Im Herzen der Toskana

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In der weißen Traumvilla in der Toskana erliegt Charlotte dem leidenschaftlichen Werben des attraktiven Marco Delmari. Wird der berühmte Autor ihr das Herz brechen? Für Marco scheint Liebe nicht mehr als nur ein Wort zu sein ...


  • Erscheinungstag 10.10.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728038
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Als Charlotte morgens die Augen öffnete, kehrte mit peinigender Klarheit die Erinnerung an den vergangenen Abend zurück. Ihr Rendezvous hatte sich als ein komplettes Desaster erwiesen.

Dass der Mann statt der in seiner Anzeige beschriebenen ein Meter fünfundachtzig kaum ein Meter sechzig aufweisen konnte und eher auf die fünfzig als auf die dreißig zuging, störte sie nicht einmal so sehr. Weder hatte sie etwas gegen ältere Menschen, noch hielt sie gutes Aussehen für das Wichtigste im Leben. Obwohl … sein dünner grauer Zopf war dann doch etwas irritierend gewesen, ebenso wie die Tatsache, dass sie außer einer Scheidung nichts, aber auch absolut gar nichts gemein hatten.

Nach den ersten fünf Minuten gab es einfach nichts mehr zu sagen. Möglicherweise waren Internet-Dates doch keine so gute Idee. Sie hätte sich von ihrer Freundin nicht dazu überreden lassen dürfen.

„Aufstehen, Mummy!“, rief Jack im gewohnt munteren Tonfall, bevor er auf ihr Bett hüpfte und sie stürmisch umarmte. „Nana hat mir Schokolade gegeben und mich fernsehen lassen, als du gestern Abend weg warst.“

Charlie lächelte. „Oh, oh … ich glaube, Nana verwöhnt dich viel zu sehr.“

Wenn jetzt Wochenende wäre, könnten wir noch ein Weilchen kuscheln und uns unterhalten, dachte sie sehnsüchtig. Der vierjährige Jack war eine richtige Plaudertasche und ganz sicher ein interessanterer Gesprächspartner als ihr katastrophales Date! Aber es war Freitagmorgen, und sie hatte keine Zeit für Vergnügungen.

„Also hoch mit uns“, beschloss Charlie energisch. „Wir müssen dich für den Kindergarten fertig machen.“ Es war kühl im Haus. Während sie um die Wette in Richtung Bad liefen, legte sie kurz ihre Hand auf einen der Heizkörper. Kalt … das hieß, es gab auch kaum warmes Wasser.

Nachdem sie Jack angezogen hatte, versuchte sie die Zentralheizung wieder in Gang zu bringen, aber vergeblich. Offenbar war es diesmal ein Job für einen Fachmann. Was das kosten mochte, darüber wollte sie lieber gar nicht nachdenken. Außerdem lief ihr die Zeit davon. Sie schaffte es gerade noch, ihr langes blondes Haar in einem Knoten zu bändigen, eine Scheibe Toast zu essen und dabei die Morgenpost zu sichten. Rechnungen, Rechnungen und nochmals Rechnungen … wie gewöhnlich. Das Reihenhaus, das sie und Jack bewohnten, war nicht nur ziemlich klein, sondern kostete auch noch ein Vermögen an Unterhalt.

Momentan jobbte Charlie als eine Art Springer für die Zeitarbeitsagentur ihrer Freundin Karen, was den Vorteil hatte, dass sie als alleinerziehende Mutter leichter eine Auszeit nehmen konnte, falls es notwendig sein sollte.

Ihre augenblickliche Anstellung als persönliche Assistentin eines Doktors der Psychologie, der gleichzeitig auch Bestsellerautor war, erwies sich als ihr bisher lukrativster Job. Trotzdem kam sie mit ihrem Verdienst kaum hin, und am Ende des Monats blieb nichts übrig für irgendeinen Luxus, geschweige denn für eine Heizungsreparatur.

Aber das würde sie schon irgendwie regeln. Bisher war es ihr jedenfalls immer gelungen.

Es war ein feuchtnebliger Septembermorgen, und Charlies kleines Auto hustete und spuckte, ehe es widerwillig zum Leben erwachte. Doch dann schob Jack eine CD ein, und sie sangen lauthals die alten Liebesschnulzen mit, während sich der Wagen durch den Berufsverkehr quälte.

