne dass Tess genau hätte sagen können, wie, aber sein Blick wärmte sie sogar mehr als das Kaminfeuer. Er hatte ihr nichts als Freundlichkeit entgegengebracht. Tatsächlich hatte er ihr sogar das Leben gerettet. Wie entsetzlich es doch wäre, wenn sie jemand hier entdecken sollte. Manche Frauen würden die Situation ausnutzen, um einen Mann zur Ehe zu zwingen.

Doch wie fürchterlich, eine Ehe auf ein zufälliges Missgeschick zu gründen. Selbst Lorenes Ehe war aus einem besseren Grund geschlossen worden.

Wie ihr Mr. Glenville geraten hatte, aß sie langsamer und trank zwischendurch einen Schluck Tee, wobei sie jeden Bissen so lange wie möglich im Mund zergehen ließ. Hätte man ihr jedoch am Dinnertisch oder in einem Gasthaus nasses Brot und Käse serviert, wäre sie wahrscheinlich empört gewesen.

„Wie kann ich Ihnen nur danken, Mr. Glenville?“, sagte sie leise. „Es schmeckt wie Ambrosia.“

Wieder ein Blick von ihm, und wieder wurde ihr seltsam heiß.

Doch er wandte den Blick schnell wieder ab. „Sagen Sie mir, warum Sie allein mitten in einem Unwetter spazieren gingen“, sagte er leichthin.

Tess winkte ab. „Ich hatte etwas im Dorf zu erledigen.“

„Das muss ja sehr wichtig gewesen sein.“

Nein, das war es nicht. Es war dumm gewesen. Sie hatte lediglich gehofft, Mr. Welton zu sehen, und wollte Bänder kaufen.

Ihre Bänder! „Ich hatte ein kleines Päckchen … Hatte ich etwas bei mir, als Sie mich fanden?“

Er hob den Zeigefinger und beugte sich dann nach vorn, um etwas aus seiner Satteltasche zu holen. „Ihr Päckchen“, sagte er und reichte es ihr.

Tess nahm es dankbar entgegen.

„Der Grund für Ihren Spaziergang ins Dorf?“

„Bänder und Spitze.“ Sie errötete verlegen, als sie seine Überraschung sah. „Ihnen mag es nicht wichtig vorkommen, aber für mich war es das.“ Noch wichtiger war gewesen, Neues über Mr. Welton zu erfahren. „Außerdem glaubte ich, es würde erst später anfangen zu regnen.“

Ohne etwas dazu zu bemerken, nahm er einen Bissen vom Käse.

„Und warum waren Sie im Regen unterwegs?“

Er schluckte hinunter. „Ich bin auf dem Weg nach London.“

Doch sie ließ ihn nicht so leicht davonkommen. „Und sind losgeritten, obwohl ein Unwetter bevorstand?“

Er hob seinen Toby-Krug wie zum Toast und lächelte. „Touché.“

Wenn seine blauen Augen schon eine seltsame Macht über sie hatten, dann dieses Lächeln erst recht. „Ich bin froh, dass Sie losgeritten sind. Was wäre aus mir geworden, wenn Sie klüger gehandelt hätten?“

„Dann hätte jemand anders Sie aufgelesen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich war stundenlang unterwegs und habe sonst niemanden gesehen.“

Wieder musterte er sie mit diesen aufregenden blauen Augen, und Tess wandte den Blick ab. „Warum wollten Sie nach London?“

„Meine Geschäfte in Schottland sind beendet, also kehre ich nach London zurück.“

„Haben Sie Geschäfte in London?“

„In gewisser Weise.“

Offenbar eine Weise, über die er nicht sprechen wollte. „Ich werde auch bald nach London reisen“, erzählte sie hastig, um das plötzliche Unbehagen zwischen ihnen zu überspielen. „Zur Saison. Werden Sie auch an den Gesellschaften der Saison teilnehmen?“

Er war sehr ernst geworden. „Ich weiß noch nicht genau.“

Tess hatte das Gefühl, dass er sich vollständig vor ihr verschloss, wenn sie auch nicht wusste, warum. Vielleicht langweilte ihn ihre Unterhaltung. Plötzlich kam sie sich noch einsamer vor als während des Unwetters. Ihre Schwestern fehlten ihr. Sie würden denken, dass sie irgendwo im Dorf untergekommen war, und Tess konnte nur hoffen, dass sie annahmen, sie war in Sicherheit. Wenn sie doch nur schon bald zu ihnen zurückkehren könnte.

