Julia Collection Band 136

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Umgeben von Reichtum, aber ohne väterliche Liebe, sind die Söhne der Familie Wolfe zu attraktiven und rücksichtslosen Männern herangewachsen. Auf der Suche nach Erfolg bereisen sie die ganze Welt – denn noch wissen sie nicht, dass ein verletztes Herz nur durch wahre Liebe geheilt werden kann.

VERRÄTERISCHE GEFÜHLE von MORGAN, SARAH
"Sie sind unglaublich sexy!" Katie glaubt zu träumen, aber es ist Realität: Nathaniel Wolfe, Hollywoods skandalumwitterter Bad Boy und Gegenstand erotischer Fantasien von Millionen Frauen, nimmt sie mit auf seine paradiesische Privatinsel und versucht sie zu verführen …

KÜSSE NIEMALS DEINEN CHEF! von CREWS, CAITLIN
"Sind Sie etwa immun gegen meinen Charme?" Grace ist sprachlos, als Lucas Wolfe ihr frech diese Frage stellt. Sie hat Wichtigeres zu tun, als sich mit diesem unverschämten, wenn auch sehr attraktiven Womanizer abzugeben! Trotzdem lässt seine samtige Stimme sie sinnlich erschauern …

SCHENK MIR MEHR ALS DIESE NACHT von GREEN, ABBY
Aneesa hat ihren Bräutigam beim Fremdgehen erwischt. Am Tag der Hochzeit! Verzweifelt irrt sie durch das Festhotel direkt in die Arme des Besitzers Sebastian Wolfe. Nur ein einziger Blick und Aneesa weiß: Sie will die Liebe kennenlernen. In dieser Nacht und mit diesem Mann …


  • Erscheinungstag 16.08.2019
  • Bandnummer 136
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713393
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sarah Morgan, Caitlin Crews, Abby Green

JULIA COLLECTION BAND 136

1. KAPITEL

Sie warten darauf, dass ich versage …

Nathaniel Wolfe, Hollywoods Bad Boy und Gegenstand erotischer Fantasien von Millionen Frauen, stand allein hinter der Bühne des berühmten Londoner Theaters und lauschte dem gedämpften Stimmgewirr des Publikums.

Die Frauen waren gekommen, um festzustellen, ob die Life-Version mit der Bildschirmvariante mithalten konnte, während die Männer sehen wollten, wie es tatsächlich um sein Schauspieltalent stand. Und die Kritiker wetzten ihre Messer, seit bekannt war, dass er die Hauptrolle in einer modernen Interpretation von Shakespeares Richard II spielen würde.

Nathaniel machte sich keine Illusionen – man traute ihm diese Rolle nicht zu. Seine Auszeichnungen, den weltweiten Beifall und die riesigen Kinoerfolge hielten die meisten für das Resultat einer geschickten Kameraführung in Verbindung mit seinem attraktiven Äußeren.

Talent war es ganz bestimmt nicht … in ihren Augen.

Ein zynisches Lächeln kräuselte die klassisch geschnittenen Lippen. Er würde ihre Vorbehalte zu Staub pulverisieren und in die Stratosphäre beamen! In wenigen Stunden wagte es unter Garantie niemand mehr, sein Talent anzuzweifeln.

Statt der Schlagzeile Kann „Big Bad Wolfe“ überhaupt schauspielern? würde es heißen „Big Bad Wolfe“ macht Kritiker mit schauspielerischer Glanzleistung mundtot!

Auf diesen Brettern, die die Welt bedeuteten, wollte er dem Londoner Publikum ein emotionales Meisterwerk präsentieren. Nathaniel wechselte einen kurzen Blick mit dem Intendanten, der angespannt im Hintergrund verharrte. Zwischen ihnen hatte es heftige Auseinandersetzungen über die Art und Weise gegeben, wie der berühmte Hollywoodmime seine Rolle interpretierte und umsetzen wollte. Dabei erkannten beide im Verlauf ihrer Kontroverse, dass sie im Zusammenspiel ihrer kreativen Kräfte etwas Einmaliges schufen, das in die Geschichte dieses Theaters eingehen würde.

Als der Moment gekommen war, schloss Nathaniel die Augen und blendete alles um sich herum aus. Ein Ritual, das bewirkte, dass die Person Nathaniel Wolfe innerhalb von Sekunden aufhörte zu existieren.

Er war Richard II, König von England …

Das war sein Kunstgriff – er verwandelte die Rolle in Realität und spielte nicht einfach den fremden Charakter, sondern machte ihn zu seinem eigenen. Mit neun Jahren hatte er diesen Trick entdeckt. Er schlüpfte in die Haut eines anderen und versteckte sich darin. So war er der Dunkelheit entkommen, die sein Leben zu ersticken drohte.

Er konnte sein, was er wollte: Ninjakämpfer, Ritter, Drachentöter, Vampir oder Superheld. In seiner Verzweiflung verlieh er sich auf diese Weise selbst die Kraft zu kämpfen, zu überleben und die zu beschützen, die er liebte.

In eine fremde Rolle zu schlüpfen, wurde Nathaniel zur Gewohnheit. Und so lebte er auch heute noch … allein und in Verkleidung, angewiesen auf nichts und niemanden.

Jemand anderer zu sein, bereitete ihm nicht die geringsten Schwierigkeiten. Sein einziges Problem war Nathaniel Wolfe …

„Das Kleid macht Sie absolut nicht dick!“ Nur mit Mühe gelang es ihr, das Korsett über neu hinzugekommenen Speckröllchen ein Stück zu schließen. „Die Farbe schmeichelt Ihnen. Vergessen Sie nicht, dass Sie die Duchess of Gloucester sind. Da müssen Sie …“, Katie brach ab, als die Schauspielerin den Kopf wandte und ihr einen warnenden Blick zuwarf, „… staatsmännisch wirken“, vollendete sie tapfer den Satz. „Würdevoll und gravitätisch.“

„Mit anderen Worten … ich sehe alt und fett aus.“

„Niemals! Ich habe das Kostüm mit viel Bedacht ausgewählt.“ Zu spät merkte Katie, dass diese Versicherung durchaus missverständlich aufgefasst werden konnte, und errötete heftig. Wenn sie doch nur mit mehr Taktgefühl und Diplomatie gesegnet wäre! „Sie spielen eine trauernde Witwe, da können sie unmöglich strahlend und heiter auftreten.“

„Wollen Sie mir auch noch vorschreiben, wie ich meine Rolle interpretieren soll?“

„Nein, ich möchte nur, dass Sie erkennen, wie perfekt Sie in diese Rolle passen. Bitte, versuchen Sie, sich zu entspannen.“

Die alternde Diva schnaubte. „Wie soll ich das denn anstellen, wenn ich neben Nathaniel Wolfe auf der Bühne stehe? Er ist bissig, launenhaft und schrecklich sarkastisch! Als mir gestern ein winzig kleiner Fehler unterlaufen ist …“

„Hat er kein Wort gesagt, sondern Sie nur angeschaut“, nahm Katie ihr den Wind aus den Segeln.

„Aber wie! Sie haben ja keine Ahnung, wie destruktiv ein Blick sein kann, besonders, wenn er von Nathaniel Wolfe kommt! Als wenn man von einem Laserstrahl getroffen wird …“ Mit jedem Wort nahm ihre Erregung zu. Jetzt wedelte sie Katie mit einer gereizten Geste zur Seite. „Gehen Sie! Menschen, die kein Verständnis für mein Temperament und meine Gefühle aufbringen, ertrage ich einfach nicht.“

Temperament? Gefühle? Mürrisch und reizbar wäre wohl eher zutreffend, dachte Katie bei sich, behielt aber die Ruhe. „Ich muss erst noch den Reißverschluss von Ihrer Korsage schließen.“ Frustriert stellte sie fest, dass ihre Hände zitterten. „Hören Sie, wir sind alle gestresst.“

„Weswegen sollten Sie Stress haben?“, wurde sie höhnisch unterbrochen.

„Nun, ich …“ Fast hätte Katie der ältlichen Schauspielerin von ihrem bevorstehenden Treffen mit der berühmten englischen Kostümdesignerin erzählt und was davon für sie abhing. Und über die Verbindlichkeiten, die so hoch waren, dass sie jede Nacht wach lag und mit klopfendem Herzen nach Auswegen aus der Schuldenfalle suchte. Doch wenn morgen alles glatt lief, wäre das die Wende …

„Sie können ja nicht einmal erahnen, wie es ist, neben einem Hollywoodstar bestehen zu müssen! Und das im Wissen, dass alle nur gekommen sind, um ihn zu sehen.“

„Bitte beruhigen Sie sich, es ist nur das Lampenfieber vor der Premiere, das alle kennen.“

„Alle außer Nathaniel Wolfe!“, fauchte die andere giftig. „Der ist so unbeweglich wie ein Eisberg und genauso kalt. Niemand wagt sich dicht an ihn heran, aus Angst, selbst zu vereisen.“

„Um dann wie die Titanic zu versinken …“, murmelte Katie abwesend.

„Wollen Sie mich jetzt auch noch mit der Titanic vergleichen?“

„Nein!“, rief Katie ehrlich entsetzt. „Sie sehen wirklich toll aus, und das Kleid sitzt absolut perfekt.“

„Bald nicht mehr. Wenn ich Stress habe, muss ich essen. Sie sind jung und schön und haben keine Ahnung, wie ich mich fühle!“, warf sie Katie vor. „Warum lungern Sie eigentlich nie hinter der Bühne herum, um den unvergleichlichen Nathaniel Wolfe anzuschmachten wie Ihre Kolleginnen?“

„Weil ich unter Garantie ohnmächtig würde, sollte er mich womöglich bemerken. Zum Glück weiß er nicht einmal, dass ich existiere.“ In Katies letzten Worten schwang hörbares Bedauern mit. Sie riss sich zusammen. „Er nennt mich tatsächlich Freitag! Als wäre er Robinson, London eine einsame Insel und ich sein Leibsklave.“ Immer noch kämpfte sie mit dem Reißverschluss. „So, jetzt tief einatmen … okay, das wär’s. Nun muss ich aber los und mich um John of Gaunt kümmern.“

Rasch floh sie in die Kleiderkammer des Theaters, wohin sich zufällig auch gerade ihre Kollegin und enge Freundin Claire zurückgezogen hatte. Sie schmökerte in einem Hochglanzmagazin und sah schuldbewusst auf, als Katie den Raum betrat.

