Julia Herzensbrecher Band 2

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ACHTUNG - SEXY BOSS! von ALLY BLAKE
Hannah kann ihren Urlaub kaum erwarten: Vier Tage im wild-romantischen Tasmanien, wo die Hochzeit ihrer Schwester stattfindet! Denn Hannah braucht dringend eine Auszeit von ihrem sexy Boss Bradley Knight. Aber Überraschung: Bradley besteht darauf, sie zu begleiten!

KOMM ENDLICH HER UND KÜSS MICH! von MAYA BLAKE
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HEIMLICH VERLIEBT IN DEN CHEF von HELEN BROOKS
Gina ist heiß verliebt in ihren gut aussehenden Chef Harry Breedon - ebenso heimlich wie hoffnungslos? Als sie ein attraktives Jobangebot erhält, lädt er sie überraschend zu einem Dinner bei Kerzenschein ein … Hat Harry nur Angst, seine beste Angestellte zu verlieren? Oder ist da mehr?


  • Erscheinungstag 27.10.2017
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709877
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Ally Blake, Maya Blake, Helen Brooks

JULIA HERZENSBRECHER BAND 2

1. KAPITEL

„Sie sind es doch, oder?“

Der umwerfend attraktive Mann mit der dunklen Sonnenbrille erstarrte. Auf die bunte Passantenmenge, die am späten Nachmittag an dem Straßencafé auf der Brunswick Street entlanghastete, wirkte er einfach nur cool. Groß, breitschultrig und dunkelhaarig. Und sein Lächeln war so verführerisch, dass es ein buchstäbliches Verkehrschaos auslöste.

Aber Hannah wusste es besser.

Sie verwettete ihre gesamten Ersparnisse darauf, dass er sich seines gnadenlos guten Aussehens sehr genau bewusst war. Im Moment schien er nur verzweifelt zu hoffen, dass die ältere Dame an eine Verwechslung glaubte.

Doch er hatte kein Glück.

„Natürlich sind Sie es!“ Entschlossen stampfte die Frau mit dem Fuß auf. „Der Produzent von ‚Voyagers‘. Ich habe Sie in Zeitschriften und im Fernsehen gesehen. Meine Tochter findet Sie toll. Sie möchte sogar ein Casting mitmachen, um von Ihnen mit Zahnbürste und Schokoladenkeksen die Berge hinaufgeschickt zu werden. Und das soll was heißen! Man kriegt das Mädchen nicht mehr vom Sofa herunter. Wissen Sie was? Ich gebe Ihnen ihre Telefonnummer. Sie ist hübsch und dazu noch Single …“

Hannah, die ihrem Chef gegenübersaß, wurde von der Frau keines Blickes gewürdigt. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen.

Ihr Chef war wie die Berge, deren Bezwingung ihn berühmt gemacht hatte: ein Hüne, zäh, unnachgiebig und rätselhaft. Deshalb amüsierte sich Hannah auch jedes Mal, wenn er nervös wurde, sobald ihm ein übereifriger Fan zu nahe kam.

Hannah arbeitete seit rund einem Jahr für Bradley Knight und hatte schnell festgestellt, dass offene Bewunderung die Achillesferse ihres Chefs war. Auszeichnungen, überschwängliche Kollegen und Schmeichler – all das war ihm zuwider.

Und dann waren da die Fans. Die unglaublich vielen Fans, die ihn verehrten. Und es gab keinen Zweifel daran, dass man Bradley Knight mit seinen fast zwei Metern Größe einfach verehren musste. Ritterlich verehren musste, wie sein Name schon sagte.

Unwillkürlich spürte Hannah einen Kloß im Hals.

Sie räusperte sich und fing an, unruhig auf ihrem Stuhl umherzurutschen.

Ihr Chef durfte auf keinen Fall merken, dass auch sie in schwachen Momenten Schmetterlinge im Bauch hatte, sobald sie an ihn dachte. Dass sie feuchte Hände und Hitzewallungen bekam. Ihre heißen Fantasien konnte sie nicht einmal ihrer besten Freundin erzählen, die Hannah ohnehin ständig damit aufzog, wie nah sie täglich ihrem gut aussehenden Chef kam.

Autohupen holte Hannah in die Realität zurück, schwer atmend und mit verträumtem Blick auf Bradley.

Sie hatte hart gearbeitet und jede erdenkliche Stelle angenommen, um letztendlich ihren Traumjob zu finden. Und sie würde alles tun, um ihn zu behalten.

Abgesehen davon war es Zeitverschwendung, einen Kerl wie Bradley Knight anzuhimmeln. Er war eine harte Nuss und ließ keinen an sich heran, auch sie nicht. Und wenn es um Beziehungen ging, war Hannah bedingungslos: Sie suchte ihren Traumprinzen.

Also vergiss ihn.

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Fast vier. Puh. Das vor ihr liegende Wochenende kam wie gerufen. Vier Tage Urlaub von ihrer stressigen Arbeit waren genau das, was sie jetzt brauchte.

Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Frau zu. Man konnte meinen, dass sie ihren Chef mit vorgehaltenem Messer bedrohte, so gespenstisch still saß er da.

Hannah schob den Stuhl zurück und entschied sich einzuschreiten, um Bradley weitere Qualen zu ersparen. Sie legte einen Arm um die Frau und schob sie unsanft vom Tisch weg.

Die Frau schien erst jetzt ihre Anwesenheit zu bemerken. „Kennen Sie ihn?“, fragte sie atemlos.

Hannah warf einen Blick auf Bradley. Sie wusste selbst nicht, welcher Teufel sie gerade ritt, als sie der Frau zuraunte: „Besser als er sich selbst.“

Die Frau riss die Augen auf und musterte Hannah. Dabei schien ihr kein Detail zu entgehen: Die Knoten, die sich für gewöhnlich nachmittags in Hannahs Haar bildeten. Die vielen Knitterfalten in ihrem Designerkleid. Die Uhr ihres Vaters, die viel zu groß war für ihr schmales Handgelenk. Die Cowboystiefel, die unter ihrer Kleidung hervorlugten.

Die Frau lächelte.

Hannah ahnte plötzlich, dass sie mit der nichtsnutzigen Tochter verglichen wurde, die sich nie vom Sofa wegbewegte. Sie wurde kleinlaut und schwieg.

Acht Stunden zuvor hatte sie noch ausgesehen wie die persönliche Assistentin des erfolgreichsten australischen Fernsehproduzenten und Bergsteigers – und das, obwohl sie in der Provinz aufgewachsen war. Doch trotz aller persönlichen Veränderungen merkte man ihr die provinzielle Vergangenheit noch immer an …

Sie verdrängte das Thema und erwiderte schulterzuckend: „Ich bin Mr Knights persönliche Assistentin.“

„Oh.“ Die Frau nickte, als ob es keinen anderen Grund geben konnte, warum sich ein Mann wie Bradley mit einer Frau wie Hannah abgab.

Nach einem kurzen Gespräch drehte Hannah die Frau in die entgegengesetzte Richtung, gab ihr einen kleinen Schubs und winkte ihr zum Abschied zu. Geistesabwesend trottete die Frau die Straße entlang.

Hannah seufzte erleichtert. Sie hatte wieder eine Aufgabe erledigt. Als sie sich umdrehte, hatte Bradley die Sonnenbrille hochgeschoben, sodass man einen kurzen Blick auf seine faszinierenden silbergrauen Augen werfen konnte. Einen sehr kurzen Blick.

Dann begann sich Bradley zu dehnen. Langsam reckte er Muskel für Muskel seinen beeindruckenden Körper, bis er seine langen Beine ganz unter dem Tisch ausgestreckt hatte.

Doch seine Lässigkeit war gespielt. Sie war seine Waffe im Kampf gegen das gewisse Etwas, das die Menschen um ihn herum anzog wie die Motten das Licht. Aber die mühsam unterdrückte Kraft, die in seinem Innern brodelte, machte ihn nur noch unwiderstehlicher. Ein vertrautes Gefühl strich über Hannahs Haut, sanft dahinschmelzend und pulsierend.

Sie wusste, dass er seine schlechte Laune wegen des Geschehenen an ihr auslassen würde. Doch es gelang ihr nicht, sich innerlich von ihm zu lösen.

Es war ihr noch nie gelungen.

Hannah brauchte Zeit und Abstand von Bradley und seinen kreativen Visionen. Zeit und Abstand, um einen Mann kennenzulernen. Ihren Traumprinzen.

Sie wusste, dass er irgendwo da draußen war. Sie würde auf ihn warten. Keine Kompromisse eingehen wie ihre Mutter, die sich nach dem Tod ihres Vaters in drei Ehen gestürzt hatte, die alle unglücklich endeten. So stellte sie sich ihr Leben nicht vor.

Das schöne Gesicht ihres Chefs war ihr jetzt so nahe, dass Hannah der Atem stockte. Bradley Knight war ein echter Hingucker. Doch bei ihm war Herzschmerz vorprogrammiert. So viele hatten schon ihr Glück mit ihm versucht und viele mehr würden es noch tun, doch niemandem würde es gelingen, den Berg zu bezwingen. Bis jetzt hatte ihn noch keine Frau halten können.

Hannah zupfte an ihrem Pferdeschwanz, setzte ein Lächeln auf und ging zum Tisch zurück. Bradley sah nicht auf. Wahrscheinlich hatte er ihre Abwesenheit noch nicht einmal bemerkt.

„Eine nette Dame“, flötete Hannah. „Wir sollten ihrer Tochter eine signierte Kopie der letzten Staffel von ‚Voyagers‘ schicken.“

„Warum immer ich?“, fragte Bradley, den Blick in die Ferne gerichtet.

„Du bist eben ein Glückspilz“, erwiderte sie sarkastisch.

„Findest du, dass ich glücklich bin?“, fragte er.

„Oh ja. Das ist dir in die Wiege gelegt worden. Warum solltest du sonst so verdammt erfolgreich sein in allem, was du machst?“

Er wandte sich Hannah zu. Trotz der dunklen Sonnenbrille hatte seine ungeteilte Aufmerksamkeit einschlagende Wirkung. Ihr Herz schlug schneller.

Mit rauer Stimme meinte er: „Dann ist also mein Leben keine Mischung aus harter Arbeit und männlichen Primärinstinkten?“

Hannah sah in den wolkigen blauen Himmel und versuchte sich zu sammeln. „Nein“, erwiderte sie.

Sein polterndes Lachen rüttelte an ihren ohnehin schon strapazierten Nerven. Eine Hitzewelle fuhr durch ihren Körper. Wie leichtsinnig von ihr, sich in die Höhle des Löwen zu wagen!

