Im Palast der heimlichen Wünsche

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Er erkennt sie nicht! Amber dagegen weiß sofort, wer der attraktive Mann auf der Hochzeitsparty ist: Kronprinz Tristano von Elsornia. Als Teenager wurde sie ihm versprochen. Aber für die scheue Amber war ein Leben im Scheinwerferlicht an seiner Seite undenkbar, und sie floh. Jetzt lodert das Verlangen auf den ersten Blick heiß zwischen ihnen! Eine Nacht in der Palastsuite erlaubt Amber sich mit dem Prinzen ihres Herzens - mit süßen Folgen, die sie fast verzweifeln lassen! Denn sie kann nicht ohne ihn sein. Aber auch niemals seine Königin werden …


  • Erscheinungstag 26.01.2021
  • Bandnummer 022021
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718510
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Mit leisem Summen blieb der Wagen stehen. Der Chauffeur stieg aus, ging steif wie bei einer Parade zur hinteren Tür und öffnete sie. Amber Kireyev zog ihren verhassten Schottenrock über die Knie, ehe sie nach ihrem Rucksack griff und unter dem wachsamen Blick des Chauffeurs aus dem Wagen glitt.

„Danke, Boris“, sagte sie lächelnd. Doch wie üblich erwiderte er ihr Lächeln nicht, sondern nickte nur knapp.

„Prinzessin Vasilisa.“

„Amber“, verbesserte sie, wie immer. „Nennen Sie mich Amber.“

Doch Boris, der hoch aufgerichtet neben dem Wagen stand, ignorierte ihre Bemerkung und blieb stehen, während sie die Auffahrt entlangging. Er würde sich nicht rühren, bis sie das Gebäude betreten und die Tür sich sicher hinter ihr geschlossen hatte.

Amber unterdrückte ein Seufzen. Sie wusste, dass die meisten Menschen ihre Seele verkauft hätten, um eine Wohnung in diesem wundervollen Art-déco-Gebäude mit Blick auf den Central Park ihr Eigen nennen zu können. Besonders ein Penthouse in einem der beiden Türme. Doch für sie war das Penthouse mehr ein Gefängnis als ein Zuhause. Sie hängte sich den Rucksack über die Schulter, hob das Kinn und drückte auf die Taste, die ihr Eingang gewähren würde. Geräuschlos schwangen die Türen auf, und sie trat ein. Das opulente Foyer aus Marmor und Stein mit der hohen Decke war ihr so vertraut, dass sie die Pracht nicht wahrnahm. Dafür aber den Mann hinter der Rezeption, der in seiner blauen Uniform mit den Goldtressen sehr elegant aussah. Er lächelte ihr entgegen.

„Miss Amber, alles Gute zum Geburtstag.“

„Danke, Hector.“

„Wollen Sie heute irgendwo schön feiern?“

Amber versuchte, kein frustriertes Gesicht zu ziehen. Ihre Mitschülerinnen in der exklusiven Mädchenschule hatten an ihrem achtzehnten Geburtstag extravagante Partys gegeben, einen Ballsaal in einem Hotel gemietet, oder sie waren für das Wochenende zu ihrem Zuhause nach Hampton Beach gefahren. Selbst wenn sie Amber eingeladen hätten, wäre es ihr nicht erlaubt gewesen, an der Party teilzunehmen. Doch sie hatten ohnehin schon vor Jahren aufgehört, sie zu fragen. „Grandmama hat gesagt, dass wir abends vielleicht zum Essen gehen. Nach meinem Unterricht, natürlich.“ Nicht einmal an ihrem achtzehnten Geburtstag konnte Amber ihre Tanz-, Benimm- oder Etikette-Stunden ausfallen lassen.

„Ich habe etwas für Sie“, flüsterte Hector in verschwörerischem Ton. Nachdem er sich umgesehen hatte, zog er einen großen braunen Umschlag unter dem Tisch hervor und hielt ihn ihr hin.

