Kalter Verrat, glühende Lust

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Milliardär Gray Lookwood sollte die hübsche Blakely hassen – nicht leidenschaftlich begehren! Denn aufgrund ihrer Aussage wurde er zu Unrecht verurteilt. Doch als er sie zwingt, ihm bei der Suche nach der Wahrheit zu helfen, gerät er ungewollt in ihren sinnlichen Bann …


  • Erscheinungstag 17.04.2025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751537148
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

Kira Sinclair

Kalter Verrat, glühende Lust

1. KAPITEL

Blakely Whittaker stand hinter ihrem neuen Schreibtisch und starrte auf den Bildschirm ihres Laptops, der auf eine Eingabe wartete. Sie hatte keine Ahnung, was sie als Nächstes tun sollte. Vor ihr lag ein Ordner mit Personalunterlagen, den Becky ihr nach einem Rundgang durch das Gebäude ausgehändigt hatte. Eigentlich müsste Blakely sie durchgehen. Stattdessen sah sie immer wieder von der geschlossenen Tür ihres Büros zu den großen Fenstern, die den Blick auf die Stadt freigaben.

Der Kontrast zur schäbigen Arbeitsnische, in der sie die letzten Jahre gesessen hatte, hätte kaum größer sein können. Auch die Leute hier waren anders. Jeder, den sie getroffen hatte – von Finn DeLuca, dem charismatischen Typen, der ihr den Job angeboten hatte, bis hin zur Rezeptionistin und den Angestellten in der Personalabteilung –, erschien ihr enthusiastisch, freundlich und zufrieden. Ein gewaltiger Unterschied zu der deprimierten Truppe, mit der sie bislang gearbeitet hatte.

Das war eine nette Abwechslung, die sie gut gebrauchen konnte, ebenso wie das höhere Gehalt, das sie für ihre neue Stelle als Leiterin der Buchhaltung bei Stone Surveillance bekam. Doch etwas an der Sache störte sie.

Deshalb stand Blakely, statt sich auf den zweifellos bequemen Schreibtischstuhl zu setzen. In ihrem Kopf lieferten sich zwei Stimmen, die wie ihre Eltern klangen, ein Streitgespräch. Auf einer Schulter warnte ihre Mutter, misstrauisch, praktisch und zynisch, dass, wenn etwas zu gut erschien, um wahr zu sein, es das in der Regel auch war. Auf der anderen Seite stand ihr Vater, ewig optimistisch, opportunistisch und, nicht zu vergessen, kriminell veranlagt, der ihr sagte, wenn ihr jemand die Welt schenken wolle, sei es ihre Pflicht, sie anzunehmen und das Weite zu suchen, bevor sich herausstellte, dass alles nur ein Irrtum war.

Wegen dieser gegensätzlichen Einflüsse fühlte Blakely sich oft hin- und hergerissen und vor Unentschlossenheit wie gelähmt.

Nein, die Entscheidung war bereits gefallen. Sie war hier, in ihrem neuen Büro, und es gab kein Zurück mehr.

Blakely ließ sich schließlich auf den Stuhl sinken und seufzte, als sich ihre Vermutung bestätigte. Ihr letzter Stuhl hatte gequietscht, wenn sie aufstand, und die Unterseite des Sitzkissens wurde von Klebeband zusammengehalten. Sie schlug den Ordner mit Infomaterial zu Firmenrichtlinien, Urlaubsregeln und Versicherungsleistungen auf und fing an zu lesen.

Sie war zur Hälfte durch, als die Bürotür aufging. Erst dachte sie, es sei Becky oder jemand von der IT mit den Zugangsdaten für ihren PC. Doch herein kam jemand anderes.

Blakelys Magen verkrampfte sich, und sie errötete, als sie den Mann sah, der sich, größer als ein griechischer Gott, innen an den Türrahmen lehnte.

Ungeachtet ihrer persönlichen Meinung von ihm war ihre körperliche Reaktion auf Gray Lockwood leider immer dieselbe. Sie war sich seiner sofort auf überwältigende Weise bewusst.

Heute mischte sich Überraschung unter die vertraute, unerwünschte Reaktion. Denn der letzte Mensch, den sie in ihrem neuen Büro erwartet hätte, war der Mann, den sie vor acht Jahren ins Gefängnis gebracht hatte.

