Julia Exklusiv Band 345

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MIT DEN AUGEN DER LIEBE … von CATHY WILLIAMS
Sie hat ein Date mit dem faszinierenden Milliardär Luc Laughton! Aufgeregt begleitet Agatha ihn in sein luxuriöses Penthouse und lässt sich zu einer Affäre verführen. Doch kaum gesteht sie ihm ihre romantischen Gefühle, zerplatzt ihr Glück wie eine Seifenblase …

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  • Erscheinungstag 07.01.2022
  • Bandnummer 345
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511902
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cathy Williams, Natasha Oakley, Abby Green

JULIA EXKLUSIV BAND 345

1. KAPITEL

„Ich habe vor fünf Minuten angerufen. Warum bist du nicht ans Telefon gegangen?“

Luc Laughton schob seinen Hemdsärmel zurück, um demonstrativ auf die Uhr zu schauen. „Ich halte nichts davon, wenn meine Mitarbeiter nur ihren pünktlichen Feierabend im Kopf haben. Sie bekommen aus gutem Grund ein großzügiges Gehalt.“

Kalt blickte er die kleine Blondine an, die einen dicken Mantel von undefinierbarer Farbe trug, der aussah, als stamme er aus einer Altkleidersammlung. So wie er sie kannte, hatte er mit seiner Vermutung wahrscheinlich nicht mal unrecht.

Auf Agathas Wangen zeichneten sich kreisrunde rote Flecken ab. Natürlich hatte sie das Telefon klingeln hören. Aber sie hatte es nun mal eilig gehabt. Es war ja auch nicht so, dass sie nicht länger blieb, wenn es viel zu tun gab. Außerdem war es bereits Viertel vor sechs. Man konnte also kaum behaupten, dass sie es nicht hatte erwarten können, sich um Punkt fünf in die Freitagabend-Rushhour zu stürzen.

„Bloß weil ich dich eingestellt habe, um meiner Mutter einen Gefallen zu tun …“, fuhr Luc mit diesem schneidenden Unterton in der Stimme fort, für den er in der unbarmherzigen Finanzwelt so gefürchtet war, „… heißt das nicht, dass du dir hier einen faulen Lenz machen kannst.“

„Es ist fast sechs Uhr, und ich mache mir keinen faulen Lenz.“ Agatha schaffte es nicht, Luc Laughton dabei in die Augen zu sehen. Das würde nur wieder dazu führen, dass ihr Herz bis zum Hals schlagen und ihr ganzer Körper von diesem unerwünschten Kribbeln heimgesucht würde. So war es bereits, seit sie dreizehn und er achtzehn Jahre alt war, verdammt gut aussah und diese geheimnisvolle Ausstrahlung hatte, die Frauen vollkommen in seinen Bann zogen.

Wie hätte sie also nicht für ihn schwärmen können? Alle Mädchen im Dorf waren in ihn verliebt, auch wenn er ihnen kaum Beachtung schenkte. Er war der Sohn reicher Eltern und lebte in einer Villa auf dem Hügel. Er besuchte ein Nobelinternat, in dem seine scharfsinnige Intelligenz gefördert wurde und er sich ein Selbstbewusstsein aneignete, das auf Agatha gleichzeitig beängstigend und seltsam anziehend wirkte.

„Wenn es sich um etwas Wichtiges handelt, kann ich natürlich etwas länger bleiben“, murmelte sie und starrte weiterhin angestrengt auf den Teppich.

Luc seufzte übertrieben laut und lehnte sich gegen den Türrahmen. Er hatte von Anfang an gewusst, dass der Vorschlag seiner Mutter keine gute Idee war. Doch er hatte ihr den Gefallen nicht verweigern können.

Vor sechs Jahren war sein Vater unerwartet gestorben und hatte ihnen einen Haufen Schulden hinterlassen. Ohne seinen Vater darüber in Kenntnis zu setzen, hatte dessen Geschäftspartner das Unternehmen in den Ruin geführt. Während Luc sein Studentenleben in vollen Zügen genossen hatte und der Wechsel nach Harvard für einen Master-Studiengang in Wirtschaft und Geschichte kurz bevorstand, war von dem Wohlstand, den er und seine Familie so lange genossen hatten, nichts geblieben.

Als Luc direkt nach dem Tod seines Vaters nach Hause kam, teilte ihm seine vor Kummer am Boden zerstörte Mutter Danielle mit, dass ihre Villa versteigert würde, um die Schulden begleichen zu können.

Hätten in dieser verzweifelten Lage nicht der Pastor und seine Frau, Agathas Eltern, Danielle ein Zimmer in ihrem Haus angeboten, hätte seine Mutter kein Dach mehr über dem Kopf gehabt. Ein gutes Jahr kümmerte sich das Paar um Danielle, bis sich deren finanzielle Situation wieder so weit stabilisiert hatte, dass sie es sich leisten konnte, ein kleines Haus am Dorfrand zu mieten. Statt sein Studium abzuschließen, investierte Luc nun all seine Energie darin, die Firma wieder aufzubauen und die Villa zurückzukaufen.

Als seine Mutter ihm nun vor acht Monaten mitteilte, dass die kleine Agatha Havers ihren Job verloren hatte, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als ihr eine Stelle in seinem Unternehmen anzubieten. Er und seine Mutter standen tief in der Schuld ihrer Eltern. Ihnen hatte er es zu verdanken, dass er die Freiheit gehabt hatte, diesen fulminanten Aufstieg zu schaffen, während sie sich um seine Mutter kümmerten.

In dem supermodernen Bürogebäude aus Glas wirkte Agatha zwischen all den hoch qualifizierten und motivierten Mitarbeitern jedoch vollkommen deplatziert. Die Pastorentochter vom Lande, deren berufliche Kenntnisse sich auf das Umtopfen von Pflanzen beschränkten, war in dieser Bürowelt, in der sich alles um Geschäfte und Akquisitionen drehte, ganz offensichtlich verloren.

„Ist Helen schon gegangen?“

Helen war Lucs persönliche Assistentin. Sie tat Agatha leid. Agatha nahm er bloß hin und wieder mit seinen scharfen Adleraugen aufs Korn. Helen hingegen war ihm den ganzen Tag lang ausgesetzt, und Luc entging auch nicht der kleinste Fehler.

„Ja, aber das spielt keine Rolle. Ich möchte, dass du die Informationen zum Garsi-Geschäft zusammenfasst und sicherstellst, dass alle Dokumente vorbereitet sind. Wir haben hier einen sehr engen Zeitplan, also brauche ich dringend deine Hilfe.“

„Sollte das nicht lieber jemand … ähm … mit etwas mehr Erfahrung in dem Bereich übernehmen?“, presste Agatha zögernd hervor.

Unfähig, weiter auf den Boden zu starren, sah sie auf in sein schön geschnittenes Gesicht mit dem markanten Kinn und hatte plötzlich Schwierigkeiten zu atmen. Er hatte die olivfarbene Haut und das schwarze Haar von seiner französischen Mutter geerbt, die grünen Augen von seinem sehr aristokratischen englischen Vater. Die Kombination ergab eine unglaublich attraktive Mischung.

„Ich bitte dich doch nicht darum, das Geschäft abzuschließen, Agatha.“

„Das ist mir klar, aber ich bin nicht so schnell am Computer wie … nun ja …“

„Wie der Großteil der Angestellten in diesem Gebäude?“, warf Luc ein, kaum fähig, den Sarkasmus in seiner Stimme zu unterdrücken. „Du hattest jetzt fast acht Monate Zeit, dich einzuarbeiten. Und du hast einen Computerkurs besucht.“

Agatha schauderte, als sie an diesen Kurs zurückdachte. Nach der Kündigung in der Gärtnerei hatte sie drei Monate lang bei ihrer Mutter gewohnt. Ihr war bewusst, dass sie deren Geduld, so liebevoll und fürsorglich ihre Mutter auch war, bis zum Äußersten strapaziert hatte.

„Du kannst dich einfach nicht für den Rest deines Lebens hier verkriechen und im Garten Unkraut jäten, Schatz“, hatte sie Agatha sanft ermahnt. „Es ist schön, dich bei mir zu haben, denn die vergangenen zwei Jahre, seit dem Tod deines Vaters, waren schon manchmal einsam. Aber du brauchst eine Arbeit. Wenn du hier im Dorf nichts findest, warum suchst du dir nicht woanders einen Job. Vielleicht sogar in London? Ich hab mich neulich mit Lucs Mutter unterhalten, und sie hat gesagt, dass er vielleicht eine Stelle für dich in seinem Unternehmen hätte. Du weißt ja, er ist sehr erfolgreich. Du müsstest bloß einen kleinen Computerkurs absolvieren …“

Agatha war bewusst, dass selbst Zehnjährige besser mit Computern umgehen konnten als sie. Doch während dieses Kurses hatte nicht nur ihr Desinteresse für Computer zugenommen, mehr noch, sie hatte angefangen, sie zu hassen. Es schien, als warteten diese Geräte nur darauf, dass sie eine falsche Taste drückte.

„Ja, habe ich“, antwortete sie mürrisch. „Aber ich war nicht gerade erfolgreich.“

„Du wirst es nie zu etwas bringen im Leben, wenn du dich so hängen lässt und immer nur negativ denkst. Ich gebe dir hier eine Chance, dich weiterzuentwickeln, damit du nicht immer nur Akten ablegen musst.“

„Ich bin zufrieden mit meinem Job“, entgegnete Agatha schnell. „Ich meine, ich weiß, es ist nicht besonders anspruchsvoll, aber ich habe auch nie erwartet …“

„Dass die Arbeit in meinem Unternehmen Spaß machen könnte?“ Luc hatte Mühe, sich zu beherrschen. Agatha irritierte ihn einfach mit ihrer schüchternen, verklemmten Art. Er konnte sich noch daran erinnern, wie sie sich als Teenager immer in irgendwelchen Ecken herumgedrückt hatte und nicht in der Lage gewesen war, auch nur eine einfache Unterhaltung mit ihm zu führen. Angeblich hatte sie diese Probleme mit anderen Menschen nicht, das hatte ihm jedenfalls seine Mutter versichert. Er bezweifelte es jedoch, angesichts der Tatsache, dass sie gerade versuchte, sich in den Falten ihres übergroßen Mantels zu verstecken.

„Nun?“, fragte er ungeduldig.

„Also, ich denke, Büroarbeit ist einfach nichts für mich“, gab Agatha ehrlich zu. „Es ist nicht so, dass ich nicht dankbar wäre, dass ich hier arbeiten darf …“ Beziehungsweise in einer Besenkammer sitzen, hin und wieder ein Anschreiben tippen und gelegentlich eine Akte ablegen darf, dachte sie bei sich. Den Großteil der Arbeitszeit verbrachte sie damit, Lucs Anzüge in die Reinigung zu bringen und dafür zu sorgen, dass der Kühlschrank seines Apartments im Londoner Nobelviertel Belgravia gefüllt war. Außerdem hatte Helen ihr den Job abgetreten, seine verflossenen Geliebten mit angemessenen Geschenken, von Blumensträußen bis Diamanten, zu entschädigen. Im Laufe der letzten acht Monate hatten immerhin fünf exotische Supermodels von ihm den Laufpass bekommen.

