Julia Ärzte zum Verlieben Band 187

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NEUANFANG AUF DER INSEL DER TRÄUME von LOUISA GEORGE

Carly will endlich ihre Heimatinsel verlassen, irgendwo neu anfangen! Ihre Koffer sind fast gepackt, da lernt sie ihre neuen Nachbarn kennen, Traumdoc Owen Cooper und seinen kleinen Sohn. Verwundert erkennt sie: Es gibt Gefühle, die einen Abschied fast unmöglich machen …

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  • Erscheinungstag 10.02.2024
  • Bandnummer 187
  • ISBN / Artikelnummer 8031240187
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Louisa George, JC Harroway, Fiona McArthur

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 187

1. KAPITEL

Klopf. Klopf. Klopf.

Jemand klopfte einen Morsecode in seinem Schlafzimmer.

Oder war es ein Traum?

Klopf. Klopf. Klopf-klopf-klopf.

Owen Cooper öffnete die Augen. Schwaches orangefarbenes Licht von der aufgehenden Sonne fiel in den Raum. Er musste unbedingt Gardinen auf die Einkaufsliste setzen.

Klopf. Klopf.

Jemand oder etwas war hier bei ihm. „Mason?“, flüsterte Owen. „Mason, es ist noch Nacht. Geh wieder ins Bett.“

Klopf. Klopf. Klopf.

Das war nicht sein Sohn Mason – er träumte. Das überraschte Owen, denn er hatte kaum geschlafen.

Die Fähre hatte gestern Abend spät im Hafen von Rāwhiti angelegt. Am Ende des verlassenen Piers hatte er einen zerbeulten roten Geländewagen mit einem Umschlag an der Windschutzscheibe entdeckt. Die Krankenschwester hatte sich bei ihm entschuldigt und geschrieben, sie wären zu beschäftigt und hätten ihn deshalb nicht abholen können. Der Umschlag hatte außerdem einen Schlüsselbund und eine Wegbeschreibung zu seinem neuen Haus enthalten.

Oder vielmehr zu seinem neuen Domizil, denn das Haus war so heruntergekommen, dass man es eigentlich nur abreißen konnte. Die Ausschreibung für die Stelle des Inselarztes hatte in der Hinsicht jedenfalls ganz falsche Erwartungen bei ihm geweckt. Und darin hatte auch nicht gestanden, dass er in seinem Schlafzimmer Morsecodes hören würde.

Als Owen sich auf die Seite drehte, blickte er in zwei glänzende rote Augen und sah einen langen grauen Schnabel.

Ruckartig setzte er sich auf und wedelte mit der Hand. „He! Raus hier!“

Ein Vogel mit braunem Gefieder von der Größe eines Huhns verschwand kreischend im Flur.

Ein Weka. Eine von mehreren in Neuseeland heimischen flugunfähigen, aber lebhaften Vogelarten. Wie, zum Teufel, war dieser hereingekommen? Owen sank wieder auf das alte Eisenbett und ging im Geiste seine To-do-Liste durch.

Türen sichern. Haus reinigen. Neues Bett kaufen. Schlafzimmer vogelsicher machen.

Seine Möglichkeiten wieder überdenken, und das endlos.

War es ein Fehler gewesen, auf diese Insel zu kommen, die zweiundzwanzig Kilometer von der Küste entfernt vor Auckland lag? Seinen Sohn aus der vertrauten Umgebung herauszureißen, damit er der Vater sein konnte, der er die ganze Zeit hätte sein sollen? Alles Vertraute hatte sie mit Masons Mutter schon verlassen.

Es war höchste Zeit, aktiv zu werden.

„Daddy?“

Betont fröhlich erwiderte Owen: „Mason! Guten Morgen.“

„Ich will zu Mummy.“

Owens Magen krampfte sich zusammen. „Ich weiß, Kumpel. Wollen wir später am Tablet mit ihr reden?“ Falls sie ihren Sohn zwischen ihre ganzen Termine quetschen konnte.

Mit Tränen in den Augen nickte der Vierjährige. Dass er so tapfer zu sein versuchte, ärgerte Owen maßlos. „Prima. Wie hast du geschlafen?“

Sein Sohn krabbelte zu ihm ins Bett und schmiegte die Wange an seine. „Mein Bett ist unbequem.“

Nun krampfte Owens Herz sich zusammen. „Ich weiß, Kleiner. Meins auch. Aber es dauert nicht mehr lange, bis dein Rennwagenbett mit dem großen Boot kommt. Hast du auch den Weka gesehen?“

Mason nickte mit großen Augen. „Er ist mein Freund.“

Mit der Scheidung seiner Eltern und einer Mutter, die nicht mehr für ihn sorgen wollte und sie beide verlassen hatte, um in den USA Karriere als Schauspielerin zu machen, war für ihn eine Welt zusammengebrochen. Und nun freundete er sich hier mit den Tieren an. War das ein Zeichen für ein seelisches Trauma oder für innere Stärke? „Für einen Freund ist er ein bisschen zu lebhaft. Aber wenn du Montag im Kindergarten anfängst, kannst du mit den anderen Kindern spielen.“

Mason nickte. „Können wir jetzt angeln gehen?“

„Später. Wir müssen vorher noch so viel erledigen.“

Sein Schmollmund erinnerte an das dramatische Talent seiner Mutter. „Erst angeln? Bitte.“

„Nein, Mason. Wir haben zu viel zu tun.“

Nun wirkte der Junge richtig beleidigt. „Du hast es aber versprochen.“

Das stimmte. Als sie am Abend ihre Koffer vom Wagen zum Haus gezogen hatten, waren sie an einem kleinen Aluminiumboot vorbeigekommen, das an dem zum Grundstück gehörigen Steg vertäut war. Er hatte ihm versprochen, dass Angeln ganz oben auf ihrer Liste der gemeinsamen Unternehmungen stehen würde.

Was war schon dabei, wenn sie gleich mit diesen Abenteuern begannen? Da war niemand, der es ihnen verbot oder vor dem sie Rechenschaft ablegen mussten. Es gab nur sie beide, und er fing erst in drei Tagen an zu arbeiten.

Leider war es fünfzehn Jahre her, seit er das letzte Mal mit einem Boot hinausgefahren war. Doch im Schuppen hatte er einige verstaubte Angeln gefunden und auf der Veranda nagelneue Schwimmwesten in verschiedenen Größen.

Nachdem Owen Mason und sich Schwimmwesten angelegt hatte, nahm er das Angelzeug und stieg mit ihm in das etwa viereinhalb Meter lange Aluminiumboot. Erfreut stellte er fest, dass sogar Benzin im Außenbordmotor war. „He, wir sind im Geschäft, Mason! Derjenige, der vor uns hier gewohnt hat, hat anscheinend mehr Wert aufs Bootfahren gelegt als auf Sauberkeit im Haus.“

Er warf den Motor an und steuerte das Boot aus der Bucht heraus nach rechts. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick auf die Küste und das hügelige Buschland dahinter. Owen wies Mason auf die Tuis und Australischen Fächerschwänze hin. „Auf Te Reo Maori heißen die Fächerschwänze piwakawaka.“

Er hoffte, es war die richtige Entscheidung gewesen hierherzukommen. Denn es war ein großer Kontrast zu ihrem modernen Haus am Stadtrand. Die Insel war nicht dicht besiedelt, doch es gab einige alte Villen, baufällige Feriendomizile und auch moderne Architektenhäuser mit eigenem Zugang zu den herrlichen Stränden und Buchten.

Schließlich stellte Owen den Motor ab, befestigte die Köder an den Haken und warf die Angeln aus. Dann entdeckte er jedoch etwas im Wasser. „Da, die Delfine, Mason!“ Er hob Mason auf den Schoß und deutete auf die Tiere, die aus dem Wasser sprangen. „Wow, sie sind richtige Akrobaten.“

Mason lächelte erst verhalten, dann strahlte er, und schließlich lachte er, wie er es schon lange nicht mehr getan hatte. Owen atmete tief durch. Okay, trotz des Vogelweckers am frühen Morgen, der Tatsache, dass sein Haus baufällig war und sein Sohn immer noch nicht glaubte, ohne seine Mama überleben zu können, war es doch ein guter Entschluss gewesen hierherzuziehen.

Als die Delfine wegschwammen, holte Owen schnell die Angelschnüre ein und warf den Motor wieder an, um ihnen zu folgen. Dabei achtete er darauf, dass Mason immer dicht bei ihm blieb.

Schließlich entdeckte er in der Bucht gegenüber am Strand eine Frau, die hektisch winkte. Er winkte zurück, doch dann merkte er, dass sie ihn zu sich winkte. Also drosselte er das Tempo und lenkte das Boot an den kleinen Steg des Anwesens.

