Julia Best of Band 276

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LIEBE IM DOPPELPACK

Aufgebracht fährt Max zu dem kleinen Cottage, in dem seine Frau Julia wohnt. Allein – seitdem sie sich aus heiterem Himmel von ihm trennte. Er kann es einfach nicht fassen, dass Julia ihre Schwangerschaft vor ihm verheimlicht hat. Oder ist nicht er der Vater der kleinen Zwillinge?

WER FLIEHT DENN VOR DER LIEBE?

Auch wenn er der verführerischste Chefarzt ist, mit dem sie je Hand in Hand in der Geburtshilfe gearbeitet hat: Daisy weiß, dass eine private Beziehung zu Dr. Ben Walker für sie tabu bleiben muss. Doch wie soll sie das schaffen, wenn er auch noch ihr neuer Nachbar ist?

ZWEI IM ROSENGARTEN

Wild wuchernde Rosen, alte Bäume und ein romantischer Pavillon: Gern sagt Georgia zu, Matthew Frasers historischen Garten wiederherzustellen, zumal der charmante Besitzer des Landguts ihr Herz schneller schlagen lässt. Aber Matthew ist nicht aufs Heiraten aus – sagt er ...


  • Erscheinungstag 16.03.2024
  • Bandnummer 276
  • ISBN / Artikelnummer 9783751526029
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Caroline Anderson

JULIA BEST OF BAND 276

PROLOG

„Ich komme nicht mit.“

Unerwartet laut hallte ihre Stimme durch die Stille im Schlafzimmer, und Max richtete sich auf und blickte Julia erstaunt an.

„Was soll das heißen? Du hast wochenlang daran gearbeitet. Was hast du denn plötzlich noch zu erledigen, ehe du abreisen kannst? Und wann bist du so weit? Morgen? Mittwoch? Ich brauche dich jetzt dort, Jules, wir haben viel zu tun.“

„Nein. Ich meine, dass ich nicht mit nach Japan fliege. Heute nicht, nächste Woche nicht, überhaupt nicht. Oder sonst irgendwohin.“

Sie konnte nicht ihre Sachen packen und in den Sonnenuntergang fliegen. In den Sonnenaufgang, um genau zu sein, da sie nach Japan flogen.

Falsch, Max flog nach Japan. Sie nicht. Sie würde nirgendwohin reisen. Nicht wieder, nicht zum x-ten Mal in ihrem hektischen gemeinsamen Leben. Es ging einfach nicht mehr.

„Ist das dein Ernst? Bist du verrückt geworden?“ Max ließ das sorgfältig zusammengelegte Hemd in den Koffer fallen und sah Julia ungläubig an.

„Nein. Mir ist noch nie etwas so ernst gewesen. Ich habe es satt“, erwiderte sie ruhig. „Du sagst, ich soll springen, und ich frage nur Wie hoch? Ich will das nicht mehr.“

„Ich kommandiere dich doch nicht herum!“

„Nein, da hast du recht. Du sagst, du bist auf dem Sprung, ein Geschäft abzuschließen, und ich sorge dafür, dass etwas daraus wird – in jeder Sprache, in jedem Land, wo auch immer die nächste Herausforderung für dich liegt.“

„Du bist meine persönliche Assistentin. Das ist dein Job!“

„Ich bin auch deine Ehefrau, Max. Und ich lasse mich nicht länger wie irgendeine Angestellte behandeln.“

Nach einem Blick auf seine Armbanduhr griff Max nach einem weiteren Hemd. „Du hast dir einen verdammt ungünstigen Moment für einen Ehekrach ausgesucht.“

„Es ist kein Ehekrach“, erklärte Julia bemüht ruhig. „Ich komme nicht mit, und ich weiß nicht, ob ich noch hier bin, wenn du zurückkehrst. Ich kann das alles nicht mehr ertragen und brauche Zeit, um herauszufinden, was ich wirklich will.“

Wütend zerknüllte Max das Hemd, was Julia jedoch nicht störte. Sie hatte es ja nicht gebügelt – darum kümmerte sich der Wäscheservice. Für solche Dinge hatte sie keine Zeit, weil sie damit beschäftigt war, alle Rädchen am Laufen zu halten.

„Dein Timing ist echt das Letzte.“ Max warf das Hemd in den Koffer, ging zum Fenster und schaute hinaus auf die Londoner Skyline. Sein großer muskulöser Körper bebte vor Anspannung. „Dir ist doch klar, wie wichtig dieses Geschäft in Tokio ist. Warum heute?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete Julia ehrlich. „Ich bin es leid, kein Leben zu haben.“

„Wir haben aber doch ein Leben!“, schrie Max. Er drehte sich weg vom Fenster, durchquerte das Zimmer und stellte sich neben sie. „Ein sehr schönes!“

„Nein, wir arbeiten.“

„Und wir sind supererfolgreich.“

„Geschäftlich, ja. Aber das ist kein Leben. Unser Privatleben ist kein Erfolg, weil wir keins haben. An Weihnachten haben wir deine Familie nicht besucht, wir haben bis Neujahr durchgearbeitet und uns das Feuerwerk vom Bürofenster aus angesehen! Wusstest du, dass heute der letzte Tag ist, an dem man den Weihnachtsschmuck abbaut? Kein Problem, denn wir hatten nicht einmal welchen, Max. Weihnachten hat ohne uns stattgefunden, während wir weitergemacht haben.“

Ohne sich einschüchtern zu lassen, erwiderte Julia seinen zornigen Blick. Sie war an seine Wut gewöhnt, und Max hatte ihr noch nie Angst gemacht.

„Und ich will mehr als das. Ich will ein Haus, einen Garten und Zeit haben, um zwischen Pflanzen herumzuwerkeln, mit meinen Händen in der Erde zu graben und um an Rosen zu riechen.“ Julias Stimme wurde weicher. „Wir halten niemals inne und erfreuen uns an Blumenduft, Max. Niemals.“

Laut seufzend blickte er wieder auf seine Armbanduhr. „Wir müssen los, sonst verpassen wir unseren Flug“, sagte er schroff. „Nimm dir eine Auszeit, wenn es das ist, was du brauchst, Jules. Lass dich in Japan massieren, besichtige einen Zen-Garten, aber hör um Himmels willen mit diesem Unsinn auf …“

„Unsinn? Ich fasse es nicht, Max! Du hast kein Wort davon verstanden, was ich gesagt habe. Ich will keinen Zen-Garten besichtigen. Ich komme nicht mit. Weil ich darüber nachdenken muss, was ich mir wirklich vom Leben erwarte. Und das kann ich nicht, wenn du um vier Uhr morgens durchs Hotelzimmer tigerst und mich mit deinem gnadenlosen Enthusiasmus und Machthunger ansteckst.“

Er fuhr sich durch das dunkelbraune Haar, sodass es in alle Richtungen abstand. Dann warf er seine Kulturtasche auf das zerknitterte Hemd und knallte den Kofferdeckel zu.

„Du bist verrückt. Was ist mit dir los? Bekommst du deine Tage oder was? Du kannst mich nicht einfach sitzen lassen. Du hast einen Vertrag!“

„Einen Vertrag?“ Sie lachte seltsam schrill und verstummte plötzlich. Verbittert ging Julia aus dem Schlafzimmer in den großzügigen Wohnbereich mit dem sensationellen Blick auf den Fluss. Es war noch dunkel. Lichter funkelten auf dem Wasser, und Julia starrte sie an, bis sie ihr vor den Augen verschwammen.

Sie hörte die Rollen des Koffers und das Klacken von Max’ Ledersohlen auf dem edlen Holzboden.

„Kommst du mit?“

„Nein.“

„Wenn nicht, dann ist es aus. Glaub ja nicht, dass ich dir hinterherlaufe und dich anbettle.“

Bei der Vorstellung hätte sie fast gelacht, aber er brach ihr gerade das Herz. „Tue ich nicht.“

„Gut, nur damit wir uns richtig verstehen. Wo ist mein Reisepass?“

„Auf dem Tisch, zusammen mit den Flugtickets“, erwiderte Julia, ohne sich umzudrehen. Mit angehaltenem Atem wartete sie.

Worauf? Auf ein kleines Zugeständnis? Eine Entschuldigung? Nein, das nicht. Auf die Worte Ich liebe dich? Julia konnte sich nicht einmal erinnern, wann Max das zuletzt zu ihr gesagt hatte. Und er sagte es jetzt nicht.

Die Kofferrollen waren wieder zu hören, dann Papierrascheln, als Max die Tickets vom Tisch nahm, einen Zettel mit Fluginfos und den Reisepass.

„Letzter Aufruf!“

„Ich fliege nicht mit.“

„Na schön. Mach, was du willst. Du weißt, wo du mich findest, wenn du es dir noch anders überlegst.“

In der darauf folgenden Stille wartete Julia erneut. Nach einer halben Ewigkeit seufzte Max, und einen Moment später fiel die Tür ins Schloss.

