Julia Ärzte zum Verlieben Band 188

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ZUM LEBEN GEHÖRT AUCH LIEBE, MARCY! von SUSAN CARLISLE

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  • Erscheinungstag 09.03.2024
  • Bandnummer 188
  • ISBN / Artikelnummer 9783751526159
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Carlisle, Marion Lennox, JC Harroway

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 188

1. KAPITEL

„Guten Morgen, Dr. Nelson“, grüßte der Techniker, als Dylan das Krebszentrum betrat.

„Guten Morgen“, rief er über die Schulter, ohne das Tempo zu verlangsamen.

„Sie haben heute Gesellschaft“, informierte der Techniker ihn.

Dylan zögerte kurz. „Ach, ja, stimmt.“ Als leitender Kinderonkologe im Atlanta Children’s Hospital hatte er einen vollen Terminplan, und viele Patienten warteten auf ihn. Und nun war eine Ärztin hier, um ein neues Arzneimittel zu testen. Als er den Infusionsraum betrat, blieb er unvermittelt stehen. Aliza, eine seiner süßesten und am schwersten erkrankten Patientinnen, sprach mit einer schlanken Frau, die mit dem Rücken zu ihm auf einem Drehstuhl saß. Er presste die Lippen zusammen. Irgendetwas an ihr kam ihm bekannt vor.

Sein Herz krampfte sich zusammen, als Aliza lachte und dann lächelte. Beides kam nur selten vor. Dass die Fremde sie dazu brachte, schockierte ihn. Er verfolgte weiter, wie die Frau etwas an dem Port der Kleinen machte und ruhig weitersprach.

Wer war diese Frau, die seine schwierigste Patientin für sich gewann? Er hatte Monate gebraucht, um deren Vertrauen zu gewinnen, und diese Frau hatte es jetzt schon geschafft.

Dylan ging auf sie zu.

Alizas Mutter, die ebenfalls in dem Raum saß, blickte ihn an. „Hallo, Dr. Nelson.“

Als die Ärztin sich umwandte, ging er automatisch langsamer. Marcy.

Sofort schlug sein Herz schneller, und das nicht, weil er die Treppen hochgelaufen war. Er hätte nie damit gerechnet, Marcy Wingard je wiederzusehen, und nun war sie nach all den Jahren auf seiner Station aufgetaucht. Er hatte seit ihrer letzten Begegnung vor fünfzehn Jahren oft an sie gedacht und viele Frauen mit ihr verglichen.

Erschrocken sah er sie an, während sie ihn mit großen Augen anblickte. Ja, es waren dieselben grünen Augen. Darin lag jedoch ein argwöhnischer Ausdruck, den er nicht kannte. Sie wirkte genauso schockiert wie er.

„Dylan?“ Nun errötete sie. „Oh … Dr. Nelson?“

„Ja.“

Flüchtig blickte sie das Mädchen und dessen Mutter an. „Ich bin Dr. Montgomery. Man hatte mir gesagt, dass Sie kommen. Ich habe Aliza und ihrer Mutter gerade erzählt, dass ich mich heute Morgen auf dem Weg zum Krankenhaus verfahren habe.“

Montgomery? Oh ja. Offenbar hatte sie geheiratet. „Die Geschichte muss ich auch irgendwann mal hören.“ Dylan zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf Aliza zu richten. „Wie geht es dir heute?“

„Gut.“ Diese betrachtete ihre Hände.

Daraufhin hockte er sich neben sie. „Also, was ist hier los?“ Er betrachtete ihre dünnen Strähnen, die traurigen Überbleibsel ihrer ehemals wunderschönen blonden Locken. Seine Worte waren für Marcy bestimmt. Da seine Patienten ihm sehr am Herzen lagen, sollten andere Ärztinnen und Ärzte sie nicht während seiner Abwesenheit behandeln.

Außerdem nahm er es bei der Behandlung und ihm Umgang mit ihnen sehr genau. Beau, sein Zimmergenosse im Internat, war damals an Krebs erkrankt, und seine oftmals negativen Erfahrungen hatten ihn geprägt. Deshalb hatte er sich schon früh in seiner beruflichen Laufbahn geschworen, sich Zeit für seine Patienten zu nehmen und ihnen zuzuhören. Zum Glück hatte Beau die Krankheit überlebt, und sie telefonierten regelmäßig miteinander.

„Wir haben uns gerade kennengelernt“, informierte Marcy ihn nun.

Dylan stand auf. „Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen würden“, wandte er sich an Alizas Mutter. „Ich würde gern kurz mit … Dr. Montgomery sprechen.“

„Natürlich“, erwiderte diese.

Dylan ging zur Schwesternstation, und Marcy folgte ihm. Seit damals hatte er sie nicht mehr gesehen. Sie waren im letzten Studienjahr am College Laborpartner gewesen, und er hatte sich mehr gewünscht. Doch zu seiner großen Enttäuschung war nichts daraus geworden.

„Schön, dich zu sehen, Marcy.“ Er räusperte sich. „Das ist ja eine Überraschung.“

„Für mich auch.“

Für eine alte Freundin klang Marcy sehr förmlich. Sie waren einmal sehr gute Freunde gewesen.

Marcy sah immer noch so aus wie früher, nur einige Jahre älter. Sie war damals diejenige gewesen, die weggegangen war. Seitdem hatte er einige Beziehungen gehabt … Er war sogar einmal verlobt gewesen, aber seine Verlobte hatte kurz vor der Hochzeit mit ihm Schluss gemacht. Das tat immer noch weh.

„Hallo, Dylan. Ich hatte keine Ahnung, dass du hier arbeitest.“ Sie berührte ihr hochgestecktes kastanienbraunes Haar. Damals hatte sie es außer im Labor immer offen getragen.

Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie es seine Wange gestreift hatte, wenn sie sich über etwas gebeugt hatten. Nun trug sie es anscheinend kürzer.

Er hatte oft an Marcy gedacht, wenn er es am wenigsten erwartet hatte. Gelegentlich hatte er in den einschlägigen sozialen Medien nach ihr gesucht, um herauszufinden, was sie machte, aber immer nur berufliche Informationen gefunden.

„Du bist also die Ärztin, die in der Forschung arbeitet und die man mir angekündigt hatte.“

„Ja. Tut mir leid, dass ich das nicht erwähnt habe. Ich war so überrascht, dich zu sehen.“

„Dr. Nelson, können Sie bitte diesen Port überprüfen?“, wandte sich dann eine Schwester an ihn.

„Entschuldige mich kurz, Marcy.“ Dylan wandte sich ab, fast dankbar für die Chance, sich sammeln zu können.

„Darf ich mitkommen? Ich muss deine Patienten kennenlernen. Schließlich werde ich in den nächsten Wochen mit ihnen arbeiten.“

„Klar. Ich stelle dich ihnen vor.“ Wenn sie zu allen so nett war wie zu Aliza, konnte er sich entspannen. Am Bett der Patientin zog er sich einen Hocker heran und setzte sich darauf. „Hallo, Lucy. Wie geht es dir heute?“ Als das Mädchen lächelte, fuhr er fort: „Schwester Racheal sagt, ich soll mal deinen Port begutachten.“ Dann sah er Marcy an. „Stört es dich, wenn meine Freundin Dr. Montgomery auch einen Blick darauf wirft?“

„Das ist okay“, erwiderte das Mädchen.

Marcy trat neben ihn. „Ich habe noch nie erlebt, dass ein Port so platziert ist“, sagte sie mit einem missbilligenden Unterton.

Dylan ignorierte sie, denn das wollte er nicht in Gegenwart einer Patientin mit ihr besprechen. „Lucy, ich taste die Stelle um den Zugang herum jetzt ab. Sag Bescheid, wenn es wehtut.“ Langsam drückte er die Fingerspitzen im Uhrzeigersinn auf die Haut.

Schließlich zuckte Lucy zusammen. „Ja, da tut es weh.“

„Das sollten wir uns mal genauer ansehen.“ Aufmunternd lächelte er sie an. „Wir treffen uns in ein paar Minuten im Labor. Ich ziehe den Port und lege dir in einigen Wochen einen neuen.“

„Heißt das, wir müssen bis zur Chemotherapie noch warten?“, fragte ihre Mutter Mrs. Baker.

„Leider ja. Ich weiß, es wirkt wie ein Rückschritt, aber es ist ja nur für ein paar Wochen“, erwiderte er. „Ich lasse dich abholen, wenn ich fertig bin“, fügte er an Lucy gewandt hinzu.

Im Labor angekommen, fragte Marcy ihn leise: „Warum hat man den Port so gelegt?“

Dylan wandte sich zu ihr um. „Das wurde in einem anderen Krankenhaus gemacht. Ihre Mutter hat Lucy hierherverlegen lassen, weil sie sich dort nicht wohlgefühlt hat. Und da sie schon so viel durchgemacht hat, sollte der Port vorerst drinbleiben. Ich hatte sie gewarnt, dass er sich infizieren könnte. Wir ziehen ihn und versuchen es mit Antibiose. Wenn du dabei sein möchtest, musst du OP-Kleidung anziehen.“

Fünfzehn Minuten später stand Marcy regungslos neben ihm. Aus irgendeinem Grund wirkte sie unbehaglich. Lucy und ihre Mutter saßen mit unglücklichen Mienen an der Wand.

