Miss Pennys skandalöser Heiratsantrag

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„Heiraten Sie mich!“ Miss Penny Brinsley wagt das Undenkbare: Durch die Gitterstäbe des kleinen Dorfgefängnisses macht sie einem jungen Gefangenen einen skandalösen Heiratsantrag! Im Gegenzug übernimmt sie seine Kaution, damit er wieder auf freien Fuß kommt. Warum? Penny braucht dringend irgendeinen Ehemann, um die Firma ihres verstorbenen Vaters zu leiten. Wird der charmante Schurke Ja oder Nein zu einer Vernunftehe sagen? Mit bangem Herzen wartet sie seine Antwort ab – und ahnt nicht: Jasper Patterdale ist der Sohn eines Viscounts …


  • Erscheinungstag 16.09.2025
  • Bandnummer 436
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531726
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

Annie Burrows

Miss Pennys skandalöser Heiratsantrag

1. KAPITEL

„Penny, du musst dir ansehen, wen ich gefunden habe. Aber bitte sofort!“

Penny sah mit einem ungeduldigen Schnauben von dem Stapel Briefen auf, die sie geschrieben hatte, im Begriff war zu schreiben oder erst noch schreiben musste, als ihre Tante die Tür aufriss und hereinstürzte.

„Tante Hermione, ich bin im Moment wirklich sehr, sehr beschäf…“

„Jaja, das sehe ich, aber das hier wird dir dabei helfen. Denn weißt du“, sagte Tante Hermione, während sie zu Pennys Schreibtisch eilte und in der einen Hand ein Schultertuch, in der anderen einen Schutenhut schwenkte, „ich habe den perfekten Mann für dich gefunden.“

Den perfekten Mann? Das bezweifelte Penny sehr. Denn ein solches Geschöpf gab es nicht. Und Tante Hermione kannte ihre Ansicht dazu. Penny hatte sie ihr tränenreich und sehr ausführlich erläutert, nachdem sie von jener schrecklichen Klausel erfahren hatte, die ihr Vater in sein Testament gesetzt hatte. Und zu der Zeit hatte Tante Hermione sich verhalten, als wäre sie ebenso empört gewesen. Wenigstens hatte sie gesagt, dass es ihrem verstorbenen Bruder ähnlich sähe, sich so hinterhältig zu benehmen.

Aber jetzt kam sie um den Schreibtisch herum, setzte Penny energisch den Hut auf und schlang das Tuch um ihre Schultern.

„Du musst dich beeilen, sonst ist es zu spät. Und du musst ihn im Einsatz erleben, um zu verstehen, was ich meine, wenn ich sage, er ist perfekt.“

Penny überlegte einen Moment. Einerseits hatte sie nicht den geringsten Wunsch, hinauszugehen und etwas zu tun, was sich als völlig sinnloses Unterfangen erweisen würde, andererseits spürte sie die Anfänge eines Kopfwehs, und ein wenig frische Luft würde vielleicht helfen. Und es war einer jener klaren, hellen Tage, die sie um diese Jahreszeit so liebte, wenn sie einfach nur ein Schultertuch umzulegen brauchte, um sich vor der leichten Kälte zu schützen.

Es war ja nicht so, dass irgendeiner der Briefe, die sie heute schrieb, sich als ergiebiger erweisen würde als die Dutzende von Briefen, die sie bereits an die eventuellen Geldgeber geschickt hatte, die ihr eingefallen waren. Wenn sie Glück hatte, würde sie eine Antwort bekommen, die die Risiken betonen würde, die ein von einer Frau geführtes Unternehmen notgedrungen mit sich brachte. Wenn sie weniger Glück hatte, würde sie nicht einmal eine solche Antwort erhalten.

Außerdem wollte sie Tante Hermione nicht kränken, die bis zu diesem Punkt immerhin eine treue Verbündete gewesen war. Sie war mit ihr nach Huntingham gekommen, obwohl sie es hasste, in Gasthäusern abzusteigen, weil sie den Gedanken nicht ertragen hatte, Penny ohne angemessene Begleitung zu lassen, während die sich auf die Suche nach einer Lösung für ihr Problem machte.

Also erhob sie sich und ging mit ihrer Tante hinaus – hinaus aus dem stickigen kleinen Salon, den sie zu ihrem persönlichen Gebrauch gemietet hatte, und hinaus aus dem Gasthof, in dem sie im vorderen Teil eine ganze Suite von Räumen gemietet hatte. Gemeinsam gingen beide Damen die Hauptstraße entlang bis zur Kreuzung, wo sich eine Poststation befand, die den recht unheilvollen Namen „Zerschmetterte Lanze“ trug. Selbst dieser kurze Spaziergang half ihr dabei, einen klaren Kopf zu bekommen, und hob ihre Stimmung.

