Julia Sommerliebe Band 33

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

VERBOTENE KÜSSE UNTER GRIECHISCHER SONNE von RACHAEL STEWART
Unter der goldenen Sonne Griechenlands prickelt es erregend zwischen Hollywoodstar Catherine und Millionär Alaric. Aber sie ist der Einladung auf seine paradiesische Privatinsel gefolgt, um endlich Ruhe zu finden! Nicht für einen heißen, aber aussichtslosen Urlaubsflirt …

TROPISCHE LIEBESNÄCHTE MIT DEM MILLIARDÄR von ABBY GREEN
Als Mia dem attraktiven Unternehmer Daniel Devilliers die süßen Folgen ihrer Affäre gesteht, entführt er sie in seine Luxusvilla am Strand von Costa Rica. Doch obwohl er sie in tropischen Nächten leidenschaftlich liebt, wartet Mia vergebens auf die drei magischen Worte …

DU UND ICH, IST DAS AMORE? von NINA SINGH
In dem heißblütigen Italiener Gianni findet Laney ihren Seelenpartner. Bis sie nach einer unvergesslichen Liebesnacht fürchtet, dass er sie aus Berechnung verführt hat, um ihr das Liebste zu nehmen. Traurig flüchtet sie an die Amalfiküste – und erlebt eine Überraschung …


  • Erscheinungstag 27.05.2022
  • Bandnummer 33
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512206
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Rachael Stewart, Abby Green, Nina Singh

JULIA SOMMERLIEBE BAND 33

RACHAEL STEWART

Verbotene Küsse unter griechischer Sonne

Als Catherine von Bord des Segelboots steigt, verspürt Millionär Alaric sofort unbezähmbares Verlangen. War es ein Fehler, die schöne Schauspielerin auf seine Privatinsel in Griechenland einzuladen? Insgeheim fürchtet er, in ihren Augen nichts als Mitleid zu ent-decken. Dass ihre Liebe endlich die Narben auf seiner Seele heilt, wagt er nicht zu hoffen …

ABBY GREEN

Tropische Liebesnächte mit dem Milliardär

Liebe? Familie? Nichts für Unternehmer Daniel Devilliers! Doch als seine Ex-Geliebte Mia verrät, dass er der Vater ihrer Tochter ist, macht er ihr spontan einen Antrag – natürlich nur zum Wohl des Kindes! Aber bei einer Reise nach Costa Rica begehrt er Mia mehr denn je. In heißen Nächten erwacht nie gekannte gefährliche Sehnsucht in ihm …

NINA SINGH

Du und ich, ist das Amore?

Die sexy Clubbesitzerin Laney weckt vom ersten Augenblick an unwiderstehliches Verlangen in dem italienischen Geschäftsmann Gianni Martino. Wie im Rausch beginnt er eine heiße Affäre mit ihr, begleitet sie sogar zur Hochzeit ihrer Schwester. Dabei weiß er: Ihre Beziehung ist vorbei, sobald er Laney gesteht, dass seine Familie ihr Lebenswerk zerstören will …

1. KAPITEL

„Wow!“ Catherine Wilde schob die Sonnenbrille zurück, blinzelte in die Sonne und betrachtete die paradiesische griechische Insel, die für den nächsten Monat ihr Zuhause sein würde. Kristallblaues Wasser, goldene Klippen entlang einer Bucht, die sie einladend zu umarmen schien. „Unglaublich.“

„Die schönste Insel der Welt, nai?“ Marsel grinste und hob eine ihrer Taschen von dem kleinen Segelboot, mit dem er die Versorgungsfahrten vom Festland zur Insel unternahm.

Catherine schmunzelte. Ihre Assistentin hatte sie für verrückt erklärt, dass sie allein und per Boot anreisen wollte, aber sie hatte die Ferien so beginnen wollen, wie sie weitergehen sollten – ohne den üblichen Stress.

Und es hatte nichts damit zu tun, dass sie ihr Wiedersehen mit dem Besitzer der Insel hinauszögern wollte. Überhaupt nichts.

Es ging nur darum, sich zu entspannen und einen echten Urlaub in Griechenland zu erleben. Keine Bodyguards. Keine Kameras.

Ein guter Plan.

Wenn sie nur nicht so nervös wäre.

Catherine hatte versucht, sich unterwegs zu entspannen. Sich auf die Schönheit der Landschaft zu konzentrieren, auf die warme Mittagssonne, den Seewind, der ihre Haut kühlte. Sie hatte es wirklich versucht.

Eigentlich war sie nicht der Typ, der leicht nervös wurde. Sie war eine preisgekrönte Schauspielerin, das Rampenlicht machte ihr nichts aus. Aber die innere Unruhe, die sie gerade empfand, war anders. Und sie konnte nicht leugnen, wer sie in ihr auslöste: Alaric de Vere. Der ältere Bruder ihrer besten Freundin Flo, der vor langer Zeit auch ihr Freund gewesen war.

Dies war seine Zuflucht. Eine winzige Insel im Privatbesitz, auf die er sich zurückgezogen hatte.

War sie hier wirklich willkommen? Oder hatte Flo ihm keine Wahl gelassen, als sie aufzunehmen? Eine Prominente mit Burnout, die eine dramatische Trennung hinter sich hatte, wenn man der Presse glaubte?

Aber Catherine war nicht nur um ihrer selbst willen hier. Flo hatte sie gebeten, Alaric zu helfen. Ihn daran zu erinnern, dass es noch eine Welt außerhalb der Insel gab. Menschen, die ihn vermissten.

Catherines Magen krampfte sich zusammen. Ging es ihm wirklich so schlecht, wie Flo gesagt hatte und wie die Medien mutmaßten? Würde ihre Ankunft es nur schlimmer machen? Immerhin befand auch sie selbst sich nicht gerade in einem stabilen psychischen Zustand.

„Nai?“ Marsel hob die Augenbrauen. Seine braunen Augen funkelten.

Catherine runzelte die Stirn. Was hatte er gesagt?

„Die Insel.“ Er deutete darauf, bevor er eine weitere Tasche nahm und über die wacklige Planke auf den Anlegesteg stieg.

„Nai. Wunderschön.“ Sie strahlte ihn an, ein Versuch, sich ihre Sorgen nicht anmerken zu lassen.

Es war, als hätte sie ihm einen Schlag versetzt. Er stolperte und verlor beinahe das Gleichgewicht. Als er sich wieder gefangen hatte, wandte er hastig den Blick ab. Eine vielsagende Röte bedeckte seine gebräunten Wangen.

Zerknirscht biss Catherine sich auf die Lippen. Sie wusste, welchen Effekt sie auf andere Menschen hatte, allerdings hatte sie gehofft, während der Überfahrt hätte Marsel seine Befangenheit abgelegt. Aber anscheinend sah er immer noch den Star in ihr, und nach zehn Jahren in der Filmindustrie sollte sie daran gewöhnt sein.

Nicht, dass es das einfacher machte.

Sie liebte das Schauspielern. Einen anderen Menschen zu verkörpern, die Zuschauer zu Tränen zu rühren, sie zum Lachen zu bringen. Leuten für ein paar Stunden die Flucht vor dem tristen Alltag zu ermöglichen.

Aber Ruhm machte auch einsam.

Das war kein Grund zum Selbstmitleid. Sie wusste genau, was für ein Glück sie hatte. Manchmal wünschte sie sich trotzdem, sie könnte ein ganz normales Leben führen. Dass ihre privaten Angelegenheiten niemanden interessierten. Fast unbewusst legte sie die Hand auf ihren Bauch, versuchte, den Schmerz nicht zu fühlen, der bei diesem Gedanken in ihr aufwallte.

Sie war entschlossen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Dazu gehörte auch ihr beruflicher Werdegang. Sie wollte eigene Drehbücher schreiben, und dieser Urlaub würde ihr den Raum und die Gelegenheit geben, ihr erstes Skript zu vollenden.

Zeit, zu arbeiten und zu trauern, hatte Flo gesagt.

Catherine blickte auf ihren Bauch, dem man nicht ansah, dass er sich noch vor kurzer Zeit ein wenig gewölbt hatte. Als Flo ihre Hand beim Abschied auf ihrem eigenen, prallen Babybauch hatte ruhen lassen, hatte auf ihren Lippen ein weiches Lächeln gelegen. Der Anblick hatte Catherine mit einem bittersüßen Schmerz erfüllt, einer Mischung aus Freude für ihre Freundin, die dieses Glück verdiente, und Trauer um das, was sie selbst verloren hatte.

Sie zog das Telefon aus der Tasche. Jetzt war ein guter Zeitpunkt, Flo eine kurze Nachricht zu schicken, dann konnte Marsel ungestört arbeiten. Zwar hatte Catherine angeboten, ihr Gepäck selbst auszuladen, aber sie war doch froh, dass er es übernahm. Das Boot schwankte, und sie musste sich an die Reling lehnen, um überhaupt einigermaßen tippen zu können. Hinterher steckte sie das Telefon schnell weg, bevor sie es noch fallen ließ.

Die Insel war wirklich wunderschön, abgelegen und einsam. Die Anlegestelle bestand aus einem einfachen hölzernen Steg, der über die Felsen führte. Nicht gerade das, was man von Alarics und Flos reicher Familie erwartete. Oder von Alaric selbst. Andererseits, was wusste sie nach all diesen Jahren schon wirklich über ihn?

Catherines Magen verkrampfte sich. Sie hielt sich an der Reling fest und wünschte, ihre Nerven fänden ebenso leicht Halt. Sie kannte Alaric schon ihr ganzes Leben. Als Kinder hatten sie miteinander gespielt, als Teenager waren sie zusammen herumgezogen und hatten sich heimlich betrunken. Er war ihre erste Liebe gewesen, eine verbotene Liebe, der ältere Bruder ihrer besten Freundin …

Aber seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte sich so viel verändert. Der Unfall hatte sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt, und hier war sie und wollte sich einmischen – wahrscheinlich viel zu spät.

War es Vermessenheit, dass sie überhaupt den Versuch wagte? Aber Flo glaubte, Catherine könnte ihm helfen, obwohl seine eigene Familie nicht dazu in der Lage war.

Ihr Telefon vibrierte. Flo.

Hast du Alaric gesehen?

Catherine zog die Augenbrauen hoch und tippte eine Antwort:

Ja. Und nein.

Flos Rückantwort kam sofort.

Wo steckt er?

Catherine runzelte die Stirn. Das war eine gute Frage. Eigentlich gehörte es sich doch, einen Gast persönlich zu begrüßen, besonders, wenn es eine alte Freundin war, die man ewig nicht gesehen hatte. Sie grübelte, während sie tippte.

Ich weiß nicht. Melde mich später.