„Wenn du das Geheimnis deines Erfolgs wissen willst, dann ruf die Tochter dieser Dame an. Lade sie zum Abendessen ein, und frag sie selbst.“ Sie wedelte mit dem Zettel, auf dem Adresse und Telefonnummer der Frau standen. „Ich denke gerade an einen PR-Coup: ‚Bradley Knight verabredet sich mit einem weiblichen Fan. Verliebt sich und zieht in einen Vorort. Wird Trainer der Kinderbaseballmannschaft. Und gibt nun jedes Wochenende Grillpartys.‘“

Sie sah, wie er hinter der Sonnenbrille die Stirn runzelte. Dann setzte er sich langsam aufrecht hin. Es sah sogar halbwegs lässig aus, und doch war er spürbar angespannt. Hannahs Herz pochte aufgeregt.

„Wie gut …“, setzte er in warnendem Ton an, „… dass du meine Assistentin bist und nicht meine Pressebeauftragte.“

Hannah schob den Zettel in ihren übervollen Terminkalender. „Das ist wahr. Denn ich möchte nicht für alles Geld der Welt meine Tage damit verbringen, die Menschheit von deiner Einzigartigkeit zu überzeugen. Ich arbeite viel, aber auch für mich gibt es Grenzen.“

Stirnrunzelnd beugte er sich über den Tisch. Für einen Moment verdeckte Bradley mit seinem imposanten Körper die Sonne. Der goldene Lichtkranz über seinem Kopf betonte seine Größe noch mehr.

Ihre Finger berührten einander fast. Hannah spürte, wie sich jedes einzelne Haar auf ihren Armen lustvoll aufrichtete. Um ihn nicht aus Versehen zu streifen, schob sie ihre Füße so weit wie möglich unter den Stuhl zurück.

„Wir sind heute nicht zum Scherzen aufgelegt, was?“ Seine Stimme war ruhig und leise. Ihr ganzer Körper vibrierte.

Er reckte sein Kinn in ihre Richtung. „Stimmt etwas nicht?“

Und dann nahm er die Sonnenbrille ab. Seine Augen waren rauchgrau und nahmen, je nach Stimmung, die Farbe von Quecksilber an. Im Augenblick waren sie von undurchdringlichem Anthrazit.

Der Mann war ein solcher Workaholic, der gleich ein Dutzend Anweisungen gab, wenn er Hannah nur erblickte. Doch jetzt sah er sie abwartend an. Hannahs Kehle zog sich zusammen.

„Ob etwas nicht stimmt?“, wandte eine fremde Stimme ein. „Nun ja, unsere Hannah ist in Gedanken schon bei ihrem sündigen Wochenende.“

Hannah erschrak so sehr, dass sie sich auf die Lippe biss.

Trotz des einschießenden Schmerzes war sie fast sicher, den Bruchteil einer Sekunde Enttäuschung auf Bradleys Gesicht bemerkt zu haben. Mit der Zunge spielte sie an ihrer geschwollenen Lippe und bemerkte, dass Bradley sie dabei beobachtete.

Und als ob sie sich das Ganze nur eingebildet hätte, sah er schließlich weg, lehnte sich zurück und wandte sich an den Urheber des frechen Kommentars.

„Sonja!“, rief er gedehnt. „Schön, dich zu sehen.“

„Ganz meinerseits“, erwiderte Sonja.

„Perfektes Timing“, fügte Hannah mit leicht belegter Stimme hinzu. „Bradley wollte mir gerade deinen Job anbieten.“

Sonja schien völlig ungerührt. Als Hannah den amüsierten Gesichtsausdruck ihres Chefs sah, stieg ein warmes Gefühl in ihr auf, und sie musste schmunzeln. Sonja war nicht nur Bradleys PR-Guru, sie war auch Hannahs Mitbewohnerin. Und der einzige Grund, warum Hannah mit einem Haartrockner umzugehen wusste und sich in ihrem Kleiderschrank nicht nur die unvermeidlichen Jeans und T-Shirts befanden.

Sonja zwängte ihre Kurven in einen Stuhl und schlug die Beine übereinander. Dabei ließ sie ihr iPhone nicht eine Sekunde aus den Augen. Blitzschnell strich sie mit einem pink lackierten Fingernagel über das Display.

Hannah wurde unruhig. Sie legte eine Hand auf das Handy der Freundin. Sonja blinzelte verwirrt.

„Wenn du auch nur daran denkst, irgendetwas über mein ausschweifendes Wochenende zu twittern, bestelle ich einen Rote Beete-Burger und werfe ihn auf dein Kleid.“

Sonja blickte stirnrunzelnd auf ihr Ensemble aus cremefarbener Wolle. Langsam schob sie das iPhone in das winzige Krokolederetui zurück.

„Warum habe ich schon wieder das Gefühl, anders zu sein als alle anderen?“, setzte Bradley an.

Beide Frauen wandten sich ihm zu.

Mit gequältem Gesichtsausdruck fuhr er fort: „Mir wird schon schlecht bei dem Gedanken, aber ich muss es einfach wissen. Sünde? Ausschweifung?“

Bei dem Wort „Ausschweifung“ warf er Hannah einen unergründlichen Blick zu, bevor er sich wieder Sonja zuwandte. Dieser Bruchteil einer Sekunde genügte, dass Hannah der Atem stockte.

Junge, sie brauchte wirklich Urlaub. Und zwar sofort.

Sonja bestellte einen Espresso. „Für einen so schlauen Kerl hast du, wenn es nicht gerade um dich oder deine Berge geht, ein Gedächtnis wie ein Sieb. Dieses Wochenende fährt Hannah nach Hause ins wunderschöne Tasmanien und ist Trauzeugin auf der Hochzeit ihrer Schwester Elyse. Und sie hat die Hochzeit organisiert.“

Sein Blick wanderte zurück zu Hannah. „Ist das schon dieses Wochenende?“

Hannah sah ihn flüchtig an. Sie hatte ihm wahrscheinlich ein Dutzend Mal in den vergangenen beiden Wochen davon erzählt, aber offenbar war es nicht bei ihm angekommen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

Sonja hatte ins Schwarze getroffen. Wenn Bradley an etwas nicht interessiert war, blendete er es schlichtweg aus.

„Ich fahre dieses Wochenende nach Neuseeland“, meinte er.

„Stimmt.“ Hannah sah auf ihre Uhr. „Und ich bin in zehn Minuten weg. Was sind denn deine Pläne, Sonja?“

In ihren Worten lag unüberhörbarer Sarkasmus. Sonja musste grinsen. „Ich werde schrecklich neidisch und ganz allein in unserer kleinen Wohnung sitzen. Du wirst dieses Wochenende das große Los ziehen und jeden Kerl bekommen, den du willst.“

„Welches Los?“, fragte Hannah.

Sonja sah ihr tief in die Augen. „Unmengen schicker, in Aftershave gebadeter Männer auf der Suche nach Romantik. Und auf Trophäenjagd. Gibt es in der Geschichte der Menschheit eine eindeutigere Veranstaltung?“

Mit diesen Worten lehnte sich Sonja zurück und wandte sich wieder ihrem iPhone zu.

Hannah saß stocksteif da. Der Nachmittag war kühl, doch ihr wurde langsam wärmer. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie als Trauzeugin so weit entfernt war, und hatte sich daraufhin entschieden, die Hochzeit ihrer kleinen Schwester zu organisieren. Ein Urlaubsflirt war ihr in den wenigen freien Minuten, die sie am Tag zur Verfügung hatte, überhaupt nicht in den Sinn gekommen.

Aber vielleicht war ein heißes Wochenende genau das, was sie brauchte. Entspannen, abtauchen, auftanken – und daran erinnert werden, dass es außerhalb von Bradley Knights Einflussbereich noch eine andere Welt gab.

„Die Trauzeugen werden Spitzenklasse sein“, fuhr Sonja fort. „Und so scharf wie Nachbars Lumpi. Am besten meidest du sie. Mein Rat ist: Such dir einen Hochzeitsgast aus, der kein Verwandter ist, das ist viel geheimnisvoller. Oder einen Fischer.“

Hannah lachte und versuchte, Sonjas lautstarke Worte zu ignorieren.

„Du nimmst doch die Pille, oder?“

„Sonja!“

Das ging entschieden zu weit. Abgesehen davon war sie so erschöpft und ihre Arbeit so anstrengend, dass sie nicht wusste, warum sie die Pille überhaupt nahm.

Doch jetzt lagen vier Ferientage vor ihr. In einer märchenhaften Winterlandschaft inmitten der Wildnis, umgeben von Dutzenden Singlemännern. Zum ersten Mal wurde ihr warm ums Herz bei dem Gedanken, nach Hause zu fahren.

Wie groß war wohl die Chance, den Mann ihres Lebens auf der Insel zu treffen, die sie vor so vielen Jahren verlassen hatte? Zum Kennenlernen blieb jedenfalls ausreichend Zeit.

Als sie die Augen aufmachte, sah sie, dass Bradley die Stirn runzelte. Hatte es womöglich mit ihr zu tun?

Sie schob die auf dem Tisch verstreuten Papiere in eine große Ledertasche und sagte mit fester Stimme: „Ich werde im Büro nachsehen, ob Spencer noch etwas für dieses Wochenende braucht.“

„Das ist also deine Vertretung für einen wichtigen Drehortsucher? Der verknallte Praktikant?“

In der Tasche ballte sie ihre Hand zur Faust und sah ihren Chef an. „Spencer ist nicht in mich verknallt. Er möchte nur so sein wie ich.“

Bradley zog die Augenbrauen hoch. „Der Junge wird schon nervös, wenn du nur den Raum betrittst.“

Soso, das hatte er also bemerkt …

„Umso besser. Ohne mich hast du ein entspanntes Wochenende.“

„Soll das ein Scherz sein?“

Hannah zuckte die Schultern. „Du weißt, Pressearbeit ist nicht meine Stärke. Aber ich bin ja zum Glück so unersetzbar, dass du mich kläglich vermissen wirst. Eigentlich wäre es an der Zeit für eine Gehaltserhöhung.“

Der Kommentar war unnötig gewesen. Doch nun war es gesagt. Bradleys graue Augen verdunkelten sich drohend. Abwesend griff er nach dem Keks auf Sonjas Untertasse und wechselte scheinbar unbeeindruckt das Thema. „Vier Tage.“

„Vier Tage und Vorbereitungen wie bei einer königlichen Trauung. Die Hochzeit ist am Sonntag. Ich bin am Dienstagmorgen zurück.“

„Übersät von Knutschflecken“, warf Sonja überflüssigerweise ein. „Hannahs Mutter war immerhin Miss Tasmanien. Dort unten ist Hannah heiß begehrte Ware.“

Zum Glück entdeckte Sonja in diesem Moment ein neues Opfer. Winkend und laut rufend lief sie davon und überließ Hannah und Bradley wieder sich selbst.

Bradley beobachtete Hannah schweigend. Sonjas eindeutige Anspielung klang immer noch nach. Hannah wollte vor Scham in den Erdboden versinken.

„Du fährst also morgen nach Hause?“, fragte er sie leise.

