Leidenschaft in Blackwood Manor

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Dieser interessante Mann ist ihr neuer Boss? Mit klopfendem Herzen steht Ashley vor Jack, dem Hausherrn von Blackwood Manor. Der Millionär begegnet ihr kühl, doch Ashley spürt, dass in ihm wilde Leidenschaft schlummert. Wird Ashley sie wecken können?


  • Erscheinungstag 27.05.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506908
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das Letzte, was sie jetzt unternehmen wollte, war ein ausgedehnter Spaziergang. Der Wind blies eisig, und die grauen Wolken hingen verdächtig tief. Aber Ashley blieb nichts anderes übrig, als sich zu Fuß auf den Weg zu machen. Außerdem war sie nach dem Morgen in einem stickigen Bahnabteil extrem aufgekratzt, und ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um die erste Begegnung mit ihrem neuen Chef.

Immer wieder ermahnte sie sich, dass es keinen Grund gebe für diese unerträgliche Nervosität. Er konnte wohl kaum so Furcht einflößend sein, wie die Dame von der Arbeitsagentur angedeutet hatte.

Unglücklicherweise hatte Ashley den wunderbaren und schwerreichen Jack Marchant nicht – wie erhofft – auf seinem imposanten Landsitz angetroffen. Christine, die sich als seine Haushälterin vorstellte, hob auf die Frage, wann der Herr des Hauses denn zurückerwartet wurde, nur müde die Augenbrauen.

„Das weiß man bei Mr Marchant nie“, hatte sie leicht hochnäsig verkündet. „Dieser Mann macht, was er will.“

Doch irgendwie beschlich Ashley das Gefühl, dass die Hausangestellte den Reizen ihres Vorgesetzten gegenüber nicht ganz unempfänglich war.

Verfroren rieb Ashley ihre Hände aneinander, die in dicken Wollhandschuhen steckten, und setzte ihren Weg durch die Kälte fort. Die Dame von der Agentur beschrieb Mr Marchant als höchst eindrucksvoll. Ein Begriff, der wohl eine ganze Reihe unausgesprochener Sünden dieses Mannes mit einschloss. Bedeutete es, dass er cholerisch und dominant war? Oder einfach zu unhöflich, um seine neue Sekretärin persönlich zu empfangen?

Nicht dass es von Bedeutung wäre, was für einen Charakter er hatte. Ashley brauchte diesen Job, sie brauchte das Geld. Dringend. Es war ein lukrativer Kurzzeitvertrag, und dafür würde sie sich mit allen möglichen Unannehmlichkeiten abfinden – selbst mit dieser öden nördlichen Landschaft und der beißend kalten Luft.

Obwohl Ashley während ihrer gesamten Kindheit von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht worden war, konnte sie mit Veränderungen nicht gut umgehen. Vielleicht gerade deshalb. Sie bekam regelrecht klaustrophobische Anfälle, wenn sie fremde Menschen traf oder sich in einer neuen Situation einrichten musste. Es war ungeheuer anstrengend für sie, sich auf Leute und ihre Befindlichkeiten, Erwartungen und Vorlieben einzustellen.

Dafür hatte sie aber von klein auf gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen, gesprochene Worte und echte Absichten voneinander zu unterscheiden und die Wahrheit hinter einem falschen Lächeln zu erkennen. Sie hatte ihre Lektion gelernt und dabei eine Überlebensstrategie entwickelt, die sie unbewusst bis zum heutigen Tag praktizierte.

Nachdem ihre Finger nun eine Nuance wärmer waren, blieb Ashley einen Moment stehen und sah sich um. Kahle Bäume und Hecken schlossen das großzügige Grundstück ein, hinter dem sich eine schier endlose Moorlandschaft erstreckte.

Was für ein einsamer Ort, dachte sie. Irgendwie spröde und sehr karg.

Als sich der Weg nach einer Weile über eine Hügelkuppe schlängelte, konnte sie zumindest in der Ferne ein kleines Dorf entdecken. Hinter ihr lag das riesige Anwesen Blackwood Manor und wirkte aus der Ferne sogar noch imposanter als von Nahem. Das graue steinerne Gebäude fügte sich trotz seiner gigantischen Größe hervorragend in die Landschaft ein. Dunkle Baumgruppen und diverse Nebengebäude vervollständigten das Bild, zusammen mit einem glitzernden See.