Nun wandte er sich wieder an seine Patientin. „Leider brauchst du einen neuen Port.“ Als sie zu weinen begann, fuhr er fort: „Vertrau uns. Wir kümmern uns darum.“

Mrs. Baker nickte. „Wir vertrauen darauf, dass Sie wissen, was das Beste ist.“

Er lächelte sie an, bevor er sich wieder an Lucy wandte. „Leg dich doch bitte auf die Liege hier, Lucy.“ Zu ihrer Mutter sagte er: „Bitte gehen Sie so lange in den Wartebereich. Es dauert nur ein paar Minuten.“

Nachdem diese ihre Tochter noch einmal geküsst hatte, verließ sie den Raum. Mit Tränen in den Augen legte Lucy sich auf die Liege. Zwei Schwestern in steriler Kleidung kamen herein.

Dylan lächelte seine Patientin an. „Dr. Montgomery ist heute bei mir, okay?“

Sie nickte. „Das ist okay.“

Marcy trat an die Liege. „Soll ich deine Hand halten? Mir hilft das immer.“ Als sie ihr die Hand entgegenstreckte, ergriff Lucy sie. „Wenn es wehtut, drück sie einfach.“

Wohlwollend registrierte Dylan ihre liebevolle Art. Als hätte Marcy so etwas auch schon einmal durchgemacht. „Es dauert nicht lange, aber erst muss ich dich ein bisschen schläfrig machen, wie beim letzten Mal.“

Er bereitete das Schmerzmittel vor und begutachtete dann die Stelle um den Port, nachdem die Schwestern die Schutzfolie entfernt hatten. Schließlich betrachtete er Marcy. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Mädchen.

Das beeindruckte ihn. Die meisten Ärztinnen und Ärzte, die in der Forschung arbeiteten, verbrachten so viel Zeit im Labor, dass ihnen die Empathie für die Patienten fehlte. Bei Marcy verhielt es sich offenbar ganz anders.

Sobald Lucy eingenickt war, zogen sie zusammen den Port, assistiert von den beiden Schwestern.

„Wann kann sie den neuen Port bekommen?“, fragte Marcy anschließend.

„Frühestens in drei Wochen.“

„Kannst du ihn nicht früher legen? Das Warten wird schrecklich sein, und ihre Eltern werden bestimmt in Panik geraten. Wie konnte das nur passieren?“

„Wir müssen Geduld haben, Marcy. So etwas kommt nicht oft vor, aber die Antibiose muss wirken. Ich werde den neuen Port unterhalb von diesem legen.“ Dylan wandte sich an eine der Schwestern. „Würden Sie der Mutter bitte ausrichten, dass sie sich zu Lucy setzen kann, bis sie aufwacht? Ich möchte Lucy Donnerstag wieder sehen.“

„Ich kümmere mich darum.“ Die Schwester verließ den Raum.

Im nächsten Moment erklang aus dem Infusionsraum rhythmisches Rappen. Ein Teenager sang, und andere stimmten ein.

„Was ist das?“, fragte Marcy.

Nachdem sie ihre sterile Kleidung ausgezogen hatten, kehrten sie in den Infusionsraum zurück. Ein dunkelhäutiger Junge rappte, und mehrere andere Teenager stimmten ein. Es klang fantastisch. Strahlend beendeten sie den Song, indem sie mit der Hand auf ihre Armlehne schlugen. Alle im Raum klatschten begeistert Beifall.

„Sie sind richtig gut“, meinte Marcy.

„Ja. Aber warte nur ab, bis sie einen Song über dich singen“, erwiderte Dylan grinsend. „So, jetzt muss ich mich um die anderen Chemopatienten kümmern, danach habe ich Sprechstunde. Du kannst mich gern begleiten. Es wäre eine gute Gelegenheit für dich, alle kennenzulernen und einen Blick auf die Werte zu werfen.“

„Gern. Ich begutachte so viele Akten, wie ich kann, und bestimme danach die Medikation für die Versuchsreihe am Montag.“

„Klingt nach einem Plan.“

Marcy betrat hinter Dylan den Raum. Sie hätte nicht mehr überrascht sein können, als sie erfuhr, dass er die Kinderkrebsstation leitete, auf der sie ihre Versuchsreihe durchführte. Niemals hätte sie damals für möglich gehalten, dass sie beide sich auf Onkologie spezialisieren würden. Das Leben nahm manchmal seltsame Wege. Das wusste sie besser als viele andere.

Nun ging Dylan zu dem Patienten, der rechts von Lucy gesessen hatte, und wandte sich an sie. „Macht es dir etwas aus, hier kurz zu warten? Dan ist zehn und besonders sensibel. Das hier ist sehr stressig für ihn, und ich möchte ihn nicht aufregen. Ich rede erst mit ihm und stelle dich ihm danach vor.“

Marcy nickte. Sie konnte es gut verstehen, denn ihr Sohn Toby hatte früher auch oft gefremdelt. Nachdem Dylan sie mit seinen dunkelbraunen Augen angesehen hatte, nickte er ebenfalls unmerklich.

Dan saß in dem Sessel direkt am Fenster, einen Infusionsständer neben dem Bett und einen kleinen Flachbildfernseher an der Wand gegenüber.

Dylan zog einen Hocker heran. „Wie geht es dir heute, Dan?“

„Ganz gut.“

„Nur ganz gut?“ Dylan nahm sein Stethoskop vom Hals. Dann ließ er den Blick zu ihr schweifen. „Das ist Dr. Montgomery. Sie hilft uns hier ein paar Wochen. Sie würde dich gern kennenlernen. Du magst sie bestimmt. Ist es in Ordnung, wenn sie dazukommt?“

Nachdem der Junge sie einen Moment lang betrachtet hatte, nickte er. Hätte Dylan sie weggeschickt, wenn er Nein gesagt hätte? Vermutlich schon. Seine Patienten lagen ihm sehr am Herzen. Das gefiel ihr. Tobys Arzt war auch so gewesen. Es war schön, zu wissen, dass ein Arzt zuerst an seine Patientin dachte und sie wie Menschen behandelte.

Nun winkte Dylan sie zu sich. „Dan, ich möchte dir Dr. Montgomery vorstellen.“

„Hallo, Dan.“ Marcy lächelte, während ihre Brust sich zuschnürte. Toby wäre jetzt ungefähr so alt wie dieser Junge, wenn er überlebt hätte. Sie hatte ihm nicht helfen können, doch sie glaubte, die Antwort darauf zu haben, um diesem Kind noch viele Jahre schenken zu können.

„Hallo“, grüßte er matt.

„Wie geht es dir?“ Marcy zog ebenfalls einen Hocker heran und setzte sich neben Dylan.

Du schaffst das.

Sie hatte nicht damit gerechnet, so viel Kontakt zu den Patienten zu haben. Dylan kannte alle Kinder mit Vornamen. Wie ging er damit um, wenn er einen Patienten verlor?

Nun betrachtete er die Infusion mit den Chemotherapeutika. „Lenkst du dich normalerweise nicht mit einem Videospiel ab?“

Der Junge verzog den Mund. „Sie haben vergessen, mir die Konsole zu bringen. Aber ich werde sowieso ziemlich schnell müde und nicke dann ein.“

Marcy blinzelte. Nach der Chemotherapie war Toby auch immer sehr müde gewesen und hatte viel geschlafen.

„Ich bitte eine Schwester, dir eine zu bringen, falls du doch spielen möchtest.“ Dylan tätschelte ihm die Schulter. „Dein erster Chemozyklus ist in wenigen Wochen beendet. Dann kannst du wieder zur Schule gehen.“

Dan warf ihm einen traurigen Blick zu. „Hoffentlich erinnern meine Freunde sich noch an mich.“

„Bestimmt“, sagte sie, ohne zu überlegen.

Ein warmer Ausdruck flackerte in seinen Augen auf, bevor Dylan sich wieder an Dan wandte. „Es sieht alles gut aus. Wir sehen uns dann nächste Woche.“

„Ich bin hier. Mom sagt, ich habe keine andere Wahl.“

Nun lachte Dylan. „Moms bringen uns dazu, Dinge zu tun, die wir nicht wollen.“

„Bye, Dan. Es war schön, dich kennenzulernen.“ Beklommen folgte Marcy ihm zu dem nächsten Patienten. Während sie die Runde im Raum machten, wurde ihr immer schwerer ums Herz, doch sie ließ es sich nicht anmerken. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Kinder und deren Gespräche mit Dylan.

Die letzte Patientin war eine Siebzehnjährige. Ihr strahlendes Lächeln ließ erahnen, dass sie für Dylan schwärmte.

„Hallo, Mindy. Wie geht es dir?“ Dylan lächelte ebenfalls strahlend.

