In Liebe - dein Mann

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Jeder einzelne sehnsuchtsvolle Brief, den Chaz an einsamen Weihnachtsfesten in den letzten Jahren an seine große Liebe Shayne geschrieben hat, spricht von dem Schmerz des vergangenen Glücks und der vergeblichen Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Und dabei hat Shayne keinen dieser Briefe erhalten! Denn ihr Bruder Rafe, der vor neun Jahren die Annullierung der Ehe von Chaz und Shayne durchsetzte, fing sie alle ab. Doch nach neun Jahren erkennt Rafe, dass er sich dem Glück seiner Schwester nicht länger in den Weg stellen darf: Wenn die Liebe zwischen ihr und Chaz wirklich noch so stark ist, dann werden sie auch ein zweites Mal zueinander finden ...


  • Erscheinungstag 29.07.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718039
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Die Beaumonts – Forever, Nevada

Ella Beaumont rollte sich auf die Seite und sah ihren Ehemann an. Der Vollmond schien durchs Fenster, tauchte das Schlafzimmer in ein silbriges Licht und ließ Rafes wie aus Stein gehauene Gesichtszüge besonders markant wirken. „Glaubst du, dass wir das Richtige tun, Rafe? Vielleicht sollten wir uns da nicht einmischen.“

„Das habe ich schon. Dadurch ist meine Schwester überhaupt in diese Lage gekommen. Und obwohl ich mich die letzten neun Jahre aus ihrem Leben herausgehalten habe, hat Shayne niemanden gefunden. Es hat niemals einen anderen Mann für sie gegeben. Keinem Einzigen ist es gelungen, ihr Herz zu erobern.“

„Außer McIntyre“, sagte Ella leise.

Rafe nickte.

„Woher willst du wissen, dass er nicht schon verheiratet ist und überhaupt kommt?“

„Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, ein wachsames Auge auf ihn zu haben, seitdem ich die Ehe damals annullieren ließ.“

Ella brauchte einen Augenblick, um sich der ganzen Tragweite seiner Worte bewusst zu werden. Schließlich gab sie ihrem Ehemann freundlich zu bedenken: „Sosehr du es vielleicht möchtest, Rafe, aber du kannst nicht Gott spielen.“

„Das ist kein Spiel.“ Er biss die Zähne zusammen, und seinen jetzigen Gesichtsausdruck kannte Ella nur zu gut. Rafe hatte seinen Entschluss gefasst und würde sich auch von ihr nicht davon abbringen lassen. „Ich versuche nur, ein Unrecht wieder gutzumachen, Ella. Wenn es mir gelingt, wird Shayne endlich ihr Glück finden.“

„Und wenn nicht?“

Bedauern sprach aus seinen Augen. „Dann habe ich ihr wenigstens die Möglichkeit gegeben, die ich ihr vor all den Jahren nahm.“

Lullabye, Colorado

„Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?“

Doña Isabella neigte hoheitlich den Kopf, und sie schloss die Finger noch fester um den goldgefassten Bernsteinknauf ihres Gehstocks. „Ich meine es durchaus ernst, Señor McIntyre. Als Sie vergangenen Monat Kontakt zu mir aufnahmen, habe ich Ihnen meine Bedingungen genannt. Und trotzdem haben Sie nichts getan, um sie zu erfüllen.“

„Erwarten Sie wirklich von mir, dass ich innerhalb eines Monats eine Frau finde?“, stieß er wütend hervor.

„Nein.“ Doña Isabellas dunkle Augen funkelten. „Jetzt erwarte ich von Ihnen, dass Sie innerhalb einer Woche eine Ehefrau finden.“ Damit setzte sie ihm förmlich die Pistole auf die Brust. Mit großen Schritten ging Chaz in seinem Büro auf und ab, um die Beherrschung wieder zu finden, was nicht so einfach war. Er bezweifelte keine Sekunde, dass Doña Isabella tatsächlich erwartete, er würde nach den sieben Tagen, die sie ihm gnädigerweise zugestanden hatte, mit einer Ehefrau im Schlepptau wieder auftauchen.