Als Catherine aufschaute, sah sie, dass Marsel mit all ihren Taschen an Land stand. Er hielt sein Telefon ans Ohr und sprach in schnellem Griechisch. Sie steckte ihr eigenes Smartphone wieder weg und setzte die Sonnenbrille auf, um an Land zu gehen, bevor sie ihre Meinung änderte.

Sie brauchte die Erholung. Und Alaric brauchte endlich wieder ein Leben, wie Flo es ausgedrückt hatte. Eine Win-win-Situation also.

Marsel sah sie kommen und beendete den Anruf, um ihr von Bord zu helfen. Sie war froh, als ihre Füße festen Boden berührten.

„Kyrios de Vere weiß, dass wir hier sind“, sagte er.

„Wunderbar.“ Ihr Magen fühlte sich allerdings alles andere als wunderbar an. Sie griff nach einem ihrer Koffer. Als Marsel sie aufhalten wollte, winkte sie ab. „Ich glaube, es geht schneller, wenn ich helfe. Da vorn scheint ein Weg zu sein?“ Am Ende des Piers führte ein Sandweg weiter durch die Klippen, weg von der kleinen Bucht. Es sah nicht so aus, als gäbe es einen anderen Weg, aber bis hierher gelangte sicher kein Auto. Was war mit den Lebensmittelvorräten, die Marsel an Bord hatte? „Ist Alaric – Kyrios de Vere – schon unterwegs?“

Marsel nahm ihre anderen Taschen. „Er sagte, wir sollten schon einmal zum Haus fahren. Der Jeep steht nicht weit von hier.“

„Oh.“ Beim erneuten Umsehen erblickte sie nichts, was einem Auto ähnlich sah. Sie zog die Stirn in Falten. Wo steckte Alaric?

Natürlich war es vollkommen verständlich, wenn er sie bei der Hitze nicht am Pier begrüßen wollte. Kein Grund, das Schlimmste anzunehmen. Außerdem wollte sie ja auch keinen großen Bahnhof.

Alles war vollkommen okay.

Nur …

Seit fast einem Jahr hatte niemand aus seiner Familie Alaric mehr gesehen. Sein letzter öffentlicher Auftritt war drei Jahre her, seine und Catherines letzte Begegnung fast zehn Jahre. Sie wusste, dass er litt. Das verstand sie. Aber hieß das, dass er sie gar nicht hierhaben wollte, trotz der Einladung?

„Warten Sie hier, Miss Wilde!“, rief ihr Marsel über die Schulter hinweg zu, als sie eine Stelle erreicht hatten, wo der Weg breiter wurde. „Der Jeep steht ein paar Meter weiter im Schatten. Ich hole ihn her.“

Sie atmete erleichtert aus, setzte ihren Koffer ab und stemmte die Hände in die Hüften. Nicht, dass sie den steilen Hang vor ihr nicht bewältigt hätte. Sie machte täglich Sport, das musste sie. Aber wenn sie mit dem Jeep fuhren, würde sie Alaric zumindest nicht komplett verschwitzt gegenüberstehen.

Catherine beschirmte die Augen mit einer Hand und schaute sich um, betrachtete die sandige Bucht, den staubigen Weg vor ihr, die bewachsenen Felswände und den Wald oben auf den Klippen … und dann sah sie dort zwischen den Bäumen eine Gestalt. Alaric?

Bevor sie winken konnte, war die Gestalt auch schon wieder verschwunden.

Hatte sie es sich nur eingebildet?

Sie wischte sich den Schweiß aus dem Nacken und schüttelte die Vorderseite ihres ärmellosen Tops auf, um ein bisschen Luft an ihre Haut zu lassen.

Ja, sie musste es sich eingebildet haben. Der Alaric, den sie kannte, hätte gewunken.

Andererseits hätte der Alaric, den sie kannte, sie auch am Pier abgeholt, in die Arme genommen, hochgehoben und herumgewirbelt.

Um sicherzugehen, dass sie sich hier willkommen fühlte.

Es war ein Fehler.

Das hatte Alaric in dem Moment gewusst, als Flo gefragt hatte.

Trotzdem hatte er ja gesagt und Dorothea angewiesen, das Gästezimmer fertigzumachen. Für ihn, nicht für Catherine, denn für Catherine war das Beste gerade gut genug, und das Beste war sein Schlafzimmer.

Er fluchte und fuhr sich mit der Hand durch das schweißfeuchte Haar. Catherine. Hier. Auf seiner Insel. Das war Wahnsinn.

Er hatte versucht, die Unruhe abzuschütteln, und war joggen gegangen, ohne ein Ziel im Sinn, bis er sich am Rand der Klippen wiedergefunden hatte.

Als das Boot näherkam, sah er Catherines Haar, das wie Gold in der Sonne glänzte, ein Glanz, der ihn bis ins tiefste Innere wärmte. Stärker als die glühende Hitze.

So war es mit Catherine immer gewesen … oder war sie jetzt Kitty?

Kitty. Alaric ballte die Fäuste. Kitty Wilde, Teil von Hollywoods Elite, das Idol von Millionen. Steckte in dem Filmstar, der sie jetzt war, überhaupt noch etwas von der alten Catherine?

Er hätte nicht ja sagen sollen. Nun war sie da, und er konnte sie nicht mehr ausladen und auch nicht einfach die Insel verlassen. Nicht, dass er das wollte. Wohin sollte er auch gehen?

Nirgendwohin. Das war die harte Wahrheit. Die Insel war mehr als sein Zuhause, sie war seine Zuflucht – vor der Vergangenheit und der Zukunft.

Aber dank seiner Schwester hatte er jetzt einen Gast, einen, dem er noch nicht gegenübertreten wollte, auch wenn die Höflichkeit das eigentlich verlangte.

Unten an den Klippen ging Catherine den Pier entlang, jede Bewegung voller Anmut, obwohl sie den schweren Koffer trug.

Alaric holte tief Atem. Nein, er würde auf den Abend warten. Die Dunkelheit bot ihm Schutz, würde die Narben verbergen, während Catherine ihn aus ihren berüchtigten blauen Augen ansah und ihm das Lächeln schenkte, das die Herzen von Millionen Fans im Sturm erobert hatte.

Falls ihr noch ein Lächeln gelang, wenn sie erst gesehen hatte, was aus ihm geworden war.

In genau diesem Moment schaute sie auf und erstarrte bei seinem Anblick. Einen Moment lang blieb die Zeit stehen.

Alaric drehte um und lief los, schneller als vorher, ein Versuch, dem inneren Aufruhr zu entkommen. Er sprintete über den Pfad, der durch den Wald führte, zurück zum Haus. Dort überraschte er Andreas, der sich gerade um die Blumen vor der Eingangstür kümmerte, und rannte, als er in den Flur einbog, beinahe Dorothea über den Haufen.

„Kyrios de Vere!“ Sie presste sich die Hand auf die Brust. Ein paar ergraute Strähnen hatten sich aus ihrem strengen Haarknoten gelöst. „Sie haben mich überrascht!“

Abrupt blieb er stehen und holte tief Atem. „Marsel wird gleich hier sein. Können Sie Catherine herumführen? Ich sehe sie dann beim Abendessen.“

„Aber wollen Sie denn nicht …“

„Ich habe zu tun.“ Er eilte zur Treppe.

Ihr Stirnrunzeln verfolgte ihn. „Aber …“

„Kein Aber, Dorothea. Kümmern Sie sich darum.“

Ja, er war unhöflich und vergaß all seine Manieren. Aber das hier war sein Haus, seine Domäne, und er konnte tun, was ihm gefiel.

Er wünschte nur, das Schuldgefühl ließe sich so einfach vertreiben.

2. KAPITEL

Catherine folgte Marsels Wegbeschreibung in die Küche, eine Tüte mit Lebensmitteln im Arm. Sie hatte das Gefühl, sie sollte nicht hier sein und sich in Alarics Heim breitmachen. Er war ja fast schon ein Fremder.

Alle Infos über ihn hatte sie nur aus zweiter Hand. Flo hatte ihr die schrecklichen Details des Unfalls berichtet, bei dem Alarics bester Freund vor drei Jahren ums Leben gekommen war, und von den Spuren erzählt, die der Unfall hinterlassen hatte, der Veränderung, die innerlich und äußerlich mit ihm vorgegangen war. Er hatte sich seitdem komplett zurückgezogen.

Catherine war unsicher. Würde er sie an sich heranlassen? Mit ihr reden? Würde er sich überhaupt blicken lassen, oder sollte sie den ganzen Monat allein verbringen?

Der Gedanke, dass die frühere Verbundenheit zwischen ihnen endgültig vorüber war, schmerzte und hinterließ ein Gefühl der Leere in ihr.

„Ah, Miss Wilde, schön, Sie kennenzulernen!“ Eine Frau kam auf sie zu, als sie die Küche betrat. Ihre braunen Augen leuchteten voll Wärme. „Ich bin Dorothea, Kyrios de Veres Haushälterin, und für das Tütentragen ist eigentlich mein Sohn zuständig!“

Catherine lachte. „Ich freue mich auch, Sie kennenzulernen, und es ist schon in Ordnung. Ich habe darauf bestanden. Wo soll ich sie hinstellen?“

Dorothea eilte durch den Raum mit seinen Steinwänden zur Kücheninsel in der Mitte und schob Zutaten und Küchengeräte beiseite, um auf der hölzernen Oberfläche Platz zu schaffen. „Danke, Miss Wilde.“

„Kein Problem.“ Sie stellte die Tasche hin.

„Es tut mir so leid, dass Kyrios de Vere nicht hier ist.“ Dorothea wischte sich die Hände an der Schürze ab. Auf der steinernen, bemehlten Arbeitsplatte hinter ihr lag eine Teigkugel. „Er hat gesagt, er ist sehr beschäftigt und sieht Sie dann heute Abend.“

Catherine nickte. Dorotheas offensichtliches Unbehagen war nicht gerade beruhigend. Auf der Suche nach einer Ablenkung deutete sie auf den Teig. „Was backen Sie?“

„Frisches Pitabrot zum Souflaki heute Abend. Es ist Kyrios de Veres Lieblingsessen.“

Sie lächelte. „Ich freue mich darauf.“ Frisch gebackenes Brot war ihre große Schwäche. Und im Urlaub konnte sie es sich leisten, die eine oder andere Ausnahme zu machen.

„Wunderbar!“ Dorothea lächelte und wusch sich am Spülbecken die Hände.

Catherine sah sich um.

Die Küche besaß Charakter – Holz und Stein, kupferne Türgriffe und Pfannen verliehen dem Raum einen Hauch von Farbe. An einer Wand hingen Kräuter, die einen natürlichen, milden Geruch verströmten. Eine echte Küche, die benutzt wurde und Gemütlichkeit ausstrahlte.

Catherines Gedanken wanderten zu Alaric. Hatte er den Raum designt? Kochte er hier auch selbst?