„Mir ist auch klar, dass dir wahrscheinlich nichts anderes übrig blieb, als mich einzustellen.“

„Da hast du recht“, entgegnete Luc matt.

Insgeheim hatte Agatha fast gehofft, er würde ihr widersprechen und ihr sagen, dass sie auf ihre ganz eigene Art eine sehr wertvolle Mitarbeiterin für das Unternehmen sei. „Ja, Danielle und meine Mutter können ziemlich überzeugend sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben.“

„Agatha, warum setzen wir uns nicht für einen Moment? Ich hatte mich eigentlich schon viel früher mit dir unterhalten wollen. Aber du weißt ja, wie beschäftigt ich bin.“

„Ich weiß.“

Sie zögerte einen Moment, um dann wieder an ihrem Schreibtisch Platz zu nehmen und Luc zu beobachten, wie er sich auf der Tischkante niederließ, bevor er ihr einen dieser strengen Blicke zuwarf. Sicher würde er nun auf ihre schlechten Computerkenntnisse zu sprechen kommen.

Irritiert runzelte Luc die Stirn. „Was soll das heißen, du weißt es?“

„Weil deine Mutter immer davon redet, wie viel du zu tun hast und wie selten du zu Hause bist.“

Luc glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. „Heißt das, ihr drei setzt euch zusammen und tratscht über mich?“

„Nein! Natürlich nicht.“

„Kannst du mit deinem Leben wirklich nichts Besseres anfangen?“

„Selbstverständlich!“ Zumindest hatte sie Besseres zu tun gehabt, bis ihr der Job im Gartencenter gekündigt wurde. Oder meinte er ihr Privatleben? „Ich habe viele Freunde, und überhaupt, nicht jeder träumt davon, nach London zu ziehen und das große Geld zu verdienen.“

„Soll das eine versteckte Kritik sein? Falls du es vergessen haben solltest, meine Mutter hat in einer kleinen Hütte, in der die Tapete von den Wänden fiel, vor sich hin vegetiert. Du wirst mir doch wohl zustimmen, dass jemand die Sache in die Hand nehmen und sich um die Finanzen kümmern musste, oder nicht?“

Agatha senkte die Lider und nickte. Als sie wieder aufsah, trafen sich für einen kurzen Moment ihre Blicke, und ihr blieb das Herz stehen – Kristallblau gegen tiefes Moosgrün. Auch wenn sie alles versucht hatte, diese Schwärmerei für ihn zu unterdrücken, es war kaum möglich, sich Luc Laughtons Anziehungskraft zu entziehen. Selbst jetzt, wo er sie so ungeduldig ansah, dass es fast schon feindselig wirkte.

Ihr schnelles Einlenken machte ihn wütend. „Das hier …“, er schwenkte seinen Arm durch das Büro, „… ist das, was zählt. Und nur deswegen kann ich meiner Mutter den Lebensstil bieten, den sie gewohnt ist. Mein Vater hat eine Menge Fehler gemacht, wenn es um Geld ging. Daraus habe ich gelernt. Lektion Nummer eins ist: erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“

Er stand auf und ging in dem kleinen Raum auf und ab. Er hatte ihr bewusst dieses Zimmer zugewiesen, das weit entfernt von den anderen Büros lag, weil er wusste, dass sie mitten zwischen all den geschäftigen Mitarbeitern, die vor Energie nur so strotzten, noch verlorener wirken würde.

„Warum siehst du den Job nicht als Chance anstatt als bloßen Lückenfüller, bis du die nächste Gärtnerstelle bekommst?“

„Ich suche keine neue Gärtnerstelle.“ Es wurde auch gar nichts angeboten in London, sie hatte sich bereits umgesehen.

„Du musst wirklich versuchen, dich hier zu integrieren, Agatha. Und bitte fühl dich nicht angegriffen von dem, was ich dir sagen möchte.“

„Dann sag es nicht!“ Sie sah ihn mit ihren großen blauen Augen flehend an. Ihr war bewusst, dass er für Menschen, die weniger offensiv und zupackend durchs Leben gingen als er, keinerlei Toleranz aufbrachte.

„Er kann einem schon etwas Angst einjagen“, hatte Danielle, kurz bevor Agatha nach London ging, zugegeben. Agatha wurde erst, als sie anfing, für ihn zu arbeiten, klar, was seine Mutter damit gemeint hatte. Normalerweise bekam sie von Helen Rückmeldungen zu ihrer Arbeit. Wenn sie Tippfehler in Agathas Briefen fand, so tat die Kollegin diese bloß mit einem freundlichen Schulterzucken ab. Kam es jedoch einmal zu dem seltenen Fall, dass sich Luc aus seiner Chefetage bis zu ihr verirrte, so stellte er sie erbarmungslos zur Rede, sollte sie etwas falsch gemacht haben.

„Du kannst nicht ständig den Kopf in den Sand stecken, Agatha.“ Er schwieg und wartete, bis er ihre volle Aufmerksamkeit hatte. „Wenn du etwas engagierter gewesen wärst, hättest du dich rechtzeitig um einen neuen Arbeitsplatz kümmern können. Dein Gartencenter hat seit zwei Jahren nur Verluste gemacht. Du hättest nicht warten müssen, bis die Pleite kommt und du ohne Job dastehst, weißt du, was ich meine?“

Entrüstet presste Agatha die Lippen aufeinander.

„Aber gut, nun bist du hier und beziehst ein großzügiges Gehalt dafür, dass du absolut kein Interesse an deiner Arbeit zeigst.“

„Ich werde mich mehr bemühen“, murmelte sie und wunderte sich, wie sie jemanden so attraktiv finden und gleichzeitig so verabscheuen konnte. Schwärmte sie vielleicht nur aus Gewohnheit für ihn? Konnte sie nicht anders, weil sie ihn bereits seit ihrer Teenagerzeit anhimmelte?

„Das hoffe ich, und anfangen könntest du mit deinem Kleidungsstil.“

„Wie bitte?“

„Ich sage dir das bloß zu deinem eigenen Besten“, erklärte er in diesem Ton, der nichts Gutes verhieß. „Dein Kleidungsstil hier im Büro ist unangemessen. Hast du dich schon einmal umgesehen und eine meiner Mitarbeiterinnen in langen Zigeunerröcken und schlabberigen Strickjacken gesehen?“

Agatha spürte, wie eine Welle aus Ärger und Scham sie überrollte. Dieser Mann war zwar unglaublich gut aussehend, aber auch Rosen waren nur so lange schön, bis man sich an ihren Dornen stach. Wie habe ich all die Jahre nur so verrückt nach diesem Typen sein können, fragte sie sich erneut. In ihrer Kindheit war er ihr Traumprinz gewesen. Selbst als Danielle bei ihren Eltern eingezogen war und Agatha die Möglichkeit gehabt hatte, Luc ganz aus der Nähe zu sehen, wenn er seine Mutter besuchte und bei ihnen übernachtete, hatte sie sich von seiner Art, sie zu ignorieren, nicht abschrecken lassen.

Sie war nun einmal keine atemberaubende Blondine mit meterlangen Beinen und Traummaßen. So einfach war das. Sie war schlichtweg unsichtbar für ihn.

Dennoch, er war immer sehr höflich zu ihr gewesen.

Doch jetzt hatte er eine Grenze überschritten.

„Meine Kleidung ist bequem“, erklärte sie mit zitternder Stimme. „Ich weiß, dass du mir einen großen Gefallen tust, indem du mir einen Job gibst, obwohl ich für Büroarbeit überhaupt nicht geeignet bin. Aber ich verstehe nicht, warum ich nicht tragen kann, was ich möchte. Ich habe weder Kundenkontakt, noch nehme ich an Konferenzen teil. Und wenn es dir nichts ausmacht, dann würde ich jetzt gern gehen. Ich habe noch eine wichtige Verabredung, ich hoffe also, du entschuldigst mich …?“ Damit erhob sie sich von ihrem Platz.

„Eine Verabredung? Du hast eine Verabredung?“ Luc war so erstaunt, dass er für einen Moment den Faden verlor.

„Warum überrascht dich das?“ Agatha ging hinüber zur Tür und spürte seinen Blick in ihrem Rücken.

„Weil du doch gerade erst ein paar Monate in London bist. Weiß Edith davon?“

„Meine Mutter muss nicht über jedes Detail meines Lebens Bescheid wissen!“

Schuldbewusst sah sie auf den Boden. Ihre Mutter war in dieser Hinsicht sehr altmodisch. Wenn sie wüsste, dass ihr kleines Mädchen mit einem Mann ausgehen würde, den sie gemeinsam mit ihren Freundinnen in einer Bar getroffen hatte, würde sich ihr wohl der Magen umdrehen. Sie würde nicht verstehen, dass so etwas in London ganz normal und Agatha dieses Date sehr wichtig war. Es hatte sie schließlich viel Überwindung gekostet, sich überhaupt darauf einzulassen. Mit ihren zweiundzwanzig Jahren brauchte sie endlich einen echten Mann, der echte Pläne für eine Zukunft mit ihr machte.

„Warte, Agatha – nicht so schnell!“ Blitzschnell fasste Luc sie am Arm und drehte sie zu sich herum.

„Also gut, ich werde morgen ganz früh ins Büro kommen, auch wenn es ein Samstag ist, und mich um den Papierkram kümmern.“ Das Gefühl seiner kräftigen Finger, die ihren Arm drückten, jagte ihr Hitzeschauer über den Rücken. Plötzlich wollte sie diese Verabredung umso mehr. Sie konnte es nicht mehr ertragen, wie ihr Körper auf Luc reagierte. „Ich muss jetzt aber wirklich nach Hause, sonst wird Stewart auf mich warten müssen.“

„Stewart? Heißt dein Date so?“ Er ließ sie los, doch seine Neugier war geweckt. Er hatte fast gedacht, sie hätte gar kein Privatleben. Eigentlich hatte er sich gar keine Gedanken über sie gemacht. Auch wenn seine Mutter hin und wieder anrief, um sich zu erkundigen, wie es Agatha ging. Er hatte ihr den Job gegeben, sichergestellt, dass sie ein gutes Gehalt erhielt, ein viel zu gutes Gehalt, wenn man bedachte, dass sie keinerlei Erfahrung hatte. Und damit hielt er seine Pflicht für erfüllt.

„Ja“, gestand Agatha zögernd.

„Und seit wann kennst du ihn?“

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht“, wagte sie einzuwenden. Entschlossen öffnete sie die Tür und verließ das Büro in dem unangenehmen Bewusstsein, dass Luc ihr zum Aufzug folgte. Da es Freitag war, hatte der Großteil der Angestellten auf ihrem Flur das Haus bereits verlassen.