„Ja, morgen früh. Heute Nacht habe ich geträumt, die Spirit of Tasmania sei von Piraten gekapert worden.“

„Du fährst mit dem Schiff?“ Sicher, ein Liegestuhl an Deck eines Luxuskreuzschiffs entsprach nicht gerade Bradleys Vorstellung von Abenteuer. Blut, Schweiß und Tränen – das war es, was der Mann suchte. Insgeheim packte sie schon mal Tabletten gegen Seekrankheit ein.

Sie würde ihm nicht den wahren Grund anvertrauen, warum sie eine eintägige Schiffsreise einem einstündigen Flug vorzog. Denn in Wahrheit hatte sie Angst, nach Hause zu kommen.

Die zwölfstündige Schiffsüberfahrt war ein Geschenk des Himmels. Seit sie Tasmanien vor sieben Jahren den Rücken gekehrt hatte, war sie nur einmal nach Hause gekommen. Zur pompösen fünfzigsten Geburtstagsfeier ihrer Mutter, wie man ihr gesagt hatte. In Wahrheit feierte sie ihre dritte Hochzeit mit einem Kerl, der ein Vermögen mit Gartenutensilien gemacht hatte. Hannah war völlig entsetzt gewesen. Ihre Mutter verstand sie nicht, und die arme Elyse, damals sechzehn, stand zwischen ihnen. Eine absolute Katastrophe.

Und wenn sie zwölf Stunden lang trockene Cracker essen und auf den Punkt zwischen Daumen und Zeigefinger drücken musste, damit ihr nicht übel wurde – das war es ihr wert.

„Kennst du Tasmanien?“, fragte sie, um vom Thema abzulenken.

Er schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich.“

Hannah sah ihn mit offenem Mund an. „Nein? Unglaublich, wo es doch um die Ecke liegt! Und so wunderschön und unberührt. Die zerklüfteten Klippen von Queenstown, die aussehen, als ob Kupfer von riesenhaften Klauen aus der Erde gerissen wurde. Ocean Beach, wo der Wind die wilde Küste entlangfegt. Und dann Cradle Mountain, wo die Hochzeit stattfindet. Der Berg liegt atemberaubend am Ufer eines kristallklaren Sees. Und das ist nur ein winziger Teil der Westküste. Die ganze Insel ist wie Magie, so üppig und unverdorben. Eine echte Herausforderung …“

Sie holte tief Luft und bemerkte, dass Bradley sie mit seinen dunkelgrauen Augen betrachtete. Und ihr zuhörte. Wirklich zuhörte.

Ihr Herz begann heftig zu klopfen. Die Fantasie ging mit ihr durch. Und Bradleys Verschlossenheit machte das Ganze nur noch reizvoller. Sie dachte an ihre schlaflosen Nächte, doch die nahm sie seinetwegen gern in Kauf.

Hannah erhob sich und schwang sich die schwere Ledertasche über die Schulter. „In diesem Sinne …“

Auch Bradley stand auf. Eine mechanische Bewegung, und zugleich eine nette Geste. Nun ja, es gab Millionen von Männern, die für sie aufstehen würden. Oder zumindest Tausende. Und vielleicht würde ja der eine oder andere auf der Hochzeit ihrer Schwester sein …

Sie trat zwei Schritte zurück. „Ich hoffe, Neuseeland wird dir gefallen.“

„Ich wünsche dir ein schönes Wochenende, Hannah. Tue nichts, was ich nicht auch tun würde.“

Sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln. „Keine Angst. Ich habe nicht vor, dieses Wochenende Kleidung in die Reinigung zu bringen oder abzuholen.“

Sein ungewohnt entspanntes Lachen verschlug ihr den Atem. Sie erschauerte am ganzen Körper.

Sie setzte ihre übergroße Sonnenbrille auf, atmete tief die kalte Winterluft ein und lief in Richtung Straßenbahn, die sie zu ihrer winzigen Wohnung im Stadtteil Fitzroy zurückbrachte.

Und so begann Hannahs lang ersehnter Urlaub. Ihre erste Rückkehr in die Heimat nach drei Jahren. Das erste Wiedersehen mit ihrer Mutter, seitdem sie geheiratet hatte. Wieder geheiratet hatte.

Da musste sie jetzt durch …

2. KAPITEL

Gegen sechs Uhr morgens klingelte es an der Haustür. Hannah war im Badezimmer. Das Taxi zum Hafen konnte es noch nicht sein, es war erst in einer Stunde bestellt.

„Kannst du aufmachen?“, rief sie, doch aus Sonjas Zimmer drang kein Geräusch.

Hannah fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, rannte zur Tür und öffnete.

Vor ihr stand die letzte Person, mit der sie gerechnet hatte: Bradley. In der schokoladenbraunen Lederjacke, die sie am meisten an ihm liebte, und dunklen Jeans. Groß und unglaublich attraktiv stand er im Flur ihrer kleinen Wohnung. Es war so absurd, dass sie sich die Augen rieb.

Als sie sie wieder öffnete, war er immer noch da – und hatte den Blick auf ihre Schlafanzughosen, das verwaschene Sweatshirt ihres Vaters und die zerschlissenen Pantoffeln gerichtet.

Trotz des unwillkürlichen Reflexes, sich hinter der Tür zu verstecken, genoss sie den wunderbar verbotenen Blick aus dunkelgrauen Augen, der langsam und neugierig ihren Körper entlangwanderte.

„Darf ich reinkommen?“, fragte er verlegen.

Kein „Guten Morgen. Entschuldige bitte die Störung, ich komme ungelegen“. Sondern geradeheraus.

„Jetzt?“ Hannah sah hinter sich und atmete erleichtert auf. Sonjas provisorisch aufgespannte Wäscheleine mit den sündhaften Seidendessous war auf mysteriöse Weise über Nacht verschwunden.

„Ich habe dir einen Vorschlag zu machen.“

Um sechs Uhr morgens? Hatte das nicht Zeit bis später? fragte sie sich. Nun, es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als Bradley hereinzubitten.

Die ohnehin kleine Wohnung schien sich bei seinem Eintreten noch zu verkleinern. Kochnische, Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer, Bad. Kleine Fenster, die wenig Aussicht boten. Genau richtig für zwei berufstätige Frauen, die sowieso nur zum Schlafen nach Hause kamen.

Hannah schloss die Wohnungstür, lehnte sich an und betrachtete Bradley erwartungsvoll.

Im Vergleich zu seiner riesigen Wohnung mit den vielen Zimmern und Zwischengeschossen mit Blick auf die Stadt musste das hier wie eine Besenkammer wirken.

Bradleys Augen glänzten wie flüssiges Silber im frühen Morgenlicht. Hannah drückte die Finger so fest in die Wand, dass ihr die Knöchel wehtaten.

„Hoffentlich bist du soweit fertig. Der Flug geht in zwei Stunden“, sagte er in kühlem, geschäftsmäßigem Ton.

Sie blinzelte und war plötzlich hellwach. Hatte er etwa schon wieder vergessen …? Sie schob sich weg von der Tür und stemmte die Hände in die Hüfte. „Soll das ein Scherz ein?“

Er hielt inne. „Keine Angst, ich werde dich nicht über die Schulter werfen und nach Neuseeland entführen.“

Hannah verspürte eine Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung. Sie musste schlucken. „Ach nein?“

„Die Fähre braucht einen ganzen Tag bis nach Launceston. Ich habe es überprüft. Reine Zeitverschwendung, mit dem Flieger bist du in einer Stunde da. Ich fliege dich nach Tasmanien.“

„Und was ist mit Neuseeland? Ich habe einen Monat für die Organisation gebraucht …“

„Wir drehen um, sobald wir dich abgesetzt haben. Und jetzt beeil dich.“

„Aber …“

„Bedanken kannst du dich später.“

Sich bei Bradley bedanken? Der Kerl hatte gerade ihren Plan zunichtegemacht, sich schrittweise an das Zusammentreffen mit ihrer Mutter zu gewöhnen und gleichzeitig Abstand von ihm zu bekommen. Und er stellte es hin als nette Geste seinerseits. Jetzt fehlte nur noch, dass Sonja aus ihrem Zimmer kommen und verkünden würde, ins Kloster einzutreten.

„Es ist schon alles entschieden.“ Er trat einen Schritt auf sie zu.

Abwehrend streckte sie die Hände aus. „Aber nicht für mich.“

Er war stur. Genau wie sie. Doch ihre gelegentlichen Trotzanfälle musste sie von ihrer Mutter geerbt haben, denn ihr Vater war ein liebenswerter Mensch gewesen.

„Ich weiß, dass du hart arbeitest. Und im Gegensatz zu den meisten Leuten in dieser Branche hast du Persönlichkeit. Das weiß ich zu schätzen. Bitte nimm mein Angebot an.“

Der Bursche bemühte sich offenbar verzweifelt, ihr zu danken. „Gut, Vorschlag angenommen“, erwiderte Hannah mit resigniertem Unterton.

Bradley war sichtbar erleichtert. Dann drehte er sich um und schien zu überlegen, wohin er sich setzen könnte. Schließlich entschied er sich für das Sofa, nahm eine Zeitschrift vom Tisch und vertiefte sich in die angepriesenen 101 Haartipps für den Sommer.

„Wir fliegen in einer Dreiviertelstunde.“

Seine Liebenswürdigkeit war wie weggeblasen. Zurück zur Tagesordnung.

Hannah warf einen Blick auf die Armbanduhr, die ihrem Vater gehört hatte. Eine Dreiviertelstunde? Sie würde vorher fertig sein.

Wortlos drehte sie sich um und eilte in ihr Zimmer zurück. Dort schnappte sie sich die bequeme Reisekleidung, die sie sich am Abend zuvor bereitgelegt hatte, und lief ins Bad.

Am Badezimmerspiegel stand Sonja in einem flaschengrünen japanischen Seidenkimono und zupfte sich die Augenbrauen.

Jäh hielt Hannah an. „Sonja! Himmel, hast du mich erschreckt. Ich wusste gar nicht, dass du zu Hause bist.“

Sonja lächelte in den Spiegel. „Ich wollte euch beide nicht stören.“

Ihr Grinsen war eine Spur zu breit. Hannah erinnerte sich plötzlich an die fehlende Wäscheleine. „Du wusstest, dass er kommt!“

Sonja drehte sich zu ihr um. „Ich weiß nur, dass er seit gestern Nachmittag ausschließlich von Tasmanien spricht.“

Hannah starrte sie mit offenem Mund an.

Mich hat er noch nie nach Hause gebracht, und ich arbeite schon doppelt so lange für ihn“, schmollte Sonja.

„Deine Eltern wohnen auch um die Ecke.“ Hannah schob die Freundin aus dem Bad und schlug die Tür hinter ihr zu.

Die Zeit drängte. Sie zog den Schlafanzug aus und warf ihn auf den Kleiderberg neben der Toilette. Bevor sie in die winzige Dusche sprang, band sie sich noch schnell das Haar zu einem Knoten, denn für ausgefallene Frisuren blieb keine Zeit. Sie stellte die Dusche wärmer und wartete, bis es fast zu heiß war.

