Liebe meines Lebens Band 28

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ICH TRAU MICH NICHT von PAMELA BROWNING

Es war einmal ... eine einzige Liebesnacht. In der begegneten sich Bianca und Neill auf einer Feier und erlebten eine kurze, intensive Romanze. Jetzt treffen sie sich wieder: Bianca hat ein Kind, und Neill weiß nicht, von wem. Nur eins weiß er: Er will noch eine Chance!

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  • Erscheinungstag 08.02.2025
  • Bandnummer 28
  • ISBN / Artikelnummer 8206250028
  • Seitenanzahl 288

Leseprobe

Pamela Browning

1. KAPITEL

Der beste Sex, den ich je hatte. So dachte Neill Bellamy über die elegante Blondine, deren glattes, schulterlanges Haar in der sanften Brise flatterte, die vom Teich herüberwehte. Jede andere Frau auf der Gartenparty in Swan’s Folly, einem exklusiven Hotel in dem kleinen Kurort Lake Geneva in Wisconsin, war farbenfroh gekleidet. Bianca hingegen, die abseits von den übrigen, angeregt plaudernden Gästen stand, trug Schwarz.

Sie war immer anders gewesen. In den vergangenen Jahren seit der Scheidung von ihrer Mutter und seinem Vater war sie so kultiviert und glamourös geworden, wie es sich für eine derart erfolgreiche Schmuck-Designerin geziemte. Ihre Firma D’Alessandro war bestens bekannt in Paris und Rom.

Nana Lambert, die Großmutter der Braut, klammerte sich an Neills Arm und grub die lavendelfarbenen Acrylnägel in den Ärmel seines Blazers. Ihm war es bestimmt, während dieser Veranstaltung zu verhindern, dass die gut Achtzigjährige in Schwierigkeiten geriet. Als sie vor einer Viertelstunde aus ihrer Suite gekommen war, mit einem langen violetten Schal um den Hals und in lavendelfarbenen, mit Glitzersteinen besetzten Stöckelschuhen, hatte er erkannt, dass es sich als problematische Aufgabe erweisen könnte.

Neill wünschte, er wäre noch in Südamerika. Er wünschte, er hätte niemals von den Knox oder Lamberts gehört. Und er wünschte, er müsste Beans nie wiedersehen.

Nicht Beans. Bianca. Sie war inzwischen sehr erwachsen geworden. Aber damals, als ihre Mutter Ursula noch mit seinem Vater Budge verheiratet gewesen war, hatte er sie Beans genannt.

Sie war nach ihrer italienischen Großmutter benannt, einer Komtess, und der Name passte zu ihr. Er ließ Neill an zarte, wogende Blumen inmitten römischer Ruinen denken, an vom Wind gepeitschte Pinien an Steilküsten, an das Tosen der Meeresbrandung. Himmel, es erinnerte ihn an jene Nacht in dem Pavillon, als sie nicht genug voneinander hatten bekommen können.

Bianca. Er hatte viel zu oft an sie gedacht seitdem.

Nana zog ihn unerbittlich zum Bach und in Biancas Richtung. Nicht gerade sanft versuchte er, sie in die andere Ecke des Gartens zu lenken, wo sein Bruder Eric mit seiner Braut Caroline Hof hielt.

Doch Nana ließ sich nicht beirren. Zielstrebig stöckelte sie mit ihren unmöglich hohen Absätzen über den weichen Rasen geradewegs zu Bianca in ihrem engen schwarzen Kleid. Ihr Körper war kurvenreicher, als er ihn erinnerte – hohe, volle Brüste, schlanke Taille, sanft gerundete Hüften und sehr lange Beine.

Ihre perfekt manikürten Hände ruhten auf dem Griff eines grauen Kinderwagens. Die Mutter des Babys war nirgendwo zu sehen.

Nana blieb abrupt stehen. „Wer ist diese Blondine mit dem Baby?“, erkundigte sie sich lautstark. Ihre Schwerhörigkeit wurde anscheinend immer schlimmer.

„Bianca D’Alessandro“, erklärte Neill. „Du hast sie vor einem Jahr auf Erics und Carolines Verlobungsparty kennengelernt.“ Er konnte nicht verstehen, wie sie es vergessen haben konnte, da Bianca an jenem Tag für reichlich Unruhe gesorgt hatte.

„Ich will mit ihr reden. Sie sieht interessant aus. Im Gegensatz zu all den anderen Leuten hier.“ Entschieden eilte sie weiter und zog ihn mit sich.

Ihm blieb keine Zeit, daran zu denken, wie sehr Bianca ihn durch ihr Verschwinden am Morgen nach jener denkwürdigen Nacht verletzt hatte. Keine Zeit, sich zu überlegen, was er zu ihr sagen sollte.

Bianca blickte ihn geradewegs an, mit einem rätselhaften Lächeln auf den Lippen. Er nahm die Menschenmenge ringsumher nicht mehr wahr, hörte das Geplauder nicht mehr. Der Himmel wirkte höher und strahlender als zuvor, die Farben leuchtender. Er wollte etwas Kluges, etwas Denkwürdiges sagen. Doch er murmelte nur: „Bianca.“

Der Moment, den Bianca seit Monaten fürchtete, war gekommen. Ein Anflug von Panik stieg in ihr auf. Doch sie zwang sich zu lächeln, als Neill sich näherte.

Sein dunkles, welliges Haar glänzte im Sonnenschein. Seine ausgeprägte Männlichkeit verlangte förmlich danach, gezähmt zu werden, und zwar von einer Frau, die es mit ihm aufnehmen konnte. Vor einem Jahr hatte sie gedacht, die richtige Frau für diese Aufgabe zu sein.

Doch nun glaubte sie es nicht mehr. Denn anlässlich der Verlobungsfeier von Caroline und Eric hatte sie sich jede Chance bei Neill verdorben.

Ihr stockte der Atem, als sie sich an jene Nacht vor genau einem Jahr erinnerte. Doch sie durfte nicht daran denken. Nicht an den Trost, den er ihr gespendet hatte, nicht an ihre Willigkeit, als er sie geküsst hatte, nicht an ihre Leidenschaft …

Aber wie konnte sie nicht daran denken in der imponierenden Gegenwart dieses Mannes, den sie ihr halbes Leben lang kannte, mit dem sie den Rest ihres Lebens hatte verbringen wollen?

Nana Lambert spähte zu ihr auf. „Kenne ich Sie, Mädchen?“, rief sie so laut, dass Bianca zusammenzuckte.

Neill räusperte sich. „Nana, das ist Bianca. Bianca, du erinnerst dich doch an Carolines Großmutter, oder?“

„Aber natürlich.“ Es wunderte Bianca, dass ihre Stimme so normal klang. „Wie fühlen Sie sich, Mrs. Lambert?“

„Wundervoll unbeschwert. Und nennen Sie mich bitte Nana.“ Sie klimperte mit den lavendelfarben geschminkten Lidern und ließ ihren Schal in Richtung der Schwäne auf dem Teich flattern. „Eine Hochzeit hat so etwas Hoffnungsvolles an sich, finden Sie nicht? Musik! Poesie! Tanz! Ich bin sicher, dass mein Herz daran brechen wird.“

Sie scheint nichts von gebrochenen Herzen zu verstehen, dachte Bianca, wenn sie glaubt, dass es mit Freude zu tun hat.

Neill, der einen marineblauen Blazer und eine perlgraue Hose trug, stand ihr viel zu nahe. Er machte sie nervös. Und ein Blazer passte nicht zu ihm. Sie stellte sich ihn immer in Khakihosen vor, während er Smaragde aus seiner Mine in Kolumbien förderte und damit viel Geld machte.

