Julia Exklusiv Band 397

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EINE HERZENSBRECHERIN ZUM VERLIEBEN von ALLY BLAKE

Caitlyn ist sprachlos, als sie im Nachtclub über Dax Bainbridge stolpert. Denn der Finanzier ist unfassbar sexy – und eindeutig an ihr interessiert. Aber nach drei geplatzten Verlobungen sucht die Herzensbrecherin nur eine Affäre – und ahnt nicht, dass ihr eigenes Herz in Gefahr ist …

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  • Erscheinungstag 03.01.2026
  • Bandnummer 397
  • ISBN / Artikelnummer 0851260397
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Ally Blake, Annie West, Miranda Lee

JULIA EXKLUSIV BAND 397

Ally Blake

1. KAPITEL

Die Sand Bar, der kleinste aber feinste Club von Melbourne, lag in einer versteckten Seitengasse des Stadtzentrums und war an diesem Samstagabend besonders gut besucht.

„Ist der süß!“ Franny musste schreien, damit ihre Freundin sie überhaupt wahrnahm.

Verträumt starrte Caitlyn auf den gut aussehenden Typen, der in Jeans und T-Shirt am anderen Ende der Bar stand. Unbewusst spielte sie dabei mit ihren glitzernden Ohrhängern.

„Ja, ist er. Und für einen Mann, der sich die meiste Zeit draußen aufhält, hat er echt schöne Hände. Er spielt sicher Klavier.“

Franny prustete vor Lachen in ihr Cocktailglas und erschütterte damit den kleinen Flamingo aus Plastik, der nun bedenklich schief in ihrem Getränk herumtanzte. „Wenn der Junge Klavier spielt, dann machen mich die Kritzeleien auf dem Block neben meinem Telefon zu einem weiblichen Picasso.“

Auch Caitlyn griff nach ihrem pinkfarbenen Cocktail, sah Franny jedoch im selben Moment aus großen Augen an. „Was genau meinst du damit?“

„Du bist ganz ehrlich die einzige Frau, die es schafft, in einem Mann, dem sie gerade erst begegnet ist, einen möglichen Heiratskandidaten zu sehen.“

„Das stimmt nicht! Ich habe noch nie …“

„Du weißt, dass das stimmt“, fiel Franny ihrer Freundin ins Wort. „Du schwebst immer gleich im siebten Himmel. Aber du brauchst jemanden, der dich wieder auf die Erde zurückholt. Einen Typen, der dich mal nicht mit der Nummer durchkommen lässt, die du dauernd abziehst. Jemanden, der nach seinen eigenen Regeln spielt – und nicht nach deinen.“

Caitlyn starrte immer noch auf ihr Date, an dessen Waschbrettbauch sich gerade zwei aufgedonnerte Blondinen vorbeidrängelten.

„Glaub mir Franny, wir hören im Moment noch keine Hochzeitsglocken“, widersprach sie mit Nachdruck.

Franny stupste sie von der Seite an. „Hauptsache, ihr hört ab und zu die Bettfedern quietschen.“

Caitlyn gab der Freundin einen empörten Hieb auf den Oberarm. „Wir kennen uns erst seit einer Woche.“

Franny schüttelte den Kopf. „Das ist doch kein Gegenargument!“

Caitlyn hingegen war keine Frau, die mit irgendwelchen Typen sofort ins Bett ging. Schneller Sex bedeutete ihr nichts. Für sie musste sich das Feuer der Leidenschaft langsam ausbreiten. Verstohlene Blicke, heimliche Berührungen und scheue Küsse, die eine wunderbare Art von Anspannung verursachten. Das war Caitlyns Adrenalinkick. Die Vorfreude und dann der Moment in dem man die Hände nicht mehr voneinander lassen konnte. Die kurze Zeit der Realitätsverdrängung – besser als alles, was danach kam. Und so würde der gute Junge erst einmal warten müssen.

Gerade sah er zu Caitlyn und Franny hinüber und grinste. Er schien offen und selbstsicher, aber wenn Caitlyn ganz ehrlich zu sich selbst war, musste sie zugeben, dass er ihr auch ein wenig dämlich erschien. Trotz allem hatte Franny recht: Sein zerzaustes blondes Haar und seine Grübchen ergaben zusammen mit dem Grinsen ein ungemein süßes Gesamtbild.

Mit einem zufriedenen Lächeln gab Caitlyn der Freundin in Zeichensprache zu verstehen, dass sie sich kurz frisch machen wollte. Sie holte tief Luft und machte sich dann so klein und dünn wie möglich, um sich einen Weg durch die endlose Masse an feiernden Clubgästen zu bahnen.

Nach ein paar Metern musste sie jedoch wieder ihre normale Gestalt annehmen, um sehen zu können, wo sich die Damentoilette befand. Sie drehte sich um und stieß mit dem Kopf gegen eine Wand.

Jedenfalls fühlte es sich so an. Im nächsten Moment jedoch bemerkte Caitlyn, dass die Wand ungewöhnlich warm und nachgiebig war und außerdem einen Anzug trug.

Sie wich zurück, wurde jedoch im Gedrängel erneut an die Wand gedrückt.

„Wow“, stöhnte sie. Die Situation war irgendwie beunruhigend, und Caitlyn versuchte, sich aufrecht zu stellen, indem sie sich an der Wand abstützte.

Dann sah sie nach oben, und ihr Blick war wie gefesselt: Die Wand hatte ein Gesicht. Ein ernstes Gesicht mit dunklen Augen. Schwarzes Haar. Eine sehr gut aussehende Wand.

Caitlyn blickte in die dunklen Augen. Wie lange, wusste sie nicht. Sekunden? Minuten?

„Tut mir leid“, sagte sie schließlich, so atemlos, als hätte ihr der jüngste Zusammenstoß die Luft abgeschnitten.

Als sie schon überzeugt war, keine Antwort mehr zu bekommen, hörte sie eine samtige tiefe Stimme. „Was genau?“

Caitlyn schluckte. Zumindest versuchte sie es. Aber ihr Mund war wie ausgetrocknet.

Sie schüttelte sich den Pony aus dem Gesicht und gab sich Mühe, selbstsicher zu wirken. Dennoch zitterte sie ein wenig, als sie direkt in die Augen des Unbekannten sah und antwortete: „Es ist nicht meine Art, mich fremden Männern in die Arme zu werfen.“

„Dafür machen Sie das gar nicht so schlecht.“

Sie lachte und merkte, dass ihre Brust gegen seine gedrückt wurde. Gegen seinen starken warmen Oberkörper. Caitlyn fühlte ihre Knie nachgeben. Sie hielt sich am Jackenkragen des Fremden fest und wünschte sich, dass sie seine Augen besser sehen könnte. Lag darin der Anflug eines Lächelns? Eigentlich war es recht hell im Club, aber irgendwie schien dieser Mann von Dunkelheit umgeben.

„Okay“, entgegnete sie. „Es ist meine typische Anmache. Nicht sehr originell, aber ein Klassiker. Mein täglich Brot.“

„Mmm. Es gibt Gründe, warum Klassiker zu solchen werden.“ Die überlegten Worte und der angenehme Klang seiner Stimme waren wie eine Berührung. Als würde jemand sanft mit dem Finger ihre Wirbelsäule hinab streicheln.

„Und der wäre?“

„Sie haben sich bewährt.“

Caitlyn fühlte die intensiven Bass-Schläge der Musik bis in ihren Magen. Oder vielleicht war es ihr Puls, der unaufhaltsam raste. Möglicherweise spürte sie auch den heftigen Pulsschlag des Fremden. Nah genug standen sie sich ja.

„Caitlyn March“, stellte sie sich vor, denn es schien ihr recht unhöflich, an jemandem zu kleben, den sie nicht kannte. Irgendwie schaffte sie es, seine Hand zu schütteln.

„Dax Bainbridge.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen.“

„Ebenfalls.“

Die Discolichter flackerten in diesem Moment: an – aus, an – aus. Und Dank der visuellen Untermalung eines ohrenbetäubenden 80er-Jahre-Hits konnte Caitlyn das Gesicht des Fremden endlich richtig erkennen.