„Diesen Mann, den du für perfekt hältst, hast du also in einem Wirtshaus gefunden, Tante Hermione? Was hast du eigentlich dort zu suchen gehabt, wenn ich fragen darf?“, meinte sie neckend. „Oder soll ich lieber nicht?“

„Oh, ich bin doch nicht hineingegangen“, erwiderte Tante Hermione, schon über die Vorstellung ganz entsetzt. „Ich blieb einfach nur stehen, um zu sehen, warum so ein Lärm gemacht wurde, und habe ihn dann durchs Fenster gesehen. Durch dieses Fernster.“ Sie blieb vor einem offenen Fenster stehen, durch das sie in einen überfüllten Raum blicken, aber auch den Lärm hören konnten, der offensichtlich noch immer nicht nachgelassen hatte.

Es hörte sich so an, als hätte sich jeder Mann aus der weiteren Umgebung hier hineingezwängt, und jeder einzelne von ihnen brüllte, so laut er nur konnte. Andererseits blieb ihnen wohl auch nichts anderes übrig, wenn sie über den Radau einer Schafherde hinweg gehört werden wollten, die aus unerfindlichen Gründen auf dem Hof des Wirtshauses untergebracht war und sich über diese Tatsache in voller Lautstärke beschwerte.

„Sieh selbst“, drängte Tante Hermione sie und schob Penny entschlossen vorwärts.

Penny sah. Nun, deswegen war sie ja gekommen – um zu begreifen, was Tante Hermione so in Aufregung versetzt hatte.

Die Männer im niedrigen Raum stellten offenbar eine Mischung aus Farmern, Ladenbesitzern und niederem Adel dar, also einen vollständigen Querschnitt der hiesigen Gesellschaft. Und sie waren alle ausgesprochen aufgebracht.

Ihre Wut konzentrierte sich auf einen jungen Mann, der mit vor der Brust verschränkten Armen und einer gelangweilten Miene im Gesicht lässig an der Theke lehnte. Nein, nicht gelangweilt. Unbekümmert war das einzige Wort, das es wirklich beschrieb. Als wäre es völlig unwichtig, wie viele Menschen ihn anbrüllten. Sie konnten seine Gelassenheit in keinem Fall erschüttern. Dass er nicht besonders hochgewachsen war, schien genauso unwichtig zu sein. Er strahlte so viel Selbstvertrauen aus, dass niemand hoffen konnte, ihn einzuschüchtern, so groß er auch sein oder so bedrohlich er sich auch benehmen mochte.

„Das ist er.“ Tante Hermione wies auf den jungen Mann. „Mr. Pitt.“

Bevor sie erklären konnte, warum sie der Meinung war, der junge Mann sei perfekt für Penny, packte ein älterer Mann mit hochrotem Gesicht nach seinem Bierkrug und hieb damit mehrere Male auf die Theke, wobei er schrie: „Ruhe! Ruhe! Ich verlange Ruhe!“

„Das ist der Friedensrichter Mr. Fanshaw“, erklärte Tante Hermione hilfsbereit. „Reverend Black stellte ihn uns am Sonntag nach dem Gottesdienst vor, erinnerst du dich noch?“

Oh ja, nur allzu gut. Und sie hätte sich denken können, dass er der hiesige Friedensrichter war, so herablassend, wie er mit ihr gesprochen hatte. Auf den ersten Blick war ihr aufgefallen, dass er zu jenen Männern gehörte, die immer den Wunsch in ihr weckten, eine Nadel zu haben, mit der sie ihre enorm aufgeblasene Selbstschätzung zerplatzen lassen könnte – oder wenigstens in ihre fleischigen, plumpen Hände stechen, die ein wenig zu lange über ihren verharrt hatten.

„Haben Sie Ihren Anklägern nichts zu sagen?“, schrie Mr. Fanshaw den unbekümmerten jungen Mann an.

Der zuckte nur mit den Schultern. Immer noch mit beeindruckender Sorglosigkeit.

„Nur dass sie sich irren“, erwiderte er gelassen mit dem Akzent eines Gentlemans. Was ziemlich überraschend war. Penny hatte angenommen, dass es sich bei ihm um eine Art Handwerker handeln musste, wenn man den recht zerknitterten, schmutzigen Zustand seiner Kleidung in Betracht zog.