„Es geht mich nichts an? Habe ich gerade richtig gehört?“

„Ja, hast du.“ Frustriert wandte Agatha den Kopf, um Luc anzusehen, und ballte ihre Hände in den Manteltaschen zu Fäusten. „Was ich außerhalb der Arbeitszeit mache, ist ganz allein meine Sache.“

„Ich wünschte, ich könnte dir zustimmen. Aber ob es dir gefällt oder nicht, ich bin hier für dich verantwortlich.“

„Weil meine Eltern vor hundert Jahren deiner Mutter einen Gefallen getan haben? Das ist doch verrückt! Mein Vater war Pastor. Es gehörte zu seinen Aufgaben, sich um seine Gemeinde zu kümmern, und er hat es gern getan. Abgesehen davon war deine Mutter eine Freundin der Familie. Sie hat schließlich unzählige Male bei Kirchenfesten ausgeholfen.“ Sie drückte den Knopf am Aufzug und sah Luc nicht mehr an.

„Jemanden ein Jahr lang bei sich zu beherbergen ist wohl kaum mit ein paar selbst gebackenen Kuchen gutzumachen.“

„Das sahen meine Eltern anders. Und meine Mutter wäre entsetzt, wenn sie wüsste, dass ich dir hier in London zur Last falle.“ Bei diesen Worten kreuzte Agatha schnell die Finger hinter ihrem Rücken. Ihre Mutter machte sich ständig Sorgen um sie und rief täglich an. Sie erinnerte Agatha daran, gesund zu essen und dass London ein sehr gefährliches Pflaster sei. Um dies noch zu bekräftigen, las sie ihr die neuesten Zeitungsartikel über Überfälle und Morde in der Hauptstadt vor. Agathas Versicherungen, dass sie weit von diesen Schauplätzen entfernt lebte, beruhigten ihre Mutter keineswegs. Wenn sie wüsste, dass Luc auf sie aufpasste, könnte sie sicher ruhiger schlafen.

Endlich öffneten sich die Aufzugtüren vor ihnen, und Agatha sah Luc alarmiert an, als er mit ihr in den Aufzug stieg. „Was … was hast du vor?“

„Ich fahre mit dir nach unten.“

„Aber ich dachte, du müsstest dieses dringende Geschäft abschließen, von dem du mir erzählt hast.“ Sie wollte gerade den Knopf für das Erdgeschoss drücken, als Luc seine Hand an ihr vorbeischob und auf Parkdeck drückte. Ärgerlich wirbelte sie zu ihm herum.

„Warum fahren wir zum Parkdeck?“

„Weil mein Auto dort steht und ich dich nach Hause bringen werde.“

„Bist du verrückt?“

„Willst du die Wahrheit hören?“

Agatha hatte eigentlich genug Wahrheiten von ihm gehört an diesem Tag, doch sie brachte kein Wort über die Lippen, um ihn aufzuhalten.

„Ich habe gestern mit meiner Mutter telefoniert“, begann Luc unverblümt. „Sie hat mir ziemlich klar zu verstehen gegeben, dass ich nicht genug Interesse an dir gezeigt habe, seit du hier bist.“

Der Gefallen, den er seiner Mutter getan hatte, forderte einen höheren Preis, als Luc zunächst angenommen hatte. Auch wenn ihn die Meinung anderer Leute normalerweise nicht interessierte, hatte er, weil es seine Mutter war, die Zähne zusammengebissen und ihr versprochen, sich mehr um Agatha zu kümmern.

Agatha starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Sie merkte nicht einmal, wie sich die Aufzugtüren öffneten und Luc sie zu einem glänzenden Aston Martin führte, so beschämt war sie. „Das glaube ich dir nicht“, brachte sie mit gepresster Stimme hervor.

„Es ist aber so. Edith macht sich Sorgen. Sie meint, du klingst nicht glücklich am Telefon, du würdest kaum von deinem Job erzählen, und du hättest abgenommen, seit sie dich das letzte Mal gesehen hat.“

Soweit Luc es unter dem unförmigen Mantel erkennen konnte, wirkte sie allerdings ziemlich rund und gesund.

Agatha stöhnte und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen.

„Na los, schnall dich an, und sag mir, wo du wohnst.“

Während er, nachdem sie ihm zähneknirschend ihre Adresse mitgeteilt hatte, auf dem Navigationsgerät herumdrückte, ging Agatha noch einmal im Geiste die letzte Stunde durch – angefangen mit seinem plötzlichen Interesse daran, ihr anspruchsvollere Tätigkeiten zu geben.

„Ich fühle mich schrecklich.“ Sie kühlte ihre glühenden Wangen mit ihren eisigen Handrücken.

„Was soll ich denn sagen?“

„Hast du mir deswegen all diese neuen Aufgaben übertragen?“

„Ich möchte einfach, dass du dich mehr anstrengst, dann hast du vielleicht auch nicht mehr so viel Zeit, dich bei deiner Mutter am Telefon zu beschweren, wie gelangweilt und unglücklich du bist. Ich weiß wirklich nicht, wie ich plötzlich in diese Kindergärtnerrolle rutschen konnte. Anders kann man es wohl kaum nennen.“

„Ich will doch gar nicht, dass du dich um mich kümmerst!“, jammerte Agatha verzweifelt.

Das ist eigentlich mal etwas Neues, normalerweise wollen die Frauen nichts als meine Aufmerksamkeit, dachte Luc für einen Moment.

„Ich erweitere doch bloß deinen Arbeitsbereich. Interessantere Projekte, weniger Kopierjobs. Darum solltest du dir jetzt auch mal Gedanken über deine Garderobe machen. Wenn du demnächst Kundenkontakt hast, kannst du nicht in einem Sack und alten Schuhen herumlaufen.“

„Gut, ich denke darüber nach“, versprach sie, bloß um dieses furchtbare Gespräch endlich zu beenden.

„Und auch wenn es dir nicht passt, ich bringe dich jetzt nach Hause, weil ich mich davon überzeugen möchte, dass du dich nicht mit irgendeinem zwielichtigen Typen triffst. Das Letzte, was ich im Moment brauchen kann, ist meine Mutter, die wie ein Racheengel in meinem Büro auftaucht, nur weil du Mist gebaut hast.“

Agatha wollte am liebsten im weichen Leder des Autositzes verschwinden. Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so gedemütigt gefühlt. In ihren Träumen hatte sie sich zwar schon viele Szenarien mit Luc ausgemalt, doch dass er mal Interesse an ihr zeigen würde, weil er quasi dazu gezwungen wurde, war wohl das Unangenehmste, was sie sich vorstellen konnte. Und dazu noch von ihm gesagt zu bekommen, dass sie wie eine Pennerin aussah, war an Peinlichkeit nicht zu überbieten.

Sie hätte diesen Job niemals antreten sollen. Es kam nie etwas Gutes dabei heraus, wenn man die Hilfe anderer annahm. Auch wenn seine Mutter damals bei ihnen in das Pfarrhaus eingezogen war, handelte es sich in Agathas Fall um eine völlig andere Situation. Luc war kein freundlicher, älterer Mann, der nichts lieber tat, als seinen Nachbarn in der Not zu helfen, sondern ein wildes Raubtier, das skrupellos seine Krallen in den Empfänger seiner Barmherzigkeit schlagen würde, wenn ihm danach war.

„Ich kann schon allein auf mich aufpassen“, entgegnete sie und sah stur geradeaus.

„Du hast deiner Mutter ja offensichtlich nichts von deiner sogenannten Verabredung erzählt“, stellte Luc fest. „Was darauf schließen lässt, dass es dir unangenehm ist, habe ich recht?“

„Ich habe ihr nichts erzählt, weil ich ihn gerade erst kennengelernt habe!“

Ihm fiel auf, dass sie nicht wirklich auf seine Bemerkung eingegangen war. Ob der Typ verheiratet war? Er konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass sie auf verheiratete Männer stand. So behütet, wie sie aufgewachsen war, und dazu noch ihr fragwürdiger Kleidungsstil – er würde wetten, dass sie auf diese schrulligen Naturburschen stand, solche, die sich den Kopf darüber zerbrachen, wie sie die Welt retten könnten.

Aber wenn dieser Typ so jemand war, hätte sie dann ihrer Mutter nicht sofort von ihm erzählt? Selbst wenn sie ihn noch nicht lange kannte?

„Ist er verheiratet? Du kannst es mir ruhig sagen, erwarte jedoch nicht, dass du meinen Segen bekommst. Ich halte nichts davon, sich in die Ehen von anderen zu drängen.“

Bei seinen Worten wandte sich Agatha aufgebracht zu ihm um. Wie konnte ausgerechnet er sich als Moralapostel aufspielen? Sie war so wütend, dass sie all ihre Scheu vergaß, die sie sonst in seiner Nähe überkam.

„Ich glaube nicht, dass es dir zusteht, dich in irgendeiner Weise in mein Leben einzumischen.“

„Wie bitte?“, brach er nach einigen Sekunden das eisige Schweigen, das auf ihre Bemerkung gefolgt war.

„Mir wurde die Aufgabe übertragen, für all deine verflossenen Liebhaberinnen Abschiedsgeschenke zu besorgen“, presste Agatha hervor. „Blumen, Juwelen, teure Reisen – wie kannst du also jemandem Vorschriften über sein Liebesleben machen, wenn du selbst eine sinnlose Affäre nach der anderen hast?“

Luc fluchte leise, entrüstet, dass sie es wagte, sein Privatleben zu verurteilen. „Seit wann ist Vergnügen sinnlos?“, erwiderte er knapp. Er wusste, es hatte keinen Sinn, mit ihr, der Pastorentochter, darüber zu diskutieren. Damals, als er gerade nach London gezogen war und die ersten Stufen seiner Karriereleiter erklommen hatte, verliebte er sich unglücklicherweise in eine Frau, die sich von einem Engel in eine Furie verwandelte, kaum dass er ihr arbeitsbedingt nicht mehr ganz so viel Aufmerksamkeit schenken konnte. Nach endlosen Streitereien und Dramen verließ sie ihn schließlich für einen anderen.

Diese Erfahrung war ihm eine Lehre gewesen. Er machte Frauen nichts mehr vor. Sie wussten von Anfang an, dass aus ihrer Beziehung nichts Ernstes werden würde. Er selbst sah seine Ehrlichkeit als Tugend, zogen die meisten Männer es doch vor, ihre Frauen anzulügen.

Was ihn wieder auf ihre geheimnisvolle Verabredung brachte. Von der Seite warf er Agatha einen prüfenden Blick zu. „Du hast mir übrigens immer noch nicht gesagt, ob er verheiratet ist.“

„Natürlich ist er nicht verheiratet! Er ist ein sehr netter Mann. Er hat mich sogar in ein sehr teures Restaurant in Knightsbridge eingeladen – San Giovanni. Stewart meinte, es ist sehr renommiert. Wahrscheinlich kennst du es?“

Jetzt wurde Luc hellhörig. Der Typ schien tatsächlich nicht der zu sein, den er sich vorgestellt hatte. Das Restaurant wurde ausschließlich von den reichsten und berühmtesten Persönlichkeiten besucht.

Wie also kam ausgerechnet Agatha dazu, von jemandem eingeladen zu werden, der sich dieses Nobelrestaurant leisten konnte? Er sah sie erneut verstohlen an und runzelte die Stirn. Vielleicht hatte sie doch etwas Besonderes an sich. Sie schien eine gewisse Unschuld auszustrahlen, die auf einen typischen Londoner Single vielleicht anziehend wirken könnte. Es konnte sich also bloß um jemanden handeln, der sie ins Bett bekommen wollte. Oder schätzte er die Situation falsch ein?