Er sah unfassbar gut aus. Unter normalen Umständen hätte Caitlyn in die andere Richtung geblickt – aus Angst davor, die Beherrschung zu verlieren.

Der Fremde lächelte Caitlyn an.

Kein selbstgefälliges Grinsen, nur die Spur eines Lächelns, die über sein ernstes Gesicht huschte. Und seine dunklen Augen leuchteten auf.

Ganz sicher musste das Herz jeder Frau bei diesem Anblick ein paar Sekunden aussetzen. So wie Caitlyns Herz – und ihr Gehirn. Es war, als hätte sie jemand mit einem Baseballschläger am Kopf getroffen.

Aus dem Augenwinkel nahm sie die Bewegungen der tanzenden Clubgäste wahr, doch all das erschein ihr wie in Zeitlupe. Wieder fühlte sie die Bass-Schläge der Musik in ihrem Magen – immer tiefer, immer heftiger.

Bewegten der Fremde und sie sich ebenfalls zur Musik? Es fühlte sich zumindest so an.

„Tanzen Sie?“ Die Worte waren gesagt, ohne dass sie es wollte. Sie merkte, dass er über eine passende Antwort nachdachte, und korrigierte sich schnell: „Ich meine, generell, in Clubs wie diesem? Ich wollte nicht fragen, ob sie ein professioneller Tänzer sind. Sie sehen ja nicht wie ein Balletttänzer oder so aus. Und sicher wäre es auch ziemlich schwierig Pirouetten zu drehen, in einem Anzug wie Ihrem.“

Er antwortete nicht. Es war auch nicht so, als ob Caitlyn das noch erwartet hätte. Sie stand so fest an ihn gedrückt, dass sie sein Herz schlagen fühlte. Oder vielleicht lachte er sie aus?

Sie war kurz davor, diesem Mann zu verfallen. Er roch so gut. Und er lachte.

Sollte er doch. Caitlyn würde sich umdrehen und gehen … in die Richtung, in die sie wollte, als sie über ihn gestolpert war. Wohin war das noch mal? Himmel, er roch so gut und fühlte sich so gut an. Ein wohliger Schauer erfasste Caitlyns Körper. Sie konnte nicht weggehen.

Auch weil der Fremde sie – wie sie erst jetzt bemerkte – immer noch in den Armen hielt.

Nicht irgendwie unangemessen oder unschicklich. Er hielt sie einfach. Aus den Boxen ertönten gerade die ersten Klänge eines großen Welthits, die die Club-Besucher geschlossen auf die viel zu kleine Tanzfläche strömen ließen.

Sicher wollte er sie nur davor bewahren, nochmals gegen ihre Mitmenschen geschubst zu werden. Oder gegen Wände. Er war also höflich.

Noch mehr Drängeln, noch mehr Schubsen. Schon wurde sie wieder gegen ihn gestoßen. Er hielt sie noch fester. Die Menschenmenge löste sich. Sein Arm tat es nicht. Doch keine bloße Höflichkeit.

Er drückte sich an sie. Oder sie sich an ihn? Wie auch immer – noch näher konnte man sich kaum sein. Ihre Schenkel waren zwischen seinen. Durch den Stoff ihres Kleides konnte sie seine Muskeln spüren und das kalte Metall seiner Gürtelschnalle an ihrem Bauch. Das Blut rauschte Caitlyn so laut in den Ohren, dass sie die Musik nicht mehr hörte. Um sie herum drehte sich alles.

Es fühlte sich an, als würde der Boden unter ihren Füßen wegbrechen. Als befände sie sich kurz vor dem freien Fall. Noch eine falsche – oder richtige – Bewegung von diesem Mann und sie würde die Arme um ihn schlingen, sich ihm an den Hals werfen und niemals mehr loslassen. Von ihm gingen Stärke und Wärme aus, und Caitlyn sah sich bereits mit ihm durch den Hinterausgang flüchten. Und in der kleinen Seitengasse wäre sicher eine Ecke, in der sie …

Und dann fiel ihr der Junge an der Bar wieder ein. Der Junge, mit dem sie verabredet war. Wie hieß er noch mal? Sie hatte doch wirklich seinen Namen vergessen.

Diese Tatsache und noch mehr die Erkenntnis, dass sie sich unter den gegebenen Umständen nicht mehr lange auf ihren High Heels halten würde, alarmierten Caitlyns Bewusstsein. Unsicher wich sie zurück, löste sie ihre Finger von der Jacke des Fremden und ihren Körper von seinem.

Der Welthit war vorbei. Im nächsten Augenblick erfreute der DJ seine Fans mit einer langsamen Ballade, und das Discolicht verwandelte sich in einen Sternenhimmel.

„Danke, dass Sie mich gerettet haben.“ Caitlyn musste die Worte fast schreien.

„Es war mir eine Ehre, Sie retten zu dürfen.“

Obwohl der Abschied ihr einen Hieb in die Magengrube versetzte, schaffte sie es zu lachen. Woraufhin sich in dem ernsten Gesicht ihres Gegenübers nochmals der Anflug eines Lächelns zeigte.

Das machte ihn liebenswert. Und sexy.

Hatte sie das laut gesagt? Hoffentlich nicht. Das wäre wie in einer dieser Albtraumszenen, in der man nicht wusste, dass man den hinteren Saum seines Kleides versehentlich in sein Unterhöschen gestopft hatte. Wie peinlich.

Diskret überprüfte sie ihren Rocksaum. Alles in Ordnung.

„Na dann“, sie deutete hastig in Richtung Bar. „Ich werd jetzt dann besser zu meiner Freundin zurückgehen. Sie denkt sonst noch, dass ich von Außerirdischen entführt wurde. Nicht dass sie übermäßig an UFOs interessiert wäre, oder so. Obwohl wir eines Nachts mal was echt Seltsames gesehen haben …“

Lass gut sein. Geh einfach!

„Also, schönen Abend noch!“ Sie winkte ihm zu.

Er nickte amüsiert. Dann lächelte er wieder – nur ein bisschen. Und in seinen Augen flackerte noch einmal das Leuchten auf, das Caitlyn kurz vorher beinahe um den Verstand gebracht hätte.

Sie machte einen Knicks. Einen Knicks! Dann tat sie einen hastigen Schritt zurück, rannte dabei irgendjemanden um und machte auf dem Absatz kehrt, wobei sie ein unverständliches „Entschuldigung“ nuschelte. Prompt stieß sie gegen den nächsten Tänzer und blickte nochmals zurück, damit sie sich mit einem Schlussakt-Winken von ihrer neuen Bekanntschaft verabschieden könnte. Das Letzte, das er von ihr sah, sollte ja keine Szene sein, in der sie einem weiteren Typen den Ellbogen ins Gesicht rammte.

Doch er war bereits verschwunden.

Verwirrt blieb Caitlyn für einen Moment in der Mitte der Tanzfläche stehen.

Als sie kurz darauf von einer Gruppe grinsender Männer umzingelt wurde, die alle dieselben T-Shirts mit der Aufschrift „Schüchtern – bitte ansprechen“ trugen, kam ihr messerscharfer Verstand jedoch schnell wieder zurück. Sie beendete den Belagerungszustand und strebte auf wackeligen Beinen in Frannys Richtung.

Ihre Knie zitterten noch immer, und sie konnte sich nicht erinnern, jemals so intensiv auf ein erstes Treffen mit einem Mann reagiert zu haben. Auch auf keines danach. All diese Gefühle nur aufgrund einer einzigen Berührung ihrer Körper, eines schmachtenden Augenkontakts und einer nicht einmal fünfminütigen Unterhaltung. Da waren keine verstohlenen Blicke gewesen, keine unbeholfenen ersten Annäherungsversuche. Nur eine Detonation, die Caitlyns ganzen Körper erfasst hatte. Sie hielt sich eine Hand auf ihren schmerzenden Magen.

Und das gerade jetzt. Intensität war doch das absolut Letzte, das sie wollte oder brauchte. Die kürzliche Trennung von ihrem Verlobten hatte ihr genug Intensität für ein ganzes Leben beschert.