Ambers Herz schlug schneller, als sie den bekannten Poststempel bemerkte. „Danke, dass er an Ihre Adresse geschickt werden durfte.“ Der Umschlag enthielt ihre Zukunft. Eine Zukunft weit weg von hier, weit weg von ihrer Großmutter.

„London?“, fragte Hector, und sie nickte.

„Das Lehrprogramm der Universität. In London haben meine Eltern sich kennengelernt und dort gearbeitet. Wir haben allerdings außerhalb in einer kleinen Stadt gewohnt. Ich habe mir immer geschworen zurückzugehen, sobald ich alt genug bin. Mich an der Uni anzumelden, ist der erste Schritt.“ Sie steckte den Umschlag in ihren Rucksack. „Danke noch mal.“

„Ich habe noch etwas für Sie.“ Mit einer schwungvollen Bewegung präsentierte er ein kleines Törtchen mit Glasur in Silber und Weiß. „Eine Kerze gibt es nicht, wegen dem Feueralarm. Aber Maya hat mir gesagt, dass Sie sich trotzdem etwas wünschen sollen.“

„Ach, Hector.“ Amber hasste es zu weinen, spürte aber, wie heiße Tränen sich in ihren Augen sammelten. „Das ist sehr nett von Ihnen und Maya. Sagen Sie ihr liebe Grüße von mir.“

„Besuchen Sie uns bald mal wieder. Sie hat ein neues Rezept, das sie Ihnen beibringen möchte.“ Besorgt sah Hector auf die große Uhr im Vorraum. „Ihre Großmutter wird bald nach Ihnen verlangen. Sie sollten jetzt besser gehen. Und Amber? Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“

Der Lift wartete schon. Amber gab den Code ein, der sie zum Penthouse bringen würde. Sie kostete etwas von dem Kuchen, während sie hochfuhr.

Die Türen öffneten sich direkt zur Eingangshalle des Penthouses. Normalerweise konnte Amber kaum einen Fuß auf den Parkettboden setzen, ohne schon die gereizte Stimme ihrer Großmutter zu hören, die sie zu sich zitierte, um sie über ihren Tag auszufragen und sie wegen ihres Aussehens oder ihrer Haltung zu kritisieren – oder wegen ihrer Undankbarkeit. Auch jetzt wappnete sie sich für das Verhör. Der braune Umschlag war sicher verwahrt in ihrem Rucksack, geschützt gegen jede giftige Bemerkung. Doch an diesem Tag wurde sie nicht herbeizitiert. Ohne behelligt zu werden, schaffte es Amber, mit dem halb aufgegessenen Törtchen in der Hand, bis zu ihrem Schlafzimmer. Sie stellte den Rucksack auf den Boden, nahm den Umschlag heraus und versteckte ihn ungeöffnet hinten in ihrem Schrank. Sie würde ihn sich später ansehen, wenn ihre Großmutter schlief.

Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass der Umschlag gut versteckt war, stand sie auf, und ihre Füße versanken in dem weichen rosa Teppich. Ihr gesamtes Zimmer war in knalligen Pinktönen und Creme gestaltet, Farben, die sich mit ihren kastanienbraunen Haaren bissen und ihre helle Haut noch blasser erscheinen ließen. Doch bei der Einrichtung hatte sie genauso wenig zu sagen gehabt wie bei ihrer Schulausbildung, ihrer Garderobe und ihrer Freizeit.

Sie zog den verhassten Blazer und den Schottenrock aus, schlüpfte in ein schlichtes blaues Kleid, bürstete ihre Zöpfe aus und steckte sie zu einem lockeren Knoten. Dann machte sie sich auf den Weg, um ihre Großmutter zu suchen. Die ungewohnte Stille machte sie ein wenig besorgt. Einen Moment überlegte sie, ob ihre Großmutter vielleicht eine Geburtstagsüberraschung vorbereitet hatte, ehe sie den lächerlichen Gedanken verwarf. Ihre Großmutter hatte weder mit Geburtstagen noch mit Überraschungen etwas am Hut.