„Wir wissen, dass waren Ihre Schafe, die sich über meinen Kohl hergemacht haben“, protestierte ein ganz besonders cholerisch aussehender Bauer.

„Und sind dann auch durch die Hecke in meinen Garten getrampelt“, schrie ein anderer.

„Und haben mein Gurkenbeet zertreten“, fügte ein dritter Mann hinzu.

Ah, jetzt fing sie an zu begreifen, warum die Schafe hier festgehalten wurden. Wie Gefangene vor dem Gericht.

„Das haben sie ja vielleicht alles getan“, sagte der junge Mann beschwichtigend, „aber andererseits sind es nicht meine Schafe.“

„Sie waren für sie verantwortlich“, hob ausgerechnet der Pfarrer hervor, der Penny und ihre Tante am vergangenen Sonntag dem Friedensrichter vorgestellt hatte. Die Tatsache, dass er in Hemdsärmeln vor ihnen stand, bedeutete, wie Penny annahm, dass die Schafe des jungen Mannes auch im Garten des Pfarrers große Verheerung angerichtet hatten. Was den Geistlichen so erzürnt haben musste, dass er losgestürmt war, ohne sich auch nur die Zeit zu nehmen, eine Jacke anzuziehen.

Der junge Mann lächelte, indem er nur den einen Mundwinkel hob, und gab so zu verstehen, dass ihm der Irrtum des Pfarrers sehr leidtat. „Wenn Sie mir auch nur einen Menschen nennen können, der für meine Fähigkeit bürgen würde, auch nur ein einziges der Schafe, die ich heute Morgen erworben habe, kontrollieren zu können, wäre ich äußerst erstaunt.“

„Sie geben also zu, dass sie Ihnen gehören“, warf der Friedensrichter ein, verzweifelt bemüht, die Situation in den Griff zu bekommen.

„Nein“, erwiderte der Beschuldigte.

„Aber Sie haben uns doch gerade gestanden, dass Sie sie erworben haben!“

„Auf Befehl meines Auftraggebers.“

„Dann sollte er für den entstandenen Schaden aufkommen.“ Der Friedensrichter sah aus, als hätte er endlich die vollkommene Lösung gefunden. „Geben Sie uns seinen Namen und wir werden ihm die Rechnungen schicken.“

Der junge Mann sah nachdenklich aus. „Eigentlich würde ich das lieber nicht tun.“

Penny war beeindruckt. Nicht viele Männer zeigten eine solche Ergebenheit. Nicht viele Männer würden lieber die Strafe selbst auf sich nehmen, als sie jemand anderem aufzuhalsen. Schon vorher war sie bereit gewesen, ihn zu mögen, weil er zwei Männer verärgert hatte, die sie am vorigen Sonntag wie einen Niemand behandelt hatten. Aber jetzt stieg er sogar noch mehr in ihrer Wertschätzung.

Nicht viele Männer, dachte sie ebenfalls, würden inmitten der Empörung über diese neue Bemerkung so gleichmütig bleiben. Während alle Männer um ihn herum schrien, wild gestikulierten und immer röter im Gesicht wurden, blieb er ungerührt. Wie ein Fels in einer schäumenden Strömung. Noch nie hatte sie etwas auch nur annähernd so … Heldenhaftes gesehen. Und so Verlockendes. Er sah aus wie ein Mann, auf den eine Frau sich stützen konnte. Wie ihr Fels.

Der Friedensrichter schlug seinen Bierkrug so heftig auf die Theke, dass die schimpfende Menge nachgab.

„Sie mögen ja glauben, Sie können sich aus den Vorwürfen, die man Ihnen zur Last legt, herauswinden“, brüllte der Friedensrichter, „aber man kann die Tatsache nicht leugnen – die Tatsache“, wiederholte er streitlustig, „dass Sie ein Gesetz gebrochen haben, als Sie eine Herde Schafe über die Hauptstraße getrieben haben, ohne vorher die nötige Erlaubnis einzuziehen! Wer auch immer der Besitzer dieser Tiere ist.“

Es folgte laute Zustimmung von den Versammelten, die den Friedensrichter zum größten Teil voller Bewunderung musterten.

„Da irren Sie sich aber“, sagte der junge Mann. „Weil Sie keinen einzigen Zeugen finden werden, der behaupten kann, dass ich diese Schafe irgendwohin getrieben habe. Sie trabten einfach in die Richtung, die sie sich in den Kopf gesetzt hatten, und ich hatte keine Wahl, als ihnen zu folgen.“

Das Bild, das er heraufbeschwor, brachte Penny zum Schmunzeln. Sie konnte sich richtig vorstellen, wie der junge Mann verzweifelt versucht hatte, die Herde unter Kontrolle zu bekommen, die währenddessen entschlossen gewesen war, ihren eigenen Weg zu gehen. Und nach dem Zustand seiner Kleidung zu urteilen, war dieser Weg durch eine Hecke, einen Fluss und einige Felder mit sehr hohem Gras und schlammigem Boden gegangen.