„Mistkerl.“

Gray Lockwood war schon Schlimmeres genannt worden und vermutlich zu Recht. Wahrscheinlich verdiente er es, wenn auch nicht aus den Gründen, die Blakely Whittaker annahm. Sie hielt ihn wegen der Vergangenheit für einen Mistkerl, was nicht stimmte. Dagegen hatte er sie heute tatsächlich in die Ecke manövriert. Ihr war nur noch nicht klar, wie nah sie mit dem Rücken zur Wand stand. Das würde sich gleich ändern.

„Begrüßen Sie so Ihren neuen Boss?“

Auf Blakelys Gesicht spiegelten sich Ungläubigkeit, Ärger und Abneigung, bis sie zu begreifen schien.

Gray hatte sich von ihrem schockierten Anblick Genugtuung versprochen für die Farce, die ihn damals ebenso unerwartet getroffen hatte und an der sie wesentlichen Anteil gehabt hatte. Doch die erhoffte Befriedigung blieb aus.

Das kam äußerst ungelegen. Vor allem, da er nicht wusste, ob Blakely unabsichtlich an der Täuschung, die ihn ins Gefängnis brachte, mitgewirkt hatte oder ob sie eine Komplizin gewesen war.

Vor acht Jahren hatte er Blakely Whittaker nur vom Sehen gekannt. Sie arbeitete bei Lockwood Industries. Er war ihr ein paar Mal im Flur begegnet, hatte sie in Meetings gesehen. Er hatte sich ebenso flüchtig zu ihr hingezogen gefühlt, wie er die meisten schönen Dinge damals betrachtet hatte. All das hatte sich an jenem Tag geändert, als er ihr in einem Gerichtssaal gegenübersaß und zuhörte, wie sie die erdrückenden Beweise gegen ihn präsentierte.

Blakely hatte der Staatsanwaltschaft den noch rauchenden Colt geliefert, nur hatte er dessen Abzug nie gedrückt. Allerdings konnte er das nicht beweisen. Zumindest zu der Zeit nicht.

Zwar hatte er nach wie vor keine Beweise, aber er war wild entschlossen, sich zu rehabilitieren. Es kam nicht darauf an, dass er bereits für ein Verbrechen bezahlt hatte, das er nicht begangen hatte. Er wollte seinen guten Ruf und das Leben zurück, das er früher hatte.

Blakely würde ihm dabei helfen, auch wenn ihr nicht bewusst war, dass sie einzig aus diesem Grund von Anderson Stone als neueste Mitarbeiterin von Stone Surveillance angeheuert worden war.

Stone und Finn hatten ihn gefragt, warum er die Untersuchung fortsetzen wolle. Schließlich hatte er seine Zeit wegen der Veruntreuung abgesessen und konnte sein Leben unbehelligt weiterleben. Er hatte genug Geld, um alles zu tun, was er wollte – oder auch gar nichts.

Vor seiner Verurteilung war ihm das Familienunternehmen herzlich egal gewesen, doch es schmerzte, dass ihn seine Familie verstoßen hatte. Sein Vater hatte ihn aus der Firma geworfen und weigerte sich, mit ihm zu reden. Seine Mutter gab vor, nie einen Sohn gehabt zu haben. Gray hatte gelernt, damit zu leben.

Früher hatte es ihn nicht gekümmert, was andere über ihn dachten. Er war faul, gefühllos, verwöhnt und anmaßend gewesen. Das Gefängnis hatte ihn verändert, Stone und Finn, die er dort kennenlernte, hatten ihn verändert. Jetzt ärgerte es ihn, dass die Leute hinter seinem Rücken tuschelten. Vor allem, weil er nichts falsch gemacht hatte.

Er mochte ein Mistkerl gewesen sein, aber immerhin ein gesetzestreuer.

Blakely sprang auf. „Ich arbeite für Anderson Stone und Finn DeLuca.“

„Nein, Sie arbeiten für Stone Surveillance. Stone und Finn sind zwei der drei Eigentümer, zufällig bin ich der dritte.“

„Das hat mir niemand gesagt.“

„Weil sie angewiesen wurden, nichts zu sagen.“

Blakely presste die Lippen zu der geraden, sturen Linie zusammen, die er schon öfter gesehen hatte. Sie war zierlich, hübsch und blond, aber sie konnte auch zum Pitbull werden.

