Lord meiner Sehnsucht

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Ein Leben an der Seite von Mark Wyndham, davon träumt Jane. Aufopferungsvoll kümmert er sich mit ihr um ihr Herzensprojekt: ein Waisenhaus. Und als Mark ihr bei einem Frühlingspicknick tief in die Augen blickt, begreift Jane, dass auch er sie begehrt. Doch sie darf ihn nicht lieben - er ist der Verlobte ihrer Schwester!


  • Erscheinungstag 25.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715984
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Das Dorf Hadlea in der Grafschaft Norfolk, Frühling 1817

Steh doch bitte endlich still, Issie“, sagte Jane. „Wie soll ich denn den Saum abstecken, wenn du ständig von einem Fuß auf den anderen trittst? Und hör bitte auf, dich im Spiegel zu bewundern. Wir wissen doch alle, was für eine schöne Braut du sein wirst.“

Wochenlang hatten sie hin und her überlegt, welchen Stil und Stoff und welche Farbe sie wählen sollten, bevor sie sich endlich für die schwere rote Seide entschieden, und dann wussten sie immer noch nicht, wer das Kleid nähen sollte. „Am besten machst du es“, hatte Isabel zu ihrer Schwester gesagt. „Du nähst ebenso gut wie jede Londoner Modistin, und um vieles besser als die arme Miss Smith.“

Jane lachte. „Na gut, aber Miss Smith soll die einfachen Näharbeiten ausführen. Sie ist auf die Arbeit angewiesen.“ Das ältere Fräulein kam dreimal die Woche aus dem Dorf, um Unterröcke für die Damen des Hauses zu nähen, zerrissene Kleidung zu flicken und die Bett- und Tischwäsche in Ordnung zu halten.

Jane bemühte sich nach Kräften, bei den Hochzeitskosten zu sparen. Ihre Mutter war fest entschlossen, die Hochzeit des Jahres zu feiern, obwohl Sir Edward sie gebeten hatte, nicht zu extravagant zu planen. Jane war wahrscheinlich die Einzige in der Familie, die seine Einwände überhaupt beachtete. Aber Isabels Hochzeit sollte großartig werden, und sie würde ihr Bestes dafür tun. Sie hatte sich mit dem Kleid große Mühe gegeben, bis es perfekt passte. Es hatte eine modisch hohe Taille, die langen Ärmel waren oben locker und am Unterarm anliegend, der Ausschnitt verlief herzförmig und der fließende Rock war bestickt mit rosafarbenen und weißen Rosen. Jetzt musste sie noch den Saum umnähen und die Verzierungen am Ausschnitt und den Ärmeln anbringen – meterweise Bänder und Spitzenborten, dazwischen kleine farbige Perlen. Alles musste von Hand mit winzigen, unauffälligen Stichen angenäht werden – eine ziemlich mühselige Arbeit. Jane gab gern ihre Zeit dafür her und missgönnte ihrer Schwester ihr Glück nicht, obwohl es für sie selbst ein Opfer bedeutete.

Isabel würde Mark Wyndham heiraten, den Sohn und Erben Lord Wyndhams, der mit seinen Eltern weniger als drei Meilen entfernt auf Broadacres lebte. Die Familien waren seit vielen Jahren befreundet und besuchten einander häufig. Seit Jahren war eine Heirat zwischen Mark und Isabel beschlossene Sache, obwohl Mark erst nach seiner Rückkehr vom iberischen Feldzug gegen Napoleon seinen Antrag gemacht hatte. Dort hatte er sich als Berater von Sir Arthur Wellesley ausgezeichnet, dem heutigen Duke of Wellington. Beide Familien waren erfreut über die Verlobung, und der Vater der Mädchen war erleichtert, dass Isabel keine alte Jungfer werden würde … so wie ihre Schwester Jane.

Abgesehen von ihrem Vater, war Jane die Einzige in der Familie, die begriff, dass sie über ihre Verhältnisse lebten. Ihr Einkommen reichte eigentlich nicht aus, um ihren Lebensstil zu finanzieren. Der Besitz war heruntergewirtschaftet – Zäune blieben ungeflickt und Wassergräben ungereinigt, einige der Cottages mussten ausgebessert werden, und auch das große Haus bedurfte dringend einer Renovierung. Greystone Manor war ein wunderschönes altes Gebäude, das schon vielen Stürmen standgehalten hatte – doch drinnen war es schrecklich zugig, und im großen Gesellschaftsraum war es im Winter eisig und auch im Sommer nicht warm. Die Steinfliesen in der riesigen Küche und Milchkammer waren eine Zumutung für die Füße der Dienerschaft. Die Familie benutzte gewöhnlich den kleineren Salon als Wohnzimmer und den Frühstücksraum als Speisezimmer, außer bei gesellschaftlichen Anlässen. Heute arbeiteten die Schwestern in Isabels Zimmer, von dessen Fenster aus man die Auffahrt überblicken konnte. Draußen schien warm und einladend die Frühlingssonne, und machte Hoffnung auf eine gute Ernte, mit der sie die Verluste vom letzten Jahr ausgleichen konnten.

„So, das war’s“, sagte Jane. „Du kannst es jetzt ausziehen, und ich gebe es heute Nachmittag weiter an Miss Smith. Sie soll den Saum nähen, und ich übernehme das Kräuseln der Volants für den Rock.“

Sie half Isabel aus dem Kleid und faltete es ordentlich zusammen für die Näherin.