„Jetzt sollten Sie erst einmal ankommen und sich entspannen.“ Dorothea scheuchte sie mit sanftem Nachdruck zur Tür. „Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.“

„Nein, nein – es geht schon. Ich helfe erst noch beim Ausladen.“

„Auf keinen Fall! Sie sind hier Gast.“

Ihre Entschlossenheit brachte Catherine zum Grinsen. „Es ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem Marsel mich mitgenommen hat, und ich werde mich nicht von Kopf bis Fuß bedienen lassen, während ich hier bin.“

„Sie lässt sich nichts sagen, Mama.“ Marsel kam in die Küche, bevor Catherine es zurück zur Tür geschafft hatte. Er schenkte seiner Mutter ein bedauerndes Lächeln. „Das habe ich schon mehrfach versucht.“

„Das stimmt, fürchte ich.“ Catherine legte Dorothea flüchtig eine Hand auf die Schulter. „Bitte, ich möchte helfen.“

„Gib am besten nach, agápi mou.“ Andreas, Marsels Vater, betrat den Raum. „Ich habe mit Miss Wilde schon die gleiche Unterhaltung geführt. Sie ist genauso starrsinnig wie du!“

Dorothea schnaubte, und die anderen lachten, Catherine eingeschlossen.

Sie folgte Marsel zurück zum Jeep, und diesmal protestierte er nicht, sondern reichte ihr eine weitere Tasche mit Lebensmitteln. Auf dem Weg ins Haus schaute sie sich noch einmal um. Diesmal schenkte sie ihrer Umgebung mehr Aufmerksamkeit. Das Haus erstreckte sich über mehrere Stockwerke und war in den Hügel hineingebaut. Die Steinwände fügten sich in die umgebende Landschaft ein und vermittelten den Eindruck, als handelte es sich um ein altes Bauernhaus statt um die Luxusvilla, die sie erwartet hatte. Alle Fenster hatten hellblaue Läden. Terrakottakübel mit Blumen verschönerten den Außenbereich, und liebevoll angelegte Steingärten mit zahlreichen Pflanzen und Olivenbäumen spendeten in dem trockenen Gelände Schatten.

Von der untersten Terrasse her hörte man Wasser plätschern, und Catherine konnte so gerade eben die Kante eines Infinity-Pools sehen, der bis zum Ozean reichte, und eine Sitzecke mit Rattanmöbeln. Auf dem Meer waren andere Inseln und ein paar Boote zu sehen, kleine Punkte am Horizont.

„Wenn Sie noch lange da stehen, wird das Essen von allein gar.“

Sie wirbelte zu Marsel herum, der in der Tür wartete, und verzog das Gesicht. „Entschuldigung. Es ist eine faszinierende Aussicht.“

Er grinste und ging weiter. Sie folgte ihm. Die kühle, klimatisierte Luft im Haus war ein willkommener Gegensatz zu der brütenden Hitze draußen. Und die gedämpften Farbtöne, die Steinwände, die interessante Mischung aus Zement, Holz und Rattan, die den Stil der Einrichtung bestimmten, waren beruhigend, ja, beinahe meditativ. Catherine atmete tief ein und begriff, dass sie sich hier wohlfühlen würde, jedenfalls solange Alaric und sie halbwegs miteinander auskamen.

Sie brachte die Tüte mit den Einkäufen in die Küche und stellte sie neben der von Marsel ab. „Kann ich sonst noch bei etwas helfen?“

Sie warf einen interessierten Blick auf den Teig, und Dorothea eilte alarmiert auf sie zu.

„Nicht heute! Packen Sie lieber in Ruhe aus und richten sich ein!“

„Es macht mir wirklich nichts aus.“ Besonders als Ablenkung von dem bevorstehenden Abendessen, wenn sie Alaric sehen würde.

„Aber mir.“ Dorothea scheuchte sie zur Tür. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.“

„Na schön.“ Catherine folgte ihr seufzend. Sie blieb noch einmal stehen und wandte sich an Marsel. „Vielen Dank fürs Mitnehmen. Ich weiß es wirklich zu schätzen.“

„Ja, Marsel. Danke, dass Sie Catherine hergebracht haben.“

Der unerwartete Klang der vertrauten Stimme ließ die Welt einen Moment stillstehen. Catherines Blick flog zur Tür und zu dem Mann, der sie ausfüllte.

Alaric!

Oder zumindest musste er es sein! Aber es war zehn Jahre her, und der Unfall hatte unleugbar Narben hinterlassen. Seine gebräunte Haut war auf einer Wange knotig zusammengezogen, zerrte an den Winkeln von Mund und Auge, formte eine gezackte Linie unter den dunklen Bartstoppeln.

Der Anblick machte ihr den Schmerz bewusst, den er erlitten haben musste, die Qual, den Verlust.

Es fühlte sich an, als wären Minuten vergangen. Dabei waren es nur Sekunden, die trotzdem ausreichten, Catherines Puls in die Höhe zu treiben und ihre Augen mit Tränen zu füllen. Sie trat einen Schritt vor, hielt dann inne. Alaric sagte nichts und rührte sich nicht vom Fleck.

Er sah so ganz anders aus. Größer, breiter, sein Kiefer härter. Seine vollen Lippen waren zu einer grimmigen, geraden Linie zusammengepresst. Aus seinen dunklen Haaren, weder kurz noch lang, tropfte Wasser auf den Kragen seines weißen T-Shirts, das eng anlag und seine Muskeln und seine breite Brust betonte. Er trug lose Leinenhosen auf seinen schmalen Hüften und war barfuß. Wenn seine Körperhaltung nicht gewesen wäre, hätte er entspannt gewirkt.

War er duschen gewesen und hatte sie deshalb nicht persönlich in Empfang genommen?

Das war ein netter Gedanke, aber irgendwie bezweifelte sie es, und als sie ihm in die Augen sah, raubte ihr sein Blick alle Illusionen. Ein Blick aus Augen in diesem atemberaubenden Blau, das so viele Erinnerungen weckte und allen Sauerstoff aus dem Raum zu saugen schien. Seine Augen waren unverwechselbar. Selbst ohne das Licht, den Humor, die Wärme.

Im Moment waren sie kalt.

Sie hob ihr Kinn und schluckte. „Alaric?“

„Catherine.“

Er senkte den Kopf, während sich die Kälte in ihm ausbreitete und die Wärme vertrieb, die er gefühlt hatte, sobald er sie aus der Nähe gesehen hatte.

Sie hatte ihr Haar hoch auf dem Kopf zu einem Knoten aufgesteckt. In ihren goldenen Locken saß eine Sonnenbrille, enthüllte ihre erstaunlich blauen Augen, die er gar nicht von Nahem sehen wollte. Sie brachten sein Herz zum Rasen, riefen Erinnerungen und Gefühle wach. Selbst dann, wenn sie voll Entsetzen standen wie jetzt.

Alaric schluckte und versuchte, seine Fassung wiederzugewinnen. Dabei war das in ihrer Nähe unmöglich. Selbst ihre schlichte Frisur war ein Hingucker, wie sie ihren eleganten Hals und ihre schmalen Schultern betonte, wie sich ein paar vorwitzige Strähnen um ihre Ohren ringelten, ihr in den Nacken fielen, auf zarte Haut, die er nie auf die Art hatte berühren dürfen, wie er es gewollt hatte.

Von ihrer Haut sah er viel zu viel. Ihr Top besaß nur zwei dünne Spaghettiträger, ihre Shorts enthüllten lange Beine, glänzend, gebräunt und … Als er schleunigst den Blick wieder hob, sah er in ihre großen Augen, las erneut das Entsetzen darin.

In gewisser Weise war das besser. Sicherer. Es hielt ihn auf Distanz.

„Oder heißt du jetzt Kitty?“ Er konnte die Bitterkeit nicht aus seiner Stimme verbannen. Dorothea kniff die Augen zusammen, ein Blick, der ihm als Warnung diente, sich zu benehmen.

„Ich höre auf beides.“ Ein zögerndes Lächeln huschte über ihr Gesicht, betonte ihre Wangenknochen und ihre Stupsnase. Gesichtszüge, an die er sich nur zu gut erinnerte und die ihn erleichtert aufatmen ließen, weil sie nicht versucht hatte, mit Schönheitschirurgie nachzuhelfen.

Und warum nachhelfen, wenn sie doch schon perfekt war?

Er biss die Zähne zusammen. „Catherine also.“

„Es ist schön, dich zu sehen.“

War es das? Oder wollte sie nur höflich sein? Das Entsetzen in ihrem Blick hatte er sich jedenfalls nicht nur eingebildet. Und jetzt? Was empfand sie jetzt? Neugier?

Wollte sie sich selbst ein Bild machen, was für ein Mann er nun war – was für ein Monster? So hatte ihn die selten taktvolle Boulevardpresse schon genannt. Und auch Flo wusste sehr gut, wie es um ihn bestellt war.

Dorothea hob die Augenbrauen in seine Richtung, eine Mahnung, sich ordentlich zu benehmen, und Alaric räusperte sich und nickte. „Hattest du eine gute Überfahrt?“

Da. Das sollte reichen. Höflich und rücksichtsvoll.

„Ja, danke.“

Sie kam auf ihn zu, und er zwang sich, nicht zurückzuweichen, als sie die Arme ausbreitete – du lieber Gott, wollte sie ihn etwa umarmen? Bloß nicht.

Er wandte sich ab. „Ich führe dich herum.“

Er ging den Flur entlang, wagte es nicht, stehen zu bleiben oder zu atmen, bis genügend Abstand zwischen ihnen war. Er wollte nicht, dass sie ihn aus nächster Nähe sah. In ihrer Gegenwart kam er sich noch hässlicher vor.

„Hey, Alaric, nicht so schnell!“

Er hörte nicht auf sie, sondern ging weiter, vernahm ihre leisen Schritte. Der amerikanische Akzent, den sie über die Jahre kultiviert hatte, störte ihn. Sie hatte sich vielleicht nicht unters Messer gelegt, aber sie lebte seit zehn Jahren in der Welt von Hollywood. War sie überhaupt noch sie selbst?

Wollte er es wissen?

Kümmerte es ihn?

Es sollte ihn nicht kümmern. Das führte nur zu Gefühlen, die er sich schon vor langer Zeit untersagt hatte. Er verdiente es nicht, Zuneigung zu empfinden – oder sie zu bekommen.

Noch ein Grund, warum er Flos Vorschlag hätte ablehnen sollen.

Flo. Seine kleine Schwester, die sich in alles einmischen musste. Was genau hatte sie Catherine alles erzählt? Was seine Schwester von seiner einsiedlerischen Lebensweise hielt, wusste er, aber war er für sie auch ein Ungeheuer? Er sah sicherlich so aus. Flo hatte ihm das Wort sogar entgegengeschleudert, hier auf der Insel, vor zwei Jahren, als er sich geweigert hatte, ihre Mutter nach ihrer Diagnose zu besuchen. Sie hatte noch schlimmere Begriffe gebraucht, als sie ihn Weihnachten angerufen hatte, weil er sich weiterhin weigerte, nach England zu kommen.

