Im dunklen Schatten der schönen Duchess

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Der Antrag von Jason Darvell, Duke of Rotherton, ist mehr, als die bürgerliche Angeline sich jemals erträumt hat. Nur einen Monat später sind sie bereits verheiratet! Doch von Liebe – von seiner Seite – kann leider keine Rede sein. Angeline weiß genau, dass das Herz des verwitweten Dukes noch immer seiner jüngst verstorbenen Gattin gehört. Nur weil er möglichst schnell einen männlichen Erben haben will, hat er sich zur Heirat mit Angeline hinreißen lassen. Für immer scheint sie dazu verdammt, im Schatten seiner bezaubernd schönen, makellosen, umschwärmten ersten Duchess zu stehen und sich vergeblich nach ihm zu sehnen …


  • Erscheinungstag 11.11.2025
  • Bandnummer 440
  • ISBN / Artikelnummer 0814250440
  • Seitenanzahl 256

Leseprobe

Sarah Mallory

Im dunklen Schatten der schönen Duchess

1. KAPITEL

„Was für ein herrlicher Tag für eine Hochzeit!“

Angeline Carlow sah aus dem Fenster. Ihr Innerstes kribbelte vor Aufregung.

„Aye, das stimmt, Miss, doch Sie werden nicht zugegen sein, wenn Sie sich nicht beeilen“, erwiderte ihre Zofe.

„Uns bleibt noch über eine Stunde, ehe wir aufbrechen müssen. Außerdem ist es nicht wichtig, ob ich zugegen bin oder nicht, denn niemand wird mich beachten. Alle werden nur Augen für das Brautpaar haben.“

„Sie werden sich dennoch von Ihrer besten Seite zeigen wollen, Miss. Und Lady Tetchwick wünscht mich noch zu sehen.“ Joan, mit den Verschlüssen von Angelinas neuem zartrosa Musselinkleid beschäftigt, schniefte leise: „Ihre Ladyschaft mag nun ihre eigene erstklassige Zofe haben, doch sie ist sich nicht zu fein, ihre alte Zofe um den letzten Schliff zu bitten.“

„Arme Alice, so bemüht, allen zu zeigen, wie modisch sie nun geworden ist!“ Angeline kicherte. „Welch ein Glück, dass Barnaby Meg heiratet, die aus derselben Gemeinde kommt. So kann unsere Schwester sich all ihren alten Nachbarn präsentieren. Wie auch immer, ich finde viel wichtiger, dass unsere Leute aus Goole Park zur Kirche kommen. Viele von euch sahen uns aufwachsen. Gewiss wollt ihr alle dort sein und sie beglückwünschen.“

„Nun, natürlich, Miss, doch hier muss noch eine Menge getan werden, ehe es auch nur einer von uns wagen kann, das Haus zu verlassen.“

Angeline verstand das nur zu gut. Sie war seit dem Morgengrauen auf und glättete die Wogen. Zuerst hatte sie Mrs. Penrith beschwichtigt, die Anstoß daran nahm, dass Lord und Lady Tetchwick für ihre vier Kinder nur ein Kindermädchen mitgenommen hatten und nun von einem der Hausmädchen erwarteten, diese Lücke zu füllen. Dann musste sie die Köchin versöhnlich stimmen, nachdem ihre Mutter das Menü für das Hochzeitsfrühstück so oft geändert hatte, dass in der Küche niemand mehr wusste, wo ihnen der Kopf stand. Und schon in den vorangegangenen Tagen hatte sie etliche Pflichten ihrer Mutter übernommen, die derart in die Vorbereitungen für die Hochzeit ihres einzigen Sohnes vertieft war, dass sie ihre alltäglichen Aufgaben nicht mehr bewältigen konnte.

„So.“ Joan trat einen Schritt zurück und begutachtete ihre Herrin. „Mehr kann ich nicht für Sie tun, Miss. Gehen Sie bitte nicht wieder in die Kinderstube, sonst werden die Kleinen ihr Kleid zerknittern oder an Ihren Haaren zerren.“

Angel lachte. „Nun geh, Joan, Liebes. Ich versprach, noch einmal bei Mrs. Penrith vorbeizuschauen, nur um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist, wenn die Gäste zum Hochzeitsfrühstück eintreffen.“

Die Zofe ließ sie allein und Angel genoss einen Moment die Einsamkeit. Geräusche drangen gedämpft durch ihre Zimmertür, doch nichts davon klang besorgniserregend. Sie hoffte nur, von jetzt an würde sie entspannt die Hochzeit genießen können.

Sie wollte eben die große Freitreppe hinunter, als sie unten einen Mann in der nüchternen Livree eines privaten Dienstboten erblickte, der gerade zwei Koffer hereingetragen hatte und die Halle darauf wieder verließ. Dann war also ihr letzter und auch wichtigster Gast eingetroffen: Barnabys Trauzeuge, der Duke of Rotherton.

Als Angel die letzten Stufen hinabschritt, sah sie ihn. Er hatte sich bereits seines Hutes entledigt, und da er ihr den Rücken zuwandte, konnte sie seine rabenschwarzen Haare und seine große, athletische Figur begutachten, während er seinen Kutschermantel mit den vielen Schultercapes auszog und dem Lakaien reichte. Dann wandte er sich um und sah auch sie.