Sie trottete durch den Flur und warf einen Blick in das kleine Wohnzimmer, in dem ihre Großmutter sich am liebsten aufhielt. Ihre Neugier wuchs, als tiefe Stimmen aus dem größeren Wohnzimmer drangen, in dem ihre Großmutter immer Gäste empfing. Dank der deckenhohen Fenster war der Raum sehr hell und bot eine atemberaubende Aussicht auf den Central Park. Doch er war so vollgestellt mit Möbeln, die man während der Revolution in Belravia hatte retten können, dass es kaum einen Fleck ohne einen verschnörkelten Stuhl oder ein Tischchen gab, während die Wände gepflastert waren mit Porträts von finster aussehenden Vorfahren.

Unschlüssig blieb Amber stehen. Man hatte noch nicht nach ihr gerufen, aber ihre Großmutter erwartete sicher, dass sie kommen und die Gäste begrüßen würde, wer auch immer das sein mochte.

Nur noch ein paar Monate, sagte sie sich. Dann war sie mit der Schule fertig, und im Herbst würde sie in London sein. Zuerst müsste sie sich bei der Universität anmelden und herausfinden, wie sie die Gebühren bezahlen würde. Sie hatte von ihrem Taschengeld ein paar Tausend Dollar gespart, aber damit könnte sie nicht viel mehr als das Flugticket bezahlen.

Aber darüber wollte sie sich später den Kopf zerbrechen. Jetzt sollte sie hineingehen, Hallo sagen und sich so lange, wie es nötig war, wie eine Prinzessin benehmen. Da sie wusste, dass sie bald fort sein würde, fiel es ihr fiel leichter. Jetzt, da sie wirklich erwachsen war, würde ihre Großmutter endlich keine Kontrolle mehr über sie haben.

Amber atmete durch, trat einen Schritt vor, blieb dann aber stehen, als ihr Blick durch die halb geöffnete Tür auf ein männliches Profil fiel. Ein Profil, das sie nur zu gut kannte: dunkle Haare, aus der Stirn gekämmt, eine ausgeprägte römische Nase, scharfe Wangenknochen, ein festes Kinn und ein ernster Mund. Amber schluckte. Zu oft hatte sie nachts von diesem Mund geträumt. Ihr Herz hämmerte schmerzhaft, und ihre Hände wurden feucht vor Verlegenheit. Was machte Tristano Ragrazzi hier, ausgerechnet an ihrem Geburtstag?

Tristano – oder allgemein bekannt als Seine Königliche Hoheit Kronprinz Tristano von Elsornia – war Ambers erster Schwarm gewesen. Wenn sie ehrlich war, ihr einziger Schwarm, trotz des Altersunterschieds von vier Jahren und der nicht unbedeutenden Tatsache, dass er ihr bei den wenigen Zusammentreffen kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Dieses kleine Detail hatte die jüngere Amber aber nicht davon abgehalten, sich ein Märchen auszuspinnen, wie er sich eines Tages in sie verlieben und sie aus ihrem goldenen Käfig retten würde. Ein Märchen, von dem sie an dem Tag abließ, als sie über einen der vielen bestickten Fußschemel ihrer Großmutter stolperte und ein Tablett mit Getränken und Oliven über ihn schüttete. Über Tristano, mit seinen perfekt sitzenden Haaren, dem teuren Anzug, dem attraktiven Gesicht. Seinen entsetzten, vernichtenden Blick hatte sie nie vergessen. Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und darüber war sie mehr als froh.

Langsam ging Amber auf Zehenspitzen rückwärts, denn es war weit besser, sich dem Zorn ihrer Großmutter stellen zu müssen als Seiner Hoheit. Doch als Tristano sprach und sie ihren Namen hörte, erstarrte sie.