Sie beendete ihren kleinen Imbiss, und er wickelte den Rest wieder ein.

Plötzlich herrschte tiefe Stille.

„Der Regen!“, rief sie aufgeregt. „Ich glaube, der Regen hat aufgehört!“

Tess sprang im selben Moment auf wie Mr. Glenville, und gemeinsam liefen sie zur Tür. Einen Augenblick blieben sie davor stehen und starrten sie an, und dann riss er die Tür auf.

Der Regen hatte aufgehört, aber es war stockdunkel.

Betroffen sah Tess ihn an. „Es ist unmöglich, uns jetzt noch auf den Weg zu machen, nicht wahr?“

„Völlig“, antwortete er. „Es ist zu nass und zu dunkel. Ich fürchte, wir werden die ganze Nacht hierbleiben müssen.“

Die ganze Nacht.

Marc wünschte, er könnte die Enttäuschung aus ihrem Gesicht verschwinden lassen. Allerdings musste man ihr lassen, dass sie sich mit keinem Wort beschwerte, obwohl ihre Situation jetzt eindeutig schwieriger geworden war als vorher. Stattdessen beschäftigte sie sich damit, noch mehr heißes Wasser in die Teekanne zu gießen. Sie beklagte sich nicht, sagte aber auch sonst nichts.

Schon bald begann der kalte Wind an den Fenstern zu rütteln, und der kleine Raum wurde noch kälter. Marc machte sich wieder auf die Suche und fand weitere zwei Decken in einer Truhe. Er reichte Miss Summerfield eine, und sie schoben die Stühle vom Tisch dichter zum Feuer, wickelten sich in die Decken, tranken schwachen, aber heißen Tee und blickten stumm in den Kamin.

Marc war, als hätte er ihre Gesellschaft verloren. Und er wollte sie wiederhaben. „Reisen Sie also nach London wegen des Heiratsmarkts?“, fragte er.

Sie zuckte zusammen. Offenbar hatte er sie erschreckt.

„So würde ich es nicht gerade ausdrücken“, antwortete sie zögernd. „Meine jüngere Schwester und ich werden in die Gesellschaft eingeführt. Vielleicht werden wir sogar der Königin vorgestellt, falls Lord Tinmore darum bittet.“

„Ich bin erstaunt.“

„Warum? Warum sollten wir nicht vorgestellt werden?“

Er hob abwehrend die Hand. „Ich bin nur erstaunt, dass sich das irgendjemand wünschen sollte.“

Miss Summerfield reckte leicht das Kinn. „Es wäre eine Ehre.“

Wünschte seine Schwester es sich auch? Falls ja, so würde sie diese sogenannte Ehre leider niemals erleben. „Ja, das wäre es wohl, nehme ich an“, meinte er nur.

„Ebenso wie es eine Ehre wäre, Karten für Almack’s zu bekommen. Werden Sie sich Karten für Almack’s besorgen?“

Er lachte trocken auf. „Sehr unwahrscheinlich.“

Ohne ihn anzusehen, den Blick auf das Kaminfeuer gerichtet, fragte sie: „Warum nicht? Ich dachte, Sie kommen aus vornehmer Familie.“

„Warum dachten Sie das?“

„Sie sagten doch, Ihr Vater sei mit Lord Tinmores Sohn zur Schule gegangen.“

Das hatte er wirklich gesagt. „Ich komme aus vornehmer Familie.“ Aber er hatte absichtlich nicht mehr erwähnt. Jetzt würden sie allerdings die Nacht zusammen verbringen, da konnte Miss Summerfield genauso gut mehr über ihn erfahren. „Sie haben vielleicht von Viscount Northdon gehört?“