Eric hatte ihr erzählt, dass Neills Nettoeinkommen noch größer war als das seines Vaters, Budge Bellamy. Und das war beachtlich angesichts der Tatsache, dass Neill erst dreiunddreißig war. Budge, der berühmte Brezelkönig, war ein millionenschwerer Mann. Ebenso wie seine Ex-Frauen, einschließlich ihrer Mutter Ursula.

Kevin, Neills und Erics Halbbruder, und Joe, ihr Stiefbruder, traten aus dem Hintergrund hervor.

„Nana, hier ist eine Portion Erdbeeren mit Schlagsahne für dich“, sagte Joe.

„Nana, du siehst elegant wie eh und je aus“, behauptete Kevin.

„Ihr seid ja so charmant“, erwiderte sie entzückt, während sie den Teller akzeptierte. „Ihr müsst mir beide versprechen, auf dem Empfang mit mir zu tanzen.“ Mit ihrer freien Hand nahm sie Joe am Arm, und die drei entfernten sich in den Schatten einer Eiche.

„Du siehst gut aus, Bianca“, verkündete Neill, als sie allein zurückblieben.

„Du auch“, erwiderte sie und fragte sich, warum er sie nicht Beans nannte. Betrachtete er sie endlich als Erwachsene? Es war angebracht, da sie achtundzwanzig war. Dennoch fühlte sie sich ihm gegenüber immer noch wie die linkische Vierzehnjährige bei ihrer ersten Begegnung.

„Ist deine Mutter mit dir gekommen?“, erkundigte er sich.

„Nein. Sie ist auf Hochzeitsreise. Mit meinem neuen Stiefvater. Claudio Zepponi. Er besitzt eine Weinkellerei.“

„Oh. Wie schön für sie.“

Bianca konnte nicht verstehen, warum er so überrascht wirkte. Immerhin hatte sein Vater fünfmal geheiratet.

„Schön für sie? Ich weiß nicht. Momentan wappne ich mich für die Begegnung mit Caroline und Winnie und Carolines Cousine, die immer erkältet aussieht. Wie heißt sie doch gleich?“

„Petronella Lambert Thorpe. Petsy.“

„Ach ja, wie konnte ich sie nur vergessen? Wie sind wir bloß da hineingeraten?“

Er grinste. „Wir sind Bellamys.“

„Ich nicht.“

„Du bist eine angeheiratete Bellamy. Immerhin war deine Mutter anderthalb Jahre mit Budge verheiratet.“

„Fünfzehn Monate. Es erschien nur länger.“

„Es war lange genug für dich und Eric, um euch gegenseitig beizubringen, Unfug zu stiften.“

„Wir hatten zweifellos mehr Spaß als unsere Eltern“, bemerkte Bianca trocken. „Und Eric und ich wurden gute Freunde, was man von unseren Eltern nicht gerade behaupten kann.“ Verlegen hielt sie inne. Seit jener Verlobungsfeier hatte sie kaum mit Eric gesprochen. „Wann bist du aus Kolumbien gekommen?“, fragte sie, da ihr nichts anderes zu sagen einfiel.

„Letzte Woche schon. Zum Glück. Die Weste, die für mich ausgeliehen wurde, war einige Zentimeter zu kurz. Wir mussten eine andere bestellen.“

„Zumindest musst du nicht ein Taftkleid in ekelhaftem Rosa anziehen.“

Neill lachte. „Die Farbe heißt nicht ekelhaftes Rosa, sondern Zyklamen. Zumindest hat Caroline das gesagt.“

„Ich finde sie jedenfalls widerlich. Ganz zu schweigen von den aufgestickten Schwänen. Entschuldige, vielleicht würde ich es anders sehen, wenn ich nicht so an Jetlag leiden würde.“

Sie fühlte sich nicht nur erschöpft, sondern auch sehr angespannt. Denn es war damit zu rechnen, dass Neill sich jeden Moment nach Tia erkundigte. Was sollte sie dann tun? Viele schlaflose Nächte hatten ihr keine Antwort auf diese Frage geliefert. Sie wusste nur, dass er ein eingefleischter Junggeselle war und keine Kinder wollte.

Plötzlich stiegen ihr Tränen in die Augen. Hastig beugte sie sich über den Kinderwagen und gab vor, die Decke zu richten. Tia erwachte, als eine Träne auf ihre Wange fiel, und begann zu wimmern.

Bianca hob sie auf die Arme, streichelte das flachsblonde Haar und gab ihr den Schnuller, doch Tia spuckte ihn geradewegs ins Petunienbeet und schrie noch lauter.

Neill tastete zwischen den Blumen umher, fand den Schnuller und reichte ihn Bianca. „Hier.“

Sie blinzelte. „Ich kann nichts sehen. Probleme mit den Kontaktlinsen.“ Sie riss die Babytasche aus dem Kinderwagen und eilte über die schmale Brücke, die den Bach überspannte.

Ein Anflug von Panik stieg in ihr auf, als Neill ihr folgte. Wie passend, dachte sie. Wir beide auf dem Weg zum Pavillon. Ein Jahr später. Mit Tia.

Es war angenehm kühl im Pavillon und duftete nach Flieder, der ringsumher üppig blühte. Bianca sank auf die gepolsterte Bank. Ihre Augen brannten und tränten, und Tia schrie immer noch wie am Spieß.

„Gib mir das Kind!“, rief Neill über den Lärm hinweg.

Bevor sie protestieren konnte, griff er nach Tia, die sofort zu schreien aufhörte und ihn verwirrt anstarrte.

Blindlings griff Bianca in die Babytasche und tastete nach der Flasche. „Ich glaube, sie hat Hunger. Hier, nimm.“

Neill blickte unsicher von der Flasche zum Baby. „Ich soll sie füttern?“

„Na ja, ich kann nicht. Ich muss mich um meine Kontaktlinse kümmern.“

Zögernd hielt er Tia die Flasche hin. Sie hörte auf zu weinen, begann eifrig zu saugen und gab keinen Mucks mehr von sich.

Bianca holte einen kleinen Spiegel hervor. „Vielleicht ist die Linse verrutscht“, murmelte sie, obwohl sie bezweifelte, dass es Neill interessierte. Er hielt das Baby recht ungeschickt im Arm. Oder vielleicht erschien es ihr nur so, weil sie nicht richtig sehen konnte. Aber zum Glück blieb Tia ruhig.

„Es gefällt ihr“, bemerkte er überrascht.

„Sie muss Hunger haben. Ich wünschte nur, Franny würde endlich auftauchen.“

„Wer ist …?“

„Ich glaube, ich habe sie gefunden. Die Linse, meine ich.“ Bianca bog den Kopf zurück und hob vorsichtig das Oberlid.

„Franny hätte dir nicht ihr Baby andrehen sollen.“

Bianca erstarrte. „Das hat sie auch nicht getan.“

„Du hast dich freiwillig angeboten? Wieso das denn? Willst du dich nach dem Debakel im letzten Jahr lieb Kind machen? Willst du damit beweisen, dass du nicht so schlecht bist, wie man von dir glaubt?“ Er sprach in neckendem Ton, doch seine Worte taten ihr weh. In gewisser Weise war sie für den Krach auf der Verlobungsparty verantwortlich. Deshalb hatte sie auch versucht, sich vor der Aufgabe als Brautjungfer zu drücken, doch Caroline hatte darauf bestanden.