Dabei war der alten Dame völlig egal, dass eine Ehe das Letzte war, was er wollte, und dass die Chance, im Umkreis von hundert Kilometern um seine Ranch eine Frau zu finden, die ihn wollte, einem Sechser im Lotto gleichkam. Doña Isabella interessierte nur, dass er ihrem Befehl Folge leistete. Sonst würde sie ihm das Einzige verweigern, was ihm wirklich am Herzen lag.

Chaz war mit seinem Latein am Ende und tat das einzig Mögliche in dieser Situation: Er lächelte die alte Dame jungenhaft an. „Sie hätten da wohl nicht schon jemanden für mich im Auge?“

Doña Isabella presste die Lippen zusammen. Offensichtlich konnte sie mit seiner Art von Humor nichts anfangen. „In einer Woche kehre ich nach Mexiko zurück, Señor McIntyre. Wenn Sie bis dahin all meine Forderungen erfüllt haben, gebe ich Ihnen, was Sie wünschen. Wenn nicht …“ Sie zuckte die Schultern und sah ihn mit unbewegter Miene an. „Es liegt ganz bei Ihnen.“

Sein Lächeln verschwand, und er erwiderte ebenso kalt: „Nein, Señora, ich habe keine Wahl, denn wenn es nach mir ginge, würden wir dieses Gespräch gar nicht führen.“

Es klopfte, und gleich darauf öffnete Chaz’ Vorarbeiter Penny die Tür – allerdings nur einen Spaltbreit. Zweifellos hielt ihn die Furcht vor der einschüchternden Doña Isabella davon ab, die Tür ganz aufzumachen. „He, Boss?“

„Ich habe dir doch gesagt, ich will nicht …“

„Ja, weiß ich. Tut mir leid. Aber da draußen steht ein echt merkwürdiger Kerl, und wenn Sie nicht dafür sorgen, dass er wieder geht, wird sich gleich jemand auf seine Weise darum kümmern, wenn Sie verstehen, was ich meine?“

Verdammt, dachte Chaz und sagte zu seinem Gast: „Entschuldigen Sie mich bitte.“

Wieder nickte ihm die Doña hoheitlich zu, als würde er ihre Erlaubnis benötigen, seine Farm zu führen. Gleich darauf wurde ihm allerdings bewusst, dass es sich im Augenblick ganz genauso verhielt.

Als Chaz die Eingangshalle betrat, bot sich ihm ein Anblick, den er eigentlich neun lange Jahre hatte vergessen wollen. Da stand ein Mann, der so unbehaglich dreinsah wie nur irgend möglich. Er trug eine weiße, mit goldenen Tressen besetzte Fantasieuniform, und sein wie eine Bluse gearbeitetes Hemd war an Manschetten und Ausschnitt mit Spitze besetzt. Mit weiß behandschuhten Fingern hielt er ein goldenes Tablett vor sich, auf dem ein blütenweißer Umschlag lag. So, wie der Mann das dünne Blech umklammerte, konnte man meinen, er müsste es jeden Augenblick als Schutzschild benutzen. Kluges Kerlchen! dachte Chaz. Fantasiekostüme passten einfach nicht auf eine Ranch – dessen waren sich alle drei Anwesenden nur allzu bewusst.

„Ich suche nach einem Mr. Cassius McIntyre“, sagte der Mann.

„Er steht vor Ihnen. Aber bitte nennen Sie mich Chaz.“

Der Bedienstete atmete erleichtert auf. „Bitte gestatten Sie mir, Ihnen eine ganz besondere Einladung zum Aschenputtelball zu überreichen.“

Chaz musste sich schwer zusammenreißen, um nicht laut zu lachen. Aber schließlich gelang es ihm, ganz ruhig festzustellen: „Ich habe mich nicht um eine Einladung bemüht.“

„Ich weiß, Sir. Jemand hat sich für Sie darum gekümmert.“

Chaz verging das Lachen, und fragend zog er eine Augenbraue hoch. „Was geschieht, wenn ich den Umschlag nicht annehme?“, wollte er daraufhin von dem kostümierten Mann wissen.