Aus der Nähe sah er, dass sie mittelgroß war. Jung … zumindest jünger als er mit seinen zweiunddreißig. Sie trug ein Neoprenoberteil und kurze schwarze Shorts. Und sie war barfuß. Gebräunt. Tolle lange Beine. Rotblondes Haar, das sie zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengefasst hatte. Hinter ihr entdeckte er eine kleine Ansammlung von Holzhütten, und zu ihrer Rechten befand sich ein großer Spielplatz mit Schaukeln und Rutschen. Auf der linken Seite stand ein großer Bootsschuppen mit zahlreichen orangefarbenen Kajaks und kleinen Segelbooten, und etwa dreißig Meter hinter diesem lag eine cremefarbene Hütte.

Dann entdeckte er ein kleines Schild an dem kleinen Steg.

Camp Rāwhiti

Fachkräfte für Erlebnispädagogik

Zu verkaufen

Stimmt, man hatte ihm im Bewerbungsgespräch gesagt, dass zu seinem Aufgabenbereich auch die Versorgung von Teilnehmern eines Schullandheims gehörte. Das war es vielleicht. Allerdings stand es zum Verkauf. Owen stellte den Motor ab und vertäute das Boot an einem Haken.

Dann setzte er sein charmantestes Lächeln für die Frau auf, die mit finsterer Miene vor ihm stand.

Carly Edwards hatte die Nase voll von leichtsinnigen Wochenendbesuchern, die sich nicht um Sicherheitsvorkehrungen scherten und sich wie die Axt im Walde aufführten. Doch es überraschte sie, dass der Mann im Boot, den sie auf Mitte dreißig schätzte, ein kleines Kind dabeihatte. Er war kein gutes Vorbild.

Als er ausstieg, stürzte sie auf ihn zu. „Was, zum Teufel, machen Sie da eigentlich? Sehen Sie nicht, dass hier Kinder sind?“

Stirnrunzelnd ließ er den Blick zu den Teilnehmern ihres Stand-up-Paddelkurses schweifen, die im flachen Wasser übten. „Ich bin doch nicht mal in ihre Nähe gekommen.“

„Noch nicht, aber ich wusste ja nicht, ob Sie Ihr Boot unter Kontrolle haben. Außerdem sind Sie viel zu schnell gefahren.“

„Bestimmt nicht.“ Seine dunklen Augen funkelten wütend. „Ich hatte alles im Griff.“

„Die Wellen, die Sie gemacht haben, reichen schon. Hier auf der Insel ist das Tempo anders. Schalten Sie mal einen Gang runter.“

Der Mann blickte seinen Sohn an und dann wieder sie. Offenbar wollte er in dessen Gegenwart nicht streiten. Seine Augen waren dunkelbraun, genau wie sein Haar, das modern geschnitten war. Er war offenbar frisch rasiert und hatte glatte, helle Haut, als würde er viel Zeit drinnen verbringen. Und er war wie ein typischer Wochenendausflügler gekleidet, mit einem hellblauen Polohemd und sandfarbenen Shorts. Allerdings musste sie zugeben, dass er gut gebaut und athletisch war. Eins überraschte sie allerdings – er trug keine Bootsschuhe, sondern Flipflops.

„Einigen wir uns darauf, dass wir verschiedener Meinung sind.“ Verärgert presste er die Lippen zusammen. „Ich werde in Zukunft auf die Geschwindigkeit achten.“

Falls das eine Entschuldigung sein sollte, musste sie sich wohl damit begnügen. „Danke.“

„Mason hatte noch nie Delfine gesehen, und wir sind ihnen gefolgt.“

Das war wirklich eine gute Entschuldigung. Die Delfine hier waren so bezaubernd und zeigten gern ihre Künste. Dennoch wandte Carly sich kopfschüttelnd ab und ging zur Wasserlinie, um ihre Schützlinge durchzuzählen.

„Okay, Leute, kommt, die Zeit ist rum“, rief sie. „Bringt die Boards aus dem Wasser, und legt sie bitte auf die Gestelle.“

Hinter ihr fragte der kleine Junge: „Darf ich schaukeln, Daddy?“

„Die furchteinflößende Lady verbietet es uns bestimmt. Wir sollten zurückkehren.“

Furchteinflößende Lady. War sie das jetzt? Sie hoffte nicht. Aber sein humorvoller Unterton war ansteckend, und sie musste ein Lächeln unterdrücken.

„Daddy, biiitte …“, begann der Kleine zaghaft, als würde er ein Nein erwarten.

Und genau das war der Fall. „Tut mir leid, mein Sohn“, lehnte der Vater ab. „Ich verspreche dir, dass wir den Garten herrichten und ich dir die Geräte aufstelle, sobald sie geliefert werden.“

Anscheinend waren die beiden also gerade hierhergezogen und wohnten in einem der Häuser, die zum Verkauf gestanden hatten.

Doch das ging sie nichts an. Sie musste sich um die Kinder kümmern. Um dieses Camp. Allerdings nicht mehr lange. Jemand würde es kaufen, und dann würde sie Rāwhiti Island verlassen und versuchen, den Kummer und die bittersüßen Erinnerungen abzuschütteln.

„Heute?“, fragte der Junge hoffnungsvoll.

„Nein, Kumpel. Das dauert noch ein bisschen.“

„Okay, Dad.“

Furchteinflößende Lady. Carly beobachtete, wie die beiden wieder ins Boot stiegen. Der arme Kleine. „Hallo, Kleiner. Wie heißt du?“

Als er sie ansah, stellte sie fest, dass seine Augen genauso dunkel waren wie die seines Vaters. „Mason.“

„Also, Mason. Du kannst hier so lange spielen, wie du willst, wenn dein Daddy mir verspricht, einen Tageskurs für Skipper zu belegen.“

Nun wandte er sich wieder an seinen Vater. „Daddy?“

Dieser blickte sie schockiert und verärgert an, und sie wappnete sich gegen die Frage, wie sie es wagen konnte, so etwas vorzuschlagen. Doch er ließ die Schultern sinken und nickte ihr dann unvermittelt zu.

„Okay, Mason. Fünf Minuten. Dann müssen wir zurück und die ganzen Aufgaben erledigen, die wir aufgeschoben haben.“

Zumindest das konnte sie nachempfinden. „Prima. Den Kurs kann man entweder bei der Küstenwache in Auckland belegen oder hier im Yachtclub, falls Sie länger bleiben. Oder online.“ So fand man heraus, ob jemand hier lebte, ohne ihn direkt zu fragen.

Allerdings nickte der Mann nur. „Ich kümmere mich darum.“

„Sagen Sie ihnen, dass Carly Sie schickt. Dann bekommen Sie einen Nachlass.“

„Danke … Carly.“ Er senkte kurz den Blick, bevor er sie wieder ansah. „Ihrem Akzent nach zu urteilen, sind Sie Engländerin, richtig?“

„Ja.“

Nun nickte er, als würde er verstehen, dass sie keinen Small Talk mit ihm machen wollte. „Also, danke noch mal. Er hat eine schwere Zeit hinter sich. Deshalb wird er es genießen, einfach nur spielen zu können.“

Seine dunklen Augen waren seelenvoll. Für einige Sekunden war sie wie gebannt von den goldenen Sprenkeln darin, und gleichzeitig krampfte ihr Herz sich wegen des Jungen zusammen.

Aber sie konnte nicht wissen wollen, warum der Junge eine schwere Zeit hinter sich hatte oder warum die beiden hier waren. Sie konnte nicht mehr über die beiden wissen wollen, so neugierig sie auch sein mochte. Oder so attraktiv dieser Mann auch sein mochte. Sie zog einen Schlussstrich, nachdem sie hier selbst eine sehr schwere Zeit durchgemacht hatte.

„Apropos Aufgaben …“ Carly nickte ebenfalls, bevor sie sich abwandte und ging.

Vor allem hatte sie keine Zeit, herumzustehen und einem Mann in die Augen zu sehen. Schon gar keinem Mann, der das Leben ihrer Kursteilnehmer gefährdet hatte. Er sollte nicht auch noch ihr Herz in Gefahr bringen.

2. KAPITEL

„Die Insel hat etwa fünfhundertsechzig Einwohner – wir haben durch die Siedlung bei South Cove einen enormen Zuwachs. Aber im Sommer sind es durch die Urlauber, Tagesausflügler und Bootsrennen etwa viermal so viele.“ Mia, die Fachschwester, stellte im Aufenthalts- und Besprechungsraum ein Tablett mit Tee auf den weißen Plastiktisch. „Und wegen des tollen Mikroklimas haben wir das ganze Jahr über Besucher. Waren Sie vorher schon mal auf der Insel?“

Owen schüttelte den Kopf. „Ich wollte kommen, aber die Termine wurden wegen der Lockdowns immer abgesagt. Sogar das Bewerbungsgespräch habe ich online geführt.“

„Zum Glück gehören die Lockdowns jetzt der Vergangenheit an.“ Sie klatschte in die Hände. „Sie werden es hier lieben. Alle sind so nett. Es ist eine schöne Gemeinschaft.“

Abgesehen von der furchteinflößenden Lady.