„Ich bin wirklich nicht so schlecht, wie man glaubt“, entgegnete sie entrüstet.

„Ich weiß das. Aber weiß es die Brautmutter auch? Wenn du meine Hilfe brauchst, dann sag mir Bescheid.“

„Hm“, murmelte sie ausweichend.

„Ich habe eine Idee. Sobald Franny ihr Baby abholt, gehen wir gemeinsam zurück in den Garten und begrüßen Genevieve.“

Ohne Kommentar beschäftigte Bianca sich weiterhin mit der Kontaktlinse, die sich im Augenwinkel verkeilt hatte. Einerseits hätte sie Neill auf der Stelle darüber aufklären sollen, dass Franny nicht die Mutter war. Andererseits war es keine schlechte Idee, ihn in dem Glauben zu lassen. Es war besser für alle Beteiligten, wenn niemand herausfand, dass Tia ihr eigenes Kind war.

Nur Eric wusste es. Aber er würde Stillschweigen bewahren.

Aber wollte sie ihr Kind, das sie so liebte und auf das sie so stolz war, wirklich verleugnen?

„Das Baby ist niedlich. Es sieht aus wie ein richtiger Mensch“, bemerkte Neill im Plauderton.

„Natürlich ist sie ein richtiger Mensch“, fauchte Bianca gereizt.

„Ich meine, dass sie offensichtlich alle Finger und Zehen und alles hat, nur in klein.“ Er klang verwundert und verlegen. „Ich habe bis jetzt noch nie ein Baby im Arm gehalten.“

Bianca betete im Stillen, dass er nicht verlangte, die Zehen zu sehen. Denn sie waren schwimmhäutig, wie die eines jeden Bellamy, den sie kannte.

„Oh, sie stößt die Flasche weg“, sagte Neill alarmiert.

„Du musst sie ein Bäuerchen machen lassen.“

„Bäuerchen?“

„Leg sie an die Schulter und tätschle sie.“

„Wo denn?“

„Den Rücken.“

Tia begann zu wimmern.

„Herrje, Neill, klopf ihr einfach sanft auf den Rücken.“

„Das tu ich doch“, entgegnete er in einem Ton, der ihr verriet, dass er allmählich die Geduld verlor.

Blinzelnd warf sie ihm einen Blick zu. „Nicht auf den Po. Auf den Rücken.“ Die Kontaktlinse löste sich und schwamm zurück an die richtige Position. Bianca konnte wieder klar sehen und erkannte, dass Tia über Neills Arm hing und wild zappelte. „Gib sie mir lieber“, sagte sie und streckte die Arme aus.

So unbehaglich Neill auch aussah, war er ein wundervolles Exemplar. Ihr war es besser ergangen, als sie ihn nicht deutlich hatte erkennen können und daher immun gegen seinen glühenden Blick gewesen war.

Zärtlich bettete sie sich Tia an die Schulter und massierte ihr den Rücken. Tia spuckte prompt auf ihr Kleid.

„Tun das alle Babys?“, wollte Neill wissen.

„Ich glaube, ja“, erwiderte Bianca seufzend, während sie sich mit einem Papiertuch das Kleid abwischte.

Als Tia lauthals zu schreien begann und sich nicht beruhigen lassen wollte, warf Bianca sämtliche Utensilien zurück in die Babytasche und stürmte aus dem Pavillon.

„Warte!“, rief Neill ihr nach.

Doch sie ging unbeirrt weiter. Sie war fest entschlossen, Franny zu finden, die ihr am Telefon versichert hatte, jederzeit als Babysitter zur Verfügung zu stehen. Doch irgendwie war ein Missverständnis aufgetreten. Denn bei der Ankunft im Hotel hatte Bianca feststellen müssen, dass Franny ausgegangen war.

Nun, inzwischen war sie sicherlich wieder zurück. Was bedeutete, dass Bianca ihr Tia übergeben konnte. Und zwar schnell. Rapido, wie man im fernen Italien sagte. Wo Bianca, die halb Italienerin war, in diesem Moment zu sein wünschte. Denn dann hätte Neill Bellamy nicht die geringste Chance herauszufinden, dass Tia ihr eigenes Kind war. Und seines.

2. KAPITEL

Neill nahm sich ein Glas Punsch von dem Tablett, das ein Kellner in weißer Livree herumreichte, und versuchte zu ergründen, was Bianca im Schilde führte. Sie hatte das Baby in den Kinderwagen gesetzt und schob ihn mit grimmiger Entschlossenheit durch die Menge. Er nahm sich ein Appetithäppchen von einem Tablett und verzog das Gesicht, als er auf Brunnenkresse kaute. Verstohlen warf er es in den nächsten Mülleimer und beschloss, essen zu gehen. Er hatte den ganzen Tag kein richtiges Mahl zu sich genommen.

Das Baby schrie lauter denn je und ließ ihn aktiv werden. Er holte Bianca ein und nahm den Schnuller aus der Tasche seines Blazers. „Warum gibst du ihr nicht den hier?“

Sie betrachtete den Schnuller voller Abscheu. „Er ist schmutzig und womöglich verseucht. Sie könnte eine furchtbare Krankheit davon kriegen.“

„Vielleicht ist noch einer in ihrer Tasche“, sagte er hoffnungsvoll.

„Hallo, Neill“, rief eine Stimme hinter ihm. Es war Winnie, Carolines flippige kleine Schwester. Er hielt sie für ziemlich hirnlos, konnte aber nicht umhin, den sexuellen Reiz ihrer üppigen Brüste zu bemerken, die sie ihm stolz entgegenreckte.

„Hi, Winnie“, murmelte er, den Blick auf Bianca und den Kinderwagen geheftet.

Winnie klimperte mit den Wimpern. „Hast du Black Jack geritten?“

„Gestern.“

Sie hatte ihn gebeten, den temperamentvollen Hengst zu bewegen, den sie kürzlich von ihrem Vater zum Geburtstag bekommen hatte und nicht zu bändigen vermochte. Neill, ein hervorragender Reiter, war ihrem Wunsch nur zu gern nachgekommen. Es gab ihm etwas zu tun, während alle anderen sich nur mit der Hochzeit beschäftigten.

Winnie rückte näher zu ihm. „Würdest du mir einen Punsch holen?“

„Hier, du kannst meinen haben.“ Er drückte ihr das Glas in die Hand, ließ sie einfach stehen und lief Bianca nach.

Er konnte es kaum erwarten, die steife Kleidung abzulegen. Kurzerhand riss er sich die Krawatte vom Hals und stopfte sie in die Tasche des Blazers. Er trug nie eine Krawatte außer bei familiären Anlässen, bei denen es als Muss angesehen wurde. Er hasste diese Zusammenkünfte. Er machte sich nichts aus Familie. Weswegen er nach dem Abschluss der Harvard Business School einen ganzen Kontinent zwischen sich und die Bellamys gebracht hatte.

Doch selbst das war nicht genug Distanz. Sobald diese Hochzeit vorüber war, wollte er den Mount Everest besteigen. Er war ziemlich sicher, dort keine Bellamys oder Knox oder Lamberts anzutreffen. Andererseits konnte man nie wissen. Sie neigten dazu, an den unwahrscheinlichsten Orten aufzutauchen.

Direkt vor dem Foyer, in der Nähe seines Leihwagens, holte er Bianca ein. Sie hatte mit dem Türsteher gesprochen und ließ die Schultern hängen. Das Baby schrie immer noch. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe, und sie schien am Ende ihrer Weisheit zu sein.