Seine Neugier war geweckt. Eigentlich sollte er ja umgehend wieder ins Büro fahren, um die Berichte zu lesen. Aber verdammt, die Arbeit konnte schon noch ein Weilchen warten. Schließlich war ihm doch eine Mission übertragen worden. „Ich bringe dich nach Knightsbridge. Und bevor du dich herausredest …“, sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, „… du brauchst dich nicht zu bedanken, ich mache es gerne.“

2. KAPITEL

Luc machte es sich mit einer Tasse Kaffee bequem. Er wusste, dass Frauen es nur selten schafften, sich in weniger als einer Stunde fertig zu machen.

Leicht angewidert sah er sich in dem schäbigen Zimmer um. Es war ziemlich offensichtlich, dass der Vermieter Agatha mit diesem Apartment über den Tisch gezogen, ihre Naivität als typisches Landei, das neu in der Stadt war, skrupellos ausgenutzt hatte. Die Wände zeigten Schimmelspuren, und durch das große, altmodische Holzfenster, dessen Lack langsam abblätterte, zog es erbärmlich. Luc überlegte, ob er Agatha nach der Telefonnummer des Vermieters fragen sollte. Es wäre ein Leichtes für ihn, dem Typen gehörig den Marsch zu blasen.

Rastlos ging er im Raum auf und ab, als Agatha aus dem Schlafzimmer kam.

„Ich hab mich beeilt. Du hättest wirklich nicht warten müssen, ich hätte einfach die U-Bahn zurück in die Stadt nehmen können.“

Luc wandte sich zu ihr um. Sein Blick aus diesen faszinierenden Augen glitt über sie hinweg, aber zu Agathas großer Enttäuschung war es unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu interpretieren. Auch wenn es sie quälte, dass er sie nun als Last betrachtete, immerhin war er in ihrem Apartment, und sie hatte sich diesmal wirklich herausgeputzt.

„Wie sehe ich aus?“, erkundigte sie sich nervös und versuchte, den Bauch einzuziehen. Trotz des guten Zuspruches, den sie als einziges Kind stets von ihren Eltern bekommen hatte, fühlte Agatha sich mit ihrer weiblichen Figur immer etwas unwohl. Sie wusste genau, dass sie mit den gertenschlanken, langbeinigen Londonerinnen einfach nicht mithalten konnte.

Heute Abend jedoch hatte sie sich nach den verletzenden Bemerkungen über ihre Kleidung besonders viel Mühe mit ihrem Outfit gegeben. Sie wollte Luc beweisen, dass sie, was Mode anging, nicht ganz so ein hoffnungsloser Fall war, wie er annahm.

„Du hast was mit deinen Haaren gemacht“, kommentierte er unbeeindruckt. Ihre Figur war einfach umwerfend, wie hatte er das die ganze Zeit übersehen können? Es wirkte fast wie ein Schock, sie plötzlich in hautenger Kleidung zu sehen. Diese schmale Taille und die üppige Oberweite würden jeden Mann, der Augen im Kopf hatte, in Begeisterung versetzen. Das hässliche Entlein hatte sich in einen stolzen Schwan verwandelt, und Luc hatte es nicht einmal bemerkt. Fast beschämt angesichts der heftigen Reaktion seines Körpers, zwang er sich, seinen Blick von ihr abzuwenden.

„Ich hab sie bloß offen gelassen. Sie sind so lockig und schwer zu bändigen, dass ich sie zur Arbeit immer zusammenbinde.“

„Das Outfit könntest du auch im Büro tragen, na ja, der Rock ist vielleicht etwas kurz.“ Die schlanken Beine in der glänzenden, schwarzen Strumpfhose raubten ihm fast den Verstand – so unkontrolliert kannte er sich gar nicht.

„Er ist aber nicht kürzer als die Röcke der anderen Mädchen im Büro.“ Sie seufzte. Sie wusste genau, was er meinte. Kurz und eng war nur etwas für Hungerhaken.

Kommentarlos nahm er ihren Mantel und half ihr hinein. Ihr war klar, dass Luc sich nicht wirklich dafür interessierte, was sie zu sagen hatte.

„Außerdem habe ich keinen anderen. Ich brauchte für das Gartencenter keine Röcke.“

„Stimmt, du bist dort immer in grünen Overalls herumgelaufen.“

„Du warst in meinem Gartencenter? Ich kann mich nicht erinnern, dir je dort begegnet zu sein.“ Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Zum Glück ging Luc hinter ihr, sodass er es nicht bemerkte.

„Ich habe dich damals mal gesehen, als du nach Hause kamst, in einem grünen Overall und Gummistiefeln.“

Agatha konnte es sich bildlich vorstellen, wie sie auf ihn gewirkt haben musste in ihren dreckigen Stiefeln und mit zerzausten Locken. Und nun arbeitete sie in Lucs Büro, in dem alle weiblichen Angestellten in hochhackigen Pumps und eleganten schwarzen Kostümchen umhereilten, mit ordentlich frisiertem Haar, das auch am späten Nachmittag noch aussah, als kämen sie direkt vom Friseur.

„Wahrscheinlich kennst du nicht gerade viele Frauen, die so herumlaufen“, seufzte sie und stieg in seinen Wagen.

„Nein, nicht eine einzige.“ Er ließ den dumpf röhrenden Motor an.

„Ich kann mich noch an deine Freundinnen erinnern, die du manchmal dabeihattest, wenn du Danielle bei uns besucht hast. Sie sahen alle gleich aus, viel Make-up und Designerklamotten.“

„Soll ich das als Kritik verstehen?“ Luc sah sie verwundert an, während er das Auto aus der Parklücke manövrierte.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, entgegnete sie arglos.

„Pass auf: Nichts gegen ehrliche Worte, aber in London solltest du dich sehr in Acht nehmen, was du sagst.“ Kein Wunder, dass Edith sich Sorgen um sie machte. „Dann wirst du auch nicht vom Vermieter übers Ohr gehauen. Wie viel zahlst du für das Loch?“

„Es ist kein Loch!“ Sie nannte ihm den Preis, und ihr Herz wurde schwer, als Luc in zynisches Gelächter ausbrach.

„Der Mann muss schon von Weitem erkannt haben, wie grün du hinter den Ohren bist. Ich habe nach nur fünfzehn Minuten in der Wohnung so viele Schimmelflecken gezählt, dass man eigentlich das ganze Haus abreißen sollte.“

„Vielleicht hast du recht. Mr. Travis hat mir aber versprochen, dass er einige Dinge in der Wohnung richten würde. Ich habe ihn schon ein paar Mal daran erinnert, aber seine Mutter liegt gerade im Krankenhaus, und er ist noch nicht dazu gekommen.“

Luc prustete vor Lachen, bevor er sie tadelnd ansah angesichts ihrer Gutgläubigkeit. „Der arme Mr. Travis hat also keine Zeit, sich um die kaputten Fensterrahmen zu kümmern oder den ranzigen Teppich gegen einen neuen auszutauschen? Was Mr. Travis wohl sagen würde, wenn er einen Brief von meinem Anwalt bekäme?“

„Das wirst du doch wohl nicht machen!“

„Oh doch, das werde ich. Der Mann ist ein Betrüger und nutzt dich schamlos aus. Ich bin ja nicht abergläubisch, aber ich habe das Gefühl, der Anruf meiner Mutter war ein Wink des Schicksals. Wenn du noch einen Monat in dieser feuchten Wohnung bleibst, dann landest du im Krankenhaus – mit Lungenentzündung! Kein Wunder, dass du zehn Schichten Kleidung trägst, wenn du ins Büro kommst.“

„Ich trage keine zehn Schichten“, verteidigte sie sich und fühlte sich furchtbar erniedrigt.

„Jedenfalls verstehe ich jetzt, warum meine Mutter wollte, dass ich mich um dich kümmere. Alleine schaffst du es ja offensichtlich nicht.“

„Das ist das Schlimmste, was mir jemals jemand gesagt hat.“

„Warum das denn?“

„Weil …“

Weil, sagte eine kleine Stimme in ihrem Kopf, ich nicht will, dass Luc Laughton in mir ein hilfsloses Landei sieht. Sie wollte eine attraktive junge Frau für ihn sein – oder einfach nur eine Frau. Nun, sie hatte ihre Chance gehabt, und er hatte nicht mal ihr Outfit zu würdigen gewusst.

„Na ja, ich bin es eigentlich nicht gewöhnt, gute Taten zu vollbringen, aber ich bin gewillt, für dich eine Ausnahme zu machen. Du solltest dich geschmeichelt fühlen.“

„Wer fühlt sich schon geschmeichelt, wenn ihm gesagt wird, dass er zu blöd ist, sich um sich selbst zu kümmern?“, antwortete Agatha steif.

Ihre Augen brannten, aber sie würde auf keinen Fall jetzt in Selbstmitleid versinken. Gleich würde sie mit einem attraktiven jungen Mann zu Abend essen, der sie sicher nicht eingeladen hätte, wenn sie wirklich so ein Häufchen Elend wäre, wie Luc behauptete.

„Meine Erfahrung ist, dass man am besten immer der Wahrheit ins Gesicht sieht“, fuhr Luc ungerührt fort. „Als mein Vater starb und ich nach Hause kam, mitten in dieses finanzielle Chaos, da wurde mir sehr schnell klar, dass ich genau zwei Dinge tun konnte: herumsitzen und depressiv werden oder unser Schicksal selbst in die Hand nehmen und alles wieder aufbauen, was wir verloren hatten.“

„Ich wünschte, ich hätte so einen starken Willen wie du“, gab Agatha kleinlaut zu und dachte an all die Zweifel, die sie trotz ihrer glücklichen Kindheit jahrelang gequält hatten.

Als ihre Freundinnen damit begonnen hatten, mit Schminke zu experimentieren und Diäten zu machen, damit sie wie die Supermodels in den Magazinen aussahen, hatte Agatha sich einfach ausgeklinkt. Sie wusste, dass innere Schönheit das war, was zählte, und dass der Versuch, jemand anderes zu sein, bloß Zeitverschwendung war. In London geriet diese Haltung jedoch etwas ins Wanken, nachdem sie mit ihren Kolleginnen aus dem Büro ausgegangen war, die es mit ein wenig Make-up und anderer Kleidung schafften, sich in kürzester Zeit von biederen Bürodamen in heiße Vamps zu verwandeln. Dennoch fühlte Agatha sich in ihrem engen Rock furchtbar entblößt, auch wenn das ausgeschnittene Oberteil eigentlich immer noch recht züchtig war im Vergleich zu einigen Tops, die ihre Freundinnen so trugen.

„Ich meine …“, grübelte sie weiter, „… du bist dir deiner so sicher. Du setzt dir Ziele und verfolgst sie. Wie ein Bluthund.“

„Netter Vergleich“, brummelte Luc.