Zwanzig Minuten später setzte Charlie ihren Sohn sicher in der Vorschule ab. Und während sie sich immer noch mitsummend auf den Weg nach Oxford machte, hob sich langsam ihre Laune. Okay, das Date gestern war wirklich ein Reinfall gewesen und die Rechnungen in der Post ebenso unerfreulich wie die defekte Heizung, aber sie hatte den besten Sohn der Welt und arbeitete momentan für einen ausgesprochen attraktiven, sexy Boss. Allein an Marco Delmari zu denken, ließ ihr Herz bereits höher schlagen.

Von der ersten Sekunde an hatte sich Charlie zu ihrem umwerfend attraktiven Arbeitgeber hingezogen gefühlt, doch ihr Sinn fürs Praktische riet ihr, keinen unsinnigen Gedanken in diese Richtung zu verschwenden. Dafür war ihr Job viel zu gut, außerdem musste sie Prioritäten setzen … es ging um Jack, um sie und … basta!

Davon abgesehen bevorzugte Marco auch einen ganz anderen Frauentyp – weltgewandte, glamouröse Frauen mit perfekten Modelmaßen.

Davon war Charlie weit entfernt, obwohl sie schönes Haar, eine reine Haut und große grüne Augen hatte. Die kamen leider durch die Brille, die sie während der Arbeit am Bildschirm tragen musste, nicht richtig zur Geltung.

Und sie hatte ihren Stolz. Nicht mit einem Wimpernschlag tat sie kund, dass sie ihren Boss wahnsinnig attraktiv fand. Stattdessen verhielt sie sich absolut professionell und machte sich nahezu unentbehrlich, sodass Marco ihr Lob in höchsten Tönen sang und seiner Sekretärin immer wieder versicherte, dass er einfach hingerissen davon war, wie geschickt sie sein Bürosystem und seinen Terminkalender rationalisiert habe. Die Folge war, dass sie in den wenigen Monaten ihrer Zusammenarbeit ein ausgesprochen entspanntes Verhältnis zueinander aufgebaut hatten.

Charlie schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. Marco sollte heute Morgen in London ein Radiointerview geben. Wahrscheinlich war er längst unterwegs, ehe sie im Büro war. Trotzdem wählte sie kurz entschlossen eine holperige, kurvenreiche Abkürzung und erreichte das imposante Anwesen ihres Chefs, am Rande von Oxford, zehn Minuten früher als gewohnt.

Als sie Marcos Wagen vor dem roten Backsteingebäude im georgianischen Stil stehen sah, klopfte ihr Herz unversehens etwas schneller. Kurz darauf lief sie, mit dem Aktenkoffer unterm Arm, beschwingt die Steintreppe zur Haustür hoch und öffnete sie. In der großzügigen Eingangshalle wurden ihre Fußtritte von den dicken Persianerteppichen geschluckt. Das Haus war ein echter Traum. Die großen, hellen Räume … eine Symphonie in sanften Goldgelb- und Cremetönen, ausgestattet mit kostbaren Antiquitäten, die aus der Epoche stammten, in denen das Haus gebaut wurde.

Doch heute hatte Charlie wenig Sinn für das beeindruckende Ambiente. „Guten Morgen, Marco“, brachte sie etwas atemlos hervor, als sie nach einem kurzen Sprint das Büro betrat und die Tasche auf ihrem Schreibtisch ablegte. „Wundervoller Tag heute, nicht wahr?“

Er stand mit dem Rücken zu ihr und schaute aus dem Fenster. „Ja, wundervoll …“ Marco Delmari wandte sich um, und wie immer lief Charlie unter dem aufmerksamen Blick aus seinen dunklen Augen ein wohliger Schauer über den Rücken.

Okay, inzwischen war sie absolut entspannt in seiner Nähe, aber doch nicht so übertrieben, dass sie nicht wahrnahm, wie unglaublich sexy ihr Boss war – eben der typische Italiener mit diesem brütenden, heißen Blick, der alles bedeuten konnte …

Charlie erinnerte sich an das erste Mal, als sie Marco Delmari auf dem Bildschirm gesehen hatte. Dunkles Haar, das im Nacken bis zum Hemdkragen reichte, ein markantes Gesicht, der gut geschnittene Mund, das feste Kinn … auf keinen Fall, wie man sich einen Doktor der Psychologie vorstellte. Außerdem viel zu jung. Er wirkte eher wie ein Filmstar. Und doch hätte sie wetten können, dass Marco sich seines Äußeren und der Wirkung auf Frauen überhaupt nicht bewusst war.