Aber er ertrug es einfach nicht, Blicke voller Mitleid und Bedauern auf sich gerichtet zu sehen, schon gar nicht von Menschen, die er liebte, die ihn früher stark und erfolgreich und unbesiegbar gesehen hatten. Das konnte er nicht ertragen.

Und dann hatte Flo ihn letzten Monat angebettelt, Catherine Zuflucht zu gewähren. Bitte, Alaric, sie braucht unbedingt eine Auszeit und Ruhe vor der Presse, bevor sie noch einen Zusammenbruch hat.

Die Medien hatten sie auf Schritt und Tritt verfolgt, seit sie ihrem Schauspielkollegen Luke Walker den Laufpass gegeben hatte. Einem Mann, der alles war, was Alaric nie mehr sein konnte …

Er deutete auf den Raum auf der rechten Seite. „Da ist das Speisezimmer.“

Auch als er hörte, wie sie hinter ihm stehen blieb, wahrscheinlich, um durch die Tür zu schauen, drehte er sich nicht um.

„Sehr hübsch.“

„Dahinter geht es auf die Terrasse. Meistens esse ich dort, aber du kannst das natürlich halten, wie du willst.“ Er ging weiter. Hoffentlich hatte Catherine die Botschaft verstanden: dass sie nicht mit ihm zusammen essen musste, ja, dass es ihm lieber war, wenn sie es nicht tat.

„Alaric?“ Sie eilte ihm hinterher.

„Links ist mein privates Arbeitszimmer. Die Tür dahinter führt in den Fitnessraum. Laufband, Crosstrainer, Rudermaschine, Gewichte … Wenn du Hilfe brauchst, gib Marsel oder Andreas Bescheid.“

„Nur nicht dir?“

Er warf ihr einen Blick über seine Schulter zu, und zwar extra so, dass sie dabei seine Narbe sah. „Mir wäre es lieber, du würdest dich an sie wenden.“

„Oh.“

Der leise Laut der Enttäuschung schmerzte tief im Inneren. Am liebsten hätte er seine Worte zurückgenommen. „Es gibt auch ein Dampfbad, eine Sauna, einen Whirlpool und eine Außendusche. Und eine Treppe hinunter zum Pool.“ Er deutete auf die letzte Tür auf der rechten Seite. „Das ist die Tür zur Bibliothek, sie nimmt fast die gesamte Hälfte dieses Stockwerks ein. Bücher gibt es ausreichend. Wenn du etwas bestellen willst, lass es Dorothea oder Andreas wissen.“

„Das wird sicher nicht nötig sein.“

Er wartete, während Catherine den Kopf durch die Tür steckte. Ihr Gesicht leuchtete auf. Sie hatte Bücher immer geliebt. Das hatten sie beide.

„Es ist so ruhig und friedlich hier.“

Alaric gab ein Knurren von sich und ging weiter, die Treppe hinunter ins mittlere Stockwerk.

Er benahm sich wirklich wie ein Miesepeter. Das wusste er und konnte es doch nicht ändern. Weil es bedeutet hätte, sie ansehen zu müssen.

Früher hatte er davon geträumt, mit ihr zusammen zu sein. Sogar die Möglichkeit erwogen, eines Tages ihre Welt aus Glanz und Glamour zu betreten und sie im Sturm zu erobern.

Aber der Unfall hatte diesen Traum zerstört. Inzwischen konnte er es sich nicht einmal mehr wünschen. Die Gedanken an seinen besten Freund und die Familie, die Fred hinterlassen hatte, ließen ihn nicht los. Die Schuld wog heute genauso schwer wie damals, an dem Tag, als er von Freds Tod erfahren hatte. Alaric ballte die Hände zu Fäusten, um zu verbergen, dass sie zitterten.

„Wow!“

Catherine hatte hinter ihm das Wohnzimmer betreten und sah sich mit leuchtenden Augen um. „Das ist fantastisch!“

Sie war fantastisch. Das war das Einzige, was ihm in den Sinn kam, und das würde er nicht laut aussprechen. Catherine wusste, wie attraktiv sie war. Täglich flirtete sie mit den Kameras, posierte, neigte den Kopf im vorteilhaftesten Winkel … Aber ihre aufrichtige Begeisterung faszinierte ihn. Sie war an Luxus gewöhnt, warum beeindruckte sein Haus sie so?

Oder spielte sie ihm nur etwas vor? Immerhin war sie hauptberuflich Schauspielerin.

„Hast du das Haus entworfen?“

Bevor sich ihre Blicke treffen konnten, wandte er sich schnell ab und ging zur Bar am anderen Ende des Raums. „Ja.“ Er zog zwei Gläser aus dem Schrank hinter der hölzernen Theke. „Hättest du gern einen Drink?“

„Wasser wäre nett.“

Sie ging durch den Raum, strich mit den Fingerspitzen über die Möbel, die Sofas, den rustikalen Schrank, schaute auf die bunten Gemälde und wandte sich zu Alaric um. „Es gefällt mir. Sind das deine Bilder? Ich meine, hast du sie gemalt?“

Er senkte den Blick. Von unter der Theke zog er eine Flasche Mineralwasser hervor. „Ja.“

„Sind sie neu?“

„Nein.“ Seit Jahren hatte er nichts Richtiges mehr gemalt. Seine linke Hand war nach wie vor nicht so beweglich, dass er etwas zustande brachte, mit dem er zufrieden war, geschweige denn etwas, das er aufhängen wollte.

Er stellte ihr Glas auf die Theke, ging hinüber zur Terrassentür, öffnete sie und verließ das Haus. Die heiße Mittagssonne traf ihn nach der klimatisierten Luft drinnen wie ein Schlag in die Magengrube.

Er wollte Catherines Blick begegnen. Eine Unterhaltung führen. Ihre Gesellschaft genießen. All die Dinge, die er früher getan hätte.

Aber jetzt fühlte er sich unwohl. Unwürdig, gebrochen. Er lebte das Leben eines Einsiedlers, in einem Körper, der sich nicht mehr wie sein eigener anfühlte.

Er hörte, dass sie hinter ihn trat, und blickte stur hinaus auf das Wasser, die Wellen, die Segelboote in der Ferne. „Als ich die Insel gekauft habe, war das hier ein verlassenes Bauernhaus. Ich habe es renovieren und umbauen lassen.“

Catherine ging an ihm vorbei zum Rand des Balkons, und er folgte ihr, froh, dass sie die Landschaft betrachtete, nicht ihn. Neben ihr blieb er stehen, die unversehrte Seite seines Gesichts ihr zugewandt.

„Ich kann verstehen, warum du es gekauft hast. Mir gefällt, dass du den Stein nicht verkleidet hast. Das Haus hat eine Seele. Und es passt zur Landschaft.“

Er gab ein Schnauben von sich, überrascht und erfreut zugleich, dass sie seine Gründe so gut nachvollziehen konnte. „Teile dieses Stockwerks und des untersten sind direkt aus dem Fels geschlagen. Dadurch fügt es sich in die Landschaft ein. Und die Schlafzimmer unten bleiben kühl, selbst wenn die Klimaanlage aus ist.“

„Dein Haus ist auf den Kopf gestellt.“

Unerwartet brach ein kleines Lachen aus ihm heraus. „Ja, das kann man so sagen. Aber dass der Pool direkt vor dem Schlafzimmer ist, kommt sehr gelegen, wenn man gern frühmorgens seine Bahnen zieht.“

„Tust du das?“ Sie schaute ihn an.

„Ja.“

„Jeden Morgen?“

„Ja.“

Ihr Blick ruhte auf ihm, und er versuchte, ruhig durch die Nase zu atmen, bewusst die Nervosität zu bekämpfen, die ihre Aufmerksamkeit in ihm weckte. Aber dadurch stieg ihm auch ihr Geruch in die Nase. Blumen und Vanille. Süß und verlockend. In seinen Adern strömte auf einmal eine Wärme, die er seit Langem nicht gefühlt hatte.

Catherines Anziehungskraft war beunruhigend, ja, verstörend. Oder lag es einfach nur daran, dass er an Gesellschaft nicht mehr gewöhnt war? Er sah niemanden außer Dorothea, Andreas und Marsel. Seit einem Jahr hatte er keinen anderen Menschen getroffen. Seit einem Besuch von Flo, den er nicht einmal gewollt hatte.

Jetzt war er hier, mit Catherine, der Versuchung in Person.

Ihm wurde bewusst, dass seine Schwester genau gewusst hatte, was sie tat. Er, der Idiot, war ihr in die Falle gegangen.

Catherine drehte sich um, lehnte sich an das Geländer, die Ellbogen aufgestützt, und hob mit geschlossenen Augen ihr Gesicht der Sonne entgegen. „Ich kann verstehen, warum du hergezogen bist.“

Sie klang zufrieden. Glücklich. Ganz anders, als Alaric sich fühlte. Er riskierte einen Blick. Das hätte er nicht tun sollen, denn ihr Anblick nahm ihn sofort gefangen.

Jetzt lag kein Entsetzen in ihrem Gesicht. Und vielleicht hatte er es sich überhaupt nur eingebildet. Ihr Haar glänzte in Goldtönen, ihre dichten Wimpern formten dunkle Halbmonde über erröteten Wangen, ihre Lippen öffneten sich, als sie ausatmete, zeigten perfekte weiße Zähne und eine rote Zunge.

Aber es war kein rein natürlicher Look. Ihr Make-up war professionell und dezent. Ein dezenter Lidstrich folgte der Kurve ihrer Wimpern, die von der Wimperntusche verlängert wurden. Ihre Lippen waren pink und glänzend, als hätte sie sie gerade mit der Zunge befeuchtet, aber das war der Effekt irgendeines teuren Lippenstifts.

Sie verkörperte Hollywood.

Und Alaric wollte diesen Teil an ihr verabscheuen. Seine Abneigung dazu gebrauchen, Distanz zu wahren. Die alten Gefühle zu bekämpfen, die wieder an die Oberfläche zu steigen drohten und in der Gegenwart keinen Platz hatten.

„So, wo sind die Schlafzimmer?“ Catherine schaute ihn an und kniff die Augen zusammen.

Er räusperte sich und hielt ihren Blick mit mehr Entschlossenheit, als er tatsächlich empfand. „Wir können hier draußen die Treppe hinuntergehen oder drinnen.“

„Ich bin für alles zu haben.“

Die Doppeldeutigkeit trieb seinen Puls in die Höhe. Er ging zurück ins Wohnzimmer und atmete in der dringend benötigten Kühle tief aus, stellte sein Glas auf die Theke und ging weiter zur Treppe, die nach unten führte.