„Zweifelst du nicht manchmal daran, ob du die richtige Entscheidung getroffen hast?“

„Nein, nie.“ Da sie das Restaurant fast erreicht hatten, entschied Luc, dass es an der Zeit war, Agatha über ihr Date auszufragen. Er bekam mehr und mehr das Gefühl, dass sie unglaublich naiv war. Ein leichtes Opfer für einen Mann, der eine Frau ins Bett bekommen wollte. „Also dieser Stewart …?“, begann er.

Agatha blinzelte. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie Stewart fast vergessen hätte. „Ja?“

„Wie hast du ihn kennengelernt?“

„Ach, ganz zufällig“, erklärte sie betont lässig. Endlich konnte sie Luc zeigen, dass sie nicht so unnormal war, wie er die ganze Zeit zu denken schien. „In einer Bar neulich …“

„In einer Bar? Du treibst dich in Bars rum?“

„Du machst dir doch hoffentlich deswegen keine Sorgen um mich, weil du denkst, dass ich mich versehentlich von irgendeinem Typen, an dessen Namen ich mich nicht erinnern kann, weil ich zu betrunken war, schwängern lasse, oder?“

„Nun beruhige dich, ich denke nicht, dass du so ein Mädchen bist.“

Sollte sie das nun als Beleidigung oder als Kompliment auffassen? Kompliment, entschied sie.

„Es war eine Weinbar, ganz in der Nähe des Büros. Ich war mit ein paar Kolleginnen da, und der Barkeeper brachte uns eine Flasche Champagner und meinte, Stewart habe sie für mich bestellt. Ich sah zu ihm herüber, er winkte mir zu, kam zu uns an den Tisch, und wir unterhielten uns eine Weile.“

„Worüber?“

„Über alles Mögliche halt“, gab Agatha irritiert zurück. „Er ist ein sehr interessanter Typ, und gut aussehend obendrein“, rechtfertigte sie sich.

„Ich verstehe.“

„Er wollte alles über mich wissen, was ich total toll fand. Die meisten Männer wollen doch nur über sich sprechen.“

„Du scheinst da ja Erfahrung zu haben.“

„Mit Londonern kenne ich mich nicht so aus. Aber ich bin zu Hause natürlich mit ein paar Männern ausgegangen, und eigentlich wollten sie alle immer nur über Fußball oder Autos sprechen.“ Ihr Blick glitt hinüber zu Luc, und wie üblich wurde ihr Mund ganz trocken, und sie spürte diese Hitze in sich aufsteigen. Dies war die erste richtige Unterhaltung mit ihm, und sie genoss es, auch wenn sie es kaum zugeben mochte. „Worüber redest du denn, wenn du mit einer Frau ausgehst?“, hörte sie sich plötzlich neugierig fragen.

„Komischerweise scheinen bei mir die Frauen die Gesprächsführung zu übernehmen.“ Er selbst hatte nämlich nicht besonders viel Interesse daran, im Restaurant Händchen zu halten und seine geheimsten Gedanken mit einer Frau zu teilen, die er ins Bett bekommen wollte.

„Vielleicht bist du ja ein besonders guter Zuhörer“, kommentierte Agatha ein wenig zweifelnd. „Mir hast du allerdings nicht zugehört, als ich meinte, dass ich mich um mich selbst kümmern kann.“

„Deine Wohnsituation hat ja bewiesen, dass du es nicht kannst.“

„Vielleicht hätte ich bei Mr. Travis ein wenig resoluter auftreten sollen“, gab sie zu. „Aber bei allen anderen Dingen war ich ein starkes Mädchen.“

„Du siehst zwar aus wie ein starkes Mädchen, aber ich habe das Gefühl, dass du trotzdem jemanden brauchst, der ein wenig auf dich aufpasst.“

„Ich sehe so aus?“ Wollte er ihr damit sagen, dass sie dick war? Sie wirkte vielleicht nicht gerade wie eine grazile Elfe, aber sie war doch nicht dick!

„Du bist erwachsen geworden, Agatha. Komischerweise ist es mir erst heute aufgefallen.“

Erneut versuchte er, den Teenager aus seiner Erinnerung mit der Frau neben sich in Einklang zu bringen. Und wieder spürte er bei ihrem Anblick diesen heißen Stromstoß durch seinen Körper jagen.

„Liegt das an meiner Kleidung?“, erkundigte sie sich nervös. Wie sehr hatte sie gehofft, dass sie ihm in diesem Outfit gefallen würde. Sie hielten vor dem Restaurant, doch Agatha war nicht bereit, das Gespräch jetzt einfach so zu beenden. Als er den Motor abstellte und sie ansah, nahm sie all ihren Mut zusammen, faltete die Arme vor der Brust und presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.

„Ich bin noch nicht bereit reinzugehen.“

„Bist du nervös? Mach dir keine Sorgen, wenn er wirklich so gut aussehend und charmant ist, wie du sagst, und echtes Interesse an dir hat, dann wirst du sicher einen ganz wundervollen Abend erleben.“

„Es ist nicht wegen ihm, es ist wegen dir!“

„Was meinst du damit?“

„Du hast den ganzen Abend nicht ein nettes Wort für mich übrig gehabt. Ich weiß, deine Mutter hat dich gezwungen, mich einzustellen, aber du könntest wenigstens versuchen, mich freundlich zu behandeln. Du hast mir gesagt, dass ich zu nichts zu gebrauchen bin …“

Sie hob die Hand, um jedes einzelne Argument an den Fingern abzuzählen. „Du hast mir gesagt, dass meine Arbeitskleidung grässlich ist, bloß weil ich kein enges Kostüm und keine hochhackigen Schuhe trage, wobei mich ohnehin den ganzen Tag niemand zu Gesicht bekommt. Du verlangst also von mir, dass ich mir eine neue Garderobe zulege, damit bloß kein Kunde, der mir zufällig über den Weg laufen könnte, in Ohnmacht fällt. Du hast mir gesagt, ich würde mich in London nicht zurechtfinden. Du hast über meine Wohnung gelästert. Und nun? Nun behauptest du auch noch, dass ich dick sei!“

Es war keine gute Idee, all diese Kränkungen noch einmal laut aufzulisten. Agatha spürte, wie eine Welle von Selbstmitleid sie erfasste, und bevor sie wusste, wie ihr geschah, kamen ihr die Tränen. Dankbar griff sie nach dem Taschentuch, das Luc ihr reichte, und wischte sich die Augen trocken, während ihr Schluchzen sich in einen unregelmäßigen Schluckauf verwandelte.

Mit einem Mal war es ihr furchtbar peinlich, dass sie so dermaßen die Kontrolle verloren hatte. Umständlich putzte sie sich die Nase und stopfte das feuchte Taschentuch in ihre Handtasche.

„Tut mir furchtbar leid, ich bin vielleicht wirklich etwas nervös, du hattest recht.“

„Ich sollte mich entschuldigen.“

Luc hatte keinerlei Respekt vor jammernden und weinenden Frauen, aus irgendeinem Grund jedoch hatte Agatha ihn mit ihrem Tränenausbruch mitten ins Herz getroffen. Er war nicht gerade stolz darauf, all diese herablassenden Dinge zu ihr gesagt zu haben.

„Es ist schon okay“, flüsterte sie und wollte nur noch weg von ihm. „Sehe ich schlimm aus? Ich wette, mein Make-up ist ganz verschmiert. Was soll Stewart bloß von mir denken?“ Sie lachte unsicher.

„Er wird denken, dass du wunderschöne Augen hast und alles andere als dick bist“, erklärte Luc mit rauer Stimme.

Mit einem Mal lag eine Spannung in der Luft, dass Agatha es kaum wagte zu atmen. Kamen diese Worte wirklich von dem Mann, der zuvor nicht ein einziges gutes Haar an ihr gelassen hatte?

„Du musst das nicht sagen.“

„Du hast aber wunderschöne Augen, und wenn ich sage, dass du ein starkes Mädchen bist, dann meine ich damit nicht, dass du zu kräftig gebaut bist.“ Seine Stimme schien sich unmerklich verändert zu haben. „Ich meinte damit, dass du erwachsen geworden bist. Du siehst ziemlich sexy aus in diesem Outfit.“

„Sexy? Ich?“

„Ja, du. Warum bist du so erstaunt?“

Weil diese Worte von dir kommen, dachte sie, während ihr Gesicht glühte und ihr Herz vor Freude schneller schlug.

„Hoffentlich sieht Stewart das auch so!“, versuchte sie Luc abzulenken, damit seiner scharfen Beobachtungsgabe ihre wahren Gedanken entgingen.

„Stewart. Ach ja, dein heißes Date“, bemerkte er knapp. „Ich komme mit rein, einen Moment …“ Er beugte sich zu ihr rüber und rieb vorsichtig mit seinem Finger an ihrem Lid. Erschrocken zuckte sie zurück, und Luc lachte.

„Entspann dich. Du hast da bloß ein wenig verschmierte Wimperntusche.“

„Ich … ich mach das schon, ich habe doch mein Taschentuch. Ich meine, dein Taschentuch. Könntest du kurz das Licht anmachen? Meine Augen sind bestimmt ganz geschwollen.“

Sie lachte schrill und vermied es, ihn anzusehen, während sie ihr Gesicht in ihrem Handspiegel betrachtete und an ihren Augen herumwischte, bis sie ihre Fassung wiedererlangt hatte und ihn strahlend anlächelte. „Gut, los geht’s! Ich kann es kaum erwarten!“

Dreieinhalb Stunden später peitschten Agatha Regen und Wind ins Gesicht, als sie aus dem Restaurant traten.

„Wann sehen wir uns wieder?“

Agatha blickte Stewart an, der sich unter seinem Regenschirm ein wenig enger an sie presste, als ihr lieb war. Vorsichtshalber hatte sie ihren Mantel bis oben hin zugeknöpft. Auch wenn sie sich von seinen Komplimenten geschmeichelt fühlte, waren ihr seine gierigen Blicke in ihr Dekolleté unangenehm, obwohl ihr natürlich klar war, dass sie nichts anderes hätte erwarten dürfen.

Während des gesamten Abendessens war sie fahrig und unkonzentriert gewesen, in Gedanken immer noch bei ihrem Gespräch mit Luc. Sie hatte Stewart mehrmals bitten müssen zu wiederholen, was er gesagt hatte. Und sie hatte ihr Essen kaum angerührt, da sie versehentlich das falsche Gericht von der italienischsprachigen Speisekarte bestellt hatte.

Warum also wollte er sie unbedingt wiedersehen? Er hatte ihre gelegentliche Unaufmerksamkeit geflissentlich ignoriert und sich unheimlich interessiert an allem gezeigt, was sie über ihr Leben und ihre Arbeit zu erzählen hatte, auch wenn es noch so banal war.

„Morgen ist Samstag“, murmelte er. „Ich kenne da einen tollen kleinen Club in Chelsea. Es wimmelt dort nur so vor berühmten Persönlichkeiten, du wärst sicher begeistert.“

„Vielleicht sollten wir uns besser nächste Woche treffen.“

Stewart war sichtlich enttäuscht, doch er fing sich erstaunlich schnell, winkte einem Taxi, zog Agatha an sich, und bevor sie sich aus seiner Umarmung winden konnte, hatte er ihr einen schmatzenden Kuss mitten auf den Mund gegeben.