„Ich habe Anweisung, die Einladung zu übergeben. Was Sie damit tun, bleibt Ihnen überlassen. Aber unter keinen Umständen darf ich den Umschlag wieder zu den Beaumonts zurückbringen.“

„Die Einladung ist von den Beaumonts?“, fragte Chaz mit ungewollt schneidender Stimme. „Her mit dem Umschlag!“

Nachdem er ihn geöffnet und das beiliegende Schreiben stirnrunzelnd überflogen hatte, fragte Penny misstrauisch: „Was steht da drin?“

„Es ist nur eine Einladung.“

„Wozu?“

„Zu allem Möglichen“, sagte Chaz und dachte: Zu einer Reise in die Vergangenheit und um sich zu rächen. Aber vor allem war es eine Einladung, die es ihm erlaubte, Doña Isabellas Anforderungen gerecht zu werden.

„Häh?“

Chaz ignorierte seinen Vorarbeiter und widmete seine Aufmerksamkeit ganz dem Einladungsschreiben, wobei ihm bewusst wurde, dass nach all den Jahren ein völlig anderer Wind von den Wüsten Nevadas zu ihm in die Rocky Mountains herüberwehte. „Es handelt sich um die Einladung zu einem Ball. Einem Heiratsball nach dem Motto: Triff die Frau deiner Träume, und heirate sie – und all das an einem einzigen Abend.“

„Und da wollen Sie wirklich hin?“, fragte Penny ungläubig.

„Allerdings, mein Alter.“ Kalte Entschlossenheit zeichnete sich auf Chaz’ Zügen ab. „Und ich werde eine Frau mit nach Hause bringen.“

Die Finca der Beaumonts auf Costa Rica

Shayne sah zum sternklaren Himmel hinauf. Wunderschön stand da oben der Vollmond. Dann blickte sie auf die goldfarbene Eintrittskarte in ihrer Hand, die am Nachmittag per Eilpost gekommen war. Das Mondlicht spielte darauf und ließ Shayne erneut hoffen, dass ihre Träume von einst doch noch wahr werden und sie die Liebe ihres Lebens wieder finden könnte.

„Warum hat Rafe mir die Einladung geschickt?“, überlegte sie dann laut. Denn zweifellos steckte ihr älterer Bruder dahinter. War es eine Aufforderung, mit ihrem Leben fortzufahren? Das hatte sie doch bereits getan. Sie war zwar nicht glücklich verheiratet wie Rafe und Ella, aber sie hatte eine vielversprechende Karriere vor sich, war zufrieden – wenn nicht sogar richtig glücklich – und lebte in einer Umgebung, in der sie sich wohlfühlte.

Was wollte sie mehr?

Chaz McIntyre.

Sein Name war ihr noch genauso gegenwärtig wie in all den vergangenen neun Jahren vorher. Wo Chaz sich jetzt wohl aufhielt? Was tat er? Dachte er überhaupt noch manchmal an sie und daran, was sie beinah gehabt hätten? Oder hatte er sich längst einer anderen Frau zugewandt?

Lange Zeit stand Shayne einfach nur so da, vom Mondlicht beschienen, den Umschlag in Händen, bevor sie endlich wieder zum Himmel aufsah und sagte: „Ich tue es. Noch ein allerletztes Mal besuche ich den Aschenputtelball.“

Der Ball wäre der Schlüssel zu ihrer Zukunft. Endlich ging es wieder voran! Es wurde auch Zeit, dass sie ihr Leben wieder richtig in die Hand nahm. Immerhin war es ihr nach all den Jahren gelungen, ihre Vergangenheit ein für alle Mal hinter sich zu lassen. Und sie wollte auch nie, nie wieder zurücksehen.