„Nein.“

Sie musste der einzige Mensch in ganz England sein, der nichts von Viscount Northdon gehört hatte. „Sehen Sie, Miss Summerfield, ich stamme von einer Familie ab, die keinen guten Ruf genießt. Viscount Northdon ist mein Vater, und weil er meine Mutter geheiratet hat, ist unsere Familie nicht sehr angesehen in den höchsten Kreisen der guten Gesellschaft.“

Er erwartete, Neugier in ihren Augen zu lesen, doch er entdeckte nichts als Mitgefühl. Das rührte ihn mehr, als er vor sich selbst zugeben wollte, und er war bereit, fortzufahren. „Meine Mutter ist Französin, und ihre Familie war im Handel tätig.“ Doch es war der Rest, der ihn besonders schmerzte. „Schlimmer als das ist allerdings, dass ihr Vater sich am Terror beteiligt hat.“ Er räusperte sich. „Aus diesem Grund sind wir bei Almack’s nicht willkommen.“

Beide schwiegen eine Weile. Miss Summerfield senkte den Blick und sagte schließlich leise: „Es ist nicht sicher, ob unsere Familie Zutritt zu Almack’s bekommen wird, selbst wenn Lord Tinmore es wünscht.“ Sie sah ihn wieder an. „Ich habe auch eine skandalöse Mutter.“

„Ich habe von Ihrer Mutter gehört“, gestand er ihr. Er hatte gehört, dass sie ihren Mann und ihre Kinder verlassen hatte, um mit einem ihrer Liebhaber durchzubrennen.

Miss Summerfield nickte bedrückt. „Ich nehme an, jeder hat von Mutter gehört.“ Sie zog die Beine hoch und stellte die Füße auf dem Rand ihres Stuhls ab. „Ich nehme an, man wird uns überall anstarren, wohin wir auch gehen. Und hinter unserem Rücken über uns tuscheln …“

Er wusste aus eigener Erfahrung, dass sie recht hatte. „Lord Tinmores Ansehen wird die Dinge sehr für Sie erleichtern.“

„Ja“, sagte sie in entschlossenem Ton. „Lord Tinmore wird viel für uns tun.“

Er versuchte, sie noch mehr zu beruhigen. „Man wird sagen, dass Ihre Schwester eine großartige Partie gemacht hat. Und es gibt keinen Grund, warum Ihnen nicht dasselbe gelingen sollte.“ Ganz besonders mit diesem Gesicht und dieser Figur.

„Ich möchte keine großartige Partie machen“, fuhr sie ihn unerwartet an. „Meine Eltern gingen eine vorteilhafte Ehe ein, und sehen Sie doch, was aus ihnen geworden ist.“

Marc musste an seine Eltern denken und daran, was aus ihnen geworden war, nachdem sie eine sehr unkluge Ehe eingegangen waren.

Sie stützte das Kinn auf die Knie. „Mir sind Titel und gesellschaftliche Stellung gleichgültig. Ich möchte jemand heiraten, der mich um meiner Selbst willen liebt und dem unwichtig ist, was meine Mutter getan hat oder nicht.“

„Liebe?“ Seine Eltern hatten aus Liebe geheiratet. Oder wenigstens aus Leidenschaft, die so oft fälschlich für Liebe gehalten wurde. „Es ist besser, eine Ehe einzugehen, die auf gegenseitigen Interessen basiert.“

„Meine Eltern heirateten aus gesellschaftlichem Interesse“, wandte sie ein. „Glauben Sie mir, es funktioniert nicht.“

Dennoch waren die Chancen für einen Erfolg größer als in einer Liebesheirat, fand Marc. Liebe führte zu unvernünftigen Entscheidungen und später zu tiefer Reue.

Und zu ständiger Zwietracht.

„Was sagen Sie dann aber zur Ehe Ihrer Schwester?“ Schließlich hatte die Frau nicht geheiratet, weil sie ihren Mann begehrte, so viel war sicher.

Miss Summerfield stellte die Füße wieder auf den Boden und beugte sich vor. „Sie wissen nichts über die Ehe meiner Schwester.“

„Ich kann aber vermuten, dass sie eine Verbindung mit Lord Tinmore als sehr vorteilhaft betrachtet hat.“ Die Gründe für Lord Tinmore, eine junge Frau zu heiraten, waren nichts für die Ohren einer unschuldigen jungen Dame.

