Julia Extra Band 508

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MEIN SEHNLICHSTER WEIHNACHTSWUNSCH BIST DU! von KATRINA CUDMORE
Versunken arbeitet Alice in der Bibliothek der königlichen Stadtresidenz – da betritt ein atemberaubend attraktiver Mann den Raum: Prinz Luis von Monrosa ist zum Weihnachtsfest nach London gekommen. Sie sollte fliehen, denn dieser adlige Charmeur könnte ihrem Herzen gefährlich werden! Aber sie bleibt …

EINGESCHNEIT MIT DEM ARGENTINISCHEN PLAYBOY von SUSAN STEPHENS
Fassungslos liest Jess den Vertrag. Hinter ihrem Rücken hat Dante Acosta die Farm ihres Vaters gekauft! Sie will diesen Betrüger nie wieder sehen! Doch sie sind eingeschneit – und der stolze Argentinier setzt alles daran, sich in einer klirrend kalten Nacht leidenschaftlich mit ihr zu versöhnen …

WINTERZAUBER IM CHALET DER LIEBE von SCARLET WILSON
Wer ist der geheimnisvolle Patient, den sie über die Festtage betreuen soll? Aufgeregt betritt Samantha das Chalet in den verschneiten Alpen: Es ist der millionenschwere Superstar Mitchell Brody, der hier die Einsamkeit sucht. Kann Samantha ihn vom Weihnachtsglück zu zweit überzeugen?

SÜSSE ZEIT DER KLEINEN WUNDER von LYNNE GRAHAM
Die Liebe brennt lichterloh, als sich die hübsche Amy dem italienischen Milliardär Sev Cantarelli hingibt. Aber was sieht er in ihr, einer Kellnerin? Amy weiß, dass es für sie kein Happy End geben kann. Doch ihre sinnlichen Liebesstunden im Advent haben süße Folgen …


  • Erscheinungstag 12.10.2021
  • Bandnummer 508
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500685
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Katrina Cudmore, Susan Stephens, Scarlet Wilson, Lynne Graham

JULIA EXTRA BAND 508

KATRINA CUDMORE

Mein sehnlichster Weihnachtswunsch bist du!

Nach Weihnachten endet Prinz Luis’ freies Leben. Aber bis dahin will er die Liebe genießen – mit der schönen Bürgerlichen Alice! Ihr gehört sein Herz, auch wenn eine gemeinsame Zukunft ausgeschlossen ist …

SUSAN STEPHENS

Eingeschneit mit dem argentinischen Playboy

Damals hat Dante Acosta über den temperamentvollen Rotschopf gelacht, als Jess ihn spontan küsste. Jetzt sieht er sie wieder – und will ihre Liebe. Aber er begeht einen verhängnisvollen Fehler …

SCARLET WILSON

Winterzauber im Chalet der Liebe

Die Flocken glitzern wie tausend kleine Sterne in ihrem Haar: Millionär Mitchell Brody kann den Blick nicht von Samantha wenden. Ob sie sein erstarrtes Herz in der Einsamkeit der verschneiten Berge heilen kann?

LYNNE GRAHAM

Süße Zeit der kleinen Wunder

Sev Cantarelli will sich an seinem Erzfeind rächen – und dessen Tochter eiskalt verführen. Und während Amys Augen glücklich im goldenen Kerzenschein leuchten, kommt er seinem Ziel ganz nah …

1. KAPITEL

Als erneut ein seltsames Geräusch von unten heraufschallte, sprang Alice O’Connor alarmiert von ihrem Stuhl auf. Ob das doch Einbrecher waren? Hatte ein besonders waghalsiger Vertreter dieser Zunft möglicherweise beschlossen, in die Londoner Residenz der Königsfamilie von Monrosa einzubrechen, nachdem vorhin das gesamte Personal in die Weihnachtsferien aufgebrochen war?

Sie musste die Polizei rufen. Aber wo war ihr Handy? Verflixt! Sie hatte es aus Selbstschutz unten gelassen, um nicht in Versuchung zu geraten, sich während ihrer Recherche in der Bibliothek durch Surfen im Internet abzulenken.

Mit einem hektischen Rundumblick hielt Alice in dem ehrwürdigen Raum Ausschau nach etwas, womit sie sich verteidigen könnte. Doch hier gab es nur Bücher … Tausende von ihnen. Mit grimmiger Miene schnappte sie sich ein stabiles Hardcover, schlich zur Tür, verharrte lauschend im Flur, hörte aber nur das leise Rauschen des Verkehrs draußen auf dem Fitzalen Square.

Sie zählte bis zehn … und senkte die Hand mit der Buch-Waffe. Bei einem alten Haus war es normal, dass es zeitweise ächzte und stöhnte wie ein marodes Schiff. Seufzend machte sie kehrt, um in die Bibliothek zurückzugehen, und erstarrte.

Von unten erklang eine männliche Stimme – eine vage vertraute Stimme! Tief und mit einem aufregend mediterranen Akzent, der ihr heiße Schauer über den Rücken sandte. Eine Stimme, die sie sechs Monate zuvor auf der Hochzeit ihrer Cousine Kara mindestens so fasziniert wie irritiert hatte.

Sie rannte den Korridor entlang und beugte sich über das massive Treppengeländer. Das konnte unmöglich sein … nicht ausgerechnet er!

„Entspann dich, Edwin. Ich verspreche hoch und heilig, Weihnachten in Monrosa zu verbringen …“ Und nach einer kurzen Pause: „Zuvor habe ich aber noch etwas in London zu erledigen.“

Er war es wirklich … hier in London!

„Nein, ich benötige keinen Begleitschutz!“ Dem harschen Statement folgte sekundenlanges Schweigen, dann ein verärgerter Laut. „Mach ihnen keine Vorwürfe. Ich habe die Bahamas ohne Vorankündigung verlassen und bestehe darauf, dass man mir mehr Privatsphäre lässt. Bei diesem Termin kann ich keine Bodyguards gebrauchen.“

In der nächsten Sekunde erschien er kurz in ihrem Blickfeld, beziehungsweise seine gebräunte Hand, mit der er sich durchs dunkle, wellige Haar fuhr.

Alice wich zurück, wobei ihr das schwere Buch entglitt, übers Geländer rutschte und nach atemlosen Schrecksekunden mit lautem Knall auf dem schwarz-weißen Marmorboden im Erdgeschoss aufschlug. Schreckensstarr verharrte sie mit brandroten Wangen und schlug die Hand vor den Mund, als sie von unten einen unterdrückten Fluch hörte. Dann kamen seine Füße in Sicht …

Es war mitten im Winter, draußen war es nass und kalt, und er trug Flip-Flops!

Breite Schultern schoben sich wie fragend über das Buch, aus dem sich einige Seiten gelöst hatten.

Bitte, lass es keine Erstausgabe sein! flehte Alice innerlich. Ihre Kreditkarte wäre für immer passé, wenn sie sie noch weiter strapazierte …

Als der Mann den Kopf hob, war ihr erster Gedanke, sich in der Bibliothek zu verstecken. Doch Rückgrat zu beweisen bedeutete ihr alles, also biss Alice die Zähne zusammen und versuchte unbeteiligt dreinzuschauen.

Sie wartete auf die unausweichliche Demütigung, doch von anfänglicher Verwirrung wechselte sein Gesichtsausdruck zu Neugier, dann zu ungläubigem Staunen, und in der nächsten Sekunde schallte lautes Gelächter zu ihr nach oben.

Ehe sie wusste, was sie tat, hastete Alice bebend vor Empörung die Treppe hinunter und auf Prinz Luis von Monrosa zu, der sie mit breitem Grinsen und hochgezogenen Brauen auf der untersten Stufe erwartete.

Sie versuchte wenigstens die letzte Kurve mit Grazie zu nehmen, doch ihr Schwung war zu groß. Alice rechnete mit Verblüffung und Schadenfreude, nicht nur, weil sie ihn fast überrannt hätte, sondern vor allem, da er sich unerwartet der Frau gegenübersah, die ihm vor sechs Monaten überraschend einen Kuss gestohlen hatte, bevor sie in der Dunkelheit verschwunden war …

Alice O’Connor nahm immer zwei Stufen auf einmal, und Luis sprang vor, um sie vor einem möglichen Sturz zu bewahren, doch in letzter Sekunde wich sie ihm aus.

„Hoheit, ich wusste nicht … Kara sagte mir, das Haus würde für die gesamte Weihnachtszeit frei sein und dass ich mich hierhin zurückziehen könnte. Ich muss dringend meine Doktorarbeit abschließen und brauche dafür absolute Ruhe“, stieß Alice in einem Atemzug hervor.

Okay, das erklärte zumindest, warum Karas neugierige Cousine sich hier aufhielt. Ihr schwarzes T-Shirt war von einer Schulter gerutscht und enthüllte einen verdrehten roten BH-Träger. Der Drang, ihn gerade zu richten, war nahezu übermächtig, und Luis streckte schon die Hand aus, da bückte sich Alice nach dem Buch, kam wieder hoch und maß ihn mit einem vorwurfsvollen Blick.

„Sie haben mich erschreckt“, warf sie ihm vor, blätterte im Buch und stieß einen spitzen Schrei aus. „Oh nein, ich habe es beschädigt!“

„Und was ist mit mir? Mich haben Sie fast erschlagen mit dem Ding.“

Das brachte ihm nur ein Achselzucken ein, während Alice liebevoll erst die Vorderseite, dann den Buchrücken mit langen schmalen Fingern betastete.

Instinktiv berührte Luis seinen Hals an der Stelle, an der diese Finger seine Haut in jener Nacht gestreichelt hatten, bevor sie ihn küsste. „Auf jeden Fall scheint es Ihre Gewohnheit zu sein, unauslöschliche Eindrücke zu hinterlassen …“, murmelte er halblaut.

Jetzt wandte sie sich ihm voll zu und musterte ihn aus klaren grauen Augen mit dieser Ernsthaftigkeit, die ihm schon bei Edwins und Karas Hochzeit aufgefallen war.

Als sie zusammen mit den anderen Gästen die Jungvermählten zur königlichen Jacht begleitet hatten, mit der sie in die Flitterwochen starten wollten, hatte er Karas Cousine angesprochen, weil sie so geschwankt hatte, dass er befürchtete, sie könne ins Wasser fallen. Zunächst nahm er an, sie hätte zu viel getrunken, und hatte sie gewarnt, ohne seinen Verdacht direkt auszusprechen, worauf sie ihm empört entgegenhielt, dass sie in ihrem ganzen Leben noch keinen Alkohol angerührt hätte.

Dann, nach einem langen, sengenden Blick, hatte sie sich gebückt, um ihre Sandalette, die zwischen den Stegbrettern festklemmte, gewaltsam loszuzerren. Ihr langes braunes Haar trug sie im Nacken zusammengebunden, die nackten Schultern waren mit goldbraunen zarten Sommersprossen übersät.

Achselzuckend war er vom Kai zurückgetreten, zögerte aber zu gehen, weil ihn das Feuer in ihren Augen faszinierte. Nachdem die Jacht abgelegt hatte, hatte sie sogar noch kurz mit ihm geplaudert, aber seine Einladung, im Ballsaal noch ein Tänzchen aufs Parkett zu legen, rundheraus abgelehnt.

Also hatte er sie abgehakt und sich anderen weiblichen Gästen gewidmet.

Später in dieser Nacht, als er auf der Suche nach seinem Bruder Ivo den dunklen Palastgarten durchstreifte, war sie plötzlich vor ihm aufgetaucht. Sekundenlang standen sie stumm voreinander, dann hatte sich Alice vorgebeugt und im Flüsterton gefragt, ob sie ihn küssen dürfe.

Es war zwar nicht sein Stil, Frauen zu küssen, die er kaum kannte, doch ihre ruhige Ernsthaftigkeit und das Fehlen jeglichen Flirtversuchs ließen ihn zustimmend nicken. Irritation und Belustigung wechselten rasch zu Erregung und echtem Verlangen, befeuert von dem unerwartet sinnlichen Kuss … zärtlich, warm und voller Versprechen.

Doch in dem Moment, als seine Hand ihren nackten Arm berührte und er den Kuss vertiefen wollte, zog sie sich abrupt zurück und rannte los. Er rief ihr hinterher, sie solle auf ihn warten, aber das Letzte, was er zu sehen bekam, war ein Kopfschütteln, bevor die Dunkelheit sie verschluckte. Und als er sie endlich eingeholt hatte, saß sie bereits in einer der bereitstehenden Limousinen, auf dem Weg zum nahe gelegenen Hotel, wo alle Gäste untergebracht waren.