Wenn sie ihn sich jetzt allerdings näher betrachtete, konnte sie trotz der Schmutzflecken und diverser Risse hier und da sehen, dass seine Kleidung von guter Qualität war. Sie passte ihm jedenfalls perfekt und wies auf die Arbeit eines hervorragenden Schneiders hin.

War er von vornehmer Herkunft, aber dann in Not geraten? Das würde gewiss erklären, warum sein Versuch, Schafe zu hüten, so spektakulär erfolglos geblieben war.

„Wissen Sie“, fuhr er fort, „Sie könnten genauso gut versuchen, die Schafe zu verklagen, wie von mir irgendwelche Genugtuung zu erlangen. Schließlich waren sie es, die die Hecken zerstört, die Gurkenbeete mutwillig beschädigt und den Kohl gefressen haben.“

„Impertinenter junger Hund!“, schrie der Friedensrichter außer sich. „Es ist unmöglich, Schafen eine Geldbuße aufzuerlegen. Sie können nicht zahlen!“

„Nun, ich ebenfalls nicht“, meinte der junge Mann mit einem Achselzucken. „Womit Sie sich, glaube ich, in einer ausweglosen Situation befinden.“

„Ganz im Gegenteil“, meinte der Friedensrichter mit finsterem Gesicht. „Ich werde Sie in unser Gefängnis sperren lassen, bis Sie den Ernst Ihrer Situation erkennen. Konstabler! Nehmen Sie Mr. Pitt mit und schließen Sie ihn ein!“

Ein Mann mit Lederschürze, der aussah, als käme er direkt von seiner Schmiede, kam heran und packte den jungen Mann beim Arm. Der junge Mann hob eine Augenbraue, als fände er es ausgesprochen unverschämt, so grob behandelt zu werden. Die Tatsache, dass er sich von dem Schmied mitnehmen ließ, schien er mit jener Geste andeuten zu wollen, sei lediglich auf seine Gutmütigkeit zurückzuführen.

„Siehst du?“ Tante Hermione seufzte tief auf. „Er wäre perfekt.“

Penny sah zu, wie der Schmied den jungen Mann durch die Menge wütender Dorfbewohner lenkte, und runzelte nachdenklich die Stirn. Obwohl sie ihn alle beschimpften, blieb er vollkommen gelassen.

„Ich kann sehen, was du meinst“, sagte Penny. Die wütende Menge schüchterte ihn nicht ein. Er hatte keinen Respekt für die Autorität des Friedensrichters. Und doch hatte er eine bemerkenswerte Treue gegenüber seinem Arbeitgeber an den Tag gelegt, dessen Identität er sich weigerte zu verraten.

Außerdem war er jung, konnte mit seinem herrischen Gehabe und seiner vornehmen Ausdrucksweise gut als Gentleman durchgehen und mochte sogar recht gut aussehen, wenn er sauber und ordentlich gekleidet wäre.

Und alles andere hatte nicht funktioniert.

Und ihr blieb nicht mehr viel Zeit.

2. KAPITEL

Das Gefängnisgebäude des Dorfes war nicht annähernd groß genug, um als richtiges Haus gelten zu können, obwohl es von außen mit seinen Eichenholzbalken und dem Reetdach ein wenig wie ein Tudor-Cottage aussah. Es besaß auch keine Fenster. Das einzige Licht, das bis zum schlichten Inneren durchdrang, kam durch das Eisengitter in der Tür – eine Tür, die eindeutig nicht mit sich spaßen ließ, denn sie bestand aus dickem Eichenholz und war überall mit Eisenbolzen verstärkt.

Gem musterte das vom Alter schon ganz schwarze Brett, das in eine der Wände eingelassen war – das einzige Zugeständnis an die Bequemlichkeit des jeweiligen Gefangenen. Er könnte sich wohl dort setzen und die Beine ausruhen, wenn er es satthatte, auf und ab zu gehen. Aber es war unmöglich für ihn oder sonst jemanden, außer vielleicht ein kleines Kind, sich darauf auszustrecken, um zu schlafen. Er würde auf dem Boden sitzen und den Kopf an irgendetwas lehnen müssen. Vielleicht auf seine Jacke, was allerdings nicht sehr angenehm sein würde, da sie mit Resten jeder seiner heutigen unglückseligen Begegnungen verschmiert war.