1. KAPITEL

An meine geliebte Ex-Frau!

Ich weiß nicht, ob Dich dieses Schreiben überhaupt erreicht und ob Du jemals erfährst, dass ich Dich während der vergangenen beiden Monate wie verrückt gesucht habe – seit jener Nacht, in der wir uns auf dem Aschenputtelball ewige Treue schworen. Aber, glaube mir, Shayne, ich habe ganz Nevada nach Dir auf den Kopf gestellt.

Die Beaumonts weigern sich, mir irgendetwas über Deinen Verbleib zu sagen, obwohl ich ihnen meine Heiratsurkunde gezeigt habe. Ich habe mit Ella gesprochen, aber Dein Bruder hat ihr verboten, mir Deinen Aufenthaltsort mitzuteilen. Man könnte fast meinen, Du wärst vom Erdboden verschluckt. Ich habe schon daran gedacht, einen Privatdetektiv zu engagieren, der Deinen Aufenthaltsort ausfindig macht. Aber ich weiß ja nicht einmal, wo er mit der Suche beginnen soll. Du hast mir nur erzählt, dass Du auf irgendeiner Kaffeeplantage lebst. Aber wo? Verdammt, warum habe ich Dich nur nicht genauer danach gefragt? Damals dachte ich wohl, wir hätten alle Zeit der Welt, um einander besser kennenzulernen.

Doch eins sollst Du unbedingt wissen, Frau meines Herzens, auch wenn Du verschwunden zu sein scheinst: Meine Gefühle für Dich werden immer die gleichen bleiben. Du bist mein Leben und meine Liebe, mein einzig leuchtender Stern am sonst düsteren Nachthimmel. Kämpfe um das, was wir hatten, und komm zu mir zurück!

Bis dahin behalte ich Dich im Herzen, meine einzig wahre Liebe.

Der Aschenputtelball der Beaumonts – Forever, Nevada

Chaz McIntyre lehnte mit der Schulter an der Wand, während er in der Schlange der Neuankömmlinge stand und darauf wartete, seinen Gastgeber begrüßen zu können.

Was tue ich überhaupt hier? fragte er sich insgeheim. Er hatte Jahre gebraucht, um sich von den Schlägen unter die Gürtellinie zu erholen, die Rafe Beaumont so gern austeilte. Und doch hatte es eine alte Frau geschafft, ihn durch ihre unvernünftigen Anforderungen zu dem Ort der Welt zurückzubringen, an dem er am wenigsten sein wollte.

Die Schlange rückte ein wenig vor, und Chaz erhaschte einen Blick auf den Mann, der mit Freuden sein Leben zerstört hatte. Erstaunlich, die neun Jahre waren spurlos an dem Mistkerl vorübergegangen, und Chaz fragte sich nun unwillkürlich: Wie verhält es sich dabei wohl mit Shayne? Ob sie sich verändert hatte? Sicherlich. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie siebzehn gewesen und hatte so getan, als wäre sie schon erwachsen. Nun müsste sie etwa sechsundzwanzig sein. Ob sie heute Abend auch hier war? Hatte Rafe ihm deshalb die Einladung geschickt?

Es dauerte noch einige Minuten, bis Chaz bei seinem Gastgeber ankam.

„McIntyre“, begrüßte Rafe ihn mit einem steifen Nicken.