Vom ersten Tag ihrer Anstellung an wusste Charlie, dass es nur eines für ihn gab, und das war seine Arbeit. Deshalb unterhielt er neben seinem Büro zu Hause auch noch eines in Londons City.

Natürlich hatte er Freundinnen … ausnahmslos hyperattraktiv und verrückt nach ihm. Sie kamen und gingen. Und angesichts seiner Gleichgültigkeit gegenüber ihren schmachtenden Blicken wusste Marco sicher nicht, wie viele Herzen er mit seinem nachlässigen Killercharme bereits gebrochen hatte.

Jetzt lächelte er seiner Sekretärin zu, und ihr Herz machte einen kleinen Sprung.

„Na, wie war Ihr Date gestern Abend?“

Seine unerwartete Frage brachte Charlie aus dem Gleichgewicht. Erst langsam dämmerte ihr, dass sie ihm selbst davon erzählt hatte.

„Ganz okay“, behauptete sie in leichtem Ton, wich seinem intensiven Blick aber vorsichtshalber aus. Sie hasste es, zu lügen, doch die Wahrheit war viel zu deprimierend, um sie auch noch mit jemand teilen zu wollen. „Müssen Sie sich nicht langsam auf den Weg nach London machen?“, wechselte sie geschickt das Thema und warf einen beziehungsvollen Blick auf ihre Uhr. Marco sollte beim BBC Promotion für sein neu erschienenes Buch machen – eine analytische Studie über die These, dass Liebe nicht das wichtigste Kriterium für eine Partnerschaft sei. „Es ist Freitagmorgen, und der Berufsverkehr in London ist einfach mörderisch.“

„Ich weiß, aber ich warte noch auf Sarah. Sie will mich begleiten und unterwegs noch ein paar Fragen mit mir durchgehen, von denen sie glaubt, dass man sie mir stellen könnte.“

„Oh, ich verstehe …“ Charlie schaltete ihren PC an und starrte konzentriert auf den noch dunklen Bildschirm. Sarah Heart war Marcos Agentin und Pressesprecherin, eine extrem agile, ehrgeizige Frau mit einem nicht zu erschütternden Selbstbewusstsein. Charlie fand sie nervtötend, aber sie war gut in ihrem Job, und nur das zählte schließlich, nicht wahr?

„Ich weiß nicht, wo sie so lange bleibt, aber wenn sie in den nächsten fünf Minuten nicht auftaucht, muss ich ohne sie fahren“, brummte Marco, wandte sich ab und starrte wieder aus dem Fenster auf die breite Auffahrt.

„Soll ich versuchen, sie per Handy oder Mail zu erreichen?“

„Habe ich längst probiert“, kam es knapp zurück. „Ich bekomme nur ihren Auftragsdienst.“

„Vielleicht steckt sie irgendwo im Stau.“

„Möglicherweise.“

Charlie runzelte die Stirn über die ungewohnte Einsilbigkeit ihres Bosses. Ob es an dem Interviewtermin lag? Merkwürdig. Normalerweise war er durch derartige Kleinigkeiten nicht aus der Ruhe zu bringen. Marco hatte kein Problem mit den Medien. Er war stets charmant, sprach grundsätzlich frei, gab sich amüsant und unterhaltend.

Und genau deshalb war er sehr gefragt in Funk und Fernsehen und auf diesem Sektor fast so etwas wie eine Berühmtheit geworden. Auch intellektuell beeindruckte er sein Publikum, und seine Bücher landeten regelmäßig in den Bestsellerlisten.

Wobei Charlie insgeheim die These vertrat, dass Marco Delmari hauptsächlich deshalb oben auf der Sympathiewelle schwamm, weil er so faszinierend und sexy war, dass es selbst auf ein so trockenes Thema wie Psychologie abfärbte.

Sie unterdrückte ein Seufzen, fischte ihre Lesebrille aus dem Aktenkoffer und setzte sie auf.

„Dann hat also dieser Dreamboy Ihren Erwartungen tatsächlich entsprochen?“

Die Frage kam unerwartet und war so persönlich, dass Charlie spürte, wie sie rot wurde.

„Nun …“ Sie brach ab, als Marco sich erneut umwandte und sie scharf musterte. Charlies Gesicht brannte vor Verlegenheit. Hätte sie Marco nur nie von dieser verflixten Verabredung erzählt! Und vor allem nicht, dass es sich dabei um ein Internet-Date handelte. Sobald die Worte heraus waren, hatte sie der Anflug von Widerwillen in seinen dunklen Augen auch noch dazu aufgestachelt zu behaupten, das sei heutzutage durchaus „in“. Jeder täte so etwas, und der infrage kommende Mann sei ausgesprochen nett und charmant … sogar mehr als das – ein absoluter Dreamboy!