Isabel umarmte sie. „Du bist so gut, Jane. Ich wäre gern wie du. In allem bist du so klug und geschickt, egal ob beim Nähen oder Kochen oder beim Umgang mit den Dienstboten. Und mit den Dorfkindern kommst du auch gut zurecht. Du solltest heiraten und eigene Kinder haben.“

„Nicht alle Frauen heiraten, Issie.“ Jane wusste wie jeder andere, dass sie mit siebenundzwanzig längst über das Heiratsalter hinaus war. Ihre Rolle im Leben war die einer Helferin ihrer Mutter, sie bereitete die Hochzeitsfeier ihrer Schwester vor, beruhigte Issie, wenn sie sich mal wieder zu sehr aufregte, und bremste die Verschwendungssucht ihres Bruders. Da sie sich auch in dem nahe gelegenen Dorf Hadlea sozial engagierte, hatte sie viel zu tun und wenig Zeit, ihren Status als alte Jungfer zu beklagen.

„Aber bestimmt wünschst du es dir manchmal?“

„Eigentlich nicht. Ich bin zufrieden mit meinem Leben.“

„Hast du nie einen Antrag bekommen?“

Jane lächelte, aber sie antwortete nicht. Vor zehn Jahren hatte es jemanden gegeben, aber daraus war nichts geworden. Ihr Vater war dagegen gewesen, weil der junge Mann weder Titel noch Vermögen hatte, aus keiner angesehenen Familie stammte und zu keinen großen Hoffnungen Anlass gab. Sie würde einen Besseren finden, hatte ihr Vater gesagt. Der war aber nie gekommen, und der einzige Mann, für den sie Gefühle hatte, erwiderte sie nicht. Es war ihr Geheimnis, das sie noch nie jemandem anvertraut hatte. Sie war nicht schön, und im Vergleich zu ihren jüngeren Schwestern war sie nur eine graue Maus: nett, aber unscheinbar.

Wie es ihren Eltern gelungen war, drei so unterschiedliche Mädchen zu produzieren, konnte sie nicht ergründen. Jane und Isabel hatten beide dunkles Haar, aber damit endeten die Gemeinsamkeiten auch schon. Jane war überdurchschnittlich groß, hatte markante Gesichtszüge, kräftige Augenbrauen und ein energisches Kinn. Isabel, die sechs Jahre Jüngere, war die Familienschönheit. Sie war etwas kleiner und üppiger als Jane, ihr Gesicht war runder und sie zeigte offen ihre Gefühle. Bisweilen war sie trotzig, aber ihre Tränen waren immer schnell vergessen, denn meistens war sie fröhlich. Jane war eher besonnen und behielt ihre Gefühle für sich. Sophie hingegen war blond und blauäugig und hatte mit siebzehn ihren „Babyspeck“, wie ihre Mutter es nannte, noch nicht verloren.

„Tue ich das Richtige?“, fragte Isabel plötzlich und legte sich im Unterrock auf das Bett.

„Was meinst du damit?“

„Indem ich Mark heirate.“

„Du zweifelst doch wohl hoffentlich nicht daran, Issie?“

„Es ist ein großer Schritt. Ich frage mich ständig, ob ich ihn glücklich machen werde, und ob ich mit ihm zufrieden leben kann.“

„Aber du kennst ihn doch schon dein ganzes Leben lang. Du weißt, dass er groß ist und gut aussieht, dass er aufmerksam, rücksichtsvoll und großzügig ist und dich gern verwöhnt. Was sonst kannst du dir noch wünschen?“

„Das ist es ja gerade. Vielleicht kenne ich ihn zu gut. Und vielleicht habe ich den Mann nur noch nicht getroffen, in den ich mich leidenschaftlich verlieben könnte.“

„Isabel, jetzt redest du Unsinn. Die große Liebe ist doch nur ein Märchen, ein romantischer Traum. Es ist viel besser, einen zuverlässigen Mann zu heiraten, der immer zu dir halten wird.“ Isabels plötzliche Zweifel bekümmerten Jane. Sie hatte ihre ganze Willenskraft aufbringen müssen, um ihrer Schwester zur Verlobung Glück zu wünschen, aber dann hatte sie sich voll und ganz in die Hochzeitsvorbereitungen gekniet.

„Auf Mark kann ich mich verlassen, das stimmt“, sagte Isabel. „Aber er ist wie ein Bruder für mich.“

„Mark ist alles andere als ein Bruder.“

„Und dafür danke ich Gott! Ein Teddy reicht vollkommen.“ Teddy war ihr Bruder.

Sie lachten beide, und die Spannung löste sich. Jane half ihrer Schwester in das Tageskleid, bürstete ihr die Haare und band sie zurück. Draußen hörten sie jemanden ankommen, und Isabel ging neugierig zum Fenster. „Es ist Teddy“, sagte sie. „Meine Güte, wo hat er nur diesen Mantel her? Er sieht ja wie eine Hummel aus.“

Jane stellte sich zu ihrer Schwester an das Fenster. Ihr Bruder, der altersmäßig zwischen ihr und Isabel war, stieg gerade von dem Einspänner, den er im Fox And Hounds, der Dorfgaststätte, gemietet hatte, wo er vermutlich von der Postkutsche aus London vor einer halben Stunde abgesetzt worden war. Sein Mantel – ein Cutaway mit breiten Revers – war braun-gelb gestreift, die Hose dazu rehbraun, die Weste gelb mit roten Punkten. „Dazu wird Papa sicher etwas zu sagen haben“, meinte sie.

Sie stiegen gerade die Treppe hinab, als ein Diener ihm die Tür öffnete. Teddy schwenkte seinen braunen Biberhaar-Zylinder vor ihnen. „Jane. Isabel. Ich hoffe, es geht euch beiden gut.“

„Sehr gut“, sagte Jane.

„Woher hast du diesen ungewöhnlichen Mantel?“, wollte Isabel wissen.