Ein Flug, dachte sie. Umgeben von Kameramännern und Beleuchtern. Am Flughafen würden sich dann ihre Wege trennen. Dann konnte ihr Urlaub beginnen, und damit würde auch die Erinnerung an ein Leben mit Bradley Knight verblassen.

Leise meldete sich ihre innere Stimme zu Wort. Hättest du einen der beiden Traumjobs angenommen, die dir in den letzten Monaten angeboten wurden, dann könntest du dieses Gefühl ständig haben.

Verwünschungen ausstoßend, ließ Hannah den heißen Wasserstrahl ihren Rücken herunterrinnen. Sie warf den Kopf zurück und stieß gegen das kalte Glas.

Beide Tätigkeiten hatten zu ihren Karriereplänen gepasst. Aber Studiofernsehen war nun einmal weniger aufregend, als an Orte zu reisen, für die man ein halbes Dutzend Drehs benötigte. Schlammige Abhänge hinauf und Gletscher hinunter, Kanufahrten auf krokodilverseuchten Flüssen – auch wenn sie langsam bis hundert zählen musste, um nicht in Ohnmacht zu fallen und über Bord zu gehen.

Im letzten Jahr war aus der kleinstädtischen Hannah ein Großstadtmensch geworden. Beruflich und privat. Und sie hatte es dem Mann zu verdanken, der sich immer an der Grenze zwischen gigantischen Höhenflügen und unglaublichen Niederlagen bewegte.

Es machte sie wahnsinnig. Er machte sie wahnsinnig. Der Kerl war nicht zu durchschauen, und die Zusammenarbeit mit ihm war eine ständige Herausforderung für sie.

Ein warmes Gefühl stieg in ihr auf.

Sie war nicht bereit, auf ihn zu verzichten.

Plötzlich merkte Hannah, dass das Wasser zu heiß war. Sie spürte es an ihrer prickelnden Kopfhaut und am Kribbeln ihrer Handflächen.

Hannah lehnte sich an die Glasscheibe. Dabei fiel ihr auf, dass es gar nicht das Wasser war, das sie vor Hitze glühen ließ, sondern der Gedanke an den Mann, der nebenan auf sie wartete. Mit langsamen rhythmischen Bewegungen seifte sie sich ein, den Kopf angefüllt mit Bildern von undurchdringlichen grauen Augen, dunkelgelocktem Haar, einem verwegenen Dreitagebart und Schultern, die breit genug waren, das Gewicht der Welt zu tragen …

Hitze breitete sich in ihrer Körpermitte aus. Hannah musste tief durchatmen, um keinen Schwächeanfall zu erleiden. Zitternd schlang sie die Arme um ihren Körper.

Bradley war brillant, sah fantastisch aus – und war buchstäblich zum Greifen nahe. In der Wohnung war kein Geräusch zu vernehmen außer dem Rauschen der Dusche. Und die Badezimmertür war unverschlossen. Die Wände waren so alt und windschief, dass Hannah eine Matte vor die Tür legen musste, um sie geschlossen zu halten. Wenn Bradley mit seiner Größe und seinem Gewicht zu fest auftrat, konnte es passieren, dass sie wieder aufsprang.

Was würde geschehen, wenn er sie nackt und nass unter der Dusche sah? Allein. Rosig vom heißen Wasserdampf. Und vom Fantasieren über Bradley Knight.

Würde er dann endlich begreifen, dass sie eine Frau war und kein wandelnder Terminkalender?

Nein, das würde er nicht. Zum Glück. Denn dann wüsste sie nicht, was sie tun sollte. Beruflich waren sie ein Traumpaar, doch privat hatten sie keinerlei Gemeinsamkeiten.

„Wunschfantasien einer frustrierten Frau, die keinen Spaß am Leben hat“, sagte sie zu der Wand gewandt.

Entschlossen stellte sie die Dusche aus. Sie wollte nach ihrem Handtuch greifen, doch dann merkte sie, dass sie es in ihrem Zimmer vergessen hatte.

Hannah sah auf den Berg Wäsche neben der Toilette und dann auf das lächerlich kleine Handtuch, das gleich neben der Dusche hing. Resigniert warf sie den Kopf zurück und griff danach.

Die Wasserrohre knackten, als die Dusche abgestellt wurde.

Endlich. Sie hatten eine Dreiviertelstunde Zeit, und diese Frau verbrachte Ewigkeiten im Bad. Es war zum Verrücktwerden.

Bradley lockerte den Griff, mit dem er die Zeitschrift hielt, und stellte fest, dass er einen Krampf in den Fingern bekommen hatte.

„Kaffee?“ Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich Sonja auf.

Er hatte gedacht, er sei allein – er im Wohnzimmer, Hannah unter der Dusche und nur eine dünne Holztür zwischen ihnen –, und erschrak sich fast zu Tode.

„Wo zum Teufel kommst du denn her?“, fragte er schlecht gelaunt.

„Ich wohne zufällig hier“, erwiderte Sonja. Sie schwebte auf eine glänzende Espressomaschine zu, die die Hälfte der winzigen Küche einnahm und wohl das wertvollste Stück der ganzen Wohnung war.

Der Rest waren verblichene Teppiche, rosa Blümchentapeten und ausgefranste Lampenschirme, die schon vom bloßen Anschauen in sich zusammenfielen. Bradley fühlte sich wie im Bordell eines alten Westernfilms, in freudiger Erwartung darauf, dass ihm eine der Damen ihre Aufwartung machte.

Nicht, dass er große Erwartungen an Hannahs Wohnung gestellt hatte. Eigentlich hatte er überhaupt noch nie darüber nachgedacht.

Hannah war unglaublich fleißig und akkurat. In dieser zierlichen Frau steckte eine ungeheure Kraft und Energie, die sie dazu befähigte, mit seinem wahnsinnigen Arbeitstempo mitzuhalten.

Diese plüschige Wohnung passte überhaupt nicht zu ihr.

Jedenfalls hatte er das geglaubt.

Wie gebannt starrte er auf die Badezimmertür. Als er seine Anspannung bemerkte, warf er die Zeitschrift so schwungvoll auf den Tisch zurück, dass sie auf dem Boden landete, und wandte sich wieder Sonja zu.

„Kaffee?“, wiederholte sie. An ihrem pink lackierten kleinen Finger baumelte eine rosa vergoldete Espressotasse.

Plötzlich wurde ihm klar, dass die Wohnung ganz Sonja war. Natürlich. Er erinnerte sich vage, dass sie ihm irgendwann im Laufe des Jahres von Hannahs Einzug erzählt hatte.

Irgendwie war er erleichtert. Sein Vertrauen in Hannahs gesunden Menschenverstand hatte ihn also nicht getäuscht.

Stirnrunzelnd sah er auf seine Uhr. Wenn Hannah nicht langsam einen Zahn zulegte, würde er dieses Vertrauen allerdings noch einmal überdenken müssen.

„Ja, bitte“, erwiderte er ungeduldig.

Als der Kaffee fertig war, hockte sich Sonja auf die Ecke des rosa gestreiften Esszimmerstuhls, an der Stelle, wo eigentlich ein Wohnzimmersessel stehen sollte. „Dann schleppst du also unsere kleine Hannah in die tasmanische Wildnis?“

„Wir machen dort Zwischenstation auf dem Weg nach Neuseeland.“

„Hunderte von Meilen vom Zielort entfernt.“

„Was willst du damit andeuten?“

„Es ist nicht meine Aufgabe, etwas anzudeuten. Du bezahlst mich dafür, dir ein rätselhaftes Image zu verpassen und dich spannender erscheinen zu lassen, als du bist“, erwiderte sie schmunzelnd. „Und was könnte rätselhafter und spannender sein als ein wildes Wochenende?“

„Ein wildes …?“ Mühsam richtete sich Bradley in dem durchgesessenen Sofa auf und deutete auf Sonja. „Hannah arbeitet verdammt hart, und ich möchte mich bei ihr auf meine Art bedanken. Also hör auf, dir Geschichten auszudenken. Du weißt, wie sehr ich Dramatik hasse.“

Sonja erwiderte seinen Blick. Als sie spürte, dass es ihm ernst war, nickte sie und sagte: „Wie du meinst, Chef.“

Mit diesen Worten stand sie auf. „Solange du versprichst, dass ich die Erste bin, der du alles erzählst. Über Neuseeland, meine ich“, fügte sie beiläufig hinzu und verschwand mit einem dramatischen Knistern von Seide in ihrem Zimmer.

Bradley versank wieder im Sofa und trank den heißen Espresso so schnell aus, dass er sich fast die Kehle verbrannte.

Wenn diese Frau ihre Arbeit nicht so gut machen würde …

Aber er verabscheute tatsächlich Dramatik und war Tausende von Meilen gereist, um ihr zu entkommen. Um zu entdecken, wer er wirklich war, hatte er sich allen erdenklichen Herausforderungen gestellt, hatte abgelegene Berge bestiegen, entlegene Flüsse durchquert und unbekannte Dschungelgebiete in den ursprünglichsten Teilen der Welt erforscht.

So weit entfernt wie möglich von dem Trauma seiner Jugend, als seine so empfindsame Mutter sich entschieden hatte, ihre Aufgaben als Mutter nicht mehr ausfüllen zu können. Ihn der Obhut irgendwelcher Verwandten überließ, die ihn für kurze Zeit aufnahmen und seinen Kummer damit nur noch verschlimmerten.

Von Bradley wurde erwartet, dankbar zu sein, dass sie eine solche Belastung überhaupt auf sich nahmen – eine Litanei, die man ihm jeden Tag aufs Neue vorpredigte. Aber das war nichts im Vergleich zu dem entsetzlich peinlichen Moment, in dem die Verwandten merkten, dass sie gar nicht so gutherzig waren, wie sie dachten. Dass sie mit diesem unerzogenen Jungen einfach nicht fertig wurden.

Aber vielleicht ist es gar nicht unsere Schuld, flüsterten sie hinter vorgehaltener Hand. Immerhin hat ihn seine eigene Mutter weggegeben …

Plötzlich huschte etwas seitlich an Bradley vorbei und riss ihn zurück in die Gegenwart. Er richtete sich auf und rieb sich mit den Händen über das Gesicht, als ob er damit die unangenehmen Erinnerungen vertreiben konnte.

Als ihm klar wurde, was er eben gesehen hatte, wurde ihm schwindlig. Hannah war vom Bad in ihr Zimmer gerannt. Nackt.

Langsam wandte er den Kopf zu Seite und rekonstruierte das ganze Stück für Stück.

Ein nasser Rücken, zwei nasse glatte Beine, und ein kleines weißes Handtuch, das notdürftig einen nassen Po bedeckte.

Hannah. Nackt. Die sich genau in diesem Moment hinter der Tür befand.

Bradley spürte Hitze in sich aufsteigen. Unmissverständliche Hitze, die ihm für gewöhnlich sehr willkommen war.

Er riss sich los von dem Bild und konzentrierte sich auf die rosa gesteppte Lampe, bis die Quasten ihm in den Augen wehtaten.