Schafe! Wie sehr er sie hasste! Wer hätte ahnen können, dass Geschöpfe, die so albern und hirnlos aussahen, die Arglist eines Teufels besäßen?

Er setzte sich erschöpft auf das Brett, streckte die Beine aus, soweit es ihm möglich war, und trat verdrossen gegen die gegenüberliegende Wand. Die war allerdings so hart, dass er vor Schmerz zusammenzuckte. Wohl keine Fluchtmöglichkeit. Der Boden war so eng mit Steinplatten gefliest, dass er eine Brechstange brauchen würde, um eine Platte davon zu heben und sich einen Tunnel zu graben. Und es war ihm doch tatsächlich nicht der Gedanke gekommen, dass er eine brauchen würde, als er für seine Reise zum Schafsmarkt gepackt hatte.

Es würde verdamm kalt sein, auf den Steinplatten schlafen zu müssen, und es würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, weil dieser Friedensrichter ihn gewiss nicht glimpflich davonkommen lassen würde. Mitgefühl zu zeigen, gehörte sicher nicht zu seinen Gewohnheiten.

Nun gut. Er würde sich also in den nächsten Stunden, einschließlich der finsteren, schlaflosen Nachtstunden, den Kopf darüber zerbrechen müssen, wie er aus dieser Zwangslage herauskommen sollte, wenn schon nicht aus dieser Gefängniszelle.

Doch gleich nach diesem Entschluss erschienen noch mehrere quälende Bilder von köstlichen, dampfenden Bratkartoffeln mit herrlicher Minzsoße vor seinem inneren Auge.

Und dieser Gedanke machte ihm die Ironie seiner Lage deutlich. Vater hatte ihn das schwarze Schaf der Familie genannt, und es waren ausgerechnet Schafe, die ihn mit dem Gesetz in Konflikt gebracht hatten. Gem zuckte zusammen, als er sich vorstellte, was sein Vater wohl zu sagen hätte, wenn er ihn jetzt sehen könnte. Und er konzentrierte sich lieber auf sein jetziges Dilemma, aus dem er vielleicht noch einen Ausweg würde finden können.

Der Friedensrichter war entschlossen, wegen des Schadens, den jene elenden Schafe angerichtet hatten, Vergeltung zu üben. Was nur recht war. Sie hatten wirklich in einem breiten Streifen von Staffordshire ein wahres Chaos hinter sich gelassen, bevor Gem sie eingeholt hatte.

Er hatte fassungslos mit angesehen, wie sie auf diese Mauer losgegangen waren wie ein Rammbock. Hatte jenes Kriegsgerät deswegen früher diesen Namen bekommen? Hatten Schafe die Angewohnheit, nur so aus Spaß anscheinend stabile Gegenstände anzugreifen?

Nun, wer konnte schon sagen, was in diesen wolligen Köpfen vor sich ging? Warum waren sie plötzlich in die Poststation eingebogen, wenn nicht nur, um unschuldige, unbewaffnete Pferde in Angst und Schrecken zu versetzen? Aber immerhin waren sie dadurch zum Stillstand gebracht worden. Ein Pferd, dessen Kutscher nicht anwesend gewesen war, hatte sich erschrocken und wollte mitsamt dem Einspänner, an den es angeschirrt worden war, fliehen. Der Einspänner stürzte allerdings vor der Ausfahrt und versperrte somit auch den Schafen den Fluchtweg.

Aus irgendeinem Grund versuchten sie nicht, über den Wagen zu springen. Vielleicht sahen die sich wild drehenden Räder gefährlich aus, oder das arme, wild zappelnde Pferd machte ihnen Angst.

Gem war gerade rechtzeitig gekommen, um das Pferd auszuspannen, bevor es sich ernst verletzen konnte, und soweit er hastig hatte zählen können, waren auch alle Schafe noch da. Völlig sicher konnte er aber natürlich nicht sein, da sie auf dem engen Hof ständig hin und her gelaufen waren. Gleich darauf waren die diversen Opfer aufgetaucht und hatten geschrien und sich beschwert und die unmöglichsten Drohungen ausgestoßen, während sie ihn ins Wirtshaus gezerrt hatten, das einen großen Teil der Poststation ausmachte, in dessen Hof die Schafe beschlossen hatten einzufallen.