Trotzdem wartete Julia weiter, bis sie den Lift nach unten ins Erdgeschoss fahren hörte. Dann setzte sie sich auf die Sofakante und holte tief Atem.

Max war gegangen, ohne auch nur zu versuchen, sie umzustimmen. Ohne ihr einen einzigen Grund zu nennen, warum sie bei ihm bleiben sollte – abgesehen davon, dass sie ihren Arbeitsvertrag brach.

Ausgerechnet! Sie wollte doch nur Zeit haben, um über ihr Leben nachdenken zu können. Und Max warf ihre Ehe weg und redete von einem Vertrag, weil sie nicht mit nach Japan flog!

„Geh zum Teufel, Max!“, schrie sie, aber ihre Stimme kippte, und Julia wurde von Weinkrämpfen geschüttelt.

Plötzlich wurde ihr schlecht und sie rannte ins Badezimmer. Zitternd sackte sie schließlich zu Boden.

„Ich liebe dich, Max“, flüsterte sie, „warum konntest du mir nicht zuhören? Warum konntest du uns nicht eine Chance geben?“

Ihr war wieder zum Weinen. Da sie ihm diese Genugtuung nicht gönnen wollte, stand Julia auf, wusch sich das Gesicht, putzte sich die Zähne und schminkte sich neu. Dann kehrte sie ins Wohnzimmer zurück und nahm das Telefon in die Hand.

„Jane?“

„Hallo, Julia! Wie geht’s dir?“

„Scheußlich. Ich habe gerade Max sitzen lassen.“

„Was? Wo?“

„Nein, ich habe ihn verlassen. Na ja! Eigentlich hat er mich verlassen …“

Jane fluchte leise. „Wo bist du?“

„In der Wohnung. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“

„Und wo ist Max?“

„Auf dem Weg nach Japan. Ich sollte ihn begleiten, aber ich konnte einfach nicht.“

„Bleib, wo du bist. Ich hole dich ab. Pack einen Koffer. Du kommst mit zu mir.“

„Ich habe schon gepackt“, sagte Julia.

„Aber nicht Jeans, Pullover und Stiefel, wette ich. Hier ist es eiskalt, such etwas Warmes heraus. Du hast anderthalb Stunden. Versuch, dich zu beruhigen.“ Jane legte auf.

Julia ging ins Schlafzimmer und blickte den Koffer an, der auf dem Bett lag. Sie besaß gar keine Jeans mehr. Und die Art Stiefel, die Jane meinte, auch nicht.

Oder doch?

Ganz hinten im Kleiderschrank fand Julia ihre alten Jeans und Wanderstiefel. Nachdem sie die eleganten Kostüme und High Heels aus dem Koffer geworfen hatte, packte sie ihre Lieblingspullover, die Hosen und Stiefel ein und klappte den Deckel zu.

Auf der Kommode stand ihr Hochzeitsfoto. Nicht einmal Zeit für Flitterwochen hatten sie sich genommen – nur für eine kurze standesamtliche Trauung und die Hochzeitsnacht, in der Max alle Register gezogen und Julia geliebt hatte, bis sie sich beide nicht mehr rühren konnten.

Wie gewohnt war sie in seinen Armen eingeschlafen, ganz ungewohnt allerdings auch darin aufgewacht. Weil Max einmal nicht aus dem Bett gestiegen war, um an seinem Laptop zu arbeiten.

Es schien so lange her zu sein.

Julia wandte sich von dem Foto ab, rollte ihren Koffer zur Tür und sah sich um. Sonst wollte sie nichts mitnehmen. Keine Erinnerungen an Max, an das gemeinsame Zuhause, an das gemeinsame Leben.

Ihren Reisepass steckte sie ein. Nicht, weil sie ins Ausland reisen wollte, sondern weil Max ihn nicht haben sollte. Der Pass war ein Freiheitssymbol, und außerdem benötigte sie ihn vielleicht, wenn sie sich auch nicht vorstellen konnte, wofür. Egal, Julia schob den Pass in die Handtasche und stellte sie neben den Koffer.

Nachdem Julia den Kühlschrank ausgeräumt und alles in den Müllschlucker geworfen hatte, brauchte sie nur noch zu warten. Da ihr der Kopf immer noch schwirrte, schaltete sie das Fernsehgerät ein, um sich abzulenken.

Keine gute Idee! Dem Reporter zufolge war heute – der erste Montag nach Neujahr – der sogenannte „Scheidungsmontag“. Wenn sich über Weihnachten und Neujahr alle Probleme zugespitzt hatten, wandten sich an diesem Tag Tausende von Frauen an einen Anwalt und leiteten die Scheidung ein.

Sie auch?

Zwei Stunden später saß Julia in Suffolk am Küchentisch ihrer Freundin, und Jane kochte Kaffee.

Der Geruch war ekelerregend.

„Entschuldige, ich kann nicht …“ Sie rannte zur Toilette und übergab sich wieder. Als sich Julia aufrichtete, stand Jane hinter ihr und blickte sie im Spiegel nachdenklich an.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Ich werde es überleben. Das sind nur die Nerven. Ich liebe ihn, Jane. Ich habe es vermasselt, und jetzt ist er weg. Ich hasse es!“

„Hm.“ Jane öffnete den Schrank über dem Waschbecken und hielt Julia eine Schachtel hin. „Hier.“

„Ein Schwangerschaftstest? Sei nicht albern. Du weißt doch, dass ich keine Kinder bekommen kann. Ich habe diese ganzen Vernarbungen von meinem geplatzten Blinddarm. Ich habe mich untersuchen lassen. Es ist unmöglich, ich kann nicht schwanger werden.“

Kann nicht gibt’s nicht. Ich bin der Beweis. Mach den Test einfach.“ Jane ging hinaus und schloss die Tür.

Mit einem Schulterzucken begann Julia, die Anweisungen zu lesen. Sinnlos. Dumm! Sie konnte nicht schwanger sein.

„Und was soll ich jetzt machen?“

„Willst du mit ihm zusammenbleiben?“

Darüber brauchte Julia nicht einmal nachzudenken. „Nein. Max hat immer betont, dass er keine Kinder will. Und er müsste sich sowieso erst total ändern, bevor ich einem Kind so einen Vater antun würde. Er hat zu mir gesagt, ich könne ihn nicht sitzen lassen, weil ich einen Arbeitsvertrag habe.“

„Vielleicht hat er sich damit an einen Strohhalm geklammert“, meinte Jane.

„Max klammert sich an gar nichts. Er hat mir zu verstehen gegeben, dass es aus ist, wenn ich ihn nicht begleite. Aber bei dir und Pete kann ich nicht wohnen, besonders jetzt nicht, da du auch schwanger bist. Ein Baby im Haus reicht wohl.“ Julia lachte zittrig. „Ich bin schwanger! Nach all den Jahren. Ich kann es nicht fassen!“

„Du hast Glück, dass ich noch einen Test im Schrank hatte. Ich hätte nämlich fast einen zweiten gemacht, weil ich es beim ersten Mal nicht glauben konnte. So langsam haben Pete und ich uns damit abgefunden. Jetzt freue ich mich sogar, noch eins zu haben, und die anderen Kinder sind begeistert. Also“, kam Jane wieder zur Sache, „wo möchtest du leben? In der Stadt oder auf dem Land?“

„Auf dem Land vielleicht?“, erwiderte Julia unsicher. „Zurück nach London will ich nicht und ich hätte so schrecklich gern einen Garten.“

„Einen Garten?“ Jane lächelte breit. „Gib mir eine Minute.“

Daraus wurden fünf. Julia hörte sie nebenan im Arbeitszimmer sprechen, dann kehrte sie mit zufriedener Miene zurück.

„Alles klar. Pete hat einen Freund, John Blake, der für ein Jahr in Chicago arbeiten wird. Er hatte jemanden gefunden, der sich währenddessen um sein Haus kümmert, aber es hat sich zerschlagen. Und jetzt sucht er verzweifelt nach einem Homesitter.“

„Warum vermietet er nicht einfach?“

„Weil er zwischendurch immer mal wieder zurückkommen wird. Es ist ein Superhaus. John bezahlt alle deine laufenden Ausgaben und Lebenshaltungskosten, und du musst nur darin wohnen und nötigenfalls den Klempner rufen. Ach ja, den Hund füttern und ausführen auch noch. Magst du Hunde?“

Julia nickte. „Ich wollte schon immer einen haben.“

„Großartig. Murphy ist ein Schatz. Du wirst ihn lieben. Und das Haus erst! Es heißt Rose Cottage und hat einen wunderschönen Garten. Das Beste ist, dass es nur drei Meilen von hier entfernt liegt, also können wir uns oft sehen.“

„Was ist mit dem Baby? Wird John nichts dagegen haben?“

„Nein. Außerdem ist er doch sowieso fast nie da. Los, wir besuchen ihn jetzt gleich.“

1. KAPITEL

„Ich habe sie gefunden.“

Max erstarrte.