„Prinzessin Vasilisa ist noch sehr jung.“

„Ja“, stimmte ihre Großmutter in ihrem üblichen schneidenden, eiskalten Ton zu. „Was Ihnen zugutekommt. Ich habe dafür gesorgt, dass sie streng im Auge behalten wird. Sie kann noch geformt werden. Und natürlich hatte sie keine Gelegenheit, Männer zu treffen. Also eine jungfräuliche Prinzessin, an deren Name kein Skandal klebt. Sie hat eine ausgezeichnete Ausbildung, ist in Staatskunst und Diplomatie unterrichtet worden, ganz zu schweigen von ihrer Mitgift. Sie ist einzigartig, und das wissen Sie, Tristano. Also keine Spielchen.“

Amber hätte beinahe nach Luft geschnappt. Dass ihre Großmutter mit irgendjemandem über ihre Jungfräulichkeit sprach, war schon demütigend genug. Aber ausgerechnet mit Seiner Königlichen Hoheit? Ihre Wangen fühlten sich an, als würden sie in Flammen stehen, und nicht nur vor Verlegenheit, sondern auch vor Empörung.

„Natürlich, das Vermögen von Belravia“, warf eine männliche Stimme ein, die Amber nicht kannte. Sie hatte einen ähnlichen Akzent wie die von Tristano, einen leicht italienischen und deutschen Beiklang. „Ist es wirklich noch so groß wie damals, als das Land unterging?“

„Größer noch, dank einiger kluger Investitionen, während wir darauf gewartet haben, dass wieder ein Kireyev auf dem Thron sitzt. Aber inzwischen ist klar, dass es unser Reich nicht mehr gibt, und damit keinen Thron. Deshalb sind wir auf der Suche nach einem anderen Thron, einem anderen Land, in das wir unser Geld und unser Blut investieren können. Ihr Thron, Ihr Land, Tristano.“

Schweigen folgte. War Tristano in Versuchung, angeekelt oder empört, dass um sie gefeilscht wurde, als wäre sie Teil des Vermögens und nicht ein Mensch aus Fleisch und Blut? Sie hoffte auf das Letztere, um dann enttäuscht zu werden, als er endlich sprach.

„Dass die Prinzessin noch sehr jung ist, ist allerdings nicht von der Hand zu weisen.“

„Wir sollten nichts übereilen“, sagte der unbekannte Mann. „Die Prinzessin mag zu jung sein, um zu heiraten, aber es spricht doch nichts gegen eine offizielle Verlobung. Und deshalb sind wir hier, um darüber zu sprechen. Die Unterlagen haben wir dabei.“

Die … was? Sie musste träumen, ganz sicher. Amber atmete kaum, als sie weiter zuhörte.

„Ich bin ihr rechtmäßiger Vormund“, erklärte ihre Großmutter. „Ich kann sie gleich unterschreiben, mit dem Herzog als meinem Zeugen. Sie müssen nichts weiter tun als ebenfalls unterzeichnen, Tristano. Dann würde ich vorschlagen, dass Sie Vasilisa mit sich nach Elsornia nehmen. Sie kann dort die nächsten drei Jahre ihre Ausbildung entsprechend Ihren Vorstellungen beenden. Wenn sie dann einundzwanzig ist, wird sie die perfekte Braut für Sie sein. Die perfekte Königin.“

Die perfekte Braut.

Wäre Amber nicht so entsetzt gewesen, hätte sie laut gelacht. Sie hatte noch nicht einmal einen Mann geküsst. Und sie würde auf keinen Fall einen Prinzen heiraten, bevor sie es bei ein paar Fröschen ausprobiert hatte. Außerdem hatte sie ihre eigenen Pläne für die nächsten drei Jahre – und darin kam nicht vor, dass sie sich in einem Schloss mitten in Europa einsperren ließ. Nein, sie würde wie ein ganz normales Mädchen leben. Würde lachen, lernen, flirten, Frösche finden und jeden Augenblick genießen.