Plötzlich war aus Hannahs Zimmer ein lauter Knall zu vernehmen. Dann ein gedämpftes Fluchen und etwas, das wie ein Hüpfen klang.

Bradley brach in Lachen aus. Erleichtert stellte er fest, dass die unselige Hitze langsam abebbte. Das war die Hannah, die er kannte. Hart arbeitend und mit der Gabe ausgestattet, ihn abzulenken, wenn er es am meisten brauchte.

In diesem Moment kam sie aus ihrem Zimmer geschossen. Sie war in eine graue Decke gehüllt und schleppte einen großen schwarzen Koffer hinter sich her.

Es gelang ihm, sich aus dem durchgesessenen Sofa aufzurichten.

Lautstark stellte sie ihren Koffer auf den Boden und drehte sich atemlos zu ihm um. „Hast du dir einen Kaffee gemacht?“, fragte sie und sah dabei auf den Coachtisch.

„Das war Sonja.“

„Oh. Oh!“ Sie riss die Augen auf. Ihr Blick flog zu dem Zimmer, in das Sonja verschwunden war. „Hat sie …? Hast du …?“

Er zog die Augenbrauen hoch.

Sie schüttelte den Kopf und errötete. Ihre Augen verdunkelten sich in wissender Vorahnung. Die Art von Blick, die für sich sprach. Ein eindeutiger Blick, der, in Verbindung mit nackter weiblicher Haut, das Blut eines Mannes in siedendes Öl verwandeln konnte.

Aber wahrscheinlich hatte er sich immer noch nicht von ihrem nackten Anblick erholt.

Sei nicht so hart zu dir selbst, sagte er sich. Du bist auch nur ein Mensch.

Plötzlich lief Hannah zu einem kleinen Tisch hinter dem Sofa und durchwühlte einen Stapel Papier, ohne Bradley die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.

Als sie sich bewegte, bewegte sich die voluminöse Decke mit ihr und entpuppte sich als eine Art Poncho. Zum Vorschein kamen ein gestreiftes Top, enge dunkle Jeans und Cowboystiefel, das Gegenteil ihrer gewohnt eleganten Bürokleidung. Es stand ihr ausgezeichnet. Und erlaubte verführerische Einblicke in sanfte Kurven.

Kurven, die er in ihrer ganzen Nacktheit erblickt hatte. Die er buchstäblich unter seinen Händen spürte.

Bradley biss die Zähne zusammen, lehnte sich zurück und wartete. Und sah Hannah zu. In der frühmorgendlichen Sonne, die durch das Fenster hereinfiel, sah sie jung und frisch aus, mit rosiger Nase und pfirsichfarbenen Wangen. Ihre Lippen hatten von Natur aus die Farbe dunkelroter Rosen. Er bemerkte vereinzelte Sommersprossen um ihre Nase, die ihm noch nie zuvor aufgefallen waren. Ihr für gewöhnlich perfekt frisiertes Haar sah aus, als wäre sie gerade von einem Strandbesuch zurückgekommen.

Sie fing seinen Blick auf und lächelte ihn nach einer kurzen Pause entschuldigend an. „Es dauert nur zwei Sekunden, das verspreche ich.“

Er räusperte sich. „Fast könnte man glauben, dass du absichtlich trödelst.“

Sie sah ihn blinzelnd an. Dann schüttelte sie so energisch den Kopf, dass er sich fragte, ob er mit seiner Bemerkung nicht ins Schwarze getroffen hatte. Aber außerhalb ihrer Arbeit hatte er so wenig mit ihr zu tun, dass er sie kaum kannte.

„Sonja kann nicht mit Geld umgehen“, erklärte Hannah. „Und der Winter ist zu kalt, um zu riskieren, dass man ihr die Heizung abdreht – obwohl sie es verdient hätte.“

Er hatte das Gefühl, eine stumme Grenze zu überschreiten, als er fragte: „Gibt es einen Grund dafür, dass du nicht aus der Tür herauskommst?“

„Ich …“ Sie hielt inne und schluckte. Dann hob sie mahnend den Zeigefinger. „Man sollte keine schlafenden Hunde wecken.“

Das geschah ihm recht. Aber jetzt war es zu spät, um zurückzuschalten.

Mit einem leichten Schulterzucken meinte sie: „Es ist nicht so, dass ich nicht nach Hause fahren möchte. Ich liebe Tasmanien über alles. Aber ich bereite mich gerade seelisch darauf vor, die Türschwelle des Gatehouse zu betreten.“

„Das Gatehouse?“

„Das Hotel.“

„Bedauerst du deine Wahl?“

Hannah warf ihm einen scharfen Blick aus blassgrünen Augen zu. „Denkst du wirklich, ich würde die Hochzeit meiner einzigen Schwester in einer Spelunke organisieren?“

„Das hängt ganz davon ab, ob du deine einzige Schwester magst. Wie lange, sagtest du, habt ihr euch nicht mehr gesehen?“

Hannah spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Ein hinreißend warmes Rosa. Die Anspielung übergehend, erklärte sie: „Du musst wissen, dass das Gatehouse wunderschön ist. Wie ein Schweizer Chalet in einem schneebedeckten Eukalyptuswald. Zum atemberaubenden Cradle Mountain ist es ein Katzensprung. Es gibt einhundert wundervolle Zimmer, sechs herrlich dekadente Restaurants, einen fantastischen Nachtklub, ein Kino und ein Fitnessstudio mit modernster Ausstattung. Ganz zu schweigen von den Suiten.“

Als sie die Augen schloss, rieselte ihr ein warmer Schauer über den Rücken. Nein, es war mehr ein Erbeben, das an den Schultern begann und ihren ganzen Körper elektrisierte.

Glutvolle Lust breitete sich zwischen seinen Schenkeln aus. Er musste sich zusammenreißen und zum Himmel beten, dass sie bald fertig wäre und er endlich wegkäme aus dieser rosa Hölle, die ihn völlig durcheinanderbrachte.

Zur Hölle. Wer war diese Frau, und wo war seine grundanständige Assistentin geblieben?

Wäre da nicht ihr ehrlicher Blick aus hellgrünen Augen, mit dem sie ihn direkt ansah und der sich nicht im Geringsten an seinen Unverschämtheiten störte, hätte er geglaubt, in der falschen Wohnung zu sein.

Es würde ihm eine Lehre sein, noch einmal nett sein zu wollen.

Als ob nichts geschehen wäre, wandte Hannah sich wieder dem Papierstapel zu. „Gut. Sonja wird bis Dienstag überleben.“

„Bist du nun endlich fertig?“, fragte er barsch.

„Ich bin so weit.“

Sie fuhr sich mit einer Hand durch das Haar, das dadurch noch ungebändigter aussah. Und zugleich wahnsinnig sexy.

Seine Hände schienen sich selbstständig an einen Ort hinzubewegen, den ihm sein Verstand untersagte. Um sich abzulenken, griff er nach dem Koffer und hob ihn ruckartig hoch. Er war so schwer, dass sich seine Bauchmuskeln verkrampften. „Was hast du denn eingepackt? Wackersteine?“

„Kleider, Schuhe und Dessous für die Tage … und die Nächte. Warst du noch nie auf einer Hochzeit?“

„Nein.“

„Wow. Ich weiß nicht, ob du deshalb etwas verpasst hast oder dich glücklich schätzen kannst. Während du bald die schönsten Landschaften der Welt bereist – abgesehen von Tasmanien, natürlich –, werde ich meine Kleider öfter wechseln als ein Filmstar.“

Bradley schloss die Augen und gab sich Mühe, Hannahs beiläufige Bemerkung nicht allzu sehr auf sich wirken zu lassen.

„Der Wagen steht unten“, sagte er tonlos, und stellte ihre Tasche vor die Eingangstür. „Wenn du nicht in fünf Minuten fertig bist …“

Dessous für die Tage und die Nächte.

„… dann sind dein Gepäck und ich weg.“

„Okay.“

Mit einer wegwerfenden Geste ging sie davon und verabschiedete sich von Sonja.

Bradley verließ die Wohnung mit ihrem plüschigen Samt und ihrem Rüschenrosa, die offensichtlich dazu da war, einen Mann um den Verstand zu bringen.

Jetzt schnell zum Flughafen, in die Maschine einsteigen, Hannah absetzen, Höflichkeiten austauschen – und dann würden er und seine Forschungscrew nach Neuseeland weiterfliegen. Er, seine Forschungscrew und eine junge Praktikantin, die den halben Tag über Dessous sprechen konnte, ohne sein Blut in Wallung zu bringen.

3. KAPITEL

Hannah blickte über das Rollfeld.

Zielort? Launceston, Tasmanien.

Ankunftszeit? Etwa zehn Uhr morgens.

Temperatur? Frostig kalt.

Tief atmete sie die Winterluft ein. Es roch fantastisch. Weich, grün und ursprünglich. Sie hörte Vogelgezwitscher. Die Luft war so klar und blau, dass ihr die Augen wehtaten. Hannah musste schmunzeln.

Sie war neugierig gewesen, wie es sich anfühlen würde, nach so langer Zeit nach Tasmanien zurückzukehren – und wie groß der Kontrast zum quirligen und kosmopolitischen Melbourne wäre.

Aber es fühlte sich an wie Heimat.

Hinter sich vernahm sie Bradleys tiefe Stimme. „Wie, keine Willkommensbanderolen? Keine Marschmusik?“

Hannah zuckte zusammen. „Jaja, ich bin ja schon weg. Du kannst weiterfliegen. Geh wieder rein, es ist eiskalt.“

„Ich bin ein großer Junge. Ich kann mit Kälte umgehen.“ Er aß die letzte Macadamianuss aus der Tüte und sah über ihre Schulter. „Das ist also Tasmanien.“

Sie warf einen Blick über den internationalen Flughafen von Launceston. Ein schlichtes Gebäude, umgeben von Asphalt. Leichter Nieselregen verdichtete die kalte Luft. Verharschter Schnee bedeckte den Boden, durchsetzt von kleinen Schmelzpfützen.

Ein erster Eindruck, der nicht unbedingt Bradleys Abenteuerlust weckte.

„Nein“, erwiderte Hannah. „Das ist der Flughafen. Tasmanien ist das Land dahinter.“

„Dann beeile dich. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

Hannah schüttelte den Kopf. „Entschuldige. Natürlich. Danke fürs Mitnehmen. Du brauchst mich nicht abzuholen, wir sehen uns am Dienstag.“

Sagte es, winkte ihm kurz zu und eilte leichtfüßig die Treppe hinunter. Dann sah sie, dass der Pilot ihr Gepäck auf den Asphalt gestellt hatte – neben ein anderes Set Reisegepäck, das verdächtig nach Bradley aussah.

„Was macht er da?“, fragte sie. Dann drehte sie sich um und sah, dass Bradley genau hinter ihr stand.

Unvermittelt wandte sie sich zu Bradley um und legte ihm ihre Hand auf die Brust, wie um ihm Einhalt zu gebieten.