„Alles nur zu Recherchezwecken“, behauptete sie lachend, wurde aber gleich wieder ernst, als sie den Gesichtsausdruck ihrer Freundin sah. „Du kommst wohl gerade von der grässlichen Duchess of Gloucester! Passt sie überhaupt noch in ihr Kostüm?“

„Mal gerade so!“ Seufzend ließ Katie sich auf einen Stuhl fallen. „Hast du eine Kopfschmerztablette für mich?“

Sorry, gerade selbst geschluckt. Apropos Kopfschmerzen …“ Claire schlug ein paar Seiten in ihrer Zeitschrift um und hielt sie Katie hin. „Ich weiß nicht, ob du es überhaupt sehen willst, aber hier drin steht ein großer Artikel über deine Schwester. ‚Ist Paula Preston die schönste Frau der Welt?‘ Tja, ich würde sagen, auf jeden Fall die größte Airbrush-Ikone! Wie kommt es eigentlich, dass du Field heißt und sie Preston?“

„Paula will auf keinen Fall, dass man eine Verbindung zwischen uns herstellen kann. Es gefällt ihr, so zu tun, als existiere ihre Familie gar nicht.“ Katie betrachtete das Bild ihrer glamourösen Schwester und dachte daran, wie sehr ihre Mutter ums bloße Überleben kämpfen musste. Am liebsten hätte sie zum Telefon gegriffen, um Paula den Kopf zu waschen. Doch da sie aus Erfahrung wusste, wie wenig das brachte, ließ sie es lieber gleich.

„Von der Spielsucht unseres Vaters zu erfahren, hat sie ebenso schockiert wie mich. Doch Paula war in erster Linie wütend auf Mum, weil sie ihm immer wieder verziehen hat. Sie gibt ihr die Schuld daran, dass während unserer Kindheit nie Geld da war und jetzt wohl auch noch das Haus verloren geht. Paula sieht nicht ein, dass sie für Mums Schwäche bezahlen soll.“

„Netter Zug!“

„Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass wir blutsverwandt sind.“ Gedankenverloren musterte Katie das perfekte Antlitz ihrer Schwester. „Ihr war schon immer alles zu wenig luxuriös, und die Sache mit Dad gab Paula den Rest. Darum bastelte sie sich ein glanzvolles Image zurecht, an dem niemand kratzen darf.“

Claire schnappte sich die Illustrierte, riss die Seiten mit dem kränkenden Artikel heraus, knüllte sie zusammen und warf sie in den Papierkorb. „So! Jetzt ist sie da, wo sie hingehört“, erklärte sie zufrieden. „Und ich sehe mir Bad Boy Wolfe auf der Bühne an. So etwas erlebt man schließlich nicht alle Tage! Kommst du mit?“

„Nein, ich muss noch einmal meine Bewerbungsunterlagen durchgehen.“

Ihre Freundin lachte. „Nette Ausrede, aber wie willst du es bis nach Hollywood schaffen, wenn du dich von den Stars dermaßen einschüchtern lässt?“

„Ich bin nicht eingeschüchtert.“

„Und ob! Du müsstest dich selbst mal sehen. Als du seine Beinlänge gemessen hast, warst du so rot wie eine Tomate.“

„Okay, vielleicht was Nathaniel Wolfe betrifft“, gab Katie widerstrebend zu und errötete schon wieder. „Aber er ist die absolute Ausnahme.“

„Heiß ist der Knabe, das muss man ihm lassen“, gab Claire zu.

„Ja, aber er ist nicht echt. Bei einem Schauspieler weiß man doch nie, ob er aufrichtig ist oder eine Rolle spielt. Ich meine, wenn Nathaniel Wolfe jemals zu dir sagen würde ‚Ich liebe dich‘ … könntest du ihm das ernsthaft abnehmen?“

„Kaum! Ich habe nämlich zufällig gehört, wie er den Intendanten darüber belehrte, dass LIEBE nichts weiter als ein Wort mit fünf Buchstaben sei. Und dass er fünfbuchstabige Wörter grundsätzlich nicht benutze! Weißt du eigentlich, dass sämtliche Karten für die Premiere innerhalb von nur zehn Minuten ausverkauft waren? Zehn Minuten! Unglaublich, oder? Besonders, wenn man bedenkt, dass Shakespeare für viele Leute reines Kauderwelsch ist! Macbeth, der mit einem Totenschädel spricht …“

„Hamlet“, unterbrach Katie sie trocken.

„Wie auch immer, englische Literatur war noch nie meine Stärke. Ich dachte immer Chaucer wäre das Ding unter einer Teetasse.“

„Du meinst Saucer, die Untertasse, im Gegensatz zu Geoffrey Chaucer, dem Verfasser der Canterbury Tales“, stellte Katie ohne einen Anflug von Kritik richtig.

„Genau den! Aber Bad Boy Wolfe könnte auch das Londoner Telefonbuch vorlesen, und das Publikum würde ihm zu Füßen liegen. Der Mann hat jeden Preis gewonnen, außer dem Sapphire Screen Award.“

Katie dachte an den unglaublichen Wirbel, der um den wichtigsten aller Filmpreise gemacht wurde. „Immerhin ist er zum dritten Mal nominiert.“

„Und ich finde, er hätte ihn auch wirklich verdient!“

„Hör mal, Claire“, begann Katie zögernd, „… was heute Abend betrifft …“

„Oh, nein, du wirst mich nicht versetzen, also spar dir jede fadenscheinige Ausrede“, blockte ihre Freundin ab. „Um elf geht’s los, und wir müssen mörderisch sexy aussehen. Zieh irgendwas an, das deine besten Seiten freilässt.“

„Niemals!“, rief Katie entsetzt. „Ich weiß ohnehin nicht, wie ich mich von dir zu einem Speed-Dating habe überreden lassen können.“

„Weil du einfach ein Knaller bist, Katie“, erwiderte Claire liebevoll. „Du hältst dich nur für fett, weil du dich dauernd mit deiner magersüchtigen Schwester vergleichst.“

„Ich fühle mich so … so unfit. Wenn diese Spielzeit vorbei ist, werde ich wieder diszipliniert Sport treiben. Es ist wirklich deprimierend, ständig das muskelbepackte Kraftpaket Nathaniel Wolfe vor Augen zu haben, während ich kaum eine Wasserflasche anheben kann.“

„Er sieht absolut scharf in der Lederjacke aus, die du ihm verpasst hast“, bestätigte Claire mit glitzernden Augen. „Du hast wirklich ein sagenhaftes Talent, für jeden das optimale Outfit auszugraben.“

„Das Kostüm sollte den Charakter der Rolle widerspiegeln, wenn man dem Mimen auf seine emotionale Reise folgt und …“ Als sie Claires angewiderten Blick sah, brach Katie lachend ab und zupfte an ihrer alten Jeans. „Ich wage mich kaum zu fragen, was das hier über meine emotionale Reise aussagt. Definitiv Touristenklasse, würde ich meinen.“

„Deine Klamotten besagen nichts weiter, als dass du eine überarbeitete, unterbezahlte Kostümdesignerin bist, die keine Sekunde Zeit hat, sich um ihre eigene Garderobe zu kümmern.“

„Du hast die massiven Selbstzweifel vergessen“, erinnerte Katie sie.

„Quatsch! Du bist unglaublich talentiert. Und eines Tages wirst du entdeckt.“ Das schien für Claire außer Frage zu stehen.

„Dann wünschte ich wirklich, es würde lieber heute als morgen geschehen.“ Der Anflug von Panik in Katies Stimme war nicht zu überhören. „Das Haus schluckt jeden Penny, den ich verdiene. Es ist wie ein gefräßiges Monster.“

„Du musst deiner Mutter endlich sagen, wie schwer es dir fällt, es zu unterhalten. Warum verkauft sie es nicht?“

„Ihr Zuhause, in dem sie mit Dad gelebt hat?“ Erschöpft schloss Katie für einen Moment die Augen. „Jedes Mal, wenn ich sie besuche, versichert sie mir, es sei ihre einzige Motivation durchzuhalten …“ Katie öffnete die Augen und lächelte tapfer. „Wenn ich diesen Job bekomme, wird sich alles zum Besten wenden.“

„Wollen wir es hoffen! Mochtest du Nathaniel Wolfe eigentlich lieber in Alpha Man oder in Dare or Die?“, versuchte Claire ihre Freundin abzulenken.

„Alpha Man.“

„Ernsthaft? Obwohl er nur einen Soldaten gespielt hat, der in einer Spezialeinheit kämpft? Ich wusste gar nicht, dass du auf so was stehst.“

„Mir gefällt der dramaturgische Gedanke, dass er zunächst absolut herzlos erscheint und sich sogar selbst dafür hält, bis er zum Schluss die Tochter seines Feindes rettet …“ Prompt füllten sich Katies Augen mit Tränen. „Besonders, weil er sich für diese Aktion selbst opfern muss. Tagelang habe ich in meine Kissen geheult. Er war so unglaublich gut und authentisch. Und wenn es einen Sapphire Screen Award für den besten Body geben würde, hätte Nathaniel Wolfe ihn unter Garantie längst bekommen.“

„Apropos Sapphire Award …“ Claire blätterte erneut in ihrer Zeitschrift. „Hier ist auch ein Artikel über stylische Abendgarderobe. Es geht darum, wer was zur großen Preisverleihung in zwei Wochen anzieht. Vielleicht bist du ja interessiert.“

„Warum sollte ich? Kein Mensch wird mich je zu einer derartigen Veranstaltung einladen, was auch nur gut ist. Ich glaube nämlich kaum, dass man dort in Jeans reingelassen wird.“ Trotzdem schnappte sich Katie das Hochglanzmagazin und steckte es in ihre Tasche.

Claire sah auf ihre Uhr und sprang auf die Füße. „Grundgütiger! In fünf Minuten ist es so weit. Bist du auch ganz sicher, dass du nicht mitkommen willst?“

„Nein danke, du kannst ihn ja für uns beide anhimmeln …“

Erhobenen Hauptes trat Nathaniel auf die Bühne und starrte in die Dunkelheit. Wochenlang hatten sie geprobt, heute war die Stunde der Wahrheit da. Er sah weder das Publikum, noch dachte er an die Kritiker.

Er war Richard II, der gescheiterte König …

Gerade öffnete er den Mund, um seine ersten, einführenden Worte an John of Gaunt zu richten, da wurde die erste Sitzreihe von einem Spotlight erhellt. Nathaniels Finger krampften sich um die Krone in seiner Hand, während er in ein vertrautes Antlitz schaute.

Vertraut … und doch nicht vertraut.

Zwanzig lange Jahre hatten seine Züge verändert, aber doch nicht so sehr, dass er ihn nicht erkannt hätte. Der Schock traf ihn bis ins Mark und ließ sein Blut zu Eis gefrieren. Und dann raste die Vergangenheit in Überschallgeschwindigkeit auf ihn zu. Ein qualvolles Kaleidoskop von Erinnerungen brach aus den sorgfältig verschlossenen Türen seines Unterbewusstseins hervor wie eine geifernde Meute.

Schreie und Terror! Aufhören! Macht ein Ende! Blut … überall Blut! Tut etwas!