Der arme George hatte es sehr schwer genommen. Kein Wunder: Er war sich Caitlyns Liebe so sicher gewesen, dass er ihr den Verlobungsring seiner Großmutter geschenkt hatte. Aber Caitlyn hatte Panik bekommen – wie immer. Und so hatte sie George verlassen.

Sie verdrängte die Gedanken daran. Obwohl der Vorfall nicht mehr ganz so schwer auf ihr lastete, fühlte es sich immer noch an, als würde ein alter Schal um ihre Schultern liegen. Ein Schal, der nach Mottenkugeln roch. Jetzt war doch alles anders. Sie war anders. Zumindest versuchte sie, anders zu sein.

In den ersten Wochen nach der Trennung hatte sie versucht, dem männlichen Geschlecht für immer abzuschwören. Doch nachdem sie sich endlose Samstagabende auf der Couch verkrochen hatte, war sie an den Rande eines Nervenzusammenbruchs gelangt. Danach hatte sie sich mit Frannys Hilfe dazu entschlossen, dass sie keine selbst auferlegte Enthaltsamkeit ausleben müsste, sondern sich ganz einfach an zwanglosem Spaß versuchen sollte. Zusammen mit irgendeinem gut aussehenden, aber oberflächlichen Typen. Sozusagen als Balsam für ihre geschundene Seele.

„Was war denn das eben?“, fragte Franny und konnte gar nicht schnell genug von ihrem Barhocker aufspringen.

Caitlyn setzte sich auf ihren Platz und gab sich Mühe, Interesse für ihren lauwarmen Cocktail vorzutäuschen. „Was eben?“

„Du und der Anzugmensch da hinten. Das. Ich dachte schon, ihr wolltet euch mitten auf der Tanzfläche an die Wäsche gehen. Wer war das?“

„Dax … Irgendwas.“

„Ok, mal langsam. Dein Date heute ist ja ein echt süßer Junge. Aber der Anzugmensch ist ein MANN.“

Caitlyn sah hinüber zu ihrem blonden Date, der gerade im Begriff war, der „Ich-bin-schüchtern“-Truppe zuzuprosten. Sie kniff die Augen zusammen und drehte sich dann wieder Franny zu.

„Wieso betonst du das Wort Mann so komisch?“

„Ich denke, die Betonung hat er sich verdient.“

Franny wurde plötzlich still. Und das für länger, als Caitlyn es je für möglich gehalten hätte.

Sie folgte dem Blick der Freundin und entdeckte Dax Irgendwas auf der anderen Seite der Tanzfläche. Um ihn standen ein paar Leute, während er mit offensichtlicher Ratlosigkeit eine junge Frau vor ihm betrachtete. Sie musste ungefähr in Caitlyns Alter sein. Das Mädchen hatte sich Feenflügel über ihre Arme gespannt, und flatterte herum, als wollte sie gleich abheben.

Er war größer als alle, die ihn umringten. Er hatte breitere Schultern. Caitlyn musterte das schwarze Haar und den dunklen Anzug. Und das ernste Gesicht.

Er wirkte, als wäre er für die ganze Welt verantwortlich.

Aber auch, als würde er immer das bekommen, was er wollte.

Franny hatte recht, er war ein richtiger Mann. Caitlyn holte tief Luft. Er hatte so gut gerochen. Als ihr bewusst wurde, dass ein Rest von seinem Duft noch immer auf ihrer Haut lag, kam die Erregung zurück und durchströmte Caitlyns ganzen Körper, genau wie in dem Moment, in dem sie diesem attraktiven Mann tief in die Augen gesehen hatte und darin die Leidenschaft erkannte, die sie selber fühlte.

Doch egal, wie sehr ihr Körper ihn begehrte, ihr Verstand sagte, dass er eine Nummer zu groß für sie war. Zu viel Leidenschaft, zu viel Intensität. Sie war auf der Suche nach Balsam für ihre Seele, nicht nach einem Feuer, das alles verzehren würde.

Schade.

Dax Irgendwas schaute flüchtig auf seine Armbanduhr. Dann sah er sich im Raum um. Beinahe wäre sein Blick auf Caitlyns getroffen.

Schnell drehte sie sich um. Sie spürte, wie ihre Wangen glühten. Caitlyn packte Franny am Arm und riss damit die Freundin aus ihrem Trance-Zustand.

„Hör auf, ihn anzustarren“, flüsterte sie, als könnte er sie hören. „Du renkst dir sonst noch die Halswirbel aus.“

„Das wäre es wert.“

Es war kurz nach zwei Uhr morgens in dem vernebelten, lauten und stickigen Nachtclub, als Dax beschloss, dass er lange genug in den Geburtstag seiner Schwester Lauren hineingefeiert hatte. Eigentlich hatte er für Privatvergnügen keine Zeit.

Er musste auf dem schnellsten Weg nach Hause. Dort wartete noch ein Berg Petitionen an die Stiftung, über deren definitiven Verlauf nur er entscheiden konnte. Und auch die ausländischen Börsenberichte musste er noch einmal überprüfen, bevor er endlich schlafen gehen konnte.

Doch irgendwie weigerten sich seine Beine, ihn heimzutragen. Sie blieben einfach wie angewurzelt stehen. Und das hatte nichts damit zu tun, dass der Boden des Clubs um diese Uhrzeit von verschütteten Alkoholresten nur so klebte. Der Grund war eher eine gewisse junge Frau mit verträumten braunen Augen.

Verträumte braune Augen, die tief in seine geblickt hatten. Und warme Haut, die sich unter seinen Händen wie Samt angefühlt hatte. Dazu dieser weiche rote Mund, der dazu gemacht schien, geküsst zu werden. Richtig geküsst.

Caitlyn … Irgendwas. Allein die Erinnerung an ihren Namen brachte Dax aus dem Gleichgewicht. Doch seine Beine bewegten sich nicht. Noch einmal ließ er den Blick durch den Raum schweifen.

Die Menschenmenge tanzte zu den Rhythmen eines recht seltsamen Stückes. Verschwitzte, zügellose Körper, die sich hin- und herwiegten. Dax erhaschte immer mal einen Blick in die entfernteren Ecken des Clubs, bevor die zappelnde Masse ihm diesen dann wieder versperrte.

Er rieb sich die Schläfen, um seiner wachsenden Anspannung Herr zu werden. Zu gern hätte er sie noch einmal gesehen: das kastanienbraune Haar, die weiße Haut und die zarten Rundungen. Diese Erinnerung wollte er dann mit nach Hause nehmen. In sein leeres Bett.

Die Menge lichtete sich. Und dann entdeckte er Caitlyn. Selbst im gedimmten Licht glänzte ihr Haar. Sie saß auf einem Barhocker, die Beine übereinandergeschlagen. Ihr rechtes Bein wippte zum Takt der Musik. Daxs Blick wanderte von ihren High Heels über das dünne Abendkleid bis zu ihren nackten Schultern hinauf. Sie war so süß. So sexy.

Das Nächste, was ihm auffiel, war, dass wohl ein halbes Dutzend Männer diese Frau ins Visier genommen hatte. Die gierigen Blicke, die sie ihr zuwarfen, waren mehr als eindeutig. Er konnte sich nicht vorstellen, wie Caitlyn diesem Wolfsrudel lebend entkommen wollte.

Vielleicht sollte er ihr dabei helfen? Jetzt, da er ihren Namen kannte, fühlte er sich irgendwie für sie verantwortlich. Er wusste, dass sie mit ihrer ungezwungen Art leicht in Schwierigkeiten geraten konnte. Über ihre Lippen kam schnell mal ein Wort zu viel.

Ihre Lippen …

Sein Anzug fühlte sich zu eng und zu warm an. Er lockerte seinen Hemdkragen, doch es half nichts. Tief in seinem Inneren wusste er, dass es nur eins gab, was zu tun war.

Er hatte halbe Sachen schon immer gehasst. Noch nie hatte er die Theorie vertreten, dass manche Dinge besser ungesagt blieben. Wenn er der Welt je ein Erbe vermachen könnte, wäre es eine einzige Botschaft: Jeder sollte zu Ende bringen, was er angefangen hat.