„Nun?“, drängte Marco.

„Er war ganz okay.“

„Wie schön für Sie, ich habe mir nämlich ein wenig Sorgen gemacht.“

Charlie schluckte. „Tatsächlich?“

„Ja, sich mit einem völlig Fremden zu treffen, birgt immerhin ein ziemliches Risiko.“

„Hmm …“ Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Innern aus. Es war so lange her, dass sich irgendjemand Gedanken um ihr Wohlbefinden gemacht hatte. „Aber ich war sehr vorsichtig und habe mich extra in einem gut besuchten Restaurant mit ihm verabredet. Und ich habe keinerlei persönliche Daten preisgegeben.“

„Gut, dann freut es mich, dass Sie einen schönen Abend hatten.“

„So schön dann auch wieder nicht“, gestand Charlie zögerlich. „Ehrlich gesagt, gab es zwischen uns absolut keine Gemeinsamkeiten.“

„Oh!“ Marco hob eine dunkle Braue. „Dann wird es kein zweites Rendezvous geben?“

Charlie schüttelte den Kopf und beschloss spontan, die Wahrheit zu sagen. „Es war schon schlimm genug, diesen Abend zu überstehen. Ich konnte es kaum erwarten, ihn vor dem Restaurant zu verabschieden.“

Jetzt war Marco offensichtlich amüsiert. „Na, eine echte Chance, sich zu beweisen, haben Sie ihm dann aber nicht gegeben?“, neckte er sie. „Allerdings finde ich auch, dass es besser ist, offen zu sein, wenn man herausfindet, dass man nicht zusammenpasst.“

„Das wusste ich bereits nach einer Minute“, platzte Charlie gegen ihren Willen heraus.

Marco lachte. „Sie wollen sagen, Sie haben sich nicht auf den ersten Blick von ihm angezogen gefühlt? Aber das ist etwas völlig anderes. Ich …“

„Ich kenne Ihre professionelle Meinung zu diesem Thema, Marco“, unterbrach sie ihn rasch. „Und bis zu einem gewissen Punkt gebe ich Ihnen auch recht. Möglicherweise kann Liebe tatsächlich erst im Verlauf einer Beziehung entstehen, aber nicht, wenn die Chemie schon zu Beginn nicht stimmt.“

„Die Chemie ist ein sehr zweischneidiges Schwert“, erklärte er in diesem bedächtigen Ton, der Charlie jedes Mal zur Weißglut trieb. Wie kann ein Mann nur so kalt und emotionslos über das größte aller Gefühle reden, dachte sie frustriert? „Manchmal lenkt sie einfach von der Wahrheit ab und verschleiert die Tatsache, dass man absolut nicht zusammenpasst“, dozierte er weiter.

„Trotzdem muss sie zu Beginn vorhanden sein, sonst … sonst läuft gar nichts“, widersprach Charlie trotzig.

„Nicht unbedingt.“

„Doch!“ Fast hätte sie auch noch mit dem Fuß aufgestampft, so sehr erregte sie sein unbeteiligter Ton. „Ich meine … wenn Sie jemand treffen, der Sie einfach umhaut, dann wissen Sie doch sofort, ob er … oder sie die Richtige ist.“

Marco lächelte. Es war ein nettes, aber ziemlich nachsichtiges Lächeln und ließ goldbraune Pünktchen in seinen dunklen Augen aufleuchten. „Nein, Sie wissen, dass Sie sich beide im Bett ausgezeichnet amüsieren würden“, korrigierte er sanft. „Aber das ist etwas ganz anderes.“

Charlie spürte heiße Röte in ihr Gesicht steigen und fragte sich, wie sie auf dieses verfängliche Thema gekommen waren. Bisher hatte sie sich peinlichst darum bemüht, ihre Gespräche mit Marco auf einer rein sachlichen Ebene zu halten.