Aus einem ersten Impuls heraus wollte Amber in den Raum platzen und unmissverständlich erklären, dass sie die Einzige war, die solch eine Vereinbarung unterschreiben könnte, und dass sie nicht im Traum daran dachte. Und sie würde die drei daran erinnern, dass ihre Großmutter nicht mehr ihr Vormund war, da sie nun achtzehn Jahre alt war. Und selbst wenn Amber es noch nicht wäre: Nach amerikanischen oder englischen Recht konnte die alte Dame ihre Enkelin nicht einfach verheiraten! Diese Verlobungsidee war das Papier nicht wert, auf dem sie niedergeschrieben war.

Doch sie zügelte sich. Sie bezweifelte nicht, dass ihre Großmutter sie gewaltsam nach Elsornia verfrachten würde, wenn sie es wollte. Nein, besser vorsichtig sein.

So leise wie möglich zog Amber sich zurück, während ein Entschluss in ihr reifte. Sie war nicht nur die Erbin eines Throns, der schon lange verloren war. Durch ihre Mutter war sie auch Engländerin, und es war höchste Zeit, dass sie nach Hause zurückkehrte. Das Letzte, was sie hörte, war das Kratzen einer Feder über Papier, als sie zu ihrem Schlafzimmer ging. Ausweis, Geld, dann wäre sie verschwunden. Ohne einen Blick zurückzuwerfen.

1. KAPITEL

Acht Jahre später

„Alex, wer ist das? Der Mann neben Laurent?“ Amber versuchte, ihre Frage leise und diskret zu stellen, denn sie war sich bewusst, dass die Fernsehkameras direkt auf sie und die anderen beiden Brautjungfern gerichtet waren. Eine königliche Hochzeit war immer das Ereignis der Saison, selbst wenn der fragliche König nur ein kleines Reich im Mittelmeer regierte. Ereignissen wie diesen war Amber die letzten acht Jahre aus dem Weg gegangen. Und jetzt stand sie hier, im Mittelpunkt. Aber was sollte sie machen, wenn einer der drei Menschen, die sie am meisten liebte, einen Kronprinzen heiratete?

„Das ist der Trauzeuge.“ Alex warf ihr einen neugierigen Blick zu. „Ich glaube, Emilia hat gesagt, dass er Tristano heißt. Er sieht nicht wie dein Typ aus, obwohl er umwerfend ist.“

„Ich bin nicht interessiert“, protestierte Amber wieder so leise wie möglich, wobei sie kaum den Mund bewegte. Denn sie wollte auf keinen Fall, dass jemand von ihren Lippen ablesen konnte und das Gespräch dann in den sozialen Medien verbreitete. „Ich bin nur überrascht, weil ich dachte, Laurents Cousin wäre der Trauzeuge.“

„Er wurde zu einer Operation gerufen.“ Laurents Cousin war Chefarzt der Chirurgie im örtlichen Krankenhaus und liebte seine Arbeit. Gerüchten zufolge betete er um einen königlichen Erben innerhalb eines Jahres, damit er in der Thronfolge nach hinten rückte. „Tristano stand schon bereit – er und Laurent kennen sich offenbar schon seit Jahren.“

„Wie praktisch.“

Amber biss sich auf die Lippen, während sie ihre Möglichkeiten durchging. Wenn sie eine Krankheit vortäuschte, würde sie noch mehr Aufmerksamkeit erregen. Als Brautjungfer bei einer königlichen Hochzeit, die Millionen Zuschauer in der ganzen Welt verfolgten, stand sie ohnehin schon im Rampenlicht, dessen musste sie sich bewusst sein. Sie hatte lange überlegt abzusagen. Denn wenn man sie irgendwo erkennen würde, dann sicher in einem Raum voller Mitglieder der europäischen Königshäuser. Doch am Ende war sie zu dem Schluss gekommen, dass es nur eine Handvoll Menschen gab, die sie von früher kannten.

Ihr Pech war, dass einer dieser Menschen nun mit ernstem Gesicht neben dem Bräutigam stand, gekleidet in einer mit Gold besetzten Ausgehuniform, die an einem weniger strengen Mann kitschig gewirkt hätte.

Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie selbst sich so sehr verändert hatte, dass man sie nicht wiedererkennen konnte. Ihre Haare, früher karottenrot, waren zu einem Rotbraun gedunkelt. Und sie war kein dünner, schlaksiger Teenager mehr. Im ersten Jahr ihrer Freiheit war sie sprichwörtlich und im übertragenen Sinn größer geworden und zwei Nummern kurviger als in New York. Als Tristano sie das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie einen Schottenrock, eine Bluse und geflochtene Zöpfe getragen, sie war ungeschminkt gewesen und hatte einen Teller mit Oliven über ihn geschüttet. Unmöglich konnte er in der eleganten Brautjungfer mit dem Designerkleid den unbeholfenen Teenager von damals wiedererkennen. Also sollte sie sich keine Sorgen machen.

Außerdem, was wäre das Schlimmste, was passieren könnte, würde Tristano sie wiedererkennen? Schließlich waren sie eigentlich nie verlobt gewesen. Wahrscheinlich hatte er die Katastrophe von damals schon vergessen, und sie konnte nicht zu einem Leben am Königshof gezwungen werden. Es ging einfach nur darum, dass es ihr gefiel, ein Leben in Anonymität zu führen. Nicht einmal ihre drei engsten Freundinnen und Geschäftspartnerinnen wussten von ihrem abgelegten Titel oder von den langen, einsamen Jahren in New York. Sie hatte das Leben als Prinzessin im Exil an dem Tag hinter sich gelassen, als sie die Wohnung ihrer Großmutter verließ. Und sie hatte nicht vor, jemals wieder zu diesem Leben zurückzukehren.

Der Klang der Orgel versetzte sie wieder in die Gegenwart. Amber hob ihr Kinn und straffte die Schultern, als die beiden Blumenmädchen mit langsamen Schritten durch das Kirchenschiff gingen und weiße Rosenblätter streuten. Danach folgte Alex, groß und elegant wie immer in einem bodenlangen Seidenkleid in Eisblau und Silber, wie es alle drei Brautjungfern trugen. Der Chor stimmte ein Lied an, das die mittelalterliche Kathedrale erfüllte, während Harriet, die Amber zuzwinkerte, Alex folgte. Schnell warf Amber einen Blick zu Emilia, die in weißer Spitze wie ein Engel aussah, das Gesicht hinter einem Schleier versteckt. Sie hatte sich bei ihrem Vater eingehängt. „Liebe dich“, formte Amber mit den Lippen. Und dann war sie an der Reihe.

Zum ersten Mal war sie dankbar für all die Lektionen in Bezug auf richtiges Betragen, die sie als Jugendliche über sich hatte ergehen lassen müssen, als sie Harriet langsam durch das Kirchenschiff folgte. Es gelang ihr, die neugierigen, abschätzenden Blicke auszublenden, und sie sah weder nach links oder rechts, bis sie vorne angekommen war. Erst dann hob sie den Blick und sah zu Laurent, dessen Gesicht vor Freude und Ehrfurcht leuchtete. Amber hatte einen Kloß im Hals, weil der sonst so reservierte Erzherzog so offen seine Gefühle zeigte. Als sie an ihm vorbei sah und den Blick des Kronprinzen von Elsornia auffing, machte ihr Herz einen Satz. Seine Augen leuchteten. Hatte er sie doch wiedererkannt?

Doch es war etwas anderes, was sie in seinem Blick las.

Verlangen.