Plötzlich ließen sich seine Füße wieder bewegen. Entschlossen machte Dax sich auf den Weg und …

„Hey. Du siehst aus, als wärst du auf der Flucht!“ Rob, Laurens Ehemann, packte ihn an der Schulter und nagelte ihn damit erneut am Boden fest.

Dax seufzte schwer. So musste sich ein Rennpferd fühlen, das am Startblock zurückgehalten wurde.

„Reisende soll man nicht aufhalten“, fuhr Rob fort und zeigte in Richtung Bar. Auf SIE. „Ich hab euch vorhin tanzen sehen. Wer ist das?“

Caitlyn. Der Klang ihres Namens war für Dax wie der Gesang einer Sirene. Er schob die Hände in die Hosentaschen und sah seinen Schwager durchdringend an.

„Das war kein Tanzen. Die Menschenmassen hier sind schuld. Und das Gedrängel. Ich habe nur dafür gesorgt, dass die junge Dame nicht zertrampelt wird.“

„Natürlich. Das Gedrängel.“ Rob grinste bis über beide Ohren.

Zu spät erkannte Dax, dass er dabei war, sich selbst zu verraten. Weil er genau gewusst hatte, worauf sein Schwager anspielte. Er blickte hinüber zur Tanzfläche. „So eine Menschenmenge kann ziemlich gefährlich sein, Rob.“

„So eine Frau auch.“

So eine Frau. Allein der Gedanke an ihre Nähe fühlte sich an wie Feuer, das durch seine Adern schoss. Wie ein Waldbrand nach Monaten der Dürre.

Er ballte die Fäuste in seinen Taschen, bis sich die Nägel in seine Handflächen bohrten. Es half nichts.

Er musste sich der Situation stellen.

Soweit er es beurteilen konnte, hatte diese Frau mit Selbstschutz nicht viel am Hut. Sie war ihm so nah gekommen. Einem vollkommen Fremden. So etwas war gefährlich. Für Frauen wie sie waren nur nette Männer geeignet, vielleicht jemand wie Rob. Kein pragmatischer Realist, wie Dax selbst es war. Und doch war da diese immense Anziehungskraft gewesen. Auf beiden Seiten.

War so etwas genug, um die Sache weiter zu verfolgen? Er wusste absolut nichts über sie, mal abgesehen von der Tatsache, dass sie sein Blut mit nur einem Blick zum Kochen brachte. Der Name Bainbridge war nicht unbekannt. Die meisten Leute brachten damit gewisse Vorzüge in Verbindung. Vorzüge, die Dax als Fluch betrachtete.

Er blickte hinüber zu Lauren und sah, wie sie lachte und tanzte. Sie war so jung gewesen, als ihre Eltern starben. So aus der Bahn geworfen von dem uferlosen Chaos, das sie hinterließen. Es hatte sie zu einem leichten Opfer gemacht, in einem Meer von Haien, die ihre Chance auf das große Geld witterten.

All das schien Ewigkeiten zurückzuliegen. Dax war 22 gewesen, als ihm die komplette Verantwortung aufgebürdet wurde: für eine am Boden zerstörte 16-jährige Schwester, die er kaum kannte, und auch für das traditionsreiche Familienunternehmen, das damals kurz vor dem Ruin gestanden hatte. All seine eigenen Zukunftspläne waren von einem Tag auf den anderen zu Asche zerfallen.

Er hustete. Die stickige Luft in diesem Club brachte ihn fast um. Jemand hatte es mit der Nebelmaschine eindeutig übertrieben. Dennoch konnte er SIE sehen: den niedlichen Hitzkopf mit dem kastanienbraunen Haar.

Im Gegensatz zu ihr verfügte Dax über einen sehr ausgeprägten Selbstschutz-Mechanismus. Das war auch notwendig. Er wollte nie wieder von irgendetwas bis ins Mark getroffen werden. Das war ihm einmal passiert: durch die selbstsüchtigen und systematischen Intrigen seiner Eltern, kurz vor deren Tod.

Caitlyn hingegen wirkte auf ihn nicht wie ein Wolf im Schafspelz. Darauf hätte er seine Seele verwettet.

Sie war anders als die Frauen, die er sonst kannte. All diese Frauen, die ihn als Antwort auf ihre Gebete sahen, in denen sie sich Diamanten und Pelzmäntel gewünscht hatten. Caitlyn hatte ihn eher so angesehen wie ein Kind die Schokolade in einem großen Süßwarenladen.

Der Raum war unerträglich heiß und überfüllt. Trotzdem war Dax hellwach. Da sie das Thema Anmachsprüche bereits hinter sich gelassen hatten, konnte er der ungezwungenen Art dieser Frau nur die Stirn bieten, wenn er mit der Wahrheit herausrückte. Dass er sie wollte …

Sollte er es wagen?

Er schaute auf seine Uhr und zuckte zusammen. Es war viel zu spät. Doch zu spät wofür? Fast halb drei. Er hatte noch eine Menge Arbeit auf seinem Schreibtisch liegen. Andererseits würde diese morgen früh vielleicht besser zu erledigen sein.

„Ich werd dann mal gehen“, sagte Dax bestimmter als er eigentlich wollte. Doch seine Worte wurden ohnehin von den Bass-Schlägen der Musik übertönt.

Also klopfte er Rob auf die Schulter und zog los, um sich von seiner Schwester zu verabschieden. Er fand sie hüpfenderweise auf der Tanzfläche, wobei sich das Feenkrönchen auf ihrem Kopf und die Flügel auf ihrem Rücken im Takt mit bewegten.

„Hallo Bruder! Bitte sag nicht, dass du nach Hause musst!“

„Doch, ich muss wirklich. Ich hab um 6 Uhr eine Konferenzschaltung.“

„Dann mach doch die Nacht durch. Tanz ein bisschen!“ Sie vollführte ein paar Tangoschritte, um ihn zu ermutigen.

„Leider habe ich die Steppschuhe in meinem Zweitwagen vergessen.“

Lauren unterbrach ihren Tango und musterte ihren Bruder besorgt. „Bitte sag mir, dass du ein bisschen Spaß hattest …“

„Mehr als du dir vorstellen kannst.“ Wieder dachte er an die umwerfende junge Frau, die er in den Armen gehalten hatte. Sein Highlight des Abends. Das konnte er Lauren natürlich nicht sagen.

„Na gut“, winkte diese mit einer dramatischen Geste ab. „Geh ruhig. Du brauchst deinen Schönheitsschlaf. Ich weiß schon, dass ein bisschen mehr Laissez-faire deinen Ruf und den der Firma auf immer zerstören würde.“

Sie hauchte ihm einen Kuss zu und tanzte im nächsten Moment flatternd zurück in die Menschenmenge. Wie viele Ereignisse seiner Vergangenheit Dax auch verfluchte, dass er Lauren zur Seite gestanden hatte, würde er niemals bereuen.

Er widerstand dem Drang, noch einmal zurück zu Caitlyn zu sehen und machte sich auf den Weg Richtung Ausgang.

Plötzlich krabbelte etwas seinen Hals hinunter. Es hatte lange kalte Spinnenbeine und beunruhigte ihn ein wenig. Schnell befreite er sich aus seiner Anzugjacke, damit dieses Etwas entweder schnell wegfliegen oder auf der Stelle vernichtet würde.

Dabei tat er einen Schritt nach vorne und wäre beinahe ausgerutscht. Im letzten Moment konnte er sich fangen. Als er wieder sicher auf den Beinen stand, sah er vorsichtig unter seinen Schuh. Ein glitzerndes Objekt lag auf dem dunklen Holzboden. Dax bückte sich, um es aufzuheben.

Mutig verdrängte er den Gedanken an all die Krankheiten, die man sich holen konnte, wenn man den klebrigen Absonderlichkeiten auf dem Fußboden zu nahe kam. Das glitzernde Etwas war lang und filigran. Und es war keine beunruhigende Spinne.