„Dass sie ihn wegen seines Vermögens geheiratet hat, meinen Sie?“, fragte sie erbost.

„Natürlich. Wegen seines Vermögens und seines Titels. Und Lord Tinmore hat eine junge Frau gewonnen und einen Grund, aus seiner Abgeschiedenheit aufzutauchen. Dafür muss sich keiner von beiden schämen.“

Miss Summerfield lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Lorene hatte ebenso wenig den Wunsch, einen Mann von Vermögen und Stellung zu heiraten wie ich.“

Das bezweifelte Marc allerdings sehr. „Warum hat sie es also dann getan?“

Sie sah ihn bedrückt an. „Sie hat es für uns getan. Für mich und Genna und auch für Edmund. Damit wir ein glückliches Leben führen können, damit Genna und ich eine Mitgift bekommen und die Chance, den Mann zu heiraten, den wir lieben, und nicht gezwungen sind, den erstbesten Antrag anzunehmen. Und damit wir nicht als Gesellschafterinnen oder Gouvernanten enden.“ Sie holte tief Luft. „Ich versichere Ihnen, Lorene hat Lord Tinmore aus den edelsten Gründen geheiratet.“

„Ihre Situation war so verzweifelt?“, fragte er leise.

Sie nickte.

„Dann muss ich sagen, dass ich Ihre Schwester bewundere und ihr alles Gute wünsche.“ Auch er würde sich für seine Schwester opfern, wenn er könnte.

Miss Summerfield runzelte die Stirn. „Ich fürchte, sie wird unglücklich sein. Und deswegen bin ich entschlossen, nur aus Liebe zu heiraten und glücklich zu werden. Damit das Opfer meiner Schwester nicht umsonst ist.“

Er betrachtete sie nachdenklich. „Sie würden Ihre Entscheidung tatsächlich von Ihren Gefühlen lenken lassen?“

„Auf jeden Fall.“

Er tippte sich gegen die Schläfe. „Es wäre besser, Ihren Kopf zu nutzen, Miss Summerfield.“

Sie ließ die Brauen in die Höhe schnellen. „Woher wollen Sie das wissen? Sie sind doch gar nicht verheiratet, oder?“

„Verheiratet? Nein.“ Trotzdem sprach er aus Erfahrung.

Als sein Vater in jungen Jahren die Grand Tour gemacht hatte, war er Marcs Mutter begegnet und mit ihr durchgebrannt. Sie setzten seine Tour durch Europa einfach ein leidenschaftliches Jahr lang fort, nur dass ihr Eheglück fast sofort endete, nachdem sie den Fuß auf englischen Boden gesetzt hatten.

„Glauben Sie mir, Miss Summerfield. Eine Ehe sollte man besser mit dem Verstand eingehen als mit dem Herzen.“ Oder weil man jemanden begehrte.

Sie lehnte sich wieder in ihrem Stuhl zurück. „Dann bedaure ich jetzt schon die Frau, die Sie einmal heiraten wird.“

Er zuckte nur mit den Schultern. „Ganz und gar nicht. Sie ist ganz meiner Meinung.“

„Sie sind verlobt?“, platzte sie heraus.

„Nein.“ Er stand auf und legte die letzten Kohlen auf das Feuer. „Aber es gibt eine Art Abmachung zwischen einer Dame und mir. Sie ist der Hauptgrund, weswegen ich nach London reise.“

Es hätte Tess eigentlich nicht stören sollen, dass es eine Frau gab, die er zu heiraten plante. Es hätte sie nicht stören sollen, dass sie diese Frau vielleicht einmal an seinem Arm in London sehen würde. Oder wie sie mit ihm tanzte. Schließlich träumte sie selbst doch davon, mit Mr. Welton zu tanzen, oder?

Doch irgendwie wäre es ihr ein solcher Trost gewesen, ihm ohne eine Frau im Schlepptau zu begegnen und vorzugeben, dass sie kein riesiges Geheimnis hatten.

„Sind Sie sicher, dass sie Sie heiraten wird, einfach nur weil Sie ihr … ja, was bieten Sie ihr überhaupt? Dass Sie der Sohn eines Viscounts sind?“, fragte sie ihn.