Gray kannte ihre Entschlossenheit aus eigener Erfahrung und das nicht erst seit dem Tag im Gericht, als sie den letzten Nagel in seinen Sarg geschlagen hatte. Er hatte sie in Meetings erlebt, wo sie leidenschaftlich für eine Sache eintrat, die ihr wichtig war. Wie sich ihre Haut dabei rötete und ihre Augen blitzten … Wunderschön, verführerisch und unterhaltsam. Doch sie war auch die Art Frau, die sich allem mit dieser Leidenschaft widmete. Damals war er zu bequem gewesen, um es mit einer solchen Intensität aufzunehmen. Er hatte sie nur aus der Ferne bewundert.

Blakely zog eine Schublade auf und nahm ihre Handtasche heraus. „Warum haben Sie mich eingestellt? Sie hassen mich.“

Gray schüttelte den Kopf und deutete ein Lächeln an. „Hass ist so ein starkes Wort.“

„Ich habe mitgeholfen, Sie ins Gefängnis zu bringen. Da ist Hass vermutlich das passende Wort.“

„Darauf würde ich nicht wetten.“ So gern er die Frau auch hassen wollte, es gelang ihm nicht. Sie wäre ein leichtes Ziel für seine Schuldzuweisungen. Zudem war es möglich – nein, wahrscheinlich –, dass sie in der Sache drinsteckte, die ihn zu Fall gebracht hatte. Doch ohne sie würde er nie die Wahrheit erfahren. Und sie würde ihm wohl kaum helfen, wenn sie dachte, dass er ihr die Schuld gab.

„Welches Wort würden Sie dann verwenden?“

Gray musterte sie. „Ich gebe zu, dass Sie nicht mein Lieblingsmensch sind. Trotzdem weiß ich nicht, ob Sie meinen Hass nicht ebenso wenig verdienen, wie ich es verdient hatte, ins Gefängnis zu gehen.“

Blakely schnaubte verächtlich.

Bei dem Geräusch stellten sich seine Nackenhaare auf, aber ihre Reaktion kam nicht unerwartet.

Kopfschüttelnd kam sie um den Schreibtisch herum und wollte zur Tür, doch er verstellte ihr den Weg. Abrupt blieb sie stehen. Sie zuckte zusammen und packte den Riemen ihrer Tasche fester. Kluge Frau.

Gray hatte die letzten Jahre mit Warten verbracht. Derweil war er in einem geheimen Boxring, den Stone, Finn und er aufgebaut hatten, gegen andere Häftlinge angetreten. Er hatte ein Ventil gebraucht, um Dampf abzulassen. Bei diesen Kämpfen hatte er gelernt, seine Gegner zu lesen und auf die subtilen Signale zu achten, die einen Gedanken verrieten, ehe er in die Tat umgesetzt wurde. Allerdings waren Blakelys Absichten alles andere als subtil. Sie wollte aus dem Zimmer hinaus und weg von ihm. Pech für sie. In den kommenden Wochen würden sie viel Zeit miteinander verbringen.

„Gehen Sie aus dem Weg.“

Beim Anblick des Feuers in ihren Augen entzündete sich ein darauf ansprechender Funke in seiner Magengrube. Ihr draufgängerisches Verhalten hatte etwas Verführerisches und Faszinierendes an sich, obwohl er nicht beeindruckt sein wollte.

Er verzog seine Lippen zu einem raubtierhaften Lächeln und ließ den Blick über ihren Körper schweifen. Es war schwer, nicht auf die verlockenden Kurven zu achten oder die Art, wie sich ihr Rock über ihrem Hinterteil spannte und ihre Jacke ihre schmale Taille betonte.

Erst wollte er sich weigern, Platz zu machen, um zu sehen, was sie tun würde. Würde sie ihre Hände auf ihn legen und ihn wegschieben? Würde sein Körper auf den Kontakt reagieren? Dieses Spielchen wäre jedoch nicht klug. Gray trat zur Seite. Er brauchte seinen Körper nicht, um sie aufzuhalten. „Sie können jederzeit gehen.“

Misstrauisch sah sie ihn an. „Vielen … Dank“, sagte sie langsam, als würde sie die Gefahr spüren, ohne zu wissen, worin sie bestand.

Er gestattete ihr, einen Schritt zu machen, ehe er die Falle zuschnappen ließ.