Würde das die nächsten Wochen so weitergehen? Er konnte kaum klar denken. Je schneller die Besichtigungstour vorbei war, desto besser. Dann hatte er seine Schuldigkeit getan und konnte sich zurückziehen.

Zumindest bis zum Essen …

3. KAPITEL

Catherine folgte ihm. Ihr ganzer Körper vibrierte. Sie war nicht unschuldig. Sie wusste, was Verlangen war, aber das hier bescherte ihr Gänsehaut, ein Prickeln im ganzen Körper, ungeachtet der Tatsache, dass Alaric ihre Gegenwart ganz offensichtlich nicht begrüßte.

Warum fühlte sie sich zu einem Mann hingezogen, der sich nicht mal dazu durchringen konnte, ihr ins Gesicht zu sehen?

War von ihrer alten Freundschaft noch etwas übrig?

Eine echte Freundin hätte er aus freien Stücken eingeladen. Eine echte Freundin hätte ihn dazu gebracht aufzuhören, sich zu verkriechen, und wäre mit ihm in Verbindung geblieben.

Nicht, dass irgendeinem seiner Freunde – oder Familienmitglieder – das gelungen war.

Warum glaubte Flo, dass Catherine jetzt eine Chance hatte, zu ihm durchzudringen? Aber versuchen musste sie es. „Sie vermissen dich, weißt du?“

Alaric zuckte zusammen, und Catherine blieb stehen. Wartete atemlos auf eine Antwort. Aber er ging einfach weiter.

Sie hatte sich schon zu weit aus dem Fenster gelehnt. Und noch dazu am ersten Tag. Wenigstens eine Woche hätte sie warten sollen, bis sie ihn darauf ansprach.

Aber in seiner Gegenwart ging bei ihr alles durcheinander.

Die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, war so ausgeprägt. Nicht nur in seinem Äußeren, auch in seinem Benehmen. Er konnte sich nicht dazu bringen, sie anzusehen, wenn sie allein waren, und wandte den Blick ab, sobald sie ihn anschaute. Die ganze Zeit hielt er Distanz.

Entweder war er verunsichert, oder er hasste es, dass sie hier war.

Aber ein Alaric, der unsicher war, schüchtern und nervös, passte nicht in ihr Weltbild. Er war immer so sexy und selbstbewusst gewesen, voller Humor. Die lebhaften Bilder, die die Wände im Wohnzimmer schmückten, hatte er gemalt. Früher hatte er sie zum Lachen gebracht, bis sie Bauchschmerzen bekommen hatte. An ihrem sechzehnten Geburtstag hatte er für sie gesungen, einen Song voll von Anspielungen und sanftem Spott.

Sie hatten oft miteinander geflirtet, es aber nie riskiert, die rote Linie zu überschreiten. Schließlich hatten sie unterschiedliche Wege eingeschlagen. Ihre Karriere hatte Catherine nach L.A. geführt, während Alaric überall in Europa herumgereist war. Und seit dem Unfall hatte er sich vollkommen abgeschottet.

Catherine runzelte die Stirn, als sie sah, wie angespannt er wirkte. Zu sehen, wie sehr er sich verändert hatte, versetzte ihr einen Stich.

Und er wirkte so stark. Seine Schultern waren breit, die Muskeln zeichneten sich unter dem dünnen Stoff seines T-Shirts ab. Er war immer schlank und fit gewesen, aber jetzt hatte er Muskeln wie ein Boxprofi und eine Figur, bei der ihr der Mund trocken wurde.

Unten am Fuß der Treppe blieb Alaric stehen und deutete auf eine Tür auf der rechten Seite. „Das ist dein Zimmer.“

Er drehte sich nicht um, sondern öffnete die Tür und winkte ihr, ihm zu folgen.

Frustriert machte sie den Mund auf – wollte er sie wirklich nicht ansehen? Oder hatte er Angst davor, dass sie ihn ansah?

Aber was konnte sie schon sagen? Sie folgte ihm ins Zimmer.

Hier sollte sie schlafen?

Ungläubig sah sie sich um. Es sah aus wie in einem Luxushotel. Ein riesiges Bett, das mit seinen großen Kissen und den weißen Laken wie eine Wolke im Raum zu schweben schien. Steinwände, der Boden in Tonfliesen, der Infinity-Pool hinter den Glastüren zur Terrasse, die überdachte Sitzecke und dahinter das türkisfarbene Meer.

Catherine war an Luxussuiten gewöhnt, an Penthouses, das Beste, was ein Hotel zu bieten hatte, aber das hier war Alarics Zuhause, und alles andere verblasste im Vergleich dazu.

„Gefällt es dir?“ Er stand auf einmal hinter ihr, und seine Nähe ließ sie erschauern.

„Es ist unglaublich.“ Sie wirbelte zu ihm herum und bereute es sofort, als er sich abwandte und auf ein Paneel neben der Tür deutete.

„Hier kannst du die Temperatur einstellen. Und wenn du gern im Zimmer frühstücken würdest, musst du Dorothea nur kurz Bescheid geben, und sie kümmert sich darum.“ Er wandte sich nach links und ging durch einen Durchgang. Lichter schalteten sich ein, erhellten etwas, das aussah wie ein begehbarer Kleiderschrank. „Hinter dem Ankleidezimmer ist das private Badezimmer.“

Catherine folgte ihm. Dabei war sie sich nicht sicher, was sie am meisten beeindruckte: Er, das Zimmer oder der spektakuläre Ausblick aufs Meer. Selbst das Badezimmer hatte eine Fensterfront.

„Das Glas ist von außen undurchsichtig.“

Sie nickte und betrachtete die Badewanne, die Dusche mit ihren kupfernen Armaturen und riesigen Duschköpfen und die beiden kupfernen Waschbecken, die in die Waschkommode eingelassen waren.

„Waschlappen, Handtücher, Toilettenartikel – alles, was du brauchst. Wenn irgendetwas fehlt, dann …“

„Sage ich Dorothea, Andreas oder Marsel Bescheid“, beendete sie spöttisch seinen Satz. „Schon kapiert.“

Alaric sah sie nicht an.

Sie versuchte eine andere Taktik. „Wenn das Gästezimmer schon so aussieht, frage ich mich, wie der Herr des Hauses untergebracht ist.“

Es war als Scherz gemeint. Er sah sie an, nur ganz kurz, dann ging er zurück ins Schlafzimmer. Sie folgte ihm, die nächste Frage auf der Zunge, bis ihr Blick auf das Gemälde fiel, auf das sie gerade zugingen. Es war ungemein fesselnd. Die verschlungenen Gestalten, die kräftigen Farben, die Lebhaftigkeit, der markante Pinselstrich, der als Signatur hätte dienen können …

„Das hier ist dein Zimmer, oder?“

Alaric antwortete nicht, stattdessen ging er zur Fensterfront und deutete auf einen Schalter. „Hier kannst du die Rollos bedienen oder die Türen öffnen. Der Schalter neben dem Bett macht dasselbe.“

Zögernd näherte sie sich ihm, befürchtete dabei, er würde sich wieder abwenden. „Ich verstehe schon.“ Sie meinte die Schalter, aber dann begriff sie, dass es sich in gewisser Weise auch auf ihn bezog. Auf das, was geschehen war. Wie es sich anfühlen musste, sie hierzuhaben.

Er nickte knapp und wollte um sie herumgehen, aber sie streckte die Hand aus und berührte seinen Arm.

„Alaric?“ Seine Muskeln spannten sich unter ihren Fingern an, und ein heißes Prickeln überlief sie. „Warte … sieh mich an, bitte.“ Er warf ihr einen Seitenblick zu, ohne sich zu ihr umzuwenden. „Es ist wirklich dein Zimmer, oder?“

„Spielt das eine Rolle?“

„Ich möchte dich nicht aus deinem eigenen Revier vertreiben!“ Besonders, wenn ich in Wirklichkeit nicht willkommen bin.

„Das tust du nicht.“

„Doch, das tue ich.“ Sie befeuchtete nervös ihre Lippen.

„Glaub mir, Catherine, das Gästezimmer reicht mir vollkommen aus, und ich benutze den Kleiderschrank sowieso nicht. Und wenn ich mir dein Gepäck ansehe …“ Er deutete auf ihre Taschen, die neben der Tür standen, und ging hinüber. Alle Hoffnung, die sie gehabt hatte, zu ihm durchzudringen, schwand. „Ich glaube, Marsel hat alles hergebracht, aber wenn irgendwas fehlt oder du sonst etwas brauchst, gib einfach Bescheid.“

„Jedem außer dir.“ Sie überkreuzte die Arme vor der Brust und kämpfte gegen die jähe Traurigkeit.

„Ich muss arbeiten, Catherine.“

Sie nickte, obwohl sie genau wusste, dass es nicht die Arbeit war, die ihn davon abhielt, Zeit mit ihr zu verbringen.

Oder schätzte sie ihn falsch ein?

„Ich sehe dich dann beim Abendessen.“ Er war schon zur Tür hinaus. „Wir essen um sieben.“

Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber es war zu spät. Er war weg. Ohne Abschiedsgruß.

Und jetzt fühlte sie sich … vollkommen durch den Wind. Und daran war sie nicht gewöhnt.

Ihr Telefon vibrierte.

Eine neue Nachricht von Flo.

Und? Hast du ihn gesehen?

Ja. Sie hielt inne und biss sich auf die Lippen. Was sollte sie sagen? Flo machte sich schon genug Sorgen. Er ist hier im Haus.

Wie geht es ihm?

Catherine schluckte. Sie konnte Flo nicht anlügen. Schwer zu sagen. Er ist ganz anders. Distanziert.

Lächelt er wenigstens?

Nein. Als sie gesagt hatte, sein Haus sei verkehrt herum gebaut, hatten sich seine Mundwinkel ein wenig verzogen. Aber den Rest der Zeit … Nicht wirklich jedenfalls. Aber überlass das mir. Gib mir ein bisschen Zeit.

Catherine hoffte, ihre Zuversicht würde auf Flo abstrahlen, die hochschwanger war und nicht noch mehr Stress brauchen konnte.

Sie nahm ihr Glas in die Hand und schaute hinaus auf den Pool. Er sah wunderbar ruhig und einladend aus.

Ja, sie würde eine kurze Runde im Wasser drehen, in der Sonne liegen und sich vor dem Essen noch ein bisschen in ihr Drehbuch vertiefen.

Und dabei nicht an Alaric denken.