Darauf hatte er seit Juni gewartet, doch jetzt fürchtete er sich fast davor, die Frage zu stellen. Langsam lehnte er sich in seinem Sessel zurück und versuchte, den Gesichtsausdruck des Privatdetektivs zu deuten. „Wo?“, fragte Max rau.

„In Suffolk. Sie lebt in einem Cottage.“

Lebt. Er holte tief Luft. Die ganzen Monate hatte er Angst gehabt …

„Ist sie gesund?“

„Ja.“

„Ist sie allein?“

Der Privatdetektiv zögerte. „Nein. Das Cottage gehört einem Mann namens John Blake. Er arbeitet zurzeit im Ausland, aber er kommt und geht.“

Ihm war so schlecht, dass er die nächsten Worte kaum registrierte, doch allmählich drangen sie zu ihm durch. „Sie hat was?

„Babys. Zwillinge. Die Mädchen sind acht Monate alt.“

„Also hat dieser John Blake Kinder!?“, überlegte Max laut.

„Nein, anscheinend nicht. Ich gehe davon aus, dass es ihre sind. Sie wohnt dort seit Mitte Januar vergangenen Jahres, und die Kinder wurden im Sommer geboren. Im Juni, meinte die Frau auf dem Postamt. Sie hat mir übrigens sehr geholfen. Die Dorfbewohner stellen allerhand Vermutungen an über die Beziehung Ihrer Frau zu John Blake.“

Das kann ich mir vorstellen, dachte Max. Und er würde Julia umbringen. Oder John Blake. Vielleicht alle beide.

„Wenn man sich die Daten ansieht, war sie wahrscheinlich schwanger, als sie Sie verlassen hat, deshalb könnten die Kinder Ihre sein. Oder sie hatte davor schon eine Affäre mit John Blake.“

„Halten Sie sich an Ihre Aufgabe. Rechnen kann ich selbst!“, fuhr Max den armen pflichtbewussten Privatdetektiv an. „Wo ist sie? Ich will die Adresse haben!“

„Es ist alles hier drin.“ Der Mann schob einen großen Umschlag über den Schreibtisch. „Zusammen mit meiner Rechnung.“

„Ich werde die Zahlung veranlassen. Danke.“

„Wenn Sie weitere Informationen benötigen, Mr. Gallagher …“

„… dann melde ich mich.“

„John Blake ist im Moment nicht da, wie ich von der Frau im Postamt erfahren habe“, fügte der Privatdetektiv leise hinzu und ging hinaus.

Als Max den Umschlag öffnete und die Fotos herausrutschten, stockte ihm der Atem.

Du lieber Himmel, sie sah fantastisch aus! Aber anders. Es dauerte einen Moment, bis Max seine Frau erkannte, weil sie ihr Haar länger trug und es zu einem Pferdeschwanz gebunden war. Dadurch wirkte sie jünger und irgendwie freier. Die hellblonden Strähnchen waren verschwunden und das Haar hatte wieder seine natürliche goldbraune Farbe.

Julia hatte ein bisschen zugenommen, doch es stand ihr. Sie sah gesund aus, glücklich und schön. Ein Jahr lang – ein Jahr, drei Wochen und zwei Tage, um genau zu sein – hatte Max verzweifelt darauf gewartet, etwas von ihr zu hören. Und dennoch waren es jetzt die Babys, die seine ganze Aufmerksamkeit fesselten. Auf dem Foto saßen sie nebeneinander in einem Einkaufswagen – zwei einander völlig gleiche, bildhübsche Mädchen.

Seine Mädchen? Das lag eindeutig im Bereich des Möglichen. Max brauchte ja nur das in alle Richtungen abstehende dunkle Haar auf den kleinen Köpfen zu betrachten. Es war, als hätte er ein Babyfoto von sich selbst vor sich.

Dass es seine Kinder waren, sagte ihm der gesunde Menschenverstand. Seine Kinder, die Max noch nie gesehen hatte. Kinder, von denen er gar nichts gewusst hatte. Plötzlich konnte er kaum noch atmen. Warum hatte Julia ihm das nicht mitgeteilt? Hätte er jemals von ihnen erfahren? Wie konnte sie es wagen, seine Töchter vor ihm geheim zu halten? Oder sie waren doch nicht von ihm …

Eine schreckliche Wut stieg in ihm auf, und er wollte etwas zerstören, genau so, wie Julia ihn zerstört hatte.

Der Briefbeschwerer knallte an den Fensterrahmen und zersprang, die Einzelteile prallten ab und fielen auf den Boden. Max neigte den Kopf und zählte bis zehn.

„Max?“

„Er hat sie gefunden. In Suffolk. Ich muss hinfahren.“

„Natürlich, aber beruhige dich erst einmal“, erwiderte seine persönliche Assistentin. „Ich koche dir eine Tasse Tee und sorge dafür, dass jemand für dich packt.“

„Ich habe ein fertig gepacktes Bordcase im Auto. Sag New York ab. Und ich will keinen Tee, Andrea. Ich will meine Frau sehen.“

Und die Babys. Seine Babys.

Andrea versperrte ihm den Weg. „Es ist über ein Jahr her, Max. Zehn Minuten mehr machen nichts aus. Du kannst nicht einfach bei ihr hereinplatzen, du wirst sie zu Tode erschrecken. Geh es langsam an, leg dir deine Worte zurecht. Jetzt setz dich hin. So ist’s recht. Hast du zu Mittag gegessen?“

Gehorsam setzte sich Max. Wovon redete Andrea? „Zu Mittag gegessen?“

„Das dachte ich mir. Tee und ein Sandwich, dann kannst du losfahren.“

Max blickte ihr nach. Andrea war mütterlich, tüchtig, kommandierte gern herum, war ein Organisationstalent und … unendlich nett, wie er nun erkannte.

Unfähig, still dazusitzen, zertrat er die Überreste des Briefbeschwerers und drückte die Stirn an die beruhigend kühle Fensterscheibe. Warum hatte er es nicht erfahren? Wie hatte Julia ihm etwas derart Wichtiges so lange verschweigen können?

Hinter sich hörte er die Tür aufgehen und Andrea zurückkehren.

„Ist sie das auf dem Foto?“

„Ja.“

„Und die Babys?“

„Interessant, stimmt’s?“ Max drehte sich um. „Anscheinend bin ich Vater, und sie hat es nicht einmal für nötig gehalten, mir dies mitzuteilen. Entweder das oder sie hatte eine Affäre mit meinem Doppelgänger, denn die Mädchen sehen genauso aus wie ich in dem Alter.“

„Na, na!“, sagte Andrea leise und stellte das Tablett ab.

Und dann – völlig unerwartet – umarmte ihn seine elegante, gelassene, sachliche persönliche Assistentin. Einen Moment lang wusste Max nicht, was er tun sollte. Es war so lange her, dass ihn jemand in die Arme genommen hatte. Schließlich umfasste er Andrea auch, und das Empfinden von Wärme und Trost richtete ihn fast zugrunde. Max trat zurück und mühte sich ab, die Lage in den Griff zu bekommen.

„Du meine Güte, die sehen dir aber wirklich ähnlich!“ Lächelnd betrachtete Andrea die Fotos auf dem Schreibtisch.

„Ja, es gibt Aufnahmen von mir …“ War das seine Stimme? Max räusperte sich und versuchte es noch einmal. „Ich war wohl ungefähr im selben Alter. Meine Mutter hat ein Fotoalbum …“ Und da wurde ihm plötzlich klar: Seine Mutter war Großmutter geworden! Er würde es ihr sagen müssen. Natürlich würde sie außer sich vor Freude sein.

Oh, verdammt. Ihm traten Tränen in die Augen.

„Hier, trink deinen Tee und iss die Sandwiches. Ich veranlasse, dass David den Wagen vorfährt.“

Sein Auto. Ein zweisitziger sexy Sportwagen mit versenkbarem Verdeck. Nirgendwo Platz für Kindersitze, dachte Max, als er einstieg. Er tippte die Adresse in das Navigationssystem ein und fuhr aus der Stadt heraus. Das Verdeck ließ er offen, weil er hoffte, im eisigen Februarwind einen klaren Kopf zu bekommen und wieder logisch denken zu können. Er hatte nämlich noch immer keine Ahnung, was er zu Julia sagen wollte.

Fast zwei Stunden später hatte er noch immer keine Ahnung. Das Navi hatte ihn mitten ins Dorf geführt, und Max hielt in der Abenddämmerung an und studierte die Karte, die ihm der Privatdetektiv mitgegeben hatte.

Direkt vor ihm befand sich die Brücke über den Fluss, also müsste es die Auffahrt auf der rechten Seite sein.