„Obwohl es ja nicht so ist, als hätten Sie eine Alternative. Ich war so frei, Ihren früheren Arbeitgeber über ein paar fragwürdige Aktivitäten zu informieren, die ich entdeckt habe.“

„Was für Aktivitäten? Ich habe nichts Fragwürdiges getan.“

„Natürlich nicht, aber die Beweise deuten auf das Gegenteil hin.“

Blakely schnappte nach Luft, dann stieß sie hervor: „Mistkerl.“

„Das haben Sie bereits gesagt. Es ist nicht schön, wenn Lügen gegen einen verwendet werden, oder? Wie dem auch sei, Sie können nicht in Ihren alten Job zurück. Und wir beide wissen, wie schwer es war, diesen hier zu finden, nachdem Sie bei Lockwood entlassen wurden.“

Blakely errötete, ihre eisblauen Augen glühten vor Zorn. Gott, war sie hinreißend, wenn sie wütend war.

„Was wollen Sie?“, fauchte sie. „Es mir heimzahlen?“

Gray verschränkte die Arme, um nichts Dummes zu tun. „Nicht ganz. Ich möchte, dass Sie mir helfen, meine Unschuld zu beweisen.“

„Das kann ich nicht.“

„Weil Sie nicht wollen?“

Frustriert gab sie zurück: „Nein, weil Sie nicht unschuldig sind.“

„Vielleicht irren Sie sich. Haben Sie daran schon mal gedacht?“

„Natürlich habe ich das“, brüllte sie entrüstet, wobei sie sich vorbeugte, um ihre Worte zu unterstreichen. „Wissen Sie, wie viele Nächte ich wach gelegen und mir diese Frage gestellt habe? Aber ich irre mich nicht. Die Zahlen und Belege lügen nicht. Ich habe mit eigenen Augen Beweise dafür gesehen, dass Sie Millionen Dollar von Lockwoods Konten veruntreut haben.“

„Sie haben gesehen, was jemand Sie sehen lassen wollte.“ Oder was sie so hinmanövriert hatte, dass jeder es sehen konnte.

„Ich gehe jetzt. Ich finde schon einen anderen Job.“

„Sicher … irgendwann. Doch werden Sie ihn hier in Charleston finden oder rechtzeitig, um die Studiengebühren ihrer Schwester zu bezahlen? Oder die Hypothekenrate für Ihre Mom? Oder die Rate für Ihr Auto? Es wird schwierig, einen Job zu kriegen, wenn Sie nicht zum Vorstellungsgespräch fahren können.“

„Mistkerl.“

„Vielleicht sollten Sie sich ein Synonymwörterbuch zulegen. Der Job hier ist echt, Blakely. Trotz allem ist mir bewusst, dass Sie eine hervorragende Buchhalterin sind. Wir möchten, dass Sie für das Unternehmen arbeiten. Sie sollen einfach nur einen anderen Auftrag übernehmen, ehe Sie mit dieser Arbeit anfangen. Und Sie werden für beides sehr gut bezahlt.“

„Wie lange?“

„Was?“

„Wie lange muss ich daran arbeiten, Ihre Unschuld zu beweisen? Denn ich glaube, das könnte zu einer unendlichen Geschichte werden.“

Gray sah sie an. Die Frage war berechtigt. Auch Finn hatte sie ihm gestellt. Wie lange wollte er dem Hauch einer Chance nachjagen? „Sechs Wochen.“

Blakely lachte humorlos und zog widerwillig die Nase kraus. Dann sagte sie: „In Ordnung“, und stürmte hinaus.

Blakely hatte keine Ahnung, wohin sie ging, nur dass sie Gray entkommen musste, ehe sie etwas Dummes tat. Etwa, ihm zu glauben. Oder schlimmer, der unsichtbaren Kraft nachzugeben, die sie zu ihm hinzog, sobald dieser Mann den Raum betrat. Die Damentoilette am Ende des Ganges bot ihr Zuflucht.

Gray Lockwood war die Sünde in Person. Schon immer. Er stand in dem Ruf, auf Vergnügungen aller Art versessen zu sein. Sex, Adrenalin, schnelle Autos und ein Leben im Jetset. Im Lexikon würde sein Bild neben dem Wort „Sünder“ erscheinen. Es war einfach nicht fair. Der Mann hatte den Jackpot geknackt, als er geboren wurde. Und nicht nur, weil er einer prominenten Südstaatenfamilie mit tonnenweise Geld angehörte. Seine Eltern hatten ihm auch tolle Gene vererbt. Er sah umwerfend aus und wusste es.

Vor acht Jahren bestand die wichtigste Entscheidung, die Gray ihres Wissens nach treffen musste, darin, auszuwählen, welche der Frauen, die sich ihm an den Hals warfen, er mit ins Bett nehmen sollte. Er war selbstbewusst, aufgeschlossen und sah aus wie ein griechischer Gott.