„Angel! Einen guten Tag wünsche ich.“

Ihr Herz machte einen freudigen Hüpfer. Dass er ihren Spitznamen aus Kindertagen noch wusste, gefiel ihr ungemein, und er klang, von dieser tiefen, ruhigen Stimme ausgesprochen, um einiges attraktiver als früher. Sie streckte ihm die Hand entgegen. „Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise, Euer Gnaden.“

„Ausgezeichnet, danke.“ Der Duke nahm ihre Hand und beugte sich darüber. „Die Straßen und das Wetter waren gut.“ Er richtete sich auf. „Doch du nanntest mich einst Jason.“

„Als du ein schmuddeliger Schuljunge warst!“ Sie lachte und versuchte, das aufregende Kribbeln zu ignorieren, das sie durchlief, als seine Lippen über ihren Handrücken strichen. „Du hast dich sehr verändert.“

„Ach, ja?“ Er bedachte sie mit einem fesselnden Blick aus seinen schiefergrauen Augen. „Ich erkannte dich auf Anhieb.“

Angel war ein dürres Kind gewesen, somit war das kaum ein Kompliment, doch sie ließ es durchgehen. Ihr Blick wanderte zu seinem ernsten Aufzug und dem schwarzen Halstuch. Er trauerte um seine wunderschöne Frau, die bei einem tragischen Unfall mit ihrem Phaeton ums Leben gekommen war. Sie sollte etwas sagen.

„Ich weiß, Papa schrieb dir, doch bitte lass mich dir mein Beileid bekunden.“

Er hob eine Hand. „Danke, doch das ist kein Thema für heute.“

„Jason!“

Der Duke sah an ihr vorbei, als Barnabys Stimme von der Treppe her erklang. Gleich darauf stand ihr Bruder bei ihnen.

„Was für eine Zeit nennst du das, du Schuft?“

„Ich hätte gesagt, genau die richtige Zeit.“

„Du hättest hier übernachten sollen, dann hätte ich mir deiner sicher sein können.“

„Wie ich dir schrieb, war ich geschäftlich im Norden.“ Er streckte die Hände aus, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. „Doch wie du siehst, bin ich jetzt hier und stehe voll zu deiner Verfügung.“

„Du wirst kaum Zeit haben, dich umzuziehen, ehe wir zur Kirche müssen!“

„Fast noch eine Stunde“, entgegnete er. „Ich bin kein Dandy, der den halben Morgen braucht, um sich ein Halstuch zu binden! Adams legt bereits meine Kleider heraus, während wir hier reden.“

„Dann komme ich mit dir. Wir können uns unterhalten, während du dich umziehst.“ Barnaby führte den Duke am Arm davon, wobei er sich noch einmal umdrehte. „Bitte sieh nach, ob genug heißes Wasser für Seine Gnaden bereitgestellt wurde, ja, Angel? Sei ein gutes Mädchen.“

Ihr Bruder redete unablässig, während sie die Treppe hinauf verschwanden. Angel, die ihnen nachschaute, wurde jäh von Traurigkeit ergriffen, wie schon einmal zwölf Jahre zuvor. Jason Darvell war damals gerade fünfzehn gewesen. Er hatte um seinen Vater getrauert und angestrengt versucht, mit seiner neuen Position als Duke zurechtzukommen. Ihr junges Herz hatte schmerzlich mit ihm mitgelitten. Sie hatte gewusst, wie es ihr ergangen wäre, wäre Papa ihnen so plötzlich genommen worden.

Sie hatte Jason gesagt, er habe sich verändert, doch nun dachte sie, dass es weniger äußerlich war. Natürlich war er jetzt größer, sein Gesicht schmaler, die Gesichtszüge kantiger. Die Wangen waren von Stoppeln überzogen, so dunkel, dass sie sich wohl selbst als Schatten zeigten, wenn er frisch rasiert war. Doch sein beinahe schwarzes Haar fiel ihm noch ebenso in die Stirn wie als Kind. Nein, nicht sein Äußeres hatte sich verändert, aber die Schüchternheit, die ihm als Jüngling zu eigen gewesen war, hatte sich zu einer kühlen Zurückhaltung verhärtet. Es war, als wolle er die Welt auf Abstand halten.

Es war Jahre her, dass Jason zuletzt auf Goole Park gewesen war, und doch hatte sich nichts verändert – die verblichene Pracht des alten Herrenhauses, die heitere Geschäftigkeit der Dienerschaft, die tüchtig war, jedoch nicht eingeschüchtert schweigsam. Jason war erleichtert. Er verband seine glücklichsten Momente mit diesem Haus.

Barnaby schob ihn in ein großes Appartement mit Ankleideraum. „Mama gab dir unser bestes Gästezimmer.“ Er wedelte in Richtung der Fenster. „Mit der schönsten Aussicht.“

„Das ehrt mich natürlich, doch ich hätte mich auch über mein altes Schlafzimmer neben dem Schulraum gefreut.“

„Unmöglich“, erwiderte Barnaby grinsend. „Alices Brut residiert da oben.“ Ernster fuhr er fort: „Ich bin sehr froh, dass du kommen konntest, Jason. Ich meine, du bist noch in Trauer. Lavinias Tod ist erst sechs Monate her. Ich hätte verstanden, wenn …“

„Ja“, sagte Jason rasch und wandte sich von seinem Freund ab. „Denkst du, die anderen werden daran Anstoß nehmen?“

„Nein, nein, du schlossest dich schon zu lange von der Welt aus. Und es ist nicht so, als würde getanzt oder Ähnliches, während du hier bist. Eine ruhige Zeremonie und ein paar Tage mit der Familie werden keine Kommentare hervorrufen.“ Barnaby legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Aber wie geht es dir? Ehrlich.“

Wie ging es ihm? Jason überlegte. Als er von dem Kutschenunfall, bei dem seine Duchess ums Leben gekommen war, erfahren hatte, war er wie benommen gewesen. Traurig darüber, dass ein so wunderschönes und lebhaftes Geschöpf ein so tragisches Ende gefunden hatte. Doch was hatte er hauptsächlich empfunden? Erleichterung. Weil seine albtraumhafte Ehe vorüber war.

Zu Beginn hatte er Lavinia wahnsinnig geliebt und die Augen willentlich vor ihrer Gier und Selbstsucht verschlossen. Später dann, als es ihm unmöglich wurde, ihre Treulosigkeit zu ignorieren, hatte er einfach nicht hingeschaut. Er hatte es nicht fertiggebracht, sie beide der Demütigung einer Scheidung auszusetzen. Jeder hielt ihn für den trauernden Witwer, und er hatte nichts getan, um ihnen diese Illusion zu nehmen.