„Von Gieves, woher sonst? Gefällt er dir?“ Er drehte sich, um ihn vorzuführen. „Wo ist Papa? Ich muss mit ihm sprechen. Wie ist er gelaunt?“

„Oh Teddy. Sage nicht, dass du wieder gekommen bist, um ihn um Geld zu bitten“, klagte Jane. „Du weißt doch, was er beim letzten Mal gesagt hat.“

„Nun, von dem Gehalt bei Halliday’s kann kein Mensch anständig leben.“ Halliday And Son war eine bekannte Anwaltsfirma, die ihre Praxis in Lincoln’s Inn Fields betrieb. Teddy hatte nach dem Universitätsstudium auf Wunsch seines Vaters dort angefangen, da dieser nicht wollte, dass sein Sohn ein Leben in Müßiggang führte. Allerdings befand er sich immer noch ganz unten auf der Rangliste der Firma und konnte keine so hohen Honorare verlangen wie seine Mentoren.

„Dann höre auf meinen Rat, Bruder“, fuhr Jane fort. „Lege diesen Mantel und die Weste ab, bevor du zu ihm gehst. Das wäre sonst ziemlich abträglich für dein Anliegen.“

„Weise gesprochen wie immer, Jane! Ich werde in mein Zimmer gehen und etwas Unauffälliges anziehen.“ Er nahm seinen kleinen Reisekoffer und rannte die Treppe hinauf.

„Er hat sich nicht geändert“, meinte Isabel.

„Nein, leider nicht. Ich fürchte, uns steht heute ein ungemütliches Dinner bevor.“

Jane sollte mit ihrer Prognose recht behalten. Ihr Bruder trug zwar jetzt ein dunkelgraues Jackett zu einer weißen Weste mit ebensolchem Halstuch, aber offensichtlich hatte er trotzdem keinen Erfolg bei seinem Vater gehabt. Teddy war gekränkt, Sir Edward wütend und Lady Cavenhurst beunruhigt. Jane und Isabel bemühten sich, die Stimmung aufzulockern, indem sie über die Hochzeit und Neues aus dem Dorf sprachen, aber es gelang ihnen nicht. Es half auch nicht, dass Sophie wissen wollte, was eigentlich los war, und warum alle so ernste Gesichter machten. „Man könnte glauben, es wäre jemand gestorben“, sagte sie.

„Ja, ich“, sagte Teddy verdrießlich, worauf sein Vater verächtlich schnaubte und seine Mutter verzweifelt seufzte. Aber niemand gab eine Erklärung ab, und sie aßen schweigend weiter ihr Roastbeef. Nur gelegentlich wurde die Stille unterbrochen, wenn jemand höflich um die Sauciere oder den Salzstreuer bat.

Nach dem Essen zogen sich die Damen in den Salon zurück. Ein Hausmädchen brachte den Tee herein. „Ist Papa sehr böse auf Teddy?“, fragte Jane ihre Mutter.

„Er ist eher enttäuscht als wütend“, sagte Ihre Ladyschaft. Sie war eine attraktive Frau mit einer schlanken Figur und einer würdevollen Haltung, der man ihre neunundvierzig Jahre nicht ansah. „Teddy hatte ihm versprochen, nicht mehr so verschwenderisch zu sein, doch das ist ihm wohl nicht gelungen. Aber lasst uns das Thema wechseln. Es wird sich schon eine Lösung finden.“ Ihre Mutter verschloss ihre Augen gern vor allen Problemen, weil sie fest daran glaubte, dass sich immer alles irgendwie zum Besseren wenden würde.

Sie hatten noch nicht lange dort gesessen, als Sir Edward und Teddy sich zu ihnen gesellten. Teddy entschuldigte sich jedoch bald, Jane erhob sich ebenfalls und folgte ihm aus dem Zimmer. „Teddy“, sagte sie und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Steht es sehr schlecht um dich?“

„Könnte nicht schlimmer sein. Und der alte Mann will mir nicht helfen.“

„Oje, was wirst du tun?“ Sie gingen ins Lesezimmer und setzten sich auf das Sofa.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll. Du kannst mir wohl nicht zufällig helfen, Schwesterherz, oder?“

„Wie hoch sind deine Schulden?“

„Na ja …“, fuhr er zögernd fort. „Es sind hauptsächlich Spielschulden, und die müssen unbedingt beglichen werden.“

„Wie viel ist es?“

„Fünftausend – so ungefähr.“

„Fünftausend! Oh Teddy, wie konnte es so weit kommen?“

„Du weißt, wie es ist. Du gewinnst etwas, dann verlierst du etwas, und immer denkst du, dass du es wieder hereinholen kannst. Aber ich hatte Pech.“

„Wem schuldest du das Geld?“

„Lord Bolsover besitzt die größten Schuldscheine, ungefähr dreitausend Pfund, und ein paar andere fordern auch ihr Geld ein. Gieves und Hoby und der Weinhändler müssen noch warten.“

„Worauf? Dass du irgendwann eine Gewinnsträhne hast? Ich hätte ja gedacht, dass es wichtig ist, erst den Schneider und den Stiefelmacher zu bezahlen, weil sie davon leben müssen. Spielschulden sind rechtlich nicht einklagbar. Das solltest du doch wohl wissen.“

„Umso wichtiger, sie zuerst zu bezahlen! Spielschulden sind Ehrenschulden.“

„Ehre …! Teddy, wenn du Ehre im Leib hättest, würdest du Papas Rat beherzigen. Er hat immer sein Bestes für dich getan, aber er ist kein reicher Mann.“

„Das hat er mir auch gesagt.“ Teddy seufzte. „Er hat mir vorgeschlagen, eine reiche Frau zu heiraten, vorzugsweise eine Witwe, die alt und wohlhabend genug ist, um meine Verschwendungssucht aufzufangen.“

Jane musste lachen und sah erleichtert, dass die Lippen ihres Bruders ebenfalls zuckten. „Das hat er nur gesagt, weil er wütend auf dich ist.“

„Er meinte es ernst, Jane.“

„Und dir gefällt der Gedanke nicht?“

„Doch, durchaus, aber nur, wenn zu dem Geld auch ein hübsches Gesicht und eine gute Figur hinzukommt. Aber wo soll ich denn so eine Frau finden, die mich auch nimmt? Selbst wenn, dann dauert es seine Zeit, und die habe ich nicht. Hector Bolsover will sein Geld sofort.“