Ihm wurde bewusst, dass er fror und dass es zu regnen begann. Max schloss das Verdeck, holperte langsam die Auffahrt hoch und sah im Scheinwerferlicht ein hübsches romantisches Cottage mit Reetdach. Und dann schlug ihm das Herz bis zum Hals – am Fenster in einem Zimmer rechts von der Haustür erschien Julia mit einem Baby in den Armen.

„Schsch…, Ava, sei schön brav. Wein nicht, Liebling … Oh, guck mal, es kommt jemand. Vielleicht ist es Tante Jane!?“

Julia ging zum Fenster und blickte gerade nach draußen, als das Auto hielt. Sie spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich. Max! Wie …? Abrupt setzte sie sich auf das alte Sofa im Erker und ignorierte, dass Ava an ihrer Schulter quengelte und ihre Schwester im Laufstall auch damit anfing.

Julia konnte nur Max anstarren, der jetzt ausstieg, die Autotür zuschlug und zielstrebig auf den überdachten Eingang zukam.

Der Bewegungsmelder war angegangen und Max würde sie in der hell erleuchteten Küche bestimmt sehen. Jeden Moment. Jetzt!

Er klingelte und wandte sich von der Tür ab. Die Schultern starr vor Anspannung, schob er das Jackett zurück und steckte die Hände in die Hosentaschen.

Dünner war er geworden. Natürlich – dadurch, dass sie nicht alles für ihn organisierte, sorgte er bestimmt nicht genug für sich. Sofort verdrängte Julia aufflackernde Gewissensbisse.

Es war allein seine Schuld. Wenn er ihr zugehört hätte, als sie ihm im vergangenen Jahr erklärt hatte, sie sei nicht glücklich, wenn er wirklich innegehalten und mit ihr ausführlich darüber gesprochen hätte … Aber nein.

Glaub ja nicht, dass ich dir hinterherlaufe und dich anbettle. Du weißt, wo du mich findest, wenn du es dir noch anders überlegst.

Das hatte sie nicht getan, und natürlich hatte Max keinen Kontakt mit ihr aufgenommen. Sie hatte die Dinge einfach laufen lassen, als sie die Schwangerschaft feststellte. Weil sie gewusst hatte, dass sie in genau dieselbe Ehe nicht zurückkonnte.

Auch wenn sie sich nachts immer noch in den Schlaf weinte, weil sie ihn vermisste. Auch wenn es sie immer wieder furchtbar traurig machte, dass die Mädchen ihren Vater nicht kannten. Nur, wie sollte sie es ihm denn sagen, wo er doch stets betont hatte, dass er keine Kinder haben wollte?

Murphy rannte zur Tür und bellte, Ava hörte auf zu quengeln und stieß einen Schrei aus, Max wandte sich dem Fenster zu und blickte Julia an.

Sie war so nah, gleich hinter der Scheibe, eins der Babys auf dem Arm. Ein Hund bellte. Und Max wusste nicht, was er tun sollte.

Du kannst nicht einfach bei ihr hereinplatzen, du wirst sie zu Tode erschrecken. Geh es langsam an, leg dir deine Worte zurecht.

Oh, Andrea! So klug und vernünftig. Jules würde sie mögen.

Aber er wusste noch immer nicht, was er sagen sollte. Lächle wenigstens, dachte er, doch sein Mund gehorchte nicht. Max konnte den Blick nicht von ihrem Gesicht losreißen. Dann drehte sie sich weg, und er streckte die Hand nach der Fensterscheibe aus, als wollte er Julia aufhalten.

Eine Sekunde später wurde ihm klar, dass sie ja nur zur Haustür ging. Vor Erleichterung sackte Max gegen die Mauer. Die große Eichentür schwang nach innen auf, und Julia stand vor ihm. Müde, blass und zugleich so schön, wie er sie noch nie gesehen hatte. An ihrer Seite hatte sie einen großen schwarzen Labrador.

„Hallo, Max.“

Das war’s? Ein Jahr, zwei Kinder, eine heimliche Beziehung, und Hallo, Max war alles, was Julia zu sagen hatte?

Eine alles verzehrende Wut stieg in ihm auf. Ein Jahr voller Kummer, Angst und Zorn gipfelten in diesem einen Moment. Max erinnerte sich an Andreas Worte und unterdrückte die Wut energisch.

„Hallo, Julia.“

Mit einer Hand stützte er sich an der Mauer ab. Sein Haar war vom Wind zerzaust, sein Blick unergründlich. Ein Muskel zuckte in seiner Wange, und das verriet Julia, dass Max Bescheid wusste.

„Hallo, Julia.“

Julia, nicht Jules. Das war eine Veränderung. Hatte sich sonst noch etwas verändert? Nicht genug wahrscheinlich. Julia fasste sich und wurde Herr der Lage, bekam ihren zitternden Körper allerdings nicht in den Griff.

„Komm herein“, forderte sie Max auf. Was blieb ihr anderes übrig? Sie hatte das Gefühl, dass er so oder so hereinkommen und zur Not die Tür eintreten würde.

Er folgte ihr in die Küche. Julia hörte den Schwanz des Labradors gegen sämtliche Möbel schlagen, während Murphy aufgeregt um Max herumlief. Bei dem Gedanken daran, wie sein Anzug mit Hundehaaren verziert aussehen würde, unterdrückte sie ein Lächeln. Max würde es hassen, da er so pingelig war.

„Mach die Tür zu, damit die Wärme drinbleibt.“

Gehorsam tat er es, dann drehte er sich zu Julia um. Der Muskel zuckte wieder in seinem Gesicht. „Ein ganzes Jahr ohne ein Wort und Mach die Tür zu ist alles, was du zu sagen hast?“

„Ich versuche nur, die Babys warm zu halten“, erklärte Julia.

Sofort glitt sein Blick zu dem Baby in ihren Armen.

Sie war sich absolut bewusst, wie bedeutend der Moment war und sagte: „Das ist Ava.“ Mit der freien Hand zeigte Julia auf den Laufstall neben dem AGA-Herd. „Und das ist Libby.“

Als sie ihren Namen hörte, sah Libby auf, nahm den Beißring aus dem Mund und lächelte. „Mum-mum“, sagte sie und hob die Arme, weil sie hochgehoben werden wollte.

Julia ging zu ihr, blieb dann jedoch stehen. Mit hämmerndem Herzen schaute sie Max an. „Na los! Nimm deine Tochter auf den Arm. Deshalb bist du ja wohl hier!?“

Max war wie gelähmt.

Seine Tochter.

Es war eine Ewigkeit her, dass er ein Baby gehalten hatte. Und er war nicht sicher, ob er überhaupt schon einmal eins in diesem Alter auf dem Arm gehabt hatte. Ein so kleines, zahnloses und unglaublich niedliches Baby. Plötzlich hatte Max schreckliche Angst, er könnte Libby fallen lassen.

Nachdem er sein Jackett ausgezogen und über eine Stuhllehne gehängt hatte, griff er in den Laufstall und hob Libby empor.

„Wie leicht sie ist! Ich dachte, sie ist schwerer.“

„Sie ist noch ein Baby, und Zwillinge sind oft klein. Aber keine Sorge, die beiden sind bemerkenswert robust. Sag zu Daddy Guten Tag, Libby.“

Daddy?

„Mum-mum“, plapperte sie und zog an seiner Nase.

„Aua!“

„Setz Libby auf deine Hüfte“, forderte Julia ihn auf und legte ihm Ava in den anderen Arm. „Da, bitte! Deine Kinder.“

Max blickte auf sie hinunter. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen. Wie in aller Welt konnte Julia die beiden auseinanderhalten? Ava streckte die Hand nach ihrer Schwester aus, sie strahlten sich an und sahen dann zu ihm hoch. Ihre Augen waren ganz genau so leuchtend blau wie seine. Gleichzeitig lächelten Ava und Libby ihn an, und Max verliebte sich Hals über Kopf.

„Hier, du solltest dich besser hinsetzen.“ Julia lotste ihn zu einem Stuhl, bevor Max’ Beine nachgaben. Er sah aus wie vom Donner gerührt, und die Mädchen waren offenbar ebenso fasziniert. Sie patschten ihm ins Gesicht, zogen an seinen Ohren und an seiner Nase. Und Max saß einfach verwundert da.

Schließlich sah er auf, und Julia erkannte, dass er wütender war, als sie ihn jemals erlebt hatte. Sie wich zurück.

Er hasste sie.

Tränen stiegen ihr in die Augen. „Ich koche Tee“, sagte sie und wandte sich ab. Aber Ava und Libby fingen an zu schreien. Deshalb stellte Julia schnell den Kessel auf das Kochfeld und nahm Max die Babys ab. „Ich muss sie füttern.“

„Ich helfe dir.“

„Hm, ich glaube nicht, dass du das kannst. Dafür bist du nicht ausgestattet.“

Als der Groschen fiel, wurde Max rot. „Oh! Ich werde …“

„Bleib hier.“ Julia ging zum Fenster. Es hinauszuzögern, war zwecklos. Außerdem würde er nichts sehen, was er nicht schon gesehen hatte. Sie setzte sich, drückte die Kissen links und rechts an sich, um die Babys darauf abzustützen, öffnete ihren BH und legte die Kinder an.