Er fühlte sich hilflos, so schrecklich hilflos. Sein Herz klopfte zum Zerspringen.

Nathaniel schaute auf seine verkrampften Hände, die immer noch die Krone umklammert hielten. Da war kein Blut. Seine Hände waren sauber. Trotzdem konnte er sich nicht bewegen. Sein Hirn war wie eingefroren, die Gliedmaßen gelähmt durch die Erkenntnis seiner eigenen Unzulänglichkeit.

Schuldgefühle überfielen ihn, und benommen fragte er sich, wie man gleichzeitig vor Kälte zittern und schweißgebadet sein konnte.

Das Raunen in den Zuschauerreihen erreichte ihn wie durch einen dichten Nebel. Verzweifelt kämpfte er darum, das Kapitel aus der Vergangenheit zu schließen und in seine aktuelle Rolle zurückzufinden.

Ich bin Richard! dachte er verschwommen. Richard der II, König von England …

Er versuchte es zu fühlen, doch es gelang ihm nicht. Alles schien ihm zu entgleiten. Nathaniel presste die Lider zusammen, doch als er sie wieder öffnete, blickte er in ein vertrautes Augenpaar, in dem er die unausweichliche Wahrheit las.

Du bist nicht Richard der II, sondern Nathaniel Wolfe, ein Schauspieler mit einem realen Hintergrund, der dramatischer nicht hätte sein können.

Wäre Shakespeare noch am Leben, hätte er aus der Wolfe-Familiensaga eine Tragödie in drei Akten gemacht! dachte Nathaniel bitter. Keine Komödie, kein Happy End. Nur das Leben in seiner schwärzesten Form. Immer noch versuchte er mit aller Gewalt, seine Fassung wiederzuerlangen, doch dabei versank er nur noch tiefer im Sumpf der Vergangenheit.

Warum kehrt er ausgerechnet heute zurück? fragte er sich dumpf. Warum jetzt, wo wir alle uns ein neues Leben aufgebaut haben?

Eine heiße Wut erfasste ihn mit einer Kraft, die ihn erschreckte und gleichzeitig auf eine fast magische Weise belebte. Er musste Annabelle warnen! Und zwar so schnell wie möglich!

Das leise Raunen im Theater steigerte sich langsam zu hörbaren Missfallenskundgebungen. Selbst die Zuschauer, die bisher geglaubt hatten, der Mime gebrauche die dramatische Pause, um seinem Auftritt ein Maximum an Spannung zu verleihen, merkten langsam, dass sie sich geirrt hatten.

Nathaniel hob das markante Kinn und straffte die breiten Schultern wie ein Kämpfer, der sich seinem Gegner stellt. Ein letztes Mal versuchte er, den eindrucksvollen Text zu deklamieren, doch er konnte sich nicht einmal an den Wortlaut erinnern. Seiner Tarnung beraubt, war er gezwungen, die Rolle zu spielen, die ihm sein Leben lang eher eine Last als eine Lust gewesen war … die des Nathaniel Wolfe.

„Ladys und Gentlemen …“ Seine tiefe Stimme, kalt und frei von jeder Emotion, drang bis in die hintersten Zuschauerränge. Sorgfältig achtete er darauf, nicht zu dem Mann in der ersten Reihe zu schauen. Sonst würde er sich womöglich noch so weit vergessen und von der Bühne stürzen, um ihn zu erwürgen. „Die heutige Vorstellung fällt aus. Bitte lassen Sie sich Ihr Geld an der Theaterkasse zurückgeben.“

Nachdem Katie noch einmal sorgfältig die Unterlagen für ihr anstehendes Bewerbungsgespräch durchgesehen hatte, streckte sie ausgiebig die verkrampften Gliedmaßen, unterdrückte ein Gähnen und verließ die Garderobe.

Hier, hinter der Theaterbühne war es geradezu gespenstisch still. Auf der anderen Seite des Vorhangs hing das Publikum gebannt an Nathaniels Lippen. Sie konnte die Szene förmlich vor sich sehen. Sekundenlang blieb Katie mit geschlossenen Augen stehen und ließ die besondere Atmosphäre ganz tief auf sich einwirken. Wie viele berühmte Schauspieler und Schauspielerinnen mochten auf den geschichtsträchtigen Brettern dieses Theaters schon ihre Kunst gezeigt haben?

Sekundenlang war sie wieder das sechsjährige Mädchen, das mit seiner Schwester Paula Verkleiden spielte.

Du kannst keine Prinzessin sein, Katie. Dafür bist du viel zu fett und deine Haare sind zu kraus. Ich bin viel schöner, also spiele ich die Prinzessin. Aber du darfst mir beim Ankleiden helfen …

Was als kindliche Pflicht begonnen hatte, war schließlich ihre Leidenschaft geworden.

Als Paula für sich beschloss, es sei uncool, mit ihrer pummeligen kleinen Schwester herumzuhängen, begann Katie damit, ihre Freundinnen anzuziehen. Jeden Tag nach der Schule trafen sie sich, um in die schillernde Fantasiewelt der Märchen und Fabeln abzutauchen. Katie liebte es, jeder Rolle einen unverwechselbaren Charakter zu verleihen, und entwarf immer öfter auch eigene, ungewöhnliche Kostüme.

Eine Prinzessin mit Feuerschwert oder Elfen in Reithosen und Cowboystiefeln.

Ein lautes Geräusch aus Richtung der Bühne riss sie unsanft aus ihren Tagträumen. Lauschend neigte sie den Kopf. Was sich zunächst nach schweren Männerschritten angehört hatte, klang plötzlich wie ein durchgegangener Stier auf der Flucht. Was, um alles in der Welt, mochte das sein?

Vielleicht einer der Bühnenarbeiter? Oder ein besonders wagemutiger Journalist, der sich rücklings an den berühmten Schauspieler herangeschlichen hatte und plötzlich entdeckt worden war?

Als Katie feststellte, dass der Flüchtige direkt auf sie zukam, versuchte sie noch zur Seite zu springen, doch es war zu spät. Ein kräftiger männlicher Körper prallte gegen sie und sie wäre zu Boden gestürzt, wenn nicht zwei starke Hände zugegriffen und sie gehalten hätten. Ihr blieb nicht einmal die Zeit für einen Schreckens- oder Schmerzenslaut. Fest an eine breite, warme Brust gepresst spürte Katie, wie sie wankte. Eine ganz normale Reaktion auf den Schock und die Identität des unsichtbaren Angreifers! sagte sie sich bebend.

Harte Muskeln, markante dunkle Züge und Augen, die eine Frau ihren eignen Namen vergessen lassen konnten.

„W…as machen Sie hier, Mr. Wolfe?“, fragte sie erstickt und rückte ein Stück von ihm ab. „Müssten Sie nicht auf der Bühne stehen? Ist etwas passiert? Natürlich ist etwas geschehen“, gab sie sich gleich selbst die Antwort und hätte sich am liebsten auch noch geohrfeigt, „sonst würden Sie wohl kaum wie ein wild gewordener Stier hier herumrennen!“

Hör endlich auf zu sabbeln, dumme Pute! schalt sie sich.

„Er ist da …“, flüsterte Nathaniel heiser und umfasste Katies Schultern so hart, dass sie unwillkürlich aufstöhnte.

„Er? Wer ist er?“, fragte sie. Ihr Herz hämmerte wie verrückt, ihr Mund war ganz trocken. Aus unmittelbarer Nähe gesehen wirkte Nathaniel Wolfe geradezu schockierend sexy. Seine Ausstrahlung war so verheerend, dass Katie Angst hatte, auf der Stelle ohnmächtig zu werden. Doch als ihr langsam dämmerte, dass ihr heimlicher Schwarm mindestens ebenso verwirrt und konfus war wie sie, mobilisierte sie all ihre Kräfte.

„Mr. Wolfe? Alles in Ordnung?“

„Warum jetzt?“, stieß er hervor. „Warum?“

Abrupt ließ er Katies Schultern los und schlug mit der geballten Faust in eine herumstehende Bühnendekoration. Als sie Holz splittern hörte, hielt sie die Luft an. Heftig atmend presste Nathaniel beide Hände gegen die Stirn. Er schien Katie gar nicht mehr wahrzunehmen. „Ich kann nicht … ich muss Annabelle warnen …“

Wer war Annabelle?

„Okay, wie man leicht erkennen kann, sind Sie ziemlich außer sich“, stellte Katie sachlich fest und trat vorsichtshalber noch einen Schritt zurück. Wachsam beobachtete sie, wie Nathaniel ein Handy aus der Tasche zog und eine Nummer eintippte. Die Fingerknöchel der rechten Hand waren aufgeschürft und bluteten, doch das schien er gar nicht zu bemerken.

In diesem Moment erkannte Katie, warum er so überzeugend verzweifelte, zerstörte Charaktere darstellen konnte. Hinter der attraktiven Fassade des Kinohelden verbarg sich genau dieser gepeinigte, leidende Mensch, den er so häufig in seinen Filmen verkörperte!

Natürlich war das Teil seiner immensen Anziehungskraft. Mit einem verstohlenen Blick auf die harte Kinnlinie und den grimmigen Zug um den gut geschnittenen Mund dachte sie an den Ausnahmesoldaten, den er in seinem letzten Actionthriller Alpha Man verkörperte, den unbarmherzigen Jäger.

Doch in diesem Moment spielte er keine Rolle. Sie spürte und sie wusste es.

Deshalb versuchte Katie auch gar nicht erst, ihn zu überreden, wieder auf die Bühne zurückzukehren. Davon abgesehen hielt sie Nathaniel Wolfe für einen Mann, der ohnehin schwer zu lenken war. Verunsichert sah sie um sich, in der Hoffnung, irgendjemand Kompetentes würde auftauchen und die Zügel in die Hand nehmen. Wo waren eigentlich der Intendant und die Bühnenarbeiter?

Nathaniel hielt sein Handy ans Ohr. Außer auf der Bühne hatte sie ihn stets supercool erlebt, ab und zu ziemlich sarkastisch, schnell gelangweilt, aber nie unkontrolliert. Jetzt wirkten seine Bewegungen nervös und abgehackt. Der gewohnte Zynismus war einem Zustand gewichen, der echter Verzweiflung glich.

„Gibt es hier einen Ausgang, von dem die Presse nichts weiß?“, fragte er Katie.

„Ausgang?“ Katie wagte kaum Luft zu holen. Sein Blick war so eindringlich und intensiv, dass sie nichts tun konnte, als ihn mit offenem Mund anzustarren.