Augenblicklich spannte Bradley seine Muskeln an.

Hannahs erster Gedanke war, wie gut er sich anfühlte. Stark und warm. Sie blinzelte ihn an, während ein tiefgraues Funkeln in ihre Augen drang.

„Du zitterst“, sagte er leicht verstimmt, als ob sie damit seine Sensibilität verletzt hätte.

Sie ballte die Hand zu einer Faust und trat einige Schritte zurück. Doch selbst jetzt drängte ihr Körper zu ihm. „Selbstverständlich zittere ich. Es sind null Grad.“

Einen Moment lang blickte er geistesabwesend auf den Asphalt. Dann rieb er die Stelle auf seiner Brust, auf der zuvor ihr Hand gelegen hatte. „Wirklich?“, brummte er. „Ist mir gar nicht aufgefallen.“

Hannah erging es in Wahrheit ebenso. Trotz der Minusgrade fühlte sie sich fiebrig, seit sie Bradley berührt hatte.

Hannah trat einen weiteren Schritt zurück. „Warum hat James dein Gepäck abgeladen?“

„Ich mache eine Forschungsreise.“

„Wie bitte? Erforschst du den unterschiedlichen Asphalt auf tasmanischen und neuseeländischen Flughäfen?“

Als Bradleys Augen belustigt aufflackerten, vollführten Hannahs Sinne einen Drahtseilakt, und Hitze pulsierte durch ihren Körper. Schließlich setzte Bradley seine Sonnenbrille auf.

„Nicht ganz so spezifisch“, widersprach er trocken. „Eher eine Forschungsreise unter dem Motto ‚Entdecke Tasmanien‘.“ Mit diesen Worten schlenderte er davon.

„Halt!“, rief sie ihm hinterher. „Warte einen Moment. Habe ich gerade etwas verpasst?“

„Du verkaufst dich unter Wert, Hannah. Du solltest Presseberaterin werden. Mich jedenfalls hast du schon über den Tisch gezogen.“

„Mit was?“

„Mit Landschaften von wilder unberührter Schönheit. Schroffen Klippen. Grünen Wäldern. Rauschenden Wasserfällen. Stillen Seen. Kommt dir das bekannt vor?“

Aber sicher. Eine ihrer zahlreichen Lobeshymnen auf ihre wundervolle Heimat.

„Ich habe nachgedacht …“, fuhr er fort. „… und bin zu einem Entschluss gekommen. Das Team kennt seine Aufgaben in Neuseeland. Es fliegt dorthin, und ich bleibe über das Wochenende hier und mache eine Erkundungstour.“

Das also hatten sie während des Fluges besprochen. Hannah dagegen wollte nicht mit Bürothemen belästigt werden und hatte sich mit Cocktails, Zeitschriften und Musik aus ihrem iPod schon einmal in Urlaubsstimmung gebracht.

Wie vom Donner gerührt stand sie da. Erklärend fügte er hinzu: „Keine Panik. Ich habe nicht vor, deinen Urlaub zu ruinieren. Spencer hat ein Auto für mich gemietet und die Route ausgearbeitet.“

In Hannah kam wieder Leben. Es war unfassbar, was er da sagte. Und sie war wütend darüber, dass sie genau jetzt ihre Chance als Produzentin verpasste. Natürlich konnte Spencer Landkarten lesen, sagte sie sich, aber niemand in Bradleys Umgebung kannte die Insel besser als sie selbst.

Der Zeitpunkt war definitiv schlecht gewählt.

Ihre innere Stimme meldete sich zu Wort. Lass los. Du brauchst Urlaub. Und am Dienstag erklärst du ihm, warum nur du das Projekt leiten kannst.

„Okay“, meinte sie eine Spur zu fröhlich. „Nun, das ist … wunderbar. Du wirst es nicht bereuen.“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief zu ihrem Gepäck. Im selben Moment tönte eine schrille Frauenstimme durch die Stille.

„Haaaaallo! Hannah! Hier sind wir!“

Ihre Gefühle fuhren Achterbahn. Ach herrje, sie konnte es ihnen nicht verübeln.

Wie konnte das passieren?

Die SMS! Sie hatte Elyse über ihre Ankunft informiert. Verdammt!

„Hannah!“

Fieberhaft suchte sie in der Menschenmenge, die hinter dem Maschendrahtzaun auf die Ankunft ihrer Lieben wartete, nach bekannten Gesichtern. Mit ihrem langen braunen Haar, der hellen Haut, dem Glitzerschmuck und der rosa Kleidung stachen Hannahs Mutter und Schwester wie Paradiesvögel aus der durchfrorenen Menge heraus.

Wie eh und je fuhr sich Hannah durch das Haar, um es zu ordnen. Vergessen waren die Jahre, seit sie von Tasmanien weggegangen war und einen fantastischen Job, eine tolle Wohnung und nette Freunde gefunden hatte. Ihr fiel nur noch auf, wie farblos sie im Vergleich wirkte. Zu allem Übel stand ihr Haar auf dem windigen Flugplatz auch noch nach allen Seiten ab.

Innerhalb von fünf Sekunden verwandelte sich die persönliche Assistentin des Starproduzenten wieder in den mageren Wildfang, der im Hinterhof Fußball spielte, während ihre glamouröse Mutter und Schwester bummeln gingen und sich über Männer unterhielten.

Ihre Mutter drängte sich durch die Menge, öffnete das Tor und brach dabei wahrscheinlich ein halbes Dutzend Flugsicherheitsregeln. Dann trat sie auf Hannah zu. Hannah wusste, dass es erwachsen wäre, ihr entgegenzukommen und fröhlich zuzuwinken, doch dazu war sie zu angespannt. Sie fuhr zurück.

In diesem Augenblick fasste jemand sie sanft, aber entschlossen am Rücken. Eine Welle von Wärme schlug ihr entgegen und holte sie blitzschnell in die Gegenwart zurück.

Sogar Bradley musste ihre Verzweiflung bemerkt haben – und war ihr zur Rettung geeilt. Er konnte sogar galant sein. Wenn sie nur nicht jedes Mal weiche Knie bekäme, sobald er sich näherte!

Sie musste jetzt all ihre Kräfte zusammennehmen, um ihrer Mutter selbstbewusst entgegenzutreten. Und um ihrem stressanfälligen Chef Familiendramen zu ersparen.

Bradley und ihre Mutter. Das konnte nicht gut gehen.

Hannah näherte sich Bradley. „Wenn du jetzt scharf links abbiegst und auf die Büsche zuläufst, bist du in etwa drei Minuten auf der Hauptstraße. Von da aus kannst du ein Taxi rufen. Beeil dich!“

Er runzelte die Stirn und lachte weich. „Warum sollte ich das tun?“

„Siehst du die rosa Gestalt auf uns zukommen? Das ist meine Mutter. Wenn du jetzt nicht die Beine in die Hand nimmst, wird dich ein Wirbelsturm überrollen.“

Doch es war schon zu spät.

Hannah spürte, wie Bradley erstarrte. Mit den Fingern streifte er ihre Haut. Wäre sie nicht so sehr damit beschäftigt gewesen, eine Lösung für ihren Chef zu finden, hätte sie augenblicklich lustvoll aufgestöhnt.

Virginia musterte Bradley von Kopf bis Fuß. Kein Wunder. Ein Traummann mit Privatjet ließ nur wenige Frauen kalt. Und schon gar keine auffallend schöne Frau auf der Suche nach potenziellen Ehemännern.

Elyse trippelte wie üblich hinter ihrer Mutter her.

Bradley atmete tief durch. Dann brach er das Schweigen. „Nun, was muss ich tun, um den Wirbelsturm zu besänftigen?“

Plötzlich fühlte sich Hannah in vertrauter Umgebung. Bei Knight Productions gingen sie nie in ein Meeting, ohne perfekt vorbereitet zu sein und mit der Gewissheit, dass Nein keine akzeptable Antwort wäre. Und Bradley bekam immer, was er wollte.

„Erstens: Nenne sie Virginia“, ermahnte sie ihn. „Wenn du sie mit ihrem Nachnamen ansprichst, fühlt sie sich wie eine Ehefrau oder Mutter. Und damit ist ihre Jugend vorbei. Wenn du das beachtest, kann dir nichts passieren.“

Bradley runzelte wieder die Stirn. „Und wer seid ihr? Ihr Fanklub?“

Hannah musste lachen. Bradley reagierte viel entspannter, als sie erwartet hatte. Er zog sie näher an sich. Ihr stockte der Atem.

„Entspanne dich“, murmelte er. „Keine Panik, Mütter halten mich für den idealen Schwiegersohn.“

Sie warf ihm einen verzweifelten Blick zu. „Das ist nicht das Problem. Ich meine, sieh dich doch an. Ich habe keinen Zweifel daran, dass meine Mutter dich lieben wird.“

Ein Muskel zuckte unter seinem Auge. Seine Lippen umspielte ein bestechendes Lächeln. „Findest du mich charmant?“

„Bis hin zu deinen Designersocken“, erwiderte sie so gleichgültig wie möglich. „Übrigens mag meine Mutter außer gut gebauten Männern mit Privatjets auch noch Strassschmuck, enge pinkfarbene Strickjacken und Cocktails mit Schirmchen.“

Hannah bereute ihre Worte sofort. Andererseits waren sie beide daran gewöhnt, sich gegenseitig zu necken. Bei einer Arbeitswoche von achtzig Stunden musste man Sinn für Humor haben. Und Bradley konnte damit umgehen.

Aber ihn mit Strassschmuck zu vergleichen …?

Vielleicht war es die legere Kleidung, sagte sie sich, vielleicht war sie aber auch in Urlaubsstimmung. Wie auch immer, sie sollte ihre Worte mit Bedacht wählen.

Bradley kam noch näher, legte ihr den Arm besitzergreifend um die Hüfte und schob seinen Daumen zwischen ihr T-Shirt und ihre Jeans. Eine stille Warnung an sie, sich nicht noch weiter vorzuwagen.

Hannah war so angespannt, dass ihr fast schwindelig wurde.

Schon stand Virginia vor ihnen. Ihr langes Haar wippte wie in einer Shampoowerbung, die hochhackigen Schuhe klapperten auf dem Asphalt.

Und ihr Blick sagte, dass sie Bradleys Berührung bemerkt hatte. In diesem Moment wünschte sich Hannah, Stilettos zu tragen und ihrem Chef damit kräftig ans Schienbein zu treten.

„Hannah! Liebling!“ Virginias Augen leuchteten. Die Arme nach ihrer Tochter ausgestreckt, ließ sie Bradley nicht aus den Augen.

Virginias Umarmung fiel nicht sehr liebevoll aus. Gerade noch rechtzeitig zog Bradley seine Hand von Hannah weg.

„Virginia“, meinte Hannah. „Wie schön, dass du gekommen bist. Das wäre doch nicht nötig gewesen.“

Über die Schulter ihrer Mutter erblickte Hannah Elyse. Sie hatte Freudentränen in den Augen. Hannah verspürte ein Stechen in der Brust. „Hi“, sagte sie leise.