Er hatte fast die ganze Rückfahrt gebraucht, um über ihre schroffe Art hinwegzukommen. Allerdings hatte sie Mason schaukeln lassen – das Einzige, was für sie sprach. Abgesehen von ihren tollen Beinen und ihrem hübschen Gesicht. Hoffentlich würden ihre Wege sich nicht wieder kreuzen.

Erst jetzt wurde Owen bewusst, dass Mia ihn starr betrachtete und auf eine Antwort wartete. Schnell räusperte er sich und verdrängte die mürrische Frau aus seinen Gedanken. „Es ist definitiv anders als in der Stadt. Dort sind wir kaum zum Luftholen gekommen.“

Sie nickte. „Dann werden Sie das gemächlichere Tempo hier bald zu schätzen wissen.“

„Das tue ich jetzt schon.“ Zum Glück musste er heute noch keine Patienten behandeln, sodass er sich mit dem Computersystem und der täglichen Routine vertraut machen und seine Mitarbeiterinnen kennenlernen konnte. Die Zeit war wie im Flug vergangen, und nun war schon Mittag.

„Wir vergeben vormittags von Montag bis Freitag Termine.“ Anahera, die ältere Empfangsdame, stellte eine große Platte mit Himberlamingtons auf den Tisch und setzte sich dann ihm gegenüber. „Danach können Sie Büroarbeit machen oder Hausbesuche, falls nötig.“

„Hausbesuche? Die haben wir in der Stadt nicht gemacht.“

„Hier handhaben wir es anders, weil wir ein starkes Gemeinschaftsgefühl haben. Wir helfen uns gegenseitig.“ Anahera hielt ihm den Teller entgegen. „Bitte nehmen Sie sich. Sie tun meiner Figur einen Gefallen. Und für Notfälle haben Sie jeden zweiten Tag Bereitschaft. An den anderen Tagen hat Mia Bereitschaft. Sie werden sich schnell in alles einfinden.“

Und das war das ganze Team. Er, eine Fachschwester und eine Empfangsdame. Es gab kein Röntgengerät. Blutproben wurden jeden Tag mit der letzten Fähre weggeschickt. Aber wenigstens kamen die Ergebnisse per Mail, und es gab eine kleine Apotheke auf der Insel, in der sich auch ein Souvenirshop befand. Anscheinend fuhr jeder Geschäftsinhaber hier zweigleisig. Der Yachtclub diente auch als Postamt, und der winzige Supermarkt bot warme Gerichte zum Mitnehmen an.

Owen nahm sich einen Lamington und seufzte, nachdem er probiert hatte. „An so ein Mittagessen könnte ich mich gewöhnen.“

„Die gibt es nur zu besonderen Anlässen. Aber wir finden, dass jeder Tag auf Rāwhiti besonders ist, stimmt’s, Mia?“ Anahara zwinkerte der Krankenschwester zu.

„Dafür bin ich auch“, meinte er lachend. „Beim Vorstellungsgespräch hat man mir gesagt, man würde mir bei Bedarf auch einen Babysitter zur Verfügung stellen.“

Nun lächelte sie schalkhaft. „Das bin ich. Ich kann jederzeit kommen. Ich habe sechs Kinder und schon drei Enkelkinder. Deshalb konnte ich Sie Freitag auch nicht begrüßen. Wir mussten Hals über Kopf unsere Tochter zum Festland bringen, weil unsere jüngste Enkelin Aroha sechs Wochen zu früh gekommen ist.“

„Herzlichen Glückwunsch.“

„Und ich musste einen Asthmatiker ins Krankenhaus nach Auckland begleiten“, ergänzte Mia. „In letzter Zeit haben wir viele Hubschraubertransporte, während sich manchmal wochenlang gar nichts tut.“ Zerknirscht lächelte sie. „Tut mir leid, dass niemand für den großen Empfang hier war. Ich hoffe, wir machen es jetzt wieder gut?“

„Das war kein Problem …“ Owen verstummte mitten im Satz, weil die Tür aufflog.

„Anahera! Mia! Jemand da? Juhu! Oh.“

Oh, allerdings.

Die furchteinflößende Lady stand auf der Schwelle, atemlos und mit halb aufgelöstem Pferdeschwanz. Heute trug sie ein verwaschenes gelbes T-Shirt und Jeansshorts, die ihre fantastischen Beine zur Geltung brachten. Owen zwang sich, ihr in die Augen zu sehen. Diese waren ebenfalls braun und funkelten wütend.

„Gibt es ein Problem?“ Mia sprang auf.

„Bis eben nicht.“ Lächelnd betrachtete Carly die jüngere Frau. „Mir ist eben beim Einkaufen eingefallen, dass ich noch Autoinjektoren und Wundverschlussstreifen brauche, bis meine Bestellung beim Großhandel geliefert wird.“

Anahera stand auf. „Klar, Liebes.“ Bevor sie in den Lagerraum hinten ging, wandte sie sich an Owen. „Dr. Owen Cooper, das ist Carly vom Outdoorcamp, unsere Ersthelferin. Nach größeren Unfällen nehmen wir von ihr Anweisungen entgegen.“

Er konnte sich vorstellen, wie sie die Leute bei einem Notfall herumkommandierte oder auch, wenn sie nur atmeten oder die Landschaft vom Boot aus genossen.

Dr. Cooper?“ Carly zog die Brauen hoch. „Haben Sie sich schon für den Kurs angemeldet?“

„Sie wollen Stand-up-Paddeln lernen?“ Mia lachte. „Das ging aber schnell.“

Carly krauste die Stirn. „Er will einen Grundkurs fürs Motorbootfahren belegen. Das ist hier sehr wichtig, findet ihr nicht?“

Mit zusammengekniffenen Augen blickte Mia von ihr zu ihm. „Habe ich irgendwas verpasst?“

Carly zuckte die Schultern. „Ich sehe nur zu, dass niemandem etwas passiert.“

„Okay.“ Die Schwester bedachte sie beide mit einem argwöhnischen Blick, bevor sie sich eine große Tasche umhängte. „Ich muss jetzt zum Kindergarten und Harper das Essen vorbeibringen, weil ich es in meiner Tasche vergessen habe. Dann schaue ich schnell bei Winnie vorbei, um den Verband zu wechseln, und danach bei Nicky Clarke. Es dauert zwar noch ein paar Monate, aber nach der Frühgeburt letzte Woche gehe ich keine Risiken ein.“

Er mochte ein Feigling sein, aber beinah hätte er Mia angefleht, ihn mitzunehmen. Stattdessen stand Owen auf, um der Campfrau die Hand zu schütteln. „Hallo. Wir hätten uns wohl schon Samstag vorstellen sollen, aber ich bin Owen. Der neue Arzt.“

Energisch schüttelte sie ihm die Hand, während ihre Augen funkelten. Offenbar verärgerte und amüsierte er sie gleichermaßen, und er hatte keine Ahnung, warum. „Carly Edwards. Aber das haben Sie wahrscheinlich schon erraten.“

Kein Freut mich, Sie kennenzulernen oder Ähnliches.

Er ließ die Hand sinken, allerdings nicht ohne ihre warme, weiche Haut zu registrieren. „Dann werden wir also zusammenarbeiten.“

„Nur bei Notfällen.“ Carly hielt seinen Blick fest.

Ihre Botschaft war eindeutig. Halten Sie Abstand.

„Und das Camp steht zum Verkauf?“

„Ja.“

„Es bleibt also ein Schulcamp?“

„Das hängt vom neuen Eigentümer ab.“ Wieder krauste Carly die Stirn. „Warum?“

„Ich interessiere mich nur für die Pläne meiner neuen Nachbarn.“

„Ein großer Teil des Buschlands ist Naturschutzgebiet, aber ich schätze, mit den Häusern können sie machen, was sie wollen. Wir versuchen, einen Käufer zu finden, der es in erster Linie als Camp weiterbetreiben will.“

„Wir?“

„Mia und ich.“ Plötzlich wirkte sie weicher und lächelte beinah traurig. „Das Camp gehört uns zusammen.“

Oh. „Okay. Sind Sie beide verheiratet oder so?“

Völlig entgeistert betrachtete sie ihn und lachte dann auf. „Wir sind Schwägerinnen.“

Allerdings hatte bis jetzt keine von ihnen ihren Ehemann erwähnt … „Und Mia lebt auch im Camp?“

„Nein. Sie und ihr Mann wohnen hier ganz in der Nähe, ein paar Häuser vom Yachtclub entfernt.“

„Da war ich noch nicht.“

„Sie sollten mal hingehen. Wiremu hat gutes Bier.“ Angespannt lächelte sie. „Aber von den neuen Eigentümern werden Sie wohl nicht viel mitbekommen. Zwischen uns liegt ein Hügel.“

Da ist viel mehr als das.