Er zuckte leicht die Schultern. „Es geht mir gut genug.“

„Aye.“ Einen Moment verstärkte sich der Griff von Barnabys Fingern um seine Schulter, dann lächelte er und nickte. „Dann komm, ziehen wir dich um. In dieser staubigen Kleidung kannst du nicht mein Trauzeuge sein!“

Die kleine Pfarrkirche war bis auf den letzten Platz mit Familie, Freunden und Nachbarn des Brautpaares besetzt. Als die Trauung vorüber war und alle aus der Kirche strömten, fand Jason sich neben Lord Goole wieder.

„War nie für Hochzeiten zu haben“, murrte der Viscount und warf ihm einen verschwörerischen Blick zu. „Fürchte immer, jemand könnte aufstehen und einen Hinderungsgrund verkünden. Aber da haben wir es. Mein einziger Sohn ließ sich letzten Endes in Ketten legen. Aber Meg wird ihm eine gute Frau sein.“

Jason erkannte den Moment, in dem der Viscount bemerkte, dass er zu einem frisch verwitweten Mann sprach, denn er hüstelte nervös und wechselte das Thema.

„Nun, sehr erfreulich, so viele unserer Nachbarn hier zu sehen. Ich fürchte, ich muss gehen und Höflichkeiten austauschen, wenn du mich entschuldigen würdest, Eure Gnaden …?“

Er eilte davon, und Jason entfernte sich von der Menge, um die Geschehnisse aus einem gewissen Abstand zu betrachten. Alle umschwärmten nun das Brautpaar, und er war froh, dass sein Rang es Fremden verbot, sich ihm zu nähern. Seit Lavinias Tod hatte er sich auf die Geschäfte konzentriert, hatte seinen Verlust als Entschuldigung genutzt, sich abzuschotten. Es war befremdlich, wieder unter Menschen zu sein.

Schließlich fuhren die Kutschen vor, und bald schon waren der Duke und die anderen zum Hochzeitsfrühstück geladenen Gäste, auf dem Weg zurück nach Goole Park. Beim Haus angelangt, geleitete er eine ältere Dowager Dutchess zu Tisch, und als sie gerade Platz nahmen, erblickte er Angeline. Sie sah aus wie aus dem Ei gepellt, einem zartrosa Ei aus Musselin, ihr dunkles Haar war mit einem farblich passenden Band glatt zurückgebunden. Sie ging am Arm eines älteren Junggesellen, und ihm kam in den Sinn, dass nahezu jeder Vorrang vor einer unverheirateten Tochter hatte. Und dennoch erfüllte das Lächeln, das sie ihm schenkte, als ihre Blicke sich trafen, den Raum mit Sonnenschein.

Schließlich war das Hochzeitsfrühstück beendet, und da er nun seine Pflicht erfüllt hatte, entspannte Jason sich zusehends. Während Barnaby und seine Braut die Feier verließen, um sich für die Reise umzuziehen, folgte Jason den übrigen Gästen in die große Halle, um auf das Brautpaar zu warten, und fragte sich, wie bald nach dessen Abreise er sich wohl entschuldigen und ebenfalls aufbrechen konnte.

Lady Goole hatte ihm angeboten, so lange er wollte, auf Goole Park zu bleiben, doch er hatte sich für nur zwei Nächte entschieden. Nun dachte er, dass selbst das zu lang war. Trotz dieses glücklichen Anlasses fielen ihm all die höflichen Unterhaltungen nicht leicht. Er hatte sich in Gegenwart Fremder nie wirklich wohl gefühlt, und heute war es besonders schwer. Es gab zu viele verstohlene Blicke und unterschwellige Andeutungen ob der Umstände des Todes seiner Frau, ein Thema, das auf einer Hochzeit nichts verloren hatte.

Die Stimmen in der Halle wurden lauter, als Barnaby mit seiner Frau erschien und sie die Treppe hinabstiegen. Jason setzte ein Lächeln auf und geleitete sie zu ihrer Kutsche.

„Ich bin so froh, dass du kommen konntest“, beteuerte Barnaby erneut, während er seiner Braut in den Wagen half. „Und tausend Dank, dass wir deine Villa in Brighton für unsere Flitterwochen nutzen dürfen.“

„Ich bin nie dort. Ich freue mich, dass sie einmal genutzt wird.“

Jason tippte sich an den Hut und schloss die Wagentür. Die Kutsche zog an, und er blickte hinauf zum klaren blauen Himmel. Es war ein schöner Apriltag. Er war in seiner Karriole hergekommen, und wenn er jetzt noch aufbräche, könnte er noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder in London sein.

„Dem Himmel sei Dank, dass das vorbei ist!“, rief der Viscount und nahm ihn beim Arm. „Komm herein, mein Junge. Es ist so lange her, dass du zuletzt hier warst … zehn Jahre mindestens! Wir vermissten dich, weißt du. Meine Lady wird bald zu uns stoßen. Du bist für uns wie ein Teil der Familie …“

Während er diesen freundlichen Worten lauschte, ging ihm auf, wie sehr er Lord und Lady Goole verletzen würde, wenn er nun seine sofortige Abreise verkünden würde. Das konnte er nicht tun. Dies hier ging weit über jegliche Pflicht hinaus. Die Carlows hatten ihn in ihrem Heim willkommen geheißen, sich schon früher so gut um ihn gekümmert und waren so gastfreundlich gewesen, dass es ihm unmöglich war, seinen Besuch nun zu verkürzen.