Was es wohl für ein Gefühl ist, so viel Land zu besitzen? fragte Ashley sich. Ob dieser Reichtum Mr Marchant so eindrucksvoll macht? Eigentlich heißt es aber doch, Geld verderbe den Charakter!

Ashley war so in ihre Tagträume vertieft, dass sie das seltsame Geräusch, welches sich rasant näherte, zunächst nicht bemerkte. Zu spät wurde ihr klar, dass ein großes, dunkles Pferd auf sie zugaloppierte. Nein, es war nicht nur dunkel, es war pechschwarz und sah aus, als wäre es aus einem gruseligen Kindermärchen entsprungen. Unter dem glänzenden Fell arbeiteten die starken Muskeln des Tieres, und auf seinem Rücken thronte ein Mann, dessen ebenfalls rabenschwarzes Haar vom Wind stark zerzaust war. Ashley blinzelte erstaunt. Sie sah ausgeblichene Jeans, einen kraftvollen, maskulinen Körper und ein Gesicht, das hart und verschlossen wirkte.

Wüste dunkle Augen starrten sie an, während sie wie hypnotisiert mitten auf dem Weg stehen blieb. Der Anblick des Fremden auf seinem hohen Ross hielt sie in seinem Bann, und plötzlich schien das Pferd direkt über ihr zu sein. Mit einem spitzen Schrei sprang Ashley zur Seite, und das Tier stieg erschrocken hoch, weil in diesem Augenblick auch noch ein großer schwarz-weißer Hund aus der Seitenhecke schoss.

Um sie herum brach ein ohrenbetäubender Tumult aus, und Ashley verlor den Überblick. Das Pferd stürzte und warf dabei seinen Reiter ab, der regungslos liegen blieb, während der Hund ununterbrochen bellte. Entsetzt warf sich Ashley neben dem Mann auf die Knie und beugte sich über ihn. War er etwa tot? Mit zitternden Händen berührte sie seine Schultern. „Hallo? Hallo? Sind Sie okay?“

Erleichtert stellte sie fest, dass er leise stöhnte.

„Können Sie mich verstehen?“, fragte sie laut. „Ich sagte, können Sie mich verstehen?“

„Natürlich kann ich Sie verstehen! Immerhin schreien Sie mir ja direkt ins Ohr!“

Seine Stimme klang tief und erstaunlich kräftig. Die dichten schwarzen Wimpern teilten sich etwas und ließen die stürmischen braunen Augen durchblitzen, deren Ausdruckskraft Ashley noch kurz zuvor gefesselt hatte.

„Haben Sie Schmerzen?“, erkundigte sie sich.

Er schnitt eine Grimasse. „Was glauben Sie denn?“ Sein Tonfall klang verständlicherweise gereizt. Dann versuchte er vorsichtig, seine Beine zu bewegen, wobei sich seine kräftigen Oberschenkel durch die verwaschenen Jeans abzeichneten.

Dieser Anblick lenkte Ashley für einen Augenblick ab, und sie schluckte. „Kann ich … kann ich irgendetwas für Sie tun?“

„Nun, Sie könnten damit anfangen, mir mal etwas Platz zu machen!“, entgegnete er unwirsch. „Zurück! Ich bekomme ja kaum noch Luft.“

Sein Ton war forsch und autoritär. Sofort wich Ashley zurück, und der Fremde rappelte sich auf. Allerdings kam er nicht weiter als bis auf seine Knie. Der Hund spielte mittlerweile völlig verrückt und sprang bellend um den Mann herum, bis er ihn mit einem harschen Befehl zum Schweigen brachte.

„Still, Casey!“

Die Schultern des gestürzten Reiters sackten nach vorn, und er setzte sich mit einem Seufzer auf die Straße.

Instinktiv kam Ashley wieder näher. „Sie sollten sich besser nicht bewegen.“

„Woher wollen Sie denn wissen, was ich zu tun habe?“

„Das habe ich im Erste-Hilfe-Kurs gelernt. Ich denke, Sie sollten ganz ruhig sitzen bleiben. Ich werde mit meinem Handy einen Krankenwagen rufen. Vielleicht haben Sie sich etwas gebrochen.“

Ungeduldig schüttelte er seine dunklen Haare. „Da ist nichts gebrochen. Eventuell verstaucht, sicher nichts Ernstes.“ Wieder versuchte er aufzustehen, und dieses Mal schaffte er es mit Mühe und Not.