„Wenn Carrie davon erfährt, gibt es ein furchtbares Chaos … geh ans Telefon, verdammt!“ Da ihn offenbar niemand hörte, hinterließ er eine knappe Nachricht auf der Mailbox. Abrupt steckte er das Handy wieder ein und griff nach Katies Arm. „Sie müssen mich hier rauslotsen, aber schnell.“

Sie versuchte zu lachen, doch der Impuls schwand schlagartig, als sich ihre Blicke trafen. In seinem stand echte Panik, und Katie begriff, dass er in dieser Sekunde nicht der Jäger, sondern der Gejagte war. Irgendetwas oder irgendjemand war ihm auf den Fersen.

„Es gibt eine Nottreppe im Kostümraum, die direkt in eine Nebenstraße führt.“ Ohne auf seine Reaktion zu warten, griff Katie nach Nathaniels Hand, zog ihn mit sich in die Garderobe und schloss die Tür hinter ihnen ab. „Das wird sie ein paar Minuten aufhalten“, flüsterte sie konspirativ. „Da drüben ist die Feuertreppe. Los jetzt und … viel Glück!“

„Ich kann das nicht ohne Hilfe schaffen“, wandte Nathaniel ein und hielt sie am Ärmel zurück. „Wo wohnen Sie? Ist es weit von hier entfernt?“

„Sie machen Witze, oder? Ich meine … Sie haben doch eine luxuriöse Suite im Dorchester und …“

„Und das ist der erste Platz, an dem sie nach mir suchen werden. Die Presse campt vor dem Hotel, seit mein Flieger in London gelandet ist.“

Als Katie versuchte, sich Bad Boy Nathaniel Wolfe in ihrer mehr als schlichten Behausung vorzustellen, wurde sie unwillkürlich rot. „Mein … Apartment ist schrecklich beengt. Und ganz ehrlich glaube ich kaum …“

„Bitte!“ Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen, sodass sie keine Wahl hatte und ihm erneut in die strahlend blauen Augen sehen musste.

„Katie?“

„Hmm?“ Ein übersteigertes Gefühl sexueller Wahrnehmung, wie sie es nie zuvor erlebt hatte, raubte ihr jede Widerstandskraft.

„Katie!“ Nathaniel schnippte mit den Fingern dicht vor ihren Augen und brach damit den Bann.

Benommen schüttelte sie den Kopf. „Sie … Sie kennen meinen Namen?“

Trotz der offensichtlichen Anspannung zuckte es kurz um seinen Mund. „Ich habe es mir zur Pflicht gemacht, von jeder Frau den Namen zu kennen, die sich mit der Innenseite meiner Schenkel beschäftigt. Also, Katie, bringen Sie uns hier raus. Auf keinen Fall will ich von den Paparazzi zum Dinner verspeist werden.“

Der krasse Wandel in seiner Haltung ihr gegenüber raubte ihr die Sprache. Immer noch zutiefst davon beeindruckt, dass Nathaniel Wolfe ihren Namen kannte, tat sie ihr Bestes, um die penetrante Stimme in ihrem Hinterkopf zu ignorieren, die sie warnte, keinen Fehler zu machen.

„Okay“, sagte sie und holte noch einmal tief Luft. „Aber mein Apartment wird nach dem Dorchester ein ziemlicher Schock für Sie sein. Sagen Sie hinterher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.“ Sie zog ihre Jacke an, schnappte sich zwei Helme und warf Nathaniel einen davon zu. „Hier … für Sie.“

„Was soll ich damit?“, fragte er fassungslos.

„Aufsetzen. Wenn wir türmen wollen, brauchen wir ein Fluchtfahrzeug. Ich habe eins draußen stehen. Es ist ziemlich wendig und perfekt für den dichten Londoner Verkehr. Der Helm wird Sie nicht nur schützen, sondern verbirgt auch Ihr Gesicht. Nicht, dass es nicht attraktiv wäre, aber …“

Von draußen näherten sich Stimmen, dann rüttelte jemand an der Tür.

Energisch ergriff Katie die Initiative, drückte Nathaniel den Helm auf den Kopf und drängte ihn in Richtung des Fensters. „Die Feuerleiter könnte vereist sein, also passen Sie auf.“ Dann musste sie ganz unverhofft kichern. „Aber wem sage ich das! Machen Sie nicht die meisten Stunts in Ihren Filmen selbst?“

Darauf ging er nicht ein, sondern zog schon wieder das Handy aus der Tasche. „Ich muss noch einmal versuchen Annabelle zu erreichen …“

„Nichts da!“, entschied Katie spontan, nahm ihm das Handy ab und stopfte es zurück in seine Jackentasche. „Sie können später von meinem Apartment aus telefonieren.“ Wer diese Annabelle war, interessierte sie kein bisschen, und Nathaniels kompliziertes Liebesleben ging sie ohnehin nichts an. Aber das stand hier auch nicht zur Debatte. „Wenn Sie nicht von einer Horde Paparazzi abgeschossen werden wollen, dann sollten Sie sich jetzt lieber sputen!“

2. KAPITEL

Ihre Tritte hallten laut auf den Metallstufen der Feuerleiter. Katie war so zappelig, dass sie die letzten Stufen einfach hinuntersprang und direkt neben ihrer Vespa landete.

Von der kalten Februarluft bildeten sich kleine Rauchfahnen vor ihren Mündern. Fassungslos starrte Nathaniel auf den alten Roller. „Das ist Ihre Vorstellung von einem Fluchtfahrzeug?“, fragte er ungläubig.

„Gut, es ist vielleicht kein Ferrari …“

„Definitiv nicht!“

„Aber es ist viel schneller und wendiger, als es aussieht. Und es hat den entscheidenden Vorteil, dass niemand erwarten würde, Sie auf einer Vespa zu sehen.“ Damit schwang sie sich auf den Sitz und startete den Motor. Als genau in diesem Moment eine Gruppe Paparazzi um die Ecke des Theatergebäudes kam, fluchte Nathaniel unterdrückt.

Katies Geduld war am Ende. „Steigen Sie schon auf!“, fauchte sie ihn an. „Ich hasse es, fotografiert zu werden!“

Rasch nahm er auf dem Sozius Platz, schlang einen Arm um Katies Taille und lehnte sich schwer gegen ihren Rücken. „Na los!“, kommandierte er. „Wenn das Ding überhaupt fährt!“

Sein Körper dicht hinter ihr, eine Hand auf ihrem Bauch.

Das Gefühl war einfach sensationell – bis auf eine Kleinigkeit. Katie schwor sich, ab morgen jeden Tag mindestens hundert Sit-ups zu machen!

„Los!“, forderte Nathaniel erneut, legte seine Hände über Katies und übernahm die Kontrolle, indem er den Gashebel voll aufdrehte. Die Vespa preschte nach vorn, und während Katie noch fester gegen die Brust ihres Passagiers gedrückt wurde, schoss ihr durch den Kopf, in was für einer surrealen Situation sie sich befand.

Bad Boy Nathaniel Wolf … als Sozius auf meiner Vespa!

Surreal und gefährlich! entschied sie gleich darauf, weil Nathaniel gar nicht daran dachte, die Geschwindigkeit zu drosseln. Stattdessen versuchte er, aus ihrem alten Roller rauszuholen, was nur ging. Das Motorengeräusch hörte sich für sie schrecklich ungesund an.

„Langsamer!“ Nicht im Traum hatte sie geahnt, dass ihre kleine Vespa überhaupt zu einer derartigen Leistung fähig war! Zu spät erinnerte sie sich daran, dass Nathaniel Wolfes Hobby Motorradrennen waren, weshalb einige Regisseure auch auf eine Zusammenarbeit mit ihm verzichteten.

Er war eben doch der Bad Boy von Hollywood.

Furcht- und rücksichtslos lenkte er den armen kleinen Roller direkt auf die Journalisten und Fotografen zu. Katie fühlte echte Panik in sich aufsteigen und stieß einen unterdrückten Schreckenslaut aus.

„Irgendetwas nicht in Ordnung?“, schrie Nathaniel ihr von hinten ins Ohr.

„Die Geschwindigkeit …“

„Ich gebe wirklich mein Bestes, Darling“, versicherte er ihr in völliger Fehleinschätzung der Lage, „aber mehr ist aus der alten Mühle wirklich nicht rauszuholen!“

Der Pressetross kam immer näher, und Katie wollte schreien, doch sie brachte nicht den kleinsten Piep hervor.

„Keine Angst, sie werden sich gleich bewegen“, versicherte Nathaniel gelassen.

„Und wenn nicht?“

„Dann gibt’s ein paar Schmeißfliegen weniger, die mir auf Schritt und Tritt folgen. Und jetzt gut festhalten!“, warnte ihr Sozius.

Als Katie voller Panik die Lider hob, waren sie den Paparazzi bereits so nahe gekommen, dass sie das Weiße in ihren Augen sehen konnte. In buchstäblich letzter Sekunde schoss die Meute auseinander. Die Vespa jagte durch sie hindurch und bog rasant in die Hauptstraße ein. Schreie von verstörten Menschen, die ihnen auszuweichen versuchten, mischten sich mit wütendem Taxihupen und dem Geräusch quietschender Bremsen.

Katie fühlte sich wie in einem Albtraum gefangen. Hinter sich hörte sie Nathaniel lachen und schauderte. Der Mann hatte offenbar einen extremen Sinn für Humor! Im Vorbeirasen sah sie eine riesige Menschenansammlung vor dem Theater stehen. Die meisten waren Frauen, die große Transparente hochhielten, auf denen stand: I love Nathaniel Wolfe. Sie waren gekommen, um wenigstens einen flüchtigen Blick auf ihr Idol zu werfen, wenn sie schon keine Karten mehr bekommen hatten.

Jetzt mischten sie sich mit den frustrierten Zuschauern, die aus dem Innern des Theaters strömten und denen trotz Eintrittskarten auch nicht mehr als jener kurze Anblick des berühmten Schauspielers vergönnt gewesen war, bevor er fluchtartig die Bühne verlassen hatte.

Wenn Sie wüssten, dass er gerade auf einer altersschwachen Vespa an ihnen vorbeirast! dachte Katie und konnte sich ein kleines Gefühl der Genugtuung nicht verkneifen.

„Wo lang?“, brüllte Nathaniel.

Die Stimme dicht an ihrem Ohr klang immer noch sehr dominant. Und Katie beschloss, dass es an der Zeit war, wieder selbst die Regie zu übernehmen. Immerhin kannte sie sich in diesem Straßengewirr viel besser aus als er. Bereitwillig zog Nathaniel seine Hände zurück, legte sie aber locker um ihre Taille, was nicht gerade zu ihrer Konzentration beitrug.

Vorsichtshalber fuhr sie ein paar Schleifen durch ein Gewirr von Nebenstraßen, um etwaige Verfolger abzuschütteln. Erst zwanzig Minuten später war sie so weit beruhigt, dass sie es wagte, die Themse zu überqueren, um ins südliche London zu gelangen, wo sie ein Mini-Apartment bewohnte.