Prompt errötete sie und berührte ihr Kopftuch. „Ziemlich gut.“

„Das ist immer schön zu hören. Das hier ist Dr. Montgomery. Sie wird mir für einige Wochen helfen. Macht es dir etwas aus, wenn sie dich einmal ansieht?“

Nun lächelte Mindy nicht mehr so strahlend. Offenbar wollte sie lieber von ihm untersucht werden. „Ja, das ist okay.“

Marcy überprüfte die Infusion. „Jetzt muss ich dich kurz untersuchen, Mindy“, verkündete sie anschließend.

Mindy zupfte an ihrem verwaschenen Krankenhausnachthemd. „Okay. Diese Nachthemden sind wirklich schick. Wenn ich wieder gesund bin, werde ich ein paar schöne Modelle entwerfen, damit Krebspatienten auch gut aussehen.“

Während Marcy ihre Herztöne abhörte, ging ihr durch den Kopf, dass sie sich noch nie Gedanken über Krankenhauskleidung für Patienten gemacht hatte. Diese war wirklich hässlich. „Gute Idee.“

„Ich habe schon Entwürfe gemacht. Möchten Sie sie mal sehen?“

„Klar.“ Nun hörte Marcy ihre Lunge ab und fühlte ihr den Puls.

Dann ließ sie den Blick zu der Mutter des Teenagers schweifen. Sie kannte diesen schmerzlichen Ausdruck in den Augen der Eltern nur zu gut. Es erinnerte sie zu stark an ihre eigene Geschichte. Dennoch wollte sie sich ihren Kummer nicht anmerken lassen. Sie hatte hier eine Aufgabe, und die wollte sie gut machen.

Damals war sie auch wie Mindys Mutter gewesen. Hatte in ständiger Angst gelebt. Wenn sie sich so sehr auf die Patientin einließ wie Dylan, konnte sie sich dann weiter zusammenreißen? Das würde sich in den nächsten Wochen zeigen. Nach all dieser Zeit hatte sie geglaubt, es wäre kein Problem und sie könnte die Arbeit und den Umgang mit den Patienten voneinander trennen.

Nachdem Dylan Mindys Werte eingetragen hatte, überprüfte er zweimal den Durchfluss. „Heute siehst du gut aus. Wir sehen uns nächste Woche. Jetzt hast du nicht mehr so viele Wochen.“

„Das hoffe ich. Für das letzte Schuljahr ist es nicht so gut.“

Lächelnd tätschelte er Mindy den Arm. „Nein, aber es ist leider nötig. Allerdings hast du eine gute Einstellung. Bereite dich auf den Abschlussball vor.“

„Wer will denn mit mir auf den Ball gehen? Ich habe ja nicht mal Haare.“

„Bis dahin wirst du wieder welche haben.“

Sie wirkte nicht überzeugt. „Hoffentlich.“

Marcy beugte sich zu ihr hinüber. „Ich würde ihm glauben. Ich kenne ihn schon lange.“

Nun lächelte der Teenager.

Nach der Visite fragte Dylan: „Hast du Lust, mit mir mittagzuessen? Wir haben uns sicher eine Menge zu erzählen.“

Marcy schüttelte den Kopf. „Das würde ich gern, aber ich muss einige Anrufe erledigen und noch einiges überprüfen, bevor ich mit der Versuchsreihe anfange.“

„Okay.“ Sichtlich enttäuscht presste er flüchtig die Lippen zusammen. „Dann vielleicht später. Wir treffen uns hier in einer Stunde.“

„Bis dann.“ Sie ging in den kleinen Raum, den man ihr als Büro zur Verfügung gestellt hatte.

Es war schön, dass sie Dylan hier wieder getroffen hatte. Er war noch immer so attraktiv wie damals, aber etwas kräftiger gebaut. Und er lächelte immer noch so viel wie früher. Vielleicht hatte sie das am meisten vermisst.

Es hatte sie schon große Überwindung gekostet hierherzukommen. Hätte sie diese Gelegenheit nicht ergriffen, würde das Krebsmedikament, an dessen Entwicklung sie schon seit Jahren arbeitete, vielleicht nicht auf den Markt kommen. Sie hatte dafür sogar ihre Urlaube geopfert. Es musste einfach erfolgreich sein. Und wenn es der Fall war, würde man sie vielleicht befördern und sie könnte sich in Zukunft ganz der Krebsforschung widmen.

Als Marcy später den Flur entlangging, sah sie Dylan vor dem Infusionsraum stehen. Er war wirklich sehr attraktiv. Und woher kam dieser Gedanke? Schon seit Jahren hatte sie keinen Mann mehr wahrgenommen, weil sie sich meistens im Labor aufhielt.

„Die Sprechstunde findet in dem Gebäude auf der anderen Straßenseite statt“, informierte er sie, und sie gingen los. „Ich hatte noch nicht mal Gelegenheit, dich zu fragen, wie es dir in der Zwischenzeit ergangen ist. Ich fasse es immer noch nicht, dass du hier bist.“

„Mir geht es gut.“ Sie würde ihm nicht erzählen, dass sie ein Kind durch Krebs verloren hatte oder ihre Ehe gescheitert war.

„Du kannst toll mit den Kindern umgehen. Ich habe mich gefragt, wie viel Erfahrung du mit der Arbeit im Krankenhaus hast.“

Marcy zuckte die Schultern. „Nicht viel. Du weißt ja, wir verlassen nur selten das Labor.“ Die Arbeit war zu ihrem Lebensinhalt geworden. Sie hatte ihr das Leben gerettet. „Warum?“

„Ich weiß, es klingt so, als würde ich dich kontrollieren, aber ich muss es trotzdem sagen.“ Dylan atmete tief durch. „Die meisten der Patienten, die wir gleich sehen werden, haben Angst. Ihre Eltern auch. Und wenn noch eine fremde Person in ihr Leben tritt, könnte es zu viel für sie werden.“

„Das verstehe ich.“ Das musste er ihr nicht sagen. Sie erinnerte sich zu gut an ihre eigene Angst.

„Und benutz bitte keine Fachausdrücke.“

„Ich habe nicht die Absicht, deine Patienten zu verängstigen, aber ich muss Kontakt mit ihnen haben, um meine Forschungsarbeit zu vervollständigen. Ich stehe unter Zeitdruck. Irgendwann muss ich sie befragen. Und ich kann dich nicht jedes Mal um Erlaubnis bitten, wenn ich mit einem von ihnen reden muss.“

Nun blieb er stehen. „Das verstehe ich. Man muss nur behutsam mit ihnen umgehen.“ Dann ging er weiter.

Marcy beeilte sich, um mit ihm Schritt zu halten. „Krebs ist eine schlimme Krankheit. Was ich von deinen Patienten lerne, kann andere retten.“

„Ich möchte diese Patienten retten, und das, ohne ihnen weitere seelischen Narben zuzufügen.“

Mit seelischen Narben kannte sie sich aus. „Ich verspreche dir, deinem Beispiel zu folgen.“ Das würde sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten tun. Ihre Arbeit war auch wichtig. Sie musste dieses Medikament testen, damit diese Kinder im Gegensatz zu anderen eine Überlebenschance hatten. Anderen wie Toby.

2. KAPITEL

Einige Minuten später folgte Marcy Dylan einen Flur entlang, in dem sich auf jeder Seite kleine Untersuchungsräume befanden. Vor der ersten geschlossenen Tür wartete eine Schwester in einem blauen Kasack auf sie.

Nachdem Dylan das Tablet von ihr entgegengenommen hatte, ging sie zur Schwesternstation.

Marcy blickte ihr nach. „Die Kleidung ist hier zwangloser, als ich dachte.“

„Du hast ja sicher vom Weißkittelsyndrom gehört. Deswegen tragen wir hier absichtlich keine weißen Kittel.“

„Dann bin ich ja froh, dass ich meine zu Hause gelassen habe.“

Dylan sah sie an. „Wo ist zu Hause?“

„Cincinnati.“

„Ich mag den Park unten am Fluss.“ Er blickte wieder auf das Tablet.

„Ja, der soll schön sein.“ Sie war noch nie dort gewesen. Entweder war sie im Labor oder zu Hause und schlief.

Nun reichte er ihr das Tablet. Die Patientin Kristen Moore war von einem weiter entfernten Krankenhaus hierherverlegt worden. Als sie den Raum betraten, wirkten sie und ihre Eltern verängstigt.

Marcy bewunderte Dylan, weil er ständig mit Menschen zu tun hatte, die schlechte Nachrichten erwarteten. Damals hatte sie auch zu diesen gehört. Sie hätte das nicht jeden Tag tun können. Man musste ein ganz besonderer Mensch sein, um Mitgefühl zu zeigen, während man schlechte Neuigkeiten überbrachte.

Dylan war schon damals so gewesen. Er war sehr klug, und sie hatte sich immer auf die Arbeit mit ihm im Labor gefreut. In gewisser Hinsicht war er einer der Gründe dafür gewesen, dass sie in die Forschung gegangen war. Er war noch genauso herzlich und locker wie früher, wirkte allerdings auch reifer. Nur wenn er damals von seinen Eltern gesprochen hatte, war er anders gewesen.