„Franny ist noch nicht zurück“, murrte sie. „Und Tia schläft nicht ohne ihren Binky.“

„Wie bitte?“, hakte Neill verwirrt nach.

„So heißt ihr Schnuller. Binky.“

Entgeistert musterte er sie. Sie sah sehr aufreizend aus in dem hautengen schwarzen Kleid, das nach Babykotze roch, wie er mit gerümpfter Nase feststellte.

Plötzlich hatte er genug. Bianca engagierte sich auf geradezu lächerliche Weise für dieses Baby. Er hatte gehofft, dass sie sich gegenseitig während dieser Tortur trösten könnten. Sie hingegen hatte diese Hoffnung bereits zunichtegemacht, indem sie ihn so gelassen begrüßt und keinerlei Freude über seinen Anblick gezeigt hatte.

Anscheinend hatte sie den Sex mit ihm nicht als so berauschend empfunden wie er mit ihr. Das war demütigend. Wollte er sich erneut auf ein derartiges Abenteuer mit ihr einlassen? Nein, das brauchte er gewiss nicht.

Was er vielmehr brauchte, war ein anständiger Hamburger. So etwas bekam man nicht in dem Teil von Kolumbien, in dem er lebte. Er ernährte sich meistens von Reis, Bohnen und Wildschwein.

„Ich verschwinde. Wir sehen uns später noch“, verkündete er. Während er zu dem geliehenen Cabrio eilte, zog er sich den Blazer aus.

„Ich wollte dich gerade fragen, ob du ein Auto hast, das du mir leihen kannst!“, rief sie ihm nach.

Ein verzweifelter Unterton in ihrer Stimme ließ ihn innehalten. Sie sah einfach prächtig und zum Umfallen erschöpft aus. Das schwarze Kleid ließ vermutlich die Ringe unter ihren Augen dunkler wirken, als sie eigentlich waren. Sie strich sich das Haar zurück, und ihre Hand schien zu zittern. Er konnte sich den Grund dafür nicht erklären. Womöglich vor Hunger.

„Komm doch mit mir, und wir besorgen uns etwas zu essen“, schlug er impulsiv vor und bereute es sogleich.

Zweifelnd entgegnete sie: „Das Baby …“

„Wir besorgen einen neuen Dinky.“

„Binky.“

„Wie auch immer. Mach, was du willst.“ Während er einstieg, sah er Genevieve, die gestrenge Brautmutter, das Foyer in Richtung Ausgang durchqueren.

Bianca sah sie ebenfalls und zauberte einen Kindersitz hinter dem Stand des Türstehers hervor. Bevor Neill den Motor starten konnte, schnallte sie Tia darin auf den Rücksitz und stieg auf den Beifahrersitz. „Lass uns verschwinden“, drängte sie.

Er trat auf das Gaspedal und fuhr in einer Staubwolke davon. „Sollen wir das Verdeck lieber schließen?“, fragte er, obwohl er es angesichts des Geruchs nach saurer Milch für keine gute Idee hielt.

„Meinetwegen nicht. Ich liebe den Wind in den Haaren. Und Tia beruhigt sich wahrscheinlich, sobald wir in Fahrt sind.“

Das Tor zum Hotel, auf dem zwei Schwäne Schnabel an Schnabel ein Herz bildeten, schwang automatisch auf. Bianca warf einen Blick zurück. Das Hotel, im englischen Landhausstil errichtet, wirkte unleugbar bezaubernd. Das ehemalige Herrenhaus hatte Carolines Urgroßvater einst als Wochenendhaus gedient und bildete nun das exklusivste Hotel der Kette Swan’s Inn.

Ein paar Männer, die vor dem Tor herumlungerten, wurden schlagartig aufmerksam, als das Cabrio sie passierte. Ein Blitzlicht explodierte vor Neills Gesicht.

„Was war das denn?“, fragte Bianca erschrocken.

„Ach, nur die Paparazzi. Sie lungern hier herum in der Hoffnung, Fotos von der Hochzeit des Jahres zu erhaschen.“

„Großer Gott! Ist es denn eine so große Sache?“

„Na ja, immerhin heiratet die Erbin einer Hotelkette den Sohn des Brezelkönigs, und dieser Sohn ist ein aufstrebender Zeitungsverleger, der ein Vermögen macht. Genevieve ist sehr prominent in den Klatschspalten, und in gewissem Maße sind es Eric und Caroline auch. Genevieve hat nur den Reportern aus Erics Verlag den Zutritt zum Anwesen erlaubt.“

„Aha, ich verstehe.“

Tias Geheul ebbte zu leisem Gewimmer ab, und nach etwa einer Meile verstummte sie vollends. Neill warf Bianca einen Blick zu. Anscheinend bereute sie ihre Entscheidung, ihn zu begleiten. Denn sie wandte den Kopf ab und blickte hinaus auf die hügelige Landschaft von Wisconsin.

„Wo kriegen wir diesen … Binky?“, erkundigte er sich.

„In einem Drugstore.“

Zum wiederholten Male lag ihm die Frage auf der Zunge, wie dieses Baby in ihre Obhut gekommen war, als sie rief: „Halt an! Da an der Ecke ist einer!“

Neill lenkte den Wagen an den Straßenrand, und sie sprang hinaus und lief leichtfüßig in das Geschäft. Er unterdrückte ein Lächeln. In diesem Moment fiel ihm ein, dass Bianca als Teenager ihn stets an ein Fohlen erinnert hatte, das staksig und unbeholfen wirkte, aber künftige Anmut verhieß.

Nicht, dass er ihr oder sonst jemandem je erzählt hatte, was er von ihr hielt. Sie war erst vierzehn und er stolze neunzehn Jahre alt gewesen, als sein Vater Ursula geheiratet hatte. Die meiste Zeit hatte er auf dem College verbracht, während Bianca sich mit Eric verschworen hatte, der nur zwei Jahre älter war als sie und noch zu Hause gewohnt hatte. Sie hatten sich miteinander verbündet, um den restlichen Bellamys das Leben schwer zu machen. Wahre Unruhestifter, alle beide. Wer hätte damals je gedacht, dass Eric der erfolgreiche Verleger einer Chicagoer Klatschzeitung werden und Bianca sich als Schmuckdesignerin einen Namen in Europa machen würde?

Das Baby auf dem Rücksitz war furchtbar still. Er warf ihm einen skeptischen Blick zu, den es voller Neugier erwiderte. Was sagt man zu Babys? fragte er sich. „Schönes Wetter haben wir heute“, bemerkte er versuchsweise.

Das Baby verzog das Gesicht. Er konnte nur hoffen, dass es nicht wieder zu schreien begann. „Sei ein braves Baby“, murmelte er. „Dein Pinky ist schon unterwegs.“

Das Baby wirkte aufgebracht, ja geradezu unwirsch. Zum Glück kehrte Bianca rechtzeitig zurück, bevor es zu schreien begann. „Mit dem Ding schläft sie sofort ein“, verkündete sie, während sie sich über die Lehne des Sitzes beugte und dem Baby einen Schnuller in den Mund steckte.

Neill atmete erleichtert auf. Er startete den Motor und fuhr aus der Parklücke. Er musste bewundern, wie fachkundig Bianca mit dem Baby umging. War sie in allem so geschickt? Im vergangenen Jahr im Pavillon war sie es gewesen. Der Gedanke daran machte es ihm schwer, sich auf die Straße zu konzentrieren.