„Oh Teddy, was für ein Schlamassel!“

„Ich weiß. Kannst du mir nicht helfen?“

„Wo soll ich denn so viel Geld hernehmen?“

„Du hast doch noch das Erbe von Tante Matilda, oder?“

„Das ist aber meine Mitgift.“

„Du heiratest doch sowieso nicht, oder?“

Nur ein Bruder konnte so schonungslos sein. Es tat weh, aber sie ließ es sich nicht anmerken. „Möglicherweise nicht, aber ich habe andere Pläne mit meinem Erbe.“

„Wichtigere als die Rettung deines Bruders vor dem Tod im Wasser?“

Sie seufzte schwer. Seit sie im vorigen Jahr die zerlumpten, barfüßigen Kinder auf den Straßen Londons gesehen hatte, träumte sie davon, ein Waisenhaus für die Kinder der im Krieg gefallenen Soldaten zu eröffnen. Einer der kleinen Bettler hatte ihr seine herzzerreißende Geschichte erzählt: Sein Vater war im fernen Portugal in einer Schlacht gefallen, und seine Mutter war seitdem gezwungen, als Dienstmädchen in einem Haushalt zu arbeiten, in dem Kinder nicht willkommen waren. Sie musste bei ihren Dienstherren leben und konnte die beiden kleinen Zimmer nicht mehr behalten, in denen sie vorher gemeinsam gewohnt hatten. Seitdem schlief der Kleine in Hauseingängen oder unter Bäumen im Park. „Es geht schon“, sagte er und streckte bittend seine Hand aus.

Sie hatte sich gefragt, wie viele andere Kinder so leben mussten, ohne ein Zuhause, anständige Kleidung und ausreichend zu essen zu haben. „Die Regierung sollte sich um sie kümmern“, hatte sie zu ihrer Mutter gesagt und dem Kind ein Sixpencestück gegeben. „Schließlich haben ihre Väter für König und Vaterland gekämpft. Und so belohnt man sie. Es ist eine Schande.“

„Ich wüsste nicht, was wir dagegen tun könnten.“

„Zum Beispiel mit Sir Mortimer sprechen, unserem Abgeordneten, und er könnte es auf die Tagesordnung im Parlament setzen. Oder wir könnten Geld sammeln, um den Kindern ein Zuhause zu geben.“

„Das klingt wie ein schwieriges Unterfangen“, hatte ihre Mutter seufzend gesagt.

Und so hatte Jane ihren eigenen Kreuzzug begonnen, aber es gelang ihr nicht, die Regierung zum Handeln zu bewegen. Sie wollte ein Zeichen setzen. Kein großes, denn das konnte sie sich nicht leisten, aber sie wollte zumindest in ihrer Umgebung etwas bewirken. Ihr schwebte eine kleine Internatsschule für ein gutes Dutzend Kriegswaisen vor. Ihre fünftausend Pfund würden für diese Zwecke nicht ausreichen, darum hatte sie bereits Reverend Mr Henry Caulder und seine Frau dazu bewegt, ihr beim Spendensammeln zu helfen. Sie wollte auch ihr eigenes Geld einbringen, doch wenn sie Teddy jetzt ihr Erbteil überließ, wären ihre Pläne am Ende, bevor sie wirklich damit begonnen hatte.

„Könntest du nicht Lord Bolsover um mehr Zeit bitten, bis uns etwas einfällt?“, erkundigte sie sich.

„Du kennst Seine Lordschaft nicht, sonst würdest du das nicht vorschlagen.“

„Wenn er so ein unangenehmer Mensch ist, warum gibst du dich dann mit ihm ab?“

„Er gehört zu meiner Gruppe von Spielern.“

„Teddy, du bist ein Dummkopf – kein Wunder, dass Papa böse auf dich ist.“

„Meinst du, du kannst ihn überreden? Auf dich hört er. Ich würde für immer in deiner Schuld stehen.“

Sie lachte. „Du hast schon genug Schulden, Teddy, aber ich will sehen, was ich bei Papa für dich tun kann. Nur nicht heute Abend. Gib ihm Zeit, sich zu beruhigen. Wie lange bleibst du?“

„Ich kann mein Gesicht nicht in London zeigen, bis ich wenigstens Bolsover bezahlen kann.“

„Und was ist mit deiner Stellung bei Halliday’s?“

„Welche Stellung?“

Jane war völlig entgeistert, obwohl sie normalerweise nicht leicht zu erschüttern war. „Oh Teddy, willst du damit sagen, dass du entlassen wurdest? Dann wundert es mich nicht, dass Papa wütend ist.“

„Er weiß es noch gar nicht. Habe mich nicht getraut, es ihm zu sagen. Wenn du mir nicht hilfst, muss ich ins Ausland gehen, nach Indien oder so.“

„Das würde Mama das Herz brechen. Und wir würden alle mit dieser Schande leben müssen. Isabel heiratet in einem Monat. Was würde wohl Mark zu dem Skandal genau zum Zeitpunkt seiner Hochzeit sagen? Geh jetzt, Teddy. Mache dich irgendwo nützlich und lass mich überlegen.“

Er stand auf und ging. Leider fiel ihr keine andere Lösung ein, als ihr Erbe aufzugeben. Doch der Gedanke, dass die Waisenkinder wegen der Selbstsucht ihres Bruders weiter leiden mussten, war kaum zu ertragen. Immer war sie nachsichtig gegenüber den Schwächen ihres Bruders gewesen, aber dieses Mal war er wirklich zu weit gegangen. Wenn es nicht um den Kummer ihrer Mutter und die Hochzeit ihrer Schwester ginge, würde sie ihn schmoren lassen.