Während sie damals ständig von ihrer Familie geredet hatte, hatte er seine Eltern erst nach zwei Monaten erwähnt. In dem Moment hatte sie schon seine Einsamkeit wahrgenommen. Er hatte gesagt, er würde in den Semesterferien nicht nach Hause fahren, weil die beiden als Missionare in Südamerika arbeiteten. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, ihn zu sich nach Hause einzuladen, aber davon wäre Josh nicht begeistert gewesen.

Marcy presste die Lippen zusammen. Josh und sie waren schon auf der Highschool ein Paar gewesen, und ihre Familien waren befreundet. Irgendwann hatten ihre Mütter ihre gemeinsame Zukunft geplant – sie sollten beide aufs College gehen und Josh danach arbeiten und sie weiter Medizin studieren. Sie würden ein Haus kaufen und zwei Kinder bekommen, einen Jungen und ein Mädchen. Und sie hatte ihm Versprechungen gemacht, obwohl sie sich schon ein wenig für Dylan interessiert hatte.

Letztendlich hatte sie die Pläne ihrer Familien nicht wegen eines Dates ruinieren wollen und es deshalb mit Dylan nicht weitergehen lassen. Mehr als einmal hatte sie sich gefragt, was wäre, wenn. Aber sie war Josh treu geblieben.

Der Klang von Dylans Stimme brachte sie in die Gegenwart zurück. „Ich bin Dr. Nelson. Wie geht es dir heute? Wie ich sehe, lebst du in Columbus. Bist du Fan von Georgia oder Auburn?“

„Auburn natürlich. War Eagle!“

Dylan lachte, und der Klang seiner maskulinen Stimme wärmte Marcy. „Na, dann weiß ich jetzt ja, wo du stehst.“

Sie hatte keine Ahnung, wovon die beiden sprachen, doch die Miene des Mädchens hellte sich auf, und nur das war wichtig.

„Darf ich deine Herztöne abhören?“ Nachdem er ihr Herz und Lunge abgehört hatte, tastete er vorsichtig ihre Lymphknoten am Hals ab. Marcy beobachtete, wie er unmerklich die Lippen zusammenkniff. „Das hier ist Dr. Montgomery. Darf sie dich auch untersuchen?“

Nachdem Kristen genickt hatte, tastete Marcy ebenfalls ihre Lymphknoten ab. Und spürte einen Knoten hinter dem Ohr. Warum hatte sie das nicht mit Toby machen können? Sie begegnete Dylans Blick.

Er nickte unmerklich, bevor er das Mädchen fragte: „Wie viel Eis kannst du essen?“

„Eine Menge.“

„Gut. Heute Abend gibt es hier im Krankenhaus Eiscreme satt. Du musst hierbleiben und uns beim Essen helfen. Bist du damit einverstanden?“

Kristen blickte ihre Eltern an, die ihn wenig begeistert betrachteten. „Kann ich?“

Bevor die beiden antworten konnten, sagte er sanft: „Wir müssen einige Untersuchungen bei Kristen machen.“

Die beiden wirkten nun so gequält, dass Marcys Herz sich zusammenkrampfte.

„Eine Schwester zeigt dir gleich, wo du heute Abend hinkommen musst.“ Nachdem er sich Notizen auf dem Tablet gemacht hatte, lächelte er Kristen an. „Morgen möchte ich wissen, wie viel Eis du geschafft hast.“

Wenige Minuten später folgte Marcy ihm aus dem Raum. „Das hast du gut gemacht, Dr. Nelson. Du hast sie abgelenkt.“

„Danke. Aber ich mag gar nicht daran denken, was vor ihr liegt.“

„Warum hast du dich dann für die Onkologie entschieden?“

„Weil ich auf dem Internat einen Freund hatte, der an Krebs erkrankt war. Ich erinnere mich noch gut an seine Angst. Er hat mir viel von seinen Erfahrungen berichtet. Dass die Ärzte ihn wie ein Versuchskaninchen behandelt haben. Dass er wünschte, sie würden ihn als Mensch sehen. Mit ihm und nicht über ihn reden, damit er alles versteht. Und ihm vor allem die Wahrheit sagen. Ich habe mir geschworen, es nie zu vergessen.“

„Wie geht es ihm jetzt?“

„Toll. Er hat eine Frau und Kinder. Aber die Krebserkrankung hat sein Leben verändert.“

„Ja, das macht Krebs.“ Das wusste sie nur zu gut.

Dylan warf ihr einen fragenden Blick zu, während er zum nächsten Raum ging. „Und warum hast du dich für die Krebsforschung entschieden?“

„Aus demselben Grund wie du. Um Kindern zu helfen.“ Allerdings verschwieg sie ihm, dass es jetzt eine Art Wiedergutmachung für sie war. Dass sie die Schuldgefühle damit in Schach halten wollte. „Und für ihre Eltern. Sie leiden auch.“

„Ja, das tun sie. Manchmal mehr als die Patienten.“ Offenbar sprach er aus Erfahrung.

Den restlichen Nachmittag verbrachten sie mit der Sprechstunde. Bei vielen Patienten mussten Laborwerte bestimmt werden, und sie sollten in drei bis sechs Monaten wiederkommen. Manche hatten die Behandlung überstanden und kamen zur Nachsorge. Marcy konnte nicht leugnen, dass sie danach erschöpft war. Und sie musste noch in ihr Büro gehen und mit der Aufstellung der Patienten beginnen, die sich für die Studie eigneten, außerdem ihre Mails lesen und in ihrem Labor anrufen.

„Hast du für das Wochenende schon Pläne? Vielleicht sollte ich dich in Atlanta willkommen heißen. Mit dir essen gehen oder so. Schließlich sind wir alte Freunde“, sagte Dylan auf dem Weg ins andere Gebäude.

„Ich wünschte, ich könnte, aber ich habe eine Menge zu tun. Vor allem nach der Sprechstunde heute.“

„Okay. Aber du kennst ja das alte Sprichwort, das besagt, dass zu viel Arbeit und kein Vergnügen und keine Mahlzeiten einen langweiligen Arzt ausmachen.“

Nun musste Marcy lächeln. „Ich glaube, das lautet anders, aber ich weiß, was du meinst. Trotzdem muss ich arbeiten.“

Als sie wenige Minuten später die Tür zu ihrem Büro hinter sich schloss, zitterten ihre Hände. Sie atmete einige Male tief durch, um sich zu beruhigen. Mit jedem neuen Patienten war es ihr schwerer gefallen, ihre Gefühle zu verbergen. Dylan wäre bestürzt gewesen, wenn sie in Tränen ausgebrochen wäre. Sie hatte nicht für möglich gehalten, dass es emotional so schwierig sein würde, das Labor zu verlassen. Allerdings hatte ihre Nervosität sich im Laufe des Nachmittags gelegt, und sie war zuversichtlicher geworden. Hier verstand sie die Eltern und die Patienten.

Wenn ihre Studie erfolgreich sein sollte, musste sie sie durchziehen. Dies war nicht ihre einzige Chance auf Beförderung, doch Marcy glaubte, TM13 würde den Kindern zur Heilung verhelfen. Sie würde sechs Wochen in der Stadt bleiben, aber wenn sie die Zahlen für drei Monate einreichte, würde sie wohl die Genehmigung der Food and Drug Administration bekommen.

Am Montagmorgen kehrte Dylan in sein Büro im Krebszentrum zurück. Am Wochenende hatte er an seinem Wagen gearbeitet und sich einige Footballspiele angesehen und dabei ständig über ihre Rückkehr in sein Leben nachgedacht. Marcy hatte ihm damals das Herz gebrochen, es allerdings nie erfahren.

Er hatte schon früh im Leben gelernt, seine Gefühle nicht zu zeigen. Nur wenige wussten, wie sehr er seine Eltern auf dem Internat vermisst hatte oder wie sehr er unter Beaus Krebserkrankung gelitten hatte. Als er Marcy begegnete, hatte er gelernt, seine wahren Gefühle zu verbergen. Nicht, dass diese sie interessiert hätten, denn sie war liiert gewesen. Und nun hatte sie vermutlich einen Ehemann und Kinder, die auf ihre Rückkehr warteten.

Das alles ging ihn jedoch nichts an. Sie waren lediglich Kollegen. Dennoch fragte er sich, wie es Marcy seit ihrer letzten Begegnung ergangen sein mochte. Und er fand sie immer noch attraktiv.

Dylan saß gerade in seinem Büro und beantwortete einige Mails, als es klopfte.

„Hallo“, grüßte Marcy.

Heute trug sie kein Kostüm, sondern eine schlichte Bluse, eine schmal geschnittene Hose und flache Schuhe. So gefiel sie ihm besser, denn sie wirkte zugänglicher. Allerdings war sie zu dünn.