„Was machst du denn da?“, fragte Franny. „Das Taxi wartet.“

Caitlyn kroch auf allen vieren über den Boden der Sand Bar. Unter Händen und Füßen schob sie Papierservietten her, um sich gegen zweifelhafte Elemente zu schützen, mit denen die Holzpaneele bedeckt waren. Sie pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich hab einen Ohrring verloren.“

Franny sah die Freundin entgeistert an: „Aber der könnte inzwischen überall sein!“

„Deshalb muss ich ja nach ihm suchen.“ Schaudernd schüttelte Caitlyn eine Cocktailfrucht, die sich ebenfalls auf den Fußboden verirrt hatte, von ihrem Handgelenk. „Es ist einer der Ohrringe meiner Oma. Die Hänger mit den Blüten dran.“

„Oh!“ Franny verstand plötzlich. Sie kannte die Geschichte dieser Ohrringe. Sehnsüchtig blickte sie zur Tür, wo der Typ stand, mit dem sie die letzte halbe Stunde Dirty Dancing gespielt hatte. Sie wollten das jetzt eigentlich in seiner Wohnung fortsetzen.

Vorher wollte sie jedoch noch Caitlyn nach Hause bringen, deren Mitfahrgelegenheit sie im Stich gelassen hatte. Der blonde Junge war Richtung Morgenlicht verschwunden, nachdem Caitlyn ihm verwehrt hatte, sie zu küssen. In diesem Moment hatte für beide festgestanden, dass sie nicht gemeinsam nach Hause gehen würden.

Caitlyn war nicht wirklich enttäuscht über diesen Verlust. Die Unauffindbarkeit ihres Schmuckstücks allerdings war schlimm. Die Ohrringe bedeuteten ihr so viel. Ihr Herz zog sich zusammen, bei dem Gedanken, dass einer von ihnen für immer verloren sein könnte.

„Fahrt schon los!“ Caitlyn wies die Freundin in Richtung Tür, indem sie sie am Fußgelenk zog. Etwas anderes konnte sie vom Fußboden aus nicht tun. „Ich fürchte, das hier kann noch etwas dauern.“

Franny biss sich auf die Unterlippe. Ihre Blicke wanderten hin und her: von ihrem attraktiven blonden Tanzpartner in Lederjacke, der gedankenverloren im Türrahmen stand, zu Caitlyn, die mitleiderregend über den Boden kroch.

„Geh jetzt, Franny!“

„Ok!“ Franny war über sich selbst beschämt. Sie lehnte sich rasch an den Tresen, um den Barkeeper zu rufen. „Ivan! Bitte kümmere dich darum, dass meine Cait hier lebend den Raum verlässt, ok? Und wenn irgendjemand einen Ohrring abgibt – der gehört ihr.“

Ivan sah zu Caitlyn hinunter, grinste und nickte.

Franny beugte sich zu ihrer Freundin hinab: „Ich werd heute Nacht nicht nach Hause kommen. Wir sehen uns morgen früh zum gewohnten Termin, okay?“

„Ich hoffe es.“

Franny lächelte und lief schnell Richtung Ausgang.

Caitlyn verbrachte die nächsten zehn Minuten damit, den Boden zu inspizieren. Ohne Ergebnis. Jede Minute hier unten hatte sich wie eine Ewigkeit angefühlt, und je weiter Caitlyn kroch, desto hoffnungsloser wurde sie.

Als Elfjährige hatte sie diese Ohrringe zusammen mit ihrem Vater gekauft. Für den Geburtstag der Großmutter. Caitlyn erinnerte sich genau daran, wie sie durch die Geschäfte gebummelt waren. Egal wie kurz ihr Vater zwischen seinen Autorennen nach Hause gekommen war, er hatte sich jedes Mal eine Auszeit nur für sie genommen. Auch an jenem Tag, den Caitlyn niemals vergessen würde. Das nächste Rennen hatte ihr Vater nicht überlebt.

Glitzerte da drüben etwas unter dem Barhocker? Caitlyn robbte vorwärts, kauerte sich zusammen, steckte den Kopf unter den Barhocker und …

„Cait?“

Ivan rief ihren Namen. Die unerwartete Unterbrechung ließ Caitlyn aufschrecken, und ihr Kopf schnellte gegen die Unterseite des Hockers. Sie rieb die schmerzhafte Beule und presste die Lippen zusammen, um nicht auf der Stelle loszufluchen. Finster funkelte sie Ivan an. Doch der hielt in seiner Hand einen langen filigranen Ohrring, der mit Dutzenden Glaströpfchen verziert war. Am unteren Ende schimmerte eine kleine Blüte.

Unbeholfen richtete sich Caitlyn auf, streckte ihre Hand nach dem Ohrring aus und drückte ihn an ihr Herz. Dabei drehte sie eine kleine Pirouette. Die Haare flogen ihr wild ins Gesicht, aber was kümmerte sie das? „Oh Ivan! Du bist der Beste! Dafür werde ich dich für immer lieben!“

„Du wirst ihn lieben müssen“, erwiderte Ivan grinsend und deutete mit dem Kopf nach rechts. „Er hat ihn gefunden.“

Caitlyn hielt inne, strich das unordentliche Haar zur Seite und blickte zu ihrem Retter hinüber. Diese dunklen Augen kamen ihr sehr bekannt vor.

„Dax“, flüsterte sie. Ihr Atem stockte.

Sie hatte sein schönes Gesicht aus nächster Nähe gesehen. Aber jetzt, aus der Entfernung erfasste sie das Gesamtbild. Er war … atemberaubend. Alles an ihm wirkte beruhigend, aber auch ernsthaft und irgendwie düster. Keine Frau würde diesen Mann von ihrer Bettkante stoßen.

Er schien ihre unmoralischen Gedanken nicht lesen zu können. Zum Glück! Ruhig und gelassen lehnte er an der Bar, so als wäre es das Natürlichste auf der Welt, jemandem beim Herumkriechen über den Boden zuzusehen. So etwas machte ihm wohl Spaß.

Sie haben ihn gefunden?“ Diese Frage kam Caitlyn äußerst überflüssig vor, aber es war schwer für sie, überhaupt einen verständlichen Satz zu äußern. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.

„Er war plötzlich unter meinem Schuh“, antwortete er. Das Echo seiner tiefen Stimme hallte durch Caitlyns Körper, als wollte es niemals verstummen. „Zum Glück sagt man mir nach, dass ich etwas von einem Tänzer habe. Sonst wäre ich heute schon zwei Mal flachgelegt worden: von Ihnen und Ihrem Ohrring.“

Flachgelegt. Unauslöschliche Bilder schossen durch Caitlyns Kopf. Wahrscheinlich würde sie sich an diese noch im nächsten Winter erinnern, wenn sie an einsamen Abenden etwas zum Wärmen bräuchte.

„Offensichtlich haben Sie ihn verloren, als wir uns … begegnet sind.“ Bei ihm klang das Wort „begegnet“ so anzüglich. So auszüglich. So gut.

Dax nickte Ivan zu, als hätten sie irgendein geheimes Abkommen. Daraufhin kümmerte sich der Barkeeper um ein paar andere Gäste.

Caitlyn wollte Ivan bitten, zu bleiben. Mit diesem atemberaubenden Mann alleine im gedimmtem Licht zu stehen, ohne Ablenkung durch Menschenmassen und laute Musik – das barg eine Gefahr, die sie eigenmächtig nicht abwenden konnte.

Dax lehnte nun nicht mehr an der Bar, sondern kam auf sie zu. Caitlyn grub die Zehen in ihre Schuhe, aus Angst gleich ohnmächtig zu werden. Obwohl sie High Heels trug, musste sie aufblicken, um ihm in die Augen sehen zu können.

Er griff nach ihrer Hand. Caitlyns Atem stockte. Dann drehte er ihre Handfläche nach oben und löste ihre Finger. Einen nach dem anderen.

Caitlyn sah den geliebten Ohrhänger in ihrer Hand funkeln und fühlte nichts als grenzenlose Erleichterung.