Trotz seiner gekrümmten Haltung konnte man erahnen, wie groß dieser attraktive Mann war. Neugierig betrachtete Ashley ihn und fand, dass er unbeschreiblich interessant aussah. Dicht neben seinen sinnlich geschwungenen Lippen zeichnete sich eine feine Narbe ab, und sie fragte sich, ob er wohl in einen Unfall oder in einen Kampf verwickelt worden war.

Seine Gesichtszüge waren etwas zu herb, um sie als hübsch im konventionellen Sinne bezeichnen zu können. Es war vielmehr, als würde seine unübersehbare Männlichkeit anziehend und abstoßend zugleich wirken. Ashley fühlte sich seltsam verwirrt.

„So kann ich Sie jetzt unmöglich allein lassen“, stellte sie entschlossen fest.

„Natürlich können Sie“, widersprach er. „Es wird spät, und auf diesen Straßen sollte man in der Dunkelheit nicht mehr allein herumspazieren. Oder kennen Sie sich hier gut aus?“

„Nein, überhaupt nicht.“

„Natürlich nicht. Sonst wären Sie wohl kaum mitten auf dem Weg stehen geblieben, obwohl ein Pferd angaloppiert kommt“, bemerkte er trocken. „Wo wohnen Sie denn?“

„Eigentlich bin ich erst heute hier in die Gegend gezogen.“

„Oh?“

Der starre Blick aus seinen dunklen Augen irritierte sie. „Nach Blackwood Manor“, ergänzte sie und räusperte sich.

Er runzelte die Stirn, und sein Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln. „Ach so, dort wohnen Sie also? In dem grauen Haus direkt am Moorgebiet?“

Ashley nickte, obwohl die Vorstellung merkwürdig war, diesen Ort als ihr Zuhause zu bezeichnen. „Ja.“ Sie zuckte die Achseln. „Es gehört natürlich nicht mir, sondern meinem neuen Boss.“

„Wirklich?“, hakte er nach und betrachtete sie etwas genauer. „Und wie ist der so, Ihr neuer Boss?“

„Keine Ahnung. Wir haben uns noch nicht kennengelernt, weil er unterwegs war, als ich ankam. Er ist …“ Beinahe hätte sie ausgeplaudert, dass sie dafür eingestellt worden war, seinen Roman zu tippen. Aber Ashley biss sich rechtzeitig auf die Zunge. Schließlich ging es diesen Fremden überhaupt nichts an, aber sein Gesichtsausdruck brachte sie irgendwie dazu, ihm alles über sich erzählen zu wollen. Außerdem lenkte sie das Geplapper von dem Effekt ab, den seine Ausstrahlung auf ihre Sinne ausübte.

Eilig richtete Ashley sich auf, um etwas Abstand zu gewinnen. Diskretion war Teil ihrer Position als persönliche Assistentin, und es könnte gewaltigen Ärger geben, wenn Mr Marchant Wind davon bekam, dass Ashley Einzelheiten über ihre Arbeit verbreitete.

„Ich sollte mich jetzt besser auf den Weg machen“, begann sie. „Das heißt, wenn Sie ganz sicher sind, dass ich nichts weiter für Sie tun kann. Mein Chef ist vielleicht schon zurück, und ich möchte ihn ungern warten lassen.“

„Einen Moment noch! Sie könnten mir doch noch helfen, indem Sie mein Pferd zu mir zurückbringen.“

Ashley hatte das reiterlose Tier völlig vergessen und sah nun unsicher zu ihm rüber. Das Pferd wirkte sogar noch einschüchternder als sein Besitzer. Rastlos trat es von einem Huf auf den anderen und blies stoßweise seinen heißen Atem in die kalte Luft.

„Oder haben Sie etwa Angst?“, fragte der Fremde herausfordernd.

„Ich weiß nicht besonders viel über Pferde“, gab sie zu.

Der Mann nickte. „Dann halten Sie sich lieber von ihm fern! Ich mache das schon. Bleiben Sie mal ruhig stehen!“

Mit einer Hand stützte er sich auf Ashleys Schulter ab, um sich stöhnend ganz aufzurichten, und sie durchfuhr bei diesem unerwarteten, nachdrücklichen Kontakt ein wohliger Schauer. Es fühlte sich fast intim an, andererseits war sie es auch nicht gewöhnt, überhaupt von einem Mann angefasst zu werden. Durch ihre Kleidung spürte sie die Hitze seines Körpers, und Ashley stellte sich vor, wie sie unter dieser Berührung langsam zu schmelzen begann. Wie Schokolade in der Sonne …

Bildete sie sich das ein, oder wurden seine Lippen deutlich schmaler? Und an der Schläfe pochte eine kleine Ader. War es nur ihre eigene bizarre Empfindung, dass es jetzt völlig natürlich wäre, wenn er sie einfach in seine starken Arme nahm? Und sie dann gegen seinen muskulösen Körper presste und sie …

Plötzlich wandte der Mann sich abrupt von ihr ab und humpelte zu seinem Pferd hinüber. Unablässig gab er dabei beruhigende Laute von sich und sprach beschwichtigend auf das Tier ein.