Max wusste nicht, wo er hinschauen sollte. Er wusste, wo er hinschauen wollte. Tatsächlich konnte er seinen Blick nicht von Julia losreißen, nur war es wohl nicht gerade höflich, sie so anzustarren.

„Das Wasser kocht. Ich hätte gern eine Tasse Tee“, sagte Julia.

„Ja … sicher.“ Max stand auf, ging zum AGA-Herd und hob den Kessel hoch. Und jetzt? Sollte er ihn auf dem Deckel abstellen? Dann bemerkte Max, dass daneben Platz war. Was für ein lächerliches System. Was gab es an einem elektrischen Wasserkocher auszusetzen? Oder an dem Boiler, den sie in ihrer Wohnung hatten?

Ihre Wohnung? Noch immer? Ein Jahr danach?

„Wo sind die Tassen?“

„Über der Spüle. Der Tee ist in der Büchse neben dem Herd, und Milch steht im Kühlschrank im Haushaltsraum. Tu bitte etwas kaltes Wasser in meinen Tee.“

Max hängte die Teebeutel in die Tassen, trat über den Hund hinweg, holte die Milch, schüttete einen Schuss in den Tee und brachte Julia ihre Tasse.

„Danke. Stell sie ans Tischende.“

Er stellte sie ab und zögerte. Fasziniert beobachtete er, wie die Babys an Julias Brüsten tranken. Und er fühlte sich ausgeschlossen.

Sie hatte ihn von der Geburt der Zwillinge ferngehalten. Dieses wunderbare Ereignis hatte ohne ihn stattgefunden. Betrogen kam er sich vor.

Wütend lehnte sich Max an den Herd und trank seinen Tee. Ihn packte eine rasende Wut, sodass er das Haus auseinandernehmen wollte.

„Max? Könntest du mit Ava auf und ab gehen? Sie muss nur noch ihr Bäuerchen machen. Hier, vielleicht erbricht sie etwas Milch.“ Julia reichte ihm ein weiches weißes Tuch und dann seine Tochter.

Du liebe Güte, daran musste er sich erst noch gewöhnen. Ava war jetzt bestens gelaunt, machte ihr Bäuerchen und lachte. Er wischte ihr mit einem Zipfel des Tuchs den Mund ab und lächelte sie an.

„Kleiner Fratz“, sagte Max liebevoll. Gerade, als er einen Schluck Tee trinken wollte, hob Ava die Hand und erwischte die Tasse.

Ohne lange zu überlegen, schwenkte er das Baby aus dem Weg, doch sich selbst konnte er nicht schützen. Und der Tee war heiß! So heiß, dass Max erschrocken aufschrie. Fast im selben Moment fing Ava an zu weinen. Wasser, kaltes Wasser! Max trug sie zur Spüle, klatschte kaltes Wasser über Ava und hielt für alle Fälle ihre Hand unter den Strahl. Julia legte währenddessen Libby ab und eilte zu ihnen.

„Gib sie mir.“ Julia legte Ava auf den Tisch und zog sie aus.

An ihr war keine gerötete Stelle zu entdecken, aber es hätte ohne Weiteres mit einer Katastrophe enden können, und Max fühlte sich total mies. Er kam sich dumm und verantwortungslos vor.

„Was sollte denn das? Eine Tasse heißen Tee hält man nicht über ein Kind!“, schimpfte Julia.

Am Boden zerstört, trat Max zurück. „Es tut mir leid. Ich habe nicht nachgedacht … Ist alles in Ordnung mit ihr? Muss sie ins Krankenhaus?“

„Nein, ihr geht es gut. Was sie nicht dir zu verdanken hat!“

„Du hast sie mir gegeben.“

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass du Tee über sie schüttest!“

„Sie hat nichts abbekommen.“

„Das war reines Glück.“

„Du hast deine Tasse über Ava und Libby gehalten!“

„Weshalb habe ich wohl kaltes Wasser drin? Schsch…, Schatz, es ist ja nichts passiert.“

Aber jetzt schrien beide Babys – völlig verstört durch den lauten Wortwechsel und das Jaulen des Hundes.

„Es tut mir leid“, wiederholte Max rau. Kopfschüttelnd wandte er sich ab, wütend auf sich selbst wegen seiner Dummheit. Aber Julia ließ ihm keine Gelegenheit, sich in Selbstvorwürfen zu ergehen.

„Hier, nimm du sie. Ich hole trockene Sachen.“ Julia sah ihn an. Ihre Wimpern waren mit Tränen benetzt und ihre Stimme wurde weicher. „Ava geht es gut, Max. Sie hat sich nur erschrocken. Entschuldige, dass ich dich angefahren habe.“

„Sie hätte …“

„… nicht. Es war ein Unfall. Nimm sie einfach. Ich bin gleich wieder da.“

Regungslos wartete Max mitten in der Küche, bis Julia mit Windeln und winzigen Kleidungsstücken zurückkehrte und das schreiende Baby aus seinen Armen hob. Dann setzte er sich, vergrub sein Gesicht in die Hände und atmete tief durch.

„Kannst du bitte Libby trösten?“, fragte sie.

Er riss sich zusammen und stand wieder auf. „Vertraust du mir denn?“, fragte er kurz angebunden.

Grimmig lächelte Julia ihn an. „Das muss ich tun, oder? Du bist Avas und Libbys Vater.“

„Wirklich?“

„Natürlich, Max! Wer sonst?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht sollten wir einen Gentest machen lassen.“

Julia wurde blass. „Wozu denn? Bei so etwas würde ich dich nicht anlügen. Außerdem habe ich nicht vor, Unterhaltszahlungen von dir zu verlangen.“

„Mir geht es nicht ums Geld, sondern um die Vaterschaft. Einerseits hätte ich nie geglaubt, dass du mich anlügst, aber andererseits hätte ich auch nicht geglaubt, dass du mich ohne jede Vorwarnung verlässt, mit einem anderen Mann zusammenlebst und zwei Kinder bekommst, ohne mich darüber zu informieren. Also kenne ich dich offensichtlich nicht annähernd so gut, wie ich dachte!“

Seine Wut trat wieder offen zutage. „Ja, ich will einen Gentest. Abgesehen von allem anderen könnte er vor Gericht nützlich sein.“

„Vor Gericht?“, rief Julia bestürzt. „Warum? Ich werde dich nicht daran hindern, deine Kinder zu sehen.“

„Immerhin ist es möglich, dass du von hier wegziehst und dich irgendwo anders wieder versteckst. Ich weiß, dass du deinen Reisepass bei dir hast. Und falls du dich doch noch dazu entschließt, auf Unterhalt zu klagen, will ich sicher sein, dass es meine Kinder sind, für die ich zahle.“

Tief verletzt blickte Julia ihn an, und Max kam sich wie ein totaler Schuft vor.

„Jetzt fang bloß nicht an zu heulen“, fuhr er sie an, weil er meinte, sie würde weinen, und er genau wusste, dies nicht ertragen zu können. Jules weinte nicht, niemals.

Seine Worte putschten sie auf, und sie funkelte ihn wütend an. „Ich hatte vergessen, was für ein Mistkerl du bist, Max. Du brauchst keinen Test, der beweist, dass du der Vater bist! Als Ava und Libby gezeugt wurden, waren wir jede Minute am Tag und in der Nacht zusammen. Wer sonst könnte es denn gewesen sein?“

Er zuckte die Schultern. „John Blake?“

Julias Augen wurden groß, dann begann sie zu lachen. „Nein. Er ist keine Bedrohung für dich. John ist Ende fünfzig und überhaupt nicht mein Typ. Und außerdem ist er schwul.“

Die Erleichterung war so groß, dass sie Max den Atem raubte. Jules hatte keine Affäre gehabt, und die Babys waren von ihm.

Und eins von ihnen schrie noch immer.

Max nahm Libby vorsichtig hoch und ging zu Julia, die dabei war, Ava anzuziehen.

Julia ließ den Blick über seine Brust gleiten. „Dein Hemd ist durchnässt. Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie ohne einen Funken Mitgefühl, denn das hatte er ohnehin nicht verdient.

„Ich werde es überleben“, erwiderte Max kurz angebunden. „Ist ihr wirklich nichts passiert?“

„Nein, Ava hat nichts abbekommen“, beruhigte Julia ihn widerwillig, aber fair wie immer. „Mach dir deswegen keine Gedanken mehr.“

Leichter gesagt als getan, besonders einige Zeit später. Nachdem Julia die Babys mit einer ekelhaften Pampe aus kleinen Gläsern gefüttert hatte – wie konnte Lamm mit Gemüse nur so scheußlich riechen? –, legte sie die Mädchen in ihre Kinderbetten. Dann ließ sie ihn sein Hemd ausziehen. Als er selbst die gerötete Haut auf seiner Brust sah, wurde ihm fast schlecht. Wenn das mit Ava passiert wäre …

„Du Idiot! Du hast gesagt, es sei alles in Ordnung“, schimpfte Julia entsetzt, dann strich sie unendlich sanft eine kühle grüne Salbe auf seine Brust.