„Ich habe auch noch Backpulver gekauft“, verkündete sie. „In Wasser aufgelöst, vertreibt es den üblen Geruch.“ Verlegen fügte sie hinzu: „Ich habe mich im Drugstore mit Parfüm eingesprüht. Irgendwas mit Vanille. Ich weiß nicht, was schlimmer riecht, das Parfüm oder die saure Milch.“

Ihm gefiel der Vanilleduft, der jedoch nicht zu Bianca passte. „Benutzt du normalerweise nicht ein … ein raffinierteres Parfüm?“

Sie nickte. „Joy. Aber das gibt es nicht im Drugstore.“

Wenn er sich recht erinnerte, hatte ihre Mutter immer Joy benutzt. Es war sein Lieblingsduft. Er erinnerte sich an …

„Weißt du noch, als …“, setzte Bianca an. Doch dann verstummte sie und wandte den Blick ab.

Neill wusste genau, woran sie dachte. „Als du und Eric im Spielzimmer Zigaretten geraucht habt und ich euch erwischt habe?“ Er hatte die Semesterferien zu Hause verbracht. Bianca und Eric hatten ihn und alle anderen zum Wahnsinn getrieben.

„Meine Mutter und Budge sind gleich nach dir nach Hause gekommen. Ich bin nach oben gerannt und habe mich mit ihrem Joy eingesprüht, damit sie den Rauch nicht riecht.“

Neill lächelte. „Du hast furchtbar nach Parfüm gestunken, aber es hat funktioniert. Ursula hat nichts gemerkt.“

„Ich habe seitdem keinen Tabak mehr angerührt. Eric und ich waren damals sicher, dass du uns verpetzen würdest.“

„Ich doch nicht! Ich habe es nicht mal getan, als Eric an deinem sechzehnten Geburtstag Dads neuen Rolls-Royce stibitzt und mit dir eine Spritztour durch Chicago gemacht hat.“

Betroffen blickte sie ihn an. „Er hat behauptet, er hätte die Erlaubnis.“

„Die hatte er nicht“, versicherte Neill, während er in ein Drive-in-Restaurant einbog. „Was möchtest du?“

„Einen Hamburger mit allem außer Zwiebeln, eine große Portion Pommes und einen Schoko-Shake. Ach ja, und ein Glas Wasser.“

Er kaufte dasselbe für sich und schlug vor: „Was hältst du davon, wenn wir zum See fahren und dort essen?“

Bianca mischte etwas Backpulver mit Wasser und rieb energisch über den Fleck in ihrem Kleid. „Eine gute Idee. Ich weiß einen hübschen Platz.“

Sie dirigierte ihn zu einem Park, und er stellte das Cabrio unter einem Ahornbaum ab. Draußen auf dem See blähte sich das farbenfrohe Segel eines Bootes in der Brise.

Bianca öffnete die Tüte und reichte ihm einen Burger und eine Tüte Pommes. „Manchmal habe ich richtig Heißhunger auf einen richtigen amerikanischen Burger“, sagte sie sehnsüchtig. „In Europa schmecken sie einfach nicht so gut.“

„Ich weiß. Wolltest du eigentlich jemals wieder hierher ziehen?“

„Ich spiele mit dem Gedanken. Dieser Burger nimmt mir beinahe die Entscheidung ab.“

„Könntest du denn zurückkommen?“

„Mein Geschäft läuft so gut, dass es durchaus in Frage käme, eine Zweigstelle in den Staaten zu eröffnen. Eric und ich haben schon letztes Jahr darüber gesprochen.“

„Ach ja? Wenn ich mich recht erinnere, hat Eric gesagt, dass er dich seit der Verlobungsfeier nicht mehr gesehen hat.“

„Genau da haben wir darüber gesprochen.“

Seit Eric so erfolgreich in der Verlagsbranche war, hatte Neill großen Respekt vor dem Geschäftssinn seines kleinen Bruders. „Hält er es für eine gute Idee?“

Bianca zuckte die Achseln. „Wir waren gerade mitten in der Diskussion, als das Debakel anfing. Seitdem hatten wir keine Gelegenheit mehr, darüber zu sprechen.“ Verlegen senkte sie den Blick auf ihr Essen.

„Wie ich dir letztes Jahr schon gesagt habe, bin ich der Meinung, dass Gen sich danebenbenommen hat, indem sie dir vor den anderen die Leviten gelesen hat.“

„Wir hatten völlig die Zeit vergessen, und das war meine Schuld.“

„Ihr konntet doch nicht wissen, dass der Fotograf den Termin wegen eines Konfliktes vorverlegen würde.“

„Konflikt? Glaub mir, nachdem Gen mich in die Mangel genommen hat, hätte ich ihm einiges über Konflikte erzählen können.“

Neill hatte geholfen, Eric zu suchen, und sogar den Friseursalon angerufen, den er angeblich hatte aufsuchen wollen. „Wir waren drauf und dran, die Polizei anzurufen in der Befürchtung, dass Eric einen Unfall hatte. Und dann seid ihr beide zusammen aufgetaucht. Wundert es dich da, dass spekuliert wurde?“

„Eric und ich sind seit unserer Kindheit gute Freunde.“

Insgeheim fragte Neill sich, ob es sich wirklich nur um Freundschaft handelte. Und warum sie kaum miteinander sprachen, wenn sie so gut befreundet waren.

Bianca seufzte. „Jedenfalls scheinen die meisten Leute entschlossen zu sein, mich in diesem Jahr zu ignorieren. Ich nehme an, das ist gut.“

„Nimm es dir nicht so zu Herzen, Bianca.“

„Das tue ich auch nicht. Ich habe andere Sachen im Kopf. Wie die neue Edelstein-Kollektion und die Ausstellung in New York im Oktober.“ Bianca leckte sich Ketchup aus dem Mundwinkel. Ihre Zunge war rosig und feucht und ließ Neill an erotische Dinge denken, wie so oft im vergangenen Jahr, das ihm sehr lang erschienen war.

„Welche neue Edelstein-Kollektion?“

„Bisher habe ich nur Gold, Silber und Platin verarbeitet. Jetzt experimentiere ich gerade mit sehr interessantem Bernstein aus Russland. Mein Manager möchte, dass ich auch Rubin, Smaragd und Diamant verwende. Aber ich bin mir nicht sicher.“

„Warum lässt du ihm denn das Sagen?“

„Oh, er kennt sich in der Branche aus, und wenn er sich um die geschäftlichen Belange kümmert, kann ich mich mehr auf das Kreative konzentrieren. Er hat jahrelang für meinen Vater gearbeitet, und ihm ist es zum Teil zu verdanken, dass D’Alessandro so erfolgreich ist.“

Neill wusste, dass ihr Vater, ein wohlhabender italienischer Industrieller, ihr erstes Geschäft in Rom finanziert hatte. Daraufhin hatte sie kurze Zeit später in Paris expandieren können, und nun pendelte sie zwischen den beiden Städten. „Und was sagt dein Vater zu der neuen Linie?“

Bianca zuckte die Achseln. „Er ist dafür. Was die Zweigstelle auf dieser Seite des Atlantiks angeht, ist er bereit, sie zu finanzieren. Er hat seine ursprüngliche Investition in mein Geschäft um ein Vielfaches zurückbekommen.“

„Er scheint in deine Fähigkeiten zu vertrauen.“

„Ich glaube, es geht eher darum, dass er kaum Zeit für mich hatte, als ich klein war. Er will jetzt für mich da sein.“

„Ich finde es großartig, dass du so erfolgreich bist.“

Bianca seufzte. „Ich möchte nur gern wissen, warum ich mich wieder wie ein kleines Kind fühle, wenn ich mit diesen Leuten hier zusammen bin.“

In diesem Moment sah sie auch wieder aus wie ein kleines Kind, und Mitgefühl stieg in ihm auf. „Weil das Gefühl der Unzulänglichkeit wieder hochkommt, das du als Kind empfunden hast. Ich weiß es. Mir ergeht es nicht anders.“

Sie heftete den Blick auf ihn. Ihre Augen, von langen Wimpern umrahmt, waren so blau wie der Ozean, so blau wie ein Bergsee, so blau wie kostbare Saphire. Unglaubliche Augen.