Wie jedes andere weibliche Wesen in seiner Nähe hatte auch sie ihn attraktiv gefunden. Doch es fiel ihr leicht, ihm zu widerstehen, weil er unbeständig, verwöhnt und anmaßend war. Der Mann hatte mit Geld um sich geworfen, als spielte er Monopoly. Es hieß, er kaufe teure Autos nur, um sie schnell zu Schrott zu fahren. Er liebte Partys und bezahlte Reisen für zwanzig Personen zu einer wilden Woche in Vegas, Monaco oder Thailand. Während des Prozesses war ans Licht gekommen, dass er Spielschulden in Millionenhöhe hatte.

Jetzt war er anders. Sein schöner Körper wirkte härter, vermutlich hatte er im Gefängnis trainiert. Außerdem war ihr die Narbe aufgefallen, die von seiner linken Augenbraue bis zu einem seiner tiefgrünen Augen hinunterlief. Irgendwie ließ ihn diese Unvollkommenheit noch anziehender wirken. Früher war Gray Lockwood zu perfekt gewesen.

Am auffälligsten war jedoch die Veränderung in seinem Auftreten. Zwar beherrschte er nach wie vor jeden Raum, den er betrat, doch jetzt war die Kraft, die er ausstrahlte, ruhiger.

War sie die nächsten sechs Wochen in der Lage, für ihn zu arbeiten, ohne ihn entweder umzubringen oder in Versuchung zu geraten, seinen muskulösen Körper zu berühren?

Konnte sie zudem an einem Projekt arbeiten, von dem sie nicht überzeugt war, nur des Geldes wegen? Sie war jetzt ebenso sicher wie damals, dass Gray Lockwood viele Geheimnisse verbarg. Eines hatte sie aufgedeckt, wodurch ihr Leben aus der Bahn katapultiert worden war. Wollte sie wirklich riskieren, mehr aufzudecken?

Stöhnend rieb Blakely sich das Gesicht. Am Waschbecken lehnend, starrte sie in ihr Spiegelbild. Ihr gesamtes Erwachsenenleben hatte sie stets das Richtige getan. Integrität war ihr wichtig. Wenn man von einem Kriminellen und Trickbetrüger großgezogen wurde, stieg man entweder in das Familiengeschäft ein oder wurde sittsamer als eine Nonne. Nachdem sie als Kind miterlebt hatte, wie ihr Vater ständig hinter Gittern landete, war ihr die Entscheidung nicht schwergefallen.

Sie verabscheute Menschen, die es sich leicht machten und Vorteile aus den Schwächen oder dem Unglück anderer zogen. Soweit es sie anging, war Gray Lockwood ein Verbrecher der schlimmsten Sorte. Weil er das Geld, das er veruntreut hatte, gar nicht brauchte. Zwar hatte er einem üblen Buchmacher ein paar Millionen geschuldet, aber sein Nettovermögen belief sich auf fast eine Milliarde.

Vieles davon war in Anlagen gebunden, doch statt sie zu veräußern, hatte er seine Finger lieber in die Familienkeksdose gesteckt. Wohl weil der verwöhnte, reiche Junge meinte, es wäre sein gutes Recht. Er hatte nie verstanden, dass der Verlust dieses Geldes die Firma finanziell in Gefahr gebracht hatte, ganz abgesehen vom Lebensunterhalt aller Angestellten von Lockwood Industries.

Konnte sie also sechs Wochen lang vorgeben, an einem Projekt zu arbeiten, an das sie nicht glaubte, um ein Gehalt zu beziehen, das sie unbedingt brauchte?

Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie würde Gray ja nicht belügen. Er wusste, dass sie ihm nicht glaubte. Ihm musste klar sein, dass sie nicht die motivierteste Angestellte wäre. Außerdem hatte er sie in diese Lage hineinmanövriert, worüber sie mit Anderson Stone und Finn DeLuca, diesen beiden Arschlöchern, reden musste.

Sie schuldete Gray nichts. Letztendlich war die Frage, ob sie mit ruhigem Gewissen schlafen konnte, wenn sie blieb.