Tris war kein großer Fan von Hochzeiten, und zu Rothaarigen hatte er sich noch nie hingezogen gefühlt. Warum also konnte er nicht aufhören, die Brautjungfer mit den flammenden Haaren anzustarren, während sie gelassen durch das Kirchenschiff schritt? Genau wie die anderen Brautjungfern trug sie ein blaues Seidenkleid mit Silberfäden durchwirkt, doch das Eisblau wirkte auf ihrer cremefarbenen Haut wärmer und unterstrich ihre wunderschönen langen Haare, in denen Kristalle funkelten. Sie wirkte wie eine Schneeschmelze, warm und einladend und doch ein wenig gefährlich. Obwohl in ihrem Blick nichts Einladendes lag, als sie ihn direkt ansah, bevor sie sich wieder abwandte. Doch Tris sah den rosigen Schimmer, der sich über ihren Nacken und ihren Hals zog, und wusste, dass sein Interesse sie nicht so gleichgültig ließ, wie sie vorgab.

Faszinierend.

Oder auch nicht. Er hatte weder die Zeit, noch war er frei, mit Brautjungfern zu flirten, wie verführerisch sie auch sein mochten. Was er in den nächsten fünf Jahren brauchte, waren eine Frau und ein Erbe, sonst würde er den Thron verlieren, dank der verrückten altmodischen Gesetze, die immer noch in seinem altmodischen Land herrschten. Da sein leichtsinniger Cousin in der Thronfolge hinter ihm stand, war Scheitern keine Option für Tris.

Die Musik schwoll zu einem Crescendo an, und als sie endete, richtete Tris seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Aufgabe. Er musste nicht viel tun, außer eine Ansprache halten, die geeignet war, gesendet zu werden. War man mit einem König befreundet, lautete die erste Regel, dass man nicht über diese Freundschaft sprach. Laurents Geheimnisse, so unbedeutend sie auch sein mochten, waren sicher bei ihm.

Nun trat der Erzbischof von Armaria vor, und die Zeremonie begann. Sie folgte der altehrwürdigen Tradition mit den abgedroschenen Worten, wiederholt von Tausenden von Stimmen. Und doch war das Prozedere jedes Mal einzigartig. Tris konnte nicht anders als sich in dem Zauber zu verlieren, als Laurent und Emilia ihre Ehegelübde sprachen. Für einen Moment verspürte er einen scharfen Stich von Eifersucht. Laurent heiratete aus Liebe. Wie viele Männer oder Frauen in seiner Position hatten so viel Glück? Wie viele konnten in diesem Punkt ihr Schicksal selbst bestimmen?

Tris jedenfalls nicht. Er hatte sich mit einem Mädchen verlobt, das er kaum kannte, nicht wegen des berühmten Vermögens von Belravia, sondern weil sie verfügbar und für die Rolle erzogen worden war. Kein Wunder, dass sie davongelaufen war. Manchmal beneidete er sie. Dann wieder fragte er sich, wie sie ihren Pflichten entsagen konnte, wenn er an seine gebunden war. Für Prinzen und Prinzessinnen war es nicht vorgesehen, dass sie ihrem Herzen folgten – obwohl Laurent genau das im Moment tat. Und er hatte niemals glücklicher und mehr im Frieden mit sich ausgesehen als jetzt.

Mit all dem üblichen Pomp ging die Zeremonie weiter, während das glückliche Paar sich voller Liebe ansah. Eine zu lange Predigt, einige feierliche Choräle und einen züchtigen und doch verhalten leidenschaftlichen Kuss später läuteten die Glocken, während das Paar Hand in Hand unter dem Jubel der Gäste durch das Kirchenschiff schritt.

Galant reichte Tris Laurents Mutter, die in Dunkelblau und mit Diamantschmuck wahrhaft königlich aussah, seinen Arm. Doch als er sie durch das Kirchenschiff führte, ging sein Blick zu der rothaarigen Brautjungfer, die mit wiegendem Schritt vor ihnen ging.