Das Problem war, wie er nicht aufhörte, jedermann mitzuteilen, dass er keinen müden Penny besaß. Also konnte er auch niemanden für irgendeinen Verlust entschädigen, den jene verflixten Tiere verursacht hatten. Ebenso wenig konnte er die Buße zahlen, die der Friedensrichter ihm darüber hinaus auch noch auferlegen wollte. Es sei denn, er schrieb seinem Bruder und bat ihn, die Buße für ihn aufzubringen. Zum zigsten Mal.

Gem beugte sich vor, verbarg das Gesicht in den Händen und stöhnte. James zu schreiben, war das Letzte, was er tun wollte. Sicher, er würde ihm zu Hilfe kommen. Er hatte es schon sehr oft getan, und jedes Mal sogar völlig gutmütig.

Aber dieses Mal war es anders. James hatte sich wirklich für Gem eingesetzt, als der von Vater hinausgeworfen und enterbt worden war. Er hatte nicht nur zugegeben, dass er ihn bewunderte, weil er ihrem Vater die Stirn geboten hatte, statt sich einfach nur kleinlaut eine seiner Standpauken über sein Verhalten anzuhören, er hatte Gem außerdem um Rat gefragt, wie man um eine Frau warb, und seinen Rat sogar prompt angenommen. Und nicht nur das, er hatte auch auf Gems Fähigkeit vertraut, sich um Bramhall Park zu kümmern, während James selbst dem Mädchen nachfuhr, in das er sich verliebt hatte.

Nun, was er tatsächlich gesagt hatte, war, dass das Gut sich in einem so beklagenswerten Zustand befand, dass Gem schon ein Vollidiot sein müsse, um die Lage zu verschlimmern. Am Ende hatte er noch hinzugefügt, dass Gem kein Idiot sei.

Von wegen!

Gem stand auf und ging unruhig auf und ab, wenn er auch nicht annähernd so viel Platz dafür hatte, wie er gebraucht hätte, um seiner Verdrossenheit Luft zu machen. Zum Henker! James hatte ihm vertraut! Er hatte ihm das Gefühl gegeben, nicht so nutzlos zu sein, wie Vater immer behauptete. Vater hatte nie ein Hehl daraus gemacht, dass er in Gem nie mehr als einen Ersatz für seinen Erben gesehen hatte, und nicht einmal den vielversprechendsten, da keiner seiner drei jüngeren Brüder auch nur annähernd so oft den Zorn ihres Vaters zu spüren bekam wie er.

Als James also an ihn geglaubt hatte, war Gem entschlossen gewesen, seinem Bruder und letztendlich auch seinem Vater zu beweisen, dass er in der Lage war, eine verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Dass er nicht immer die Erwartungen der anderen enttäuschte. Und was hatte er stattdessen getan?

Er war schon bei der ersten Hürde gestürzt und hatte sich von einem Haufen Schafe überlisten lassen! Irgendwie musste er das Geld aufbringen, um die unglücklichen Opfer zu entschädigen, aber er besaß nichts weiter als das sogenannte Familienerbstück, das Vater ihm spöttisch während ihrer letzten verheerenden Begegnung in die Hand gedrückt hatte.

Es bestand allerdings aus purem Silber, also könnte er vielleicht genug Geld dafür bekommen, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Aber er würde jemanden nach Bramhall Park schicken müssen, weil es am Spiegelrahmen in seinem Schlafzimmer hing. Nein, das ging auch nicht, wenn er es recht überlegte, denn …

„Mr. Pitt!“ Die weibliche Stimme, die ihn aus seinen Gedanken riss, klang so nachdrücklich, dass es sicher nicht das erste Mal war, dass sie seinen Namen gerufen hatte.

Er blickte zur Tür hinüber und konnte durch das Gitter ein Frauengesicht ausmachen. Es wurde von einem jener Schutenhüte eingerahmt, die durch das Hinzufügen einiger Federn oder Blumen gewiss an … Attraktivität gewinnen würden.

Allerdings war jetzt nicht der Moment, auf so etwas hinzuweisen. Ganz besonders, falls sie gekommen war, um sich persönlich über das Benehmen der Schafe zu beschweren, die er heute Morgen für das Gut gekauft hatte.

Aber da er nicht zu den Männern gehörte, die ihre Manieren vergaßen, so übel die Umstände auch gerade sein mochten, blieb er stehen und verbeugte sich so elegant, wie es der beengte Raum zuließ.

„Wie kann ich Ihnen zu Diensten sein?“, fragte er sie mit mehr als nur einem Hauch von Sarkasmus.

Die Frau atmete tief ein und packte dann die Gitter mit ihren kleinen behandschuhten Händen.