Jetzt hob sie das Kinn und räusperte sich. „Ich glaube, ich schulde Ihnen eine Erklärung.“ Alice zögerte. „Ich habe mich immer gefragt, wie es sein mag, einen Mann mit Bart zu küssen. Es ging um eine Wette mit einem meiner Cousins, aber das ist keine Entschuldigung. Es war in jedem Fall dumm und ein Fehler.“

Ein dummer Fehler also …?

Luis fuhr sich mit der Hand übers frisch rasierte Kinn und verlieh seiner Stimme bewusst ein heiseres Timbre. „Dann bin ich jetzt, da ich den Bart abrasiert habe, sicher vor Ihnen? Oder möchten Sie zur Abwechslung mal ausprobieren, wie es ist, einen Mann mit Bartstoppeln zu küssen, die keine vierundzwanzig Stunden alt sind?“

Alice blinzelte und öffnete bereits den Mund, um ihm zu antworten, doch dann verengten sich ihre Augen, als sie begriff, dass sie nur geneckt wurde. „Sie sind auf dem Weg nach Monrosa?“, fragte sie stattdessen. „Verlassen Sie London gleich morgen wieder?“

Der hoffnungsvolle Ton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

Luis grinste. „Ich habe mich noch nicht entschieden.“ Während er seinen trägen Blick von den erschrockenen Augen und dem großzügigen Mund weiter über ihren schlanken Körper wandern ließ, bis hinunter zu den schmalen Füßen, ohne einen Hauch von Nagellack auf den nackten Zehen, formierte sich ein ebenso lustvoller wie befriedigender Gedanke in seinem Hinterkopf. „Hängt davon ab, ob sich mir hier in London etwas bietet, das aufregend und interessant genug ist, mich noch ein Weilchen festzuhalten.“

Vielleicht war ja Alice O’Connor genau die Ablenkung, die er gerade brauchte.

„Aber Sie wollen das Fest doch sicher im Kreis Ihrer Familie verbringen“, erinnerte sie ihn. „Kara hat mir erzählt, wie sehr Edwin sich darauf freut, nach Jahren endlich wieder zusammen Weihnachten zu feiern.“ Dann schaute sie an ihm herunter und runzelte die Stirn. „Wieso tragen Sie überhaupt Shorts und Flip-Flops?“

Ohne ihr zu antworten, machte sich Luis auf den Weg ins Souterrain, wo sich der Küchentrakt befand, öffnete den Kühlschrank und holte ein Bier heraus. Alice war ihm gefolgt, sah zu, wie er die Flasche öffnete, ansetzte und einen langen Zug nahm, während er gelassen ihrem missbilligenden Blick standhielt. Dann schaute er auf die Uhr. „Vor zwölf Stunden war ich noch auf den Bahamas, dann habe ich spontan einen Szenenwechsel beschlossen.“

„Auf die Idee, sich vorher umzuziehen, sind Sie nicht gekommen?“

„Dafür blieb mir keine Zeit.“

Alices Augen weiteten sich unmerklich, und sie zog sich zurück auf die andere Seite der Kücheninsel. „Sind Sie vor etwas davongelaufen? Oder vor jemandem …?“

Er lachte hohl. „Nur vor mir selbst.“

„Wie meinen Sie das?“

Es sah aus, als wolle Luis etwas sagen, doch dann verlor sich sein Blick in der Ferne, und um seinen Mund zuckte es ironisch: Tja, süße Alice, nachdem ich gerade erst den Zenit meines Lebens erreicht habe – zumindest auf sportlichem Gebiet, als Sieger der Speedboot-Weltmeisterschaften –, sollte ich diesen Triumph eigentlich auf den Bahamas feiern, zusammen mit meinem Team. Ich habe es auch versucht, konnte aber den Gedanken nicht ertragen, dass jetzt alles vorbei ist. Denn jetzt muss ich mein Versprechen halten, nach Monrosa zurückzukehren, um meine königlichen Pflichten zu übernehmen.

Ich habe sogar kurz mit dem Gedanken gespielt, die Meisterschaft zu verlieren, damit ich meinen Lebenstraum nicht aufgeben muss, um in einem Leben voller Langeweile und Protokolle zu ersticken … unter der ständigen Kontrolle meines Vaters, der sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, mich anzurufen, um mir zu meinem Sieg zu gratulieren. Wie ein Idiot habe ich stundenlang darauf gewartet …

Warum nur, da ich doch wusste, wie sehr er meine Karriere missbilligt? Warum hoffte ich, er würde stolz auf mich sein, obwohl ich für ihn bisher nur eine Quelle der Enttäuschung war?

Luis schüttelte den Kopf und gönnte sich noch einen Schluck Bier. „Sollte ein Scherz sein. Sie verstehen doch einen Witz, oder?“

Alice begutachtete die nahezu leere Bierflasche und zuckte mit den Schultern. „Ja, Hoheit … aber nur, wenn er mir erklärt wird, ganz langsam …“, spöttelte sie, trat ans Fenster und wies mit dem Kinn auf die nasse Terrasse. „Warum sind Sie überhaupt in dieses Regenloch zurückgekommen?“, fragte sie flapsig, die Hände in den Gesäßtaschen ihrer engen Jeans. „Ein mediterraner Palast oder die Bahamas sind diesem elenden Wetter doch allemal vorzuziehen.“

Luis trank sein Bier aus und fixierte sie scharf. Sie war streitsüchtig und unberechenbar, doch im Moment brauchte er etwas, um sich von seinem Elend abzulenken, und dafür war Alice O’Connor möglicherweise genau die richtige Medizin. „London hat durchaus seine Reize …“ Er kam näher, ohne sie eine Sekunde aus den Augen zu lassen. „Besonders zur Weihnachtszeit, wenn alles so festlich und wunderschön geschmückt ist. Ich bin ein großer Liebhaber von schönen Dingen, und du kannst mich ruhig Luis nennen. Ich denke, die formelle Phase haben wir beide längst hinter uns, oder?“

Alice konnte schon nachvollziehen, warum so viele Frauen auf ihn standen. Wenn es eine Checkliste mit den absoluten Must-Haves gab, hatte er sie alle: Er war ein Prinz – groß, dunkel und gut aussehend –, ein ebenso erfolgreicher wie charismatischer Sportler, wurde weltweit für sein Engagement und seine Tapferkeit gelobt, und dazu ein Mann, der seinem Gegenüber das Gefühl vermitteln konnte, die wichtigste Person auf der Welt zu sein …

Dafür reichten sein Lächeln und ein intensiver Blick aus haselnussbraunen Augen.

Aber unter dem Deckmäntelchen all dieser hervorragenden Eigenschaften war er garantiert wie sein Vater: selbstbezogen, egozentrisch und getrieben.

Umso verwirrender und ärgerlicher die Tatsache, dass sie ihn geküsst hatte … aus freien Stücken und eigenem Antrieb!

Zwar versuchte Alice daran festzuhalten, sie hätte nur die seltsame Anziehung analysieren wollen, die sie von der ersten Sekunde an gespürt hatte. Doch ehrlicherweise musste sie sich eingestehen, dass es ein nicht zu steuerndes Lustgefühl gewesen war. Und dafür hasste sie sich.

So wie sie es allgemein hasste, die Kontrolle zu verlieren oder auch nur einen Zentimeter von dem abzuweichen, was sie sich vorgenommen hatte.

Sie streckte ihre Hand aus. „Wie wäre es mit einem Neuanfang … Luis?“

„Aber immer.“ Er lächelte schief und umfasste ihre schmalen Finger. „Weihnachten ist doch die Zeit des guten Willens, nicht wahr?“

Sein Griff war fest, und Alice spürte einen heißen Strom ihren gesamten Körper überfluten. Verwirrt zog sie ihre Hand zurück. „Soll das heißen, dass Sie …“

„Du.“

„Dass du tatsächlich ein Weihnachts-Fan bist? Es ist doch jedes Jahr der gleiche Klimbim mit schmalzigen Songs und Geschenken, die niemand braucht. Es sollte ein Gesetz geben, dass nur noch Kinder unter zehn Jahren … was ist los?“, wollte sie wissen, als sie Luis leise lachen hörte.

„Meine Güte! Bist du etwa eine weibliche Reinkarnation von Ebenezer Scrooge?“ In seinen dunklen Augen blitzte etwas auf, das sie wohlig erschauern ließ. „Vielleicht sollte dir mal jemand zeigen, wie magisch Weihnachten tatsächlich sein kann.“

Seine Stimme war leise, sexy und mit einem dunklen Timbre. Unter der schwarzen Segler-Fleecejacke stand der Kragen seines weißen Poloshirts offen und ließ einen Hauch dunklen Brusthaars und gebräunter Haut sehen. Alice schluckte trocken.

„Ich will mich nur rasch duschen und umziehen, dann gehe ich auf eine Party. Warum kommst du nicht einfach mit …?“ Er machte eine Pause, ihre Augen wurden größer, und Luis grinste frech. „Zur Party, meine ich.“

Was sonst? Etwa, um ihm beim Ausziehen zuzuschauen und vielleicht auch noch mit unter die Dusche zu steigen?

Alice spürte heiße Röte ihren Hals emporkriechen. Was war nur mit ihr los? Sie hatte einen Zeitplan einzuhalten. Nur noch zehn Tage, um ihre Doktorarbeit abzuschließen …

Zehn Tage, um sich vor der Welt zu verstecken, zehn Tage, um dankenswerterweise dieser üblen Jahreszeit aus dem Weg zu gehen, die gemeinhin Weihnachten genannt wurde. Zehn Tage, bevor sie zur Arbeit ins Café zurückkehren und die Launen ihres Chefs ertragen musste.

Und zwei Wochen bis zum nächsten Treffen mit ihrem Doktorvater, der, gemessen an ihrem letzten Gespräch, offenkundig an ihrer Fähigkeit zweifelte, ihre Dissertation überhaupt je fertigzustellen. Doch ohne den Titel war ihre Hoffnung auf einen Dozentenposten an der Uni gleich null!

Allein deshalb sollte sie besser aufhören, unsinnige Schulmädchenfantasien bezüglich des Schwagers ihrer Cousine zu hegen. „Sorry, ich muss mich auf meine Doktorarbeit konzentrieren und …“

„So kurz vor dem Christfest? Was für eine Schande! Aber ein wenig Ablenkung kann sicher nicht schaden.“ Luis zwinkerte verheißungsvoll, dann wurde er plötzlich ernst. „Ich würde mich schlecht fühlen, dich alleine hier zurückzulassen. Sicher, dass du nicht mitwillst?“

Einen Moment lang dachte sie tatsächlich, er meinte es ernst. Sein ruhiger Ton, der feste Blick … Prince Charming war ein fantastischer Schauspieler, das musste man ihm lassen. Aber warum sollte er sich ausgerechnet um sie kümmern wollen, wenn ihm sämtliche Beautys weltweit zu Füßen lagen, wollte man der Regenbogenpresse glauben?

Egal, sie hatte weder Zeit noch Lust, dieses Rätsel zu lösen. Und der Wink bezüglich Weihnachten war ohnehin eher kontraproduktiv.

Alice schnappte sich seine leere Bierflasche und stellte sie zurück in den Kasten unter der Spüle. „Wie gesagt, ich habe einen Zeitplan, den ich einhalten muss. Und sollte ich dich morgen nicht mehr sehen, bevor du nach Monrosa abreist … genieße die Zeit mit deiner Familie, und grüß bitte Kara und deinen Bruder von mir.“

Luis zuckte nur resigniert mit den breiten Schultern. „Falls du es dir doch anders überlegst, kannst du dich mir ja auch noch später im Stewart Club anschließen. Ich werde dich auf die Gästeliste setzen lassen.“

Seine Party fand im Stewart Club statt? Wo auch Lady Radford regelmäßig verkehrt hatte? Wer würde nicht die Gelegenheit nutzen wollen, das Interieur eines der ältesten und exklusivsten Privatclubs Londons begutachten zu können? Allerdings hatte sie seine Einladung gerade erst ziemlich brüsk ausgeschlagen.

„Schon ein witziger Zufall, dass ausgerechnet die Schriftstellerin Lady Maud Radford Thema meiner Doktorarbeit ist. Sie dinierte häufig im Stewart Club. Tatsächlich soll es ihr gelungen sein, dort Regierungsmitglieder zu beeinflussen, was ihre politischen und sozialen Reformideen betraf. Im Namen der Forschung würde ich mich dir heute Abend doch gern anschließen, allerdings nur kurz, um …“

„Schon gut!“, stoppte Luis sie amüsiert. „Entspannst du dich eigentlich nie?“

Das brachte ihm einen strafenden Blick ein. „Ich ziehe mich rasch um und arbeite so lange in der Bibliothek, bis du dein Schönheitsprogramm beendet hast.“

Sein dunkles Lachen im Ohr, stapfte Alice mit grimmiger Miene die Treppe empor. Sie hasste sich selbst, wenn sie so kratzbürstig war.