Er rührte sich unbehaglich auf seinem Stuhl. „Ich bin der Erbe des Titels, wenn ich es mir auch nie gewünscht habe.“

„Warum sollten Sie es nicht wünschen?“ Wie sehr hätten ihr Vater und auch Edmund sich gefreut, wenn Edmund ein legitimer Sohn und damit Erbe gewesen wäre. Im Grunde hätte ihr Vater Edmunds Mutter heiraten sollen. Schließlich war sie die Frau gewesen, die er geliebt hatte.

Mr. Glenville sah sie bedrückt an. „Weil mein Bruder dafür sterben musste. Glauben Sie mir, ich hätte lieber meinen Bruder wieder als Tausende von Titeln.“

Impulsiv legte Tess die Hand auf seinen Arm. „Das tut mir so leid“, sagte sie betroffen. „Es ist eigentlich immer fürchterlich, einen Titel zu erben. Immer muss jemand vorher sterben.“

Er lächelte traurig. „Nicht immer. Man kann seinen Titel auch erwerben, indem man einen Krieg gewinnt, wie der Duke of Wellington.“

Sein Lächeln ließ sie wohlig erschauern. Hastig wandte sie den Blick ab und zum Kaminfeuer hinüber. „Machen Sie sich denn keine Sorgen, diese Frau könnte Sie nur nehmen wollen, weil Sie eines Tages ein Viscount sein werden?“

„Sorgen?“ Er lächelte noch immer. „Das ist es doch, was ich zu bieten habe. Einen Titel und ein Vermögen. Warum sollte sie diese Dinge nicht haben wollen?“

„Aber warum wollen Sie sie haben?“, beharrte Tess. „Welche Vorteile hätten Sie denn von einer Heirat mit ihr?“

Er wurde ernst. „Sie ist die Schwester eines guten Freundes. Wir kennen uns seit unserer Kindheit. Ihre Familie ist sehr angesehen, und das wird viel dazu beitragen, den schlechten Ruf meiner Eltern auszugleichen.“

„Sie wollen sie heiraten, weil ihre Familie angesehen ist?“ Es war, als wollte er aus gesellschaftlichen Gründen heiraten. Genau wie ihr Vater, und was hatte es ihm schon eingebracht, als ihre Mutter mit einem anderen Mann davonlief?

Offenbar ahnte er, was sie dachte, denn er sah sie verständnisvoll an. „Vielleicht haben Sie und Ihre Schwestern nicht so sehr unter dem Stigma des Skandals gelitten, den Ihre Mutter verursacht hat.“

Wieder wandte Tess den Blick ab. „Unser Vater hat uns niemals mit nach London genommen.“ Allerdings gab es einige Damen in der Nachbarschaft von Yardney, die miteinander tuschelten, wann immer Tess und ihre Geschwister erschienen. Und einige Gentlemen waren sogar so weit gegangen, sehr unhöfliche Bemerkungen zu machen.

Er fügte freundlich hinzu: „Sie werden unter Lord Tinmores Schutz gewiss keine Schwierigkeiten in London haben.“

Tess nickte. „Ich weiß. Ohne Lord Tinmores Vermögen und Ansehen würde man uns nirgendwo einladen. Aber das bedeutet nicht, dass ich einen Antrag von einem Mann annehmen werde, wenn ich nicht große Zuneigung für ihn empfinde.“

„Ich empfinde Zuneigung für meine zukünftige Braut, aber ich lasse meine Entscheidungen nicht von meinen Gefühlen beeinflussen.“

„Sie haben sie also gern?“

Er nickte. „Ich mag sie ganz gern.“

Ganz gern. Allmählich begann seine Zukünftige ihr wirklich leidzutun. „Aber Sie lieben sie nicht?“

„Fragen Sie mich, ob ich Leidenschaft für sie empfinde? Ob ich die Sprache verliere vor Aufregung, nur weil ich in ihrer Nähe bin? Die Antwort lautet Nein“, entgegnete er. Aber ich mag sie ganz gern.“

Wenn Tess’ Vater ihre Mutter geliebt hätte, hätte sie sich vielleicht keine Liebhaber genommen. Wenn ihre Mutter ihren Vater geliebt hätte, hätte er ihre Launen ertragen, ihr geschmeichelt und sie verwöhnt, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Tess und ihre Schwestern hatten oft darüber nachgedacht.