„Wenn das nicht Drew Ashton ist“, rief Mark aus, als er seinen alten Freund auf dem Piccadilly auf sich zukommen sah. „Wo hast du dich versteckt? Es muss Jahre her sein, seit wir uns zuletzt gesehen haben.“

„Ich war in Indien, bin gerade heimgekehrt.“

„Und du siehst sehr gut aus, muss man sagen.“ Mark musterte den anderen Mann anerkennend von oben bis unten. Er trug einen perfekt geschneiderten Rock von klerikalem Grau, eine bestickte Weste, dazu ein präzise geschlungenes Halstuch mit Diamantnadel, ein Monokel mit Perlmuttgriff an einer Kette um den Hals, und eine goldene Taschenuhr. Die Hose saß faltenlos und die Stadtschuhe waren glänzend poliert.

„Früher warst du nicht so elegant.“

„Es ist mir gut ergangen da drüben. Aber du siehst auch nicht schlecht aus. Was hast du so gemacht? Wie geht es deiner werten Mutter und Lord Wyndham?“

„Beiden geht es gut. Was mich anbetrifft – ich war mit Wellington auf dem Feldzug in Portugal, bin dann später nach der Schlacht bei Waterloo heimgekehrt, war dann in Indien, und werde mich bald verheiraten. Zurzeit bin ich in London, um mit meinen Anwälten ein paar Punkte des Ehevertrags durchzugehen, außerdem möchte ich mir Kleider für die Hochzeit anpassen lassen.“

„Sicher hast du Zeit, um mit mir bei Grillon’s einen Happen zu essen?“

„Ja natürlich. Gerne.“

Sie gingen gemeinsam die Straße hinunter und betraten das Hotel, wo sie gleich einen Tisch zugewiesen bekamen.

„Erzähle mir doch“, sagte Mark, während sie auf das Essen warteten, „was hat dich eigentlich nach Indien verschlagen? Ich erinnere mich, dass du Broadacres ziemlich überstürzt verlassen hast. Es hatte hoffentlich nichts mit Mamas Gastfreundschaft zu tun?“

„Aber nein. Lady Wyndham ist eine ausgezeichnete Gastgeberin, bei der ich mich sehr wohlgefühlt habe. Doch ich musste mich um eine dringende Familienangelegenheit kümmern. Das habe ich dir damals aber erklärt.“

„Das hast du. Ich hatte es nur vergessen. Und was wirst du jetzt tun, da du zurück in England bist?“

„Ich beabsichtige, einen Anteil an einem Klipper zu kaufen und weiter Handel zu treiben. Das hat sich bisher gut bezahlt gemacht.“

„Du möchtest als Händler arbeiten, Drew?“

„Warum denn nicht? Ich trage meine Nase nicht so hoch, dass ich eine gute Gelegenheit in den Wind schlagen würde, ein Vermögen zu verdienen.“ Ein Kellner brachte duftende Schweinekoteletts, dazu eine große Schüssel mit Gemüse. Sie bedienten sich und aßen mit gutem Appetit.

„Also bist du jetzt ein richtiger Nabob?“, erkundigte sich Mark. Sein Freund sah wohlhabend aus und war sehr gut gekleidet.

„Das könnte man so sagen. Ich bin losgezogen mit der Absicht, ein Vermögen zu verdienen, und damit hatte ich Erfolg. Ich bin nicht mehr der arme Verwandte, der bemitleidet wird, weil keine junge Frau von Stand ihn nehmen würde.“

„So war es doch bestimmt nicht, Drew.“

„Oh doch, glaube mir. Die junge Lady, die ich gern geheiratet hätte, rümpfte nur die Nase über mich. Ich war ihr nicht gut genug.“

Mark hörte leisen Groll in der Stimme seines alten Freundes. „Andere Mütter haben auch schöne Töchter.“

„In der Tat. Allerdings habe ich, im Gegensatz zu dir, nicht vor, mich so schnell an die Kette legen zu lassen.“

„Ich habe es auch nicht eilig. Meine Zukünftige und ich kennen uns seit unserer Kindheit.“

„Erzähle mir von ihr. Ist sie schön? Hat sie ein angenehmes Temperament?“

„Ja zu beiden Fragen. Du kennst sie, Drew. Es ist Isabel Cavenhurst.“

„Cavenhurst!“

„Ja. Du klingst überrascht.“

„Oh nein“, sagte Andrew schnell. „Ich erinnere mich an den Namen. Leben die Cavenhursts nicht in der Nähe von Broadacres?“

„Ja. Auf der anderen Seite des Dorfes, in Greystone Manor. Als du bei uns zu Besuch warst, waren wir mehrmals dort, erinnerst du dich?“

„Ja, jetzt da du es sagst. Es waren drei junge Damen, von denen die jüngste ein Kind war und die mittlere noch die Schulbank drückte. Die Älteste war siebzehn oder achtzehn. Sie hieß Jane, an die anderen Namen erinnere ich mich nicht mehr.“

„Isabel ist die zweitälteste Tochter und mit Abstand die schönste, Sophie ist jung und entwickelt sich noch. Was Jane betrifft, hat sie viele bewunderungswürdige Eigenschaften, aber betörende Schönheit gehört nicht unbedingt dazu.“

„Also hattest du die volle Auswahl und hast die Mittlere gewählt und nicht die Älteste. Ist das nicht etwas ungewöhnlich?“

„Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Meinen Eltern läge es fern, mir vorzuschreiben, wen ich zu heiraten habe. Aber Jane hätte meine Aufmerksamkeiten gar nicht gewollt. Ich glaube, sie hat irgendwann eine Enttäuschung erlebt. Zwar kenne ich die Details nicht, aber sie hat sich eines Tages schlagartig aus der Gesellschaft zurückgezogen, und dann habe ich Isabel häufiger gesehen. Später bin ich nach Portugal gegangen und war sechs Jahre fort. Erst nach meiner Rückkehr habe ich mich mit Isabel verlobt.“