2. KAPITEL

„So, jetzt erläutere mir mal die These deiner Doktorarbeit und …“

Luis hatte sich gerade erst wieder neben sie in einen der mit dunklem Samt bezogenen Clubsessel gesetzt, als sie schon wieder gestört wurden. Erneut erhob er sich mit einem entschuldigenden Lächeln, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Die Frauen küsste er auf die Wange, den Männern klopfte er freundschaftlich den Rücken, während alle durcheinander schwatzten und lachten.

Alice lehnte sich in ihrem Sessel zurück und dachte, dass eine Weihnachtsfeier im Stewart Club eine großartige Studie zur Sozialanthropologie bieten würde. Hier schien jeder instinktiv zu wissen, wo er in der sozialen Hierarchie stand, wobei natürlich Prinz Luis von Monrosa als die Hauptattraktion des Abends bezeichnet werden musste!

Wenige Minuten nach ihrer Ankunft im Club fand er sich bereits in einem schier endlosen Karussell von Begrüßungsfloskeln wieder, hatte die Namen sämtlicher Bekannten parat und verteilte seine Aufmerksamkeit gleichmäßig und zuvorkommend auf alle.

Innerlich schüttelte Alice den Kopf. Wie leicht Menschen auf derartige Mechanismen hereinfielen! Wieso brauchte ein Mensch so dringend die Anerkennung anderer … selbst, wenn es zum eigenen Nachteil war?

Sie seufzte lautlos.

Obwohl sie die negativen, hässlichen Seiten ihres Vaters, eines ebenso erfolgreichen wie umjubelten Rugbystars, über Jahre hinweg erdulden musste, war sie nach der Scheidung ihrer Eltern vor Sehnsucht nach ihm fast vergangen. Wie oft war er betrunken oder auch gar nicht zu ihren Verabredungen aufgetaucht? Und immer wieder hatte sie ihm vergeben, wenn er sich tränenreich entschuldigte und versprach, es würde nie wieder vorkommen. Dabei war er ein so lustiger, charmanter Mann gewesen, der geborene Entertainer. Doch sobald er trank, wurde er bitter, streitsüchtig und ungerecht.

Alice sah sich erneut um.

Gemeinsam mit Luis hatte sie zuvor den Club besichtigt: die historischen Räume im Obergeschoss, die Galerie und natürlich auch die Bibliothek. Sie hatte Fotos vom großen Speisesaal mit seinen schweren Kronleuchtern und dunklen Holzvertäfelungen gemacht und sich dabei vorgestellt, wie Lady Radford hier gespeist hatte.

Nach der privaten Sightseeingtour war sie schon halb entschlossen gewesen, sich zurückzuziehen, da ihre Doktorarbeit wartete, doch dann erlag sie der Versuchung, mehr Zeit an dem Ort zu verbringen, an dem die Lady wichtige Kontakte geknüpft hatte. Möglicherweise konnte sie ja noch zusätzliche Inspiration tanken …

Um sie herum floss Champagner in Strömen, aus allen Ecken schallten ihr Geplauder und Gelächter entgegen.

Wenn sie Luis jetzt beobachtete, lachend und wild gestikulierend vor seinem begeisterten Publikum, dachte sie daran, wie er auf dem Weg hierher noch seinen Jetlag beklagt hatte. Gekleidet in einen edlen Designeranzug, hatte er ihr überzeugend versichert, ihr knielanges schwarzes Kleid sei perfekt für diese Party. Gut so, denn als Alternative hätte nur noch ein Lederrock zur Auswahl gestanden.

Leider trugen alle anderen weiblichen Gäste festliche Roben in Gold-, Silber- und Rottönen, während ihr selbst auf ihrer Besichtigungsrunde mehrfach Getränkewünsche aufgetragen wurden, weil man sie für eine Servicekraft gehalten hatte!

Gerade wandte sich Luis einer atemberaubend attraktiven Frau zu, senkte den Kopf und raunte ihr etwas ins Ohr, worauf diese die schlanken Arme um seinen Hals legte und sich die beiden umarmten … weit über das Maß hinaus, was man als vornehm zurückhaltend hätte bezeichnen können.

Alice zupfte ihren Kleidersaum zurecht. Für sie war es Zeit zu gehen. Sie stand auf und griff nach ihrer Tasche.

„Ich bin ein absolut mieser Gastgeber, oder?“

Sie zuckte mit den Schultern und hasste es, dass sein schiefes Lächeln die Kraft hatte, ihr Herz höherschlagen zu lassen. „Kein Problem, ich bin ohnehin nur mitgekommen, um Eindrücke für meine Dissertation zu sammeln, und jetzt ist es höchste Zeit für mich …“

Sie brach ab, als sie seine Hand auf ihrem Arm spürte. „Lass uns tanzen. Dabei kannst du mir dann in Ruhe deine These erläutern.“

Sie wollte Nein sagen, stattdessen verfolgte sie gebannt, wie er sich lässig seiner Smokingjacke entledigte und damit einen Körper enthüllte, der ihren Mund trocken werden ließ: Über schmalen Hüften und einem flachen Bauch bot sich ihr der Anblick breiter, muskulöser Schultern … und ein Lächeln, das sich in den goldbraunen Augen widerspiegelte und sie völlig schwach machte.

Wie ferngesteuert legte sie ihre Hand in seine und ließ sich auf die Tanzfläche führen. Bereits nach den ersten Tanzschritten hätte Alice fast lustvoll aufgestöhnt, weil ihr Prinz sich auf dem Parkett so sexy und geschmeidig wie eine Raubkatze bewegte, dass sie stark versucht war, es ihm nachzutun. Und das, obwohl ihre Freundinnen sie bezichtigten, noch steifer und ungelenker als eine Giraffe zu sein!

Luis lächelte und nickte ermutigend, was Alice zu einer Art Pirouette verleitete, die sie unversehens an seiner Brust landen ließ.

„Ich fange an zu glauben, dass dies doch noch ein besonders gelungenes Weihnachtsfest werden könnte“, raunte Luis dicht an ihrem Ohr.

Noch ehe sie auf seine Bemerkung reagieren konnte, entstand eine Unruhe im Hintergrund durch eine Truppe Männer mittleren Alters, die den Clubraum betraten und auf dem Weg zur Bar nach jemandem riefen.

Alice erstarrte, als sie im Zentrum der Gruppe ihren Vater erkannte, die Arme um die Schultern zweier ebenfalls schwankender Gefährten gelegt. Seine unnatürlich glänzenden Augen und die stark geröteten Wangen sagten ihr, dass er betrunken war.

Das konnte nicht … das durfte nicht passieren!

Sie musste hier weg, jetzt sofort. Doch ihre Füße wollten ihr nicht gehorchen. Ein nächster Song übertönte die Stimmen der Neuankömmlinge, und Alice bekam vage mit, dass Luis sie fragte, ob mit ihr alles in Ordnung sei.

Dann schaute ihr Vater genau in ihre Richtung, Alice duckte sich weg, strauchelte und floh mit einem erstickten Laut nach draußen.

Dio! Wusste sie denn nicht, dass er nur ein wenig mit ihr flirtete?

Luis verfolgte irritiert, wie Alice sich, einem flüchtigen Reh gleich, zwischen den erstaunten Partygästen hindurchdrängte, die angesichts ihrer unübersehbaren Panik tuschelten und den Kopf schüttelten.

Einen Moment lang war er versucht, sie einfach gehen zu lassen, verunsichert durch dieses seltsame Verhalten. Bis vor einer Minute hatte es so ausgesehen, als würde Alice den Abend genießen … auf ihre eigene ruhige Weise, dann stürmte sie unangekündigt davon, genau wie damals nach der Hochzeit seines Bruders.

Luis gab sich einen Ruck und folgte ihr, um ihr wenigstens ein Taxi zu rufen. Fast hätte er sie noch erwischt, bevor sie den Haupteingang passierte. Er rief ihren Namen, doch da war sie bereits draußen im strömenden Regen!

Er hastete hinterher, fluchte, als ein vorbeifahrendes schwarzes Taxi ihn nass spritzte, und versuchte es erneut. „Alice!“

Sie reagierte nicht, und während er langsam bis auf die Haut durchnässt wurde, näherte sich seine Laune dem Nullpunkt. Dann bog sie in eine Fußgängerzone ein, doch als er selbst um die Ecke kam, war sie wie vom Erdboden verschluckt.

„Alice!“ Wut und aufsteigende Panik machten seine Brust eng. Was, wenn ihr etwas passierte? Wie gut kannte sie London überhaupt? Er begann zu joggen. Es gab mehrere Arkaden und enge Gassen, die von der Straße abgingen. Sie hätte in jede von ihnen abgebogen sein können.

Erneut brüllte er ihren Namen, gefolgt von einem lästerlichen Fluch. Und dann sah er sie in einer dunklen Türnische am Boden hocken. Sie zitterte wie Espenlaub. „Bitte nicht schreien …“, flüsterte sie tonlos. Als sie im Schein der Straßenlampe zu ihm aufschaute, erinnerten ihre Augen ihn mehr denn je an ein scheues Reh, jetzt allerdings zu Tode erschrocken.

Luis trat einen Schritt zurück und hob beschwichtigend die Hände. „Ich habe mir nur Sorgen gemacht.“ Er wartete auf eine Erklärung von ihrer Seite, doch die kam nicht. „Du kannst nicht hier im Regen bleiben“, sagte er sanft und streckte ihr ruhig eine Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. „Du musst ins Warme. Ich bringe dich zurück in die Villa oder auch ins Hotel, falls du nicht mit mir zurück …“ Er atmete tief durch. „Es tut mir so leid, Alice, wenn ich dir unabsichtlich Angst eingejagt …“

Vehement schüttelte sie den Kopf. „Es lag nicht an dir.“

Was oder wer hatte sie dann so verschreckt? Hundert Fragen brannten ihm auf der Zunge, doch er wollte sie nicht drängen.

Alice trat aus dem Türeingang und schlang die Arme fest um sich. „Kannst du mir ein Taxi rufen? Ich habe keines anhalten können …“

Ihr Haar war tropfnass, was ihr zartes Gesicht mit den hohen Wangenknochen noch schmaler und verletzlicher aussehen ließ. Auch ihr schmaler Körper wirkte so zerbrechlich, dass er sich danach sehnte, sie an seine Brust zu ziehen und ihr zu versichern, alles würde gut werden.

Alice wies mit dem Kinn in Richtung Club. „Du musst zurück zu deiner Party …“ Ihr Blick blieb an seinem durchnässten Hemd hängen, und sie schnitt eine kleine Grimasse. „Tut mir leid, jetzt habe ich deinen Abend ruiniert …“

„Unsinn.“ Er geleitete sie bis zur Hauptstraße, wo andere Passanten ihren Weg kreuzten. „Ich verstehe zwar nicht, was passiert ist, würde dir aber liebend gern helfen.“

„Ich … ich habe jemanden im Club gesehen und dachte …“ Sie brach ab und biss sich auf die Lippe. „Ich dachte, er sei es, der mich verfolgt.“ Ihre Blicke trafen sich, und Alice lächelte zittrig. „Und jetzt bist du bis auf die Haut durchnässt.“

Luis spürte heißen Zorn in sich aufwallen. Er wollte wissen, wer sie so in Panik versetzt hatte, zurück in den Club gehen und den Mistkerl zur Rede stellen. Stattdessen blieb er an ihrer Seite, bis ein Taxi in Sicht kam, trat auf die Straße und zwang es auf diese Weise anzuhalten. Der Fahrer kurbelte seine Scheibe herunter und beschimpfte ihn aufs Wüsteste. Luis unterbrach das Gezeter, indem er seine Brieftasche hervorzog und ein Bündel Geldnoten hochhielt.

Innerhalb von wenigen Minuten steuerten zwei abgefundene männliche Fahrgäste zufrieden den nächsten Pub an, während die Geschäftsführerin des Clubs Alice und Luis nach einem kurzen Telefonat die zurückgelassenen Mäntel zum Taxi brachte.

Auf der Heimfahrt in Richtung Mayfair musste Luis die Hände zu Fäusten ballen, um sich daran zu hindern, Alice in seine Arme zu ziehen, weil sie, trotz ihres Mantels, immer noch heftig zitterte.