Er wollte hier also nicht einfach irgendjemanden verführen, sondern sichergehen, dass sie bekommen hatte, was ihr gehörte.

Sie holte tief Luft und versuchte, so locker zu wirken, wie es ihr unter den gegebenen Umständen nur möglich war. Doch seine Wärme und sein herber Duft raubten ihr fast die Sinne. Vorsichtig und mit zitternden Fingern drehte sie den Ohrring in ihrer Handfläche.

„Alles in Ordnung?“, fragte Dax.

Der Verschluss an der Rückseite des Ohrrings war etwas verbogen, aber sonst war tatsächlich alles in bester Ordnung. „Sie müssen sehr leichtfüßig sein – für einen Mann Ihrer Größe. Sie hätten ihn auch zerquetschen können. Aber es ist gar nichts passiert und mit ein bisschen liebevoller Pflege wird mein Schmuckstück aussehen wie neu.“

Sie riskierte einen Blick in seine Augen. Und versank darin. Dunkelbraun waren sie also. Das würde ab heute wohl ihre neue Lieblingsfarbe sein. Doch da war noch mehr in diesen Augen: unübersehbares Verlangen. Verlangen nach ihr.

Caitlyn atmete schwer.

Das Deckenlicht ging plötzlich an – auch für die letzten Gäste wurde es Zeit, den Heimweg anzutreten. Panik durchfuhr Caitlyn, denn das grelle Licht würde die Wahrheit offenbaren.

Um diese Uhrzeit konnten ihre Haare nur fürchterlich aussehen, der Lippenstift war sicher verschwunden und die Wimperntusche verwischt. Doch Dax sah sie noch immer mit demselben Ausdruck in den Augen an. Wenn irgendwie möglich, schien das Verlangen darin sogar noch größer.

OH GOTT!

Die junge Frau, die seit einer Ewigkeit für die Adrenalinkicks einer langsam aufblühenden neuen Liebe gelebt hatte, wurde von zwei dunklen Augen vollkommen überwältigt.

In der Ewigkeit hatte sie ja auch nicht gewusst, dass es solche Blicke gab. Blicke von einer Intensität, die jede Frau einfach umwerfen mussten. Ohne dass man wusste, wie einem geschah. Dabei hatte Caitlyn sich doch für Spaß und Zwanglosigkeit entschieden. Was sie wollte war …

Balsam für ihre Seele.

Doch nach einem Blick in diese dunklen Augen war ihr alles klar: Was sie brauchte, war ein Allheilmittel.

Sie musste endlich die Narben loswerden, die ihre letzte gescheiterte Verlobung an ihr hinterlassen hatte. Man hatte ihr gesagt, dass One-Night-Stands die richtige Medizin wären.

Wie das mit dieser Medizin funktionierte, wusste sie nicht – da sie vorher noch nie einen One-Night-Stand gehabt hatte. Aber es gab immer verschiedene Arten von Medizin. Wenn ihre also in Form eines großen, düsteren, äußerst gut aussehenden Fremden verabreicht wurde, der ganz sicher die Erinnerung an jeden Mann auslöschen könnte, dem Caitlyn jemals begegnet war – dann hatte sie ganz sicher nichts dagegen.

„Sperrstunde“, rief Ivan und riss Caitlyn damit aus ihren Gedanken.

Ihr Herz begann wie wild zu schlagen, da sie nicht wusste, wie genau man es wohl anstellte, einen umwerfenden Fremden in einer Bar nach zwanglosem Sex als Allheilmittel zu fragen.

„Hätten Sie auch noch Hunger?“ Die Worte sprudelten aus ihr heraus, bevor sie es wollte.

„Ich bin am Verhungern“, antworte Dax, ohne auch nur eine Sekunde Zeit zu verlieren.

Gut, dachte Caitlyn als sie zusammen Richtung Tür gingen und er seinen Arm um ihre Taille legte. Seine Hand ruhte auf ihrer Hüfte, wie auf einem kostbaren Besitz. Allein diese leichte Berührung löste bei Caitlyn ein Gefühl aus, als würde Lava durch ihre Adern fließen.

So geht das also.

2. KAPITEL

Caitlyn stand in dem langen Flur vor ihrem Apartment. Ihre Hände zitterten, als sie versuchte, den Schlüssel ins Türschloss zu stecken. Es machte die Dinge nicht einfacher, dass Dax so nah hinter ihr stand. Zu nah. Ihre Nerven lagen blank.

Sie hatten kein Wort gesprochen, nachdem sie sich auf dem Rücksitz eines Taxis niedergelassen hatten, wo Caitlyn hastig ihre Adresse genannt hatte. Ihre Stimme war ihr so fremd vorgekommen – wie die einer Robbe mit Halsentzündung.

Bei jeder Kurve, die das Taxi nahm, waren ihre Knie beinahe aneinandergestoßen. Und dann doch wieder nicht. Ihre Finger hatten so nah nebeneinandergelegen, dass sie sich fast berührt hätten. Und dann doch wieder nicht. Immer wieder hatten Dax und sie einander angeblickt, bis sie in den Augen des anderen zu versinken drohten. Caitlyn fürchtete, ihr Herz könnte ihren Brustkorb durchschlagen.

Als sie ihr Apartment im Süden der Stadt erreicht hatten, fühlte sie sich als fließe Strom durch ihren Körper. Sie war erstaunt, dass sie noch geradeaus laufen konnte.

„Lass mich aufschließen.“ Sie hörte Daxs tiefe Stimme dicht an ihrem Ohr. Er griff um Caitlyn herum, löste den Schlüssel aus ihrer zitternden Hand und drehte ihn im Schloss.

Caitlyn konnte nicht länger so tun, als wollte sie ihm tatsächlich etwas zu essen anbieten. Leise seufzend drehte sie sich zu Dax, schob ihre Hände in sein dichtes Haar, hielt sich so gut sie konnte auf ihren Zehenspitzen und küsste ihn leidenschaftlich.

Ihr jahrelang ausgespielter Trumpf, erfüllende Momente wie diesen lange hinauszuzögern, war wohl ein großer Fehler gewesen. Sie hatte mit diesem Mann weniger als fünf Minuten geredet und konnte sich nicht einmal an seinen Nachnamen erinnern – doch noch nie im Leben hatte sie jemand so sehnsüchtig geküsst.

Er war ein Profi, oder zumindest begabter, als das Gesetz es erlauben sollte. Er tat Dinge mit seiner Zunge, von denen Caitlyn nicht einmal gewagt hatte zu träumen. Ihrem Körper schien es egal, was sie wagte oder nicht. Er ergab sich, schmerzte und wollte mehr. Mehr als Caitlyn zu ertragen glaubte. Die Intensität ihres Verlangens äußerte sich in einem Schmerz, der bis in ihre Knochen drang und ihr den Atem raubte.

Mit den Lippen berührte Dax die weiche Vertiefung hinter ihrem Ohrläppchen, dann die Beuge an ihrem Hals und ihr Schlüsselbein. Caitlyn ließ ihre Hand über die weichen Härchen in seinem Nacken fahren. Sie biss sich auf die Unterlippe. An den Stellen, wo Daxs Körper ihren berührt hatte, war jeder kleinste Nervenstrang so elektrifiziert, dass sie ihre Extremitäten nicht mehr spürte.

Erst als sie beide rückwärts stolperten und sich der Türknauf mit dem Schlüssel drin in Caitlyns Rücken bohrte, bemerkte sie, dass auch Dax etwas aus dem Gleichgewicht geraten war. Und dass sie noch immer im Hausflur standen …

Mit fast übermenschlicher Willenskraft schaffte Caitlyn es, irgendwie hinter sich zu greifen. Sie stieß die Tür so fest auf, dass das Dranbleiben des Türgriffs an ein Wunder grenzte, packte Dax am Jackenkragen und zog ihn in ihre Wohnung. Als die Tür endlich hinter ihnen ins Schloss gefallen war, standen sie in völliger Dunkelheit. Nur ein schmaler Lichtstreifen drang von draußen durch den Rand der Wohnzimmervorhänge hindurch.