„Ich hoffe, Sie werden sie lieben lernen“, sagte Tess. „Und ich hoffe, sie liebt Sie.“

Seine Miene verriet nichts von seinen Gefühlen.

Sie schwiegen eine Weile. Tess spürte, dass der Raum allmählich kälter wurde. Der Wind fand seinen Weg irgendwie ins Haus, und das Kaminfeuer wurde schwächer.

„Wie alt sind Sie, Miss Summerfield?“, fragte er sie schließlich.

„Zweiundzwanzig.“

Er hob die Augenbrauen. „Und Lady Tinmore?“

„Meine Schwester ist fünfundzwanzig.“

„Und Sie hatten noch keine Verehrer? Das ist schwer zu glauben.“

Tess schob leicht das Kinn vor. „Ich sagte nicht, dass wir keine Verehrer hatten. Unsere Situation hat sie nur nicht ermutigt, einen Antrag zu machen. Wir hatten keine Mitgift.“

„Ihr Vater hat Ihnen und Ihren Schwestern keine Mitgift gegeben?“

Wenn er von den Gerüchten über ihre Mutter wusste, konnte er sich gewiss den Grund denken. Ihr Vater glaubte nicht, dass sie seine Töchter waren. Doch Tess war nicht bereit, diese Worte laut auszusprechen. „Unser Vater ging gern riskante Investitionen ein. Er wollte ein so großes Vermögen verdienen, dass unsere Mutter es bedauern würde, ihn jemals verlassen zu haben. Leider ging er bei seinen Investitionen nicht sehr weise vor. Er benutzte den letzten Rest seiner Mittel – unsere Mitgift – dazu, Edmund ein Offizierspatent zu kaufen.“

„Edmund ist der illegitime Sohn Ihres Vaters?“

Also wusste er auch von diesem Teil ihrer Familiengeschichte. Tess nickte. „Ja, er ist unser Halbbruder. Allerdings lieben wir ihn wie einen Bruder, alles andere ist nicht wichtig für uns.“ Und nach kurzem Nachdenken fuhr sie fort: „Ich stimme Ihnen ja zu, dass man ein gewisses Vermögen und einen unbefleckten Ruf braucht, um eine gute Partie machen zu können. Aber Reichtum und gutes Ansehen reichen nicht für eine glückliche Ehe. Es ist die Liebe, die einen glücklich macht. Nur die Liebe schafft es, einem über die Widrigkeiten des Lebens hinwegzuhelfen.“

„Sie werden immer philosophischer“, meinte er lächelnd. „Aber es gibt Widrigkeiten, die selbst die größte Liebe nicht überwinden kann. Haben Sie einen Verehrer?“

Tess spürte, wie sie rot wurde, und er runzelte die Stirn. „Also haben Sie einen. Einen Mann, der aber nicht um Sie werben wollte, weil Sie keine Mitgift hatten.“

Wieder errötete sie, diesmal allerdings vor Wut. Bevor sie ihm antworten konnte, warf er allerdings seine Decke von sich und stand auf. „Ich sehe kurz nach Apollo.“ An der Tür hielt er inne. „Ich hoffe, dass alles so wird, wie Sie es sich erhoffen, Miss Summerfield. Aber bevor Sie mit Ihrem jungen Mann vor den Altar treten, benutzen Sie Ihren Verstand und vergessen Sie für einen Moment Ihr Herz.“

Am liebsten hätte sie ihm patzig geantwortet, doch sein ernster Ton hielt sie davon ab. Was er sagte, war natürlich wahr. Mr. Welton konnte nicht um sie anhalten, als sie keine Mitgift hatte, aber das bedeutete doch nicht, dass er keine Gefühle für sie hatte.

Oder?