Er versuchte, das Rätsel ihres Lebens zu ergründen. Warum, wusste er allerdings nicht. Erstens ging es ihn nichts an. Zweitens wusste er aus Erfahrung, wie kompliziert Familien sein konnten. Drittens argwöhnte er, dass sein Interesse viel mit ihrer schroffen Art zu tun hatte. Und dem konnte er nicht nachgehen. „Was machen Sie, wenn Sie verkaufen?“

„Reisen.“ Carly nickte kurz. „Jenseits von Rāwhiti Island gibt es viel zu sehen.“

„Und Ihr Mann …?“

Wieder schwang die Tür auf, und ein korpulenter alter Mann kam schwankend herein. „Carly!“, brachte er hervor. „Gott sei Dank.“ Er sprach schleppend und hielt sich am Türrahmen fest. Dann fiel seine rechte Gesichtshälfte förmlich ein, und er sackte nach vorn.

Sofort sprang Owen auf, um ihn zu stützen. „Bringen wir ihn zu Untersuchungsliege. Mein Raum ist dichter dran.“

„Klar.“ Carly stützte ihn auf der anderen Seite, und zusammen brachten sie ihn in den Flur und durch das kleine Wartezimmer in Owens Untersuchungsraum, wo sie ihn auf die Untersuchungsliege setzten. Sofort sackte er in sich zusammen.

Carly hob seine Beine hoch und schob ihm ein Kissen unter den Kopf, nachdem sie ihn hingelegt hatten. „Wiremu“, sagte sie sanft, aber bestimmt. „Kannst du mir sagen, was passiert ist? Hast du Schmerzen?“

Wiremu. Den Namen hatte sie gerade eben erwähnt. Owen steckte ihm ein Pulsoximeter an den Finger und holte dann ein Blutdruckmessgerät, das er ihm anlegte.

Im nächsten Moment kam Anahera mit Paketen beladen herein und blieb unvermittelt stehen. „Ich wusste nicht, wo Sie sind, aber ich hatte Stimmen gehört. Wiremu?“ Schnell legte sie die Pakete auf den Schreibtisch. „Was ist passiert?“

„Sieht wie ein Schlaganfall aus, aber wir wissen es nicht genau. Seine Sauerstoffsättigung ist in Ordnung, sein Blutdruck ist allerdings sehr hoch.“ Owen schob die Finger in Wiremus geballte linke Faust. „Wiremu, können Sie meine Hand drücken?“

Der alte Mann blinzelte sie beide nur an. Er drückte seine Hand, schien seine rechte Körperhälfte allerdings nicht zu spüren.

„Können wir ihm etwas geben?“, fragte Anahera, die nun nicht mehr so gelassen wirkte. „Einen Blutverdünner?“

„Ich weiß nicht, ob es ein Gerinnsel oder eine Blutung ist, Anahera. Wir müssen ihn so schnell wie möglich ins Krankenhaus bringen und ein CT vom Kopf machen lassen. Haben Sie die Daten seiner nächsten Verwandten?“

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Er ist mein Bruder.“ Sie tätschelte Wiremu die Hand. „Mein kleiner Bruder. Und wir bekommen dich wieder hin.“

Carly hielt schon das Satellitentelefon in der Hand. Sie war gefasst und tat genau das, worum Owen sie hatte bitten wollen. „Die Rettungsleitstelle schickt sofort einen Hubschrauber, und sie brauchen noch mehr Informationen.“ Dann reichte sie es ihm.

„Verdacht auf Apoplex. Hemiplegie rechts. Dysphasie. Hypertonie bei zweihundertvier zu hundert. Braucht sofortige Einweisung.“

Es knackte in der Leitung, bevor sich eine Stimme meldete: „Unterwegs, Doc. Over and out.“

„Wie lange dauert es?“

„Normalerweise zwanzig Minuten.“ Carly nahm ihm das Telefon ab. „Hinter dem Yachtclub ist ein Hubschrauberlandeplatz. Drei Minuten von hier.“

Owen untersuchte Wiremu noch einmal und stellte ihm verschiedene Fragen. Dabei stellte er fest, dass dessen Zustand sich zusehends verschlechterte.

„Anahera, geh, und sag Lissy Bescheid. Sie wird Unterstützung brauchen, weil sie auch ihre Enkel dahat. Jemand muss ihn ins Krankenhaus begleiten.“ Carly umarmte und drückte sie. „Ich benachrichtige Mia. Dann kannst du bei deiner Familie sein.“

„Schon gut, ich rufe sie an.“ Bedauernd blickte Anahera Owen an. „Ich möchte den neuen Arzt nicht an seinem ersten Tag allein lassen.“

Verblüfft über die Hingabe in seinem Team, schüttelte er den Kopf. „Ich komme allein klar. Gehen Sie. Bitte.“

Er wusste zwar nicht, wie er gleichzeitig ans Telefon gehen und sich um seine Patienten kümmern sollte, aber er würde es schon schaffen.

„Danke.“ Carly lächelte sanft, als sie ihn ansah, und einen Moment lang war er glücklich, als hätte er einen kleinen Sieg errungen. Schnell brachte sie Anahera zur Tür. „Ja, geh jetzt. Ich schreibe etwas in der whanau-Chatgruppe, damit sie euch Essen vorbeibringen. Brauchst du noch etwas?“

Diese zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht.“

„Wenn dir noch etwas einfällt, sag mir Bescheid.“

„Ich fasse es nicht, dass das so schnell nach der Geburt passiert.“ Anahera legte ihr die Hand auf den Arm. „Danke, Liebes.“

„He. Du hast so viel für mich und alle anderen getan.“ Carly blickte ihr nach und atmete dann tief durch. „Sie ist immer so aufopfernd, kann aber selbst keine Hilfe annehmen.“

War das eine Familien-Chatgruppe? „Sie sind mit ihr verwandt? Mit Wiremu? Das hätten Sie mir sagen sollen.“

„Wir sind nicht blutsverwandt. Aber wir stehen uns hier alle sehr nahe. Das ist an einem Ort wie diesem zwangsläufig so. Mia ist meine Familie. Sie ist hier aufgewachsen, und sie haben mich alle unter ihre Fittiche genommen, als ich hergekommen bin. Stimmt’s, Wiremu?“ Sie nahm Wiremus Hand und streichelte sie, und Owen sah, dass Tränen in ihren Augen schimmerten.

Einmal mehr fragte er sich, was ihre Geschichte war. Carly war ruhig und beherrscht, verhalten und vorsichtig. Und dennoch war sie Anahera und Wiremu gegenüber erstaunlich sanft und liebevoll gewesen.

Und nun fiel ihm auch auf, dass sie keinen Ehering trug. Und keine anderen Ringe. Ihr einziger Schmuck waren silberne Ohrstecker. Und sie hatte unzählige Sommersprossen auf der Nase und den Wangen.

Als sein Blick auf ihre sinnlichen Lippen fiel, stellte er sich unwillkürlich vor, wie er sie küsste. Schnell sah er weg.

Was, zum Teufel, war bloß mit ihm los?

Als sie sich zu ihm umwandte und seinem Blick begegnete, schimpfte sie wider Erwarten nicht mit ihm, sondern lächelte beinah freundlich. „Danke für Ihre Hilfe, Doc.“

Sie bedankte sich bei ihm? „Carly, dürfte ich fragen … ob Sie eine medizinische Ausbildung haben?“

„Ich bin ausgebildete Ersthelferin und habe außerdem eine Ausbildung für Brand- und Zivilschutz gemacht. Das heißt, falls es auf dieser Insel einen medizinischen Notfall, Feuer, einen Tsunami oder sonstige Notfälle gibt, muss ich mich darum kümmern und anschließend Hilfe holen. Wir haben Rettungsjetskis, um schneller vor Ort sein zu können, sei es zu Land oder zu Wasser. Da einige Grundstücke sehr abgelegen sind, ist man mit dem Jetski mitunter schneller dort. Allerdings sind wir dankbar, dass wir hier jetzt einen Arzt haben – den ersten in Festanstellung.“

„Warum jetzt erst?“

„Da wir keinen Sponsor gefunden haben, haben wir Geld für das Arztzentrum aufgebracht, das immer von einer Krankenschwester geleitet wurde. Aber da die Bevölkerung wächst, schafft Mia es nicht mehr allein, vor allem nicht mit einem Kleinkind. Also haben wir einen Antrag bei der Gesundheitsbehörde gestellt, und sie haben schließlich Zuschüsse bewilligt. Den Rest zahlen wir, die Patienten. Also sind Sie jetzt hier.“

Ja, nun war er hier. Und fragte sich, wie er sich in eine so enge Gemeinschaft einfügen sollte. Hätten die Menschen hier in ihren Herzen auch Platz für ihn und vor allem für seinen Sohn?

Erst jetzt merkte Owen, dass Carly ihn fragend ansah.

Dann führte sie ihn von ihrem Patienten weg. „Wird er es schaffen?“

„Schlaganfallpatienten müssen sofort versorgt werden, und ich hoffe, wir schaffen das. Es war gut, dass Sie so ruhig geblieben sind. Viele Menschen wären in Panik geraten.“

Sie atmete tief durch und steckte die Hände in die Hosentaschen. „In meinem Job habe ich mit Hunderten von Kindern zu tun. Sie liefern genug Dramen. Dadurch habe ich gelernt, emotional auf Abstand zu bleiben.“

Flüchtig fragte er sich, ob sie das auch im Privatleben tat. Und ihm fiel ein, dass sie seine Frage nach den Ehemännern nicht beantwortet hatte. Aber er war nicht hierhergekommen, um sich wieder mit einer Frau einzulassen. Er war um seines Sohnes willen hier.