„Was ist das?“, fragte Max mit heiserer Stimme. Es war so lange her, dass Julia ihn berührt hatte. Ihre Finger auf seiner Haut zu spüren genügte, um weiche Knie zu bekommen.

„Aloe-Vera-Gel“, murmelte Julia, „hilft bei Verbrennungen.“

Schließlich sah sie auf und erwiderte seinen Blick. Die Zeit blieb stehen. Max konnte kaum noch atmen, das Herz schlug ihm bis zum Hals.

Er begehrte sie.

Noch immer war er wütend auf sie, weil sie von der Bildfläche verschwunden war, ihn völlig unerwartet verlassen und ihm die Babys vorenthalten hatte. Aber er hatte niemals aufgehört, sie zu lieben. Er liebte sie auch jetzt.

„Jules …“

Mit dem einen geflüsterten Wort war der Zauber gebrochen. Sie trat zurück und schraubte den Deckel auf den Salbentiegel, ihr zitterte jedoch die Hand, was Max aus irgendeinem Grund Hoffnung gab.

„Hast du ein Ersatzhemd dabei?“

„Ja, ich habe ein Bordcase im Auto.“

„Du hast vor, zu bleiben?“, hauchte Julia erschrocken.

Verärgert lachte Max auf. „Ja, ich bleibe. Jetzt, da ich dich gefunden habe, verliere ich dich nicht noch einmal aus den Augen.“

2. KAPITEL

Max ging nach draußen zum Auto, und Julia beobachtete ihn durchs Fenster.

Er wollte bleiben?

Hier? Nein! Nein, er konnte nicht hier bei ihr wohnen! So nahe durfte sie ihn gar nicht erst kommen lassen, weil sie ihn kannte. Weil sie diesen Blick gerade eben kannte und wusste, wie anfällig sie selbst war für seine starke erotische Ausstrahlung. Max brauchte sie nur zu berühren, und sie würde schwach werden.

Trotz allem war sie entsetzt darüber, wie er sich verändert hatte. Er hatte abgenommen, sein Haar war an den Schläfen grau meliert und er sah mit seinen achtunddreißig Jahren kein bisschen jünger aus, als er es war. Tatsächlich war er im vergangenen Jahr sichtlich gealtert, und in Julia keimten wieder Gewissensbisse auf.

Wenn er nicht auf sich aufpasst, ist das nicht meine Schuld, sagte sich Julia. Außerdem waren nicht nur seine Rippen deutlich zu sehen gewesen, sondern auch seine Muskeln. Obwohl er weniger wog und getrieben wirkte, war er gut in Form.

Fit und schlank und hart. Ihr Herz schlug schneller, als er mit dem Koffer zum Haus zurückkehrte und sich sein athletischer Körper im grellen Licht des Bewegungsmelders scharf abzeichnete. Max trainiert im Fitnessstudio oder joggt öfter als früher, dachte sie. Oder beides. Er joggte meistens dann, wenn es schwierig wurde und er nachdenken musste.

Oder um sich davon abzuhalten zu grübeln.

War das ihre Schuld? Vielleicht. Wahrscheinlich. Verdammt, was für ein Schlamassel.

„Gibt es hier ein Hotel, in dem ich wohnen kann?“, fragte Max. Er ging in die Hocke, nahm einen weichen Pullover aus dem Bordcase und zog ihn über den Kopf.

Julia öffnete den Mund, um Ja zu sagen, doch etwas anderes kam heraus: „Sei nicht albern, du kannst bei mir wohnen. Das Haus hat viele Zimmer.“

„Wirklich? Hast du keine Angst, dass ich dich im Dorf in Verruf bringe?“

Julia musste lachen. „Es ist zu spät, sich darüber Gedanken zu machen, Max. Das hast du schon getan, als du mich geschwängert hast. Und offen gestanden kann mir das Dorf den Buckel runterrutschen.“

Stirnrunzelnd stellte Max den kleinen Koffer in die Ecke. „Was ist mit John Blake?“

„Was soll mit ihm sein? Ich darf Gäste haben, das steht in meinem Vertrag.“

„Du hast einen Vertrag?“

„Natürlich! Glaubst du etwa, ich ziehe wahllos bei irgendeinem Mann ein? Er ist ein Freund von Jane und Pete und hat jemanden gesucht, der sich um sein Haus kümmert. Es ist alles einwandfrei.“

„Die Frau im Postamt schien anderer Meinung zu sein.“

„Die Frau im Postamt sollte sich mal besser um sich selbst kümmern“, erwiderte Julia energisch. „Wie dem auch sei, ich habe dir schon erzählt, dass John schwul ist. Hast du Hunger?“

„Hunger?“ Max runzelte wieder die Stirn.

Noch mehr Schuldgefühle plagten Julia. Wer passte auf, dass Max ordentlich aß? Wer wies warnend darauf hin, dass er lange genug gearbeitet hatte und dass es noch viel zu früh zum Aufstehen war? Wer hinderte ihn daran, Raubbau an seiner Gesundheit zu treiben?

Niemand, wie Julia entsetzt erkannte, als sie ihn genau musterte. Max sah erschöpft aus, er hatte dunkle Schatten unter den Augen und einen angespannten Zug um den Mund. Spurlos verschwunden war dieses rasch aufblitzende wundervolle Lächeln.

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Im Kühlschrank sind Hähnchenbrustfilets. Und ich habe alles Mögliche in der Gefriertruhe.“

„Können wir nicht ausgehen?“

„Wohin – mit den Zwillingen?“

Sein Gesicht war ein Bild für die Götter.

„Ich kann nicht einfach so ausgehen, Max. Das ist eine kleine militärische Operation, denn ich habe keinen Babysitter auf Abruf.“

„Gibt es im Pub etwas zu essen?“

„Ja, und es ist gut.“

„Meinst du, sie packen es mir zum Mitnehmen ein?“

„Das bezweifle ich. Aber versuch doch, sie zu überreden. Das Pub ist gleich auf der anderen Seite des Flusses. Zu Fuß brauchst du zwei Minuten.“

„Haben sie eine Speisekarte?“

„Ja, es ist eine Art Feinschmeckerpub. Man wählt etwas aus und trinkt etwas, während sie das Essen zubereiten. Es wird ungefähr zwanzig Minuten dauern.“

Und sie gewann Zeit zu duschen und Sachen anzuziehen, die nicht nach Babykost und Windelcreme rochen. Sie würde sich das Haar bürsten und Make-up auftragen … Nein, kein Make-up, sie wollte nicht zu verzweifelt wirken. Aber sie würde Jane in der Zwischenzeit anrufen.

„Soll ich nicht noch ein bisschen warten? Es ist ziemlich früh.“

„Nein, später wachen vielleicht die Babys auf. Essen ist einfacher, solange sie schlafen. Außerdem servieren sie im Pub nur bis neun.“

Max nickte, zog sein Jackett über und ging zur Tür. „Was hättest du gern?“

„Irgendetwas. Du weißt, was ich mag.“

Mürrisch las Max die Speisekarte und trank dabei sein Bier.

Wusste er, was Julia mochte? Früher hatte er geglaubt, es zu wissen: Latte macchiato, Speckbrötchen, Mandelcroissants, Zartbitterschokolade, gedünstetes Gemüse, gebratenen Seebarsch, einen gut gekühlten Chablis, Karamellpudding mit Schlagsahne … und am Sonntagmorgen zu Hause in ihrer gemeinsamen Wohnung aufwachen und bis zum Mittag Liebe machen.

Max hatte gewusst, wie er Julia dazu bringen konnte, vor Wonne zu seufzen und nach mehr zu betteln – nach dieser einen letzten Berührung, die sie mit einem Aufschrei der Lust zu einem überwältigenden Höhepunkt bringen würde.

„Haben Sie schon gewählt?“

Einen Moment lang schloss Max die Augen, bevor er die hübsche junge Kellnerin mit einem – hoffentlich einigermaßen normalen – Lächeln ansah. „Ich nehme das Steak und …“ Er zögerte. Gebratener Lachs oder mit Brie und Pesto gefülltes Hähnchenbrustfilet?

Ihm fiel ein, dass Julia Hähnchenbrustfilets im Kühlschrank hatte. „… den Lachs, bitte. Und ich würde das Essen gern mitnehmen. Wir haben keinen Babysitter, und Take-away kommt Ausgehen mit gemeinsamem Dinner am nächsten.“ Diesmal war das Lächeln besser, weniger fahrig und verlegen, und die Kellnerin erwiderte es errötend.