Vor einem Kaufhaus standen Leute auf dem Bürgersteig und bestaunten die festlichen Weihnachtsdekorationen in den Schaufenstern. Doch momentan hatte Luis dafür nur wenig Sinn. Er hatte auf eine ausgelassene Partynacht gehofft, während der er das, was er hinter sich gelassen hatte, und das, was vor ihm lag, wenigstens für ein paar Stunden vergessen könnte, stattdessen erschreckte irgendein Idiot seinen Gast zu Tode.

Warum musste für ihn immer alles schieflaufen?

Ich schäme mich, dein Vater zu sein.

Er war vierzehn, als sein Vater ihm diese Worte an den Kopf geworfen hatte.

Einmal ausgesprochen, aber seitdem ein Stigma, das sein Erzeuger mit jedem Blick und jeder erneuten Kritik an seinen Lebensentscheidungen untermauerte. In seinen Augen brachte er, Luis, dem Königshaus und der Familie nur Schande und tat nichts, um dieses Urteil zu entkräften.

Dabei waren sie einander einmal sehr nah gewesen: beide leidenschaftliche Sportler, beide extrovertiert bis stürmisch, doch nach dem Tod seiner Mutter war sein Vater zunehmend introvertierter, gereizter, unberechenbarer geworden. Und er hatte für sich daraus die Lehre gezogen, sich nie auf eine Beziehung einzulassen, die so eng war, dass man nach ihrem Ende so gebrochen zurückblieb wie im Fall seines Vaters.

Sein Ruf als notorischer Playboy-Prinz passte der sensationslüsternen Regenbogenpresse gut ins Konzept, und Luis dachte nicht daran, ihn zu zerstreuen, konnte er seinen Vater damit doch zur Weißglut treiben. Außerdem genoss er sein schnelles, aufregendes Leben und zog es allemal den königlichen Pflichten vor, die zukünftig auf ihn warteten.

Trotzdem hatten weder Sport noch Partyleben die Leere in seinem Innern füllen können. Eine Leere, die Alice O’Connors zurückhaltende Präsenz noch größer erscheinen ließ, ohne dass er verstand, warum das so war.

Er wandte den Kopf, lächelte sie an und spürte, wie sein Herz sich zusammenzog angesichts ihres tapferen Versuchs, das Lächeln zu erwidern. Dann schaute sie rasch weg, aber nicht schnell genug, um ihre Tränen vor ihm verbergen zu können. Instinktiv legte er seine Hand neben ihre.

Alice erschrak, als sich ihre Finger berührten, ihr Blick flog zu ihm zurück … vorsichtig und abschätzend, als müsse sie überlegen, ob sie ihm trauen konnte.

Luis versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen, weil sie ihre Hand zurückzog.

Alice ging zu ihrer Schlafzimmertür, stoppte kurz davor, wirbelte herum und kehrte frustriert zum fliederfarbenen Zweisitzer am Fenster zurück. Keine Frage, sie schuldete Luis eine Erklärung und angemessene Entschuldigung für ihr seltsames Verhalten. Aber vielleicht war es ja besser, damit bis zum Morgen zu warten, wenn sie weniger aufgewühlt wäre …

Die letzte Stunde war ein einziger Albtraum gewesen. Luis musste sie ja mindestens für hysterisch, wenn nicht psychisch absolut instabil halten! Bei ihrem ersten Treffen zwang sie ihm einen Kuss auf, und heute Abend lief sie ohne Erklärung davon und ließ ihn allein auf dieser Party zurück.

Aber wie ihm das erklären, ohne Erinnerungen und Gefühle zuzulassen, die vergessen und begraben bleiben sollten?

Vielleicht würde es ihr leichter fallen, wenn er sich so gereizt und ungeduldig gezeigt hätte wie damals ihr Ex, als ihr Vater sie ständig telefonisch terrorisierte und mit haltlosen Vorwürfen bombardierte. Inzwischen war es mehr als ein Jahrzehnt her, dass Rory ihr empfohlen hatte, die Schuld dafür bei sich selbst zu suchen, anstatt ihren Vater zu diffamieren, was dazu führte, dass sie irgendwann tatsächlich begann, an ihrer eigenen geistigen Gesundheit zu zweifeln.

Kein Wunder, dass ihre Beziehung kaum ein Jahr gedauert hatte. Seither bestand ihr Liebesleben aus einer Litanei katastrophaler erster Verabredungen, die sie, wenn überhaupt, nur halbherzig fortgesetzt hatte, weil ihre beste Freundin Toni darauf bestand, dass sie nicht für immer Single bleiben konnte. Was ihr davon geblieben war, waren Erinnerungen an Lügen, Ausreden und typisch männlichen „Versprechern“, was Alter, Beruf und Beziehungsstatus betraf.

Alice seufzte, stand auf, näherte sich erneut der Tür und holte tief Luft. Sie war Gast in diesem Haus und schuldete Luis zumindest eine Entschuldigung.

Vor ihrem inneren Auge sah sie ihn wieder unter der Straßenlaterne im Regen stehen, mit angespannter Miene und offenkundiger Besorgnis im eindringlichen Blick. Einen Sekundenbruchteil war sie versucht gewesen, vor Erleichterung über sein Erscheinen in Tränen auszubrechen, hatte sich aber zum Glück im letzten Moment daran erinnert, dass ihr Urteil, was Männer betraf, feststand. Und dass ein Playboy-Prinz nicht unbedingt dazu geeignet war, es plötzlich zu revidieren.

Sie fand Luis in der unteren Küche. Auch er hatte offensichtlich geduscht, trug jetzt lässige graue Jeans zum dunkelblauen Kaschmirpulli, lehnte am Küchentresen und naschte irgendetwas aus einer Kristallschale. Als sie den Raum betrat, schaute er kurz auf.

„Möchtest du?“, fragte er und hielt ihr die Schüssel hin.

„Ich mag keinen Pudding.“

„Nie oder nur aus Protest gegen Weihnachten?“

Trotz oder vielleicht auch wegen ihres angegriffenen Nervenkostüms entlockte ihr das ein hysterisches Kichern, und angesichts seiner fragend erhobenen Brauen flüchtete sich Alice in den angrenzenden Waschraum. Mit bebenden Händen stopfte sie ihre nassen Sachen in die Waschmaschine und stellte sie an, bevor sie in die Küche zurückkehrte, sich räusperte und Luis’ Blick suchte.

„Tut mir leid wegen heute Abend … ich dachte, jemand anderer würde mir folgen.“

Luis steckte einen mit Sahne verzierten Löffel Weihnachtspudding in den Mund, musterte ihr immer noch nasses Haar und sah, wie sie schauderte. Er wies mit dem Kinn in Richtung Tresen, kaute und schluckte. „Ich habe eine Kanne Tee aufgebrüht. Milch steht im Kühlschrank, auf Zucker wirst du vermutlich verzichten.“

Alice stutzte. „Warum denkst du das?“

In seinen Augen blitzte es belustigt auf. „Du wirkst so organisiert und beherrscht, obwohl …“ Er grinste.

„Was?“

„Als du mir damals im dunklen Palastgarten nachgestellt hast …“

„Ich brauche die Milch. Und Zucker!“

Sein Grinsen wurde breiter, als er die Tür in seinem Rücken öffnete, die Milchtüte herausnahm und zu ihr an den Tresen trat. „Sag Stopp …“, raunte er ihr zu, und als Alice sich endlich dazu in der Lage fühlte, war ihr Tee mehr als hellblond.

Ohne aufzuschauen, nippte sie an dem viel zu süßen und verdünnten Tee, froh über die kleine Atempause, bevor sie sich ihrem Gastgeber gegenüber erklären musste. Irgendwann stellte sie den Becher auf dem Tresen ab und gab sich einen Ruck. „Ich sah mich heute Abend im Club völlig unerwartet meinem Vater gegenüber“, brachte sie gepresst hervor. „Wir stehen nicht in Kontakt.“

Luis’ Miene verfinsterte sich. „Du hast Angst vor ihm?“

„Angst …?“ Sie seufzte, schüttelte den Kopf und wandte sich in ihrer Hilflosigkeit schon halb zum Gehen. Am besten, sie wünschte Luis eine gute Nacht, verzichtete auf weitere Erklärungen und hakte die unliebsame Begegnung einfach ab.

„Soll ich die Polizei verständigen?“

„Nein!“ Alice schluckte. „Ich … es war nur der Schock, ihn so unerwartet vor mir zu sehen. Von meiner Tante hatte ich gehört, er sei schon vor Jahren nach Frankreich gezogen, um dort Rugby-Trainer zu werden. Ich wollte nur weg, und als du mir gefolgt bist, dachte ich, er wäre es.“

„Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe.“

„Unsinn!“ Alice lächelte schief. „Wenn sich einer entschuldigen muss, dann ich, weil ich deine Party ruiniert habe.“

„Keine Sorge, Partys wie diese gibt es dauernd“, sagte er fast gelangweilt und musterte sie unter zusammengeschobenen Brauen hervor. „Hat er dich verletzt, Alice?“

Die unerwartete Sanftheit in seiner dunklen Stimme trieb ihr heiße Tränen in die Augen. „Nein, nicht wirklich. Er … er ist Alkoholiker, auch wenn er das selbst nie zugeben würde.“ Sie schluckte mühsam. „Früher war er Rugby-Profispieler, musste aber wegen einer Verletzung aufhören und hat sich mit Alkohol über den vorgezogenen Ruhestand hinweggetröstet. Mich hat er nie verletzt …“

Sie senkte den Blick und spürte ihr Herz schmerzhaft oben im Hals schlagen, während sie an die verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern zurückdachte … an das Geräusch von Schlägen, die anschließende Stille und daran, wie ihre Mutter am nächsten Tag so tat, als wäre nichts geschehen, und versucht hatte, die blauen Flecken zu verbergen. Sie wollte es nicht zulassen, dass man Freddie O’Connor, den begnadeten Rugbyspieler und berühmten Sohn der Stadt, womöglich als gewalttätigen Schläger outete.

„Wir müssen nicht darüber reden, wenn du nicht willst, Alice.“

Sie nickte, dankbar, dass er sie nicht drängte, und berührte verlegen ihre feuchten Locken. „Ich muss meine Haare föhnen.“ An der Tür drehte sie sich noch einmal um. „Danke, dass du heute Abend so … so nett und fürsorglich warst.“

Luis lachte rau auf. „Das klingt überrascht.“ Alice hob nur vage die Schultern, und sein Lachen verebbte. „Ich denke, wir haben uns beide falsch eingeschätzt.“

Überrascht suchte sie seinen Blick und fragte sich, wer Luis von Monrosa wirklich war, der Partyprinz oder dieser eher nachdenkliche, nette Mann vor ihr. Konnte sie sich in ihrer Einschätzung derart getäuscht haben? Vielleicht …

„Schlaf gut, und sei gnädig mit dir selbst“, riet er sanft. „Nichts, was heute Abend geschehen ist, geht auf dein Konto.“

Alice nickte nur stumm, und während sie die Treppe hinaufstieg, klopfte ihr Herz so heftig, dass sie unwillkürlich eine Hand darauf presste und sich fragte, ob man Prinz Luis von Monrosa eher als ungeheuer gefährlich oder ungeheuer betörend bezeichnen musste.

3. KAPITEL

Konzentration! Sonst würde ihre Doktorarbeit nie fertig werden.

Du wirst doch jetzt, so kurz vor dem Ende, nicht aufgeben wollen! meldete sich die scharfe, energische Stimme aus ihrem Hinterkopf. Wo sind dein Feuer und deine Leidenschaft geblieben? Dein Traum von einer Karriere, der dich die letzten Jahre bei der Stange gehalten hat? Allein schon, um deinem Vater zu beweisen, dass er im Unrecht ist, wenn er die von dir angestrebte Karriere als brotlose Kunst abtut.

Mechanisch scrollte Alice sich durch unzählige Seiten auf ihrem Laptop, die getippt zu haben sie sich kaum noch erinnern konnte.

Mit jedem Atemzug wurde ihre Brust enger und die Panik, ihre Dissertation nie zu Ende zu bringen, größer. Und selbst wenn … was, wenn sie anschließend keine Dozentenstelle bekam? Oder eine Stelle, an der sie sich absolut fehl am Platz fühlte?

Wo war ihre Leidenschaft für das Thema ihrer Arbeit geblieben?