„Und Brighton, hm?“, fuhr der Viscount fort, während sie in die Halle gingen. „Großzügig von dir, ihnen das Haus zu überlassen, mein lieber Junge.“

„Ich bin nie dort“, sagte Jason erneut. Es war ein Hochzeitsgeschenk für Lavinia gewesen, an das sie ihr Herz gehängt hatte. „Ich überlege sogar, es zu verkaufen.“

„Was? Nein, nein, lieber Junge, daran darfst du nicht einmal denken. Ich weiß, es ist noch früh, doch du wirst dir eine neue Frau nehmen, und sie wird die Brightoner Gesellschaft zweifellos genießen. Und vergiss deine Kinder nicht. Sie brauchen eine Mutter.“

„Die Kinder sind in Kent gut versorgt“, erwiderte er knapp. „Und ich werde keine neue Frau nehmen.“

Noch vor ihrer Ehe hatte Lavinia den Besitz für ihre eigene Tochter Rose ausgewählt, und schon, als Nell noch ein Baby war, überredete sie Jason, das Kind ebenfalls dorthin zu schicken. Nicht dass es dazu viel Überredung gebraucht hätte. Er selbst war viel einsamer aufgewachsen, auf Rotherton, nur mit den Dienstboten als Gesellschaft. Seine Duchess hatte behauptet, nicht mit Kindern im Haus leben zu können, und Jason, bezaubert wie er von seiner Ehefrau gewesen war, hatte eingewilligt.

Jetzt war er froh, dass die Kinder die Lasterhaftigkeit ihrer Mutter nie miterlebt hatten, oder deren Liebhaber.

Allein beim Gedanken an seine desaströse Ehe musste er ein Schaudern unterdrücken. Einmal war genug.

Keine neue Frau nehmen?“ Der Viscount starrte ihn an. „Nun, das, mein Junge, steht außer Frage!“

Er zog Jason in eine Ecke, wo niemand sie belauschen konnte.

„Oh, ich weiß, es ist noch zu früh, du trauerst noch, doch du brauchst einen Erben. Dem musst du dich stellen, und ich wäre ein schlechter Freund, wenn ich dir das nicht sagte. Gewiss willst du doch nicht, dass dein nutzloser Cousin in deine Fußstapfen tritt. Es tut mir leid, Eure Gnaden, aber das wird nicht gehen! Tobias Knowsley ist ein Verschwender. Er wird dein Vermögen durchgebracht haben, ehe du kalt in deinem Grab liegst. Nicht, dass mich das etwas anginge“, fügte er hastig hinzu, nachdem er Jasons Gesicht sah. „Doch ich kenne dich, seit du ein kleiner Junge warst, und ich will nur dein Bestes. Ich kann nicht glauben, dass du wollen würdest, dass Knowsley sich in Rotherton niederlässt!“

Lord Goole hatte recht. Der Gedanke, dass Toby Knowsley Rotherton erben könnte, gefiel ihm gar nicht, doch es war auch nichts, was er diskutieren wollte. Er wünschte, er könnte sich auf sein Zimmer zurückziehen, doch das würde genau jene Art Kommentare hervorrufen, die er verabscheute. Armer Rotherton, der trauernde Witwer. Oder der gehörnte Ehemann. Zum Teufel, er hasste es, bemitleidet zu werden.

Er zwang sich, ein schmales Lächeln aufzusetzen. „Sie haben recht, Sir. Eine Quelle der Weisheit, wie immer.“ Er deutete zum Salon. „Wir sollten hineingehen, denke ich.“

Seinen Gastgebern zuliebe bemühte Jason sich, mit jedem das Gespräch zu suchen. Er mochte die Carlows. Sie waren das, was für ihn einer Familie am nächsten kam. Seine Mutter war gestorben, als er noch ein Baby gewesen war, und der verwitwete Duke hatte kaum Zeit für seinen einzigen Sohn gehabt. Nachdem er erst zur Schule geschickt worden war, sah Jason noch weniger von seinem Vater. Der alte Duke war während der Ferien kaum einmal nach Rotherton gekommen, und so hatte Jason die Zeit auf Goole Park verbringen dürfen, mit seinem neuen Freund Barnaby und dessen glücklicher, liebevoller Familie.

Eine sich in die Länge ziehende Runde durch den Raum war mehr Gesellschaft, als der Duke in den vergangenen sechs Monaten genossen hatte. Er brauchte eine Atempause. Die Fenstertüren standen offen, um möglichst viel der warmen Frühlingsluft einzulassen, und mit dem ein oder anderen Nicken und einigen Worten hier und da bewegte Jason sich darauf zu, bis er schließlich entkommen konnte.

Auf der Terrasse befanden sich ebenfalls einige Gäste, andere gingen im Blumengarten spazieren, doch Jason ging ihnen allen aus dem Weg, lief flink die flachen Stufen zum Rasen hinunter und entfernte sich vom Haus. Niemand hielt ihn auf, wusste doch jeder, dass er noch trauerte. Was war da natürlicher, als einige Zeit allein sein zu wollen?

Er kannte den Park gut, und so ging er geradewegs am Rosengarten vorbei und durch eine Allee aus Eiben, die in einem Dickicht endete. Es war noch, genau wie er sich erinnerte, ein dichtes Gebüsch, umgeben von hohen Hecken, durch das sich ein gut gepflegter Pfad wand, hier und da fand sich eine Bank zum Ausruhen. Es war still, genau, wie er es wollte.

Er dachte gerade, für wie unwahrscheinlich er es hielt, dass sich einer der Gäste hierher verirrte, als er jemanden singen hörte. Eine weibliche Stimme, sanft und melodisch, leise, als sänge sie ein Schlaflied. Jason erkannte die Stimme nicht. Fasziniert bog er um die nächste Biegung und erblickte Angeline.

Sie saß auf einer Holzbank und wiegte ein schlafendes Baby in den Armen. Den Kopf hielt sie über das Kind gebeugt, eine glänzende dunkle Locke hatte sich aus den Nadeln gelöst und fiel ihr über die Schulter. Als sie aufsah, hielt er inne.