Sie blieb auf der Schwelle stehen. „Tut mir leid, dass ich störe.“

„Du störst nicht. Du bist ja früh hier. Kann ich dir helfen?“

„Ich habe nur ein paar Fragen über einige deiner Patienten.“

Er deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Was möchtest du wissen?“

Nachdem sie sich gesetzt hatte, klappte sie ihr Tablet auf. „Erzähl mir von Roger Harris. Er scheint sich gut für die Studie zu eignen.“

„Ja, das glaube ich auch. Er fängt gerade mit der Chemo an.“

Sie machte sich Notizen. „Was ist mit Rena McCray?“

„Ich glaube nicht.“ Er stützte das Kinn in die Hände. „Dies ist ihr zweiter Zyklus. Sie spricht nicht gut auf die Behandlung an.“

„Dann könnte sie gerade von TM13 profitieren.“

Dylan dachte kurz darüber nach. „Ich sehe mir ihre neuesten Werte noch mal an und sage dir Bescheid.“

„Robert Neels.“

„Robby.“

„Er scheint auf dem Wege der Besserung zu sein, aber seine Laborwerte waren letztes Mal nicht gut.“

„Nein. Wie viele Kandidaten hast du denn?“

„Ich habe heute Morgen die Akten von dreiundzwanzig Patienten studiert.“ Marcy blickte wieder auf ihr Tablet.

Nun rollte Dylan mit dem Stuhl zurück. „Hast du das ganze Wochenende hier gearbeitet?“

„Fast. Ich möchte endlich mit der Studie beginnen.“

Besorgt blickte er sie an. „Ist irgendetwas so dringend, dass du das ganze Wochenende arbeiten musstest und heute auch noch so früh erschienen bist?“

„Nur die Patienten wie zum Beispiel das hübsche Mädchen im Infusionsraum. Mich wundert, dass sie immer noch Träume hat. Ich glaube, TM13 kann ihr helfen.“

„Ich habe schon eine sehr hohe Erfolgsquote“, verteidigte er sein Programm.

„Das weiß ich. Aber mir ist auch klar, wie schwierig es ist.“

Ernsthaft nickte er. Er konnte ihren Tonfall nicht deuten. „Das stimmt. Du bist den Umgang mit den Patienten schlichtweg nicht gewohnt. Wenn man im Labor arbeitet, ist Krebs eher etwas Abstraktes. Aber wenn man mit ihnen zu tun hat, wird es persönlich, besonders wenn es sich um Kinder handelt.“

„Du hast heute Nachmittag wieder Sprechstunde?“

„Ja.“

Nun blickte Marcy zu ihm auf. „Ich bin dabei. Und sobald wir alle Einverständniserklärungen haben, kann ich mit der neuen Versuchsreihe beginnen.“

Dylan lehnte sich zurück. „Wir können es heute mit den Eltern besprechen.“

Sie klappte das Tablet zusammen. „Prima. Heute Abend sehe ich mir noch einmal alle Werte an.“

Dylan runzelte die Stirn, schwieg jedoch. Er arbeitete auch viel, aber sie setzte dem Ganzen die Krone auf.

„Wollen wir uns wieder drüben treffen?“, fragte sie.

„Ich hole dich ab. Heute sind wir in einem anderen Gebäudeteil. In was für ein Loch haben sie dich eigentlich gesteckt?“

Marcy blickte sich in seinem Büro um. „In den Raum neben dem Besprechungsraum.“

Ungläubig betrachtete er sie. „In die Abstellkammer? Es gibt doch sicher etwas Besseres.“

„Es ist natürlich nichts im Vergleich zu deinem Palast hier, aber es reicht.“

Nun musste er grinsen. Sein Büro war allenfalls funktional, aber groß. „Ah, das ist wieder die Marcy, an die ich mich erinnere. Sie weist mich in meine Schranken.“ Seltsamerweise mochte er diese Seite an ihr. Zu sehr.

Allerdings vermisste er ihre Lebensfreude, die Marcy vor allem während der Abschlussfeier gezeigt hatte. Er hatte nur an der Zeremonie teilgenommen, um sie ein letztes Mal sehen zu können. Und da aus seiner Familie niemand erschienen war, hatte er den Tag mit ihr gemeinsam erleben wollen.

Er hatte sie in einer Gruppe entdeckt und war auf sie zugeeilt. Aber sie hatte ihn nicht gesehen und war dann auf einen Mann zugelaufen, der auf der anderen Seite erschienen war. Vermutlich war es ihr Freund gewesen, von dem sie ihm erzählt hatte, als er sie gefragt hatte, ob sie mit ihm ausgehen wollte. Daraufhin war er schnell wieder in der Menge untergetaucht.

Es war nicht ihre Schuld, dass er an dem Tag so gelitten hatte. Eins war allerdings sicher. Er würde nicht zulassen, dass sie ihm das noch einmal antat.

Zwei Tage später klopfte es, und Dylan erschien auf der Schwelle zu ihrem Büro. „Mittagszeit. Möchtest du …?“ Dann machte er ein gespielt entsetztes Gesicht. „Das ist ja schrecklich hier. Wie kannst du hier überhaupt arbeiten?“

„So schlimm ist es gar nicht.“

„Du hast aber eine dehnbare Vorstellung von schlimm.“

Marcy lachte. „Du sagtest etwas von Essen?“

„Ich wollte dich fragen, ob du mit mir in die Cafeteria gehen möchtest.“

Sie musste zugeben, dass sie hungrig war. Und neugierig, was sein Leben nach dem College betraf. War er verheiratet? Bisher hatte er keine Familie erwähnt. Sie hatte ihn immer für den Typ gehalten, der sich eine wünschte.

Dylan ließ den Blick durch den Raum schweifen, in dem auf beiden Seiten Regale standen. „Du brauchst mehr Platz. Ich habe eine Idee. Ich bin nicht viel in meinem Büro. Du kannst es gern mitbenutzen. Und wenigstens wirst du dort nicht ständig gestört, wenn die Leute Büromaterial holen.“

„Ich kann dein Büro nicht nehmen“, entgegnete sie schnell.

„Du bist doch nur ein paar Wochen hier. Ich bestehe darauf.“

Ein Büro mit Dylan zu teilen war wohl keine gute Idee, doch wenigstens würde man sie dort nicht ständig stören. „Na gut, wenn du darauf bestehst.“

Er zuckte die Schultern. „Okay. Du kannst bei der ersten Gelegenheit umziehen. Kommst du jetzt mit essen?“

Marcy lächelte schwach. „Wenn ich mich recht entsinne, hast du auf dem College vor allem ans Essen gedacht.“

Nun wurde er ernst. „Ich habe auch an andere Dinge gedacht. Aber ich esse nun mal gern.“ Dann lächelte er wieder.

In der gut besuchten Cafeteria setzten sie sich gegenüber auf die orangefarbenen Plastikstühle.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du nach all den Jahren in meinem Krankenhaus auftauchst. Und dann noch in meiner Abteilung. Was hast du die ganze Zeit gemacht?“ Dylan klang interessiert.

„Vermutlich dasselbe wie du. Medizinische Hochschule, Facharztausbildung, und dann habe ich angefangen zu arbeiten.“ Marcy aß etwas Salat.

„Wo hast du deine Facharztausbildung gemacht?“ Er biss von seinem Sandwich ab.

„Duke.“

Nun zog er die Brauen hoch. „Beeindruckend. Sie leisten dort hervorragende Arbeit.“

„Ja.“ Sie entspannte sich ein wenig und aß weiter.

„Hast du dich in North Carolina wohlgefühlt?“

Josh hatte dort bei einem der zahlreichen Hightechunternehmen angefangen, während sie ihre Facharztausbildung gemacht hatte. Es wäre auch der ideale Ort für eine Familie gewesen. Eigentlich hatte sie nie zurückkehren wollen. „Ja. Aber was ist mit dir? Wo hast du Medizin studiert?“

„An der New York University.“

„Das ist auch beeindruckend“, erwiderte sie lächelnd. Mit seiner Abschlussnote hätte er überall einen Platz bekommen. „Wer hätte gedacht, dass zwei Kinder in einem Laborkurs an einem kleinen College im mittleren Westen beide mal Ärzte werden und in der Onkologie arbeiten?“

„Die Welt ist klein.“ Dylan biss wieder von seinem Sandwich ab. „Warum bist du in die Forschung gegangen?“

„Ich habe schon immer gern im Labor gearbeitet. Krebs muss ausgelöscht werden“, erwiderte sie ausdruckslos. Sie wagte es nicht, Gefühle zu zeigen, aus Angst, völlig die Fassung zu verlieren.

„Dann täuscht mich wohl mein Gedächtnis. Auf dem College warst du nie gern im Labor.“

„Sagen wir, ich habe die Arbeit zu schätzen gelernt.“ Seinetwegen. Seinetwegen hatte sie sich darauf gefreut, ins Labor zu gehen. Da sie im Begriff gewesen war, sich mit Josh zu verloben, hätte sie nicht so empfinden dürfen.

„Ich dachte immer, du wärst gern mit Menschen zusammen und würdest später mehr mit Patienten arbeiten.“ Forschend betrachtete Dylan sie.