Alaric konnte nicht schnell genug flüchten. Mit Catherine in seinem Schlafzimmer zu sein, während sie mit ihm reden wollte, war zu viel. Es verführte ihn, zu vergessen, wie er aussah. Den Gefühlen nachzugeben, die längst vergessen sein sollten. Die alte Verbundenheit zwischen ihnen neu aufleben zu lassen. Er ging zurück nach oben, in sein Arbeitszimmer, nahm unterwegs sein Glas von der Theke und dachte darüber nach, sich etwas Stärkeres zu gönnen.

Flo war schuld. Sie musste sich überall einmischen.

Er öffnete die Tür zu seinem Arbeitszimmer, warf einen Blick auf die vielen Displays rund um seinen Schreibtisch und schüttelte den Kopf. Der einzige Weg, diese Anspannung loszuwerden, war ein ordentliches Workout.

Als es schließlich Zeit fürs Abendessen war, war es ihm zwar erfolgreich gelungen, Catherine aus dem Weg zu gehen, aber an sie denken musste er unablässig. Ihr Lächeln, ihre Stimme, ihre Augen. Ihre Lippen, die sie sich nervös leckte. Weil er sie nervös gemacht hatte. Das ließ ihn sich schuldig fühlen.

Denn wenn er diese Schwächen an ihr bemerkte, war sie nicht Kitty Wilde, der Filmstar. Sie war nicht die Frau auf der Leinwand, aus der Zeitschrift, aus dem Internet, selbstbewusst und unberührbar, sondern Catherine, seine Jugendfreundin, ein Mädchen, für das er früher einmal alles getan hätte, eine Frau aus Fleisch und Blut, mit echten Gefühlen.

Und das machte nicht nur sie verwundbar, sondern auch ihn.

Er trainierte stundenlang, aber es half nicht. An sie denken musste er trotzdem.

Als es Zeit für das Abendessen war, hatte er enormen Hunger – aber ihre unvermeidliche Anwesenheit nahm ihm den Appetit.

Konnte er wenigstens so tun, als ob ihm ihre Gesellschaft nichts ausmachte?

Flo zuliebe? Catherine zuliebe? Ihrer früheren Freundschaft zuliebe?

Immerhin war es nur für eine kleine Weile. Ein paar Wochen, und dann konnte er weitermachen wie bisher, in seiner übersichtlichen Welt, mit einer Schwester, bei der er etwas guthatte.

Allein dafür würde es sich lohnen.

4. KAPITEL

Zwei Dinge wurden Catherine deutlich bewusst.

Sie wusste nicht, was sie zum Abendessen anziehen sollte.

Und in Alarics Schlafzimmer gab es keinen Spiegel, in dem sie ihr Outfit begutachten konnte.

Was war ein begehbarer Kleiderschrank ohne Spiegel?

Nutzlos!

Sie betrachtete jede Wand, als würde irgendwo einer auftauchen, schaute hinter Schranktüren und musste schließlich akzeptieren, dass die einzigen Spiegel über den Waschbecken im Badezimmer hingen und nicht groß genug waren, um sich darin in voller Länge zu betrachten.

Ein weiches, weißes Handtuch um sich geschlungen, ging sie darauf zu und strich sich die feuchten Haarsträhnen aus der Stirn. Sie glühte förmlich, und das, obwohl die Klimaanlage auf höchster Stufe lief und sie sich vor zehn Minuten erst in der Dusche abgekühlt hatte. Aber die Hitze ihres Lauftrainings war nicht verflogen.

Sie war draußen gejoggt, denn im Fitnessstudio lief die Rudermaschine. Bedient von einem schweißüberströmten Alaric.

Wieder wurde ihr heiß, als sie daran dachte, wie er ausgesehen hatte. Halbnackt, rudernd, als hinge sein Leben davon ab. Seine Haut glänzte, seine Muskeln wölbten sich. Er war so in sein Training vertieft, dass er sie nicht einmal bemerkte – zum Glück.

Sie hatte auf dem Absatz kehrtgemacht und stattdessen eine Runde durch die Olivenhaine gedreht, die das Haus umgaben. Die Hitze war unerträglich, aber zumindest half ihr das dabei, nicht an Alaric zu denken.

Und das Training würde ihr helfen, sich nicht schuldig zu fühlen, wenn sie heute Abend herzhaft zugriff.

Wenn sie nur einen Spiegel hätte.

Die waren doch heutzutage überall?

Als Alaric sie bei ihrer Ankunft herumgeführt hatte, hatte sie nicht darauf geachtet. Aber als sie jetzt darüber nachdachte … sie erinnerte sich nicht, einen gesehen zu haben, nicht einmal im Fitnessraum.

Sie blies sich noch einmal die Haarsträhnen aus der Stirn.

Keine Spiegel. Er konnte es nicht ertragen, sich selbst anzusehen. Bei dieser Erkenntnis fröstelte sie auf einmal. Er versteckte sich nicht nur vor der Welt, sondern auch vor sich selbst.

Catherine atmete tief ein. Und straffte entschlossen die Schultern. „Du musst dich nicht verstecken, Alaric“, flüsterte sie. „Nicht vor mir. Nicht vor dir selbst. Vor niemandem. Und ich werde es dir beweisen.“

Alaric blickte auf seine Uhr und zupfte an seinem Kragen.

Warum er ein Hemd angezogen hatte, begriff er nicht. Er war zu Hause, konnte tragen, was er wollte, aber irgendwie hatte er das lächerliche Verlangen, sich in ihrer Gegenwart nicht noch minderwertiger vorzukommen. Angesichts ihres Ruhms fühlte er sich nicht nur gewöhnlich, ihm waren auch seine Narben besonders deutlich bewusst.

Darüber dachte er nach, während er wartete … und wartete. Es war halb acht. Wie konnte man sich eine halbe Stunde verspäten, wenn man nur zwei Treppen hochsteigen und durch eine Terrassentür gehen musste?

Vielleicht wusste auch Catherine nicht so recht, was sie anziehen sollte.

Er winkte Dorothea herüber, die sich im Hintergrund bereithielt. „Wollen Sie vielleicht …“

Aber er verstummte, als er hinter ihr eine Bewegung sah. Dann fiel ihm der Unterkiefer herunter. Ganz offensichtlich hatte Catherine gewusst, was sie anziehen wollte. Dieses Outfit war alles andere als unentschlossen.

Was glaubte sie, wo sie war? Auf irgendeiner Preisverleihung, die live in die ganze Welt übertragen wurde? Bei einer Abendgala?

Sie hatte ihr Haar aufgesteckt, aber diesmal ringelten sich ein paar Strähnen absichtlich-unabsichtlich um ihr Gesicht und fielen ihr auf die Schultern. Das Kleid war rot, tief ausgeschnitten und enganliegend, betonte Brüste und Taille und reichte ihr bis zur Mitte der Oberschenkel.

Sie war sexy, selbstbewusst und elegant, und er war verloren.

Alaric hätte schwören können, dass sein Herz aufgehört hatte zu schlagen. Er konnte nichts sagen, nicht einmal schlucken oder sich bewegen. Während sein Kopf in Dorotheas Richtung gewandt war, ruhte sein Blick auf Kitty – Catherine.

„Ja?“, fragte Dorothea nach, dann drehte sie den Kopf, um zu sehen, wohin er schaute. „Oh! Miss Wilde!“

Catherine lächelte. Ihr Blick wanderte zwischen ihm und Dorothea hin und her. Die untergehende Sonne tauchte sie in Gold.

„Ich hatte schon Angst, Sie hätten sich verlaufen.“

Dorotheas gutmütiger Spott entlockte Catherine ein Lächeln. „Es tut mir leid, dass ich so spät dran bin, ich …“

„Besser spät als nie.“ Alaric stand auf und ignorierte dabei den Blick, den Dorothea ihm zuwarf. Catherine sah ihn an, senkte die Lider. Mit einer Hand zupfte sie an ihrem Haar, als wäre es nicht schon perfekt.

„Tut mir leid.“ Sie verzog entschuldigend das Gesicht.

Er schaute weg und ging um den Tisch herum, um den Stuhl zurückzuziehen. Sein Lächeln fühlte sich falsch und unbeholfen an. „Setz dich doch, bitte.“

Sie biss sich auf die vollen, roten Lippen.

Fühlte sie sich wirklich schuldig? Bestimmt war sie daran gewöhnt, Leute warten zu lassen – das war doch Standard in ihrer Welt.

„Ich gehe und backe das Pitabrot.“ Dorotheas Worte durchbrachen das Schweigen.

Catherine erwachte aus ihrer Starre, gab sich mehr als weltgewandter Filmstar, als sie auf ihn zukam. Ihre High Heels klackten auf dem Steinboden, der Rhythmus so ausgeprägt wie sein Herzschlag.

Alaric biss die Zähne zusammen und schaute auf den Tisch hinunter. Sie beobachtete ihn, das spürte er. Begriff sie, wie sehr ihre Anwesenheit ihm zu schaffen machte? Nach all den Jahren sollten ihm diese Gefühle vertraut sein.

Andererseits hatte er die letzten drei Jahre versucht, alle Gefühle zu unterdrücken. Sich vom Rest der Welt abzuschirmen, hatte das sehr viel leichter gemacht. Jetzt war er nicht länger allein, und seine Selbstbeherrschung wurde durch die eine Person auf die Probe gestellt, der er nie etwas hatte abschlagen können.

„Was ist los, Alaric? Du siehst aus wie an dem Tag, als du mich aus eurem Pool gerettet hast.“ Sie lachte. Der helle Klang ihrer Stimme und die Erinnerung, die die Worte wachriefen, entlockten auch ihm ein Lachen, das ihn selbst überraschte.

Das Leben war damals so anders gewesen. Sie waren so anders gewesen.

Catherine eine lebhafte Träumerin, sorglos und unschuldig. Und er ein rebellischer Internatsschüler, wütend und frustriert von dem ständigen Druck, unter dem er stand.

War es ein Wunder, dass sie ihn so gefesselt hatte?

„Du hast mich damals halb zu Tode erschreckt.“ Er wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Ihr Parfüm stieg ihm in die Nase. Einen Moment musste er die Augen schließen.

„Du warst mein Ritter in glänzender Rüstung.“ Sie schaute zu ihm hoch, und er wandte sich ab, bevor sie all seine Gefühle in seinem Gesicht lesen konnte, holte tief Atem und ging zu seinem Platz, achtete darauf, sie nicht zu berühren.

Es war verrückt. Vor vierzehn Jahren, als er sie aus dem Pool gezogen hatte, hätte ihm Körperkontakt nichts ausgemacht. Sie war süße sechzehn gewesen, vier Jahre jünger als er – und damals viel zu jung für ihn. Aber die Art, wie sie sich an ihn geklammert und zu ihm aufgesehen hatte, als sei er ihr Retter, während ihre Mutter sich entrüstete … Er hatte sie gewollt. Und er hatte sie beschützen wollen. Bevor sie ein Star geworden war und vor dem Unfall, der ihn innerlich wie äußerlich gezeichnet hatte.