„Wann ist die Hochzeit?“

„Nächsten Monat. Am fünfzehnten.“

„Dann wünsche ich dir viel Glück.“

„Danke. Du musst auch kommen.“

„Ach, ich weiß nicht recht …“

„Außerdem könntest du dann etwas für mich tun.“

„Ja, was denn?“

„Jonathan Smythe sollte mein Trauzeuge sein, aber wegen eines Todesfalls in seiner Verwandtschaft hat er mich im Stich gelassen. Ich brauche jemanden, der mich zum Altar führt, sonst stehe ich ohne Trauzeugen da.“

„Nun, ich fühle mich zwar geschmeichelt, Mark, aber wieso ausgerechnet ich?“

„Weil ich sicher bin, dass du der Richtige bist als einer meiner ältesten Freunde. Wir kennen uns immerhin seit unserer Schulzeit! Sag mir, dass du es tun wirst, Drew.“

„Ich denke darüber nach.“

„Aber bitte nicht zu lange, denn ich fahre übermorgen zurück nach Norfolk, und vorher muss ich die Kleider für die Hochzeit bestellen. Hilfst du mir dabei? Wenn du Lust hast, kannst du mir auch gern dabei helfen, die Geschenke für meine Zukünftige und ihre Brautjungfern auszusuchen. Ich brauche einen Berater.“

Andrew lachte. „Eigentlich wollte ich heute nichts als ein gutes Dinner und vielleicht Karten spielen … und plötzlich soll ich mich mit diesen lästigen Dingen beschäftigen?“

„Wenn du mitkommst, spiele ich anschließend mit dir Karten. Wir könnten zu White’s gehen. Bist du dort Mitglied?“

„Nein, ich bin noch nicht sehr lange zurück. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass man mich ohne Sponsor akzeptiert.“

„Keine Sache, ich führe dich ein. Also, Hand darauf?“ Er legte sein Besteck zur Seite und streckte die rechte Hand aus.

Andrew drückte sie. „Nun gut. Morgen gehen wir einkaufen. Ich verspreche aber nicht, dass ich zu der Feier kommen werde.“

Mark lächelte zufrieden. Zweifellos würde es ihm gelingen, seinen Freund nach Broadacres zu holen, und dann wollte er auch herausfinden, warum er damals so plötzlich verschwunden war. Die Geschichte von der dringenden Familienangelegenheit glaubte er nicht, denn Andrew war nach dem Tod seiner Eltern von einer alten unverheirateten Großtante, seiner einzigen Verwandten, zu Pflegeeltern gegeben worden, bis er in die Schule kam. Drew hatte ihm von körperlichen und seelischen Misshandlungen erzählt. Es hatte Mark immer leidgetan, wenn alle Jungen in den Ferien nach Hause fuhren, und Andrew zurückbleiben musste. Er hatte ihn nach Broadacres eingeladen, aber ein Besuch war dem Jungen verboten worden. Erst als sie die Universität verlassen hatten, konnte er Andrew dazu bewegen, ihn zu besuchen.

Wenn es damals wirklich einen Notfall in seiner Familie gegeben hatte … Warum war Andrew dann plötzlich nach Indien gereist?

Nach dem Essen trennten sie sich mit dem Versprechen, sich sehr bald wieder zu treffen. Mark nahm eine Droschke, um zu Halliday And Son zu fahren, wo er den Sohn, Mr Cecil Halliday, wegen des Ehevertrags sprechen wollte. Mark wollte sicherstellen, dass Isabel genug Nadelgeld haben würde, um sich jederzeit Kleider und andere schöne Dinge kaufen zu können, ohne ihn darum bitten zu müssen. Er war, sich bewusst, dass Sir Edward in finanziellen Schwierigkeiten war und hatte daher auf die ihm zustehende Mitgift verzichtet. Als er in dem Anwaltsbüro eintraf, wunderte er sich, dass Teddy nicht im Vorzimmer saß.

„Wo ist Mr Cavenhurst?“, erkundigte er sich bei Cecil Halliday, nachdem sie sich in dessen Büro begrüßt hatten.

„Er arbeitet nicht mehr bei uns.“

„Das ist mir neu. Wohin ist er gegangen?“

Der Mann zuckte die Achseln. „Das weiß ich nicht. In seine Unterkunft? Oder vielleicht zurück nach Norfolk?“

„Was ist passiert?“

„Dazu darf ich Ihnen keine Auskunft erteilen, Sir.“

„Ich verstehe Ihre Zurückhaltung, aber es handelt sich um meinen zukünftigen Schwager. Ich nehme an, dass Sie auf seine Dienste verzichtet haben?“

„Das dürfen Sie annehmen“, sagte der Mann vorsichtig. „Mehr kann ich Ihnen aber nicht dazu sagen.“

„Selbstverständlich. Ich werde Sie nicht durch weitere Fragen in Verlegenheit bringen. Können wir jetzt zum Geschäftlichen übergehen?“

Nachdem er eine Stunde lang die Details des Ehevertrags geklärt hatte, machte sich Mark auf den Weg zu Teddys möbliertem Zimmer. Der junge Mann sei verschwunden, ohne die Miete zu bezahlen, teilte ihm die Pensionswirtin in betrübtem Ton mit. Mark beglich die Rechnung und kehrte zum Hotel zurück.

Er kannte Teddy schon sein ganzes Leben lang, sie hatten als Kinder zusammen gespielt und waren in dieselbe Schule gegangen. Teddy war vier Jahre jünger, darum hatten sie während der Schulzeit und dem anschließenden Studium wenig Kontakt gehabt. Dann war Mark der Armee beigetreten und nach Portugal gegangen, während Teddy den Posten bei Halliday And Son angetreten hatte. Erst in der letzten Zeit waren sie sich wegen den Hochzeitsvorbereitungen etwas häufiger begegnet.