„Ich kann nicht so gut mit ihnen umgehen wie du. Du hast ihnen schon damals immer das Gefühl vermittelt, dass du sie wertschätzt.“

Nun grinste er. „Deinetwegen war es mein Lieblingskurs. Wir hatten eine schöne Zeit.“

Marcy lächelte. Es war zu lange her, seit sie zuletzt an jene sorglosen Tage gedacht hatte. Die Zeit vor …

„Stimmt.“

Er nickte. „Und nach dem Studium hast du bei CanMed angefangen? Oder hast du vorher noch etwas anderes gemacht?“

Sie schob ihren halb leeren Teller zurück. „Die haben mich sozusagen direkt von der Uni engagiert.“ Sie hatte den Job unbedingt haben wollen. Der Wunsch, ein Mittel gegen den Krebs zu finden, hatte sie schon damals angetrieben.

Dylan lehnte sich zurück. „Und deshalb bist du hier.“

„Ja. Die Leitung deiner Klinik hat sich bereit erklärt, an der Studie teilzunehmen.“

Jetzt trank er einen Schluck. „Und TM13 ist anscheinend eine Behandlungsmethode mit weniger Nebenwirkungen und besseren Ergebnissen.“

Marcy sah ihm in die Augen. „Ja. Mein Team hat das Medikament entwickelt.“ Sie hörte selbst, wie stolz sie klang.

„Beeindruckend“, meinte er grinsend.

„Im Labor sind die Ergebnisse überragend. Ich hoffe, das Medikament erzielt bei der Anwendung dieselben oder sogar noch bessere Ergebnisse.“

„Das hoffe ich auch.“

„Deine Patienten liegen dir offenbar sehr am Herzen.“ Wieder bemerkte sie die Wärme in seinen dunkelbraunen Augen.

„Tut mir leid, wenn ich ein bisschen hart zu dir war. Aber das Wohl meiner Patienten steht für mich an erster Stelle, und ich entschuldige mich nicht dafür.“

Marcy nickte. „Das ist eine positive Eigenschaft, aber ich gebe zu, dass ich mich erst daran gewöhnen muss.“

Dylan lachte so laut, dass er die Aufmerksamkeit der Leute an den Nachbartischen erregte. „Ah, das ist wieder die Marcy von früher. Du hast immer gesagt, was du gedacht hast. So, genug von der Arbeit. Also, hast du den Typen geheiratet, mit dem du auf dem College zusammen warst?“

Der abrupte Themenwechsel überraschte sie. „Ja, wir waren fünf Jahre verheiratet. Und sind schon wieder seit einigen Jahren geschieden.“

„Das tut mir leid.“ Dylan klang ehrlich.

Sie presste die Lippen zusammen. „So etwas passiert nun mal.“

Wieder blickte er ihr in die Augen. „Du warst ihm damals treu ergeben.“

Angelegentlich betrachtete sie ihr Tablett. „Ja, aber so ist das Leben.“ Dann sah sie wieder auf und hielt seinem durchdringenden Blick stand. „Und was ist mit Ihnen, Dr. Nelson? Gibt es eine Ehefrau oder sonst jemanden in Ihrem Leben?“

„Nein. Ein paarmal war ich dicht davor, aber ich habe es nie zum Altar geschafft.“

„Das tut mir leid. Und den betreffenden Frauen bestimmt auch.“

Wieder lachte er. „Sie sind wohl vielmehr unbehelligt davongekommen.“

„Das glaube ich nicht.“ Sie konnte sich kaum vorstellen, dass keine Frau ihn sich geangelt hatte.

„Sagen wir, es ging ihnen eher um das Prestige, mit einem Arzt verheiratet zu sein, als um mich. Sie haben erwartet, dass ich mich mehr gesellschaftlich engagiere als im Job.“

„Damals hast du nie gesagt, dass du gern mit Kindern arbeiten würdest. Aber jetzt überrascht es mich nicht.“ Marcy verschränkte die Arme auf dem Tisch und betrachtete ihn forschend. Mit seinem Charme und seinem Humor eignete er sich perfekt dafür.

„Heißt das, ich habe mich wie ein Kind verhalten?“, fragte Dylan grinsend, woraufhin sie den Kopf schüttelte.

„Auf die Diskussion lasse ich mich nicht ein. Wie bist du im Atlanta Children’s Hospital gelandet?“

„Nach dem Studium habe ich hier ein Stipendium bekommen und bin geblieben.“

„Du hast also einen großen Teil dazu beigetragen, dass die Krebstherapie hier so einen hervorragenden Ruf hat?“

Er zuckte die Schultern. „Ich glaube schon. Aber die Kinder und ihre Eltern sind die eigentlichen Stars.“

Sie fühlte sich nicht wie ein Star, sondern vielmehr wie eine Versagerin. Vielleicht würde es sich ändern, wenn TM13 ihre Erwartungen erfüllte. Nur das war für sie wichtig. „Lass uns jetzt lieber zurückkehren. Ich muss mich noch auf ein Gespräch vorbereiten.“

3. KAPITEL

Am nächsten Tag betrat Dylan, gefolgt von Marcy, den Untersuchungsraum. „Hallo, Lucy. Wie geht es dir?“

Das Mädchen warf seiner Mutter einen Blick zu und sagte dann so leise, dass er es kaum verstehen konnte: „Gut.“

„Das ist schön zu hören. Ich habe neulich vergessen, dich etwas zu fragen. Hast du einen Hund?“

„Ja.“

„Ist er braun oder schwarz? Ich überlege, ob ich mir einen schwarzen Hund anschaffen soll, aber ich bin mir nicht sicher, ob das die richtige Farbe ist.“

„Meiner ist braun und weiß. Er heißt Rusty.“

Dylan lächelte. „Der Name gefällt mir. Also ist er rostfarben?“

Lucy nickte.

„Wenn ich mir einen schwarzen Hund hole, nenne ich ihn vielleicht Blackie. Was hältst du davon?“

Nun hellte ihre Miene sich auf. „Das wäre ein schöner Name.“

Er blickte Marcy an. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen.

„Das glaube ich auch.“ Nun wurde er ernst. „Darf ich mir jetzt die Stelle ansehen, wo ich den Port rausgezogen habe?“

„Okay.“

„Macht es dir etwas aus, dich auf die Liege zu setzen?“

Lucy schüttelte den Kopf und setzte sich auf die Liege.

„Und jetzt zieh bitte dein T-Shirt hoch.“

Sie zog das T-Shirt hoch. Als er näher an die Liege trat, folgte Marcy ihm. „Die Stelle verheilt gut. Die Antibiotika schlagen an.“ Dann machte er ihr Platz.

„Darf ich die Stelle einmal abtasten, Lucy?“ Als Lucy nickte, zog Marcy sich Einmalhandschuhe an. „Sag Bescheid, wenn es wehtut.“ Vorsichtig tastete sie die Stelle ab. Schließlich trat sie zurück und blickte ihn zufrieden an.

Obwohl er nichts getan hatte, freute er sich. „Mrs. Baker, Dr. Montgomery und ich würden gern mit Ihnen beiden über ein neues Medikament sprechen, das wir gern an Lucy testen würden, wenn sie Ende nächster Woche mit ihrer Behandlung beginnt.“

Lucys Mutter straffte sich. „Ich dachte, es würde noch zwei Wochen dauern.“

„Das dachte ich auch, aber die Wunde heilt so gut, dass wir wohl ein paar Tage früher anfangen können.“ Er deutete auf Marcy, die sich daraufhin neben Mrs. Baker setzte.

„Ich arbeite in der Forschung und habe ein neues Medikament entwickelt. Ich glaube, dass es Lucy helfen kann. Deshalb würde ich sie gern in meine Studie aufnehmen. Unsere Versuche im Labor waren sehr erfolgreich.“

Mrs. Baker wirkte nicht überzeugt. „Ich weiß nicht. Lucy hat schon mehrmals das Krankenhaus gewechselt. Und jetzt die Infektionen und das Ziehen des Ports. Was ist, wenn etwas schiefgeht? Sie würde es nicht ertragen. Und ihr Vater und ich könnten es auch nicht.“

Marcy legte die Hand auf ihre. „Ich weiß, wie Sie empfinden – als hätten Sie die Kontrolle verloren. Als wüssten Sie zu wenig, um die richtige Entscheidung treffen zu können. Als wäre Ihre Tochter ein Versuchskaninchen für Menschen, die Sie überhaupt nicht kennen.“ Dann blickte sie Lucy an. „Ich verspreche dir, dich auf dem ganzen Weg zu begleiten. Ich werde dir sogar meine private Telefonnummer geben, falls du reden möchtest. Ich bin wirklich von diesem Medikament überzeugt.“

Wie gebannt betrachtete Dylan sie. Ihr Mitgefühl erinnerte ihn an das Mädchen von damals. Das Mädchen, das Paroli geboten hatte, wenn man es in die Ecke gedrängt hatte. Und sie sprach, als hätte sie diese Gefühle selbst schon durchlebt. Hatte sie das? Er hatte kein Recht, es zu erfahren, und trotzdem war er fasziniert.