Jetzt suchte sie hier auf seiner Insel Zuflucht vor der Außenwelt, und dieses Gefühl, ihr Retter zu sein, flutete ihn erneut mit Wärme. Brachte die Gefahr mit sich, von einer Zukunft zu träumen, die er nicht haben konnte.

Er setzte sich auf seinen Stuhl, nahm die Flasche Weißwein aus dem Eiskübel und füllte beide Gläser. Ganz egal, was es für ihn bedeutete, Catherine brauchte diese Auszeit. Davon zumindest hatte Flo ihn überzeugt. Aber als er in ihr gefasstes, perfektes Gesicht sah, fiel es ihm schwer, das zu glauben.

War sie wirklich auf der Flucht, oder hatte seine Schwester übertrieben, damit er sie nicht abwies?

„Warum bist du wirklich hier, Catherine?“

Ihr Lächeln verblasste. „Du weißt, warum.“

„Weil du dich vor der Presse verstecken willst.“

Sie nahm das Weinglas, strich mit dem Finger über die Kondensflüssigkeit und trank einen langen Schluck. Dauerte es so lange, eine Antwort zu finden?

Alaric schaute ihr ins Gesicht und versuchte, darin zu lesen, doch was ihn gefangen nahm, war die Art, wie sie die glänzenden roten Lippen aufeinanderpresste, das Summen, mit dem sie ausdrückte, dass ihr der Wein schmeckte.

„Es ist ein bisschen komplizierter, aber im Prinzip schon.“

„Komplizierter?“

Ihre Lider flatterten, ein Anzeichen von Schmerz, das er nicht ignorieren konnte. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch und senkte den Kopf. Er wollte fragen, wieso, hatte aber auch Angst, sie zu sehr zu bedrängen.

Leise räusperte er sich. „Flo hat erwähnt, dass du an einem Drehbuch schreibst?“

„Ja.“ Sie hob den Kopf wieder und lächelte schwach. „Das will ich schon seit einer Weile tun.“

„Und dazu bist du hier?“

„So der Plan.“

„Warum kannst du das nicht zu Hause machen?“

Sie zuckte zusammen. „Weil ich da zu sehr abgelenkt bin.“ Als sie wieder nach dem Weinglas griff, zitterten ihre Finger. „Flo hat es bestimmt erklärt.“

„Sie hat erklärt, dass die Presse dich seit deiner Trennung von … wie hieß er noch?“ Er winkte mit der Hand durch die Luft.

„Luke.“ Sie kniff die Augen zusammen. „Und ich bin sicher, das weißt du.“

Unerwartet musste er ein wenig lächeln. „Stimmt.“

Wusste sie auch, dass er sich nicht dazu bringen konnte, den Namen ihres Lovers auszusprechen, ohne dass Eifersucht in ihm aufstieg? Ohne sich zu fragen, was vorgefallen war und ob an dem, was die Klatschpresse schrieb, irgendetwas dran war? Flo hatte gesagt, es sei alles erfunden, aber … „Stimmt es?“

„Was?“

„Was die Medien schreiben.“

„Tut es das je?“ Sie nahm einen tiefen Schluck Wein. „Na ja, manches wahrscheinlich schon.“

„Du hattest eine Affäre mit einem anderen Co-Star und hast deshalb mit deinem Verlobten Schluss gemacht?“

Sie verschluckte sich und starrte ihn ungläubig an. „Nein! Nein, ich hatte keine Affäre!“

„Ich gebe nur wieder, was in den Zeitungen gestanden hat.“

„Du solltest mich besser kennen.“

„Ich kenne dich überhaupt nicht, Catherine. Nicht mehr. Deshalb frage ich.“ Noch während er es sagte, überlegte er, ob das stimmte. Es tat ihr offensichtlich weh. Aber das war gut, weil er unbedingt Distanz zu ihr halten musste. „Und unabhängig davon, ob es wahr ist oder nicht, was hat Oscar Wilde noch gleich gesagt? Nur eins ist schlimmer, als wenn die Leute über einen reden – nämlich, wenn keiner über einen redet. Das war er doch, oder? Und das trifft auf Hollywood bestimmt genauso zu. Deine PR-Leute werden das schon irgendwie zu deinem Vorteil drehen, immerhin geht der Film bald an den Start, und ihr seid Co-Stars.“

„Du scheinst eine Menge über meine Arbeit und mein Privatleben zu wissen.“

Das ignorierte er. „Also, ist es nicht eher etwas Gutes?“

Sie schürzte die Lippen und war so lange still, dass er sich schon fragte, ob sie überhaupt antworten würde. „Mir wäre es lieber, sie täten es nicht“, sagte sie schließlich.

„Weil dir das Bild nicht gefällt, das sie von dir malen?“

Sie lachte hart. „Nein, Alaric, das tut es nicht. Würde es dir gefallen?“

Nein, und deshalb versteckte er sich hier. Nicht, dass er das zugeben würde.

Sie stieß den Atem aus. „Letztlich ist es egal, was sie sagen. Die Gründe für die Trennung sind privat. Wir wissen, was wirklich passiert ist, und nur das zählt.“

Ihm entging nicht, dass ihre Stimme zitterte. „Auch wenn es heißt, du hättest ihn betrogen? Dass die Verlobung nur Schadensbegrenzung war, du ihn am Ende doch verlassen hättest?“

Sie zuckte die Achseln. „So etwas erzählt die Presse nun mal. Mir ist es inzwischen egal.“

„Warum, Catherine? Als wir jünger waren, hast du doch den Ruhm unbedingt gewollt. Tatsächlich bin ich eher überrascht, dass du die Beziehung mit Luke nicht dem Anschein nach aufrechterhalten hast. Für die Publicity.“

Ihre Augen blitzten, und unter dem Make-up errötete sie. „Hältst du wirklich so wenig von mir?“

Er griff nach dem Wein und unterdrückte das Schuldgefühl. „Hör mal, lass uns nicht so tun …“ Er schlug einen vernünftigen Tonfall an. „Du hast eine erfolgreiche Karriere, die von dir verlangt, im Rampenlicht zu stehen. Und jetzt willst du mir erzählen, du bist das alles leid?“

Ihr Stirnrunzeln wirkte finster. „Fällt dir das so schwer zu glauben?“

„Aber warum? Du hast hart daran gearbeitet, ein Star zu werden, so auszusehen und so aufzutreten, und das alles ist ein Teil davon.“

„Meinst du nicht, dass ich trotzdem ein Recht auf Privatsphäre habe?“

„Du hast dir dieses Leben ausgesucht, Catherine. Du wolltest in die Fußstapfen deiner Mutter treten. Was hast du geglaubt, was passieren würde? Dass es dir irgendwie gelingt, dein Privatleben komplett abzukoppeln? Mir kommt es vor, als würdest du hier über etwas jammern, an dem du selbst schuld bist.“

Sie straffte die Schultern, richtete sich gerade auf. „Wenn du so schlecht über mich denkst, warum hast du mich dann herkommen lassen?“

„Weil die Frau, die ich früher gekannt habe, nur herkommen würde, wenn es absolut notwendig wäre.“

„Und weil Flo dich darum gebeten hat, richtig?“

Er hob die Schultern. „Deswegen auch, ja.“

„Ganz im Ernst, Alaric, hätte ich geahnt, dass dir mein Besuch so unwillkommen ist, wäre ich nicht gekommen.“

Er sah sie an. „Er ist nicht unwillkommen.“

Lügner.

Oder war es die Wahrheit?

Suchte er die Schuld bei seiner Schwester und bei Catherine, obwohl er eigentlich nur wütend auf sich selbst war? Weil er sie in Wirklichkeit doch hierhaben wollte? Weil er Catherine hatte wiedersehen wollen, auch wenn sie in verschiedenen Welten lebten? In ihrer Welt herrschte ständiges Blitzlichtgewitter, ob es ihr gefiel oder nicht. Aber er wollte im Dunkeln bleiben.

Einmal hatte er nicht aufgepasst, und es war ein Foto von ihm in der Zeitung erschienen. Das Mitleid, das Entsetzen, die öffentlichen Kommentare zu seinem Aussehen und zum Tod seines besten Freundes …

Alaric ballte die Hände zu Fäusten. Was hatte Cherie wohl gedacht, als sie ihn auf den Titelseiten gesehen hatte, während Fred tot und begraben war?

„Nicht unwillkommen?“, wiederholte Catherine und riss ihn aus seiner Verzweiflung. „Fast hättest du mich getäuscht.“ Böse starrte sie ihn an, und auf einmal kam ihm ein Gedanke, der ihn beinahe zum Lächeln brachte.

Sie zog die Stirn in Falten. „Was?“

Er schüttelte leicht den Kopf.

„Was denn, Alaric? Warum siehst du mich so an?“

„Weil mir irgendetwas sagt, dass du auch dann gekommen wärst, wenn ich dich ausgeladen hätte.“

„Wieso das?“

„Weil du Flo gegenüber genauso wenig nein sagen kannst wie ich.“ Ihr Stirnrunzeln wich einem Lächeln, und er lachte leise. Unter der Fassade von Kitty Wilde war sie doch noch die alte Catherine, die seiner Schwester nichts abschlagen konnte. „Flo ist einfach zu gut darin, zu bekommen, was sie will.“

Catherine lächelte. In ihren Augen leuchtete die Zuneigung. „Das stimmt. Und da ist sie nicht die Einzige. Du warst darin genauso gut.“

Schweigen trat ein, als sich ihre Blicke trafen. Erinnerungen stiegen auf, an gute und an schlechte Zeiten und alles dazwischen. Alaric wünschte sich, er könnte die Zeit zurückdrehen. Wünschte, er stünde wieder an dem Pool, aus dem er sie gerettet hatte, und hielte sie in den Armen, während sie voller Dankbarkeit zu ihm aufschaute.

„Ich will dich nicht belügen, Alaric. Ich wollte dich sehen.“ Sie befeuchtete sich die Lippen. „Ich wollte sehen, wo du lebst. Und verstehen, warum du dich vor dem Rest der Welt zurückgezogen hast, vor deiner Familie. Ich wollte wissen, ob … ob es dir gutgeht.“

Er wollte in dem Blau ihrer Augen ertrinken, in der Sorge und der Aufrichtigkeit, die ihn tief im Inneren berührten. „Es geht mir gut.“

„Wirklich?“

Er biss die Zähne zusammen, wandte den Blick ab und schaute in den Sonnenuntergang. Der Himmel und das Meer waren in Orange und Rosa getaucht. In der Ferne schaukelte ein einsames Segelboot in den Wellen, und er wünschte, er wäre dort draußen. Irgendwo, nur nicht hier.

Catherine war viel zu aufmerksam. Sie hatte ihn immer durchschaut.

Das war wahrscheinlich der Grund, warum Flo sie hergeschickt hatte.