Ratlos schaute sie sich im fast leeren Lesesaal der British Library um. Dann schloss sie die Augen. Keine Panik … du bist stark, fokussiert und kannst das …

Doch anstatt mit dem Tippen anzufangen, fand sie sich unversehens mit ihren Gedanken in ihrem Elternhaus wieder, am Heiligabend. Ihr Vater war den gesamten Sommer irgendwo im Ausland gewesen, und am Tag seiner Heimkehr hatten sie sogar gemeinsam Weihnachtseinkäufe gemacht und danach in einem chinesischen Restaurant gegessen. Doch dort trafen sie auf völlig unbekannte Fans von ihm, die ihren Vater zu ein paar abschließenden Drinks in der örtlichen Bar überredeten, von denen er sich weder durch Bitten und Flehen ihrer Mutter noch durch heimliche Tränen seiner Tochter abhalten ließ.

Am frühen Weihnachtsmorgen wurde Alice vom Geschrei ihrer Mutter geweckt, die versuchte, ihren betrunkenen Ehemann aus dem Haus zu drängen. Dann folgte ein heftiger Schlag, der dumpfe Fall eines Körpers, gefolgt von beängstigender Stille.

Alice knirschte mit den Zähnen, während vertraute heiße Wut in ihr aufflammte. Er hatte ihre Kindheit zerstört, doch ihre Zukunft würde sie ihn nicht ruinieren lassen. Sie musste sich zusammenreißen und sich endlich wieder voll und ganz Lady Radfords politischen Ambitionen widmen …

„Na endlich! Ich habe dich schon überall gesucht.“

Mit einem unartikulierten Schrei fuhr Alice aus ihrem Stuhl hoch. Was, um alles in der Welt, hatte Luis hier verloren? Und warum wirkte er so zufrieden mit sich selbst?

Irgendwo im Hintergrund machte jemand ein missbilligendes Geräusch.

Jetzt zog er auch noch einen Stuhl heran und setzte sich zu ihr.

„Was willst du hier?“, zischelte Alice ihm zu und spürte, wie sie errötete.

Seine Brauen wanderten nach oben. „Na, das hört sich ja fast so an, als freust du dich gar nicht, mich zu sehen“, warf er ihr breit grinsend vor. „Weißt du überhaupt, wie schwer es war, diese heiligen Hallen zu entern?“ Er streckte die langen Beine aus und gähnte herzhaft. „Als ich deine Nachricht vorfand, die besagte, dass du heute hier arbeiten wolltest, beschloss ich spontan, dich zum Dinner zu entführen.“

„Solltest du nicht längst auf dem Weg nach Monrosa sein?“

Luis beugte sich vor und fixierte ihren leeren Bildschirm aus schmalen Augen. „Das hat keine Eile.“

„Ich bin sehr beschäftigt.“

„Sah mir aber nicht danach aus, als ich hier ankam.“

Gereizt klappte sie ihren Laptop zu. „Was willst du von mir, Luis?“

Jetzt stützte er sein Kinn auf die Hand und musterte aufmerksam ihre verschlossene Miene. „Sicherstellen, dass es dir gut geht, bevor ich dich verlasse“, sagte er ruhig. „Ich kenne da nämlich ein großartiges peruanisches Restaurant in der Nähe und bin sicher, eine Pause könnte dir guttun.“

Heute hatte sie sich wahrlich keine Mittagspause verdient! Alice wollte gerade ablehnen, doch sein aufrichtig besorgter Blick ließ sie widerwillig nicken. Vielleicht konnte sie ihn ja während des Essens davon überzeugen, dass sie bestens allein zurechtkam und er London guten Gewissens verlassen durfte.

Und wenn Luis endlich auf dem Weg nach Monrosa war, würde sie sicher wieder konzentriert arbeiten können.

Luis beobachtete Alice dabei, wie sie vor dem weihnachtlich geschmückten Eingang des Restaurants nervös auf und ab lief. Sie hatten gerade ihr Essen bestellt, da klingelte ihr Handy, und nach einem besorgten Blick aufs Display hatte Alice sich entschuldigt und war nach draußen gegangen.

Okay, was immer ihre Probleme waren, sie gingen ihn nichts an. Und ehrlicherweise musste Luis sich eingestehen, dass sie ihm auch ein willkommener Vorwand waren, seine Heimreise immer weiter hinauszuzögern. Der Gedanke an Monrosa und was ihn dort erwartete, entlockte ihm einen Seufzer: dauerhaft im Palast leben zu müssen, eingeengt vom Hofprotokoll und den überspannten Erwartungen seines dominanten Vaters …

Gerade steckte Alice ihr Handy weg, kam aber nicht gleich wieder hinein, sondern stand da wie eingefroren und starrte ins Leere. Hatte es vielleicht wieder mit ihrem Vater zu tun? Wie schaffte es dieser Mistkerl nur, seine Tochter derart in Angst und Panik zu versetzen?

Und wie könnte er selbst Alice in diesem Zustand hier zurücklassen? Er musste sie unbedingt fragen, wo sie Weihnachten feiern würde. Am Ende ganz allein in diesem leeren Haus …?

Endlich betrat sie wieder das Restaurant, reichte dem Kellner die schwarze Steppjacke und kehrte an ihren Tisch zurück. „Sorry, aber das war meine Mutter.“ Alice seufzte unwillkürlich auf und schüttelte den Kopf. „Dummerweise ist sie plötzlich der Meinung, dass wir Weihnachten gemeinsam in Irland verbringen sollen!“ Ihr Handy meldete sich erneut, worauf sie den Ton ausstellte. „Jetzt werde ich in einer Flut von Anrufen und Texten ertrinken. Meine Mutter denkt nämlich, ich sei erst neun und nicht neunundzwanzig.“

„Warum will sie, dass du nach Hause kommst?“

Alice zögerte und zuckte dann mit den Schultern. „Ich war so dumm, ihr von der unerwarteten Begegnung mit meinem Vater zu erzählen.“

„Ist er eine ernst zu nehmende Gefahr für dich?“ Sein scharfer Ton ließ sie überrascht blinzeln, und sofort hob Luis beschwichtigend die Hände. „Ich habe kein Recht, mich einzumischen, kann aber nicht vergessen, wie verängstigt du gestern Abend warst.“

„Schon gut … danke für deine Besorgnis.“ Ihre Blicke trafen sich. Ihrer wirkte zunächst unsicher und bedrückt, dann verschloss sich ihre Miene, und sie machte eine abwehrende Geste. „Mein Vater bedeutet keine Bedrohung für mich, aber meiner Mom gefällt es nicht, dass ich Weihnachten allein verbringen will. Es wäre auch das erste Mal. Bisher hat sie es immer wieder geschafft, mich zu überreden, mit ihrer Familie zu feiern.“

Alice rollte sprechend mit den Augen.

„Ein Albtraum für mich: zu viele Leute, zu viel Essen, viel zu viele überflüssige Geschenke … und dann noch Hausmusik und Weihnachtslieder!“

„Hört sich für mich nach einer Menge Spaß an.“

Das entlockte ihr ein Auflachen. „Ich glaube, dir macht jede Party Spaß.“ Sie legte den Kopf schief. „Dein Leben scheint ohnehin sehr turbulent zu sein. Jede Woche in einem anderen Land, immer wieder neue Leute und neue sportliche Herausforderungen … mir wäre das auf Dauer zu stressig. Sehnst du dich nie nach einem ruhigeren Leben?“

Luis hob überrascht eine Braue und blitzte sie an. „Folgst du mir auf meinen Social-Media-Kanälen, oder woher weißt du so viel über mich?“, neckte er sie.

Alice’ Mund stand einen Moment vor Verblüffung offen, dann schüttelte sie vehement den Kopf. „Lieber Himmel, nein! Aber meine Mutter ist eine begeisterte Leserin von Promi-Magazinen, und seit Kara in eure Familie eingeheiratet hat, hält sie es für ihre Pflicht, umfassend informiert zu sein. Ich könnte dir auch alles über Ivos Sieg in Henley und die Reise deines Vaters nach Kanada erzählen. Aber du stellst ihrer Ansicht nach beide locker in den Schatten“, versicherte sie ihm augenzwinkernd. „Gönnst du dir eigentlich jemals eine Auszeit? Oder genießt du diese andauernde Hektik in deinem Leben sogar?“

Das brachte ihn zum Lachen, aber nur kurz. Plötzlich wurde Luis bewusst, dass ihm niemand zuvor diese Frage gestellt hatte. Sie hatte sich weder provokativ noch wertend angehört, sondern aufrichtig interessiert. So, als wollte sie ihn wirklich verstehen.

Aber wie sollte er ihr diese innere Unruhe und Rastlosigkeit erklären? Dieses ständige Bedürfnis nach Veränderung, nach Neuem. Allein zu sein weckte nur Dämonen in ihm, die er sorgsam unter Verschluss hielt …

Inzwischen war ihr Essen serviert worden, und dankbar für die Ablenkung wünschte Luis seiner Tischdame einen guten Appetit. „Ich kehre nach Monrosa zurück, um mich fortan meinen königlichen Verpflichtungen zu widmen“, informierte er sie dann aber zur eigenen Überraschung nach den ersten Bissen. „Deine Mutter wird also zukünftig weniger über mich zu lesen bekommen.“

„Und was ist mit deiner Sportlerkarriere?“

Luis räusperte sich. Der Gedanke an das, was er aufgab, traf ihn wie ein Hieb auf den Solarplexus. „Ich habe meinem Vater versprochen, nach dem Gewinn der Global Series in den Palast zurückzukehren.“

Alice legte ihre Gabel zur Seite und musterte ihn aufmerksam. „Das klingt nicht gerade begeistert.“

Luis zuckte mit den Schultern. „Es ist das, was ich tun muss.“

„Na ja, zumindest hast du jetzt mehr Zeit für deine Familie und …“

„Hauptsache, mein Vater versucht nicht, mich in eine Ehe zu drängen!“, entfuhr es ihm unbedacht.

Alice verzog die Stirn. „Warum, um alles in der Welt, sollte er das tun?“

Verflixt! Er hatte vergessen, dass sie nichts darüber wusste, dass sein Vater schon Edwin gezwungen hatte, Kara zu heiraten.

„Weil es so Tradition ist: Wir sollen uns niederlassen, Erben hervorbringen und für immer glücklich zusammenleben“, erklärte er mit bitterem Unterton.

Alice ließ ihn nicht aus den Augen und legte den Kopf schief. „Hört sich an, als hältst du davon nicht besonders viel.“

Luis lachte spröde auf. Eine Unterhaltung dieser Art hatte er bisher noch nie geführt. Bisher war es ihm in Sachen Weiblichkeit allein darum gegangen, eine maximal sorglose und angenehme Zeit zu haben. „Ich habe absolut keine Lust, mein Leben damit zu verbringen, die Gefühle eines anderen für mich zu erraten.“

Alice stutzte. „Ich verstehe nicht … was meinst du damit?“

Am liebsten wäre er jetzt aufgestanden und einfach gegangen. Frustriert lockerte Luis seinen Hemdkragen. Er wollte sich mit einem Witz aus der Affäre ziehen, doch das ließ ihr ruhiger, aufmerksamer Blick nicht zu. „Du hältst meinen Lebensstil für aufreibend, aber ich finde Beziehungen enorm anstrengend. Trotz gegenteiliger Presse bin ich kein Don Juan oder Ladykiller. Es gab einige ernsthafte Beziehungen. Da ich mir aber nie sicher war, was mein Gegenüber wirklich denkt oder fühlt, entschied ich mich gegen das Heiraten … ungeachtet der Order meines Vaters.“

Alice lächelte schwach. „Was immer dich glücklich macht, Luis“, sagte sie weich. „Das allein zählt. Wir müssen nicht alle uniforme Lebenswege einschlagen, auch wenn andere unsere Entscheidungen weder verstehen noch akzeptieren …“

Was ihn seltsam berührte, waren die Traurigkeit und Resignation in ihrer Stimme, und plötzlich musste er wieder daran denken, dass sie die nächste Woche allein in London verbringen wollte. „Vielleicht hat deine Mutter doch recht, und du solltest nach Irland …“

„Hast du mir nicht zugehört?“, unterbrach sie ihn brüsk. „Ich muss meine Dissertation beenden und habe damit momentan ziemlich zu kämpfen.“

„Wie lange arbeitest du schon daran?“

Alice verdrehte die Augen. „Drei sehr lange, sehr anstrengende Jahre …“

„Vielleicht solltest du dir eine Auszeit gönnen. Gibt es in London niemanden, der dich ablenken könnte und …“

„Toni, meine beste Freundin, ist die einzige Person, die ich in London kenne, aber die ist momentan in Australien bei ihrem Freund. Vielleicht hast du mal was von Dan Ferguson gehört?“

Luis schüttelte den Kopf.