Und dann näherte sich Elyse ihrem Ohr: „Er sieht fantastisch aus.“

Laut und vernehmlich. Selbst Bradleys Pilot, der gerade das Flugzeug auf dem nahen Rollfeld parkte, musste es gehört haben.

„Er ist mein Chef“, platzte Hannah heraus. „Lasst ihn in Ruhe.“

Elyse hüstelte verlegen.

Virginia warf Hannah einen respektvollen Blick zu. Wow. Das war neu. Hannahs Brust verengte sich, und sie wartete auf das, was nun kommen würde. Traurigkeit, Schuldzuweisungen, Worte des Bedauerns …

Und dann trat Virginia einen Schritt zurück, musterte Hannah von Kopf bis Fuß und meinte: „Jeans, Hannah? Warum musst du immer aussehen wie eine Stadtstreicherin?“

Das war ihre Mutter. Wie immer in Topform.

„Durch meinen Job bin ich viel unterwegs. Und da zahlt sich bequeme Kleidung aus.“ Sie schluckte ihre Verachtung herunter. Es war ihr egal, ob sie sich wie ein Kleinkind fühlte.

Nachdem alles gesagt zu sein schien, wandte Virginia sich wieder Bradley zu. In seiner Jeans, dem maßgeschneiderten Hemd und der weichen Lederjacke sah er umwerfend gut aus. Zum Anbeißen.

Hannah wurde plötzlich von dem Gedanken an süße Macadamianüsse abgelenkt. Es war, als ob eine Stichflamme einen riesigen Händeabdruck auf ihren Rücken brannte.

„Offenbar hat meine Tochter nicht den Anstand, uns einander vorzustellen …“

„Oh, entschuldigt bitte“, rief Hannah erschrocken. „Virginia, das ist Bradley Knight. Mein Chef. Bradley, das ist Virginia Millar Gillespie McClure. Meine Mutter.“

Virginia setzte ein honigsüßes Lächeln auf, doch ihre Augen blieben kalt. Dann wandte sie ein: „Du hast Smythe vergessen, Liebling. Obwohl man Derek ja getrost unterschlagen kann.“

Bradley nahm die Sonnenbrille ab und schüttelte Virginia die manikürte Hand. Hannah hielt den Atem an. Fels in der Brandung traf auf Wirbelsturm. Sie erwartete das Schlimmste.

„Sehr erfreut, Virginia“, sagte Bradley mit seiner weichen sonoren Stimme. „Und da ich noch nie jemanden mit derselben umwerfenden Augenfarbe wie Hannah gesehen habe, muss das wohl Elyse sein.“

Virginia blinzelte ihn langsam mit ihren dunkelbraunen Augen an. Sie war nicht gewohnt, dass man ihr die Show stahl, und musste sich einen Augenblick sammeln.

Hannah verkniff sich ein Grinsen. Hätte sie ihren Chef nicht ohnehin schon bewundert, wäre jetzt der Zeitpunkt gewesen.

Elyses blassgrüne Augen – die Augen ihres Vaters – strahlten, als sie auf Bradley zuschwebte. „Welche Ehre, Sie zu treffen, Mr. Knight. Ich liebe Ihre Shows. Nicht nur, weil Hannah daran mitarbeitet. Sie sind wirklich gut!“

Bradley lachte. „Vielen Dank.“

Hannah wartete darauf, dass er sich umdrehte und wegging. Doch nichts geschah. Angesichts seiner Abneigung für Dramatik hielt er sich sogar erstaunlich gut. Sogar sein Lächeln schien echt. Unglaublich.

Bradley sah Hannah an. Sein dunkler Blick verriet, dass er die Situation durchschaute – und nichts dagegen hatte, das Spiel eine Weile mitzuspielen.

Er tat es ihretwegen, sagte sie sich. Bradley wusste, dass ihr Besuch zu Hause kurz war – und wichtig. Er hatte erkannt, wie problematisch das Wiedersehen mit ihrer Mutter war, und war ihr zu Hilfe geeilt.

Elyse sprach immer noch mit Bradley.

„Hannah hat nicht erwähnt, dass sie jemanden mitbringt. Aber das ist natürlich kein Problem, oder, Virginia? Sie spricht nie über ihr Leben in Melbourne, über die Promipartys und die Männer, die sie dort trifft. Erzählen Sie uns doch ein bisschen Klatsch und Tratsch.“

„Nein, nein, nein“, mischte sich Hannah ein. „Elyse, Bradley ist nicht hier, um zu …“

„Sie müssen auf die Hochzeit kommen“, mischte sich Virginia ein und schob sich zwischen Hannah und Bradley. „Das Hotel hat fünf Sterne. Das Essen ist eine Sünde wert. Und Cradle Mountain ist der absolut schönste Ort auf der ganzen Welt. Sie können nicht nach Tasmanien kommen, ohne es selbst zu erleben. Eigentlich müssten Sie hier sogar eine Ihrer Shows veranstalten.“

Entschlossen schüttelte Hannah den Kopf. Dann fasste sie Bradley am Ellbogen. „Bradley ist geschäftlich hier. Im Grunde hat er gar keine Zeit zum Plaudern, nicht wahr, Bradley?“

„Nun ja, das Ganze ist etwas kurzfristig“, war seine Antwort.

Sie sah ihn an, doch er wich ihrem Blick aus. Stattdessen nahm er wie selbstverständlich ihre Hand. Wieder ergriff eine Hitzewelle von ihr Besitz.

Hannah versuchte sich ihm zu entziehen, doch sein Griff festigte sich. Dann lächelte er sie an. Silbrig schimmerten seine rauchgrauen Augen.

Hannahs Herz überschlug sich. Lieber Himmel, nein.

Sie hätte ihn nie mit Strassschmuck oder engen pinkfarbenen Strickjacken oder Cocktails mit Schirmchen vergleichen sollen. Er half ihr nicht. Im Gegenteil, er bestrafte sie!

„Kommen Sie schon. Seien Sie unser Gast.“, erwiderte Virginia und hakte sich bei Bradley unter. „Im Übrigen hat uns Großtante Maude gestern Abend mitgeteilt, dass sie ganz sicher an Tuberkulose erkrankt ist.“

Elyse verdrehte die Augen. „Auf der Verlobungsfeier war es Malaria. Aber abgesehen von ihrer Hypochondrie ist sie toll, denn sie schickt die Geschenke immer schon im Voraus!“

Virginia ging in Richtung Terminal und zog Bradley mit sich. Wie immer hatte Hannah keine andere Wahl, als ihnen zu folgen.

„Mit anderen Worten: Ein Essen ist übrig“, meinte Virginia.

Elyse hatte sich auf Bradleys freier Seite untergehakt und erklärte: „Und für das Geschenk ist auch schon gesorgt! Wir schreiben einfach Ihren Namen auf Großtante Maudes Platzkarte. Sie wird es nie erfahren. Allerdings werden Sie nicht neben Hannah sitzen, weil wir sie schon mit Roger verplant haben. Aber Sie kommen bestimmt auch gut allein zurecht.“

Hannah verdrehte die Augen. Sie bemerkte, dass Bradley die Stirn runzelte.

„Roger?“, fragte er eine Spur zu skeptisch.

„Der Trauzeuge“, erklärte Elyse. „Als Trauzeugin wird Hannah den gesamten Abend mit ihm verbringen. Aber wir finden einen lustigen Tisch für Sie, das verspreche ich Ihnen.“

„Außerdem …“, wandte Virginia ein, „… sind Sie der Grund, dass unsere Hannah bis jetzt nicht nach Hause gekommen ist. Sie sind uns etwas schuldig. Keine Widerrede! Und nun werde ich jemanden finden, der sich um Ihr Gepäck und einen Mietwagen kümmert. Unser Auto ist voll mit Hochzeitssachen, ansonsten wäre es mir eine Ehre gewesen, Ihre Beifahrerin zu sein.“ Sie tätschelte ihm die Wange und stürzte mit Elyse im Gefolge davon.

Bradley verlangsamte seine Schritte, bis Hannah ihn eingeholt hatte.

„Ich habe dich gewarnt.“

Er schüttelte verwundert den Kopf. Seine Lippen umspielte ein Lächeln, bei dem sich ihr Herz erneut überschlug.

„Du kannst nicht hierbleiben“, sagte Hannah.

Es gab eine kurze Pause. Sie war sicher, dass er ihr zustimmen würde. Dann sah er sie an. „Und warum nicht?“

„Weil ich mich in deiner Gegenwart nicht entspannen kann.“

„Tatsächlich?“ Die Sonne verbarg seine Augen, aber seine raue Stimme sagte alles.

Sobald ihre Mutter aus ihrem Blickfeld verschwunden war, grinste Hannah spitzbübisch. „Nun ja, man kann nie wissen.“

„Und wie geht dein Vater mit dieser geballten Ladung Weiblichkeit um?“, erkundigte sich Bradley betont sachlich.

Hannahs Lächeln verschwand. Sie nestelte an ihrer Uhr. „Er starb, als ich vierzehn war.“

Von diesem Moment an hatte sie sich wie Aschenputtel gefühlt – mit dem Unterschied, dass die Stieffamilie ihre eigene Familie war.

Bradley sah sie an, und sie fuhr fort: „Mein Vater liebte Virginia über alles. Elyse und mir war es fast peinlich, wenn wir sie wieder mal beim Küssen in der Küche erwischten. Und dann starb er. Sechs Monate später heiratete sie wieder. Seitdem haben wir kaum noch Kontakt.“

„Das tut mir leid“, meinte Bradley nach einer kurzen Pause.

Hannah fragte sich, ob es der richtige Zeitpunkt sei, ihn nach seiner Familie zu fragen. Sie wusste noch nicht einmal, ob seine Eltern noch lebten.

Doch im letzten Moment schreckte sie davor zurück. „Mom hat dann noch zweimal geheiratet.“

Und geschworen, jeden Ehemann zu lieben und zu ehren, wie angeblich auch Hannahs geliebten Vater. Eine verdammte Lüge. Aus diesem Grund würde Hannah einem anderen Menschen nur ein solches Versprechen geben, wenn sie es ernst meinte. Und ihre Gefühle erwidert würden.

Sie beobachtete, wie ihre Mutter herumlief und Hilfe suchte.

Auch Bradley drehte sich um und beobachtete sie mit offener Faszination. Dann setzte er an: „Deine Mutter …“

Hannah versteifte sich und wartete auf die Worte, die sie schon so oft gehört hatte: Deine Mutter ist so glamourös. Und Elyse ist ein Püppchen. Aber du bist so … anders.

„Sie ist …“ Bradley hielt erneut inne. „Sie ist die Königin der Rüsche.“

Hannah lachte so unerwartet auf, dass sie sich verschluckte.