Und als bald darauf der Hubschrauber zu hören war, dachte Owen nur noch an Wiremu.

3. KAPITEL

Sobald der Hubschrauber aufstieg, kehrte Carly zum Arztzentrum zurück, um ihre Sachen zu holen.

Der neue Arzt eilte ihr voraus. Sie musste zugeben, dass er beeindruckend war, und das nicht nur äußerlich. Der Notfall hatte ihn nicht aus der Fassung gebracht. Allerdings kannte er Wiremu auch nicht.

Vielleicht war er aber auch immer so besonnen und gelassen. Außer am Samstag, als sie ihn angefahren und er sichtlich um Fassung gerungen hatte. Das bedeutete, dass er nicht alles von sich preisgab. Hör auf damit.

Sie wollte nicht wissen, was in ihm vorging.

Im nächsten Moment ertönte der Notfallpager an ihrem Gürtel. Was jetzt? Sie musste noch so viel vorbereiten, weil am nächsten Tag neue Kinder kamen. Sie warf einen Blick auf die Nachricht.

Notfall. Bream Bay. Umgestürzter Baum. Simon hat sich das Bein verletzt.

Okay. Alles andere musste warten.

Nachdem sie tief durchgeatmet hatte, rief sie: „He, Doc! Owen?“

Sofort blieb Owen stehen und drehte sich zu ihr um. Verdammt, war er attraktiv! „Ja?“

„Wir werden draußen in der Bream Bay gebraucht. Anscheinend ist jemand unter einem umgestürzten Baum begraben.“

Nun zog er die Brauen hoch. „Wow. Okay. Dann los. Gut, dass ich heute noch keine Sprechstunde habe.“

„Die Patienten verstehen es, wenn Sie sich verspäten. Bei einem Notfall handelt es sich meistens um jemanden, den sie kennen, und normalerweise wollen sie dann auch helfen.“ Carly nahm ihr Telefon aus der Tasche, um Mia zu schreiben. „Ich sage nur kurz Mia Bescheid. Sie können dann alles aufholen, wenn wir zurück sind.“

Owen nickte. „Klar. Haben Sie alles, oder soll ich eine Notfalltasche mitnehmen?“

„Ich habe eine im Yachthafen.“

„Okay.“ Drinnen schloss er die Tür zu seinem Sprechzimmer auf. „Ich hole nur meine Tasche, hänge das Schild auf und schließe ab.“

Auf der Schwelle blieb sie stehen. „Haben Sie Schwimmsachen dabei?“

„Nein. Warum?“

„Es ist Jetski-Zeit.“ Schnell musterte sie ihn … um seine Größe zu schätzen. Zumindest redete sie sich das ein. Sie nahm nicht seine breiten Schultern wahr. Sie stellte sich nicht vor, was sich unter seinem adretten weißen Hemd und der grauen Chino verbarg. „Am besten gehen Sie in die Apotheke. Sie verkaufen Badesachen für Touristen.“

Er nickte. „In Zukunft bringe ich dann welche mit. Ich hatte ja damit gerechnet, dass ich den ganzen Tag hier bin.“

„Das sind Sie normalerweise auch, aber für Notfälle sollten Sie immer welche dabeihaben. Wir treffen uns am Yachthafen. Er ist dahinten.“ Sie deutete aus dem Fenster. „Orangefarbener Jetski am Ponton. Ich mache ihn startklar und hole die Tasche aus dem Spind, während Sie sich umziehen.“

„Geben Sie mir zwei Minuten.“ Er lief zur Apotheke, während sie zum Anleger rannte.

Wenige Minuten später war er bei ihr. Er trug ein Neoprenoberteil, blauweiß gestreifte Schwimmshorts und Flipflops. Seine Sneakers hatte er sich an den Schnürsenkeln über die Schulter geworfen. Sein dunkles Haar war zerzaust. Er sah fantastisch aus.

Carly riss sich zusammen. Dass ein Mann attraktiv war, hatte nichts zu bedeuten. Dass er ungeachtet ihres ersten Eindrucks nett und bei einem Notfall besonnen war, ein süßes Lächeln und Grübchen hatte und Rücksicht auf seine Kolleginnen nahm, hatte auch nichts zu bedeuten.

Insgeheim dankte sie jedoch ihrem Glücksstern, dass der neue Arzt abenteuerlustig war. Allerdings war ihr das schon am Samstag aufgefallen, als er mit seinem Sohn den Delfinen gefolgt war.

Und viel zu schnell stellte sie sich einige Fragen. Wo war die Mutter seines Sohnes? Warum waren die beiden allein hier? Warum war er auf die Insel gezogen, wenn er Mia zufolge eine gutgehende Praxis in der City gehabt hatte?

Carly verdrängte diese Gedanken und startete den Motor. Dann warf sie Owen eine Rettungsweste zu. „Ziehen Sie die an. Springen Sie rauf. Und halten Sie sich fest.“

„Verstanden.“ Nachdem er die Weste angelegt hatte, hängte er sich seine Tasche um.

Carly war sich seiner Nähe bewusst, als sie sich rittlings auf den Jetski setzte. Sie spürte seine Beine, seine warmen Hände und nahm den Duft seines maskulinen Deos wahr.

Überdeutlich … Als hätte jemand einen Schalter in ihr umgelegt. So hatte sie schon seit drei langen Jahren nicht mehr empfunden. Verdammt, sie hatte auch nie wieder so empfinden wollen, doch nun war sie nervös und aufgewühlt.

Wie lange war es her, dass jemand sie in den Armen gehalten hatte? Geküsst hatte? Umsorgt hatte? Alles in ihr krampfte sich zusammen bei der Vorstellung, was sie verloren hatte. So viele Pläne, Hoffnungen und Träume mit dem Mann, den sie geliebt hatte, waren mit dem tragischen Unfall geplatzt. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie den zwischenmenschlichen Kontakt am meisten vermisste. Die täglichen Zuneigungsbekundungen. Jemanden, der sie fragte, wie ihr Tag gewesen war. Jemanden, den sie umarmen konnte. Der sie umarmte.

Und warum ging ihr das ausgerechnet jetzt durch den Kopf? In Gegenwart von Dr. Owen Cooper? Wenige Wochen vor ihrer geplanten Abreise?

Carly hob das Kinn und spürte die Gischt im Gesicht, die sie erfrischte und die Traurigkeit vertrieb, mit der sie vermeintlich zu leben gelernt hatte. Nun wurde ihr allerdings klar, dass sie sie überallhin mitnahm. Und deshalb musste sie diese Insel verlassen, um neue Erinnerungen zu schaffen und zu sich selbst zu finden, denn sie war keine Ehefrau oder Schwiegertochter mehr.

Bald erreichten sie Bream Cove, wo Simons Frau Michaela ihnen verzweifelt zuwinkte und sie gleich nach dem Anlegen in Kenntnis setzte.

„Carly, Gott sei Dank! Er ist hinten im Garten. Eigentlich wollte er nur die unteren Äste absägen, aber dann hat er immer weitergemacht.“

Sie rannten den Steg und dann den Kiesweg hoch hinter das kleine alte Haus, wo hohe Steineiben das Grundstück vom Buschland abgrenzten. Schon von Weitem entdeckte Carly eine Gestalt unter einem riesigen Ast.

„Da! Schnell.“ Sie drehte sich um, stellte dann jedoch fest, dass Owen neben ihr war und sie überholte.

Irgendwie hatte er es geschafft, seine Sneakers anzuziehen, und das war gut so, denn die vielen Disteln und Gräser zerkratzten ihre Beine.

„Quetschverletzung. Wir brauchen noch einen Hubschrauber. Schnell.“ Owen kniete sich neben Simons Kopf. „Hallo, Simon. Ich bin Owen, der neue Arzt. Wir werden diesen Ast wegnehmen und dann sehen, wie viel Schaden Sie angerichtet haben.“

„Tut weh.“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte Simon, sich aufzusetzen.