„Es gibt keinen einfachen Weg, das zu sagen, oder vielmehr Sie zu bitten. Ach herrje, ich bin so aufgeregt.“

„Wegen mir brauchen Sie nicht aufgeregt zu sein, meine Liebe.“ Er trat an die Tür heran, um sich seine Besucherin besser ansehen zu können. Sie war nicht gerade, was man gemeinhin hübsch nannte. In einer Menge würde sie mit ihren nichtssagenden Farben und der bescheidenen Kleidung nicht herausstechen. Aber ihre Haut war rein und sie besaß eine hübsche kleine Nase, einen hübschen kleinen Mund und ein ausgesprochen festes kleines Kinn.

„Selbst wenn ich der teuflischste aller Bösewichte wäre, könnte ich Ihnen von hier, wo ich bin, nicht das Geringste antun“, sagte er beruhigend, „oder?“

„Oh, das ist es nicht“, erwiderte sie. „Es ist nur, was Sie von mir halten werden, wenn ich Sie bitte …“

„Nun, Sie werden es nie erfahren, wenn Sie mich nicht bitten. Und was macht es außerdem aus, was ein erbärmlicher Schurke wie ich von Ihnen hält?“

Sie errötete. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und sah mit Augen zu ihm auf, die wahrscheinlich blau waren, aber so voller Tränen, dass er es nicht genau sagen konnte.

„Die Sache ist die …“, begann sie und holte noch einmal tief Atem. „Nun, ich brauche einen Ehemann.“

„Ah.“ Das zeigte wieder einmal, wie sehr der äußere Anschein doch täuschen konnte. Er fand, sie sah bescheiden aus, vielleicht sogar ein wenig prüde. Aber wenn sie so dringend einen Ehemann brauchte, dass sie sogar von einem Gefängnis zum anderen ging, um sich an die Insassen heranzumachen, war sie offensichtlich nicht so tugendhaft, wie sie sich zu geben versuchte.

„Der verantwortliche Mann ist wohl nicht bereit, die Zeche zu zahlen, was?“

Sie runzelte die Stirn. „Was für ein Mann? Welche Zeche?“

„Vergeben Sie mir. Ich spreche besser etwas deutlicher.“ Sie musste aus guter Familie stammen oder wenigstens ein recht behütetes Leben geführt haben, bevor irgendein Schuft dahergekommen und sie verführt hatte. Was Sinn ergab. Genau diese Art von Frau würde versuchen, jemanden dazu zu bringen, sie zu heiraten, um ihre Schande zu verschleiern. „Obwohl mir Ihre Lage natürlich sehr leidtut, denke ich nicht, dass die Heirat mit einem beliebigen Fremden die Lösung ist.“

„Aber es muss jemand sein, dem die Treuhänder nie begegnet sind“, sagte sie ernst. „Außerdem könnte ich niemals sicher sein, dass ein Hiesiger mich nicht verraten würde. Sie sind alle dem Treuhänderausschuss auf die eine oder andere Weise verpflichtet und würden bald gestehen, dass es sich nur um eine Scheinehe handelt.“

„Warten Sie mal kurz“, sagte er und korrigierte schnell seine Meinung über sie. „Versuchen Sie, jemanden zu finden, um eine Scheinehe einzugehen und so an Ihr Erbe zu kommen?“

„Mehr oder weniger.“ Sie nickte. „Ich kann unmöglich auf Einzelheiten eingehen, bevor Sie den Ehevertrag unterschrieben haben, fürchte ich. Aber kurz gefasst, muss ich heiraten, um eine Treuhand zu beenden, die auf eine Weise verfasst ist …“ Sie holte wieder tief Luft, als müsste sie sich besonders böse Worte verbeißen.

„Nun, wie dem auch sei, könnten Sie es bitte für mich tun? Mich heiraten, meine ich. Ich kann Ihr Bußgeld bezahlen und einen richtigen Schäfer einstellen, der die Schafe hinbringen kann, wo immer Sie sie eigentlich versuchen wollten hinzuführen …“ Sie brach ab und kaute auf der Unterlippe, als sei ihr klar geworden, dass sie ihn beleidigt haben könnte. Immerhin wies sie darauf hin, was für ein totales Chaos er angerichtet hatte.

Glücklicherweise hatte Gem schon immer einen Sinn fürs Lächerliche gehabt, und sollte er einem seiner Freunde diese Geschichte irgendwann erzählen, würde er betonen, wie lustig es eigentlich gewesen war, dass ihn ein Haufen Schafe überlistet, eine erzürnte Menge von Dörflern ihn gejagt und schließlich in ein Gefängnis gesteckt hatte, das zu klein war, um sich hinlegen zu können, ohne dafür mehrere Gliedmaßen verbiegen zu müssen.