Sie hielten inne. Caitlyns Finger umklammerten Daxs Anzugjacke, sein heißer Atem streifte ihr Haar, dann ihre Schultern.

Im Dämmerlicht wirkte die Wohnung wie verzaubert. Das Knarren und Rattern des alten Kühlschranks, das entfernte Summen von Motorengeräuschen der nahen Schnellstraße – alles schien plötzlich aufzuleben. So wie Caitlyn.

Bewusst langsam strich Dax mit einer Hand Caitlyns Rücken hinab. Ihre Haut brannte wie Feuer. Hingebungsvoll sank sie gegen seinen starken Körper.

Als seine Lippen auf ihre trafen, fordernd und heiß wie die Hölle, wurde Caitlyn von einem Lavastrom davongerissen. Nichts um sie herum zählte mehr.

Irgendwo in der Wohnung war Dax seine Jacke losgeworden und seine Krawatte. Caitlyn hoffte, dass ihre Schuhe es bis ins Apartment geschafft hatten, doch ganz sicher war sie nicht. Sie war sich nur sicher, dass sie diesen Mann tatsächlich flachlegen wollte. Mehr als sonst etwas.

Rückwärts taumelten sie durch die dunkle Wohnung, stießen gegen die Couch, ein Beistelltischchen und eine Topfpflanze. Eine umgeschlagene Teppichkante brachte sie beinahe zu Fall.

Als irgendetwas von irgendeiner Oberfläche kippte und krachend zu Boden ging, zuckte Dax zusammen und sah sich um, doch Caitlyn drehte sein Gesicht einfach wieder dem ihren zu und küsste ihn noch fester.

Es bedurfte keiner zweiten Aufforderung. Er nahm sie in die Arme, hob sie mit Leichtigkeit hoch und trug sie ins Schlafzimmer. Komischerweise fand er es auf Anhieb und stieß auch gar nichts mehr um. Gab es so etwas wie einen Sex-Navigator?

Durch die dünnen Vorhänge in Caitlyns Schlafzimmer fiel das Mondlicht. Zum Glück – denn so konnte sie Daxs atemberaubenden Körper zum ersten Mal richtig sehen. Hemd und Hose hatte er nicht mehr an, nur schwarze Boxershorts. Caitlyn schoss der Gedanke durch den Kopf, dass diese Unterwäsche für das, was sie vorhatten, ziemlich konservativ erschien. Sie musste lächeln.

Dax atmete tief ein, so als hungerte jede Faser seines Körpers nach Caitlyn. Dann tat er einen Schritt auf sie zu, und jeder andere Gedanke zählte nicht mehr.

Er nahm den Reißverschluss ihres Abendkleides zwischen seine Finger und öffnete ihn langsam. Schnell waren die restlichen Klamotten aus- und ein Kondom angezogen, und irgendwie schaffte es Caitlyn, sich auf ihre Bettkante zu setzen. Dann sank sie in die weichen Laken. Dax hielt sie fest. Wie stark er wirkte, wie ruhig und selbstbewusst. Und wie wunderschön er war. So etwas konnte einer Frau das Herz brechen.

Aber Caitlyn würde das nicht passieren. Und sie würde auch sein Herz nicht brechen. Diese Tatsache räumte Caitlyns letzte Zweifel aus dem Weg. Sie drückte ihre Hand ihn seinen Nacken und zog ihn an sich, um ihn noch inniger zu küssen.

Seine Haut auf ihrer zu fühlen, raubte ihr den Atem. Es war, als könnte ihr Körper nicht zur gleichen Zeit Sauerstoff aufnehmen und die ungestümen Gefühle bewältigen, die in ihm tobten. Vielleicht lag die Intensität an dem Verruchten eines One-Night-Stands, das Caitlyn vorher nicht gekannt hatte. Vielleicht lag es daran, dass es eine einmalige Sache war und Caitlyn sich vorgenommen hatte, alles zu bekommen. Vielleicht lag es an Dax.

Dann war er in ihr. Es geschah so plötzlich, dass es sie fast erschreckte, doch sie war mehr als bereit. Sie schlang ihre Beine um ihn, denn sie wollte dieses Gefühl mehr, als sie je für möglich gehalten hätte. Es war, als hätte Caitlyn ihr Leben lang darauf gewartet. Nicht auf romantische Gefühlsduselei, die ihr vorher so viel bedeutet hatte, sondern auf das hier.

Dort wo Daxs Lippen ihren Körper berührten, hinterließen sie die Verwüstungsspur eines Tsunamis. Und Caitlyn fühlte sich willenlos, schutzlos, verletzlich.

HALT! Hier ging es doch darum, dass sie die Kontrolle über ihr Gefühlsleben zurückerlangte. Mit einem letzen Aufbäumen an Stärke bewegte sie sich so, dass sie jetzt auf ihm lag. Er schmiegte seine Hände an ihre Hüften. Mit den Daumen streichelte er über ihre Beckenknochen. Caitlyn überlief ein heißer Schauer. Sie war kurz davor, ihre Willenskraft aufzugeben.

Dann fuhr sie mit den Fingernägeln über Daxs Brust, die glatte gebräunte Haut hinunter bis zu seinem Bauch. Er schloss seine Augen, doch Caitlyn hatte den sehnsuchtsvollen Blick darin bereits erkannt. Und sie merkte, dass auch sie sich kaum noch zurückhalten konnte. Sie fühlte sich fantastisch. Wie neu geboren.

Von Sekunde zu Sekunde wurden ihre Empfindungen stärker und verdrängten all ihre Gedanken mit Ausnahme des Verlangens, das sie durchflutete – brennend und unaufhaltsam.

Und dann war es, als würden Empfinden und Verlangen sich an einem einzigen winzigen Punkt treffen. Tief im Innersten ihres Körpers. Glühende Hitze rauschte wie flüssiges Feuer durch Caitlyns Blut- und Nervenbahnen, wie eine Explosion, die ihre Sinne mit mehr Genuss betäubte, als sie ertragen konnte. Zusammenhängende Gedanken gab es für Caitlyn in diesem Moment nicht mehr. Doch eins wusste sie: Nie in ihrem Leben hätte sie gedacht, dass sie so fühlen konnte. Nie.

Und das bei dem ersten Mann, den sie sich jemals für einen One-Night-Stand ausgesucht hatte.

Als Caitlyn wieder einfiel, warum sie Balsam für ihre Seele brauchte, musste sie sich eingestehen, dass sie mehr bekommen hatte, als sie verdiente.

Caitlyn lehnte sich in dem großen Ledersessel zurück und schloss ihre Augen. Unter ihr summte es genüsslich. Plötzlich vernahm sie ein Poltern zu ihrer Rechten. Franny war also endlich zu ihrer allsonntäglichen Verabredung in Shangris Schönheits-und Nagelstudio erschienen.

„Guten Morgen, Sonnenschein!“, seufzte Caitlyn verträumt.

„Wie konntest du ohne mich anfangen?“, murrte Franny finster.

Caitlyn öffnete die Augen und sah ihre Freundin mit hängenden Schultern auf dem Massagestuhl Platz nehmen. Sie trug eine dunkle Sonnenbrille, hatte das Haar zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden und tippte hastig ihre Lieblingseinstellungen in den Bedienungsapparat.

„Du warst noch nicht zu Hause. Ich dachte, du hättest mich heute versetzt.“

Doch statt zu antworten, starrte Franny auf die halb leere Schachtel mit Keksen, die auf einem Stapel Modezeitschriften neben Caitlyn lag. Süßigkeiten? Unberührte wichtige Zeitschriften? Tagträume? Was war hier los?