„Sie heißt Amber“, informierte ihn Laurents Mutter trocken. „Sie arbeitet mit Emilia zusammen, so wie die beiden anderen Brautjungfern.“ Ihre Augenbrauen gingen leicht nach oben. „Ich glaube, sie ist derzeit Single.“

„Der Trauzeuge und die Brautjungfer?“ Tris lächelte. „Ein wenig zu viel Klischee, oder nicht?“

„Ein Klischee ist nicht immer etwas Schlechtes. Manchmal soll es einfach so sein.“

„Ich hatte Sie gar nicht für eine Heiratsvermittlerin gehalten, Eure Majestät.“

„Ich habe auch nicht vor, eine Gewohnheit daraus zu machen. Aber du bist dreißig, Tristano. Und Single. Selbst einem Kronprinzen ist es erlaubt, ein hübsches Mädchen bei einer Hochzeit zu bemerken.“

„Aber ich bin nicht Single. Eigentlich bin ich verlobt.“

„Eigentlich ist das richtige Wort, denn schließlich bist du mit einer Frau verlobt, die du seit acht Jahren nicht mehr gesehen hast. Es ist an der Zeit, Prinzessin Vasilisa aufzugeben. Du verdienst eine Braut, die an deiner Seite ist.“

„Wir haben nicht alle so viel Glück wie Laurent.“ Tristano verlangsamte seinen Schritt, als sie das Ende des Kirchenschiffs erreichten. Fotografen erwarteten sie draußen vor der Kathedrale. Automatisch straffte er sich ein wenig mehr und setzte eine kühle, ausdruckslose Miene auf. „Ich habe mich selbst in diese Situation gebracht und hätte meinem Onkel, der diese Verlobung vorgeschlagen hat, nicht zustimmen sollen. Und genauso wenig hätte ich der verwitweten Königin von Belravia glauben dürfen, dass die Hochzeit wie geplant ablaufen würde. Ich habe zu viele Jahre in dem Glauben vergeudet, dass Vasilisa im Ausland ihre Ausbildung zum Abschluss bringt. Als ihre Großmutter endlich die Wahrheit gestand, war die Spur schon kalt. Nach elsornianischem Recht bin ich verlobt und kann keine andere heiraten. Und das gleiche Recht schreibt vor, dass ich bis fünfunddreißig verheiratet sein und einen Erben haben muss. Wäre mein Cousin ein anderer Mensch, würde das nicht so eine große Rolle spielen.“

Laurents Mutter nickte. „Wobei Nikolai sowohl verheiratet als auch Vater eines Sohnes ist. Ich finde es lächerlich, dass ein Kronprinz von Elsornia heutzutage erst König sein kann, wenn er fünfunddreißig ist und einen Erben gezeugt hat.“

„Stimmt. Aber dass er Truppen in die Schlacht geführt und eine Grenzstadt geplündert haben muss, diese Voraussetzung steht Gott sei Dank nur noch auf dem Papier. Unsere Nachbarstaaten wären nicht gerade begeistert. Dieses Gesetz ist das letzte Überbleibsel unserer mittelalterlichen Gebräuche. Ich habe vor, sie abzuschaffen, genauso wie das Erstgeburtsrecht. Aber das kann ich nur mit Einverständnis meines Cousins, und Nikolai wird dem niemals zustimmen.“

„Was ist mit dem Parlament? Können sie dich nicht unterstützen?“

„Sie zögern, die Sache voranzutreiben. Meine Anwälte suchen nach einem Weg, sie dazu anzuspornen, doch bis jetzt vergeblich. Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über meine Probleme zu sprechen. Heute ist ein glücklicher Tag.“

„So ist es. Also vergiss Staatsangelegenheiten und vermisste Bräute und amüsiere dich, Tristano. Flirte mit der hübschen Amber und erfreu dich an deiner Jugend, wenigstens für einen Tag.“

Autor

Jessica Gilmore

Jessica Gilmore hat in ihrem Leben schon die verschiedensten Jobs ausgeübt. Sie war zum Beispiel als Au Pair, Bücherverkäuferin und Marketing Managerin tätig und arbeitet inzwischen in einer Umweltorganisation in York, England. Hier lebt sie mit ihrem Ehemann, ihrer gemeinsamen Tochter und dem kuschligen Hund – Letzteren können die beiden...

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