„Entschuldige.“ Er fühlte sich wie ein Eindringling. „Ich wusste nicht, dass du es bist. Ich hörte dich zuvor nie singen.“

Sie kicherte. „Das tue ich auch kaum in Gesellschaft! Mein kleiner Neffe war verdrießlich, und Alice brauchte jemanden, der ihn mitnimmt, weil das arme Kindermädchen versuchte, die anderen zum Schlafen zu kriegen.“

Ihre Antwort kam so ungezwungen, dass die Jahre verblassten. Er war wieder ein Schuljunge, der mit der kleinen Schwester seines Freundes sprach.

Er setzte sich neben sie. „Warum konnte Alice das nicht?“

„Sie wird im Salon benötigt.“

„Und du nicht?“ Er runzelte die Stirn. „Magst du Kinder?“

„Du klingst überrascht.“ Sie gluckste. „Ich mag sie recht gern, und ich finde es schön hier draußen mit dem Baby, ohne die Leute und den Lärm. Das ist sehr entspannend nach einem so ereignisreichen Tag.“

„Du bist eine gute Tante.“

„Ich bin nützlich – weshalb ich hier hoffentlich wichtig bin.“ Es klang ein wenig niedergeschlagen, doch gleich darauf lächelte sie. „Und wie geht es deinen Töchtern, Euer Gnaden?“

Seinen Töchtern! Jason stach das schlechte Gewissen. Die seltenen Treffen mit seinen Kindern waren gestelzt, unangenehm. Seine eigene Schuld, natürlich. Er wusste nicht, was er mit ihnen anfangen sollte, wenn er sie sah.

„Ich hoffe, sie sind wohlauf“, setzte Angel nach.

„Ja, es ging ihnen gut, als ich sie zuletzt sah.“

„Sie waren gewiss ein großer Trost im vergangenen Jahr.“

Er nickte. Diese Mädchen erinnerten ihn zu sehr an ihre Mutter, obwohl er doch bloß vergessen wollte.

„Mama und Papa sind so glücklich, dass du hier bist“, fuhr sie fort. „Es ist so lange her, seit du auf Goole Park warst. Oh, es müssen zwölf Jahre sein!“

Jason war sich dessen wohl bewusst. Nach seiner Hochzeit hatte er Barnaby nur noch in der Stadt oder bei einer der zahlreichen Gesellschaften gesehen. Seine Frau hatte er nie mit nach Goole Park gebracht. Rückblickend wusste er, dass er gefürchtet hatte, es könnte seine glücklichen Kindheitserinnerungen verderben, wenn er Lavinia mit an diesen Ort nahm.

„Nun, jetzt bin ich hier.“

„Ja, für bloß zwei Tage!“ Kopfschüttelnd sah sie ihn an, und er grinste.

„Ich weiß, Angel. Kaum lang genug, um herauszufinden, womit du dich beschäftigst, seit wir uns zuletzt sahen.“

Ich bin mit nicht viel beschäftigt“, entgegnete sie. „Abgesehen von meiner Einführung in die Gesellschaft.“

„Ah, die verpasste ich“, sagte er entschuldigend.

„Ja, du und die Duchess waren in Paris, glaube ich.“

„Das stimmt.“ Er wollte nicht an diese Zeit denken, als er dabei hatte zusehen dürfen, wie seine Frau mit jedem Offizier flirtete, dem sie begegneten. „Wie gefiel es dir? All die Kleider und Partys?“

Sie zögerte einen winzigen Moment, ehe sie antwortete. „Recht gut, doch ich war eine traurige Enttäuschung für Mama. Ich beendete die Saison, ohne auch nur einen Antrag erhalten zu haben.“

„Was? Keinen?“ Er lehnte sich zurück, die Brauen überrascht gehoben. „Du verliebtest dich in niemanden?“

Sie errötete. „Das sagte ich nicht.“

Sie schloss die Arme um das schlafende Baby. In ihrer Haltung lag etwas so Trauriges, dass er versucht war zu fragen, was geschehen war.

Doch ehe er die Frage stellen konnte, schüttelte sie es ab und sagte heiter: „Es genügt zu sagen, dass es mich für immer von romantischer Liebe heilte! Ich ging nicht wieder in die Stadt, aber ich bedauerte es auch nicht. Lettie war im nächsten Jahr an der Reihe, weißt du, und Alice war hochschwanger.“

Er krauste die Stirn. „Das verstehe ich nicht … was hatte das mit dir zu tun?“

„Weil Mama nicht an zwei Orten gleichzeitig sein konnte. Sie nahm Lettie mit in die Stadt, während ich bei Alice in Shropshire blieb. Es war nicht gerade die unbeschwerteste Zeit. Mein Schwager ist eine gute Seele, aber er hat keine Unze Verstand! Er machte sich, während der Geburt solche Sorgen, dass ich gewünscht hätte, er wäre mit seinen Freunden zu irgendeinem Rennen oder ähnlichem gegangen, statt um Alice herumzuwirbeln und darauf zu bestehen, dass sein eigener Arzt bei der Geburt zugegen sein sollte.“ Sie lachte bei dieser Erinnerung. „Die meiste Zeit musste ich die Hebamme besänftigen, die ausgesprochen kompetent war und Anstoß daran nahm, dass jede ihrer Handlungen infrage gestellt wurde.“

„Was für eine furchtbare Situation für dich.“

„Das stimmt, doch London hätte ich noch viel weniger gemocht!“ Ihre braunen Augen glänzten einnehmend. „Lettie war die Sensation, weißt du. Sie erhielt nicht weniger als zwei sehr respektable Angebote, ehe Marland daherkam, und hätte große Freude daran gehabt, über ihre Erfolge zu frohlocken, wäre ich da gewesen. Du wirst dich erinnern, was für ein kleines Biest sie sein konnte, immer versucht, andere herabzusetzen.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich erinnere mich kaum an sie oder Alice. Für mich waren sie nur Barnabys missbilligende Schwestern. Du bist die Einzige, an die ich mich in aller Klarheit erinnere.“

„Wirklich?“ Sie errötete, fuhr aber fröhlich fort: „Vermutlich, weil ich ein Quälgeist war. Ein kleiner Wildfang, sagt Barnaby. Es tut mir leid, wenn du mich ermüdend fandest, doch ich genoss deine Besuche immer. Es heitert mich immer noch auf, wenn ich daran zurückdenke.“

Wie hatte sie es genießen können, geneckt und gescholten zu werden, weil sie im Weg war?