„Trotzdem haben Sie nicht ganz unrecht“, plauderte ihr Boss munter weiter. „Sexuelle Anziehung und Begehren sind wichtige Bestandteile einer gut funktionierenden Beziehung.“

Wann hatte sie das denn behauptet? Wenn nur sein italienischer Akzent nicht so sexy wäre … oder die Art, wie er sie aus diesen wundervollen Augen ansah. Unwillkürlich fragte Charlie sich, wie es wohl wäre, mit Marco ins Bett zu gehen. Diese schockierende Fantasie trieb noch dunklere Röte in ihre Wangen und erregte sie gleichzeitig derart, dass ihre Knie zu zittern begannen. Bestimmt war er ein fantastischer Liebhaber …

„Aber so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gibt es nicht“, schloss Marco in nüchternem Ton. „Wenn es das war, worauf Sie hinauswollten.“

Sie brauchte ein paar Sekunden, um in die Realität zurückzufinden. „Ich glaube trotzdem daran. Meine Eltern haben sich auf den ersten Blick ineinander verliebt und sind jetzt seit über fünfunddreißig Jahren verheiratet.“

Marco schüttelte den Kopf. „Das war Lust auf den ersten Blick“, korrigierte er und lachte, als er den schockierten Gesichtsausdruck seiner Sekretärin sah. „Tut mir leid, Charlie, aber auch Ihre Eltern werden irgendwann auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt sein und müssen ziemlich hart daran gearbeitet haben, um eine Ehe so lange aufrechterhalten zu können.“

„Dennoch war es Liebe auf den ersten Blick“, beharrte sie standhaft und erntete dafür erneutes Kopfschütteln.

„Ich befürchte, Sie sind eine unheilbare Romantikerin.“

„Nein!“ Charlie wusste selbst nicht, warum sie so vehement gegen diese Einschätzung protestierte, denn sie war hoffnungslos romantisch, aber aus Marcos Mund hörte sich das irgendwie nach einem Makel an.

„Oh, doch, das sind Sie“, wiederholte er überraschend sanft. „Ganz tief in Ihrem Innern hoffen Sie darauf, eines Tages eine Beziehung zu haben wie Ihre Eltern … inklusive Liebe auf den ersten Blick.“

„Um mit Ihren Worten zu sprechen – ich halte also Ausschau nach jemandem, den es gar nicht gibt, wollen Sie sagen?“, konterte sie gereizt. „Als Nächstes werden Sie mich wohl noch auf Ihre Couch bitten, aber ich brauche keine Psychoanalyse, Marco. Ich hatte gestern Abend ein grauenhaftes Date, aber ansonsten geht es mir fantastisch!“

Ihr Boss lachte, und Charlie presste die Lippen zusammen. „Jetzt sollten Sie aber wirklich fahren, sonst verpassen Sie noch Ihr Interview.“

Marco lächelte immer noch in sich hinein, während er seine verärgerte Sekretärin betrachtete. Von der ersten Sekunde, als sie dieses Büro betreten hatte, war er von ihr fasziniert gewesen. Und zugleich hatte sie ihn irritiert und neugierig gemacht. Vielleicht lag es an ihrer Art, wie sie diese unsichtbare Schranke zwischen ihnen aufrechterhielt und ihm in all den Monaten nicht erlaubte, einen Blick hinter ihre höflich verbindliche Fassade zu werfen.

Gut, nach ein paar Wochen waren sie weniger steif miteinander umgegangen als zu Beginn, und besonders, wenn er sie nach ihrem Sohn fragte, zeigten sich echte Gefühlsregungen auf Charlies fein geschnittenem Gesicht. Die schönen grünen Augen begannen regelrecht zu funkeln, und in ihrer Stimme lag ein warmer Ton, der ihm unter die Haut ging.

Aber was er besonders an seiner Sekretärin schätzte, war ihre Zurückhaltung. Und ihr Organisationstalent. Marco liebte es, einen ruhigen, umsichtigen und vertrauenswürdigen Menschen um sich zu haben – jemand, der nicht emotional reagierte, sondern vom Verstand her.

Als sie sich jetzt von ihrem Schreibtisch erhob, um einen Ordner aus einem der Aktenschränke zu holen, folgte Marco ihr mit einem nachdenklichen Blick. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie verletzlich sie hinter ihrer demonstrativ zur Schau getragenen Selbstsicherheit wirkte. Und er wäre kein Mann, wenn dieser Eindruck nicht seinen Beschützerinstinkt geweckt hätte.

Seine Aufmerksamkeit verlagerte sich, als Charlie sich reckte, um an das oberste Bord zu kommen. Für einen Sekundenbruchteil erhaschte er einen Blick auf eine aufregend schmale Taille, die sie sonst unter formlosen, hüftlangen Kostümjacken versteckte. Und nicht zum ersten Mal fragte er sich, warum Charlie so hartnäckig mit ihren versteckten Reizen geizte. Dabei könnte sie …

Verärgert über seine ausschweifenden Fantasien riss Marco sich zusammen und schaute auf seine Armbanduhr. Es gab ganz andere, wichtigere Sachen, um die er sich schnellstens kümmern musste.