Inzwischen hatte sich auch ihr Herzschlag ein wenig beruhigt, und erst nachträglich dämmerte Katie die Ungeheuerlichkeit ihrer spontanen Aktion. Sobald sie in das Viertel mit den schmucklosen Wohnblocks einbog, holte die Realität sie zumindest so weit ein, dass ihr peinlich bewusst wurde, wie wenig ihr berühmter Sozius in diese Gegend passte. Vor einem der anonymen grauen Kästen hielt sie an.

„Hier wohne ich.“

Zu ihrem heimlichen Bedauern ließ Nathaniel sie sofort los, stieg von der Vespa und wollte den Helm abnehmen.

„Noch nicht!“, warnte Katie hastig. „Auch hier könnte Sie jemand erkennen. Lassen Sie uns lieber erst reingehen. Und gehen Sie so normal wie möglich. Nicht wie ein Hollywoodstar oder ein Elitesoldat auf einer wichtigen Mission. Sie müssen sozusagen mit dem Hintergrund verschmelzen.“ Wie das in der martialischen schwarzen Lederjacke möglich sein sollte, die sie ihm als zeitgenössisches Kostüm für Richard II verpasst hatte, wusste sie allerdings auch nicht.

Ihre Beine zitterten wie Espenlaub, als sie unsicher von der Vespa stieg. „Sie sind gefahren wie ein Wahnsinniger“, beschwerte sie sich. „Ich dachte schon, Sie bringen uns beide um!“ Ihre Hände bebten ebenfalls, als sie den Roller abschloss. „Ich wohne im zweiten Stock. Schauen sie niemanden an, während wir hochgehen.“

Als sie den ersten Absatz erreichten, öffnete sich leise eine Tür. „Bist du das, Katie, Liebes?“, drang eine dünne Stimme durch den Spalt.

Mit einem heftigen Wink hielt sie ihren Begleiter hinter sich. „Ja, Vera, ich bin’s. Alles in Ordnung?“

„Du bist aber früh zurück.“ Die Tür öffnete sich ein Stück weiter. „Und dann auch noch in Begleitung eines attraktiven jungen Mannes.“ Die Augen der alten Dame glitzerten neugierig hinter den runden Brillengläsern. „Das ging ja wirklich schnell! Deshalb heißt es wohl auch Speed-Dating.“

„Vera, ich war gar nicht …“

„Und da hast du nicht lange gefackelt und ihn gleich mit nach Hause genommen. Schön für dich, Liebes!“ Sie beugte sich vor, um Nathaniel besser in Augenschein zu nehmen. „Sie haben gute, breite Schultern, junger Mann.“

Sprachlos vor Verlegenheit umarmte Katie ihre alte Nachbarin und schob sie sanft in die Wohnung zurück. „Tut mir leid, aber wir müssen jetzt …“

„Ganz bestimmt müsst ihr!“, versicherte Vera, die den Wink zu verstehen glaubte. „Speed-Dating! Denk nur daran, dass nicht alles in diesem rasanten Tempo passieren muss, Liebes.“ Mit diesem mütterlichen Ratschlag entließ sie die jungen Leute und schloss nachdrücklich die Tür.

Katie stöhnte innerlich auf und suchte mit hochrotem Kopf nach dem Schlüssel in ihrer Tasche, während sie die letzten Stufen hinaufging. Sie wusste nicht, was sie sagen oder wo sie hinschauen sollte. Das änderte sich schlagartig, nachdem sie ihr winziges Apartment aufgeschlossen hatte und das Licht anknipste!

Grundgütiger! In der Aufregung der letzten Stunden hatte sie völlig vergessen, in welchem Zustand sie ihre schäbige Bleibe heute Morgen hinterlassen hatte. Abgesehen vom benutzten Geschirr in der Spüle lagen auch noch überall Zeichenblätter mit Kostümskizzen herum – das Ergebnis eines kreativen Brainstormings der letzten Nacht.

„Entschuldigen Sie bitte das Chaos“, bat sie mit schwankender Stimme, „aber ich hatte gestern die Frühschicht im Coffee Shop und musste danach noch die Kostümentwürfe für die nächste Inszenierung von Der Widerspenstigen Zähmung überarbeiten.“

„Schicht im Coffee Shop?“, echote Nathaniel verständnislos.

„Sie beginnt pünktlich um sechs, da gibt’s kein Pardon. Aber wenn Sie mir ein paar Minuten Zeit lassen, räume ich rasch auf.“

Nathaniel nahm den Helm vom Kopf, legte ihn achtlos zur Seite und griff nach der nächstliegenden Skizze. „Arbeiten Sie nicht am Computer?“

„Auch, aber Kostüme male ich am liebsten frei Hand, besonders in der Entwurfsphase. Es ist sehr wichtig zu verstehen, was sie aussagen und dass sie den Charakter der Rolle unterstreichen.“

Kritisch musterte er die rasant hingeworfene Zeichnung. „Dieses Kleid sagt eindeutig: ‚Ich liebe wilden Sex‘. Wenn es für Katharina bestimmt ist, dann steht Petrucchio, dem glücklichen Hund, eine heiße Nacht bevor.“ Abrupt wandte er sich Katie zu. „Und Sie waren heute zum Speed-Dating verabredet?“

Heftig errötend riss sie ihm das Skizzenblatt aus der Hand. „Nur als Begleitung für eine gute Freundin“, behauptete sie. „Glauben Sie, dass uns jemand gefolgt ist?“, versuchte sie ihn dann abzulenken.

Nathaniel grinste schwach. „Ich denke, es ist Ihnen gelungen, sie abzuschütteln. Bei Ihnen könnten sogar meine Bodyguards ein paar Nachhilfestunden nehmen.“

Da war er wieder, der coole, fast gelangweilte Hollywoodmime mit dem trägen, nachlässigen Charme, der jedes Frauenherz höher schlagen ließ. Kein Anzeichen der Verzweiflung mehr. Stattdessen schlenderte er mit den Händen in den Taschen in ihrem winzigen Wohnzimmer herum, nahm hin und wieder ein Foto oder ein Buch in die Hand und betrachtete es mäßig interessiert. Bis er zu einem Stapel mit Hochglanzmagazinen kam …

Die Promi-Illustrierten! Katie gefror zur Salzsäule. Es war zu spät, um noch etwas zu unternehmen, denn die oberste Ausgabe hielt er bereits in der Hand! Es zeigte ihn von den schmalen Hüften aufwärts nackt in seiner Rolle als Elitesoldat.

„Warum heben Sie Bilder von mir auf?“

Weil ich auch nur eine ganz normale Frau bin! Aber das sagte sie nicht laut.

„Vorlagen für … für Kostüme“, stammelte sie stattdessen. „Ich … ich musste mich mit Ihrer Physiognomie vertraut machen, um zu entscheiden, welcher Stil und welche Farben am besten zu Ihrer Rolle als Richard II passen würden.“

Wie gut, dass ich nicht meinem ersten Impuls gefolgt bin und die Bilder als Poster an die Wand gehängt habe!

Nathaniel legte die Zeitschrift zurück und griff nach einer weiteren Kostümskizze. „Sie sind sehr gut … Interessante Deko …“, murmelte er dann und nahm eines der sauber aufgereihten bunten Seidenkissen vom Sofa. „Was soll das hier simulieren? Die Lustwiese in einem Harem? Wollen Sie demnächst irgendwo für eine Rolle als Konkubine vorsprechen?“

Katies Wangen nahmen den gleichen Ton an wie das karminrote Seidenkissen. Sie brachte so selten jemanden mit zu sich nach Hause, dass sie gar nicht auf den Gedanken verfallen wäre, irgendwer könnte ihr kleines buntes Reich vielleicht seltsam oder bestenfalls ungewöhnlich finden.

„Ich glaube kaum, dass ich mich für diese Rolle eigne“, erwiderte sie steif. „Das Apartment wirkte nur so schrecklich blass und trist, als ich hier einzog. Vielleicht habe ich ein bisschen übertrieben beim Versuch, es wohnlicher zu machen.“ Was derartige Dinge betraf, kannte ihre Kreativität so gut wie keine Grenzen.

Um die dunklen Flecken an den Wänden zu verbergen, hatte Katie sie mit Stoff bespannt. Oder besser gesagt, mit Resten von Ballenware, die sie aus dem Theaterfundus geschenkt bekommen hatte. Auf dem fußkalten Boden lag ein dicker flauschiger Teppich in einem dunklen, satten Rotton. Die Lampen, sofern sie nicht als Arbeitsleuchten dienten, trugen halbtransparente, farbige Hussen, die den Lichtkegel nach unten strahlen ließen, um vom Wasserschaden an der Decke abzulenken. Das monströse, aber bequeme Schlafsofa war eine Hinterlassenschaft ihres Vormieters.

„Es sieht vielleicht anders aus, aber so schlecht ist die Wohnlage hier gar nicht, solange man nach Mitternacht im Apartment bleibt“, erklärte sie, immer noch verlegen. „Außerdem ist die Miete sehr günstig, was mir entgegenkommt, da ich im Moment noch eine Menge Schulden …“ Sie brach ab und biss sich auf die Lippe.

Bin ich denn völlig verrückt geworden? Was gehen Hollywoods Bad Boy meine finanziellen Verhältnisse an? Nichts! Absolut gar nichts!

Trotzdem sprach sie weiter wie unter Zwang.

„Mein Vater ist letztes Jahr gestorben, was an sich schon schlimm genug ist. Leider mussten wir nach seinem Tod auch noch feststellen, dass er offenbar fast sein ganzes Leben lang spielsüchtig gewesen war.“ Katie versuchte, den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken. „Wie auch immer … um seiner verhängnisvollen Leidenschaft nachgehen zu können, hat er unser Haus bis unters Dach verpfändet. Und wenn ich die monatlichen Raten nicht bezahle, verliert meine Mutter ihr geliebtes Heim. Also mache ich eben Doppelschichten.“

„Erzählen Sie eigentlich jedem Fremden derart intime Details aus Ihrem Leben?“, fragte Nathaniel irritiert.

„Jedem, der lange genug stehen bleibt, um sich die traurige Geschichte anzuhören“, rettete sich Katie in Selbstironie. „Tut mir leid, ich wollte Sie nicht langweilen, ich bin nur … ziemlich verwirrt und hundemüde. Ich glaube, eigentlich wollte ich mich nur für das häusliche Chaos hier entschuldigen.“

Nathaniels Blick blieb an einer Müslischale mit angetrockneten Körnern am Rand hängen. „Frühstück?“

„Spätes Dinner, gestern Abend“, erwiderte Katie ohne nachzudenken. „Da ich erst gegen elf zu Hause war, wollte ich nicht mehr kochen. Damit bleibt nur Müsli oder Toast zur Auswahl. Sie wissen ja selbst, wie es ist, wenn man sich allein versorgen muss.“ Ein Blick in sein unbewegtes Gesicht reizte sie zum Lachen. „Verzeihung! Natürlich wissen Sie es nicht! Wenn Sie allein essen müssen, dann bestimmt in einem 5-Sterne-Restaurant. Aber wahrscheinlich ist jemand wie Sie ohnehin nie allein und …“

„Hören Sie irgendwann von selbst auf zu reden, oder kann man das abstellen?“

Katies Mund klappte zu, dafür wurden ihre Augen riesengroß. Dies war womöglich die einzige Gelegenheit, ihr Idol mit intelligenter Konversation zu fesseln, und was tat sie? Anstatt mit ihm über interessante Filme, die globale Erwärmung oder eine Antarktisexpedition zu diskutieren, langweilte sie ihn mit ihren Problemen fast zu Tode!