Sie erhob sich. „Die Sonne geht unter. Ich muss Klein Henry zurück in die Kinderstube bringen.“

„Und dann kommst du wieder in den Salon?“

„Nein, ich versprach der Haushälterin, bei den Vorbereitungen für das Supper zu helfen. Eines der Mädchen brach sich den Arm, und sie braucht Hilfe dabei, das Essen hinaufzutragen.“ Sie nickte ihm knapp zu. „Gute Nacht, Euer Gnaden.“

„Jason“, erinnerte er sie.

Einen Moment lang sah sie ihn nur an, ihre braunen Augen ernst und so dunkel wie Zobelpelz. Dann nickte sie ein weiteres Mal knapp und ging.

Er sah ihr nach, bemerkte den leichten Schwung ihrer Hüften und wie der dünne Musselinstoff ihre Glieder umschmeichelte. Es stimmte nicht, dass sie sich nicht verändert hatte. Sie war noch immer zierlich, und sie sah jünger aus als vierundzwanzig, doch unter ihrem rosafarbenen Kleid verbarg sich eindeutig eine weibliche Figur.

Als Jason zum ersten Mal nach Goole Park gekommen war, war Angel zu klein gewesen, um mit ihnen zu spielen, doch sie war klug und gewitzt und hatte sich wie ein Schatten an sie geheftet, allen Neckereien zum Trotz. Wie alt war sie gewesen, als er sie zuletzt gesehen hatte? Zwölf? Dreizehn? Lächelnd verschränkte er die Arme. Da war sie schon eine furchtlose Reiterin gewesen, zeigte ein Talent für Billard und erwies sich beim Cricket als nützlich.

Eine weitere Erinnerung kehrte zurück: Sein letzter Besuch auf Goole Park. Er hatte gerade seinen Vater beerdigt, und sein Vormund, ein Onkel, den er kaum kannte, teilte ihm mit, dass er nicht wieder zur Schule gehen, sondern seine Ausbildung auf Rotherton mit einem Hauslehrer beenden würde. Er sei nun ein Duke, erinnerte sein Onkel ihn, und müsse lernen, sich wie einer zu betragen.

Ihm war ein letzter Urlaub gestattet worden: ein paar kostbare Wochen mit Barnaby und dessen Familie.

Er erinnerte sich, wie ihn, als der Abschied nahte, die gewaltigen Veränderungen in seinem Leben jäh übermannten. Auf dem Weg in den Salon, vor dem letzten gemeinsamen Dinner, war er stehen geblieben. Er hatte sich umdrehen und vor allem und jedem davonlaufen wollen. Vor seiner Trauer, dem Mitgefühl dieser gütigen Familie, doch vor allem vor der Verantwortung, die ihn erwartete. Jetzt erinnerte er sich vollkommen lebhaft daran. Wie er vor der Tür gestanden und um den Mut gekämpft hatte, sich zur Familie zu gesellen und dann die kleine Angel erschienen war. Sie hatte ihre Hand in seine gelegt und war mit ihm in den Salon gegangen.

Da hatte er sie zum letzten Mal gesehen. Er war fortgegangen, um sein neues Leben zu beginnen, und hatte sie nie wiedergesehen. Kaum einmal an sie gedacht. Bis heute.

Als Jason zurück in den Salon kam, waren die Hochzeitsgäste abgereist, und er fand nur die Familie vor – den Viscount und seine Lady, deren älteste Tochter Alice samt Ehemann, die mit den Kindern aus Shropshire angereist waren, außerdem Lettie, die jüngste Tochter der Carlows, und deren Ehemann Lord Marland, die nur zwei Meilen entfernt wohnten.

Angel war nicht wieder erschienen. Sie und Barnaby waren bei seinen früheren Besuchen seine konstanten Begleiter gewesen, und er war sich ihrer Abwesenheit schmerzlich bewusst. Er widerstand dem Drang sich wieder zurückzuziehen, und nahm neben Lady Goole Platz.

„Wir freuen uns so, dich wieder hier zu haben, Euer Gnaden“, bemerkte Lady Goole. „Du warst viel zu lange fort aus Hertfordshire. Ich hoffe, du wirst daran etwas ändern.“

„Danke, Ma’am, Ich werde es versuchen.“

„Und wenn Sie das nächste Mal herkommen, werden wir eine kleine Party für Sie veranstalten“, verkündete Lady Marland. „Nichts allzu Großes. Ich bin sicher, Sie besuchen genügen Gesellschaften, wenn Sie in der Stadt sind! Nein, das wird eine gemütliche Angelegenheit, nur mit Freunden und Nachbarn.“

„Und vielleicht ein wenig Tanz“, fügte Alice hinzu. „Wenn du mir Tanz versprichst, Lettie, werde ich unbedingt kommen. Und ich werde Sir Humphreys Schwestern mitbringen. Sie sind Juwelen, auf ihre Weise. Junge Ladys bringen immer etwas Glanz auf solche Partys, finden Sie nicht, Euer Gnaden?“

Jason neigte den Kopf, sagte jedoch nichts. Er sah das Kalkül hinter dem Lächeln der Lady. Sie hoffte, ihm seine nächste Frau präsentieren zu können. Als jedoch klar wurde, dass er sich auf dieses Thema nicht einlassen würde, wandte sich das Gespräch den Plänen für den nächsten Tag zu.