„Ich bin sicher, dass wir das für Sie tun können“, sagte sie ein bisschen atemlos.

Und ihm war unangenehm, wie stolz es ihn machte, dass er junge Frauen noch immer mit einem schlichten Lächeln verwirren konnte.

„Oh! Und dürfte ich die Weinkarte sehen? Ich würde gern zwei Flaschen mitnehmen, wenn das geht!?“

„Natürlich. Ich gebe die Bestellung in die Küche und bringe Ihnen die Weinkarte.“

Kurz darauf kehrte die Kellnerin damit zurück, und Max wählte einen weißen und einen roten Wein aus, bezahlte die Rechnung und wartete.

Seltsam. Gestern um diese Zeit wäre er zu beschäftigt gewesen, um auf sein Essen zu warten. Er hätte es liefern lassen, selbst wenn das Restaurant gar nicht ins Haus lieferte. Alles hatte seinen Preis. Man musste nur genug zahlen.

An diesem Abend, nachdem er ein paar Telefongespräche geführt und auf seinem Smartphone seine E-Mails gecheckt hatte, saß Max einfach da und nahm sich eine Auszeit vom wohl folgenschwersten Tag seines Lebens. Abgesehen von …

Nein. An jenen anderen Tag wollte er nicht denken. Max verdrängte die Erinnerung und trommelte mit den Fingern auf den Tisch.

„Das hat wundervoll geschmeckt. Danke, Max. Mir den Lachs mitzubringen, war ein wirklich netter Einfall.“

„Mein Steak war auch gut, aber das hättest du nicht gewollt, und ich dachte, mit Fisch kann ich nichts verkehrt machen. Ich wusste nicht, ob du gern einen Nachtisch gehabt hättest.“ Max runzelte die Stirn. „Mir ist klar geworden, dass ich eigentlich keine Ahnung habe, was du willst.“

„Da bist du nicht der Einzige.“ Julia lächelte. „Ich weiß oft nicht, was ich will.“

Ungläubig zog er die Augenbrauen hoch. „Seit wann bist du denn entscheidungsschwach?“

Darüber lachte sie. „Was mich persönlich betrifft, bin ich es immer gewesen.“

„Hast du deshalb keinen Kontakt mit mir aufgenommen? Weil du unentschlossen warst, ob du das Richtige oder Falsche tust?“

Von Schuld und Reue gepackt, senkte Julia den Blick. „Wahrscheinlich, einerseits. Andererseits wolltest du mir ohnehin nicht zuhören. Deshalb schien es zwecklos, mit dir reden zu wollen. Und du hattest ja auch nicht versucht, mit mir zu reden.“

Max seufzte. „Weil ich zu dir gesagt hatte, du sollst dich melden, wenn du mich sprechen willst. Dass du es nicht getan hast …“

Fast hätte Julia ihren Ärger herausgelassen, doch in seinem Blick war etwas, was sie nicht ignorieren konnte. „Viele Male war ich kurz davor. Dann habe ich mir gedacht, wenn du bereit wärst zuzuhören, würdest du mich anrufen. Und das hast du nicht.“

„Ich habe es versucht! Deine Nummer war gesperrt.“

„Mir ist mein Handy gestohlen worden. Aber das war erst im Juni! Also hast du es sechs Monate lang nicht versucht, Max.“

„Ich habe darauf gewartet, dass du mich anrufst. Ich habe geglaubt, wenn ich dir Freiraum gebe … Nur hast du dich nicht gerührt, und zeitweise war ich wirklich wütend auf dich. Schließlich habe ich die Ungewissheit nicht länger ausgehalten. Nicht zu wissen, wo du bist, hat mich fast umgebracht. Deshalb habe ich angerufen – und dich nicht erreicht. Und du hast dein Konto nicht benutzt.“

„John bezahlt meine Lebenshaltungskosten, und ich darf sein Auto fahren.“

„Sehr großzügig“, murrte Max.

„Ist er. Er ist ein netter Mensch.“

Bei dem Gedanken daran, dass ein anderer Mann für ihren Unterhalt aufkam, presste Max die Lippen zusammen. Tja! Pech. Er würde darüber hinwegkommen. Bei John war es ja angeblich nur ein Job.

„Er war so verständnisvoll, als die Babys geboren wurden“, zog Julia die Schraube noch ein bisschen fester an. „Er hat einen Freund dazu gebracht, hier zu wohnen, bis ich nach Hause zurückkonnte.“

Nach Hause?

„Ja. Rose Cottage ist fürs Erste unser Zuhause.“ Julia erzählte Max nicht, dass John bald heimkehrte und sie sich dann eine andere Bleibe suchen musste. Sollte Max ruhig denken, dass alles in Ordnung war und sie nicht unter Druck stand.

Weil er es sonst vielleicht benutzen würde, um sie zu einer Versöhnung zu drängen. Und darauf würde sie sich erst einlassen, wenn sie sicher wusste, dass er so weit war. Wenn überhaupt.

„Damals im Krankenhaus ist mir mein Telefon gestohlen worden. Ich habe es gemeldet und die Karte sperren lassen. Jane hat mir ihr altes Prepaidhandy für Notfälle gegeben, deshalb habe ich meinen Vertrag gekündigt. Ich habe keinen Sinn darin gesehen, einen teuren Tarif zu bezahlen, wenn ich doch die meiste Zeit mit den Babys zu Hause bin und einen Festnetzanschluss habe.“

„Und dir ist nicht eingefallen, mir eine der Nummern mitzuteilen?“

Verbittert lachte Julia. „Warum? Weil du mich in den sechs Monaten davor regelmäßig angerufen hast?“

„Ich habe mir gesagt, du würdest dich schon melden“, erwiderte Max mit zusammengebissenen Zähnen. „Ich habe mich gezwungen, dir Zeit zu geben, damit du darüber nachdenken kannst, was du willst. Irgendwann habe ich mich gefragt, wie lange das eigentlich dauern kann: Wenn du so viel Zeit benötigst, dann haben wir in deinen Augen wahrscheinlich nichts, was noch zu retten ist. Und ich dachte ja nicht daran, schwach zu werden und dich anzurufen. Als ich es schließlich doch getan habe, konnte ich dich nicht erreichen. Und dann habe ich einen Privatdetektiv angesetzt …“

„Einen Privatdetektiv!“, rief Julia. Im Nu waren Mitgefühl und Schuldempfinden vom Tisch gewischt, und sie wurde wütend. „Du hast mir nachspionieren lassen?“

„Weil ich krank vor Sorge um dich war! Und was glaubst du denn, wie ich dich mitten in der Pampa gefunden habe? Rein zufällig?“

„Nicht, indem du selbst gesucht hast, so viel ist sicher“, spottete Julia. „Für so etwas bist du zu beschäftigt. Tatsächlich überrascht es mich, dass du jetzt hier bist. Müsstest du nicht eigentlich woanders Wichtigeres erledigen?“

Max warf ihr einen scharfen Blick zu. „Wenn es mir wichtiger wäre, dann wäre ich jetzt in New York.“

„Das hätte ich wissen können“, meinte Julia kopfschüttelnd. „Und? Wann hast du erfahren, dass ich hier bin?“

„So gegen halb drei heute Nachmittag.“

„Heute?“, fragte sie erstaunt. Als er ihr das mit dem Privatdetektiv erzählt hatte, war sie davon ausgegangen, dass Max schon längst darüber informiert gewesen war. „Du bist sofort losgefahren?“

Er zuckte die Schultern. „Was sollte ich denn tun? Warten, dass du wieder verschwindest? Natürlich bin ich sofort hergekommen. Weil ich Antworten haben wollte.“

„Bisher hast du mir noch keine Fragen gestellt. Abgesehen davon, warum ich mich nicht gemeldet habe, was ich dir erklärt habe.“

„Und ob ich der Vater bin.“

Wütend funkelte Julia ihn an. „Du wusstest, dass es deine Kinder sind! Du warst kein bisschen überrascht. Ich vermute, der Privatdetektiv hat uns fotografiert.“

Zwar hielt Max ihrem Blick stand, schaute aber schuldbewusst drein. Sie ignorierte es und sprach unverdrossen weiter.

„Und warum interessiert dich das überhaupt? Du hast oft genug betont, dass du keine Kinder willst. Also, was hat dich veranlasst, mitten im Winter den ganzen Weg ins verschlafene Suffolk zu machen, um mich das zu fragen?“

Zum ersten Mal hatte Julia das Gefühl, wirklich hinter seine Maske zu sehen, und die Qual, die sie ihm vom Gesicht ablesen konnte, rührte ihr Herz – ihr verräterisches Herz. Würde sie weich werden?