„Sie vermissen dich, Alaric. Das tun wir alle.“

Er schluckte. Es kostete ihn Mühe, sich zu beherrschen. Wir? Das ist ein bisschen dick aufgetragen, oder?“ Der Spott half ihm, ihr ins Gesicht zu sehen. „Nachdem du dir in Hollywood erst einen Namen gemacht hattest, blieb für uns keine Zeit mehr. Ein ‚Wir‘ gibt es nicht.“

Sie zuckte zusammen. „Alaric, du weißt, so war das nicht. Du kannst doch nicht denken …“

„Kann ich nicht? Wie viele Feiern hast du über die Jahre verpasst? Feiern, zu denen Flo dich eingeladen hat?“

„Ich war beschäftigt – mein Kalender war voll, und ich konnte diese Termine nicht einfach absagen. Flo hatte Verständnis dafür. Und wir haben alles nachgeholt.“

Er nickte, blieb aber still. Sagte nicht, dass er sie trotzdem nicht zu sehen bekommen hatte und ihre Behauptung, sie hätte ihn vermisst, Unsinn war.

„Wie gesagt, ich war beschäftigt. Aber das heißt nicht, dass ich sie nicht vermisst habe – oder dich. Euch alle.“

„Nein? Es sind zehn Jahre vergangen, seit ich dich gesehen habe.“

„Ich wollte dich besuchen. Nach dem Unfall. Aber du wolltest mich nicht sehen. Du wolltest niemanden sehen.“

„Du hast schnell aufgegeben.“

„Was hatte ich für eine Wahl?“

Er umfasste die Tischkante mit den Händen. Rang um Fassung. Und er war ihr gegenüber unfair, immerhin war er in den Jahren vor dem Unfall genauso beschäftigt gewesen wie sie, war um die Welt gereist und selten irgendwo länger geblieben.

„Jetzt bin ich hier, Alaric“, sagte sie leise, ohne seinen Blick loszulassen. „Und ich möchte hier sein.“

Er schaute in ihre blauen Augen, sah nichts als Aufrichtigkeit und musste einen Weg finden, von sich abzulenken. „War es all die Opfer wert?“

„Was meinst du?“

„Königin von Hollywood zu sein. War es das wert, dich von allen loszusagen, denen etwas an dir lag?“

„Mich loszusagen? Dass gerade du das sagst …“ Ihre Worte ließen Alaric beinahe zusammenzucken. „Es ist nichts Falsches daran, sich ein eigenes Leben aufzubauen.“

„Nein? Nachdem deine Mutter genau dasselbe getan hat?“

„Alaric, bitte! Vergleiche mich nicht mit ihr.“

„Warum, Catherine? Sie war doch diejenige, die dir Tag für Tag vorgelebt hat, dass der eigenen Karriere nichts im Weg stehen soll … keine Beziehungen, keine Freunde und auch nicht die Familie.“

„Alaric, bitte …“

Er war zu aufgebracht, um es gut sein zu lassen. „Weißt du noch, wie es damals war? Warum du ständig bei uns drüben warst, als wir jünger waren?“

„Schon gut, Alaric. Es reicht.“

„Ist das der Grund, warum du Luke den Laufpass gegeben hast?“ Jetzt hatte er fast schon Mitleid. „War er ein Opfer, das du erbringen musstest, um dich weiter auf deinen Traum zu konzentrieren?“

Ihre Augen blitzten. „Weißt du, die Presse verdient Geld damit, das Schlimmste über mich zu denken und zu drucken. Was ist deine Entschuldigung?“

Das ließ ihn erstarren. Treffer. Und die Antwort, die er nicht laut aussprechen konnte, überraschte ihn selbst. Das Schlimmste anzunehmen … das bewahrte ihn davor, sich auf das Mädchen einzulassen, das ihm damals so viel bedeutet hatte und das er jetzt niemals mehr haben konnte.

Er wollte sie nicht mögen. Wollte all das an ihr, was die oberflächliche Welt Hollywoods verkörperte, verabscheuen. Aber er konnte es nicht. „Dann erzähl mir, was wirklich passiert ist – deine Sicht der Dinge.“

Catherine wurde blass. „Und möchtest du darüber reden, was vor drei Jahren passiert ist?“

„Nein.“ Über die Antwort musste er nicht einmal nachdenken, sie kam von selbst, abrupt und endgültig. Was auch immer zwischen ihr und Luke passiert war, es war nicht dasselbe. Hatte sie ihren Freund auch nur annähernd so sehr geliebt, dass der Schmerz der Trennung an den Tod eines geliebten Menschen heranreichte? „Es hat nichts mit Luke und dir zu tun.“

Sie schluckte. Ihr Schmerz war offensichtlich. Aber war die Trennung nicht von ihr ausgegangen?

„Was ist wirklich passiert?“, fragte er.

Catherine schüttelte den Kopf. „Das ist egal. Im Herzen bin ich immer noch dieselbe wie vor zehn Jahren. Nur das zählt.“ In ihrer Stimme lag ein Flehen. „Damals waren wir Freunde, Alaric. Können wir nicht weiterhin Freunde sein?“

„Freunde?“ Es kam heiserer heraus als gedacht. Plötzlich begannen sämtliche Alarmsirenen zu schrillen. „Es ist viel passiert, Catherine.“

„Ja, und?“

„Abendessen!“ Dorotheas fröhliche Stimme schallte über die Terrasse und unterbrach sie gerade rechtzeitig.

Catherine drehte sich zu ihr herum. Ihre Augen waren groß wie Untertassen, als sie das schwer beladene Tablett mit Essen sah. „Kommen noch mehr Gäste, Alaric?“

Dorothea lachte herzlich. Sie setzte das Tablett ab und stellte die Schüsseln auf den Tisch. „Ein voller Magen ist der Schlüssel zum Glück.“

Catherine sah nicht so aus, als wollte sie dagegen protestieren.

„Souflaki. Pitabrot. Zaziki. Griechischer Salat mit Kalamata-Oliven, Feta, roten Zwiebeln, Gurken, Tomaten, frischem Oregano und natürlich Olivenöl.“

Catherine wirkte beinahe panisch, und Alaric erinnerte sich unwillkürlich daran, dass sie damals unter dem wachsamen Blick ihrer Mutter immer nur wie ein Spatz gegessen hatte. Heimlich hatte er ihr Extraportionen aufgetan – bis sie aufgehört hatte, sie anzunehmen. „Ich hätte dich warnen sollen.“ Auf einmal kam es ihm verdächtig vor, wie schlank sie war. „Dorothea sieht es als ihre Mission, dir ein paar Kilo anzufüttern, während du hier bist.“

Sie schaute von ihm zu Dorothea, ein Lächeln auf den Lippen, das er nicht deuten konnte. „Danke, Dorothea. Es sieht wirklich wunderbar aus.“

„Und es schmeckt aus so!“ Dorothea presste das leere Tablett an ihre Brust. „Sorgen Sie dafür, dass sie auch etwas isst, Kyrios de Vere. Ein bisschen mehr Fleisch auf den Knochen kann nicht schaden. Guten Appetit!“

Als er wieder mit Catherine allein war, verscheuchte Alaric das vertraute Gefühl der Beunruhigung – und die Wut auf ihre Mutter. „So behandelt Dorothea jeden“, versicherte er. „Nimm es nicht persönlich.“

Doch Catherine lachte. „Das ist okay. Ich finde sie wundervoll.“

Endlich entspannte er sich. „So kann man es auch nennen.“

Sie breitete ihre Serviette über ihrem Schoß aus. „Du liebst sie. Das merke ich.“

Er konnte den Blick kaum von ihr abwenden. Ihre Freude und ihr Humor ließen sie lebendig erscheinen und fluteten ihn mit einer Wärme, gegen die er machtlos war. „Sie hat eine besondere Art, mit Menschen umzugehen.“

„Das hat sie. Es ist erfrischend, mit jemandem zusammen zu sein, der sagt, was er denkt, und nicht versucht, es mir recht zu machen.“

„Es sei denn, ich bin derjenige, der es sagt.“

Obwohl sie ihm einen warnenden Blick zuwarf, funkelte in ihren Augen weiterhin die Heiterkeit. Alaric hob den Brotkorb hoch, der zwischen ihnen stand, eine Art Friedensangebot. „Pita?“

„Ja, bitte.“

Er lächelte, als sie ein Stück nahm und dann über den Tisch mit den vielen Schüsseln schaute.

„So appetitlich das auch aussieht, Alaric, du musst mir helfen. Ich werde nicht einmal die Hälfte schaffen.“

Er grinste. Dorotheas Essen brachte einen dazu, mehr zu wollen. „Wir werden sehen. Noch hast du nicht einmal probiert.“

5. KAPITEL

„Ich bin so satt!“ Catherine stöhnte und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Ihr Teller war noch nicht leer, aber sie konnte keinen Bissen mehr essen. Schon die letzte Gabel war zu viel gewesen. Dorothea war wirklich eine exzellente Köchin.

Alarics leises Lachen klang über den Tisch, brachte ihren vollen Magen zum Flattern. „Was ist so lustig?“

„Du und dieses Ächzen. Es passt nicht ganz zu der Prinzessin, die du verkörperst.“

„Prinzessin?“ Sie hob eine Augenbraue.

Er wedelte mit der Hand. „Du weißt schon. So habe ich dich immer schon gesehen.“

Als eine verwöhnte Prinzessin? Sie wollte schon energisch protestieren, aber dann sah sie seinen Blick, das Lächeln, das seine Lippen umspielte. Etwas, das beinahe aussah wie Zuneigung. Hatte er zu viel Wein getrunken? „Ach so?“ Auf einmal war sie atemlos. Das war lächerlich. Atemlos war sie sonst nach körperlicher Aktivität – und zwar nach dem Training im Fitnessstudio oder nach dem Joggen, nicht mit Alaric im Bett, wie ihre allzu lebhafte Fantasie es ihr gerade vor Augen führte.

Nein. Nein. Nein! Sie war die Gelassenheit in Person.

Aber als sein Blick zu ihren Lippen wanderte, lag darin die gleiche Hitze, die sie auch empfand. Gelassenheit war auf einmal eine unbekannte Vokabel.

Wem machte sie etwas vor? Alle Gelassenheit war ihr schon beim Betreten der Insel abhandengekommen.

Autor

Rachael Stewart
Mehr erfahren
Abby Green

Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...

Mehr erfahren
Nina Singh

Nina Singh lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und einem sehr temperamentvollen Yorkshire am Rande Bostons, Massachusetts. Nach Jahren in der Unternehmenswelt hat sie sich schließlich entschieden, dem Rat von Freunden und Familie zu folgen, und „dieses Schreiben doch mal zu probieren“. Es war die beste Entscheidung ihres Lebens. Wenn...

Mehr erfahren