Mr. Glenville öffnete die Tür, und kalter Wind rauschte herein. In diesem kurzen Moment wurde der Raum noch eisiger. Tess vergaß alles, was mit ihrer Mitgift oder einer Liebesheirat zu tun hatte. Die Luft war eiskalt, und sie hatten bereits die letzte Kohle auf das Feuer gelegt. Wie sollten sie die ganze Nacht hindurch warm bleiben?

„Ich werde mich nach weiterem Holz umsehen“, sagte Mr. Glenville, als ahnte er, was in ihr vorging. „Was wir haben, wird nicht für die ganze Nacht reichen.“

4. KAPITEL

Eis knirschte unter Marcs nackten Füßen, während er den Hof bis zum Stall überquerte. Während er sich um Apollo kümmerte, spürte er, wie seine Füße jedes Gefühl verloren. Warum hatte er sich nicht im Juni verirren können statt im Februar?

Es war nicht nur die eisige Kälte, die ihn störte. Es war auch das Gespräch mit Miss Summerfield. Weil all dieses Gerede über die Ehe und Liebe einen wunden Punkt bei ihm getroffen hatte.

Seine Eltern hatten aus Liebe geheiratet, und wohin hatte es geführt? Zu Streit, Vorwürfen, Beschuldigungen und der Behauptung, sie wünschten, sich niemals begegnet zu sein. Wieder und wieder hatte er sich mit anhören müssen, dass seine Eltern glaubten, sich gegenseitig das Leben zerstört zu haben.

Dann waren da noch Lucien und Charles. Wohin hatte die Liebe seinen Bruder und seinen besten Freund gebracht? Marc selbst war entschlossen, sich nicht zu verlieben. Niemals würde er zulassen, dass seine Gefühle mit ihm durchgehen würden.

„Das ist das Vernünftigste, oder? Was sagst du, Apollo?“

Sein Pferd schnaubte zur Antwort, und Marc lehnte das Gesicht an Apollos warmen Hals. Er fand noch eine Decke, um Apollo warm zu halten und versuchte, seine eiskalten Füße zu ignorieren.

„Morgen früh machen wir uns auf den Weg, alter Freund“, sagte er. „Halte durch, mein Alter.“

Marc durchsuchte den Stall nach Holzstücken, und fand einige, die er für das Kaminfeuer benutzen konnte. Allerdings würden sie schon bald aufgebraucht sein. Miss Summerfield und er mussten sich auf eine sehr kalte Nacht gefasst machen, wie er aus Erfahrung sagen konnte. In Frankreich hatte er so manche kalte Nacht unter freiem Himmel verbracht, als er sich vor jenen Männern hatte verstecken müssen, deren Misstrauen er geweckt hatte.

Jetzt biss er die Zähne zusammen und ging wieder durch den Schlamm zurück zum Häuschen. Miss Summerfield hockte neben dem Feuer und goss Wasser vom Kessel in die Teekanne.

„Ich habe noch etwas Holz aufgetrieben.“ Wenn auch nicht genug. Er ließ es neben dem Kamin auf den Boden fallen und stand jetzt dicht neben ihr.

Sie sah ihn an. „Ich dachte, Sie hätten vielleicht gern etwas Tee. Er wird zwar noch schwächer sein als der von vorhin, aber er wärmt Sie vielleicht ein wenig auf.“

„Tee ist jetzt genau das Richtige.“

Man konnte ihr ansehen, wie bedrückt sie war. Marc hätte ihr gern tröstend die Hand auf den Arm gelegt, aber stattdessen wandte er sich ab und hängte seinen Mantel auf die Leine. Dann ging er zu seinem Sessel neben dem Kamin und umwickelte die schmerzenden Füße mit der Decke.

„Was haben Sie?“, fragte Miss Summerfield.

„Meine Füße sind eiskalt“, erwiderte er und rieb sie. „Ich glaube, jetzt wären mir selbst meine nassen Stiefel lieber.“

Miss Summerfield richtete sich wortlos auf und ging zur Leine. „Ihre Strümpfe sind fast trocken.“ Sie brachte sie zu ihm und kniete sich vor ihm hin. „Ich ziehe sie Ihnen an.“

Sobald er ihre zarten Hände spürte, durchrieselte ihn heiße Erregung. Gerade, was ihm jetzt noch gefehlt hatte. „Das ist doch keine Aufgabe für eine junge Dame“, protestierte er halbherzig.