„Ich schlage einen Ausritt vor“, meinte Marland. „Das gute Wetter scheint sich noch zu halten.“

„Oh, was für eine wundervolle Idee, mein Lieber!“, rief Lettie.

„Dein Vater und ich möchten uns nach den Anstrengungen der Hochzeit lieber einen ruhigen Tag daheim machen“, sagte Lady Goole.

Alice seufzte. „Ich würde so gerne mit euch ausreiten, doch der kleine Henry erweist sich derzeit als sehr schwierig. Das Kindermädchen sagt, er zahnt, und sie kann nicht alle vier Kinder betreuen. Ich wollte ja das zweite Kindermädchen mitnehmen, aber Sir Humphrey ließ sich nicht dazu bewegen.“

„Wäre es nach meiner Frau gegangen, hätten wir eine zweite Kutsche gemietet, um alle mitzunehmen“, erwiderte ihr Gatte lachend.

„Und ich wünschte, dass hätten wir“, sagte Alice. „Ich verbrachte eine gute halbe Stunde in der Kinderstube, während alle anderen sich vergnügten!“

„Angel kann dem Kindermädchen helfen“, warf Lettie ein.

„Oh, das ist eine gute Idee“, rief Alice begeistert. „Die Kinder hören viel besser auf sie als auf mich.“

Unfähig zu schweigen, sagte Jason: „Aber Miss Carlow wird doch gewiss mit ausreiten wollen.“

„Oh, nein“, entgegnete Lettie. „Sie verteilt morgen die Hochzeitstorte an die Nachbarn. Damit wird sie den ganzen Tag beschäftigt sein – und mit den Kindern.“

„Na, also, dann ist das entschieden.“ Lord Marland lächelte seiner Frau zustimmend zu, dann wandte er sich an Jason. „Sie werden sich uns hoffentlich anschließen, Euer Gnaden?“

„Danke, doch ich habe andere Pläne. Es ist so lange her, dass ich auf Goole Park war, ich möchte mich wieder mit der Gegend vertraut machen. Zu Fuß“, fügte er bestimmt hinzu, als er sah, dass Lady Marland etwas einwenden wollte.

Kurz darauf wurde die Kutsche der Marlands gerufen, und Jason nutzte die Gelegenheit, um allen eine gute Nacht zu wünschen, und sich auf sein Zimmer zu flüchten. Für heute hatte er genug Gesellschaft gehabt, zumal ihn Lady Tetchwicks plumper Verkupplungsversuch noch immer verärgerte.

Als er schließlich zu Bett ging, war sein Ärger abgeflaut. Er lag auf dem Rücken, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und sinnierte über seine Lage. Als Duke ohne Erben erwartete man von ihm, dass er erneut heiratete, doch Lavinia war erst sechs Monate tot. Er hatte gehofft, man würde ihm wenigstens ein Jahr geben, ehe man ihm potenzielle Ehefrauen vorsetzte. Und es war nicht nur Alice, die dergleichen versuchte. Es hatten bereits verschiedene Familienmitglieder Andeutungen in ihren Briefen gemacht.

Er konnte nicht leugnen, es verbockt zu haben, als er gegen deren Wünsche aus Liebe geheiratet hatte. Und hinterher war er zu stolz gewesen, seinen Fehler zuzugeben – eine verwitwete Duchess gewählt zu haben, die acht Jahre älter war und einen unersättlichen Appetit auf Liebhaber hatte.

Hätte Lavinia ihm einen männlichen Erben geschenkt, hätte er eine zweite Heirat vermeiden können, doch er wollte ebenso wenig wie Viscount Goole, dass Toby Knowsley seine Nachfolge antrat. Und wenn er Knowsley überlebte, was angesichts dessen Lebensstils nicht einmal unwahrscheinlich wäre, wären die nächsten in der Erbfolge kaum besser.

Er seufzte. Sosehr ihm der Gedanke missfiel, es war seine Pflicht zu heiraten. Er würde sich eine Frau suchen, doch dieses Mal würde Liebe dabei keine Rolle spielen, es wäre rein zweckmäßig.

Nachdem er dieses Problem erörtert hatte, dachte Jason, er könne nun schlafen, doch ihn trieb noch etwas anderes um. Er konnte nicht vergessen, wie beliebig die Geschwister über Angels Zeit verfügten. Nicht nur Alice und Lettie, sondern auch Barnaby, wenn er daran dachte, wie er Angel am Tag seiner Ankunft aufgetragen hatte, nach dem heißen Wasser für ihn zu sehen. Seit er hier war, hatte er Angel kaum zu Gesicht bekommen. Stets war sie mit irgendwelchen Haushaltsangelegenheiten beschäftigt oder machte Erledigungen für ihre Familie.

Gereizt legte er sich auf die Seite und schloss die Augen. Kein Wunder, dass sie so liebevoll auf ihre Kindheit zurückblickte. Sie hatten das arme Mädchen zu einer Haussklavin gemacht.

2. KAPITEL

Das Glück war den Gästen von Goole Park am nächsten Tag hold. Die Sonne schien, und eine leichte Brise hatte die für diese Jahreszeit ungewöhnliche Hitze vom Vortag vertrieben. Die Tetchwicks waren bester Laune, während sie ihren bevorstehenden Ausflug besprachen.

„Wann werdet ihr zurück sein?“, fragte Angel.