„Beaumont!“ Chaz bemerkte Rafes Unsicherheit, und sein aufgesetztes Lächeln wurde noch breiter. „Ich dachte mir schon, dass ich Sie hier treffen würde.“

„Ich war mir nicht sicher, ob Sie überhaupt kommen würden.“

„Macht es Ihnen etwas aus, mir zu sagen, warum Sie mich eingeladen haben?“

Rafe zögerte einen Augenblick und bedeutete Chaz dann, ihm in eine Ecke zu folgen, wo es ein wenig ruhiger zuging. Als sie sich außer Hörweite der anderen Gäste befanden, sagte er: „Ich dachte, das wäre ich Ihnen schuldig.“

„Warum sollten Sie mir etwas schuldig sein?“

„Sie wollen also, dass ich es zugebe? In Ordnung. Ich habe mich damals unberechtigterweise in Ihre Beziehung zu meiner Schwester eingemischt.“

Obwohl Chaz dem Mann nach all den Jahren deshalb am liebsten eine verpasst hätte, gelang es ihm, ganz ruhig zu antworten: „Ich hätte wahrscheinlich das Gleiche getan, wenn sich meine siebzehnjährige Schwester mit einem älteren Kerl eingelassen hätte.“

„Sie hat Sie geheiratet!“

„Nun, ja … Aber die Ehe wurde annulliert.“ Der Zorn, den Chaz mühsam zu kontrollieren versucht hatte, drohte, sich Bahn zu brechen. Erschrocken stellte Chaz fest, dass er nach all den Jahren immer noch so heftig auf dieses Thema reagierte. „Dafür haben Sie doch gesorgt, stimmt’s nicht, Beaumont?“

„Sie war ein unschuldiges Kind! Sie hat sich einfach so in den Ballsaal geschlichen und an den ersten Kerl gehängt, der ihr ein Lächeln geschenkt hat. Haben Sie denn wirklich geglaubt, ich würde meine siebzehnjährige Schwester einem wildfremden Mann überlassen?“

„Sie war immerhin meine Frau. Dachten Sie wirklich, ich würde Ihr etwas antun?“

„Woher sollte ich das denn wissen? Sie waren ein hergelaufener Cowboy, der an keinem Ort länger als eine Saison verbracht hat. Das wäre doch kein Leben für ein junges Mädchen gewesen!“

„Sie haben mir ja nicht die Möglichkeit gegeben, ein Zuhause für Shayne zu schaffen. Sie sind in unser Hotelzimmer eingedrungen, haben mich, ohne meine Erklärung abzuwarten, k. o. geschlagen und mir meine Frau weggenommen.“

„Meine Schwester!“

Chaz bekam sich gerade noch rechtzeitig wieder unter Kontrolle und warf Rafe nur einen wütenden Blick zu. Das Ganze war doch total lächerlich! Er wollte sich kein Wortgefecht mit seinem Exschwager wegen einer Sache liefern, die nun schon fast zehn Jahre zurücklag. Abgesehen davon hatte er hier schließlich noch etwas anderes zu tun. „Vergessen Sie’s, Beaumont. Es ist nicht mehr wichtig.“

Es dauerte einen Moment, bevor Rafe zustimmend nickte. „Wie auch immer, freut mich, dass Sie gekommen sind, McIntyre.“

Unruhig geworden, dachte Chaz: Ich habe keine Zeit für Höflichkeiten, besonders nicht, wenn sie Jahre zu spät kommen. „Wenn Sie mich nun entschuldigen würden …“

Chaz hatte sich höchstens einen Meter von seinem Gastgeber entfernt, als Rafe ihn am Arm packte. „Wollen Sie sich denn nicht einmal nach ihr erkundigen?“

„Nein“, erwiderte Chaz, ohne sich umzudrehen.

„Warum, zum Teufel, sind Sie dann hergekommen?“

Jetzt wandte sich Chaz doch um. Die Beaumonts hatten anscheinend schon geheime Pläne mit ihm. Aber das war ja nichts Neues!

Trotzdem schleuderte er seinem ehemaligen Widersacher nun entgegen: „Ich bin aus dem gleichen Grund hier wie all die anderen Männer auch: um mir eine Frau zu suchen.“ Mit hochgezogener Augenbraue fuhr er dann fort: „Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.“

Rafe presste die Lippen zusammen, doch dann sagte er nur: „Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten: Wir geben heute Abend einen Maskenball.“

„Das habe ich gelesen. Aber ich glaube, ich habe meine Maskerade vergessen.“

Mit ähnlich hoheitsvoller Kopfbewegung wie die Doña wies Rafe nun auf einen Tisch hinter sich. „Bitte bedienen Sie sich, McIntyre!“

Chaz schnappte sich eine Maske und machte sich auf den Weg zum Ballsaal. Während er sich insgeheim vorwarf, überhaupt hergekommen zu sein, verspürte er in seiner Brust ein merkwürdig warmes Gefühl, obwohl er hätte schwören können, dass sein Herz längst zu Eis erstarrt war.