Fasziniert beobachtete Ashley, wie er schließlich wieder in den Sattel stieg. Diese Eleganz hatte sie bisher nur bei Reitern im Fernsehen gesehen. Der üble Sturz schien längst vergessen, Pferd und Reiter harmonierten in beneidenswerter Anmut miteinander. Liebevoll tätschelte der Fremde seinem Rappen den Hals und hob dann den Blick, um Ashley direkt in die Augen zu sehen.

Einen unsinnigen Sekundenbruchteil lang wollte sie ihn bitten, noch nicht weiterzureiten, sondern bei ihr zu bleiben und ihr noch länger das Gefühl zu geben, lebendig zu sein. Sie wollte dieses neue sinnliche Erlebnis in ihrem Inneren nicht so schnell wieder loslassen. Zum Glück bekam Ashley sich gleich wieder in den Griff, als sie seinen kühlen Blick bemerkte.

„Danke für Ihre Hilfe“, sagte er. „Dann machen Sie sich mal schnell auf den Weg! Bevor es dunkel wird und Sie noch eine nichts ahnende Kreatur mit diesen riesigen, unschuldigen Augen zu Tode erschrecken! Casey! Komm her, mein Junge!“

Der Fremde schenkte Ashley ein letztes spöttisches Lächeln, dann gab er seinem Rappen die Sporen und galoppierte davon, dicht gefolgt von seinem übermütigen Hund.

Eine ganze Weile blieb sie regungslos stehen und beobachtete, wie das ungleiche Trio in der Ferne verschwand. Mit zitternden Fingern berührte sie die Haut direkt unter ihren Augen. Von niemandem waren sie bisher als riesig und unschuldig bezeichnet worden! Erst recht nicht von jemandem, der so umwerfend aussah wie dieser rätselhafte Mann.

Es war ein langer Weg zurück nach Blackwood Manor. Als ihr eine schmallippige Christine die Tür öffnete, schoss ein riesiger schwarz-weißer Hund an der Haushälterin vorbei und sprang begeistert an Ashley hoch.

„Casey!“, rief Ashley erstaunt, und Christine schien gar nicht aufzufallen, dass die neue Sekretärin den Namen des Hundes kannte. „Wem gehört er eigentlich?“

„Mr Marchant natürlich.“

„Dann ist er inzwischen zurück?“

Die Haushälterin nickte. „Schon, aber nicht für lange“, entgegnete sie grimmig. „Hatte offenbar einen kleinen Unfall.“

„Einen Unfall?“ Ashley wurde leicht übel.

„Genau. Ist von seinem Pferd gestürzt, nur ein Stück hier die Straße runter. Deshalb wollte er ins Krankenhaus und sich röntgen lassen.“

Der Hund. Ein Unfall. Die ganze Bedeutung des Wortes eindrucksvoll. Allmählich setzte sich das Mosaik in Ashleys Kopf zusammen, und ihr Herz begann, schneller zu schlagen, als ihr klar wurde, mit wem sie gerade aneinandergeraten war. Mit ihrem neuen Chef Jack Marchant.

2. KAPITEL

Die nackten Äste schlugen immer wieder gegen Ashleys Fenster, weil es so windig war. Doch sie hörte es kaum, während sie blind in den Garten hinausstarrte. Immer wieder musste sie an den schwarzhaarigen Mann mit den stechenden dunklen Augen denken, der vor ihren Augen vom Pferd gefallen war. Ohne es zu wissen, war sie ihrem zukünftigen Arbeitgeber über den Weg gelaufen und mit ihm in eine ziemlich bizarre Situation geraten.

Ihr neuer Chef.

Mühsam schluckte Ashley ihre Panik hinunter. Ob er verletzt war? Ernsthaft verletzt? In genau diesem Moment könnte er in der Notfall-Ambulanz liegen, auf einem sterilen Bett, während eine schwere innere Blutung seine Lebensgeister schwinden ließ. Dann hätte sie vielleicht niemals wieder die Gelegenheit, ihn zu sehen oder mit ihm zu sprechen. Und obendrein war es ihre Schuld!