Heute lautete die Antwort Ja. Ihr gefiel die Situation zwar nicht, aber sie bezweifelte nicht, dass Gray die Wahrheit gesagt hatte und sie große Schwierigkeiten haben würde, einen neuen Job zu bekommen. Er konnte sie nicht bei jeder Firma im Land anschwärzen, also würde sie irgendwann etwas finden. Das könnte jedoch bedeuten, dass sie umziehen und sich ein neues Leben aufbauen musste.

Zwar hatte sie davor keine Angst, doch im Moment war das keine Option. Nicht, wenn sie befürchtete, dass ihr Vater wieder in alte Gewohnheiten verfallen war. Wieso lief in ihrem Leben alles schief?

Mit einem tiefen Atemzug richtete Blakely sich auf. Sie würde bleiben, Grays Geld nehmen und die sechs Wochen arbeiten. Zumindest würde das zur Überbrückung reichen, bis sie etwas anderes fand.

Sie zog ein Papierhandtuch heraus, trocknete sich die Hände und öffnete die Tür. Nach zwei Schritten blieb sie stehen. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass er da war. Ihr Körper reagierte augenblicklich, Energie prickelte auf ihrer Haut. So ungelegen.

Langsam drehte sie den Kopf. Mit verschränkten Armen lehnte Gray lässig an der Wand zwischen den Waschraumtüren.

„Geht’s Ihnen besser?“

2. KAPITEL

Blakely sah Gray misstrauisch an. „Nicht wirklich.“

Achselzuckend tat er ihre Äußerung ab. Ihm war egal, wie sie sich fühlte. „Folgen Sie mir“, sagte er und ging an ihr vorbei. Ihr verführerischer Duft drang ihm in die Nase, zart und subtil.

Gray erinnerte sich daran. Das eine Mal, als er ihr nahe genug kam, um ihren verlockenden Duft einzuatmen, war bei einem Streit im Pausenraum wegen eines Milchaufschäumers gewesen, den er sich von ihr „geborgt“ hatte.

Danach hatte er Abstand gehalten. Sie war zänkisch, und er musste gegen den Drang ankämpfen, ihre Tiraden zu unterbrechen, indem er sie schwindelig küsste. Keine gute Idee.

Blakely mochte wunderschön sein, aber sie war auch kühl und reserviert. Kollegen gegenüber verhielt sie sich freundlich, jedoch nicht übermäßig offen. Sie gehörte nicht zu denen, die nach der Arbeit zu einem Mädelsabend eingeladen wurden. Jeder wusste ihr Engagement zu schätzen, doch sie versprühte nicht unbedingt Wärme.

Damals hatte er nicht nur nach Wärme gesucht, sondern nach rot glühendem Feuer. Ohne Verpflichtungen. Alles an Blakely dagegen rief nach etwas Ernsthaftem. Also war es egal gewesen, dass er seinen Blick nicht von ihr abwenden konnte, wenn sie durch die Flure ging. Oder dass ihm beim Einschlafen ihr Duft in der Nase zu kitzeln schien.

Daran durfte er jetzt nicht denken, denn er wusste nicht, ob die Mauer um sie herum nicht dazu diente, ihre ruchlosen Absichten zu verbergen.

Am Ende des Ganges blieb er stehen. Als er das Klackern ihrer Absätze hinter sich vernahm, ging er nach rechts weiter.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie.

Ohne sich umzudrehen, antwortete er: „Ich habe alle Unterlagen von meiner Verhandlung in einem anderen Büro. Ich will, dass Sie die Beweise mit mir durchgehen, die Sie gegen mich vorgebracht haben.“

„Warum? Sie waren doch im Gerichtssaal.“

Ja, war er. Er hatte jede ihrer Bewegungen verfolgt. Wie sie sich eine goldene Haarsträhne hinter das Ohr gestrichen hatte, wenn sie auf die Dokumente hinuntersah, die die Anklage gegen ihn verwendete. Oder wie die Spitze ihrer pinkfarbenen Zunge über ihre Lippen strich, wenn sie nachdachte, ehe sie antwortete. Hatte sie diese Pausen gebraucht, um ihre Gedanken zu ordnen oder um sicherzustellen, dass sie die richtigen Lügen erzählte?

Gray ging in ein Büro und wartete, bis sie eintrat, dann schloss er die Tür. „Damals wusste ich nicht, was ich jetzt weiß.“

„Und was wissen Sie jetzt?“

Auf diese Frage gab es viele Antworten, doch die einzige, die er ihr momentan geben wollte, war: „Sagen wir mal, ich habe die Zeit im Gefängnis genutzt, um meinen Horizont zu erweitern.“

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