„Ich weiß. Versuchen Sie, still zu liegen.“ Owen legte ihm die Hand auf die Brust und drückte ihn sanft hinunter. „Wir kümmern uns um Sie. Ich muss mich nur vergewissern, dass Sie sich keine Wirbelsäulenverletzungen zugezogen haben, bevor wir Sie oder den Ast bewegen.“ Nachdem er ihn kurz untersucht hatte, wandte er sich ruhig an Michaela. „Wann ist das passiert?“

Sie zuckte die Schultern. Sie war blass und spielte mit dem Saum ihres T-Shirts. „Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Es kann eine halbe oder auch zwei Stunden her sein. Ich war erst mit dem Boot draußen und habe dann in der Küche hantiert.“

Er nickte Carly zu. „Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir den Ast von seinem Bein heben.“

„Kompressionssyndrom?“

„Wahrscheinlich nicht, weil sein Bein unter dem Ast begraben ist und nicht sein Oberkörper. Aber da wir nicht wissen, wie lange er hier schon liegt und ob der Kaliumspiegel angestiegen ist, müssen wir vorsichtig sein und auf die Symptome achten.“ Dann steckte er Simon ein Pulsoximeter an. „Ich messe jetzt Ihre Sauerstoffsättigung und gebe Ihnen ein Schmerzmittel. Und danach können wir den Ast wegnehmen.“

Simon stöhnte. „Danke … Doc.“

Über Satellitentelefon gab Carly alle wichtigen Informationen an die Rettungsleitstelle durch und sagte, der nächste Hubschrauberlandeplatz wäre nur wenige Minuten entfernt auf dem Nachbargrundstück.

Owen legte Simon eine Sauerstoffmaske an und gab ihm eine Infusion. „So. Das nimmt Ihnen hoffentlich die schlimmsten Schmerzen, während wir herauszufinden versuchen, wie wir den Ast wegbekommen.“

Nachdem Michaela ein Tau geholt und sie eine Art Flaschenzug gemacht hatten, konnten sie den Ast mit vereinten Kräften entfernen. Simon hatte eine tiefe Wunde am Schienbein. Während der Aktion hatte er gestöhnt und geschrien, doch nun war er geradezu beängstigend still und bleich. Carly überwachte seine Atmung und seinen Blutdruck, während Michaela zum Hubschrauberlandeplatz lief, um die Crew in Empfang zu nehmen.

Owen maß in regelmäßigen Abständen den Fußpuls. „Kein Fußpuls. Er muss so schnell wie möglich weggebracht werden. Bis dahin müssen wir ihn überwachen und den Bruch stabilisieren.“

Das Bein war eindeutig gebrochen, gequetscht und blutete stark. Außerdem begann es bereits anzuschwellen. Nachdem Owen Kompressen auf die Wunde gelegt hatte, stabilisierten sie es mit einer aufblasbaren Schiene. Sie überprüften gerade wieder die Vitalfunktionen, als Simon unkontrolliert zu zittern begann.

„Blutdruck fällt ab. Neunzig zu dreiundfünfzig“, sagte Carly. „Puls wird schneller. Hundertzwei.“

Owen legte Simon die Hand auf die Schulter. „Sieht so aus, als hätten Sie einen Schock, Simon. Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen etwas verabreiche? Das sollte helfen.“

Unterdessen faltete sie die Wärmedecke auseinander. „Mal sehen, ob ich im Haus Wolldecken finde.“

„Sie können Gedanken lesen.“ Lächelnd nahm er die Decke entgegen und wickelte sie um den Patienten.

Während sie ihn betrachtete, fragte sie sich, wie es wäre, seinen Blick auf sich zu spüren, in den Genuss seiner ungeteilten Aufmerksamkeit zu kommen. Ihn wieder so intensiv zu spüren wie auf dem Jetski. In seinen Armen zu liegen.

Verdammt, sie kannte den Mann kaum! Warum gab sie sich solchen Fantasien hin? Weil sie sich zu ihm hingezogen fühlte, wie sie sich schockiert eingestand. Sehr sogar. Es schien ihr, als würde ihr Körper nach Jahren zu Leben erwachen. Schauer rieselten ihr über den Rücken, und Hitzewellen durchfluteten sie. Sie mochte Owen Cooper genug, um sich vorzustellen, wie sie ihn umarmte.

Panik erfasste sie und ließ ihr Herz wie wild pochen. Sie konnte das nicht. Sie konnte niemanden in den Armen halten, nicht nach allem, was sie durchgemacht hatte. Es war viel zu riskant, denn ihr Herz hatte gerade erst zu heilen begonnen. Sie konnte sich nicht mehr auf etwas Bedeutungsvolles einlassen. Also zwang Carly sich, sich auf die Bedürfnisse des Patienten zu konzentrieren.

Sie können Gedanken lesen …

„Das hoffe ich nicht“, konterte sie, bevor sie zum Haus lief, um Decken zu holen und die Dinge hoffentlich in die richtige Perspektive zu rücken.

Zum zweiten Mal an diesem Tag blickte Owen einem aufsteigenden Hubschrauber nach.

Carly stand neben ihm auf dem Steg und beschattete die Augen mit der Hand. Der Wind wehte ihr einige Strähnen von ihrem Pferdeschwanz ins Gesicht. Sie wirkte kerngesund und vital, als wäre sie einer Anzeige für Outdoorsport entsprungen. Locker und frei.

Sie war ganz anders als Miranda, die die Sonne aus Angst um ihre Haut immer mied. Und nein, er würde nicht zulassen, dass seine gescheiterte Ehe sich negativ auf sein neues Leben auswirkte.

Carly bückte sich und wühlte in ihrer Tasche. Schließlich förderte sie eine Thermoskanne zutage und goss eine heiße Flüssigkeit in zwei verbeulte Keramiktassen mit der grünen Aufschrift Rāwhiti Camp. „Wie wär’s mit einer Erfrischung?“

„Ist Ihre Tasche genauso unerschöpflich wie die von Mary Poppins?“ Er tat so, als würde er einen Blick hineinwerfen.

Sie lachte und betrachtete dann ihren großen Rucksack. „Ich weiß, wie man richtig packt. Und ich zeige es den Kindern, bevor wir im Busch übernachten. Und trotzdem stecken sie immer noch jede Menge heimlich ein und beschweren sich später über das Gewicht.“

„Was zum Beispiel?“

„Bücher. Süßigkeiten. Und elektronische Geräte. Ihnen ist gar nicht klar, dass sie keine Energie mehr für andere Dinge haben, wenn wir abends aus abgeschlagenen Ästen ein Dach gebaut und Essen über dem offenen Feuer gegart haben.“

„Das klingt nach viel Spaß.“

„Ja. Die Kinder lieben es. Manche von ihnen haben noch nie das Meer gesehen.“ Plötzlich wirkte sie wehmütig, und ihm fiel ein, dass sie weggehen würde. War sie gezwungen zu verkaufen?

Owen suchte ihren Blick. „Alles in Ordnung, Carly?“

„Klar.“ Sie reichte ihm eine Tasse mit dampfender brauner Flüssigkeit, bevor sie sich ans Ende des Stegs setzte und die Beine hinunterbaumeln ließ. „Warum?“

„Sie wirken so …“ Er wollte emotional sagen, doch das wäre nicht gut angekommen. „Es ist ein ziemlich stressiger Nachmittag.“

„Ich habe schon schlimmere Unfälle gesehen. Aber es ist wichtig, genug Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Unter Stress vergisst man leicht, etwas zu essen und zu trinken. Selbst Superhelden brauchen ab und zu eine Tasse Tee.“

Owen lachte, bevor er sich neben sie setzte und einen Schluck von dem süßen heißen Tee trank. Interessant, dass sie angenommen hatte, er würde sich nach dem Unfall erkundigen und nicht nach ihrem plötzlichen Stimmungsumschwung. Er wollte ihr so viele Fragen stellen, aber nicht neugierig sein. Schließlich wollte er auch nicht ausgequetscht werden. „Das war jedenfalls eine interessante Einführung in das Inselleben.“

„Normalerweise ist es nicht so.“ Carly wandte sich im selben Moment zu ihm um wie er sich zu ihr. Ihre Augen funkelten. „Begeistern Sie sich nicht zu sehr, Dr. Cooper.“

Owen beschloss, das Thema zu wechseln. „Übrigens, wegen Samstag …“

„Ja?“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen.

„Bin ich wirklich zu schnell gefahren?“

Es entstand eine lange Pause. Plötzlich wieder ernst, nickte Carly seufzend. Dann stellte sie einen Fuß auf den Steg. „Ehrlich gesagt, glaube ich es nicht. Aber ich möchte meine kleine Bucht und meine Kursteilnehmer nun mal schützen.“

„Es ist gut, wenn man sicherheitsbewusst ist.“

„Ja“, bestätigte sie leise. „Allerdings übertreibe ich manchmal.“

Er fragte sich, warum, vergaß es jedoch sofort, als er einen Blick auf seine Uhr warf. „Verdammt, ich hätte Mason vor zehn Minuten vom Kindergarten abholen sollen! Jetzt bekomme ich bestimmt Ärger.“

„Nein. Die Erzieherinnen werden Verständnis dafür haben. Nicht alle hier sind so brutal ehrlich wie ich.“ Sie lachte, bevor sie die leeren Becher und die Flasche wieder in ihren Rucksack steckte und aufsprang. „Kommen Sie.“

Owen setzte sich hinter ihr auf den Jetski und legte ihr die Arme um die Taille. Er spürte ihre Körperwärme, nahm ihren blumigen Duft wahr. Schnell rückte er einige Zentimeter von ihr ab. Allmählich war es lächerlich. Er konnte sich doch nicht zu dem Duft einer Frau hingezogen fühlen. Oder ihre warme Haut registrieren, ihre gebräunten Beine und vor allem ihr trauriges Lächeln, als sie sich unbeobachtet gefühlt hatte.