„Bist du sicher, dass du nicht noch mit zu mir kommen möchtest? Ich mache ziemlich guten Irish Coffee.“

Agatha lachte und verneinte. Als er schließlich mit seinem Regenschirm ins Taxi stieg, war sie unglaublich erleichtert, wenn auch gepaart mit einem leichten Schuldgefühl. Es kümmerte sie nicht einmal, dass sie nun mitten im Regen stand. Sie wollte sich gerade auf den Weg zur U-Bahn machen, als ein vertrauter silberner Wagen direkt vor ihr am Bordstein hielt und der Fahrer die Beifahrertür aufstieß.

„Steig ein, Agatha, sonst holst du dir eine Erkältung.“

„Moment mal, wieso tauchst du eigentlich genau im richtigen Moment auf? Na ja …“, sie richtete sich auf, „… ich will dir nicht deinen Freitagabend ruinieren. Du musst mich nicht nach Hause fahren, nur weil du Mitleid mit mir hast.“

Sie vergrub die Hände in den Manteltaschen, begann, in Richtung U-Bahn zu laufen, und wurde erneut von dem Aston Martin gestoppt. Luc funkelte sie vom Fahrersitz aus an.

„Steig ein, oder ich muss aussteigen und dich ins Auto zerren.“

„Hast du die ganze Zeit hier gewartet?“, fragte sie verwirrt, kaum dass sie im warmen, trockenen Wagen saß und sich wohlig streckte.

„Ich habe Antonio gebeten, mich anzurufen, sobald ihr nach der Rechnung fragt“, gab er ungeduldig zurück.

„Wer ist Antonio?“

„Der Besitzer des Restaurants. Wir kennen uns schon seit Ewigkeiten.“

„Und was hättest du gemacht, wenn Stewart und ich noch irgendwo anders hingegangen wären? Oder wenn ich ihn einfach in seine Wohnung begleitet hätte?“

„Hat er dich gefragt, ob du mit zu ihm kommst?“

„Ja, das hat er tatsächlich.“

„Und du hast abgelehnt. Braves Mädchen. Das hast du richtig gemacht.“

„Wer weiß, was ich nächstes Mal sage, wenn er mich fragt.“ Sie wandte den Kopf, um Luc anzusehen. Statt seines Geschäftsanzuges trug er nun eine dunkle Jeans und einen warmen schwarzen Pulli. Sie mochte es sich kaum eingestehen, doch sie konnte sich einfach nie an ihm sattsehen.

„Ihr habt also ein neues Date ausgemacht?“

„Nicht direkt … Was hast du denn heute Abend gemacht?“, erkundigte sie sich etwas atemlos, um ihn schnell vom Thema abzulenken.

„Ich habe, ähm, an einem sehr interessanten Projekt gearbeitet.“

„Weißt du was, es ist toll, dass du deine Arbeit so liebst“, erklärte Agatha warmherzig. „Ich finde es allerdings etwas traurig, dass du so deinen Freitagabend verbringst.“

„Ich weiß deine Ehrlichkeit wirklich zu schätzen, Agatha. Ich hätte meinen Freitagabend auch sicher anders geplant, wenn ich mich nicht um eine wichtige Angelegenheit hätte kümmern müssen. Nachdem ich das erledigt hatte, wurde mir klar, dass ich ein kleines Gespräch mit dir führen muss.“

„Warum bist du so geheimnisvoll? Worüber müssen wir uns denn unterhalten?“ Warum hatte sie so ein ungutes Gefühl bei den Worten „kleines Gespräch“? Hatte er vor, sie zu feuern? Hatte sie mit ihrer übertriebenen Ehrlichkeit eine Grenze überschritten?

Agatha wurde ganz mulmig bei dem Gedanken, als gescheiterter Wohltätigkeitsfall nach Yorkshire zurückkehren zu müssen – es war schlicht unmöglich, ohne Job ein Apartment in London zu bezahlen.

„Darüber möchte ich nicht im Auto sprechen. Ich erzähle es dir bei einer Tasse Kaffee in deiner Wohnung.“

„Hat das nicht Zeit bis Montag?“

„Ich denke, es ist besser, sofort reinen Tisch zu machen. Und jetzt entspann dich, und erzähl mir von deinem Abend mit einem Typen, der eine Frau im strömenden Regen stehen lässt.“

Wenn Luc ihr nun offenbar kündigen wollte, hatte Agatha das Gefühl, nichts mehr verlieren zu können, wenn sie einfach ganz aufrichtig war. Mit Ausnahme seiner Mutter wagte das niemand Luc gegenüber. Alle schwänzelten nur um ihn herum und redeten ihm nach dem Mund. Er war einer dieser unglaublich attraktiven Männer, die über mehr Macht verfügten, als ihnen guttat. Er spielte seine Position voll aus, war unverzeihlich arrogant und lebte nach seinen eigenen Regeln.

„Ich möchte nicht darüber sprechen“, entgegnete sie knapp.

„Warum nicht? Ist es dir unangenehm? Du brauchst dich nicht zu schämen, bloß weil der Abend ein Flop war. So was passiert. Vergiss ihn einfach, und schau nach vorn.“

Agatha verstand nicht, wie er so gut gelaunt sein konnte, wo doch sein ganzer Freitagabend ruiniert war durch die Hin- und Herfahrerei mit ihr.

Für den Rückweg brauchten sie zu der späten Stunde weniger als dreißig Minuten. Agatha hatte während der ganzen Fahrt kein Wort mehr gesagt. Ihr Abend war eine Pleite gewesen, ja. Aber worüber sie sich viel mehr ärgerte, war, dass Luc sie abgeholt hatte, als wäre sie ein kleines Kind, das Aufsicht brauchte. Und ihre Verabredung dann auch noch als Flop bezeichnet hatte.

Sie hatte ihn nicht darum gebeten, sich in ihr Leben einzumischen. Er hatte sie während ihrer ersten acht Monate in seiner Firma ja nicht einmal beachtet. Jetzt, wo er dazu gezwungen worden war, hatte er sich offenbar vorgenommen, diesem Projekt seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Dennoch war es mehr als offensichtlich, dass sie eine Last für ihn darstellte. Alles an ihr schien ihn zu stören, angefangen damit, dass sie nicht wie die anderen vor ihm kuschte, bis hin zu ihrem Aussehen – und wie Luc nun einmal war, machte er sich auch nicht die Mühe, seine Ablehnung zu verbergen.

Und jetzt wollte er ein Gespräch mit ihr führen. Es konnte sich gewiss nur um ihren Job drehen. Luc war vermutlich, während sie im Restaurant saß, zurück ins Büro gefahren und hatte sämtliche Gründe aufgelistet, warum sie in seinem Unternehmen fehl am Platze war, ganz gleich wie tief seine Mutter in der Schuld ihrer Familie stand.

„Ich weiß, was du von mir denkst und was du mir sagen willst“, platzte sie heraus, kaum dass er den Motor abgeschaltet hatte. „Und du kannst es mir auch direkt hier sagen.“ Sie löste den Anschnallgurt und drehte sich zu Luc herum.

„Ich glaube, du hast überhaupt keine Ahnung, was ich von dir denke“, erklärte er rau. „Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass du weißt, was ich dir sagen will. Wir werden dieses Gespräch nicht im Auto führen.“

„Ich will es einfach nur hinter mich bringen“, beharrte Agatha, doch er war bereits ausgestiegen. Sie folgte ihm und fummelte in ihrer Tasche nervös nach dem Schlüssel.

In der Wohnung schaltete sie schnell das Licht an und blieb dann einen Augenblick stehen, um sich umzusehen – die verblasste Tapete, die sie mit zwei großen bunten Postern nur leidlich hatte abdecken können, die abgenutzten Möbel, der fleckige Teppich und die kalte Zugluft, die durch den Raum wehte. Luc hatte recht. Wer würde sich hier schon wohlfühlen?

„Ich habe also versagt, und nun versuchst du, mir auf freundliche Art mitzuteilen, dass ich mich vom Acker machen soll“, beeilte sie sich zu sagen, bevor er überhaupt seinen Mantel ausziehen konnte. „Ich bin gefeuert, stimmt’s?“

„Gefeuert? Warum sollte ich dich feuern wollen?“ Er sah sie aus seinen ozeangrünen Augen ruhig an. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich Stewart Dexter kenne und weiß, was er von dir will.“

3. KAPITEL

„Du kennst Stewart?“ Agatha sah Luc vollkommen ungläubig an. „Wie kann das sein? Du hast ihn doch noch nie getroffen. Ich habe euch auch nicht vorgestellt …“

„Zieh deinen Mantel aus, und setz dich hin.“

„Warum bist du dann nicht reingekommen und hast ihn begrüßt?“ Während ihr alle möglichen Gedanken durch den Kopf schossen, half Luc ihr aus dem Mantel. „Na, jedenfalls bin ich froh, dass ich nicht gefeuert bin“, erklärte sie ein wenig atemlos. Wenigstens so weit schien sie ihn verstanden zu haben.

Er ließ seinen Blick auf ihr ruhen, und plötzlich fühlte sie sich in ihrem engen schwarzen Rock und den albernen hochhackigen Schuhen erneut furchtbar entblößt. Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und bemerkte peinlich berührt, dass sich ihre vollen Brüste stark unter dem weichen, elastischen Stoff ihres Oberteils abzeichneten. Morgen früh würde sie das Outfit ganz tief in ihrem Kleiderschrank verschwinden lassen.

„Ich verstehe nur nicht, warum dir die Tatsache eurer Bekanntschaft so wichtig war, dass du mich am Restaurant abholen musstest“, fuhr sie verwirrt fort.

„Als du den Namen des Kerls erwähntest, klingelten irgendwelche Alarmglocken bei mir, aber ich wusste nicht, warum“, erklärte Luc vorsichtig. „Ich habe meine Finger in allen möglichen Projekten, also treffe ich ständig Leute aus den verschiedensten Branchen. Und Stewart ist schließlich kein ungewöhnlicher Name. Aber dann erkannte ich ihn im Restaurant, und plötzlich sah ich meinen Argwohn bestätigt.“

„Alarmglocken? Argwohn? Was meinst du denn bloß?“

Luc hielt inne und überlegte, wie er es am besten erklären sollte. Agatha, die ihn über den Tisch hinweg aus weit aufgerissenen Augen ansah, wirkte mit ihrem tief ausgeschnittenen Top unglaublich jung.

„Wie alt bist du?“, fragte er heiser und war für einen Moment durch ihren verführerischen Anblick abgelenkt.

„Wie bitte?“

„Ach nichts, es spielt jetzt keine Rolle. Ich weiß nicht genau, wie ich es sagen soll, aber Dexter ist nicht der Mann, der er vorgibt zu sein.“

„Du meinst Stewart Dexter ist gar nicht Stewart Dexter? Wer ist er denn dann?“

„Er hat mal für eines meiner Unternehmen gearbeitet. Ich hab vorhin im Büro noch mal ein wenig nachgeforscht.“

„Du hast den Mann überprüft, mit dem ich verabredet war?“ Agatha zitterte vor Wut. „Was gibt dir das Recht, so etwas zu machen?“ Sie blickte ihn mit ihren großen blauen Augen vorwurfsvoll an.