Er hätte Rafe doch nach Shayne fragen sollen.

Shayne stand auf der Empore und sah auf die Menge hinunter. Immer noch erschienen Neuankömmlinge, obwohl der Besucherstrom nicht mehr ganz so lang war wie vor einer Stunde. Vielleicht sollte sie Ella beim Entgegennehmen der Einladungskarten noch einmal ablösen. Andererseits hatte ihr Bruder Rafe darauf bestanden, dass sie sich amüsierte. Aber Shayne fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, ihrem Bruder und ihrer Schwägerin die ganze Arbeit zu überlassen.

Als Rafe einen sehr großen, breitschultrigen Mann begrüßte, runzelte Shayne unwillkürlich die Stirn. Sie hätte schwören können, dass ihr Bruder verärgert aussah. Er bewegte sich einen Schritt zur Seite, und da wusste sie, warum: Chaz McIntyre stand vor ihm.

Erschrocken zuckte sie zusammen, und die kleinen Glöckchen der Maske, die sie in der Hand hielt, klirrten leise. Wie war es nur möglich, dass Chaz sich unter den Gästen befand? Nach all den Jahren war ihr Ehemann zurückgekehrt. Aber warum? Warum gerade jetzt, da sie beschlossen hatte, ihn ein für alle Mal zu vergessen? Was wollte er? Oder sollte sie lieber fragen, wen? Nun ging er zum Tisch mit den Masken hinüber und wählte eine aus, woraufhin er sich ins Getümmel des Ballsaals stürzte.

Zum ersten Mal in ihrem Leben reagierte Shayne, ohne weiter darüber nachzudenken. Sie setzte sich die Maske auf, die fast ihr gesamtes Gesicht bedeckte und es beinah unmöglich machte, dass man sie erkannte. Dann ging sie die Treppe hinunter und suchte in der Menge nach einem gut gebauten Mann in einem nach Westernmanier geschnittenen Anzug und mit braunem, von blonden Strähnen durchsetztem Haar.

Shayne kam es wie eine Ewigkeit vor, bis sie die Tanzfläche erreichte. Zwei Personen benötigten ihre Hilfe, und sie wollte die Leute nicht einfach so stehen lassen. Aber danach entdeckte sie beinah umgehend Chaz, der mittlerweile von mehreren Frauen umringt wurde.

Was, um alles in der Welt, hatte er bloß vor? Er konnte doch unmöglich hier sein, um eine Ehefrau zu finden. Shaynes Herzschlag beschleunigte sich. Oder etwa doch?

In diesem Moment erschien ein Mann neben ihr. „Entschuldigen Sie bitte, aber würden Sie mit mir tanzen? Ich heiße Angus.“

Zuerst wollte Shayne ihm die Bitte abschlagen, aber dann dachte sie: Was kann es schon schaden? Sie tat einem Gast einen Gefallen und hatte dadurch die Möglichkeit, Chaz weiter zu beobachten, ohne dass es auffiel. „Gern“, sagte sie schließlich.

Der Mann drehte sie sacht im Kreis, aber Shayne hatte nur Augen für Chaz. Anscheinend hatte er sich schließlich für die Brünette im superengen Kleopatra-Kostüm entschieden. Es grenzte an ein Wunder, dass die Frau überhaupt einen Schritt machen konnte.