Alice zog ihr Handy hervor und präsentierte ihm das Foto eines athletischen blonden Hünen mit dunkler Brille, umrahmt von einer Gruppe strahlender Frauen. „Seine TV-Serie im letzten Jahr über italienische Geschichte war besonders bei Frauen ein absoluter Hit. Toni findet es lustig, dass ihr schüchterner Gelehrter so eine umwerfende Wirkung auf Frauen hat und sogar als Sexsymbol gehandelt wird!“

Jetzt studierte Luis das Foto intensiver, konnte diesem Dan Ferguson aber nichts abgewinnen. „Und? Hältst du ihn auch für ein Sexsymbol?“

„Wen? Dan?“ Alice lachte. „Lieber Himmel, nein …“ Dann stutzte sie und nahm ihr Gegenüber schärfer ins Visier.

Luis räusperte sich. „Gibt es eigentlich jemanden, der in Dublin auf dich wartet?“

Alice schob ihren Teller von sich. Sie hatte das pikante Hühnchenfleisch mit Gemüse kaum angerührt und jetzt völlig den Appetit verloren. Konnte Luis nicht damit aufhören, sie so intensiv anzustarren, als wäre er einem Geheimnis auf der Spur, das sie vor ihm zu verbergen suchte? Ihre Beziehungen oder besser Nichtbeziehungen gingen ihn nichts an, und auch sonst nichts, was sie betraf. Schließlich schien er auch kein Experte auf diesem Gebiet zu sein …

„Nein.“ Sie errötete unter seinem forschenden Blick und wartete darauf, dass er sie auslachte. Ein Mann wie er: Prinz, Sportass, begehrter Womanizer und Junggeselle, wie sollte er nicht amüsiert reagieren, würde er hören, dass sie noch Jungfrau war?

„Lass uns gehen.“

Auf dem Rückweg zur Bibliothek schallte ihnen aus jedem Geschäft Weihnachtsmusik entgegen. „Ich vermute, was problematische Beziehungen angeht, haben wir einiges gemeinsam?“, knüpfte er irgendwann an ihr vorheriges Thema an.

Alice zuckte mit den Schultern. „Du hattest wenigstens welche, im Gegensatz zu mir.“

Abrupt blieb er stehen. „Wie meinst du das? Ich verstehe nicht …?“

Sie seufzte. „Ich glaube nicht, dass meine einzige kurze Beziehung zählt … zumal sie schon so lange her ist“, gestand sie spröde. „Ich war neunzehn, und es hielt kaum ein Jahr. Wir lebten in verschiedenen Städten, und … und er wollte mehr von mir, als ich ihm je hätte geben können. Im Nachhinein weiß ich, dass er einfach nicht der Richtige war. Er … er war nicht besonders geduldig, weißt du?“

„Und seither hattest du keine Beziehung mehr?“

Alice schluckte mühsam und schüttelte stumm den Kopf.

„Warum?“

Wenn andere sie das fragten, schob sie immer ihre Doktorarbeit vor und behauptete, völlig zufrieden zu sein. Doch Luis schuldete sie wohl die Wahrheit … besonders nach dem gestrigen Abend. „Ich will nie mehr von jemand abhängig sein. Das habe ich meinem Vater zu verdanken.“

„Dann haben wir ja doch etwas gemeinsam.“ Sanft strich er ihr mit einem Finger über die Wange.

Alice schluckte. Küss mich, schnell, bevor ich noch ohnmächtig werde!

Worauf wartete er noch? Sie hatte zwar so gut wie keine Erfahrung mit Männern, aber die Art und Weise, wie sich seine Pupillen geweitet hatten … musste sie tatsächlich schon wieder den ersten Schritt machen?

Sie hob sich auf die Zehenspitzen, bis sich ihre Nasenspitzen berührten. Sein Blick verdunkelte sich, das Blut rauschte in ihren Ohren. Ich weiß, ich sollte gehen, aber ein Kuss? Wir werden uns doch ohnehin nie wiedersehen …

Seine Lippen streiften ihre. Alice fühlte sich schwach vor Verlangen und protestierte leise, als Luis sich zurückzog und mit beiden Händen durchs Haar fuhr. „Ich bleibe über Weihnachten bei dir in London“, informierte er sie. „Basta.“

4. KAPITEL

Alice stöhnte entnervt auf. Sämtliche Fenster am Fitzalen Square erstrahlten im hellsten Schein, was bedeutete, dass Luis immer noch im Haus war. Dabei hatte sie gehofft, er sei bereits zur Dinnerparty aufgebrochen, zu der er auch sie per SMS eingeladen hatte. Natürlich hatte sie direkt abgesagt.

Warum war er nicht nach Monrosa gefahren? Es hätte ihr das Leben unendlich einfacher gemacht. Was sie brauchte, waren Frieden und Einsamkeit, und die zu finden, solange er in ihrer Nähe war …? Unmöglich!

Hinter ihr erklangen adventliche Klänge, und als Alice sich umdrehte, sah sie eine Gruppe von Gospelsängern unter dem riesigen, festlich geschmückten Tannenbaum stehen, den man hier am Fitzalen Square aufgestellt hatte.

Sie schauderte, als sie ein beliebtes Weihnachtslied erkannte, das ihr Vater immer gesungen hatte, wenn sie im Advent mit dem Auto unterwegs gewesen waren.

Mit einem verzweifelten Blick zurück zum Haus, dann auf ihr Handy, das kurz vor zwanzig Uhr anzeigte, beschloss sie spontan, so lange Zuflucht auf dem Weihnachtsmarkt im Park zu suchen, bis Luis ganz sicher auf dem Weg zu seiner Dinnerparty sein würde.

Bis dahin wollte sie sich einen starken Espresso oder Ähnliches gönnen, um sich dann schnellstmöglich ans Tippen zu machen. Mit gesenktem Kopf marschierte sie los und ignorierte ihre Umgebung, bis sie aus den Augenwinkeln einen Stand mit handgefertigten Christbaumkugeln und üppigen Tannenkränzen entdeckte, die an dicken roten Schleifen baumelten. Direkt daneben hatte man ein Miniaturweihnachtsdorf aufgebaut, dessen entzückende Details lautstark von einem kleinen, begeisterten Jungen kommentiert wurden.

So sollte Weihnachtsvorfreude aussehen, dachte sie wehmütig, steuerte entschlossen den Teil des Marktes an, wo die Essensstände aufgebaut waren, und stöhnte, als sie die lange Schlange vor dem Kaffee- und Glühweinstand sah. Nach kurzem Zögern entschloss sie sich stattdessen für einen Donut und akzeptierte dann auch noch das Angebot des Verkäufers: drei-für-den-Preis-von-zwei.

Schließlich fand sie auch noch eine freie Bank, nahm Platz, biss herzhaft in ihren Donut und schloss genüsslich die Augen, als der Zucker in ihrem Mund zerschmolz. Sie nahm einen zweiten Bissen, öffnete die Augen … verschluckte sich und hustete, während sie Luis gemächlich auf sich zu schlendern sah.

Breit grinsend setzte er sich neben sie, wortlos schob Alice ihm die Schachtel mit den Donuts hin, und er nahm sich einen heraus.

Sie wollte ihn fragen, warum er nicht für eine Dinnerparty angezogen war, überlegte es sich aber anders und wies mit dem Kinn auf die Pappschachtel zwischen ihnen. „Ich dachte, ich gönne mir eine Überdosis Zucker, bevor ich mich ans Schreiben mache. Wird eine lange Nacht für mich werden …“

Luis musterte aufmerksam ihre angespannte Miene und hob eine Braue. Um seine Lippen spielte die Andeutung eines Lächelns. Was sollte das nun wieder bedeuten? Flirtete er mit ihr, oder veralberte er sie? Ihr fehlten sämtliche Erfahrungswerte auf diesem Gebiet, und das machte sie ganz nervös.

„Apropos Schreiben …“, stieß sie abrupt hervor und stand auf. „Je schneller ich zurück an meinen Laptop komme, desto eher habe ich Feierabend. Genieß deine Dinnerparty.“

Luis nickte, aber anstatt sitzen zu bleiben, schloss er sich ihr wie selbstverständlich an. „Ich gehe nicht aus“, informierte er sie wie nebenbei. „Ich sagte doch, ich würde in London bleiben, um dich zu unterstützen, und das meinte ich absolut ernst. Also werde ich dir ein kleines Dinner bereiten, während du dich gleich an die Arbeit machst.“

„Das … das musst du nicht.“

„Ich weiß. Ehrlich gesagt, kann ich auch nicht wirklich kochen. Aber essen müssen wir nun mal.“ Spontan umfasste er ihre Hände. „Was hältst du davon, wenn ich dich zum Dinner ausführe? Ich habe großartige Kritiken über das neue Restaurant im Hotel Russo gehört. Es ist zwei Tage vor Weihnachten, Alice. Arbeiten kannst du auch morgen …“

Das klang ebenso beschwörend wie vorwurfsvoll.

„Wir sollten uns nicht im Haus verkriechen, sondern feiern … wenigstens ein bisschen. Es ist doch nur ein Abendessen.“

„Das würdest du doch auch auf deiner Dinnerparty bekommen“, fühlte sie sich bemüßigt ihn zu erinnern.

„Ich würde aber lieber Zeit mit dir verbringen“, gab Luis lächelnd zurück.

Alice spürte ihr Herz aufgeregt pochen und senkte den Blick. Verflixt! Es wäre so leicht, auf jedes seiner wohlgesetzten Worte hereinzufallen, aber sie musste auf der Hut sein!

„Das nehme ich dir nicht ab“, sagte sie spröde. „Was hast du wirklich vor?“

Er lachte, warm und lang anhaltend. Als sie aufschaute, war sein Gesicht dicht vor ihrem, seine Augen funkelten. „Ich unterhalte mich wirklich gern mit dir. Deine Kratzbürstigkeit ist unglaublich erfrischend.“

Alice stieß zischend den angehaltenen Atem aus. „Na, einer derart gewieften Schmeichelei kann ein Mädchen natürlich nicht widerstehen!“ Sie seufzte. „Okay, ein schnelles Dinner, aber danach will ich nicht mehr gestört oder daran erinnert werden, dass Weihnachten ist. Deal?

Anstatt einzuschlagen, kam er noch näher, das Blitzen in seinen Augen fuhr ihr heiß durch sämtliche Glieder. „Versuchen kann ich es ja. Aber willst du auch wirklich, dass ich mich von dir fernhalte?“

Sie wusste, dass eine derartige Dreistigkeit eine scharfe Antwort verdiente, doch alles, was sie fertigbrachte, war ein schiefes Lächeln. Dafür rauschte ihr Blut wie glühende Lava durch ihre Adern, während sie sich an ihren ersten Kuss im Palastgarten von Monrosa erinnerte …

Abrupt wandte Alice sich um. „Was ist?“, fragte sie über die Schulter. „Gehen wir nun essen oder nicht?“

Als sie zu ihrem Tisch im schwach beleuchteten Restaurant geleitet wurden, folgte Luis ihr mit ein paar Schritten Abstand und versuchte, nicht auf ihre sexy Kehrseite unter dem geschmeidigen schwarzen Leder zu starren. Sie hatte ihren Mantel abgelegt und dabei eine weiße Seidenbluse enthüllt, die im engen Bund eines aufregenden Lederminirocks steckte.

Zur Hölle! Er ballte die Hände zu Fäusten und versuchte nicht daran zu denken, wie sich ihre weichen Lippen unter seinen öffneten und ihre warme seidige Haut auf seiner …

Nein! Mit aller Macht wehrte er sich gegen ebenso wilde und sehnsüchtige wie egoistische Fantasien, die zu nichts führen würden. Was sollte es Alice helfen, in eine Affäre mit ihm verwickelt zu werden? Ganz davon abgesehen, dass sie quasi zur Familie gehörte!

Gegen einen kleinen Flirt konnte wohl niemand etwas einwenden, immerhin war er ja auch nur ein Mensch. Aber Hauptmotiv seines Handelns war und blieb, dass Alice Weihnachten nicht allein und einsam in London verbringen sollte.

Er setzte sich ihr gegenüber an den ihnen zugewiesenen Tisch neben einer raumhohen Fensterfront, die sich über die gesamte Länge des Restaurants in der obersten Hoteletage erstreckte. Die Kerze auf ihrem Tisch spiegelte sich in der Scheibe wider, und Luis lächelte, als Alice ihre Stirn dicht ans Glas brachte und hinausschaute. „Ich kann fast die Themse sehen! Tagsüber muss die Aussicht von hier oben geradezu spektakulär sein.“ Sie seufzte enttäuscht. „Eine Schande, dass man nachts so wenig erkennt.“

Ihr Kellner, der an den Tisch getreten war, räusperte sich dezent. „Wir dimmen schon die Innenbeleuchtung, um eine bessere Sicht zu ermöglichen. Aber es gibt auch verschiedene VIP-Außenbereiche, die unsere Gäste zum Dessert nutzen können.“

Jetzt wandte sich der Mann mit einer angedeuteten Verbeugung an Luis. „Normalerweise werden sie im Voraus gebucht, aber ich kann dafür sorgen, dass ein Bereich für Sie reserviert wird, Hoheit.“

Luis gegenüber wand sich Alice auf ihrem Stuhl, doch als er fragend eine Augenbraue hob, nickte sie verlegen.