„Tut mir leid“, versicherte sie nicht zum ersten Mal, „aber ich habe so selten einen echten Hollywoodstar in meinem Apartment. Es fühlt sich an …“

„Na, wie fühlt es sich denn an?“, hakte der Hollywoodstar nach, da ihre Mitteilungswut plötzlich verebbt zu sein schien.

Wie er sie dabei anschaute, ließ Katie erbeben. Sein Blick blieb an ihren vollen Lippen hängen, er beugte sich vor, und es sah aus, als ob … als ob …

Wollte Nathaniel Wolfe sie etwa küssen?

Ohne sich dessen bewusst zu sein, brachte sie ihr Gesicht immer näher an seines heran. Doch bevor sie die Augen ganz schloss, sah sie ihn erstarren. Nathaniel hob die Brauen, wandte sich abrupt ab und flüchtete in die entfernteste Ecke des kleinen Raums.

Völlig aus der Balance gebracht, stand Katie da wie ein unbeholfener Teenager. Nathaniel Wolfe war ein Superstar. Warum, um alles in der Welt, sollte er ausgerechnet sie küssen wollen?

Die romantische Seifenblase war vor ihren Augen zerplatzt, und damit geriet das Chaos in ihrem winzigen Apartment automatisch wieder in Katies Fokus. Augenblicklich schwor sie sich, ihr Leben zukünftig besser zu organisieren.

Da Nathaniel ihr immer noch stoisch den Rücken zukehrte, ging sie mechanisch auf die Knie und begann, ihre kreativen Geistesblitze aufzusammeln. Sie hatte noch nicht die Hälfte zusammen, da drehte er sich um. Ihre Blicke begegneten sich und versanken ineinander. Prompt rutschten Katie alle Papiere aus der Hand und flatterten erneut zu Boden.

„Tja, ich habe Sie gewarnt, dass Sie im Dorchester besser dran sind. Wahrscheinlich halten Sie mich jetzt für einen Messie, aber ich finde es nun mal übersichtlicher und animierender, alle Entwurfsphasen festzuhalten und sie um mich herum in meinem Sichtfeld zu platzieren.“

Da er sie nur verständnislos anstarrte, hockte sie sich auf die Fersen und legte den Kopf schief.

„Sie sehen schrecklich aus. Sind Sie sicher, dass Sie nicht darüber reden wollen? Wenn einen etwas belastet, ist es besser, man lässt es heraus, anstatt es in sich hineinzufressen, bis man explodiert.“

Seine blauen Augen waren völlig ausdruckslos. „Mich belastet nichts“, erwiderte er.

Lügner! Katie erinnerte sich noch gut an die Panik in seinem Blick, als er im Theater in sie hineingerannt war. „Mir müssen Sie nichts vormachen. Mein Dad ist erst letztes Jahr gestorben, und ich wäre völlig untergegangen, hätte ich nicht meine Freunde gehabt.“ Energisch sammelte sie die letzten Skizzen ein und stand dann wieder auf. „Wollen Sie meine Meinung dazu hören?“

Sie haben eine eigene Meinung zu meiner Situation?“

„Ich kann Ihnen nur eine Einschätzung aus weiblicher Sicht geben“, erklärte sie. „Sie erwähnten die Namen Annabelle und Carrie, was mich vermuten lässt, dass Sie mit zwei Frauen gleichzeitig ein Verhältnis eingegangen sind.“ Sie machte eine Pause, um ihm Gelegenheit zum Einspruch zu geben, doch nichts kam. „So etwas endet grundsätzlich im Chaos, selbst bei einem berühmten Hollywoodstar. Aber davon abgesehen halte ich es persönlich ohnehin für einen schäbigen Zug, sich auf eine Affäre mit einer verheirateten Frau einzulassen.“

Auf Nathaniels Wange zuckte ein Muskel. „Was bringt Sie denn auf diese Idee?“

„Ihre überstürzte Flucht von der Bühne. Sie haben ausgesehen, als wäre Ihnen Hamlets Geist begegnet und hätte irgendwas gesagt wie …“ Katie krauste die Nase und versuchte, sich an den genauen Wortlaut zu erinnern. „Er ist hier. Ja, das war es … er ist hier. Und dann wollten Sie Annabelle warnen, und Carrie sollte irgendetwas nicht herausfinden. Also lautet meine Schlussfolgerung: Sie versuchen, vor einem eifersüchtigen Ehemann zu flüchten.“

„Sie haben eine mehr als ausschweifende Fantasie“, sagte Nathaniel barsch. „Was ich sagte, bezog sich auf einen Theaterkritiker, eine echte Ratte. Plötzlich wurde mir klar, dass ich noch nicht bereit bin für die Rolle. Es fühlte sich alles falsch an, deshalb bin ich gegangen.“

Instinktiv schüttelte Katie den Kopf. „Das nehme ich Ihnen nicht ab. Ich habe die Generalprobe gesehen. Sie waren fantastisch! Versuchen Sie etwa, mir Ihren Abgang als einen Anfall von Lampenfieber zu verkaufen?“

„Eher als einen Anfall von künstlerischer Integrität. Ich bin eben Perfektionist.“

Während er sprach, fixierte er Katie so eindringlich, als wollte er sie hypnotisieren. Ihre Sicherheit schwand. Vielleicht war es ja wirklich so, wie er behauptete. Doch dann erinnerte sie sich daran, wie viele Preise Nathaniel Wolfe bereits für seine Schauspielkunst errungen hatte. Und das hier war ebenfalls gespielt, dessen war sie sich plötzlich ganz sicher.

Ein bohrender Blick musste nicht heißen, dass er die Wahrheit sagte. Ihr erster Eindruck war also richtig gewesen, und unter der glatten Oberfläche war seine innere Anspannung auch noch deutlich zu spüren. Doch das behielt sie lieber für sich, während sie zum Kühlschrank ging und eine Packung gefrorene Pfirsiche herausholte.

„Dann lassen Sie mich wenigstens Ihre äußeren Blessuren versorgen.“ Ohne weitere Umstände griff sie nach seiner geschwollenen Hand und kühlte sie mit dem eisigen Obst. „Es sieht ziemlich übel aus. Was meinen Sie, ist sie gebrochen?“

„Unsinn!“, knurrte der undankbare Kerl. „Was haben Sie sonst noch gehört?“

„Nichts weiter, aber das ist doch auch egal. Falls Sie denken, ich würde der Presse von Annabelle oder Carrie erzählen, täuschen Sie sich gewaltig in mir. Aber das sollte mich kaltlassen, da Sie mich nicht wirklich kennen. Trotzdem gehe ich davon aus, dass die beiden Damen Ihnen die Hölle heißmachen werden, sobald Sie erfahren …“

„Hören Sie denn nie auf zu reden?“, unterbrach er sie gepeinigt.

Katie zuckte zusammen. „Ich rede nur so viel, wenn ich nervös bin“, verteidigte sie sich, „und Sie machen mich schrecklich nervös.“

Wie mache ich Sie nervös?“

„Einfach, weil sie da sind!“, stieß sie hervor. „Es ist ein äußerst merkwürdiges Gefühl, einen Hollywoodstar im eigenen Apartment zu haben. Die ganze Zeit warte ich instinktiv darauf, dass irgendjemand ‚Action!‘ ruft.“

In den blauen Augen blitzte es humorvoll auf. „Sie sehnen sich nach Action?“

„Das habe ich nicht gesagt!“, wehrte sie hastig ab. „Es … es fühlt sich alles nur so unwirklich an. Inzwischen werden Sie sich bestimmt auch ärgern, dass Sie nicht gleich ins Dorchester …“

„Wenn ich in mein Hotel gewollt hätte, wäre ich dort hingegangen.“

Die Wände ihres winzigen Wohnzimmers rückten mit jedem seiner Worte noch enger zusammen. Plötzlich kam Katie ein Geistesblitz. „Sicher wollen Sie endlich Ihre zahlreichen Frauen anrufen. Ich ziehe mich solange zurück.“

„Besten Dank“, murmelte Nathaniel und hörte sich dabei keine Spur dankbar an.

„Ich bin in meinem Schlafzimmer, wenn Sie mich brauchen.“ Himmel! Warum denke ich eigentlich nie nach, bevor ich spreche?

Diesmal zwinkerte er ihr ganz offen zu. „Aha, im Schlafgemach und bereit für Action …

Flirtet er etwa mit mir? Nein, ganz sicher nicht!

Wie ein aufgescheuchtes Huhn floh Katie in ihr Schlafzimmer und schloss die Tür.

Urplötzlich war es da. Ein rauschhaftes Verlangen, das Nathaniel erstaunte und irritierte.

Wie, zur Hölle, komme ich auf die absurde Idee, mit einer Frau zu flirten, die zu Hause Fotos von mir aufbewahrt?

Das konnte doch nur zu Problemen führen, und davon hatte er wahrlich genug am Hals! Seit dem Moment, als er fluchtartig die Bühne verlassen hatte, war sein Adrenalinspiegel noch keinen Millimeter gesunken, und jetzt überfiel ihn auch noch völlig unerwartet wildes sexuelles Begehren!

Dabei musste er jetzt mehr denn je einen klaren Kopf haben und wichtige Telefonate führen. Doch anstatt das Handy aus der Tasche zu ziehen, drängte es Nathaniel, seine Hand auf die verdammte Klinke zu legen, ins Schlafzimmer einzubrechen und dieses sonderbare Mädchen bis zur Besinnungslosigkeit zu lieben. Dass sie offenbar ähnlich empfand, half seiner angeschlagenen Selbstbeherrschung kein bisschen!

Diese Katie war so anders als die weltgewandten, erfahrenen Frauen, mit denen er sonst zu tun hatte. Ihr sah man an der kecken Nasenspitze an, was sie dachte und fühlte. Und wie schwer es ihr fiel, diese Gefühle unter Kontrolle zu halten.