„Was erwarten Sie denn von Ihrem Traummann?“, fragte in diesem Moment ihr Tanzpartner, und Shayne zwang sich, ihn anzusehen. Wie sie sich ihren Traummann vorstellte, wollte er wissen. Unwillkürlich schweifte ihr Blick zurück zu Chaz.

„Intelligent, offen, mit ausgeprägtem Beschützerinstinkt, ehrlich und zuverlässig.“ All diese Eigenschaften trafen auf Chaz zu, zumindest war das damals der Fall gewesen, als sie ihn kennengelernt hatte.

„Und vom Äußeren her?“

„Er sollte groß sein – größer als ich“, womit ihr Tanzpartner schon einmal ausschied, „breite Schultern und braunes Haar mit hellen Strähnen haben. Ach ja, und die tiefblauen Augen nicht zu vergessen sowie einen leicht abgebrochenen linken Eckzahn.“

Angus lächelte übertrieben und fuhr sich mit der Zunge über die Vorderzähne. „Mist, keine Ecke fehlt!“, erklärte er dann.

Shayne sagte freundlich: „Ich fürchte, wir passen wirklich nicht zusammen!“

Er zuckte die Schultern. „Da kann man nichts machen.“

„Wohl kaum.“ Shayne seufzte scheinbar bedauernd.

„Wie ich aber festgestellt habe, besitzt der Mann hinter uns fast alle von Ihnen beschriebenen Merkmale.“

Shayne errötete. „Tatsächlich?“

Angus nickte. „Jetzt müssen wir nur noch irgendwie herausfinden, ob ihm ein Stück vom Eckzahn fehlt.“

Bevor Shayne etwas dagegen einwenden konnte, hatte der Mann sie so herumgedreht, dass sie Chaz und seiner Tanzpartnerin unwillkürlich den Weg verstellten. „Oh, ich habe Sie überhaupt nicht gesehen“, sagte er dann entschuldigend zu Chaz und der Frau in seinen Armen.

Als Chaz sich umdrehte, hätte Shayne schwören können, dass er sie wieder erkannte und wie sie das süße Verlangen spürte. Aber nachdem er sie kurz angesehen hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit Angus zu. „Nichts passiert!“

„He, haben Sie da etwa einen abgebrochenen Eckzahn?“

Chaz hob das Kinn, und das Funkeln in seinen Augen verhieß nichts Gutes. „Und wenn es so wäre?“

„Erstaunlicher Zufall“, sagte der Mann lächelnd zu Shayne, ließ sie stehen und klatschte Kleopatra ab.

Bevor Shayne und Chaz noch begriffen, wie ihnen geschah, drehten sich die beiden bereits wieder im Getümmel.

Verzweifelt überlegte Shayne, was sie jetzt sagen sollte. Chaz’ Blick war genauso durchdringend, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Ihn so unverwandt auf sich gerichtet zu wissen trug nicht gerade zum Beginn einer Unterhaltung bei.

„Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir das Ganze zu erklären?“, fragte er schließlich.

„Angus wollte mir nur behilflich sein. Er … er bat mich, den Mann meiner Träume zu beschreiben.“ Sie zuckte die Schultern und gestand Chaz dann ganz offen ein: „Und ich habe Sie beschrieben.“

„Warum?“

„Sie erinnern mich an jemanden von früher.“

„Und nur deshalb wollten Sie mich kennenlernen?“ Chaz kniff die Augen zusammen, und Shayne wusste, dass sie nun rasch eine gute Erklärung parat haben musste.

„Ich dachte, dass wir vielleicht gut zusammenpassen.“ Das hatten sie früher zumindest einmal.

„Was an mir hat Sie denn dazu veranlasst?“

Alles. Ihre gemeinsame Vergangenheit, die Art, wie er sie geliebt hatte, die Tatsache, dass er hier jetzt nach all den Jahren wieder vor ihr stand. „Es ist nur so ein Gefühl.“

„Ich verlasse mich nicht mehr auf meine Gefühle.“

Die Kälte, die von ihm ausging, ließ Shayne erstarren. Hatte er sich tatsächlich so verändert? „Woran glauben Sie dann?“

„An kaum etwas. Ich will Dinge sehen und anfassen können, und selbst dann habe ich noch meine Zweifel.“

Shayne traten Tränen in die Augen. Hatten Rafe und sie ihm denn so wehgetan? Waren sie für die Kälte verantwortlich, die jedem seiner Worte zu entnehmen war?