„Oh, das ist schwer zu sagen“, antwortete Alice. „Wir reiten hinüber nach Marland Hall, wo wir Lettie und ihren Ehemann treffen, und werden gewiss am Crown für Erfrischungen halten, ehe wir zurückreiten. Erwarte uns nicht vor dem Dinner.“

„Nun, ich wünsche euch viel Spaß“, verkündete der Viscount, als Tochter und Schwiegersohn sich aufmachten. Auch er erhob sich, um sich in sein Arbeitszimmer zu begeben, wandte sich jedoch erst dem Duke zu. „Und du, mein Junge? Du wolltest heute das Anwesen erkunden, nicht wahr? Ich sollte bei dir keinen Wert auf Etikette legen, Jason. Du kannst kommen und gehen, wie du möchtest, aber wenn du Gesellschaft wünschst, stehe ich zur Verfügung.“

„Vielen Dank, Mylord, ich gehe gerne allein. Es sei denn, Miss Angeline möchte mich begleiten?“

Angel, ob dieser unerwarteten Einladung vor Freude übermannt, bereute sehr, ablehnen zu müssen, als sie erklärte, was sie alles zu erledigen hatte.

„Meine Liebe, ich bin sicher, wir kommen ein paar Stunden ohne dich zurecht, wenn Seine Gnaden wünscht, dass du mit ihm gehst“, sagte Lady Goole.

„Seine Gnaden ist sehr freundlich“, erwiderte Angel. „Ich habe jedoch Verpflichtungen für diesen Tag.“

Ihre Mutter gab ein leises „Tst“ von sich, beließ es jedoch dabei, und so blieb Angeline mit dem Duke alleine am Frühstückstisch zurück. Sie war ein wenig enttäuscht, dass Mama nicht darauf bestanden hatte, sie möge Jason begleiten. Es wäre nicht viel Aufwand gewesen, alles ein wenig anders zu ordnen. Doch offenbar betrachtete die Viscountess diese Einladung als reine Höflichkeit. Womit sie auch recht haben dürfte.

„Ernüchternd, weniger wichtig zu sein als eine Torte …“

Angeline schreckte auf. „Euer Gnaden?“

„Ich nehme an, du verteilst heute die Hochzeitstorte.“

„Oh … das.“ Sie sah das Lächeln in seinen sonst recht harten grauen Augen und entspannte sich wieder, da er offenbar nicht ernstlich beleidigt war. „Ja, doch ich helfe außerdem dem Kindermädchen, das kann ich nicht mit vier Kleinen allein lassen.“

„Nein, natürlich nicht. Nun, dann werde ich dich deinen häuslichen Pflichten überlassen.“

Er erhob sich und verließ mit einem knappen Nicken den Raum. Angel unterdrückte ein Seufzen. Die Einladung des Dukes war überraschend gekommen, und sie wäre liebend gerne mit ihm gegangen. Wenn sie jedoch darüber nachdachte, dann hatte er sie wohl wirklich nur aus Höflichkeit gefragt. Sie hatten inzwischen nichts mehr gemein, gewiss wäre er nach einer halben Stunde bereits von ihr gelangweilt. 

Nun, vielleicht nach einer ganzen Stunde, korrigierte sie. Schließlich war sie durchaus gut gebildet. Dennoch blieb sie eine vierundzwanzigjährige Jungfer, die im ruhigen Hertfordshire lebte. Innerlich erschauderte sie bei dem Gedanken daran, wie der weltgewandte Duke of Rotherton sich bemühte, mit ihr eine müßige Unterhaltung zu führen. Das würde keiner von ihnen genießen, entschied sie, und deshalb galt es das tunlichst zu vermeiden.

Kurze Zeit später verließ Jason das Haus, doch ehe er sich auf den Weg machte, sah er bei den Stallungen vorbei. Der Stallmeister kannte ihn noch von früher und zeigte ihm stolz die Pferde des Viscounts. Aus einer der Boxen sah ihm ein glänzender Brauner mit wachen Augen entgegen.

„Und wer ist dieser Prachtbursche?“

„Das ist Apollo, Euer Gnaden. Miss Angels Pferd.“

„Dann reitet sie noch?“, fragte er beiläufig, während er dem Pferd die Stirn kraulte.

„Aye, wann immer sie kann. Euer Gnaden erinnern sich sicherlich, was für eine verwegene Reiterin sie war.“

„Das habe ich nicht vergessen.“

Er wechselte noch ein paar Worte mit dem Groom, dann begab er sich auf seinen Spaziergang. Er erinnerte sich, wie er mit Barnaby und Angel im wilden Galopp durch genau diesen Park geritten war. Welch glückliche, sorglose Zeit, ehe er ein Duke geworden war. Seitdem bestand sein Leben aus Pflichten und Zurückhaltung, dem Verbergen all seiner Emotionen.

Stunden später trieb der Hunger Jason zum Haus zurück. Früher wäre er in die Küche gegangen und hätte die Köchin beschwatzt, ihm etwas zu essen zu geben, damit er bis zum Dinner durchhielt. Jetzt als Duke musste er kaum mehr den Finger heben, und ihm würden die kleinsten Wünsche erfüllt, doch er gedachte nicht, diesen Finger zu heben. Er wollte zu gerne in die Küche gehen und nehmen, was es gerade gab, doch er sah schon vor sich, wie das Küchenpersonal ganz überwältigt war, weil Seine Gnaden, der Duke of Rotherton ihre Domäne betrat. Nein, das würde ihnen nur Unbehagen bereiten. Er würde das Haus auf demselben Weg betreten, wie er es verlassen hatte – durch die Gartentür.

Er betrat die Halle, als Angel gerade mit einem Tablett beladen die Treppe hinunterkam. Sie lächelte, als sie ihn erblickte.

„Hast du deinen Spaziergang genossen, Euer Gnaden?“

„Sehr sogar. Hast du die Torte ausgeliefert?“

„Oh, ja. Ich nahm den Gig, und seitdem bin ich mit meinen Neffen und Nichten in der Kinderstube. Wir erwarteten dich noch gar nicht zurück.“

„Der Hunger trieb mich her.“ Er grinste, als sein Magen passend knurrte. „Ich glaube nicht, dass ich es bis zum Dinner aushalte.“

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