„Du“, erwiderte Max rau. „Ich habe dich vermisst, Jules. Komm zurück zu mir.“

Oh nein! Jane hatte recht damit gehabt, dass er sie umschmeicheln würde. Tja! Sie war gewarnt worden und fiel nicht darauf herein. „So einfach ist das nicht.“

Seufzend verdrehte er die Augen. „Jetzt fängst du wieder vom Lebensstil an, stimmt’s?“

„Nun ja … Offenbar hast du dich nicht geändert. Du siehst furchtbar aus, Max. Wie lange hast du gestern Nacht geschlafen?“

„Etwa … vier Stunden“, gab er widerwillig zu.

Julia hatte den Eindruck, dass er etwas verbarg, und sie ahnte, was es war. „Wie viele Stunden arbeitest du zurzeit? Fünfzehn? Achtzehn? Zwanzig?“ Da sie ihn genau beobachtete, bemerkte sie die leichte Bewegung, als sie den Nagel auf den Kopf traf. „Max, das geht nicht! Du brauchst mehr Schlaf! Und wo schläfst du normalerweise? In der Wohnung oder im Büro?“

„Was kümmert dich das?“, fragte er und klang plötzlich verbittert. „Was zum Teufel bedeutet es dir schon, wenn ich mich kaputtmache, weil ich versuche …“

„… weil du versuchst …?“, hakte Julia nach und bereute es, weil seine ehrliche Antwort sie mitten ins Herz traf.

„… dich zu vergessen. Ich bleibe so lange wach, bis ich aus Erschöpfung einschlafe, damit ich nicht daliege und mich immerzu frage, ob du tot oder noch am Leben bist.“

Mühsam holte Julia Luft. „Warum hast du denn gedacht, dass ich vielleicht tot bin?“

„Ich habe nichts mehr von dir gehört!“ Er stand auf und ging in der Küche auf und ab. „Du hast kein Geld ausgegeben, dein Handy hat nicht funktioniert. Du hättest in einem Straßengraben liegen können! Tagsüber habe ich nach dir gesucht, jeden angerufen, der mir eingefallen ist, ich habe den Privatdetektiv genervt und bis zum Umfallen gearbeitet. Damit ich am Ende des Tages keinerlei Kraft mehr hatte, um …“

Julia starrte ihn an und war entsetzt über den Schmerz, der aus seinen Worten sprach – Schmerz, den sie ihm zugefügt hatte. Währenddessen wandte sich Max ab und schlug mit der Hand gegen die Wand.

Wozu besaß er nicht mehr die Kraft? Um sich in den Schlaf zu weinen, wie sie es machte?

Nein. Nicht Max.

Er doch wohl nicht!?

Julia stand auf, ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid, Max“, flüsterte sie, und er drehte sich um.

„Warum, Jules? Was habe ich verbrochen, dass du mich so behandelst? Ich verstehe nicht, warum du mir nicht gesagt hast, dass ich Vater werde.“

„Ich wollte es, aber du warst immer gegen Kinder.“

„Weil du doch keine bekommen konntest. Weil …“ Er schüttelte den Kopf. „Egal. Jedenfalls haben wir damals rein theoretisch davon gesprochen. Als du festgestellt hast, dass du schwanger bist … Wann hast du es übrigens erfahren?“

Julia schluckte. „Während du auf dem Weg nach Tokio warst. Jane hat einen Blick auf mich geworfen und mir ihren Ersatzschwangerschaftstest hingehalten.“

„Gleich an dem Tag? Und du hast es mir verschwiegen? Warum?“

„Ich dachte, du willst es gar nicht wissen. Und dabei habe ich mir so sehr gewünscht, dass du bei mir bist.“

„Wenn du mir die Chance dazu gegeben hättest, wäre ich die ganze Zeit über bei dir gewesen“, versicherte ihr Max gequält.

„Nur, wenn du nicht zu beschäftigt gewesen wärst …“

Er sah sie nicht an. „Dafür wäre ich nicht zu beschäftigt gewesen.“

„Doch, natürlich!“

„Nein. Du hattest kein Recht, mir die Entscheidung abzunehmen, Julia.“

Das stimmte, und zu sehen, wie wütend und traurig er über die verlorene Zeit war, traf sie bis ins Mark. Julia wollte Max umarmen, aber es stand ihr nicht mehr zu. Wie könnte sie ihn über das Leid hinwegtrösten, das sie ihm zugefügt hatte? Es gab außerdem keine Garantie, dass er sie nicht zurückwies. Und das würde sie nicht ertragen.

Als er aufblickte, erkannte sie, dass er sie keineswegs wegstoßen würde. Wie gebannt von Max’ leidenschaftlich funkelnden blauen Augen, durchflutete Julia ein Gefühl, das ihr den Atem raubte.

Zärtlich umfasste Max ihre Wange. „Ich brauche dich. Ich hasse dich dafür, was du mir angetan hast, trotzdem brauche ich dich noch immer. Komm zurück zu mir. Bitte lass uns noch einmal von vorn anfangen.“

Mit weichen Knien trat Julia zurück. Es wäre so einfach …

„Ich kann nicht. Nicht zurück in das Leben, schon gar nicht mit den Babys. Ständig um die Welt jetten, Profitstreben, Börsenkurse, riskante Firmenübernahmen, das Wettrennen an die Spitze der Topverdiener – ich will das nicht mehr. Deshalb habe ich dich verlassen. Und nichts hat sich geändert, richtig? Na gut! Du müsstest jetzt eigentlich in New York sein und bist stattdessen hier. Aber ich wette, du hast auf der Fahrt hierher telefoniert oder im Pub oder auf dem Weg dorthin. Oder du musst nachher noch Gespräche führen. Habe ich recht?“

Seufzend nickte Max. „Ja, verdammt, natürlich hast du recht. Ich habe ein Unternehmen zu leiten.“

„Und Angestellte. Hervorragende Mitarbeiter, die sehr wohl imstande sind, den Betrieb am Laufen zu halten. Also lass sie, Max. Gib ihnen die Chance, sich zu bewähren. Nimm dir die Zeit, deine Kinder kennenzulernen.“

„Zeit?“, fragte er vorsichtig, als könnte er sich darunter nichts vorstellen.

Wenn es nicht um ihr Leben gegangen wäre, hätte Julia wohl gelächelt. So, wie die Dinge lagen, war sie den Tränen nahe. Herausfordernd hob sie das Kinn und versuchte, Rückgrat zu zeigen.

„Bleibe zwei Wochen hier, mit mir, ohne Telefongespräche, Geschäftsunterlagen, Laptops, E-Mails oder Post. Nur wir. Nimm dir Urlaub, verstehst du? Eins von den Dingen, die wir nie hatten. Du, die Babys und ich. Lass uns schauen, ob aus uns irgendwie eine Familie werden kann.“

Max schüttelte den Kopf. „Ich kann mir nicht einfach so zwei Wochen freinehmen. Das ist nicht möglich. Nicht, ohne in Kontakt zu bleiben.“

„Dass du in der Firma Bescheid geben musst, ist mir klar“, erwiderte Julia. „Hör zu, ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir und bin fix und fertig. Ich gehe ins Bett. Dein Zimmer ist dasjenige, das weiter weg von dem Zimmer der Babys liegt. Denk darüber nach, was ich gesagt habe. Wenn es dir wirklich ernst damit ist, dass wir wieder zusammenkommen, dann will ich diese zwei Wochen. Keine Kompromisse, kein Mogeln. Die Regeln werden eingehalten und nicht etwa großzügig ausgelegt. Ruf gleich morgen früh deine persönliche Assistentin an und mach das mit ihr ab.“

Spöttisch zog Max die Augenbrauen hoch. „Das klingt wie ein Befehl!?“

„Ich setze die Regeln fest. Entweder du lässt dich darauf ein oder nicht.“

„Nenn mir einen einzigen guten Grund, warum ich das tun sollte.“

„Wenn du am Leben deiner Kinder teilhaben willst, wirst du dich dafür entscheiden. Ich werde ihnen nicht einen meistens abwesenden Vater zumuten, der seine Familienpflichten nicht einhält und den Unterschied zwischen Büro und Zuhause nicht kennt.“

Lange blickte Max sie forschend an. Gerade als Julia dachte, er würde ablehnen, nickte er.

„In Ordnung. Ich rufe Andrea morgen früh an und organisiere das. Nur, damit wir uns richtig verstehen: Ich tue es für die Kinder. Weil du damit recht hast, dass sie mehr verdient haben als einen Vater, der nicht für sie da ist. Bis ich dir verzeihen kann, dass du mich um ihre ersten Lebensmonate betrogen hast, wird allerdings noch viel Zeit vergehen. Also erwarte nicht von mir, dass ich immer die Freundlichkeit in Person bin....

Autor

Caroline Anderson
<p>Caroline Anderson ist eine bekannte britische Autorin, die über 80 Romane bei Mills &amp; Boon veröffentlicht hat. Ihre Vorliebe dabei sind Arztromane. Ihr Geburtsdatum ist unbekannt und sie lebte die meiste Zeit ihres Lebens in Suffolk, England.</p>
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