Der Kellner brachte ihnen die Menükarten, kehrte nach ein paar Minuten mit Mineralwasser und Amuse-Gueules, einer Auswahl an delikaten Häppchen als Gruß des Hauses, zurück und nahm ihre Bestellungen entgegen. Man einigte sich darauf, auf eine Vorspeise zu verzichten; als Hauptgericht entschieden sich beide für eine Empfehlung des Küchenchefs, eine Kreation aus Heilbutt und Austern.

Nachdem der Kellner gegangen war, lehnte sich Luis in seinem Stuhl zurück und nickte Alices Spiegelbild im Fenster zu. „Mir persönlich gefällt die Aussicht … ich sehe dich zweimal.“

Alice runzelte unwillig die Stirn, was ihn zum Lachen brachte. „Und das soll ich dir abnehmen? Gib schon zu, dass du es genießt, dein eigenes Spiegelbild zu betrachten.“ Jetzt funkelten ihre Augen herausfordernd. „Wie fühlt es sich eigentlich an, als eines der heißesten Sexidole weltweit vergöttert zu werden?“

Luis grinste und zuckte achtlos mit den breiten Schultern. „Ich habe vor Ewigkeiten aufgehört, anderer Leute Sermon über mich zu beachten. Was du in der Yellow Press zu lesen bekommst, hat nichts mit mir als Privatperson zu tun.“

Er machte eine Pause, als ihr Kellner ihm ein Glas Rotwein und Alice frisches Mineralwasser servierte. Als er gegangen war, hob Luis sein Glas zum Toast. „Wenn du dir und mir genügend Zeit gibst, kommst du vielleicht noch selbst zu diesem Schluss“, neckte er.

Alice betrachtete ihn aufmerksam, ohne eine Miene zu verziehen. Ihr Haar hatte sie zu einem schlichten Pferdeschwanz zusammengebunden, wodurch ihr langer, schlanker Hals, den eine schlichte Silberkette zierte, noch verletzlicher erschien als ohnehin.

„Wie würdest du dich denn selbst beschreiben?“, fragte sie ernst.

„Als Profisportler“, antwortete Luis spontan und schob dann die dunklen Brauen zusammen. „Oder sollte ich besser sagen, als Ex-Profisportler?“

„Du willst deine Power-Boat-Rennen also definitiv aufgeben?“

Er griff nach seinem Weinglas, verschluckte sich aber leicht und hüstelte. „Ich habe es noch nicht öffentlich angekündigt …“ Er verstummte.

„Es muss eine schwierige Entscheidung sein, wenn man bedenkt, wie erfolgreich du bisher warst. Wirst du es nicht vermissen?“

Mit jeder Faser meines Herzens! Aber das sagte er nicht laut.

„Nicht die Niederlagen oder Frustration ob mechanischer Probleme, schlechten Wetters und falscher Taktiken.“

Sie musterte ihn mit dieser ihr eigenen Ernsthaftigkeit, die ihn völlig verunsicherte. Er nahm einen Schluck von seinem Merlot und hielt unauffällig Ausschau nach dem Kellner. Wo blieb er nur mit ihrem Essen? „Ich werde die Herausforderung vermissen, die Kameradschaft. Das Team ist für mich wie eine Familie.“

„Es ist eine ganze Menge, was du mit deinem Weggang aufgibst“, konstatierte Alice ruhig. „Erzähl mir von deinem Team. Und wie es war, dem Weltmeistertitel nachzujagen.“

Überrascht von ihrer Frage zögerte er zunächst. Doch dann spürte Luis ein drängendes Verlangen, tatsächlich hier und jetzt über Justin, Ryan, Anna und den Rest der Crew zu reden. Über die Hochs und Tiefs, die sie während ihrer achtjährigen Gemeinschaft erlebt hatten, auf dem Weg an die Weltspitze.

Eine ganze Weile später, als der Kellner ihre leeren Teller bereits wieder abräumte, registrierte Luis überrascht das befreiende Gefühl, eine lange und wichtige Zeit seines Lebens mit jemand anderem geteilt zu haben.

„Was werden deine Aufgaben sein, wenn du zurück in Monrosa bist?“

Er zuckte zusammen und schnitt eine Grimasse.

Dio! Das hätte jetzt nicht kommen müssen, angesichts seiner Frustration und Befürchtung, dass sein Vater, wie gewohnt, nicht nur seine Fähigkeiten infrage stellen, sondern unter Garantie auch jeden seiner Vorschläge von vornherein ablehnen würde.

Alice, die, wie er inzwischen wusste, familiäre Dissonanzen und Probleme aus eigener Erfahrung kannte, wartete geduldig auf seine Antwort. Seltsam, jeden anderen hätte er brüsk abgewimmelt, aber bei ihr war alles anders …

„Da mein Vater abdankt und Edwin an seiner Stelle den Thron besteigt, ist meine Rolle noch nicht vollständig definiert. Ursprünglich hatte mein Vater vorgesehen, dass ich das Finanzministerium unterstütze, dank meines Diploms in Betriebswirtschaft und Finanzwesen. Hier hätte ich seiner Meinung nach den wenigsten Schaden anrichten können, weil ich ihm und seinem Gefolge weiter unterstellt gewesen wäre. Doch das war vor meiner Entscheidung gewesen, mich dem Profisport zu widmen.“

„Aber jetzt, da Edwin das Ruder übernommen hat und dir dein Sport doch so sehr am Herzen liegt, kannst du dann nicht …?“

Luis schüttelte den Kopf, da er wusste, wohin dieses Gespräch führen würde. „Ich werde mein Versprechen, nach Monrosa zurückzukehren, nicht zurücknehmen“, sagte er mit fester Stimme. „Edwin verfolgt ehrgeizige Pläne und sucht meine Unterstützung, die ich ihm fest zugesagt habe. Selbst, wenn ich gewisse Kompromisse eingehen müsste, um meinen Vater zu besänftigen. Ich … bestimmt wird es besser laufen als gedacht.“

„Absolut ehrenwert und loyal …“, murmelte Alice, biss sich dann auf die Unterlippe und räusperte sich. „Ich bewundere dich dafür, dass du dein Wort hältst, aber denkst du nicht, dass es möglich wäre, eine Art Kompromiss zu finden? Dass du auch in Monrosa eine Rolle spielen könntest, in der die jahrelangen Erfahrungen deiner Sportlerkarriere von Nutzen sein könnten? Okay, ich kenne dich nicht besonders gut … trotzdem, in meinen Augen besitzt du die seltene Gabe, andere Menschen inspirieren, motivieren und begeistern zu können. Dich hinterm Schreibtisch irgendeiner Behörde zu verschanzen wäre die reinste Verschwendung.“

Mit jedem Wort war ihr Tonfall leidenschaftlicher geworden.

Luis fühlte sich wie paralysiert von dieser unerwarteten Schützenhilfe und hatte Mühe, das Gehörte zu verarbeiten. Hatte Alice vielleicht sogar recht mit dem, was sie sagte? Unwillkürlich schüttelte er den Kopf.

Nein, seit Ewigkeiten stand fest, dass er das schwarze Schaf der Familie war. Derjenige, der Schwierigkeiten verursachte, den sein Vater als Nagel zu seinem Sarg bezeichnete, und seinen Geschwistern gegenüber ein Verräter, der sein Vergnügen über die Bedürfnisse seiner beiden Brüder stellte.

„Kara hat mich heute angerufen …“, brachte sich Alice mit leiser Stimme in Erinnerung. „Sie ist enttäuscht, dass du zu Weihnachten nicht in Monrosa bist.“

„Ich weiß“, murmelte er dumpf. „Glaub mir, Edwin hat kein Blatt vor den Mund genommen, was das betrifft und …“

„Und ich halte als Ausrede her, damit du nicht im Kreise deiner Familie feierst.“

Für den Bruchteil einer Sekunde war er versucht, das rundheraus zu leugnen, doch dann zuckte er nur mit den Schultern. „Dir Beistand zu leisten war meine Hauptantriebsfeder, aber ich gebe zu, dass es zugleich eine bequeme Ausrede bot, Weihnachten nicht in Monrosa feiern zu müssen.“

„Zumindest bist du ehrlich.“ Alice biss sich auf die Unterlippe und verwünschte ihre brennenden Wangen. „Mein Vater hat mir ständig etwas vorgemacht und mich belogen, ohne mit der Wimper zu zucken …“ Ihre Stimme verebbte. „Versprich, dass du nicht dasselbe tust. Versprich mir, immer ehrlich zu mir zu sein.“

Schlichte Worte, die den Emotionen, die sich dahinter verbargen, nicht gerecht wurden, ihn aber nahezu überwältigten. Sein Herz raste, und als er eine Hand über den Tisch auf Alice zuschob, sah er, dass sie zitterte.

„Ich verspreche es.“

Ganz langsam legte sie ihre Hand in seine. Sie lächelten sich an.

Es war ein unsicheres und zugleich sehr intimes Lächeln. Und für Luis fühlte es sich so an, als würde der Boden, auf dem er sich bisher durchaus sicher gefühlt hatte, plötzlich unter ihm weggezogen werden.

5. KAPITEL

Ihr Kellner hatte ihnen eine spektakuläre Aussicht avisiert und damit nicht zu viel versprochen. Was er allerdings vergessen hatte zu erwähnen, war der Umstand, dass ihnen Dessert und Kaffee auf der Dachterrasse nicht am Tisch serviert wurden, sondern auf einer Art Diwan, sprich: einem luxuriösen Doppel-Tagesbett!

Auch, dass sie hier oben ganz allein sein würden, hatte er für sich behalten.

Worauf hatte sie sich nur eingelassen?

„Wir können wieder hinuntergehen, wenn dir das lieber ist“, bot Luis an.

War ihre Bestürzung so offensichtlich? Alice schloss für eine Sekunde die Augen.

Reiß dich zusammen, dummes Ding! schalt sie sich im Stillen. Wie oft bekommst du wohl die Gelegenheit geboten, neben einem echten Prinzen auf dem Dach eines Luxushotels in einem Doppelbett Kaffee zu trinken? Ihr seid beide voll angezogen, also entspann dich gefälligst und genieße …

Möglichst graziös entledigte sich Alice ihrer High Heels und griff nach der flauschigen Wolldecke am Fußende des Bettes, wobei sie ihr Bestes tat, die offenkundige Belustigung ihres Begleiters zu ignorieren. Gegen die Bettrückseite gestützt, bot sie ihm einen Deckenzipfel an, was Luis wie erhofft ablehnte.

Sobald sie eine bequeme Position für sich gefunden hatte, seufzte Alice wohlig, schloss die Augen und versuchte, ihre Atmung zu kontrollieren. Irgendwann hob sie zögernd die Lider, wandte den Kopf und begegnete Luis’ amüsiertem Blick. Sein weiches Lächeln war wie eine Liebkosung.

„Sicher, dass du ein rebellischer Teenager warst?“, fragte sie rau. „Kaum zu glauben, angesichts deiner durchgängig sonnigen Natur …“

Luis hob eine dunkle Braue, dann knöpfte er unerwartet Mantel und Anzugjacke auf, zog sein blütenweißes Hemd aus dem Hosenbund und enthüllte ein kleines Tattoo unterhalb seiner Rippen.

Alice blinzelte, rückte näher, um es begutachten zu können, und berührte selbstvergessen den naturgetreu abgebildeten Baum auf bronzefarbener Haut. „Ich glaube nicht, dass man etwas so Wunderschönes unter Rebellion verbuchen kann …“, murmelte sie.

Luis lachte und fing ihre Hand ein, als Alice sie zurückziehen wollte. In seinen Augen blitzte es herausfordernd auf. „Zeig mir dein Tattoo“, forderte er.