Aus eigener Erfahrung wusste sie, wie schnell sich das Leben in nur einer Sekunde ändern konnte. Zuerst galoppiert man noch wild und frei über die Felder, und im nächsten Augenblick …

Sie schluckte. Wenn er jetzt tatsächlich schwer verletzt sein sollte, war es unverantwortlich von ihr gewesen, ihn allein fortreiten zu lassen. Aber Christine behauptete, es gebe noch keine Neuigkeiten, also blieb Ashley nichts anderes übrig, als auf Mr Marchants Rückkehr zu warten. Sie war gleich in ihr Zimmer gegangen und versuchte seitdem, zur Ruhe zu kommen.

Bisher war sie nur Räume gewöhnt, die das Ausmaß eines Schuhkartons hatten. Aber dieses Schlafzimmer war riesig und äußerst luxuriös eingerichtet. Über dem breiten Bett lag eine Tagesdecke aus reinem Kaschmir, und im Schrank fand Ashley noch weitere Kuscheldecken und Kissen. Christine hatte sie schon vorgewarnt, dass die Temperaturen in diesem Teil des Landes manchmal rasant in den Keller fielen. Ein gemütliches Sofa stand so ausgerichtet, dass man bequem in den Garten hinunterblicken konnte, und auf einer weißen Kommode an der Wand stand ein kleiner Fernsehapparat.

„Mr Marchant schaut selbst nicht so oft fern“, hatte Christine erklärt. „Das Gerät unten ist also fast nie an. Aber ich habe ihm gesagt, man kann niemanden hier in die Einöde locken, ohne ihm die Möglichkeit für eine ordentliche Abendunterhaltung zu bieten.“

Ashley hatte lächeln müssen. Nein, sie konnte sich den grimmigen Jack Marchant auch nicht auf der Couch vorstellen, wie er sich eine Serie oder eine Gameshow ansah.

Im Grunde war sie selbst auch kein großer Fan von TV-Unterhaltung. Sie hatte sich ein paar Bücher mitgebracht, von denen sie eines zu lesen begann, während sie auf Nachrichten aus dem Krankenhaus wartete. Doch die geschriebenen Worte schafften es dieses Mal nicht, sie in eine Fantasiewelt zu entführen, die sie der Realität vorzog. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu dem anziehenden, maskulinen Körper zurück, der noch vor wenigen Stunden zusammengekrümmt vor ihr am Boden gelegen hatte.

Das war also Jack Marchant gewesen. Sie hatte einen älteren Mann erwartet, jemanden, der konservativer war. Mit einer randlosen Brille und verknöcherten, hochakademischen Ansichten. Jemanden, der vielleicht einige trockene Militärbiografien verfasst hatte und nun in das Lager der Belletristik wechseln wollte.

Aber Jack Marchant war anders – anders als jeder Mann, der ihr bisher begegnet war.

Ihr Buch rutschte ihr achtlos auf den Schoß, und Ashley schlang selbstvergessen ihre Arme um den eigenen Oberkörper. In den vergangenen Jahren hatte sie sich mit einer Reihe von Jungs verabredet, aber sie waren eben nur … Jungs. Den Fremden dagegen, der sich heute auf ihrer Schulter abgestützt hatte, konnte man nur als männlichsten aller Männer bezeichnen! Und sie hatte keine Ahnung, wie sie mit einem solchen Chef umgehen sollte.

Eigentlich muss ich mich doch lediglich mit der Arbeit auseinandersetzen, erinnerte sie sich selbst. Er ist mein Vorgesetzter, und es gibt keinen Grund, dort mehr hineinzuinterpretieren. Ich tippe seine Arbeit ab, lebe still und zurückhaltend in seinem Haus und kassiere am Ende eines jeden Monats mein großzügiges Gehalt. Einzig und allein aus diesem Grund bin ich hier.

Sie wurde durch ein lautes Klopfen an der Tür aus ihren Gedanken gerissen. Als Ashley öffnete, stand Christine in Hut und Mantel vor ihr.

„Ich muss jetzt los“, verkündete die Haushälterin knapp. „Und Mr Marchant ist aus dem Krankenhaus zurück. Er wartet unten in der Bibliothek und würde gern mit Ihnen sprechen.“

„Geht es ihm denn gut?“, fragte Ashley schnell.