Sie streifte ihm einen Strumpf über. „Es ist so wenig nach allem, was Sie für mich getan haben.“

Wenigstens war ihm jetzt wirklich ein wenig wärmer. Er ließ zu, dass sie ihm auch den zweiten Strumpf anzog, und betrachtete sie, während sie es tat. Das Haar hing ihr in einem langen Zopf über den Rücken, doch einige Strähnen hatten sich gelöst und umrahmten ihr schönes Gesicht.

Sie war eine Frau, bei der ein Mann sehr leicht den Kopf verlieren konnte. Dieses eine Mal wünschte er, er könnte sein wie sein Vater – stets bereit, seiner Leidenschaft nachzugeben, ohne über die Folgen nachzudenken. Aber er wusste genau, welche Katastrophe ihm bevorstünde.

Sie umwickelte seine Füße wieder mit der Decke und stand auf, um ihm und sich den dünnen, aber heißen Tee einzuschenken.

Achten Sie auf sich in London, hätte er ihr am liebsten geraten. Es gab Männer, die sehr gut wussten, wie sie die Gefühle einer jungen Frau zu ihren Gunsten ausnutzen konnten. Die Liebe kam in vielen Gewändern, und einige davon waren sehr trügerisch.

Vielleicht könnte er ja auf sie aufpassen. Vielleicht könnte er sie ja vor den größten Gefahren der Liebe warnen.

Nein, sagte er sich sofort. Er musste sich von ihr fernhalten. Sie stellte eine zu große Versuchung für ihn dar.

Sie reichte ihm seinen Toby-Krug. „Besser als nichts“, meinte sie mit einem Lächeln.

Er nickte, und sie setzte sich in ihren Sessel. Eine Weile saßen sie nur da und nippten an dem heißen Getränk, dessen Geschmack nur noch entfernt an Tee erinnerte. Das Feuer schwand langsam dahin, bis nur noch glühende Asche übrig blieb, doch Marc zögerte noch damit, ihr letztes Holz nachzulegen. Er blickte sich im Raum um und überlegte, ob er nicht vielleicht die Möbel zerschlagen sollte. Allerdings schien es eine etwas extreme Maßnahme zu sein und nicht sehr freundlich dem Besitzer des kleinen Häuschens gegenüber.

Miss Summerfield gähnte, schlang die Arme um die Beine und lehnte die Wange an die Knie. Marc berührte sie sanft am Arm. „Sie sollten sich auf die Pritsche legen und ein wenig schlafen. Ich werde sie dichter ans Feuer ziehen.“

„Wo werden Sie schlafen?“, fragte sie.

Er zuckte mit den Schultern. „Der Sessel reicht mir.“ Er hatte schon an unbequemeren Orten die Nacht verbracht.

Der Wind schien durch die Wände des kleinen Häuschens zu dringen. Miss Summerfield erschauderte sichtlich. „Es ist kalt.“

Und es würde noch kälter werden. „Auf der Pritsche wird Ihnen wärmer sein.“

Sie folgte seiner Aufforderung und hatte sich gleich darauf unter die Decke auf der Pritsche gekuschelt, die Marc so dicht wie möglich vor den Kamin gezogen hatte.

Er sah zu, wie sie schlief und noch einmal erschauderte, als die Temperatur noch weiter sank. Nach kurzer Suche fand Marc noch einige Stücke Kohle, aber inzwischen war es wirklich sehr, sehr kalt.

Nach einer Weile erwachte Miss Summerfield, zitternd, aber ohne ein Wort der Klage. Jetzt fiel ihm nur noch eine Methode ein, mit der er sie warm halten könnte, aber es war eine, die keine junge Dame akzeptieren würde.

Autor

Diane Gaston
Schon immer war Diane Gaston eine große Romantikerin. Als kleines Mädchen lernte sie die Texte der beliebtesten Lovesongs auswendig. Ihr Puppen ließ sie tragische Liebesaffären mit populären TV- und Filmstars spielen. Damals war es für sie keine Frage, dass sich alle Menschen vor dem Schlafengehen Geschichten ausdachten. In ihrer Kindheit...
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