Mark bemühte sich wirklich, Isabels Bruder zu mögen. Leider war Teddy dreist und unsensibel – der lang ersehnte einzige Sohn, der ein großes Erbe antreten würde. Besonders seine Mama hatte ihn zu sehr verwöhnt. Was hatte er bloß angestellt, um gekündigt zu werden? Was es auch war, Sir Edward würde sicher nicht erfreut darüber sein …

Später am Abend erhielt Mark Informationen, die ein deutlicheres Bild ergaben. Er traf sich mit Drew bei White’s und spielte mit zwei anderen Gentlemen eine Partie Whist. Einer der beiden war Toby Moore, ein ihm flüchtig bekannter Army Captain, der andere war Lord Bolsover. Mit diesen beiden Herren hätte er sonst wohl eher nicht gespielt, aber alle anderen Gentlemen waren schon mitten im Spiel, als er höflich gefragt wurde, ob er wohl „Vierter Mann“ sein wollte.

„Sie sind mit einem der Cavenhurst-Mädchen verlobt, nicht wahr?“, erkundigte sich Bolsover. Er war ein bis zwei Jahre älter als Mark und sehr extravagant gekleidet. Das dunkle Haar trug er kurz und in Löckchen über Stirn und Ohren gekämmt. Erstaunlicherweise war seine Hautfarbe ziemlich dunkel, obwohl er sicherlich viele Stunden an den Spieltischen verbrachte.

„Ja“, antwortete Mark. „Ich habe die Ehre, mit Miss Isabel Cavenhurst verlobt zu sein.“

„Die Hochzeit ist schon bald, nicht wahr?“

„In einem knappen Monat. Warum fragen Sie?“

„Neugier, mein Bester. Ich kenne Cavenhurst ziemlich gut.“

„Sir Edward?“

„Nein, nie gesehen. Ich meinte den Sohn. Wir haben ein paarmal zusammen gespielt. Leider ist er kein guter Verlierer. Vermutlich ist er nach Hause gerannt, um sich Geld zu besorgen. Hoffe, er schafft es bald, denn ich warte nicht gern.“

Das glaubte Mark sofort und fragte sich, wohin die Unterhaltung noch führen würde. „Zweifellos ist er wegen der Hochzeit nach Hause gefahren.“

„Jetzt schon? Das glaube ich nicht. Hoffentlich springt sein Vater ein, denn ich habe alle seine Schuldscheine aufgekauft. Teddy Cavenhurst hat offenbar nie etwas bar bezahlt.“

Mark erschrak, aber er zeigte es nicht, sondern lachte. „Sir Edward hat immer für seinen Sohn geradegestanden, keine Angst.“

„Ich habe aber erfahren, dass das Anwesen in keinem guten Zustand ist und Sir Edward nur mit Mühe über die Runden kommt“, sagte Bolsover nonchalant und öffnete das neue Päckchen Karten, das vor ihn auf den Tisch gelegt worden war.

„Wo haben Sie das gehört? Davon ist mir nichts bekannt.“

Seine Lordschaft lachte. „Befürchten Sie, dass die Mitgift der Lady in Gefahr ist?“

„Nein. Natürlich nicht. Ich weiß nicht, wo Ihre Informationen herkommen, aber Sie sollten demjenigen sagen, dass er sich irrt. Wollen wir jetzt spielen?“

„Sicher.“ Seine Lordschaft mischte die Karten und legte den Packen auf den Tisch. „Heben Sie ab, Mr Ashton, damit wir wissen, was Trumpf ist?“

„Ein zufriedenstellender Abend“, sagte Drew, als sie von White’s zur Jermyn Street liefen, wo er wohnte.

„Du musst ein geübter Spieler sein“, sagte Mark. „Neben dir hat Hector Bolsover keine gute Figur gemacht. Das wird ihm sicher nicht gefallen.“

„Was weißt du von dem Mann?“

„Nicht viel. Ich glaube, er ist unverheiratet und verbringt die meiste Zeit in Clubs und Spielhöllen. Man sagt, dass er nicht immer fair spielt, aber noch nie hat ihm jemand etwas nachweisen können. Wenn er Teddys Schuldscheine hat, könnte das für die Cavenhursts übel ausgehen.“

„Also hast du darüber nachgedacht?“

„Es bereitet mir Unbehagen.“

„Wegen der Mitgift?“

„Großer Gott, nein! Das ist meine geringste Sorge.“

„Sind wir immer noch verabredet, um die Hochzeitsgeschenke zu besorgen?“

„Natürlich.“ Sie blieben vor Drews Wohnhaus stehen. „Und kommst du danach mit nach Broadacres?“

„Habe ich das gesagt?“

„Nein, aber ich würde dir Isabel gern schon vor der Hochzeit vorstellen. Wir laden die Cavenhursts zum Supper ein.“

Drew lachte. „Wie könnte ich so ein Angebot ablehnen?“

Mark lachte und verabschiedete sich von seinem Freund. Zufrieden machte er sich auf den Weg zur South Audley Street, wo sich das Stadthaus der Wyndhams befand.

2. KAPITEL

Papa, hast du einen Moment Zeit für mich?“ Wie beinahe jeden Morgen saß Janes Vater in seinem Arbeitszimmer. Der Schreibtisch vor ihm war übersät mit Papieren.