„Du isst Schokokekse? Am frühen Morgen? Du hast doch nichts angestellt, nachdem ich gestern Abend weg war?“ Sie musterte die Freundin kritisch. „Oder doch?“

Caitlyn schleckte einen Schokoladensplitter von ihrem Finger. Durch ihren Kopf flimmerten Bilder der vergangenen Nacht wie ein Stummfilm aus alten Zeiten. Bilder von starken Armen und breiten Schultern. Zentimeter um Zentimeter warmer weicher Haut, auf der ihre Fingernägel rote Spuren hinterlassen hatten als sie …

Caitlyns Wangen glühten bei dem Gedanken daran. „Lenk nicht vom Thema ab, Franny. Wir sind hier, um über dich und den Typen in der Lederjacke zu reden.“

Aber Franny zeigte nur auf den fröhlichen rosa Nagellack, den die Kosmetikerin auf Caitlyns Nägel auftrug. „Du hast was angestellt! Du hast einen Treffer gelandet!“

„Was in aller Welt hat die Farbe meiner Zehennägel mit irgendwelchen Treffern zu tun?“

„Die ganze letzte Woche waren deine Nägel rot. Sexhungriges Vampirrot. Und heute wählst du den Rosarote-Brille-Lack? Irgendetwas ist zwischen gestern Abend und heute Morgen passiert.“

Caitlyn blinzelte. Sie war verblüfft, dass Franny sie so leicht durchschauen konnte.

„Erst Infos über den grüblerischen Typen mit der Lederjacke.“

„Alles klar. Die Info ist, dass die ganze Draufgänger-Fassade vor seiner Haustür ins Wanken geriet. Sein Name ist Eugene, und er lebt bei seiner Mutter. Sie züchten Frettchen. In ihrem Wohnzimmer. Ich wusste nichts davon, bis ich heute Morgen den Gang nach Canossa antreten musste. An seiner Mutter vorbei, die meine Kleidung bereits aufgesammelt, gefaltet und ordentlich auf das Sofa gelegt …“

Franny schlug sich die Hände vor die Augen. „Ich will die ganze Geschichte einfach nur vergessen. Jetzt du: Ist der süße Junge zurückgekommen?“

„Nö-ö-o!“

„Wer dann? Nicht Ivan?“

„Der Barkeeper?“ Ein entgeisterter Blick war alles, was Caitlyn dieser Frage entgegenzusetzen hatte.

Franny schien sichtlich überrascht und runzelte die Stirn. Doch dann blitzten ihre trübseligen Augen auf. Zum ersten Mal an diesem Morgen.

„Der Anzugmensch! Du hast den Anzugmenschen abgeschleppt! Du kleines Biest!“

Franny kreischte die Worte so laut, dass inzwischen wohl auch jeder Autofahrer auf der Straße vor dem Kosmetikstudio informiert war.

„Schschsch. Ich denke nicht, dass hier irgendjemand an Details über mein Sexleben interessiert ist.“

„Wer ist er? Hat er die Vorschusslorbeeren verdient? Wann siehst du ihn wieder?“

Caitlyn seufzte lang und schwer. Sie würde hier nicht eher in Frieden gelassen werden, bis Franny exakte Details hätte. Sie starrte auf ihre Zehen und sagte: „Okay. Erstens: Sein Name war Dax. Dax und dann irgendwas mit B. Vielleicht Banner. Oder Bale? Zweitens: Er sieht ohne Anzug noch viel besser aus als mit. Und drittens: Wir haben nicht darüber gesprochen, ob wir uns wiedersehen. Zufrieden?“

Franny schüttelte grinsend den Kopf. Dann zog sie das Smartphone aus ihrer Handtasche und tippte ein paar Buchstaben ein. „Dax. Und der Nachname fing mit Bain oder so an. Meine liebe Caitlyn, du steckst voller Überraschungen.“

Caitlyn wusste genau, was Franny vorhatte. Sie wollte ihr das Handy wegnehmen, doch ihre Freundin war schneller, als man es ihr an diesem Morgen zugetraut hätte.

„Halten Sie doch still!“, flehte die Kosmetikerin.

„Das hier ist wichtig!“, flehte Franny zurück.

„Hör um Gottes willen auf, ihn zu googeln!“, flehte Caitlyn.

Franny schnaubte verächtlich. „Machst du Witze? In unserem Zeitalter ist Googeln das Erste, was man tun sollte, sobald man den Namen von einem Typen kennt. Wenn ich nur so schlau gewesen wäre, die Schlaftablette von gestern Abend zu googeln, hätte ich mir einiges ersparen können. Glaub mir: Ich tu dir hier einen Gefallen.“

Wieder war Franny ungewohnt lange still. Caitlyn blickte sie an und sah, wie die Augen der Freundin größer und größer wurden. Es sah aus, als würden sie ihr gleich aus dem Kopf springen.

„Ich wusste es!“ Die Worte platzen nur so aus Franny heraus.

„Was?“, fragte Caitlyn, obwohl sie die Antwort eigentlich gar nicht wissen wollte. „Er ist verheiratet, stimmt’s? Natürlich ist er das. Wie konnte ich nur so blöd …“

„Er ist nicht verheiratet.“

Caitlyns Anfall von Selbstgeißelung stoppte abrupt. Sie hatte doch überhaupt keinen Grund, erleichtert zu sein. Vor allem nicht, da ihr bewusst war, dass sie nicht um der betrogenen Ehefrau willen Erleichterung fühlte. Sie war erleichtert, weil Dax noch zu haben war.

Dabei war sie doch gar nicht zu haben. Zwar waren vier Monate ins Land gezogen, seit sie sich von George getrennt hatte, besser gesagt – so ermahnte Caitlyn sich –, seit sie die Verlobung gelöst hatte; aber sie war fertig mit all dem: mit Dates, Beziehungen und dem ganzen Unsinn.

Gegen ihren Willen hörte sie sich fragen: „Dann was?“

„Dein Dax Irgendwas mit B war Dax Bainbridge. Bainbridge wie der Vorstandsvorsitzende der gleichnamigen Stiftung. Sagt dir das was?“

Caitlyn blinzelte kurz. „Na klar. Die Vorsitzenden dieser Stiftung werden zu jeder unserer Neuwagen-Vorstellungen eingeladen. Irgendwelche Typen, die niemals erscheinen. Die sind keine Party-Promis, eher so was wie Geldadel, stimmt’s?“

„Ihr solltet die Leute auf euren Gästelisten besser kennenlernen.“

Caitlyn verschränkte die Arme. „Ich kenne jeden, der Sportwagen kauft und jeden, der gerne einen Sportwagen hätte. Alle anderen sind unwichtig.“

Franny starrte sie an. „Willst du damit wirklich sagen, dass dieser Typ unwichtig ist?“ Sie drückte Caitlyn das Smartphone in die Hand. Und Caitlyn blickte auf das Foto des Mannes, der ihr die Nacht vorher den Verstand geraubt hatte.

Auf das dunkle Haar, die ernste Miene, die schokoladenbraunen Augen und die markante Nase, die zu jeder männlichen Hauptfigur eines Jane-Austen-Romans gepasst hätte. Das Profil dieses Mannes hätte Michelangelo dazu bewogen, neuen Marmor einzukaufen. Gott, er war wirklich so schön wie in ihrer Erinnerung. Caitlyns Hormone gerieten in ein derartiges Durcheinander, dass sie glaubte, ihr Herz wäre in ihren Magen gerutscht und dort geblieben.

Franny steckte das Telefon zurück in ihre Tasche. Mit einem Lächeln entschuldigte sie sich bei der Kosmetikerin für das erneute Nichtstillhalten.

„Bei ihm?“, fragte sie.

„Bei uns.“

„Natürlich. Heimvorteil.“

„Ist er also dein nächster Fast-Ehemann?“

Caitlyn schüttelte den Kopf so fest, dass es wehtat.

„Es war …“

Berauschend, atemberaubend, betörend.

Was sie sagte, war: „Es war eine einmalige Sache.“

„Gut“, antwortete Franny. „Ist wohl das Beste so.“

Caitlyn nickte geistesabwesend. Seit Georges...

Autor

Annie West
<p>Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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Miranda Lee
<p>Miranda Lee und ihre drei älteren Geschwister wuchsen in Port Macquarie auf, einem beliebten Badeort in New South Wales, Australien. Ihr Vater war Dorfschullehrer und ihre Mutter eine sehr talentierte Schneiderin. Als Miranda zehn war, zog die Familie nach Gosford, in die Nähe von Sydney. Miranda ging auf eine Klosterschule....
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