Als sie in den Yachthafen zurückkehrten, saß Mia dort mit ihrer kleinen Tochter und Mason am Strand und baute Sandburgen. Nachdem Owen Carly dabei geholfen hatte, den Jetski zu vertäuen, rannte er auf die drei zu.

Carly folgte ihm. „Hallo, Mia“, grüßte sie mit dem strahlenden Lächeln, das sie für ihre Schwägerin aufzusparen schien. „Lieb von dir, dass du Mason mitgenommen hast. Owen war schon ziemlich gestresst.“

Allerdings. Und jetzt war er es noch mehr. „Ist es hier nicht üblich, dass man die Kinder nur autorisierten Personen übergibt?“

Sofort bereute er seine Worte. Mason war unversehrt und spielte zufrieden im Sand.

Die beiden Frauen wurden sofort ernst. „Jackie war heute allein und musste dringend weg. Deshalb habe ich ihn mitgenommen.“

„Natürlich. Ja.“ Owen umarmte seinen Sohn, doch der schob ihn weg. „Nicht, Daddy. Ich baue gerade.“

Als Owen sich wieder an Mia wandte, blickte sie ihn stirnrunzelnd an. „Jackie kennt mich. Wir sind hier zusammen aufgewachsen. Außerdem hat sie Ihnen mehrere Nachrichten auf der Mailbox hinterlassen, aber Sie haben nicht geantwortet. Wir haben noch eine Weile gewartet, dann musste sie abschließen.“

Und in der Zeit hatte er Tee getrunken und unangemessenen Gedanken über Carly nachgehangen. Zerknirscht zuckte er die Schultern. „Da draußen hatte ich keinen Empfang.“

„Das kommt vor.“ Mia nickte. „Hier herrscht ein anderes Tempo, und wir helfen uns gegenseitig. Das müssen wir auch, weil die Insel abgelegen und nicht alles verfügbar ist.“

„Was der Doktor sagen will, ist danke.“ Lächelnd hob Carly Mias Tochter Harper auf den Schoß, um sie zu knuddeln.

Alle wirkten so glücklich, und er hatte die Stimmung mit seinem übertriebenen Beschützerinstinkt und seinem Misstrauen verdorben. „Ja, es tut mir so leid, Mia. Danke. Vielen Dank. Tut mir leid, falls ich unhöflich rübergekommen bin. Ich hatte mir Sorgen um meinen Sohn gemacht, und da ich hier der einzige Elternteil bin, steht er für mich an erster Stelle.“

„Kein Problem. Ich bin auch alleinerziehend. Ich verstehe das sehr gut. Wenn ich ihn noch mal abholen soll, sagen Sie mir einfach Bescheid. Es macht mir nichts aus, und die Kinder verstehen sich prima.“ Allerdings warf Mia Carly einen Blick zu, den er nicht deuten konnte.

„Kann ich wieder bei dir spielen?“, fragte Mason Carly dann unvermittelt.

„Mason, was ist mit deinen Manieren?“, erinnerte Owen ihn, bevor er sich an sie wandte. „Tut mir leid. Sagen Sie einfach Nein. Das ist in Ordnung.“

Sie wirkte ein wenig unbehaglich, doch dann betrachtete sie Harper und wirkte plötzlich weniger angespannt. „Ja, klar, Mason, sehr gern. Ich habe von Dienstag bis Freitag immer Schulkinder da, aber die fahren mit der Fähre um eins. Möchtest du Freitagnachmittag kommen?“

„Danke.“ Owen wusste, dass er das nicht verdient hatte, sein Sohn hingegen schon.

„Kein Problem.“ Triumphierend lächelte sie ihn an. Und … Wow … Ihre Augen funkelten, die Sonne schien ihr ins Gesicht, und … Carly war schön.

Er wusste nicht, was er sagen sollte. Dennoch konnte er den Blick nicht von ihr abwenden. Er nahm nur noch sie wahr. Was mochte sie denken? Spürte sie diese Schwingungen auch?

Schließlich nickte sie und blickte auf ihre Uhr. „Jetzt muss ich mich wirklich beeilen. Die beiden Notfälle haben meinen ganzen Tagesablauf durcheinandergebracht. Bis später.“

Owen beobachtete, wie sie aufsprang und dann wegging, den Rucksack in der Hand. Allerdings wollte er ihr nicht nachblicken.

„Also, Dr. Cooper. Hatten Sie einen schönen Nachmittag mit unserer Carly?“

Als er sich umdrehte, stellte er fest, dass Mia ihn fragend ansah. „Sagen wir, er war ereignisreich.“

„Aber Sie sind ja offenbar gut klargekommen. Sind Sie ein gutes Team?“ Sie blickte in die Richtung, in die Carly gegangen war.

Owen tat es ebenfalls und verspürte einen Stich, weil er sie nicht mehr sah. „Wir haben gut zusammengearbeitet. Es ist toll, dass sie jeden kennt und mit den ganzen Abläufen vertraut ist. Das macht mir das Leben leichter.“

„Unter ihrer harten Schale verbirgt sich ein weicher Kern.“

„Ach ja?“ Er lachte. Worauf wollte Mia hinaus? „Sie ist jedenfalls sehr kompetent.“

„Aha. So nennt man das also.“ Lächelnd zog sie die Brauen hoch. „Wissen Sie, Owen …“ Dann verzog sie das Gesicht. „Carly hat eine schwere Zeit hinter sich. Wir beide haben das, wenn ich ehrlich bin.“

„Tut mir leid, das zu hören.“ Offenbar begaben sie sich auf schwieriges Terrain, denn ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Bitte, Sie müssen mir nichts Persönliches erzählen.“

„Sie werden es sowieso bald von den Einheimischen hören. Es ist kein Geheimnis.“ Mia schüttelte den Kopf und lächelte unter Tränen. „Aber sie sollte es Ihnen erzählen. Wenn ich es tue, klingt es wie Tratsch, und dann wäre sie sauer. Aber … sie lässt niemanden gern an sich heran.“ Mühsam schluckte sie. „Sie hat gute Gründe dafür, Owen. Sie hat eine Menge durchgemacht. Seien Sie einfach … nett zu ihr.“

„Soll das eine Warnung sein?“ Welchen Eindruck hatte er Mia vermittelt? Oder Carly? Er hatte sich professionell gegeben, aber vielleicht merkte man ihm sein … Interesse an Carly an? „Denn ich versichere Ihnen, dass wir nur Kollegen sind.“

Wen versuchte er hier zu überzeugen – Mia oder sich selbst?

„Klar sind Sie das.“ Mia sprang auf, nahm ihre Tasche und das Sandspielzeug und wandte sich an ihre Tochter. „Komm, Harper, Zeit für unseren Tee. Bis morgen, Owen. Bye, Mason.“

Nachdem sie ihm zugewunken hatte, ließ sie ihn mit seinem Sohn und unzähligen Gefühlen zurück, die er nicht benennen konnte.

4. KAPITEL

Es war keine Verabredung. Gut, es war eine Verabredung zum Spielen. Für Mason. Dieser Ausflug sollte nur seinen Sohn glücklich machen.

Owen wusste deshalb nicht, warum er aufgeregt und gleichzeitig nervös war. Doch sein Magen krampfte sich leicht zusammen, als er das Boot vertäute und Carly den Steg entlangkommen sah.

In gewisser Weise wünschte er, Mia hätte keine Andeutungen über Carlys Vergangenheit gemacht, denn nun würde er anders auf Carly reagieren. Er mochte das Geplänkel mit ihr und war sich nicht sicher, ob es eine gute Idee war weiterzugehen, vor allem nach seiner gescheiterten Ehe. Sie faszinierte ihn, und er musste zugeben, dass er sie gernhatte, auch wenn er sie kaum kannte. Es gab eine Verbindung zwischen ihnen, und er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte.

„Hallo, Owen. Und Mason!“ Sie reichte Mason die Hand und zog ihn auf den Steg. „Hallo, Kumpel. Bist du seit Montag etwa gewachsen?“

„Ja.“ Er nickte ernst und streckte die Brust raus.

„Auf jeden Fall hat er jetzt einen gesegneten Appetit.“ Owen kletterte ebenfalls aus dem Boot, eine Tasche mit Ersatzsachen und Snacks für Mason in der Hand.

„Ja, die frische Luft hier tut richtig gut.“ Das rotblonde Haar fiel ihr offen über die Schultern. Ihre Haut schimmerte golden. Carly trug eine blaue, am Ausschnitt mit Perlen bestickte Carmenbluse, einen langen weißen Stufenrock und ebenfalls mit Perlen bestickte Sandaletten. Erstaunt stellte er fest, dass sie sich die Zehennägel knallrot lackiert hatte. Das machte ihn neugierig. Offenbar hatte sie, die tüchtige Ersthelferin und Superheldin, noch viele andere Seiten.