„Ich habe keins.“

Erneutes Auflachen. „Was für eine Überraschung!“, spottete er gutmütig. „Ich bin sicher, du warst ein artiges Mädchen.“

Sie nickte und stimmte in sein Lachen ein, aber nur für einen kurzen Moment, dann wurde sie plötzlich ernst. „Meine Mutter hatte genug auszuhalten, auch ohne zusätzlichen Ärger von meiner Seite.“

Schlagartig war Luis ernst, hielt ihre Hand aber weiter umfangen, zwischen ihnen auf der Matratze. „Das tut mir sehr leid.“

„Schon okay, aber … warum ein blühender Baum?“, fragte sie, allein schon, um das Thema zu wechseln. „Die meisten Teenager ziehen doch etwas Düsteres vor, wie einen Totenschädel oder so etwas.“

Achselzuckend steckte er sein Hemd wieder fest. „Er gehört zum Familienwappen meiner Mutter.“

Alice schluckte. „Jetzt bin ich wohl an der Reihe, mich zu entschuldigen …“

Luis schwieg einen Moment, dann sagte er sanft: „Ihr Bild vor meinem inneren Auge verblasst immer mehr, und so habe ich eine dauerhafte Erinnerung.“

„Es war nicht fair, dass du sie so früh verlieren musstest.“

Sekundenlang sahen sie einander in die Augen, und Luis kam immer dichter, bis sich Schritte näherten, worauf er sich abrupt zurückzog.

Ihr Kellner stellte ihre Desserts auf einem Tischchen ab und entfernte sich wieder.

„Hmm …“, seufzte Alice genießerisch angesichts der üppigen Portion Schokoladenmousse. „Ich liebe Schokolade!“

Luis lachte leise. „Ich weiß. Auf Karas und Edwins Hochzeit hast du dich auch bevorzugt am Dessert-Buffet aufgehalten.“

„Das stimmt doch gar nicht!“, protestierte Alice und merkte erst verspätet, dass er sie neckte.

„Schon überraschend, dass wir uns vor Karas Hochzeit nie getroffen haben. Sie hat im Laufe der Jahre öfter von dir gesprochen …“

„Ich wollte sie auch häufiger besuchen, aber die Arbeit …“ Sie zuckte mit den Schultern und zögerte. „Meiner Mutter ging es nach der Trennung von meinem Vater sehr schlecht, und als sie sich etwas gefangen hatte, ging ich zum Studium nach Dublin, und da ich mir keine eigene Unterkunft leisten konnte, zog ich bei Karas Vater ein. Irgendwie hielten das alle für eine gute Idee …“

„Du weißt von Karas Bruder Michael, oder?“

„Ja, er hat sich das Leben genommen“, antwortete sie ruhig. „Kara redet nicht viel über ihn, aber ich weiß, dass sie ihn schrecklich vermisst.“ Sie schluckte. „Nach seinem Tod und der Scheidung von Karas Eltern machten sich meine Mutter und ihre Schwestern Sorgen um ihren Vater und baten mich, ihn im Auge zu behalten. Zum Glück haben wir uns sehr gut verstanden, und ich bin froh, dass inzwischen auch Kara wieder mit dem Schicksal und ihren Eltern versöhnt und glücklich mit deinem Bruder Edwin verheiratet ist …“

Sie wartete auf eine Reaktion von ihm, doch nichts kam.

„Was ist?“, hakte sie irritiert nach. „Gibt es etwas, das mir bisher entgangen ist, ich aber vielleicht wissen sollte?“

Dio! Wie sollte er sich jetzt aus der Affäre ziehen? Hatte er Alice nicht gerade erst versprochen, sie nie zu belügen?

Aber würde er Edwin und Kara nicht verraten, indem er ihr Hochzeitsarrangement offenlegte? Und konnte er wirklich darauf vertrauen, dass Alice es niemandem erzählte?

Sie wartete auf seine Antwort, zuerst irritiert, dann zunehmend misstrauisch.

„Karas und Edwins Ehe entspricht vielleicht nicht ganz dem, was du dir darunter vorstellst“, formulierte er vorsichtig.

„Soll heißen?“

Luis seufzte. „Mein Vater hat das Erbrecht geändert. Damit Edwin nach ihm den Thron einnehmen konnte, musste er zuvor heiraten.“

Alice stutzte, dann schüttelte sie ungläubig den Kopf. „Du ziehst mich auf … oder willst du damit etwa andeuten, dass dein Bruder Kara zu einer Scheinehe überredet hat?“

Angesichts ihrer grimmigen Miene hob er beide Hände in Abwehr. „Kein Grund, sauer auf mich zu sein, ich war damals strikt dagegen.“

„Und jetzt plötzlich nicht mehr?“, zischte Alice aufgebracht. „Weißt du eigentlich, was Kara alles hat durchmachen müssen?“

„Inzwischen sind die beiden total verliebt … behaupten sie zumindest. Anscheinend waren sie das schon seit Jahren, Michaels Tod hat nur alles schrecklich kompliziert.“

„Ich kann es nicht fassen, dass sich Kara zu so etwas hat überreden lassen!“

Luis zuckte mit den Schultern. Letzten Monat waren Edwin und Kara extra zu seinem vorletzten Rennen auf Korsika gekommen. Er hatte es fast als peinlich und doch irgendwie auch als beneidenswert empfunden, wie dreist die beiden herumgeturtelt hatten, sobald sie sich unbeobachtet glaubten.

„Allein wichtig ist doch, dass sie sich jetzt lieben, oder?“

So schnell war Alice nicht zufriedenzustellen. „Hmm, mag sein“, brummte sie.

„Du bist nicht etwa eifersüchtig?“

„Niemals! Warum sollte ich auch jemandem etwas neiden, das für mich nicht infrage kommt?“ Voller Misstrauen musterte sie seine gelassene Miene. „Hast du etwa deine Meinung inzwischen revidiert, was das Heiraten betrifft?“

Luis schauderte. „Niemals!“

Aber dann trafen sich ihre Blicke, und etwas Unerwartetes brach sich tief in seinem Innern Bahn. „Jemanden so dicht an sich heranzulassen muss unglaublich …“ Angesichts ihrer entsetzten Miene brach er ab und wechselte abrupt das Thema. „Da eine Ehe also für dich ein No-Go ist, wie sehen deine Zukunftsträume aus?“

Er musste eine Weile warten, dann ließ Alice einen tiefen Seufzer hören. „Bis vor ein paar Monaten war ich mir noch absolut sicher: meine Dissertation fertigstellen und mit dem Doktortitel in der Tasche einen Job an der Uni ergattern. Aber jetzt …“

„Aber jetzt …?“, ermutigte Luis sie, da nichts folgte.

„Meine Motivation, die Doktorarbeit fertigzustellen, hat sich verflüchtigt, das muss doch etwas zu bedeuten haben. Vielleicht habe ich mich geirrt, als ich mich für ein Geschichtsstudium entschied.“

„Für mich klingt das so, als würdest du einfach nur eine Pause brauchen.“

Alice lehnte sich zurück und schloss die Augen. „Vielleicht hast du recht …“ Und ein Weilchen später: „Was ist mit dir? Wie sehen deine Träume aus?“

„Meinen Traum habe ich doch gerade erst verwirklicht“, erinnerte er sie.

„Du musst doch noch andere haben.“

Luis zuckte mit den Schultern. „Nichts Spezielles.“

Ihre Augen wurden groß. „Ich habe dich immer für jemand gehalten, der ständig voller Optimismus auf der Lebensleiter nach oben strebt.“

„Ganz falsch ist dieser Eindruck nicht. Ich habe eine demonstrativ positive Lebenseinstellung stets als Verteidigungsschild eingesetzt, um fruchtlosen Diskussionen auszuweichen.“

„Und? Funktioniert es?“

Er lachte rau auf. „Fast immer, außer offenbar bei dir.“

„Soll heißen?“

Luis fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Dio! Normalerweise gelingt es mir recht gut, mir nicht in die Karten schauen zu lassen.“

„Tut mir leid, wenn ich dich zu sehr bedränge, aber irgendwie scheint es wichtig zu sein“, endete sie hilflos.

Er verstand, was sie meinte, und nickte. Keiner von ihnen beiden hatte gesucht, was gerade zwischen ihnen passierte. Luis seufzte und rückte ein Stück näher, bis sich ihre Arme berührten und ihre Köpfe nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. „Solange du mir nicht wehtust …“

Alice schluckte und suchte seinen Blick. „Habe ich das bereits getan?“

„Nun … du hast mich geküsst.“ Er erinnerte sich an seine anfängliche Irritation und sein vages Amüsement, das sich rasant in heißes Begehren verwandelt hatte. „Und dann bist du einfach weggelaufen, und ich fragte mich verzweifelt, was ich falsch gemacht habe.“

Sie seufzte sehnsüchtig. „Glaub mir, du hast absolut nichts falsch gemacht …“

Ganz zart strich er mit einem Finger über ihr Kinn. „Beweise es … küss mich noch einmal, aber lauf diesmal nicht wieder davon.“

Alice lächelte, merkte aber schnell, dass er es ernst meinte.

Luis spürte ihren warmen Atem auf seiner Wange und sog begierig den leichten Duft ihres Parfums ein. Sein heißes Verlangen spiegelte sich in ihren wundervollen Augen wider, dann spürte er ihre weichen Lippen auf seinen, und die Welt um ihn herum schien sich aufzulösen.

Er hörte Alice leise seufzen, ihre Hand war an seinem Hals, zog ihn näher, und ehe er wusste, wie ihm geschah, lag er halb auf ihr. Mit fiebrigen Fingern zerrte sie an den Knöpfen seines Jacketts, dann an seinem Hemd, bis er ihre eifrigen Hände auf der nackten Brust spürte. Sein Körper brannte vor Verlangen, und als er aufstöhnend sein Gewicht verlagerte und sich über sie schob, bog sie sich ihm ungeduldig entgegen.

Luis vertiefte den Kuss, schob eine Hand unter ihren biegsamen Körper und konnte nur noch daran denken, ganz eins mit diesem Zauberwesen zu werden. Er wollte mit ihr schlafen, ihren aufregenden Körper erforschen, ihre weiche Haut schmecken und erleben, wie sie unter seinen heißen Liebkosungen dahinschmolz.

Würde sie leise stöhnen oder Lust und Verlangen laut herausschreien? Was war wohl ihre Lieblingsstellung?

Das war Wahnsinn! Alice brauchte ganz sicher keine derartigen Komplikationen in ihrem Leben. Mit äußerster Willensanstrengung zog Luis sich zurück auf seine Seite.

Sie starrte ihn an, mit bebenden Lippen und brennenden Wangen. Dann setzte sich Alice mit einem Ruck kerzengerade auf. „Sorry, dass es länger gedauert hat als beabsichtigt … “, murmelte sie rau. „Ich kann dir aber definitiv versichern, mit deinen Küssen ist alles in Ordnung.“ Damit sprang sie vom Bett und angelte nach ihren High Heels. „Ich denke, es ist an der Zeit, sich auf den Heimweg zu machen …“

6. KAPITEL

Alice zog sich in den Kaufhauseingang zurück und ließ die Menschenmasse, die sich entlang der Oxford Street auf der Jagd nach letzten Weihnachtsgeschenken anrempelte, an sich vorbeiziehen. Sie hasste dieses typische Shoppen-in-letzter-Minute-Chaos.

Für gewöhnlich organisierte sie übers Internet einen Wellnesstag für ihre Mutter in einem örtlichen Hotel und Gutscheine für alle Mitglieder ihrer Großfamilie in ihren jeweiligen Buchläden. Damit waren ihre Weihnachtspflichten auch schon erledigt.

Seufzend starrte sie auf ihr Handy. Es war kurz vor Mittag.

Hatte sie tatsächlich volle drei Stunden eingekauft? Nie hätte sie gedacht, dass es so stressig werden könnte, trotzdem hatte es sich als fast unmöglich erwiesen, etwas Passendes zu finden. Was Luis wohl von ihrer Wahl hielt? Sicher war er an teure Luxuspräsente gewöhnt und würde sich heimlich amüsieren. Ob sie die Sachen zurückgeben sollte? Aber die Schlangen an den Kassen schienen nur noch länger geworden zu sein.

Am besten, sie machte sich gleich wieder an ihre Doktorarbeit, doch nach dem gestrigen verrückten Abend scheute sie sich, in die Stadtresidenz zurückzukehren.

Sie hatte wirklich nicht beabsichtigt, den Probekuss so heiß und lange auszudehnen. Und wenn Luis ihn nicht von sich aus abgebrochen hätte …

Aber er hatte es getan, und sie war so beschämt darüber, dass sie sich heute Morgen aus dem Haus hatte schleichen wollen, ehe er aufwachte. Als sie im Schrank nach einem dicken Pullover suchte, fiel ihr der Stapel Weihnachtsgeschenke in die Hände, auf dem ihre Mutter bestanden hatte, dass sie ihn mit nach London nahm, um sich ihr einsames Christfest zu versüßen.

Autor

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Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

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