„Warum sind Sie dann hergekommen?“, fragte sie schließlich hilflos.

„Um mir eine Frau zu suchen.“

Für den Bruchteil einer Sekunde keimte wieder Hoffnung in Shayne auf. „Was für eine Frau?“

„Ist mir egal, Hauptsache, ich kann mich mit ihr einigen.“

Plötzlich hatte Shayne den Eindruck, nicht mehr atmen zu können. Als es ihr dann doch wieder gelang, tat es höllisch weh, und Tränen brannten ihr in den Augen. „Wie lauten Ihre Bedingungen?“, fragte sie leise.

„Lady, wir stehen hier mitten auf der Tanzfläche, und Sie wollen mit mir über den Inhalt eines Ehevertrags diskutieren?“

„Wir könnten … Wir könnten auch nach oben gehen und einen Kaffee trinken.“ Nach diesen ersten bitterkalten Worten, die sie mit Chaz gewechselt hatte, brauchte sie unbedingt etwas Warmes. „Wäre das okay für Sie?“

„Klar.“

Als ihr die Komik der Situation bewusst wurde, hätte Shayne beinah hysterisch aufgelacht. Ihr Ex-Mann – war er das überhaupt, nachdem Rafe ihre Ehe hatte annullieren lassen? – wollte sich mit ihr an einen Tisch setzen, um ihr zu erklären, welche Anforderungen er an seine neue Frau stellte. Konnte das Leben noch merkwürdiger sein?

Sie verließen die Tanzfläche, und die kleinen Glöckchen an Shaynes Maske schienen genauso aufgeregt zu klingen, wie sie sich fühlte. Aber aus irgendeinem Grund beruhigte sie das Geräusch. Wahrscheinlich weil es davon kündete, dass jetzt endlich wieder Bewegung in ihr Leben kam und auch ihre Gefühlswelt aus der Erstarrung der vergangenen Jahre erwachte.

Als sie den Ballsaal verließen, warf Shayne einen Blick auf die Besucherschlange am Eingang. Rafe und Ella waren nicht mehr da. Ein Bediensteter nahm die Karten entgegen. Was würden ihr Bruder und ihre Schwägerin wohltun, wenn sie entdeckten, dass sie mit Chaz zusammen war? Oder hatte das in ihrer Absicht gelegen? Hatte ihr Bruder sie womöglich beide eingeladen, damit sie sich hier wieder sahen?

Als sie im Esszimmer ankamen, führte Chaz Shayne erst einmal am Büfett vorbei. Er hatte sich für einen kleinen Tisch im hinteren Teil des Raumes entschieden und wollte nicht, dass sich jemand anders dort hinsetzte, während sie sich etwas zu trinken holten. Nachdem Shayne Platz genommen hatte, sagte Chaz: „Ich besorge uns Kaffee. Wie hätten Sie Ihren denn gern?“

„Schwarz und ohne Zucker, bitte.“

„Sie mögen’s wohl am liebsten pur, hm?“

Shayne nickte.

„Ich trinke meinen Kaffee gern so, dass der Löffel drin stecken bleibt. Aber ich bin ein netter Kerl und verdünne Ihren ein wenig mit Wasser.“

Autor

Day Leclaire
Day Leclaire lebt auf der Insel Hatteras Island vor der Küste North Carolinas. Zwar toben alljährlich heftige Stürme über die Insel, sodass für Stunden die Stromzufuhr unterbrochen ist, aber das ansonsten sehr milde Klima, der Fischreichtum und der wundervolle Seeblick entschädigen sie dafür mehr als genug.
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