Nathaniel schob die Hände tief in die Taschen, wandte sich von der Tür ab und lächelte bitter. Ein Heiliger war er auf keinen Fall, was Frauen betraf, doch sich mit jemandem einzulassen, der ihn anschaute, als verfüge er über ein First-Class-Ticket, das bis zum Ende des Regenbogens reichte, kam für ihn nicht infrage.

In seinem Leben gab es keine Regenbögen, sondern nur finstere Sturmwolken. Und gerade in diesem Moment ballten sie sich über seinem Kopf bedrohlich zusammen …

Nathaniel prüfte seine Mailbox, aber Annabelle hatte sich noch nicht gemeldet. Ob sie die Nachricht überhaupt schon abgehört hatte? War sie vielleicht so betroffen, dass sie sich irgendwo zitternd zusammenkrümmte und versuchte, der Realität zu entkommen? Immer, wenn er an Annabelle dachte, meldete sich wieder ein nagendes Schuldgefühl, das hässliche Erinnerungen in ihm wachrief.

Fast angewidert steckte Nathaniel das Handy weg und fragte sich, warum er sich überhaupt diese Mühe machte. So eng standen sie einander schließlich auch nicht – aber das galt fast für alle Wolfe-Geschwister. Das Einzige, was sie verband, war der ausgeprägte Drang nach absoluter Unabhängigkeit.

Nathaniel trat ans Fenster und schaute hinunter auf die triste Straße, wo sich kein einziger Paparazzo zeigte. Miss Schnatterliese mit den hinreißend weiblichen Kurven und den unglaublichen Brüsten hatte es also tatsächlich geschafft, die Meute von Schmeißfliegen abzuhängen. Trotzdem verfinsterte sich sein Blick.

Als sich schließlich die Schlafzimmertür in seinem Rücken öffnete, hatte er sich wieder unter Kontrolle. Langsam wandte er sich um und hätte fast aufgelacht. Auf den ersten Blick war ihm klar, dass Katie zunächst ihr Make-up aufgefrischt und dann energisch wieder abgewischt haben musste, um nicht zu vordergründig zu erscheinen. Dabei hätte sie sich jede Mühe sparen können.

Schminke oder nicht, ihr voller Mund wirkte so verlockend wie eine reife Frucht, und selbst der strenge Pferdeschwanz konnte den feurigen Glanz ihrer Locken nicht kaschieren. Ihr ständiges Geplapper und das teenagerhafte Gehabe hätten ihm auf die Nerven fallen und ihn abstoßen müssen, aber stattdessen ging ihm dieses seltsame Mädchen unter die Haut.

Was sie wohl sagen würde, wenn er sie ohne Vorwarnung in seine Arme reißen, zurück ins Schlafzimmer bringen und voller Leidenschaft lieben würde? Er wollte sich in ihr verlieren, Trost und Ablenkung von dem Desaster finden, zu dem sich sein Leben entwickelt hatte. Sie wirkte so … rein, belebend und stark.

Katie mied seinen Blick, fragte aber: „Wollen Sie denn gar nicht rangehen?“

„Rangehen?“, wiederholte er verblüfft und registrierte erst jetzt, dass sein Handy klingelte.

Es war sein Bruder Sebastian, und als Nathaniel das Gespräch annahm, war er sich sehr wohl bewusst, dass Katie jedes Wort mithören konnte. „Ja, er war da. Rafael muss ihm das Ticket besorgt haben … keine Ahnung. Wir können nur versuchen, die Situation irgendwie zu retten.“

Während er sprach, pusselte Katie in der Küchenecke herum und bemühte sich zu demonstrieren, dass sie auf keinen Fall lauschte. Sie trug immer noch ihre alten Jeans, und die herausfordernde Rundung ihres reizenden Hinterteils hätte wohl jeden gesunden Mann zu den verwegendsten Fantasien verleitet. Nathaniel bildete darin keine Ausnahme und merkte erst verspätet, dass er die Hälfte von dem, was sein Bruder erzählte, gar nicht mitbekommen hatte.

„Wie bitte? Nein, das halte ich für … zu riskant. Ich werde England so schnell wie möglich verlassen. Du hast ja meine Privatnummer … wir bleiben in Verbindung. Das Wichtigste ist, dass wir sie beschützen.“

Was zur Hölle war nur los mit ihm? Er hätte sich einzig und allein auf die drohende familiäre Katastrophe konzentrieren müssen, anstatt darüber nachzusinnen, wie er Katie am schnellsten aus ihrer Jeans befreien konnte!

„Haben Sie so etwas wie Whisky im Haus?“, fragte er nach dem Telefonat.

„Tut mir leid“, erwiderte sie, immer noch mit dem Rücken zu ihm. Irritiert stellte er fest, wie angespannt ihre Haltung war.

„Sehen Sie mich einmal an.“

„Kann ich nicht. Tut mir leid, dass ich keinen Whisky für Sie habe, wie wär’s mit einem Glas Milch?“

Nathaniel schüttelte sich. „Das letzte Glas Milch habe ich mit drei Jahren getrunken! Warum können Sie mich nicht ansehen?“

„Sie ist aber voll Kalzium und Vitamin D … gut für die Knochen.“

„Und Alkohol ist gut für mich, wenn ich Stress habe.“ Während er sprach, schlenderte Nathaniel zur Küchenecke und griff nach einer Flasche, die im offenen Regal stand. „Was ist das?“

Jetzt kam Katie nicht umhin, über die Schulter nach hinten zu schauen, und wurde sofort von seinen blauen Augen in den Bann gezogen. Rasch senkte sie den Blick aufs Etikett. „Absolut nichts für Sie“, entschied sie angesichts des billigen Rotweins, den Claire mitgebracht und den sie dann doch verschmäht hatten. „Ich werde ihn auch höchstens zum Abbeizen von alten Möbeln verwenden.“

Fast hätte Nathaniel behauptet, dass das genau der richtige Tropfen für seine momentane Verfassung war, riss sich aber in letzter Sekunde zusammen. „Das halte ich schlichtweg für übertrieben“, murmelte er, öffnete den Drehverschluss und griff nach zwei Gläsern.

„Nicht für mich“, entschied Katie, die das Manöver aus den Augenwinkeln beobachtet hatte.

Doch Nathaniel ignorierte den Einwand und schenkte beide Gläser voll. „Trinken!“, forderte er fast barsch. „Wir brauchen beide eine Stärkung.“ Er nahm einen großen Schluck und hatte Mühe, ihn bei sich zu behalten, als sich Geschmackskomponenten auf seiner Zunge entfalteten, die er einem Rotwein nie zugeschrieben hätte. Nicht einmal dem billigsten! „Vielleicht aber auch nicht …“, murmelte er angewidert.

Katie verblüffte ihn, als sie in genau diesem Moment nach dem zweiten Glas griff. „Ich habe meine Meinung geändert“, verkündete sie energisch und stürzte das zweifelhafte Gebräu förmlich hinunter.

„Offenbar haben Sie keinen besonders anspruchsvollen Geschmack.“

„Den kann ich mir nicht leisten“, gab sie knapp zurück und starrte, ohne eine Miene zu verziehen, auf einen Punkt hinter seiner linken Schulter.

„Warum weichen Sie ständig meinem Blick aus, Katie?“, fragte er unvermittelt.

„Ich … Verzeihung, aber empfinden Sie diese Situation nicht als völlig absurd?“

„Was soll daran absurd sein?“

„Schauen Sie uns beide doch bloß mal an! Ich in löchrigen Jeans, in einem winzigen Apartment und wahrscheinlich demnächst ohne Job, und Sie … Na ja, wer und was Sie sind, wissen Sie selbst am besten. Ich befürchte ständig, dass gleich jemand kommt und meine Eintrittskarte kontrolliert, wenn ich Ihnen zuschaue. Oder dass im nächsten Moment irgendein Kerl im Kampfanzug mit einem Gewehr in der Hand hinter Ihrer Schulter auftaucht, der in den gleichen Film gehört!“

„Wenn schon ein Kerl hinter mir lauert, dann doch wohl eher einer Ihrer zahlreichen, eifersüchtigen Liebhaber, der mir den Kopf abreißen wird, weil er uns zusammen in Ihrem Apartment überrascht“, konterte Nathaniel. „Obwohl … wenn Sie heute Abend zum Speed-Dating wollten, gibt es diesen Kerl vielleicht gar nicht?“

„Ich lebe allein“, bekannte Katie.

„So, dann sind Sie also Single“, stellte er zufrieden fest und rief sich gleich in der nächsten Sekunde zur Ordnung.

„Nicht dass es mir etwas ausmacht!“, behauptete sie hastig. „Ich fühle mich sogar ausgesprochen wohl als Single. Man kann so spontan sein, wie man will. Zum Beispiel einfach ein Müsli zum Frühstück essen, anstatt Tee und Toast … und das Geschirr hinterher abwaschen oder stehen lassen, ganz wie man will. Und …“ Sie brach ab und lächelte reuig. „Verzeihung, ich rede schon wieder zu viel, oder?“

„Hmm“, erwiderte Nathaniel unverbindlich.

Sie seufzte. „Es ist nur so …“, startete sie einen erneuten Erklärungsversuch, „ich habe das Gefühl, Sie schon lange zu kennen, weil ich mir all Ihre Filme angeschaut und Sie sogar schon nackt gesehen habe. Dabei kenne ich Sie kein bisschen. Das macht alles so sonderbar.“

Nathaniel spürte ein seltsames Prickeln auf der Haut. „Sie haben mich nackt gesehen?“

„Ja, in diesem indischen Film“, erinnerte Katie ihn unbefangen. „Ich habe ihn mir zwei- oder sogar dreimal angeschaut und …“ Ihre Stimme verebbte, dafür färbten sich die Wangen blutrot, im Wissen, dass sie die speziellen Szenen mindestens hundert Mal voller Gier verschlungen hatte! „Die Stelle, an der Sie die Heldin auf Ihren Armen zum Strand hinuntergetragen haben, war so etwas wie Kult bei uns in der Uni.“

Nathaniel rang sichtbar um Fassung und versuchte nicht, sich zu rächen, indem er sich im Gegenzug Katie ohne Jeans und T-Shirt vorstellte. „Ich dachte, Sie hätten Kostümdesign studiert“, murmelte er mit belegter Stimme. „Erzählen Sie mir davon.“

Erzähl, was du willst! Nur nichts, was im Entferntesten mit Sex zu tun hat!