„Du, Neill?“

„Ja, ich. Es liegt daran, wie mich alle hier sehen. In Kolumbien bin ich der Verantwortliche, der das Geschäft managt. Hier bin ich nur der Sohn des Brezelkönigs. Das bedeutet nicht besonders viel Prestige.“

„Aber du wirkst immer so selbstsicher.“

„Nach außen hin vielleicht. Schließlich musste ich jedes Mal den Tapferen spielen, wenn Dad sich scheiden ließ. Kaum hatte ich meine letzte Stiefmutter kennengelernt, verschwand sie auch schon wieder. Und vergiss nicht, dass er Mom nach der Scheidung von Sheila wieder geheiratet hat, um sich dann ein zweites Mal scheiden zu lassen.“

„Deine Mutter ist hier, oder? Ich glaube, ich habe sie in der Rezeption gesehen. Hat sie jetzt rote Haare?“

Er nickte. „Du kennst ja Mom – flippig wie immer. Aber rote Haare stehen ihr gut.“

„Du hast es dir also zu Herzen genommen, dass dein Vater sich zum zweiten Mal von ihr scheiden ließ?“

Neill nickte. „Damals hatte ich noch gehofft, dass es gutgehen würde, dass wir Bellamys es irgendwie schaffen könnten, normal zu sein. Aber jedes Mal ging irgendetwas schief, und ich musste den verantwortungsbewussten Sohn spielen und meinen kleinen Bruder trösten, obwohl meine eigene Welt Kopf stand.“ Er lachte bitter. „Die Bellamys und normal! Der sinnloseste Wunsch, den es je gab!“

„Mir erging es nicht viel anders nach der Scheidung meiner Mutter von meinem Vater. Ich wusste als Kind nie, ob ich Amerikanerin bin, weil ich in New York geboren wurde, oder Italienerin, weil ich in sämtlichen Schulferien nach Rom abgeschoben wurde. Und ich habe mich immer vernachlässigt gefühlt, wenn meine Mutter wieder geheiratet hat – zuerst deinen Vater, dann meinen letzten Stiefvater und jetzt ihren neuen Mann. Ich habe mir immer ein richtiges Zuhause gewünscht und davon geträumt, das ganze Jahr über und jedes Jahr im selben Haus zu wohnen.“

Gedankenverloren beobachtete Neill das Segelboot, das sich dem Ufer näherte. Er sprach fast nie über seine schwierige Kindheit. „Der Fluch der Bellamys“, sinnierte er. „Deshalb habe ich beschlossen, ledig zu bleiben. Ich bezweifle, dass ich zu einer guten Ehe fähig bin. Oder dass Eric es ist.“

„Ach, Neill, Caro und Eric werden bestimmt glücklich.“

„Sie streiten sich doch ständig. Wie die Dinge stehen, glaube ich nicht, dass sie ihren ersten Hochzeitstag erleben“, entgegnete er bitter.

„Vielleicht ist ihre Meinungsverschiedenheit nur vorübergehend.“

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich kann die Probleme zwischen ihnen nicht beseitigen, aber ich kann ihn trösten. Wie gewöhnlich.“

„Wie meinst du das?“

„Wir hatten beide eine schwere Kindheit. Ich habe immer versucht, ihm das Leben zu erleichtern. Wenn die Hochzeit ihn glücklich macht, dann soll es mir nur recht sein. Aber bisher wirken sie beide unglücklich. Vergiss nicht, dass er ein Bellamy ist. Wir sind einfach nicht für die Ehe geschaffen.“

Biancas Miene wurde völlig ausdruckslos. Sie wich in ihre Ecke des Sitzes zurück und mied seinen Blick.

Schweigend saßen sie da und blickten hinaus auf den See, auf die Wolken in der Ferne. Auf dem Rasen tollten ein Mann, eine Frau und ein kleiner Junge mit einem Labrador herum. Sie sahen aus wie eine sehr glückliche Familie.

Ein Gefühl der Trostlosigkeit beschlich Neill, und er wandte den Kopf ab.

„Würdest du mich bitte zurück ins Hotel bringen?“, fragte Bianca in bedrücktem Ton.

Er blickte sie an und glaubte, einen Anflug von Groll in ihren Augen zu entdecken. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn sie allen Bellamys grollte. Seinem Vater, weil er als Ehemann ihrer Mutter versagt hatte. Eric, weil er unfähig war, mit Caroline auszukommen. Und ihm selbst – nun, einfach weil er ein Bellamy war. Und vielleicht wegen jener Nacht vor einem Jahr, als er sich von ihrer Schönheit und seinen Gefühlen hatte überwältigen lassen. Vielleicht glaubte sie, dass er sie ausgenutzt hatte.

Neill verschlang den Rest seines Hamburgers und zerknüllte die Tüte. Wortlos startete er den Motor und fuhr los.

Er hatte nicht beabsichtigt, einen Keil zwischen sich und die einzige Person zu treiben, die er auf dieser Hochzeit als eine Verbündete ansah. Er hatte nur seine Gefühle mit jemandem teilen wollen, der ihn vielleicht verstand. Nun wusste er, dass er sich davor hätte hüten sollen preiszugeben, was er wirklich von sich selbst und seiner Familie hielt.

3. KAPITEL

Neill fuhr schweigend. Bianca grübelte.

Mach dir nichts daraus, sagte sie sich, dass der Vorfall im Pavillon deine Chancen bei Neill Bellamy zerstört hat.

Doch sie machte sich sehr viel daraus. Denn trotz allem hatte sie zu hoffen gewagt, dass er tiefere Gefühle für sie hegte. Aber er hatte deutlich klargestellt – wieder einmal –, dass er nicht an einer dauerhaften Beziehung interessiert war.

Neill passierte das Tor und fuhr über die halbkreisförmige Auffahrt zum Haupteingang des Hotels. Noch bevor der Wagen ausgerollt war, stieg Bianca aus.

„Ich helfe dir mit dem Baby“, bot er an, doch sie öffnete bereits die Gurte und hob Tia auf die Arme.

„Nicht nötig“, entgegnete sie schroff. „Wenn du dich nützlich machen willst, kannst du den Kindersitz beim Türsteher abgeben.“

„Bianca!“, rief er ihr nach, doch sie drehte sich nicht um. Unbeirrt eilte sie an den Blumenkübeln auf den Stufen vorbei und durch das Foyer. Ihre Haare flatterten, und ihre Absätze klapperten laut auf dem Parkettfußboden. Die Gartenparty war vorüber, und die Menge hatte sich zerstreut. Sie ging weiter zum Teich und dem Pfad, der zum Haus des Verwalters führte.

Tia war es zufrieden, an ihrem Schnuller zu nuckeln und sich mit großen Augen umzusehen.