„Ich würde es jeder Frau raten, ihre Barbekanntschaft zu überprüfen, bevor sie mit der Person ausgeht, Agatha. Wir sind hier nicht in einem kleinen Dorf in Yorkshire.“

„Ich bin stolz darauf, dass ich Menschen vertraue, Luc. Ich weiß, du tust das nicht, und ich verstehe deine Beweggründe. Dein Vater hat George Satz vertraut, und der hat ihn um sein gesamtes Vermögen gebracht.“

Die Geschichte hatte wochenlang die Titelseiten der lokalen Zeitung gefüllt. Jede neue Enthüllung führte zu einem weiteren Aufflammen der Spekulationen. Zu jener Zeit hatte Agatha tiefes Mitleid für Luc empfunden. Er war von der Universität nach Hause gekommen und hatte einen Schutzwall um sich errichtet, an dem jedes einfühlsame Wort abprallte. Die ganze Angelegenheit hatte ihn sicherlich unter anderem zu demjenigen gemacht, der er heute war – ein Mann, der immer vom Schlimmsten ausging.

Sie konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart und setzte erneut an: „Jedenfalls fast sein ganzes Vermögen. Ich verstehe also, warum du so misstrauisch bist in Bezug auf fremde Leute. Ich bin es allerdings nicht. Darum würde ich auch niemanden überprüfen, mit dem ich mich treffe. Schließlich haben wir uns ja an einem öffentlichen Ort getroffen, und ich hatte auf keinen Fall vor, mit zu ihm nach Hause zu gehen.“ Ärgerlich starrte sie Luc an und ballte die Hände zu Fäusten.

„Ich wiederhole noch einmal …“ Seine Stimme war kühl und kontrolliert. „Du hast keine Ahnung, was für Typen in London herumlaufen. Dexter wurde vor eineinhalb Jahren aus meinem Unternehmen gefeuert. Er war nur ein kleines Rädchen in einer der IT-Firmen, die ich übernommen habe, und wurde dabei ertappt, wie er sich in geheime Unternehmensprogramme hackte. Wir haben ihn sofort rausgeworfen.“

„Ich glaube dir nicht.“

„Du willst mir nicht glauben. Aber irgendein guter Samariter muss dich schließlich aufklären über den Mann. Nachdem wir ihm gekündigt hatten, ist er einfach verschwunden. Soweit ich weiß, ist er zurzeit bei keinem der großen Unternehmen angestellt. Hat er zufällig den Namen seines Arbeitgebers erwähnt?“

„Nein.“ Agatha wurde langsam schwindelig. „Bist du dir deiner Sache wirklich sicher? Ich meine, man verwechselt Leute auch leicht …“

„So etwas passiert mir nicht.“

„Jeder macht mal Fehler“, gab sie nach einer Pause zurück. „Und wenn Stewart wirklich der ist, für den du ihn hältst, dann kann ich ihn auch einfach fragen.“

„Und ich bin mir sicher, dass er sich mit einer überzeugenden Story herausreden würde.“

„Und ich wäre ja so leicht zu überzeugen, nicht wahr? Schließlich bin ich ja noch grün hinter den Ohren.“

„Du schaffst es immer wieder, dass ich mich wie ein Monster fühle“, murmelte er mit weicher Stimme. Er hatte plötzlich das Bedürfnis, sie in die Arme zu nehmen, und verdrängte den Gedanken ganz schnell wieder. „Dabei tue ich dir eigentlich einen Gefallen, indem ich dir das hier erzähle.“

„Selbst wenn es stimmen sollte – und dessen bin ich mir überhaupt nicht sicher, weil jeder sich mal vertut, auch Menschen wie du – was hat das alles mit mir zu tun?“

„Ich glaube, dass Dexter versucht, über dich an Informationen heranzukommen.“

„Informationen? Das klingt ja wie eine Verschwörungstheorie.“ Langsam drehte sich alles in Agathas Kopf.

„Natürlich kann es bloß ein großer Zufall sein. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass Dexter versuchen wird, uns Konkurrenz zu machen. Hast du auch nur eine Vorstellung vom Wert einer Spiele-Software? Der Bereich gehört zu den am strengsten geheim gehaltenen in meinem ganzen Unternehmen. Für mich arbeiten Computerspiele-Designer, die selbst die größten Anbieter mit ihren Ideen übertrumpfen könnten. Nach Dexters Hacking-Versuchen habe ich die gesamte Dokumentation geschützt. Wenn er jetzt an meine Entwicklungen herankommen will, muss er sich schon einen anderen Weg überlegen.“

Nach und nach dämmerte Agatha, was er meinte. Luc war außerdem dafür bekannt, immer den richtigen Riecher zu haben, wenn es um Geschäfte ging. Seine Mitarbeiter waren fest davon überzeugt, dass alles, was er anfasste, zu Gold wurde.

„Nun meine Frage: Hat Dexter dich über das Unternehmen ausgefragt?“

Agatha drehte ihren Stuhl herum, sodass sie Luc ansehen konnte.

„Natürlich hat er sich für alles interessiert, was ich so erzählt habe.“

„Darauf wette ich.“

Sie spürte, wie sich das ungute Gefühl in ihr breitmachte, benutzt worden zu sein. Es war ziemlich offensichtlich, dass Luc recht hatte. Sie hatten tatsächlich viel über ihre Arbeit gesprochen. Und sie hatte sich geschmeichelt gefühlt und die Besenkammer, in der sie arbeitete, mit keinem Wort erwähnt.

„Ich denke, Dexter versucht, dich zu manipulieren, um an Informationen heranzukommen“, erklärte Luc unverblümt.

„Was denn bloß für Informationen? Irgendwie ist mir das alles zu viel. Ich hab das Gefühl, mein Kopf platzt gleich.“ Sie erhob sich von ihrem Stuhl und ging mit zittrigen Beinen hinüber in die Küche, um sich ein Glas Wasser einzuschenken. Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, stand Luc regungslos am Fenster und sah hinaus. Schließlich wandte er sich zu ihr um – dieser ein Meter neunzig große Alpha-Mann mit der Einfühlsamkeit eines Vorschlaghammers. Mit einem Mal war sie furchtbar wütend, dass sie sich von Luc demütigen lassen musste und er dann auch noch erwartete, dass sie ihm dankbar war.

Ihr wurde plötzlich klar, dass es für sie viel angenehmer gewesen war, ihn aus der Ferne anzuhimmeln. Ein wenig Herzklopfen zu haben, wenn sie ihn von Weitem gesehen hatte, war zumindest keine Bedrohung ihres Seelenfriedens. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie sie eingekuschelt mit einem Buch im Pfarrhaus gesessen hatte, halb lesend und halb davon träumend, dass Luc sie plötzlich bemerkte und sich in sie verliebte. Mit siebzehn war das eine unheimlich schöne Wunschvorstellung gewesen.

Ein realer, feuerspeiender Luc mit der Mission, sie vor sich selbst zu retten, war hingegen mehr, als sie ertragen konnte. Sie wollte seine Aufmerksamkeit nicht, wollte nicht, dass er dachte, er müsste sich um sie kümmern, weil sie selbst dazu nicht in der Lage war. Sie wollte einfach wieder einen gewissen Abstand zu ihm haben und in Ruhe gelassen werden.

Blinzelnd versuchte Agatha, sich wieder auf ihr Gespräch zu konzentrieren. „Ähm … du wolltest mir sagen, welche Art von Informationen Stewart von mir bekommen will. Ich weiß rein gar nichts über Computer-Software. Meinen Laptop benutze ich bloß für E-Mails.“

Ihr errötetes Gesicht erregte Lucs Aufmerksamkeit. Ihre halb offenen Lippen, ihre großen ungläubigen Augen und das wilde blonde Haar ließen sie wie einen ungezogenen, leicht zerrauften Engel aussehen. Ein sehr attraktiver Engel. Es fiel Luc schwer, seinen Blick nicht auf der großzügigen Wölbung ihrer Brüste ruhen zu lassen.

Er stieß sich vom Fenster ab und fühlte sich mit einem Mal rastlos. Der Raum war wirklich sehr klein. Es gab kaum ein Entkommen vor Agathas glatter Haut, den Umrissen ihres Dekolletés und ihren vollen Locken.

„Du irrst dich, wenn du denkst, dass Stewart mich aufgespürt hat, um von mir irgendwelche Unternehmensgeheimnisse zu erfahren“, fuhr sie fort.

„Und du würdest diese Unternehmensgeheimnisse ja nicht mal wahrnehmen, selbst wenn sie dir vor die Füße fielen. Du weißt das, ich weiß das. Aber er weiß es nicht.“

„Ach, es ist sinnlos.“ Sie hatte in ihre erste Verabredung in London so viele Hoffnungen gesetzt. Als ob es nicht gereicht hätte, dass das Date ein Reinfall gewesen war, nein, nun auch noch das.

„Der Mann benutzt dich, und du musst zusehen, dass du ihn schnellstmöglich loswirst. Sonst bist du für mein Unternehmen nicht mehr vertrauenswürdig.“ Für Luc stand die Sicherheit seiner Firma an erster Stelle, und er tat viel für ihren Schutz.

Agatha sah ihn erstaunt an. „Obwohl du weißt, dass ich nie etwas verraten würde? Heißt das, du vertraust mir nicht?“

Luc zuckte die Schultern und senkte den Blick. „Du weißt doch, Sex und Bettgeflüster wirken Wunder. Womöglich würde er dich zu einem Techtelmechtel im Büro überreden, nach Feierabend, wenn niemand mehr da ist. Er kennt das Gebäude ganz genau. Es besteht zwar kaum eine Chance, dass er sich in eines der wichtigen Programme einhacken könnte, aber ich möchte jegliches Risiko ausschließen.“

Agatha war sich nicht einmal sicher, ob sie Stewart überhaupt wiedersehen würde. Sie waren einfach nicht auf derselben Wellenlänge gewesen. Aber hier ging es ums Prinzip. „Ich … ich werde darüber nachdenken.“

„Ich fürchte, ich erwarte etwas mehr als das.“

„Das heißt, mein Job steht auf dem Spiel?“

„Leider ja.“

Agatha wusste, dass Luc kein Erbarmen zeigen würde. Und sie war für ihn ohnehin entbehrlich. Resigniert ließ sie sich auf ihren Stuhl zurücksinken, erschöpft und vollkommen durcheinander.

Angespannt wartete Luc noch einen Moment, bevor er leise die Wohnung verließ. Das Geräusch des einrastenden Türschlosses hallte in der Stille unnatürlich laut wider.

Luc hatte eigentlich eine positive Reaktion von Agatha erwartet, nachdem er Dexter als manipulativen und möglicherweise gefährlichen Charmeur entlarvt hatte. Würde ihm jemand stecken, dass die Frau, mit der er ausging, es bloß auf sein Geld abgesehen hatte, würde er keine Sekunde zögern, der Goldgräberin einen Tritt zu versetzen. Ihm war jedoch bewusst, dass er ein Realist war, Agatha hingegen nicht.