„Auch der nackte Körper kann eine Art Kostüm sein“, erklärte Katie ganz ernsthaft, „wenn es zur Rolle passt. Ich wollte damit nur sagen, dass es mir seltsam vorkommt, Sie so gesehen zu haben und …“

„Schon gut!“, wehrte er hastig ab. „Sie haben doch in den letzten Wochen sehr eng mit mir zusammengearbeitet, also bin ich längst kein Fremder mehr für Sie. Und ich kann Ihnen versichern, dass ich keine unehrenhaften Absichten Ihnen gegenüber hege.“ Nathaniel überlegte kurz, ob er lieber die Finger hinterm Rücken kreuzen sollte, ließ es dann aber. „Machen Sie nur nicht den Fehler, mich mit den Rollen zu verwechseln, die ich spiele. Um Sie zu beruhigen, Katie, ich reiße Ihnen nur die Kleider vom Leib, wenn Sie es vorher bei mir versuchen …“

Sein schwacher Scherz entspannte die prickelnde Atmosphäre kein bisschen. Eher im Gegenteil! Katies rote Gesichtsfarbe intensivierte sich nur noch.

„Sie müssen mir glauben, Mister Wolfe. So ein Gedanke würde mir niemals kommen!“ Im Gegensatz zu ihm kreuzte Katie ihre Finger vorsichtshalber tatsächlich hinterm Rücken! „Ich mag vielleicht eine heimliche Romantikerin sein, aber ich bin keine Närrin und kann sehr wohl zwischen Fantasie und Realität unterscheiden, obwohl …“

Wie durch ein Wunder kehrte ihr Sinn für Humor zurück und ließ ihre Stimme leicht und heiter klingen.

„Es gab schon Momente …“ Sie zögerte. „Passiert es eigentlich öfter, dass Zuschauer und Fans ähnlich reagieren?“

„Ständig! Am schlimmsten war es, als ich den Psychiater in Heartsink spielte. Anschließend wurde ich monatelang von Menschen belagert, die von mir eine helfende Diagnose erwarteten.“ Endlich! Sie sprachen nicht länger über Sex! Aber warum ließ dann das Brennen in seinen Lenden nicht nach? „Ich habe Ihnen noch gar nicht für Ihre spontane Hilfe gedankt.“

„Kein Problem, habe ich gern getan.“

Nathaniel war es gewohnt, von weiblichen Wesen umringt zu sein, die entweder albern kicherten, versuchten, mit ihm zu flirten oder sonst wie seine Aufmerksamkeit zu erregen. Katie war die erste Frau, die entschlossen zu sein schien, ihn nicht einmal anzuschauen. „Es ist ziemlich entnervend, immer nur zu Ihrem Scheitel sprechen zu können“, entfuhr es ihm wider Willen.

Da hob Katie den Kopf und sah ihn direkt an. Ihre Blicke trafen sich, und Nathaniel fluchte innerlich. Hätte er doch nur den Mund gehalten!

„Geht es Ihnen wenigstens ein wenig besser?“, fragte sie sanft.

„Besser?“, echote er rau.

„Im Theater wirkten Sie unglaublich verstört und irgendwie … verzweifelt.“

„Sie haben wohl doch eine ziemlich überschäumende Fantasie, Katie. Oder es liegt an dem Wein“, erwiderte er. „Wie viele Gläser brauchen Sie, um den Tanz der sieben Schleier aufzuführen?“

Natürlich entging ihr nicht, dass er auf diese Weise nur vom eigentlichen Thema ablenken wollte, doch die Richtung machte Katie nervös. „Tut mir leid, aber Ihr Harem scheint mir ohnehin schon überfüllt zu sein.“

„Keineswegs!“, behauptete Nathaniel mit herausforderndem Grinsen. „Die Requisiten sind bereits vorhanden …“ Mit einer ausholenden Geste wies er auf ihr orientalisch anmutendes Sofa mit den glänzenden Seidenkissen. „Sie brauchen mir nur noch einen Wink zu geben, wann ich den Scheich für meine hingebungsvolle Konkubine spielen soll.“

Vor Verlegenheit wusste Katie nicht, wohin sie schauen sollte. „Das Sofa ist längst nicht so bequem, wie es aussieht“, klärte sie ihn auf.

„Dann werde ich unbedingt dafür sorgen, dass ich oben liege“, gab er zurück und strich ihr nachlässig über die Wange. „Sie sind sehr schön, Katie. Das ist es auch, was die Duchess of Gloucester so erbittert. Sie hasst es, Frauen um sich zu haben, die sie daran erinnern, dass ihre Jugendblüte längst vorbei ist.“

Sein Daumen verharrte an ihren bebenden Lippen. Es wäre so leicht und nur natürlich, sie in diesem Moment zu küssen.

Katie trat einen Schritt zurück, sodass seine Hand herabfiel. „Alles schön und gut“, resümierte sie pragmatisch. „Aber jetzt zum Wesentlichen. Wie sind Ihre Pläne für heute Nacht?“

Er lächelte schief. „Ich brauche wohl eine Bleibe.“

„Hmm …“

„Das war eigentlich Ihr Stichwort, um mich einzuladen.“

„Sie wollen hier schlafen? Sind Sie verrückt?“, entfuhr es ihr spontan. „In Ihrer Luxussuite im Dorchester …“

„Der einzige Luxus, den ich brauche, ist Privatsphäre, und die ist dort unter Garantie nicht gegeben“, unterbrach er sie rasch. „Kann ich nicht auf dem Sofa übernachten?“

Völlig überrumpelt öffnete Katie den Mund und schloss ihn wieder. Dann schüttelte sie hilflos den Kopf. „Sie haben doch gar kein Gepäck dabei. Nicht einmal einen Pyjama.“

„So etwas besitze ich gar nicht. Also, was ist? Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß, Katie.“

„Tja, wenn es wirklich das ist, was Sie wollen …“

Zufrieden mit seinem Erfolg konnte Nathaniel es sich nicht verkneifen, seine widerwillige Gastgeberin ein wenig zu necken. „Und was mache ich, wenn mir mitten in der Nacht kalt wird?“, fragte er betont harmlos.

Sekundenlang versanken ihre Blicke ineinander, und Nathaniel spürte ein sonderbares Ziehen in der Herzgegend. Dann sah er, wie Katie kaum merklich den Kopf schüttelte. „Sie werden nicht frieren, aber ich hole Ihnen vorsichtshalber noch eine Decke“, sagte sie ruhig und wandte sich ab.

3. KAPITEL

Er drohte zu ertrinken …

Das kalte Wasser des Sees schlug über seinem Kopf zusammen. Eine unsichtbare Kraft zog ihn hinab ins nasse Grab. Als er den Mund öffnete, um zu schreien, drang Wasser in seine Lungen. Das Letzte, was er sah, war die dunkle Silhouette eines Mannes, der sich abwandte und davonging, um ihn seinem grausamen Schicksal zu überlassen.

Schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd schreckte Nathaniel aus dem Schlaf. Trotz der zusätzlichen Decke war ihm eiskalt, sein Kopf schmerzte vom zweifelhaften Genuss des billigen Rotweins und von zu wenig Schlaf.

Trotzdem war er froh, wach zu sein. Denn das bedeutete wenigstens das Ende des grauenhaften Albtraums. Mit bebenden Fingern fuhr er sich durch das feuchte Haar. Der Horror lauerte also immer noch in seinem Unterbewusstsein. Es war sehr lange her, dass er den bedrückenden Ort verlassen hatte, und auch schon Jahre, seit er zuletzt von ihm geträumt hatte.

An dem heutigen Rückfall in die Vergangenheit trug allein Jacob die Schuld. Warum hatte er zurückkommen müssen? Und warum gerade jetzt?

Nathaniel setzte sich mit steifen Gliedern auf. Ein Spalt in den Vorhängen gab den Blick durch die regennassen Scheiben frei … auf einen grauen Februarmorgen. Voller Sehnsucht dachte er an sein helles, komfortables Heim in Kalifornien. Dort hatte er sich ein neues Leben aufgebaut, das sich in so ziemlich jedem Punkt von seinem alten unterschied.

Und trotzdem suchte er immer noch nach der ultimativen Erlösung. Nach seinem Seelenfrieden.

Ein Bühnenengagement in England war ihm als rettende, kreative Abwechslung zur hohlen Seifenblase namens Hollywood erschienen. Hier in London wähnte er sich sicher vor der Vergangenheit … bis er seinen ältesten Bruder in der ersten Reihe des berühmten Theaters gesehen hatte.

Mit einem unterdrückten Fluch griff er nach seinem Handy und stellte fest, dass Annabelle ihm inzwischen geantwortet hatte. Nur zwei Worte.

Ich weiß.

Angespannt starrte Nathaniel aufs Display und fragte sich, in welchem Zustand sie diese Nachricht verfasst haben mochte. In trüben Gedanken gefangen erhob er sich von seiner unbequemen Lagerstatt und rang einen Moment nach Atem in dem winzigen, fremden Wohnzimmer. Noch nie war er in einem Raum gewesen, bei dem die Wände so dicht zusammenstanden. Er fühlte sich wie ein Gefangener.

Instinktiv trat er ans Fenster und blickte hinunter auf die Straße. Wie eine hungrige Wolfsmeute hatten sich zahllose Journalisten und Fotografen vor dem schäbigen Haus zusammengerottet. Sobald sie ihn erspähten, riefen sie seinen Namen. Nathaniel zuckte zurück und lehnte sich fluchend gegen die Wand.

Warum überraschte ihn die Szenerie? Nichts anderes war von den aufdringlichen Paparazzi zu erwarten gewesen. Es war Teil seines Lebens. Seit er in Hollywood Karriere gemacht hatte, konnte er sich nirgendwo auf der Welt mehr frei bewegen. Und immer gab es jemanden, der bereit war, ihn an die Medien zu verkaufen.

Grimmig sah er zur geschlossenen Schlafzimmertür hinüber. Katie lag unter Garantie noch in tiefem Schönheitsschlaf. Als er daran dachte, wie mitteilungsfreudig sie gestern schon ihm gegenüber gewesen war, verfinsterte sich seine Miene noch.

„Nathaniel! Katie!“, tönte es von der Straße.

Seinen Namen zusammen mit ihrem zu hören, verstimmte ihn nur noch mehr. Wütend riss er die Tür auf und betrat ihr winziges Schlafzimmer. „Aufwachen, Dornröschen! Wir haben ein Problem vor der Haustür!“

Mit einem leisen Schreckenslaut fuhr Katie hoch. Als sie Nathaniel vor ihrem Bett stehen sah, war sie schlagartig hellwach. Abrupt setzte sie sich auf und rieb sich den Schlaf aus den grünen Nixenaugen. „Was? Wo?“

Sekundenlang dachte er, sie wäre splitterfasernackt, doch dann sah er die schmalen Spaghettiträger inmitten der wirren dunklen Locken, die ihr über die Schultern herabfielen.

„Dank Ihrer Unfähigkeit, ein Geheimnis für sich zu behalten, müssen wir uns jetzt mit diesen Schmeißfliegen herumplagen!“, warf er ihr vor und musterte dann verblüfft ihr schmales Singlebett. „Kann man auf einer derart engen Pritsche überhaupt richtigen Sex haben?“

Autor

Abby Green

Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...

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Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 18 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen. Manchmal sitzt Sie...

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