Nun sah Mrs. Baker ihre Tochter an. „Lassen Sie mich erst mit meinem Mann reden.“

Marcy nickte. „Das sollten Sie tun. Aber warten Sie nicht zu lange mit Ihrer Entscheidung.“ Nachdem sie ihre Hand gedrückt hatte, stand sie auf.

„Ich denke auch, dass Lucy an der Studie teilnehmen sollte“, sagte Dylan, als Mrs. Baker sich ihm zuwandte und er Lucy von der Liege half.

Dann nahm sie Lucy in die Arme. „Ja, ich verstehe“, erwiderte sie unter Tränen. „Ich möchte einfach nur, dass es Lucy besser geht.“

„Das wollen wir auch“, erklärte Marcy.

„Bitte teilen Sie uns in den nächsten Tagen Ihre Entscheidung mit.“ Dylan ließ Marcy in den Flur vorgehen. „Das hast du gut gemacht“, meinte er dort leise. „Ich glaube, sie werden an der Studie teilnehmen.“

„Das hoffe ich.“

Er wusste nicht, ob ihr verzweifelter Unterton weniger mit Lucys Teilnahme an der Studie oder mehr damit zu tun hatte, dass deren Eltern mit ihrer Entscheidung leben konnten.

Als Marcy an diesem Abend vom Krankenhausparkplatz fuhr, kniff sie die Augen zusammen.

War das Dylan?

Die Hände in die Hüften gestemmt, stand er vor einem gepflegten historischen Wagen und betrachtete wütend den Reifen.

Seit dem Ende der Sprechstunde war sie ihm nicht mehr begegnet. Ihr Gespräch mit Lucys Mutter war schwierig, aber erfrischend gewesen. Zum ersten Mal seit Tobys Tod konnte sie etwas Positives sehen. Sie konnte den Kummer und die Angst der Familie Baker nachvollziehen, und das trieb sie an.

Langsam stoppte sie den Wagen und ließ das Fenster hinunter. „He, was ist los?“

„Mein Reifen ist schon wieder platt. Zum zweiten Mal in drei Wochen. Anscheinend ist der neue auch nicht besser als der alte.“

„Hast du eine Werkstatt?“

„Ja, aber da rufe ich jetzt nicht mehr an. Hier steht der Wagen auch sicher. Ich lasse mich von einem der Wachmänner mitnehmen und mache mir morgen Gedanken darüber.“

„Ich kann dich nach Hause fahren.“

„Gern, danke.“ Dylan hob seine Umhängetasche auf und setzte sich auf den Beifahrersitz.

Überdeutlich war sie sich seiner Nähe bewusst. Sie verdrängte das seltsame Gefühl und bedachte seinen Wagen mit einem letzten Blick, bevor sie zum Ausgang fuhr. „Ich hatte keine Ahnung, dass du auf Oldtimer stehst.“

„Ja, der GTO ist mein ganzer Stolz. Ich hatte mir geschworen, mir gleich nach dem Studium einen zu kaufen.“

„Fährst du jeden Tag damit?“

„Ja. Zumindest wenn ich keinen Platten habe.“ Er seufzte, was ihr ein Lächeln entlockte. „Du musst jetzt rechts abbiegen. Ich wohne ganz in der Nähe.“ Nachdem sie einige Minuten geschwiegen hatten, fragte er: „Wo bist du untergebracht?“

„Meine Firma hat mir ein möbliertes Apartment gemietet. Es ist nicht schlecht und auch in der Nähe. Langsam finde ich mich hier zurecht. Was man über den Verkehr in Atlanta sagt, stimmt.“

„Das ist einer der Gründe, warum ich mir in der Nähe ein Haus gekauft habe.“ Dylan lehnte sich zurück.

Sie spürte, wie er sie betrachtete. „Was denkst du? Du starrst mich an.“

Daraufhin veränderte er seine Position, betrachtete sie jedoch weiter. „An der nächsten Ampel links. Ich habe gerade überlegt, warum du so ernst geworden bist. Früher warst du viel unbeschwerter.“

„Ich muss wohl kaum fröhlich sein, wenn ich mit Krebspatienten arbeite.“

„Die nächste Straße links, dann ist es das dritte Haus auf der rechten Seite. Schwarze Fensterläden.“ Jetzt konzentrierte er sich auf die Straße. „Da hast du recht.“

Marcy bog in die gepflasterte Auffahrt ein. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber sie war überrascht, denn es wirkte nicht wie das Domizil eines begehrten Junggesellen. Wie die anderen Häuser in der von Bäumen gesäumten Straße war es alt, im Stil eines Ranchhauses aus roten Ziegeln erbaut und hatte einen großen, gepflegten Garten. Offenbar verbrachte er viel Zeit darin oder hatte eine Firma dafür engagiert. Allerdings wirkte er auf sie nicht wie jemand, der von anderen erwartete, dass sie seine Arbeit machten. Hinter dem Haus befand sich eine Garage.

Marcy hielt neben der Hintertür.

„Home sweet home“, sagte Dylan beim Aussteigen und beugte sich dann noch einmal herunter. „Hast du schon gegessen? Falls nicht, komm doch rein, dann können wir eine Pizza bestellen.“

Marcy überlegte kurz. Warum eigentlich nicht? Schließlich waren Dylan und sie alte Freunde. Es war besser, als in eine fremde Wohnung zurückzukehren. Sie konnte es ruhig zugeben. Sie war einsam. Sie mochte ihn und war früher gern mit ihm zusammen gewesen.

Dylan war ein toller Mensch. Und trotz seines stressigen Jobs war er locker. Anscheinend konnte er Beruf und Privatleben gut voneinander trennen. Und sie war immer noch gern mit ihm zusammen.

Ihre Zukunft war immer geplant gewesen, entweder von ihren Eltern oder von ihr. Vielleicht hatte sie sich deswegen auf dem College zu Dylan hingezogen gefühlt. Er schien das Leben zu nehmen, wie es kam. Und sie hatte auf die harte Tour gelernt, dass man es nicht planen konnte. Toby hatte nicht überlebt. Es war Zeit, weniger zu denken und mehr zu handeln.

Schweigend wartete Dylan auf ihre Antwort.

Marcy blickte ihn an. Seine braunen Augen funkelten warm. „Ich schätze, das könnte ich machen.“

„Toll.“ Er kam um den Wagen herum, um ihr beim Aussteigen zu helfen. „Komm.“ Dann führte er sie einige Stufen hoch und öffnete die Hintertür.

Sie folgte ihm in eine große offene Küche mit einem kleinen Esstisch neben einem Fenster mit Blick auf den hinteren Garten. Der schimmernde Holzfußboden bildete einen schönen Kontrast zu der modernen Küche. Obwohl renoviert, besaß sie noch den alten Charme.

Es war genau die Art von Zuhause, von der sie immer geträumt hatte. Josh und sie hatten es nie über eine Wohnung hinaus geschafft. Sie konnte sich vorstellen, wie schön es wäre, hier morgens eine Tasse Tee zu trinken und nach draußen zu blicken.

„Komm, ich führe dich herum.“ Dylan legte seine Tasche auf den Tresen, der die Küche von dem kleinen Essbereich trennte. „Es ist schön, ein Date mit einer Frau zu haben, die kein Fünf-Sterne-Restaurant erwartet.

„Das hier ist kein Date, sondern ein Essen unter Freunden. Vielleicht solltest du deinen Typ wechseln.“

Nun lachte er. „Du hast in beiden Punkten recht. Komm mit ins Wohnzimmer, da ist es gemütlicher.“

Er führte sie in das geräumige Zimmer, das nach vorn hinaus lag. Gegenüber von einem großen Flachbildfernseher an einer Wand stand ein abgenutzter Ledersessel, offenbar sein Lieblingsmöbel. Eine andere Wand wurde von einem großen Regal mit Büchern und Dekogegenständen eingenommen. Am besten gefiel ihr die große Fensterfront mit der Terrassentür, die man ebenfalls liebevoll aufgearbeitet hatte.

Spontan öffnete sie die Tür und trat auf die gepflasterte Terrasse. Eine milde Herbstbrise hatte die Schwüle vertrieben. Marcy atmete tief durch und streckte sich. Es war schön, draußen zu sein. Unter den Bäumen in dem eingezäunten Garten befanden sich Beete mit Stauden und Ziergräsern. Es war schön.

Die Korbmöbel auf der Terrasse hatten eine ausgesprochen maskuline Note und passten ebenfalls perfekt zu Dylan.

„Möchtest du hier essen?“

Erschrocken zuckte sie zusammen. „Gern. Es ist schön, draußen zu sein, wenn man den ganzen Tag im Labor arbeitet.“

„Ja, das glaube ich.“

„Dein Garten gefällt mir sehr.“ Sie deutete auf den Rasen.

„Den hat der vorherige Besitzer angelegt. Ich halte ihn nur in Schuss.“

„Ich hatte ja keine Ahnung, dass du Gartenarbeit magst.“

„Ich auch nicht. Nach einem langen Arbeitstag ist es die perfekte Art zu entspannen. Es ist so friedlich hier. Wenn ich nicht gerade an meinem Auto herumbastle, verbringe ich die meiste Zeit hier. Zieh die Schuhe aus, und fühl dich wie zu Hause. Ich bestelle die Pizza.“

Schnell zog Marcy ihre Schuhe und Socken aus, bevor sie auf einen Korbstuhl sank.