„Ach, du bist es, Jane. Komm herein und setze dich. Ich dachte, es sei mein nichtsnutziger Sohn.“

Jane setzte sich auf den Stuhl, wo normalerweise der Gutsverwalter saß. „Es tut mir sehr leid, Papa. Er ist der Grund, warum ich hier bin.“

„Also hat er seine Schwester vorgeschickt, um ein gutes Wort für ihn einzulegen?“

„Er glaubt, dass du nicht ganz verstanden hast, wie tief er in Schwierigkeiten steckt.“

Sir Edward konnte darüber nur lachen. „Ich verstehe das alles nur zu gut, Jane. Er ist es, der nicht versteht, dass ich unmöglich auf seine ungeheuerlichen Forderungen eingehen kann, ohne den Rest der Familie an den Bettelstab zu bringen.“

Jane schnappte nach Luft. „Ist es wirklich so schlimm?“

„Noch schlimmer. Meine Investitionen sind fehlgeschlagen, letztes Jahr hatten wir eine Missernte, bei den Pächtern stehen Reparaturen an, und jetzt kommt auch noch Isabels Hochzeit auf uns zu. Wir müssen drastische Sparmaßnahmen ergreifen. Es tut mir leid, aber Teddy wird selbst eine Lösung finden müssen. Beim letzten Mal habe ich ihn gewarnt, dass ich ihm nicht mehr helfen kann, jetzt muss er lernen, dass ich es ernst meine.“

„Aber was soll er tun, Papa? Er ist noch jung und leicht zu beeinflussen. Natürlich will er es seinen Freunden gleichtun.“

„Dann sollte er seine Freunde sorgfältiger auswählen.“

„Papa …“ Sie stand auf und ging zur Tür, dann drehte sie sich noch einmal um. „Isabels Hochzeit ist aber nicht gefährdet, oder?“

„Nein. Ich denke, das schaffen wir noch.“

Sie verließ ihren Vater, ging jedoch nicht sofort zu ihrem Bruder, denn sie brauchte etwas Zeit, um über die Situation nachzudenken. Eins war klar: Sie würde ihr Erbteil opfern müssen, und je eher sie sich damit abfand, desto besser. Sie ging in ihr Zimmer, legte ein leichtes Schultertuch um und machte sich auf den Weg ins Dorf.

Hätte sie nicht den Kopf voll mit ihren Problemen gehabt, wäre der kurze Frühlingsspaziergang sehr angenehm gewesen. Die Sonne schien, die Vögel sangen, und die Hecken standen in voller Blüte. Das kleine Dorf Hadlea lag im Norden der Moorlandschaft von Norfolk. Es hatte nur eine Kirche, ein Pfarrhaus, eine Windmühle, zwei Gasthäuser und eine Anzahl kleinerer Häuser um den dreieckigen Dorfanger herum.

Jane ging zum Pfarrhaus, wo sie herzlich von der rundlichen Mrs Caulder begrüßt wurde. „Kommen Sie herein, Jane, ich lasse Tee und Kekse in den Salon bringen. Es wird auch Zeit, dass Henry aus seinem Studierzimmer kommt. Da sitzt er schon den ganzen Vormittag und schreibt seine Predigt für morgen.“

Mrs Caulder wuselte umher, gab Anweisungen und rief ihren Gatten, während Jane sich auf einem Stuhl niederließ und überlegte, wie sie erklären sollte, dass sie die versprochenen fünftausend Pfund doch nicht zur Verfügung stellen konnte. Die Wahrheit durfte aber nicht bekannt werden.

„Wie geht es Ihnen, meine Liebe?“, fragte Mrs Caulder. „Sind Sie zu Fuß gekommen?“

„Ja. Es ist so wunderschönes Wetter.“

„Auf jeden Fall. Ah, hier ist Henry ja schon.“

Der Pfarrer war mittelgroß und trug seine langen grauen Haare mit einem schwarzen Band zurückgebunden. Er strahlte Jane erfreut an. „Was für eine Freude, Sie zu sehen, meine liebe Miss Cavenhurst. Es geht Ihnen hoffentlich gut?“

„Sehr gut, danke. Aber leider habe ich schlechte Nachrichten.“

„Doch hoffentlich nicht wegen der Hochzeit?“, rief seine Frau erschrocken und reichte Jane eine Tasse Tee.

„Oh nein, nichts dergleichen. Es ist nur … ich kann dem Waisenprojekt leider die versprochenen fünftausend Pfund nicht geben.“ Sie zögerte und nahm dann Zuflucht bei einer Unwahrheit. „Ich habe herausgefunden, dass ich an das Geld nicht herankomme, bis ich entweder heirate oder in drei Jahren dreißig werde. Ich zermartere mir das Hirn, um einen Weg zu finden, ohne das Geld weiterzumachen.“

„Mein liebes Mädchen, schauen Sie nicht so niedergeschlagen drein, es ist ja nicht das Ende der Welt“, sagte der Pfarrer und setzte sich neben seine Frau, um auch eine Tasse Tee entgegenzunehmen. „Wir werden schon irgendwie ohne Ihr Geld zurechtkommen. Wir müssen eben einen anderen Förderer finden, vielleicht auch mehrere. Ich habe mich nie so ganz wohlgefühlt dabei, dass Sie uns alles geben wollten.“

„Das beruhigt mich ein wenig“, sagte Jane.

„Es gibt Waisenhäuser im ganzen Land, von denen einige besser geleitet werden als andere. Wir werden dort nachfragen, wie sie das machen und außerdem eine Liste möglicher Geldgeber erstellen. Bestimmt können Sie einige Leute zum Spenden bewegen. Es ist für einen guten Zweck, und Sie sind ziemlich überzeugend.“

Jane lachte und ihre Stimmung besserte sich.

Sie lächelte immer noch, als sie auf dem Heimweg über den Dorfanger ging. Gedankenversunken hielt sie den Kopf gesenkt und sah die beiden Männer erst, als sie direkt vor ihr standen.

Autor

Mary Nichols

Mary Nichols wurde in Singapur geboren, zog aber schon als kleines Mädchen nach England. Ihr Vater vermittelte ihr die Freude zur Sprache und zum Lesen – mit dem Schreiben sollte es aber noch ein wenig dauern, denn mit achtzehn heiratete Mary Nichols. Erst als ihre Kinder in der Schule waren,...

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