„Ja, schon. Es braucht mehr als einen Sturz vom Pferd, um jemandem wie ihm Schaden zuzufügen.“

Trotzdem spürte Ashley ein nervöses Flattern in ihrer Magengegend, während sie an die bevorstehende Begegnung mit ihrem Arbeitgeber dachte. Unsicher strich sie über ihren Pullover und ihre Jeans.

„Dann ziehe ich mich besser noch um“, überlegte sie laut.

„Ist vermutlich besser“, bemerkte Christine in ihrer etwas rauen Art. „Aber lassen Sie ihn nicht zu lange warten! Das mag er gar nicht. Wir sehen uns in ein paar Tagen. Viel Spaß!“

Spaß? dachte Ashley. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass ihre neue Position als Privatsekretärin spaßig werden würde.

Nachdem Christine gegangen war, schlüpfte Ashley in einen schlichten Rock und eine Tunika, flocht ihre langen Haare zu einem ordentlichen Zopf und eilte dann die Treppe hinunter zur Bibliothek. Die Tür war geschlossen, also klopfte Ashley zaghaft an. Daraufhin hörte sie die gedämpfte, aber dennoch fast herrische Aufforderung, einzutreten. Am liebsten hätte sie auf der Stelle kehrtgemacht.

Stattdessen schob sie mutig die schwere Holztür auf und entdeckte eine breitschultrige Gestalt, die mit dem Rücken zu ihr am offenen Kamin stand. Sie erkannte ihn sofort, und in diesem Raum war seine Erscheinung noch beeindruckender als in freier Natur. Vielleicht auch nur deshalb, weil die roten Flammen des Feuers seine Silhouette gigantisch wirken ließen.

Plötzlich fühlte Ashley sich in der Gegenwart dieses bemerkenswert maskulinen Mannes so gut wie wertlos. Dieses Bewusstsein traf sie hart und machte sie auf einen Schlag furchtbar unsicher. Sie hatte Mühe, seinen Namen über die trockenen Lippen zu bringen.

„Mr Marchant?“

Mit einer schwungvollen Bewegung drehte er sich halb zu ihr um, und das Kaminfeuer beleuchtete seine kantigen Gesichtszüge. Er wirkte unreal, wie aus einer anderen Welt. Oder hatte er sich absichtlich vom Rest der Menschheit abgekapselt? Warum wirkte es, als sei er vollkommen isoliert? War es dieses riesige, ruhige Haus in der Einöde?

Nein, seine Miene verriet ein Gefühl von Schmerz. Und so etwas wie Wut. Doch im nächsten Augenblick waren diese Emotionen verschwunden, und sein forschender Blick wurde eiskalt.

„So sieht man sich wieder.“

„Ja.“

Wieder dieses merkwürdig schiefe Lächeln, das er ihr schon nach dem Unfall zugeworfen hatte. „Meine Lebensretterin.“

Unangenehm berührt hob sie die Schultern. „Ich habe ja nicht gerade viel zu Ihrer Rettung beigetragen.“

„Nein, haben Sie nicht.“ Nachdenklich betrachtete er ihr hübsches Gesicht und erinnerte sich an ihre behutsamen Hände, als sie ihn wachrütteln wollte. Wie stark eine zärtliche Berührung doch sein konnte. Etwas in dieser Art hatte Jack schon lange nicht mehr empfunden. Angenehm und anregend. Sein Blick fiel auf ihre Brüste, die sich durch den dünnen Baumwollstoff der taillierten Tunika abzeichneten. „Ohne Zweifel waren Sie zu sehr in Schuldgefühle vertieft, um von größerem Nutzen zu sein.“

„Schuldgefühle?“, wiederholte sie in defensivem Ton. Damit hatte er einen wunden Punkt getroffen.

Immer wieder war Ashley in ihrem Leben mit falschen Anschuldigungen konfrontiert worden, und das ausgerechnet von den Menschen, auf die sie angewiesen war: von ihren Pflegemüttern, von den Heimleiterinnen oder auch von gleichaltrigen Leidensgenossen. Sie war unterprivilegiert gewesen und hatte ein leichtes Ziel abgegeben.

Und nun starrte sie in diese unerbittlichen schwarzen Augen und fühlte sich wieder jemandem ausgeliefert, der ihr ungerechtfertigte Vorwürfe machen wollte. „Ich war mir keiner Schuld bewusst“, sagte sie mit belegter Stimme.

Autor

Sharon Kendrick
Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr.

Sharon träumte davon, Journalistin zu werden, doch...
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