Dylan lachte. „Hier in der Nähe ist eine tolle Pizzeria, die auch liefert. Die Pizzen sind nicht ausgefallen, aber lecker. Ich hole uns etwas zu trinken.“

„Du musst mich nicht bedienen.“ Sie wollte aufstehen, doch er bedeutete ihr, sitzen zu bleiben.

„Ich würde mich ja gern von dir bedienen lassen, aber du kennst dich in meiner Küche nicht aus. Also, warum lässt du es diesmal nicht mich machen?“

Nachdem er in der Pizzeria angerufen hatte, kehrte er mit zwei großen Gläsern Eistee zurück.

Marcy trank einen Schluck und seufzte. „Lecker.“ Dann blickte sie sich um. „Eigentlich hatte ich erwartet, dass du ein schickes neues Haus und einen Sportwagen hast.“

„Vergiss nicht, dass meine Eltern Missionare waren. Ich bin in einer ziemlich spartanischen Umgebung groß geworden.“ Auch er machte es sich auf einem Korbstuhl bequem.

„Na ja, Oldtimer sind nicht gerade billig.“

Er grinste. „Stimmt. Aber trotz meiner offensichtlichen Schwäche habe ich mich für die Medizin entschieden, um anderen Menschen zu helfen, nicht des Geldes wegen.“

„Das haben wir gemeinsam.“

„So, jetzt habe ich mein Laster zugegeben. Was ist deins?“ Forschend betrachtete er sie.

„Ich weiß nicht. Lass mich überlegen.“ Natürlich kannte sie die Antwort, aber wenn sie es ihm erzählte, würde er sie für verrückt halten. Sie war wie besessen von dem Wunsch, jedes krebskranke Kind zu retten. Doch sie konnte es nicht aussprechen. Sie hatte Toby im Stich gelassen. Sie hatte sich selbst und ihren Mann im Stich gelassen. Wie konnte sie das einem Menschen wie Dylan eingestehen?

Schließlich klingelte es. „Dann musst du es mir irgendwann erzählen. Das ist sicher der Pizzabote.“

Eine halbe Stunde später saßen sie immer noch auf der Terrasse. Marcy verspürte einen ungewohnten inneren Frieden. Sie war froh, dass Dylan sie nicht gedrängt hatte. Sie war gern mit ihm zusammen und betrachtete ihn auch gern.

„Die Pizza ist wirklich lecker.“

„Sagte ich ja. Die beste in der Stadt.“

Marcy biss von ihrem letzten Stück ab. „Du hast einen guten Geschmack.“

Dylan lachte. „Danke, aber es ist nur Pizza. Weißt du, wenn man sich in den kleinen Dingen einig ist, ist man es auch in den großen.“

Sie krauste die Nase. Im Laufe der Zeit waren Josh und sie sich in fast allen Dingen uneins gewesen. Selbst vor Tobys Erkrankung hatte es in ihrer Ehe gekriselt. „Bist du dir sicher?“

„Du weißt, dass du mich auf dem College herausgefordert hast, und du tust es immer noch.“ Dylan trank einen großen Schluck Tee.

Marcy hatte das Gefühl, dass er mehr sagen wollte, doch er tat es nicht. Dann musste sie lächeln. Sie erinnerte sich gern an jene Tage. Die Tage, bevor sie den Verlust mit sich herumgetragen hatte. Die Schuldgefühle. „Wir hatten wirklich eine schöne Zeit. Du hast mich zum Lachen gebracht. Ich glaube, Professor Mitchell hat mit dem Gedanken gespielt, uns zu trennen.“

„Bitte hör auf“, meinte Dylan. „Das ist mir peinlich.“

„Ich glaube, du fandest es gut, dass du die Erwartungen der anderen nicht erfüllt hast.“

Nun hob er die Schultern. „Ich muss wirklich kein Klischee erfüllen. Und ich war anders als die meisten Studenten. Ich habe ein Stipendium bekommen.“

„Du hast damals kein Klischee erfüllt und tust es anscheinend auch jetzt nicht. Und du wirst es wahrscheinlich auch nie tun. Was uns Normalsterblichen wirklich Angst macht, ist, dass du alles gut machst.“ Sie hob das Glas. „Sogar Eistee.“

Dylan betrachtete Marcy, die die Augen geschlossen hatte und das Gesicht in die tief stehende Sonne hielt. Seit er ihr wiederbegegnet war, hatte er sie nicht so entspannt erlebt. Was mochte gerade in ihr vorgehen?

Sie schien irgendetwas vor ihm zu verbergen. Als sie mit Mrs. Baker sprach, hatte sie ihm den Eindruck vermittelt, dass sie etwas Ähnliches durchlebt hatte. Allerdings hatte sie kein Kind erwähnt. Falls sie eins hatte, wo war es jetzt? Warum versteckte sie es? Aber vielleicht wollte sie einfach nicht, dass er von ihm erfuhr. Nur warum? Sie konnte ihm ihre Geheimnisse anvertrauen.

„Warum hat ein netter Kerl wie du keine Frau oder Freundin?“

Ihre Frage riss ihn aus seinen Gedanken. „Vielleicht weil ich zu nett bin.“

Marcy schnaufte. „Bestimmt nicht. Mehr als die Hälfte der Krankenschwestern schwärmt für dich. Und mindestens die Hälfte deiner Patientinnen, egal, wie alt sie sind.“

„Dasselbe könnte ich dich fragen. Wusstest du, dass ich auf dem College in dich verknallt war?“

Unvermittelt öffnete sie die Augen. „Wirklich?“

Mit seinem Blick gab er ihr zu verstehen, dass sie wohl Witze machte. „Du erinnerst dich nicht mehr daran, dass ich mit dir Pizza essen gehen wollte? Du hast mir eine Abfuhr erteilt.“

Sie zog die Brauen hoch. „Wirklich?“

„Allerdings. Da habe ich erfahren, dass du einen Freund hast. Ich habe mich immer gefragt, warum du ihn nicht früher erwähnt hattest.“ Dylan schlug die Beine übereinander.

„Ich mochte dich auch. Ich schätze, ich wollte uns den Spaß nicht verderben, indem ich dir von Josh erzähle.“

„Du hast mir das Herz gebrochen“, gestand er leise.

Abrupt setzte sie sich auf. „Das wollte ich nicht, Dylan“, erwiderte sie betroffen.

„Ich weiß.“ Er sah ihr in die Augen. „Ich habe mir meine Gefühle nicht anmerken lassen.“

Marcy verschränkte die Finger im Schoß. „Das tut mir leid. Ich hätte dir niemals bewusst wehgetan.“

„Du wusstest es ja nicht. Ich hätte es gar nicht ansprechen sollen. Es ist lange her, und wir waren praktisch noch Kinder.“

„Du musst wissen, dass ich dich mehr mochte, als ich dich hätte mögen sollen. Ich habe es verdrängt. Bei der Abschlussfeier habe ich dich gesucht. Du wolltest kommen, aber ich habe dich nicht gefunden. Hattest du dich anders entschieden?“

„Ich war da. Ich habe dich gesehen.“

„Und warum bist du nicht zu mir gekommen?“ Unverwandt sah sie ihm in die Augen.

„Weil ich beobachtet habe, wie du dich einem Typen in die Arme geworfen hast. Ich wollte nicht stören.“

Wieder lehnte sie den Kopf gegen das Polster und schloss die Augen. „Ja. Das war Josh. Mein damaliger Freund und jetziger Ex-Mann. Er ist unangemeldet aufgetaucht. Er war eifersüchtig auf dich.“

Dylan beugte sich vor. „Eifersüchtig auf mich? Warum das?“

„Weil ich ihm so viel von dir erzählt habe.“ Noch immer hatte sie die Augen geschlossen.

Da er nicht wusste, was er sagen sollte, schwieg er. Zweifellos war er bei dem Typ nicht beliebt gewesen.

„Ja“, fuhr Marcy fort. „Er hat gemerkt, dass ich dich mehr mochte, als ich sollte. Im Nachhinein hätte mir zu denken geben müssen, da...

Autor

Susan Carlisle
Als Susan Carlisle in der 6. Klasse war, sprachen ihre Eltern ein Fernsehverbot aus, denn sie hatte eine schlechte Note in Mathe bekommen und sollte sich verbessern. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann sie damals damit zu lesen – das war der Anfang ihrer Liebesbeziehung zur Welt der Bücher....
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Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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JC Harroway
JC Harroway beschreibt sich selbst als "liebesromansüchtig". Für ihre Autorinnenkarierre gab sie sogar ihren Job im medizinischen Bereich auf. Und sie hat es nie bereut. Sie ist geradezu besessen von Happy Ends und dem Endorphinrausch, den sie verursachen. Die Autorin lebt und schreibt in Neuseeland.
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