„Ich werde Franny finden“, teilte Bianca ihr mit. „Und dann werde ich duschen und mich für die Probe anziehen. Und ich werde keine Minute mehr mit Gedanken an Neill Bellamy und das, was hätte sein können, verschwenden.“

Unter anderen Umständen hätte Bianca den Spaziergang am Teich genossen, der mit Seerosen übersät war und an der schmalsten Stelle von einer hohen, gewölbten Brücke überspannt wurde. Die kunstvoll nachgebaute griechische Ruine, in der die Trauung stattfinden sollte, spiegelte sich auf der Wasseroberfläche, die im Schein der Abendsonne golden glitzerte.

Hinter einem Birkenhain verborgen, stand das Haus des Verwalters. Zu Biancas Erleichterung öffnete Franny auf ihr Klopfen.

„Oh, was für ein süßes Baby!“, schwärmte sie. „Komm zu mir, Darling.“ Sie nahm Tia aus Biancas müden Armen und ging sehr geschickt und sanft mit ihr um.

Doris Ofstetler, Frannys Mutter und die Frau des Verwalters, eilte strahlend herbei. „Wir haben schon eine Wiege für sie aufgestellt“, verkündete sie eifrig. „Wir haben gern ein Baby im Haus. Also lassen Sie Tia bei uns, so lange Sie möchten.“

„Ich hole sie nach dem Dinner wieder ab“, erklärte Bianca. Sie wollte Tia über Nacht bei sich im Hotelzimmer behalten und sie am Morgen wieder zu den Ofstetlers bringen. Auf diese Weise wurde sie von der Hochzeitsgesellschaft nicht mehr mit dem Baby gesehen. Auf diese Weise war ihr Geheimnis geschützt.

Gemächlich spazierte Bianca zum Hotel zurück. Ihr Blick ruhte auf dem Schwanenpaar, das graziös unter der bemoosten Brücke aus grauem Stein schwamm.

Schwäne paaren sich fürs Leben, dachte sie mit einem Anflug von Melancholie. Vielleicht, trotz Neills Pessimismus, bedeutete die Wahl von Swan’s Folly als Ort der Eheschließung ein gutes Omen für Eric und Caro.

„Bianca?“

Sie wirbelte herum und sah Eric auf sich zukommen. Er trug einen Jogginganzug, und sie fragte sich, ob er immer noch täglich joggte. Früher einmal hatte sie derartige Dinge über ihn gewusst. Doch seit er beschlossen hatte, Caroline zu heiraten, hatte sich vieles geändert.

Sie freute sich sehr, als er sie herzlich in die Arme schloss. Denn er hatte sehr wütend reagiert, als sie ihn im vergangenen Jahr aus Rom angerufen und ihm mitgeteilt hatte, dass sie schwanger war und es Neill nicht wissen lassen wollte. Seitdem hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen.

Er behielt einen Arm auf ihrer Schulter, während sie zur Brücke gingen. „Ich bin sehr froh, dass du da bist, Bianca.“

„Wie könnte ich mir deine Hochzeit entgehen lassen?“, entgegnete sie mit einer Leichtherzigkeit, die sie nicht empfand.

Eric blickte sie an, und in diesem Moment erkannte sie, dass er ihr verziehen hatte. „Wie geht es dir? Ich meine wirklich.“

„Gut. Falls du es jemals mit einer Geburt versuchen willst, kann ich dir versichern, dass es nicht so schlimm ist, wie behauptet wird. Bei mir hat es nur ein paar Stunden gedauert.“

Er schmunzelte. „Ich glaube, das überlasse ich lieber meiner Zukünftigen. Wie geht es dem Baby?“

„Wunderbar. Sie ist wundervoll. Zauberhaft. Ich möchte sie dir gern präsentieren. Aber das wäre wohl keine gute Idee. Zumindest nicht während der Hochzeitsfeierlichkeiten.“

Erics Miene verfinsterte sich. „Warum nicht?“

Sie heftete den Blick auf eine Libelle, die über dem Wasser schwebte. „Neill glaubt, das Baby sei von jemand anderem.“

„Von einem anderen Mann? Bianca, was hast du denn jetzt wieder angestellt!“

„Ach, nicht von einem anderen Mann. Ich meine, die Frage ist bis jetzt noch nicht aufgetaucht, Gott sei Dank. Er hält Tia für das Kind einer anderen Frau. Er nimmt an, dass Franny die Mutter ist, die in Wirklichkeit der Babysitter ist, und ich hielt es für besser, ihn in diesem Glauben zu lassen.“

Eric wirkte sprachlos. Dann schüttelte er den Kopf und fragte: „Und was willst du tun, wenn er die Wahrheit herausfindet?“

„Du bist der Einzige hier, der von Tia weiß. Wenn ich dir irgendetwas bedeute, dann sag es Neill nicht. Bitte, Eric, bitte!“

„Aber du hast das Baby zur Gartenparty mitgebracht. Ich nehme an, dass alle euch gesehen haben.“

„Ich war höchstens zehn Minuten da. Tia wird die meiste Zeit beim Babysitter sein, und in all dem Trubel wird niemand Zeit haben, darüber nachzudenken, wessen Baby sie ist.“

Eric runzelte missbilligend die Stirn. „Ich kann es nicht fassen, dass du dich so verhältst.“

„Aber du kennst doch Neill. Er will keine dauerhafte Beziehung. Er hasst das Familienleben. Ich will einfach nicht, dass er sich verpflichtet fühlt. Vor allem, da ich selbst für Tia sorgen kann.“

Dicht unter der Wasseroberfläche glitzerten kleine Fische silbrig im Sonnenschein. Sie erinnerten Bianca an den japanischen Karpfenteich hinter dem Haus in Chicago, in dem sie während der Ehe ihrer Mutter mit Budge Bellamy gelebt hatte.

Als Eric schwieg, fragte sie: „Erinnerst du dich noch an den japanischen Teich?“

„Du hast mich reingeworfen. Wie ich dich jetzt reinwerfen möchte.“

Sie lächelte matt. „So schlimm?“

„Wir sind keine Kinder mehr, Bianca. Erwachsene müssen Entscheidungen treffen und mit ihnen leben. Wenn du wirklich nicht willst, dass mein Bruder von seinem Kind erfährt, respektierte ich deinen Wunsch. Aber ich würde wissen wollen, dass ich Vater bin.“

„Neill ist anders“, wandte Bianca ein. „Du hast dich entschlossen, eine Familie zu gründen, und ich wünsche dir und Caro alles Glück der Welt. Aber du weißt wie ich, dass Neill ganz anders ist als du. Weiß Caro eigentlich von meinem Baby?“

Er seufzte. „Du hast mich gebeten, ihr nichts zu sagen, und ich habe es nicht getan. Zum Glück ist sie mit der Hochzeit beschäftigt.“

Bianca nahm seine Hand und blickte ihm tief in die Augen. Er wirkte besorgt, aber sie zweifelte nicht an seiner Loyalität.

„Ich werde dein Geheimnis nicht verraten. Ich lege die Hand aufs Herz und schwöre es bei allem, was mir heilig ist.“

Sie lächelte über den Schwur aus ihrer Teenagerzeit, mit dem sie sich gegen den Rest der Welt verbündet hatten. „Du musst die Hand aufs Herz legen und über die rechte Schulter spucken“, rief sie ihm in Erinnerung.

Mit ernster Miene befolgte er die Aufforderung.