Bradley klopfte ihr auf den Rücken. Unwillkürlich verwarf Hannah jede Hoffnung darauf, dass Bradley tief in seinem Innern doch noch Beschützerinstinkte entwickeln könnte, und sagte sich, dass dieses lange Wochenende die Gelegenheit war, über ihn hinwegzukommen.

Als sie sich wieder beruhigt hatte, meinte sie: „Virginia liebt ihre Rüschen. Und ihre kuscheligen pinkfarbenen Strickjacken. Und ihre Cocktails mit Schirmchen.“

Den Strassschmuck erwähnte sie nicht, doch an seinem Blick merkte sie, dass er verstand.

Sie lächelte.

Dann meinte er: „Die Zeit rennt. Wir müssen uns beeilen. Zuerst werden wir zum Hotel fahren und uns dann auf den Weg machen.“

Wir machen uns auf den Weg?“ Hannahs erstaunter Ausruf hallte förmlich.

Bradley zuckte mit keiner Wimper. „Nach Spencers Reiseroute fange ich bei Cradle Mountain an. Ich nehme dich mit.“

Mit resignierter Geste ging sie auf das Terminal zu.

Bradley lief hinter ihr her. Mit seinen langen Beinen hatte er sie in zwei Sätzen eingeholt. „Spencer hat einen Wagen für mich gemietet.“

„Hoffentlich ist er groß und solide. Die Straßen auf dieser Insel sind verdammt unübersichtlich“, erwiderte sie.

„Es ist ein schwarzer Cabrio.“ Sanft bewegte er die Hände durch die Luft, als ob er die Kurven des Autos nachfahren würde.

Noch nie war Hannah so eifersüchtig auf ein Auto gewesen.

„Ist das ein Scherz? Da hat Spencer wohl seinen Kleinjungenfantasien freien Lauf gelassen.“

Ein sanftes Lachen kitzelte ihre Ohren.

Sie beschleunigte ihren Schritt. Bradley hielt mühelos mit.

4. KAPITEL

„Sind wir schon da?“, fragte Hannah und streckte sich in dem absurd auffälligen Sportwagen, den Spencer ihrem Chef zur Verfügung gestellt hatte. Wenn sie zurück in Melbourne wären, würde sie mit ihm sprechen!

„In achthundert Metern rechts abbiegen“, ließ sich die tiefe Stimme aus dem Navigationsgerät mit australischem Akzent vernehmen.

„Ken …“, meinte sie, „… du bist mein Held.“

„Wer ist Ken, um Himmels willen?“, fragte Bradley. Er schien konzentriert auf die wunderbaren Landschaften, die an ihnen vorbeizogen, und hatte seit fast zwei Stunden kein Wort mehr gesprochen.

„Ken ist die Stimme aus dem Navi.“

„Er hat einen Namen?“, fragte Bradley.

„Ich habe seine Stimme ausgewählt, als du den Wagen auf Vorschäden untersucht hast. Und beim Anblick der Kurven glasige Augen bekamst. Wahrscheinlich wäre eine Frauenstimme mit schwedischem oder britischem Akzent mehr nach deinem Geschmack gewesen, aber nach den heutigen Bevormundungen von dir und meiner Mutter wollte ich wenigstens einen kleinen Teil meines Urlaubs selbst bestimmen.“

Er sah in ihre Richtung. „Muss der perfekte Mann für dich Orientierungssinn haben?“

„Keine Ahnung. Dazu müsste ich ihn erst einmal kennenlernen.“

Abwartend beobachtete sie Bradley aus den Augenwinkeln. Doch er strich sich nur über den Mund.

Hannah ordnete ihren Poncho und meinte: „Obwohl Ken zuverlässig ist. Und klug. Und immer für mich da ist.“

„Nach links wenden. Sie haben Ihr Ziel erreicht“, schloss Ken, als ob er das eben Gesagte noch einmal verdeutlichen wollte.

Hannah platzte heraus: „Und, verdammt, er hat eine wahnsinnig sexy Stimme.“

Bradley hielt inne. „Findest du nicht, dass wir ähnliche Stimmen haben?“

Er schaltete einen Gang zurück und bog in eine lange, mit Eukalyptusbäumen gesäumte Auffahrt ein. „Nein“, erwiderte Hannah kurz.

In Wahrheit aber erinnerte sie Kens schleppender australischer Akzent so sehr an Bradleys Stimme, dass sie das Navigationsgerät sogar einschaltete, wenn sie abends den kurzen Weg vom Büro nach Hause fuhr. Sie redete sich ein, dass es ihr ein Gefühl von Sicherheit und angenehmer Gesellschaft gebe, wenn sie die dunklen Straßen entlangfuhr.

Doch es war gelogen.

Plötzlich tauchte inmitten glitzernder schneebedeckter Vegetation das Hotel auf. Die herrschaftliche Fassade mit Hunderten von Fenstern, Schornsteinen und Erkern ragte in märchenhafter Pracht aus dem australischen Busch.

„Wenn das das Pförtnerhaus ist …“, sagte Bradley, und stoppte so ruckartig, dass der Sportwagen heiser brummte, „… was versteckt sich dann erst hinter dem Tor?“

Hannah deutete nach links. Zwischen zwei Türmen ließ sich erahnen, warum sich ein so beeindruckendes Hotel in einem derart abgelegenen Ort befand.

Es waren die atemberaubend zerklüfteten Gipfel von Cradle Mountain.

Verblüfft nahm Bradley die Sonnenbrille ab. „Unglaublich, was die Natur alles hervorbringt.“

„Nicht wahr!“, erwiderte Hannah und war plötzlich ganz aufgeregt.

Bradley sah auf das Gebäude über ihnen. „Wie viele Zimmer gibt es hier?“

„Genug für Besetzung und Crew.“

Er wandte sich wieder Hannah zu. Beide waren gebannt von der Szenerie. Dem Gefühl von Abenteuer. Noch nie hatte Bradley in ihrer Gegenwart dieses Gefühl der Vertrautheit gespürt.

Mit zittriger Hand strich sie das Haar hinter ihr Ohr zurück. „Ist es nicht wunderschön? Warte nur, bis du den Berg aus nächster Nähe siehst. Dann willst du nie mehr weggehen. Ich werde mich ähnlich fühlen, wenn ich den Spa betrete, der zu meinem Zimmer gehört.“

Er runzelte die Stirn.

Gut, das war vielleicht übertrieben. Aber wenn sie ihn für diesen Ort und das Projekt begeistern konnte, dann hätte sie am nächsten Dienstag vielleicht eine Chance.

Bradley schaltete zurück in den ersten Gang und fuhr die ringförmige Auffahrt bis zu einer geschwungenen hölzernen Freitreppe hoch. Der Urlaub konnte beginnen.

Als sie aus dem Auto stiegen, traute sie ihren Augen nicht. Er machte keinerlei Anstalten, das Gepäck aus dem Kofferraum zu holen, sondern betrachtete stattdessen die Türen des Hotels.

Ihr wurde schwindlig. Hektisch winkte sie in Richtung des Hotels. „Oh nein! Zuerst stehst du vor meiner Tür und zerrst mich in deinen Flieger. Dann zwingst du mich, in dieses peinliche Gefährt einzusteigen. Und jetzt das?“

Er drehte sich um und warf ihr einen unergründlichen Blick zu. „Und ich dachte, Freiflug und Mietwagen seien ein großzügiges Dankeschön.“

Einen kurzen Moment lang hatte sie Gewissensbisse. Doch dann erinnerte sie sich, dass Bradley immer Hintergedanken hatte.

„Wie du meinst“, schoss sie zurück. „Aber du wirst kein Zimmer bekommen.“

Zum ersten Mal an diesem Tag spürte sie, dass ihn Zweifel beschlichen. Das musste sie ausnutzen. „Im Winter ist Hochsaison, und das Gatehouse ist seit Monaten ausgebucht. Hier findet das Klassentreffen einer High School statt, und abgesehen davon ist unsere Hochzeit riesig. Meine Mutter kennt Gott und die Welt, Elyse lädt jeden ein, den sie jemals getroffen hat, und Tims Mutter ist Italienerin. Die halbe Insel wird zusammenkommen. Sie können hier selbst für eine Besenkammer ein Vermögen verlangen.“

Er sah auf das Hotel und die zerklüfteten Bergspitzen dahinter. Dann wurde sein Gesicht ernst. Sie kannte diesen Ausdruck und wusste, dass er nicht klein beigeben würde.

Mit honigsüßer Stimme schlug er vor: „Du hast doch einen besonderen Draht zu Geschäftsleitungen. Bitte, setz doch deinen Charme ein, und besorg mir ein Zimmer. Gib mir eine Nacht, den Berg zu sehen, von dem du mir so vorgeschwärmt hast. Dann lass ich dich in Ruhe.“

Die Versuchung war groß, alles zu unternehmen, dass er am nächsten Tag verschwand. Doch nach dem, was heute geschehen war, traute sie ihm nicht mehr.

„Ich bin im Urlaub, erinnerst du dich? Du willst ein Zimmer? Dann geh doch rein, und sprich mit ihnen.“

„Willst du damit sagen, dass ich noch nicht einmal ein Hotelzimmer buchen kann, ohne dass du meine Hand hältst?“

Hannah versuchte den Gedanken aus ihrem Kopf zu verdrängen, wie es sich anfühlen würde, Bradleys Hand zu halten – oder was auch sonst immer …

„Ich will gar nichts sagen. Ich bin nur ehrlich zu dir.“ Sie rieb sich die Arme und fröstelte theatralisch. „Es wird in dieser Jahreszeit schnell dunkel und kalt. Wir sind etwa zwei Stunden von Queenstown entfernt. Das ist eine alte Kupfermine. Dort gibt es eine Reihe von Motels – vielleicht hast du Glück.“

Sie öffnete den Kofferraum und nahm ihr Gepäck heraus und stellte es kurz ab. In dem Moment merkte sie, dass Bradley genau vor ihr stand.

Abwehrend verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Du wirst kein Zimmer bekommen.“

„Wollen wir wetten?“

Hannah war keine Spielernatur. Und sie mochte keine unangenehmen Überraschungen. Aber ihre Chancen standen gut. Nach Großtante Maudes Absage hatte das Hotel das Zimmer sofort weitergegeben. Bradley würde unverrichteter Dinge wieder abreisen.

„Aber gern“, erwiderte sie.

„Großartig. Dann lass uns über den Einsatz sprechen. Ladies first.“

Sie überlegte, ihn um eine zusätzliche Urlaubswoche zu bitten – auf seine Kosten. Nachdem sie hier angekommen war und das Wiedersehen mit ihrer Mutter überlebt hatte, wusste sie, dass sie es konnte. Und vielleicht sogar brauchte.

Aber da kam ihr eine bessere Idee. „Wenn du hier eine Show machst, habe ich Koproduzentenstatus.“

Stille. Hannahs Atmung beschleunigte. Ihr Puls raste. Sie fragte sich, ob sie gerade alles vermasselt hatte.

Autor

Ally Blake
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