Statt ihm vor Erleichterung um den Hals zu fallen, dafür, dass er sie vor diesem Typen gerettet hatte, musste sie anfangen, mit ihm zu diskutieren. Bis er sich veranlasst sah, ihr ein Ultimatum zu setzen.

Das gesamte Wochenende war Luc furchtbar unruhig. Vertraute Agatha tatsächlich einem Mann, den sie kaum kannte, mehr als ihm? Ganz zu schweigen davon, dass sie einen fast übertrieben gut bezahlten Job aufs Spiel setzte. Die Aussicht, sie zu feuern – wozu er gezwungen sein würde, wenn sie Dexter nicht fallen ließ –, war nicht gerade berauschend. Seine Mutter hatte immer hinter ihm gestanden, nie etwas von ihm erwartet, selbst als sie in größter Not war. Die Vorstellung, sie enttäuschen zu müssen, erfüllte ihn mit größtem Unbehagen.

Am Sonntagabend schließlich wappnete er sich dafür, das Undenkbare tun zu müssen, und verlor keine Zeit, über Vor- und Nachteile nachzudenken. Er vertagte das anstehende Konferenzgespräch und machte sich auf den Weg zu Agathas Apartment. Nachdem er zweimal an der Tür geklingelt und mehrfach versucht hatte, sie anzurufen, machte er es sich schließlich in seinem Aston Martin gemütlich. Er würde warten, bis sie nach Hause kam. Und dann würde er sie zur Rede stellen: Dexter oder ihr Job.

Fast entging ihm ihre dunkle Silhouette, als sie den spärlich beleuchteten Weg zu dem alten viktorianischen Haus hinaufeilte. Er beobachtete, wie sie vor der Eingangstür umständlich in der Handtasche nach ihrem Schlüssel kramte und ihn dann zweimal fallen ließ.

Agatha bemerkte gar nicht, dass sie beobachtet wurde. Ihr Kopf brummte, und sie war froh, als sie endlich den Schlüssel im Türschloss hatte. Selbst der Klang der Schritte hinter ihr entging Agatha, bis sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte und vor Schreck laut aufschrie. Im nächsten Moment verleiteten ihre ohnehin schon angegriffenen Nerven sie dazu, ihrem Gegner mit voller Wucht die Handtasche gegen den Kopf zu schlagen. Ihr unsichtbarer Angreifer heulte vor Schmerz auf.

„Himmel noch mal, Agatha!“

Sie blinzelte durch die Dunkelheit und konnte gerade so erkennen, wie Luc sich den Kiefer hielt. Vor lauter Ärger über den enttäuschenden Abend hätte sie ihm am liebsten erneut ihre Handtasche übergezogen, stattdessen ging sie schnell an ihm vorbei und wollte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen.

Nach einer geschlagenen Stunde des Wartens im Auto ließ Luc sich jedoch nicht so schnell abschütteln. Blitzschnell schob er seinen Fuß in die Tür und drängte sich in den Flur.

„Was machst du hier?“, fuhr Agatha ihn an.

„Jetzt in diesem Moment? Ich frage mich, ob du mir den Kiefer gebrochen hast.“

„Man schleicht sich nicht einfach an Leute heran. Außerdem möchte ich nicht mit dir reden.“

„Warum nicht? Wo warst du?“

„Das geht dich gar nichts an. Bitte geh“, erwiderte sie aufgebracht.

„Wir sind noch zu keiner Einigung gekommen nach unserem letzten Gespräch.“ Er folgte ihr in die Wohnung, nachdem Agatha die Tür losgelassen hatte.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht mit dir reden will“, murmelte sie, obwohl sie wusste, dass er nicht gehen würde, bis er endlich seine Antwort bekommen hatte. Natürlich verstand sie seine Angst um das Unternehmen, dennoch gefiel es ihr nicht, dass er schon wieder in ihrer Wohnung war, und erst recht nicht, dass sie Verlegenheit empfand.

Luc beobachtete, wie sie ihren Mantel auszog, und bemerkte, dass sie das sexy Outfit vom Freitagabend wieder gegen ihren typischen langen Rock und die graue Strickjacke getauscht hatte. Die Erinnerung an ihre wohlgeformten Beine und das ausgeschnittene Oberteil ließ ihn erneut in Schweiß ausbrechen. In Gedanken sah er, wie sie sich langsam die Kleider abstreifte und nackt vor ihm stand. Sie lehnte sich vor, sodass er mit ihren üppigen Brüsten spielen konnte … Das plötzliche Ziehen in seinen Lenden brachte ihn völlig aus dem Konzept. Abrupt wandte er sich von Agatha ab und zwang sich, wieder klar zu denken. „Ich weiß“, brachte er mühsam hervor.

Agatha funkelte ihn an und verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Lucs Anwesenheit im Raum erdrückte sie fast.

„Dexter ist es einfach nicht wert, weißt du“, erklärte er kühl. Das Licht der Straßenlampen ließ Agathas langes lockiges Haar silber schimmern. Verwundert betrachtete Luc ihre feinen Züge – große Augen, eine schmale, gerade Nase, volle Lippen und ein herzförmiges Gesicht. Wie kam es, dass ihm nie aufgefallen war, wie hübsch sie war? Vielleicht weil sie ihn nie wirklich direkt anschaute.

„Woher weißt du, dass ich ihn getroffen habe?“, fragte sie nun und vermied es wieder, Luc anzusehen. „Na ja, es spielt auch keine Rolle mehr. Es ist vorbei. Du brauchst dir deswegen also keine Sorgen mehr zu machen.“

„Tatsächlich? Da bin ich aber froh.“ Luc betrachtete sie spöttisch. Ihre Wangen waren vor Ärger gerötet, als sie zu ihm sah.

„Weißt du was, ich hasse dich!“, brach es aus ihr heraus. Ihre Augenwinkel füllten sich mit Tränen. „Die Gefühle anderer Menschen sind dir vollkommen egal. Das Einzige, was für dich zählt, ist dein verdammtes Unternehmen! Stewart ist … war … der erste Mann, der mich ausgeführt hat, seit ich in London bin!“

„Jetzt sag nicht, es bricht dir das Herz. Stell dir vor, du hättest dich weiter mit ihm getroffen! Wie hättest du dich gefühlt, wenn er dich in sechs Monaten fallen gelassen hätte, weil du ihm nicht das geben konntest, was er sich erhofft hat? Oder wenn er herausgefunden hätte, dass du gar keinen Zugang zur IT-Abteilung des Unternehmens hast?“

„Wie kannst du nur so kalt sein?“ Das Schlimmste an der Sache war, dass Luc recht hatte. In dem Moment, als sie Stewart vorgegaukelt hatte, sie habe gekündigt, schien er vollkommen das Interesse an ihr verloren zu haben. Sie hatten sich auf sein Drängen in einem kleinen Restaurant in der Nähe ihres Hauses getroffen, und kaum, dass sie angefangen hatte, vom Stress im Büro zu erzählen und dass sie plane, wieder in einer Gärtnerei zu arbeiten, hatte er es gar nicht abwarten können, den Kellner um die Rechnung zu bitten.

Ihr war bewusst, dass er sie bloß benutzen wollte, dennoch versetzte es ihrem Ego einen schlimmen Stich, so abserviert zu werden. Und nun musste sie auch noch Lucs höhnisches Lächeln über sich ergehen lassen.

„Du kannst dir wohl nicht vorstellen, wie man sich fühlt, wenn man denkt, da entwickelt sich etwas, und dann stellt sich heraus, dass man sich falsche Hoffnungen gemacht hat!“, schrie sie nun. „Du bist wie ein Eisblock!“

„Der Typ war ein Idiot.“

„Ja, ich weiß, dass er ein Idiot war! Und ich weiß, dass es vermutlich nicht zu einer Beziehung geführt hätte, aber es wäre schön gewesen, wenn du es mir nicht auf diese Art unter die Nase gerieben hättest!“ Zitternd straffte sie die Schultern und ging auf ihn zu. „Für dich ist alles einfach, du willst ja schließlich keine Beziehung!“

„Agatha, ich habe dir einen großen Gefallen getan.“

„Erwarte bitte nicht, dass ich dir danke.“

Sie standen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. Agathas Füße schienen sich wie von selbst auf Luc zubewegt zu haben. Ihr wurde fast schwindelig, als sie die goldenen Sprenkel in seiner Iris betrachtete. Er war ihr so nahe, dass sie kaum noch atmen konnte. Sein Gesicht blieb seltsam ausdruckslos.

„Fühlst du dich besser? Du musstest den Ärger mal rauslassen“, sagte er sanft.

Von seiner Stimme völlig in den Bann gezogen, musste Agatha erst blinzeln, um sich zu besinnen. „Ich … ich war nicht ärgerlich.“ Die Liebenswürdigkeit in seiner Stimme brachte sie ganz durcheinander. Ihr Gesicht fühlte sich heiß an, ihr Herz klopfte so schnell, dass sie kaum atmen konnte.

„Wenn du nicht hin und wieder ärgerlich wirst, nimmt dich niemand ernst. Ich würde übrigens liebend gern stellvertretend für dich diesem Idioten die Leviten lesen, du brauchst nur ein Wort zu sagen.“

Agatha errötete. Es schien ihr, als sei dies das Netteste, das er je ihr gegenüber geäußert hatte. Dabei war sie doch so wütend auf ihn. Oder nicht?

„Danke, ich halte nichts von Gewalt“, antwortete sie leise.

„Jetzt setz dich erst mal hin. Ich bringe dir einen Kaffee.“

„Womit habe ich das verdient?“

Als sie sein Lächeln sah, fühlte Agatha ein wohliges Kribbeln in der Magengegend. Während Luc in ihrer Küche herumpolterte und verschiedene Schränke und Schubladen öffnete, setzte sie sich auf ihr schmales Sofa und versuchte, die Fassung zurückzugewinnen. Sie hatte an diesem Tag eine ziemliche Niederlage erlitten, und die Aussicht, den Abend allein mit sich und ihren Gedanken zu verbringen, ließ sie frösteln.

Gleichzeitig wunderte sie sich ein wenig über Luc. Diese fürsorgliche Seite an ihm kannte sie gar nicht. Sicherlich war das einer der Gründe, warum ihm die Frauenherzen scharenweise zuflogen. Als er zu ihr zurückkam, die Kaffeetasse auf einen kleinen Tisch stellte, den er herangezogen hatte, und ihr einschenkte, fühlte Agatha sich wie eine Prinzessin. Es war fast lächerlich, und sie wollte dieses Gefühl gar nicht zulassen, doch ihre Begegnung mit Stewart hatte sämtliche Abwehrmechanismen geschwächt.

„Du hattest jedenfalls recht. Ich habe in London nichts verloren.“

„Bloß weil du reingelegt wurdest?“ Luc saß neben ihr und wandte sich zu ihr um.

„Weil ich zu dumm war, es zu erkennen.“

Autor

Abby Green

Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...

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