„Sieht so aus, als schafft Sarah es nicht mehr“, stellte er verstimmt fest.

„Soll sie ins Studio nachkommen, falls sie noch hier auftaucht?“, wollte Charlie wissen, ihre Aufmerksamkeit bereits wieder auf den Bildschirm richtend, als wolle sie Marco so schnell wie möglich aus ihrer Peripherie ausschalten.

„Nein, weil nämlich Sie an ihrer Stelle mitkommen“, entschied Marco spontan.

Charlie schaute überrascht auf. „Aber ich muss doch die Daten für die Katalogisierung recherchieren und …“

„Das kann warten. Kommen Sie schon, wir müssen uns beeilen. Ich brauche Sie als Chauffeur, da ich mir unterwegs noch meine Notizen durchlesen muss.“

Widerstrebend setzte Charlie ihre Brille ab, verstaute sie umständlich im Aktenkoffer, schaltete den Computer aus und folgte ihrem Boss die Treppe hinunter. Seit der unglücklichen Diskussion über ihr Liebesleben fühlte sie sich ihm gegenüber seltsam unbehaglich und irgendwie … schutzlos. So, als habe er die Barrieren, die sie mühsam um sich errichtet hatte, mit einem einzigen Handstreich eingerissen.

2. KAPITEL

Charlie musste praktisch rennen, um mit Marco Schritt halten zu können. Umständlich suchte sie nach den Wagenschlüsseln und steuerte dann auf ihr Auto zu.

„Was haben Sie denn vor?“

Als sie aufschaute, sah sie Marco neben seinem roten Sportwagen stehen. „Sollte ich nicht fahren?“

„Natürlich, aber mit dem hier!“

Zweifelnd betrachtete Charlie den brandneuen Flitzer. „Ich würde lieber meinen nehmen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

„Hält der überhaupt bis London?“

„Immerhin bringt er mich jeden Morgen zuverlässig hierher.“

Marco zuckte nachlässig die breiten Schultern. „Gut, dann also los.“

Fast hätte Charlie aufgelacht, als sie aus den Augenwinkeln beobachtete, wie Marco sich bemühte, seine langen Gliedmaßen in ihrem kleinen Vehikel zu verstauen. Während sie versuchte, den Motor zu starten, schob er den Beifahrersitz so weit wie möglich nach hinten. Wie gewöhnlich sprang der Wagen nicht gleich beim ersten Versuch an.

„Ist schon okay“, beruhigte sie ihren Boss. „Das versucht er immer mit mir.“

Bei der dritten Umdrehung klappte es endlich, und in der nächsten Sekunde war der Wagen von romantischen Klängen erfüllt. Nach den ersten Takten von Love and Marriage, interpretiert von Frank Sinatra, gelang es Charlie endlich, an den CD-Player zu kommen.

„Tut mir leid …“, versuchte sie mit viel zu lauter Stimme den Schmachtfetzen zu übertönen, bis sie merkte, dass die Musik aus dem Radio kam.

„Das war Frank Sinatras Meinung zum Thema Liebe und Heirat“, erklärte der Rundfunksprecher heiter. „Doch gleich werden wir Gelegenheit haben, mit dem bekannten Psychologen und Autor, Dr. Marco Delmari, über sein neues Buch zu reden und ihn zu seiner These befragen, warum die Liebe sich in einer Ehe auch als hinderlich erweisen kann, wenn man sie als oberste Priorität betrachtet.“

„Ich dachte, es sei der CD-Player“, murmelte Charlie entschuldigend, während sie den Sender leiser stellte. Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, dass Marco das Cover zu ihrer Love-Songs-CD in Händen hielt und aufmerksam die Liste der Titel studierte.

„Und Sie wollten mir vormachen, keine Romantikerin zu sein?“

Autor

Kathryn Ross
<p>Kathryn Ross wurde in Afrika geboren und verbrachte ihre Kindheit und Jugend in England und Irland. Eigentlich ist sie ausgebildete Therapeutin, aber die Liebe zum Schreiben war stärker, und schließlich hängte sie ihren Beruf an den Nagel. Als Kind schrieb sie Tier- und Abenteuergeschichten für ihre Schwester und Freundinnen. Mit...
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