Lächelnd nickte sie ihm nun zu. „Und, wie war der Rest Ihrer ersten Woche auf Rāwhiti?“

„Nicht so aufregend wie der erste Tag. Zum Glück ist es momentan ruhig, denn ich bin mit Mia allein. Aber inzwischen habe ich eine gewisse Routine entwickelt. Zwischen den Behandlungen gehe ich auch ans Telefon, mache Termine und beantworte Anfragen.“

„Ja, hier muss man alles können. Schön, dass Sie es packen.“

„Oh, es ist nichts im Vergleich zu der großen Praxis, die ich vorher hatte. Wir mussten uns nur aufeinander einspielen, und dass ich Mason nicht pünktlich abholen konnte, war kein guter Anfang.“

„Im Ernst, es stört niemanden, wenn Sie sich verspäten oder auch zu früh kommen. Wir sind alle sehr flexibel. So, Mason, komm mit! Der Spielplatz wartet schon auf dich.“ Zusammen mit dem aufgeregt kichernden Mason lief sie zu dem kleinen Spielplatz.

Seine Brust schnürte sich zusammen, als Owen beobachtete, wie sein Sohn bewundernd zu Carly aufblickte.

Komm ihr nicht zu nahe, Junge. Sie ist bald weg.

War das hier ein Fehler? Hätte er absagen sollen? Der arme Junge war schon von seiner Mutter verlassen worden. Würde er bald wieder leiden? Panik überkam ihn, doch Owen atmete einige Male tief durch. Heute würde er ihn hier spielen lassen, ihm aber einen weiteren Besuch ausreden.

Während Mason rutschte, stand Owen mit Carly im Schatten eines Pohutukawabaums, dessen heruntergefallene Blüten einen scharlachroten Teppich bildeten. Am Rand wuchsen Lein und Clivia, und dahinter erstreckte sich ein breiter Grasstreifen bis zum Strand.

„Guck mal, Daddy!“, rief Mason, bevor er hinunterrutschte. „Juhu!“ Sein glücklicher Gesichtsausdruck überzeugte Owen, dass es eine gute Idee gewesen war.

Nun lächelte Carly ihn an. „Und, wie ist Nelsons Domizil zu Ihnen?“

„Nelsons Domizil?“

„Der Vorbesitzer Ihres Hauses hieß Horatio, also war sein Spitzname Nelson. Als er letztes Jahr gestorben ist, hat er das Haus dem Gemeindefonds von Rāwhiti Island vermacht. Wir haben dann per Abstimmung beschlossen, dass wir es der Ärztin oder dem Arzt zur Verfügung stellen wollen, als Anreiz, jemanden für eine Festanstellung hierherzuholen. Aber mir ist klar, dass daran einiges gemacht werden muss.“

Owen lachte. „Ehrlich gesagt, kann man es nur noch abreißen. Ich warte auf eine Bestellung vom Baumarkt in Auckland, aber ich weiß nicht, wann sie kommt.“

„Das dauert. Ich habe hinten noch einige Bretter, falls Sie sie gebrauchen können.“ Carly deutete zu der kleinen Hütte am Rand des Strandes. „Sehen Sie sie sich gern an. Wenn ich das Camp verkauft habe, muss ich sowieso alles wegräumen.“

Sie geht weg. Sie geht weg.

„Prima. Danke. Ich sehe es mir nachher an. Mal sehen, wie viel in mein Boot passt.“

„Nicht sehr viel.“ Sie lachte ebenfalls, und ihre braunen Augen funkelten. „Ich lasse es von der Fähre abholen und zu Ihnen bringen.“

„Das machen sie?“

Fragend sah sie ihn an. „Hat Ihnen das noch keiner erzählt? Für große Teile chartern wir Frachtkähne, aber alles andere bringt die Fähre hierher. Außerdem kommt dreimal die Woche ein Postboot. Ich kann hier also genauso viel online shoppen wie die Leute in der Stadt.“

„Ich wette, nicht so viel wie meine Frau. Ich glaube, niemand shoppt so viel wie Miranda.“

„Ihre Frau?“ Carly blinzelte und wirkte plötzlich reserviert.

Sofort bereute er, dass er über seine Vergangenheit gesprochen hatte. „Exfrau.“

„Masons Mum? Wo ist sie?“

„In den USA. Sie ist Schauspielerin, und dort kann sie ihre Karriere am besten verfolgen.“ Als sie die Brauen hochzog, hatte er wie immer das Gefühl, dass er Masons und seine Situation erklären musste. „Sie hatte ein Jobangebot, das sie nicht ablehnen konnte.“

„Und Sie beide konnten sie nicht begleiten?“ Sie ließ den Blick zu Mason schweifen. „Bestimmt vermisst er sie.“

„Sagen wir, der Junge und ich waren nicht eingeladen.

Als sie ihn wieder ansah, krauste sie die Stirn. „Verstehe.“

„Ich glaube nicht.“

Carly schüttelte den Kopf und hob die Hand. „He, es geht mich nichts an …“

„Nein, aber es lässt sie gefühllos erscheinen, und das ist sie nicht, nur …“ Owen suchte nach den richtigen Worten. „Egozentrisch und karriereorientiert. Sie wollte nie Kinder, und das wusste ich auch von Anfang an. Als sie dann doch schwanger wurde, hoffte ich, sie würde ihre Einstellung ändern, aber es war nicht der Fall. Sie hat es dann probiert, wohl um meinetwillen, obwohl ich sie nie unter Druck gesetzt hatte. Aber das Familienleben war nichts für sie. Sie hat es drei Jahre ausgehalten, und ich habe mir wirklich große Mühe gegeben, ein guter Ehemann und Vater zu sein, aber ich musste auch Geld verdienen, um die Rechnungen bezahlen zu können, und habe mit der Praxis expandiert. Also habe ich in der Woche lange gearbeitet und an den Wochenenden versucht, es wiedergutzumachen.“

Warum erzählte er ihr das alles?

Carly atmete tief durch. „Ganz schön viel Druck.“

„Ja. Und Miranda hat es wirklich versucht. Aber es war nicht das Leben, das sie wollte. Und leider waren wir auch nicht die Menschen, die sie in Los Angeles um sich haben wollte.“

Wieder krauste sie die Stirn. „Ich meinte, es war ganz schön viel Druck für Sie, Owen.“

Owen blickte zu seinem Sohn, der gerade wieder juchzend rutschte. „Mason ist überhaupt keine Belastung für mich. Ich fühle mich nur unter Druck gesetzt, weil ich mich bemühe, ihm auch die Mutter zu ersetzen. Und das gelingt mir nicht. Zumindest war es bisher der Fall. Mir ist schnell klar geworden, dass ich nicht in Vollzeit arbeiten und ihn nur schlafend sehen konnte. Nachdem Miranda uns verlassen hatte, hatte ich ein Kindermädchen engagiert, aber er hat gelitten. Wir beide haben gelitten. Ich habe ihn kaum gesehen, und wenn wir Zeit miteinander verbracht haben, waren wir uns fremd. Also habe ich diesen Teilzeitjob hier angenommen. Und jetzt kann ich den halben Tag lang ein schlechter Vater sein.“

„Sie sind kein schlechter Vater. Ich habe Sie mit ihm erlebt. Sie haben einen ausgeprägten Beschützerinstinkt.“

„Das war nicht mein bester Moment.“ Er verzog das Gesicht und wünschte, sie hätte seinen Fauxpas am Strand mit Mia vergessen.

„Sie haben miterlebt, wie ich mich für fremde Kinder stark mache. Ich verstehe es.“ Nach einer Pause fragte Carly zögernd: „Wie können Sie nicht wütend auf sie sein, weil sie gegangen ist?“

„Das war ich. Und bin es immer noch. Ich meine, wie kann man sich nicht wünschen, seinen Sohn aufwachsen zu sehen? Andererseits weiß ich ja, dass sie keine Kinder haben wollte. Ich kann ihr keinen Vorwurf daraus machen, dass sie der Mensch ist, als den ich sie auch kennengelernt habe. Und sie versucht, mit Mason in Kontakt zu bleiben, obwohl das durch die Zeitverschiebung und ihre Termine nicht immer einfach ist.“

...

Autor

Louisa George
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JC Harroway
JC Harroway beschreibt sich selbst als "liebesromansüchtig". Für ihre Autorinnenkarierre gab sie sogar ihren Job im medizinischen Bereich auf. Und sie hat es nie bereut. Sie ist geradezu besessen von Happy Ends und dem Endorphinrausch, den sie verursachen. Die Autorin lebt und schreibt in Neuseeland.
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Fiona McArthur

Fiona MacArthur ist Hebamme und Lehrerin. Sie ist Mutter von fünf Söhnen und ist mit ihrem persönlichen Helden, einem pensionierten Rettungssanitäter, verheiratet. Die australische Schriftstellerin schreibt medizinische Liebesromane, meistens über Geburt und Geburtshilfe.

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