Bianca lachte. „Ach, Eric, ich habe dich vermisst.“

Er hakte sich bei ihr unter. „Ich dich auch.“

„Warum kommst du mit Caroline nicht mal nach Paris?“

„Ich dachte, sie soll nichts von dem Baby wissen.“

„Nach der Hochzeit, wenn ich weit weg von Neill und allen anderen bin, kannst du es ihr sagen. Aber verrate ihr nicht, wer der Vater ist.“

Eric schwieg lange, bevor er schließlich fragte: „Bianca, glaubst du wirklich, dass es so klappt?“

„Ich hoffe es“, erwiderte sie inbrünstig.

„Du willst Neill niemals sagen, dass er eine Tochter hat?“

„Es gibt keinen Grund für mich, ihn jemals wiederzusehen. Warum sollten sich unsere Wege kreuzen? Eine halbe Welt liegt zwischen uns, und wir sind nicht miteinander verwandt. Also, werdet ihr mich besuchen? Meine Wohnung ist groß genug für uns alle, und du könntest Tia kennenlernen.“

„Das möchte ich gern. Ich werde Paris gleich nach den Flitterwochen vorschlagen.“

„Wohin fahrt ihr?“

„Das weiß nur Caroline. Ich muss nur zur Abfahrt erscheinen.“

Sie musterte ihn verstohlen. „Was ist eigentlich mit euch beiden los?“

Eric verdrehte die Augen und stieß einen übertrieben nachsichtigen Seufzer aus.

Schweigend wartete Bianca, dass Eric ihr sein Herz ausschüttete. Doch er sagte nichts, und sie wollte ihn nicht drängen. Unwillkürlich gingen ihr Neills Worte durch den Kopf: Bellamys sind nicht für die Ehe geschaffen. Sie konnte nur hoffen, dass er sich zumindest in Erics Fall irrte.

Als sie die Brücke erreichten, blieb Eric stehen. „Ich lasse dich jetzt allein. Ich nehme an, dass du dich nach dem langen Flug ausruhen möchtest.“

„Ja, und vor allem brauche ich ein Bad. Es war wirklich ein sehr langer Tag.“

Er drückte ihre Schulter. „Danke, dass du gekommen bist. Es bedeutet mir sehr viel.“

Sie dachte an all den Spaß, den sie als Kinder miteinander gehabt hatten, und lächelte ihn an. „Mir auch.“ Sie blieb einen Moment stehen und blickte ihm nach, als er davonging. Ihre Augen waren feucht. Sie war froh, dass sie seine Hochzeit miterleben durfte. Schwierig waren für sie all die anderen Veranstaltungen wie die Probe, die Junggesellinnenparty, das Dinner an diesem Abend.

Biancas Zimmer lag in dem Seitenflügel, in dem sie auch im vergangenen Jahr untergebracht worden war. Der Weg dorthin führte über eine schmale Treppe, vorbei an zwei Wäschekammern und dann erneut drei Stufen hinauf. Es war ein ungewöhnlich abgelegener Winkel, und das wusste sie zu schätzen. Denn es war sehr unwahrscheinlich, dass jemand hörte, wenn Tia schrie. Außerdem bestand kaum die Gefahr, dass sie anderen begegnete und mit ihnen plaudern musste. 

Nicht, dass die übrigen Mitglieder der Hochzeitsparty darauf bedacht waren, mit ihr zu reden. Vermutlich glaubten einige von ihnen, dass sie in Eric vernarrt war. Schließlich hatte Genevieve auf der Verlobungsfeier unterstellt, dass mehr als nur Freundschaft zwischen ihnen bestand.

Caroline hatte Bianca beigestanden und versichert, dass sie die gehässige Verdächtigung ihrer Mutter nicht glaubte, und Eric hatte es ebenfalls von der Hand gewiesen. Doch es war ein sehr peinlicher Moment für Bianca gewesen, und sie hatte die Flucht ergriffen. Später hatte Neill sie weinend unter den Fliederbüschen gefunden und sie getröstet. Im Pavillon. Und am nächsten Morgen, um Gen oder Eric und vor allem Neill nicht begegnen zu müssen, war sie abgereist. Ende der Geschichte.

Nun, nicht ganz. Tia war das Ende der Geschichte. Und das Ende jeder Chance, eine Beziehung zu Neill aufbauen zu können.

Alles Schnee von gestern, dachte sie niedergeschlagen. Warum hatte sie sich überhaupt je Hoffnungen gemacht? Schwäne paarten sich fürs ganze Leben. Menschen nicht. Ihre Mutter und Budge waren der beste Beweis dafür.

Zum Glück erreichte Bianca ihr Zimmer, ohne jemandem zu begegnen, und duschte eilig. Die Probe sollte um sechs Uhr stattfinden, gefolgt von einem Dinner. Ein Blick zur Uhr verriet ihr, dass ihr Zeit blieb, sich ein paar Minuten auszuruhen.

Das Bett war breit und einladend. So müde, wie Bianca war, konnte sie nicht widerstehen. Sie warf das Handtuch in den Wäschekorb, schlüpfte zwischen die kühlen, lieblich duftenden Laken und schloss die überreizten Augen. Es war wundervoll, die steifen Muskeln zu entspannen.

„Wo steckt Bianca?“, raunte Eric.

„Ich habe keine Ahnung“, erwiderte Neill, der sich vor Winnie verdrückte, die ihm ständig schöne Augen machte. Auch Nana, die alle anwesenden Männer aufforderte, einen Tanz beim Empfang für sie zu reservieren, versuchte er zu entgehen. Er wusste nicht, wo Bianca steckte, und es interessierte ihn nicht.

„Aber wir können nicht mit der Probe anfangen, solange sie nicht da ist“, warf Caroline ein. Sie sah wundervoll aus in einem blassgelben Leinenkleid, das ihren zarten Teint unterstrich. Sie sah außerdem besorgt aus, was vermutlich daran lag, dass ihre Mutter äußerst verstimmt war.

Genevieve hatte bereits erklärt, dass eine Verzögerung der Probe um mehr als eine halbe Stunde das Beef Wellington, das zum Dinner serviert werden sollte, völlig ruinieren würde.

„Bleib cool, Caro“, sagte Eric milde und erntete dafür einen frostigen statt nur einen kühlen Blick von seiner aufgebrachten Verlobten.

Die untergehende Sonne tauchte die Ruine in einen goldenen Schein. Nebel stieg über dem Teich auf und verhüllte die Schwäne. Die Szenerie wirkte lieblich und romantisch, und Neill wollte den Abend nicht ruiniert sehen.

Eric ignorierte Caroline und verkündete: „Ich hoffe, Bianca ist okay. Ich schicke Kevin, um sie zu holen.“

„Lass mich lieber gehen“, warf Neill hastig ein. Er hielt es für besser, die nicht gerade turtelnden Turteltauben allein zu lassen, damit sie sich wieder versöhnen konnten. Außerdem befürchtete er das Schlimmste. Er traute es Bianca durchaus zu, sich zu verkrümeln, wie sie es im vergangenen Jahr getan hatte.

„Beeil dich“, drängte Eric mit einem ominösen Blick zu Genevieve.

„Erzähl Witze oder so was, um sie abzulenken. Ich bin gleich wieder da. Hoffentlich mit Bianca.“

„Unbedingt mit Bianca“, murmelte Eric verzweifelt.

Autor

Sara Wood
Sara Wood wurde in England geboren. An ihre Kindheit hat sie wundervolle Erinnerungen. Ihre Eltern waren zwar arm, gaben ihr jedoch das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Ihr Vater kannte seine Eltern nicht, deshalb war er so glücklich über seine eigene Familie. Die Geburtstagsfeiern, die er gestaltete, waren sensationell: Er...
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