Also lächelte er sie breit an. „Schon gut, Miss. Ich nehme es Ihnen nicht übel.“

„Ach, du meine Güte. Ich habe Sie gerade gebeten, mich zu heiraten, und habe Ihnen noch nicht einmal meinen Namen verraten. Was müssen Sie von mir halten!“

„Nun, ich habe Ihnen meinen ja auch nicht gesagt. Also sind wir quitt.“

„Ja, aber ich habe den Vorteil, Ihren Namen zu kennen.“

„Meinen Sie?“

„Ja. Sie heißen Mr. Pitt. Ich habe gehört, wie der Friedensrichter es erwähnte.“

Sein Lächeln vertiefte sich noch mehr. Sie war wirklich eine Unschuld. „Niemand gibt je einem Friedensrichter seinen wahren Namen“, teilte er ihr mit. „Nicht, wenn er nicht seine Familienehre durch den Schmutz zerren will. Und William Pitt war der erste Name, der mir einfiel.“

Sie riss die Augen auf. „Sie haben einen falschen Namen genannt? Dem Gesetz?“

„Selbstverständlich. Schockiert Sie das?“

Sie legte den Kopf leicht auf die Seite, als würde sie darüber nachdenken. „Nun, einerseits schon, aber andererseits denke ich, dass Sie sogar noch passender für meine Absichten sind, da es Ihnen nichts ausmacht, eine Täuschung durchzuführen, nicht einmal vor den Männern des Gesetzes.“

„Sie wollen also im Grunde einen Lügner heiraten?“

„Nun, es klingt sehr übel, wenn Sie es so ausdrücken. Mir kam nur der Gedanke, dass es nützlich wäre, wenn … gewisse Leute nicht in der Lage wären, Sie aufzufinden, sollten sie es sich in den Kopf setzen, die Umstände zu untersuchen, unter denen wir uns begegnet sind, sollten Sie sich entschließen, mich zu heiraten.“ Sie runzelte die Stirn. „Um ehrlich zu sein, hatte ich den Einfall gerade eben. Oder vielmehr, Tante Hermione hatte ihn, als sie sah, wie Sie festgenommen wurden. Und es ist ja nicht so, als würde ich je wirklich einen Mann wie Sie heiraten wollen. Es ist nur so, dass Sie der Richtige zu sein scheinen, wenn es um eine Scheinehe geht.“

„Sie verletzen mich“, sagte er, was nicht wirklich gelogen war, und presste die Hand dramatisch aufs Herz.

„Nein, stimmt gar nicht“, erwiderte sie in scharfem Ton. „Ihnen ist niemandes Meinung wichtig, deswegen sind Sie ja für meine Zwecke so nützlich.“

„Sie halten wirklich nicht sehr viel von mir, was?“ Nun ja, das war die übereinstimmende Meinung in der Gegend hier. Und überall sonst ja auch. „Was ich Ihnen wohl auch nicht verdenken kann, angesichts der Umstände, unter denen wir uns getroffen haben. Dennoch habe ich gewisse Bedenken. Weswegen ich Ihnen am besten sofort sage, dass ich Ihr … äh … äußerst schmeichelhaftes Angebot ablehnen muss.“

„Oh“, rief sie. „Der Gedanke ist mir gar nicht gekommen, weil Sie noch so jung zu sein scheinen, aber sind Sie bereits verheiratet?“

„Verheiratet? Ich? Nein!“

„Oh“, wiederholte sie, jetzt allerdings voller Erleichterung. „Dann gibt es keinen Grund, warum Sie mich nicht heiraten könnten.“

„Keinen rechtlichen Grund, das stimmt“, gab er zu. „Aber …“

Sie machte ein langes Gesicht. „Also wollen Sie mich einfach nur nicht heiraten.“

Er wollte niemanden heiraten. Also verschränkte er die Arme vor der Brust und nahm eine, wie er hoffte, entschlossene Haltung ein. „Das habe ich doch gerade eben gesagt.“

„Aber …“ Sie festigte den Griff um das Gitter. „Ich bin eine wohlhabende Frau. Ich kann nicht nur Ihre Buße zahlen und Sie aus diesem …“ Sie rümpfte die Nase, während sie das Innere der winzigen, dunklen Zelle musterte. „… Gefängnis befreien, sondern Ihnen auch eine großzügige Zuwendung zukommen lassen. Sie werden in einem Stil leben können wie noch nie in Ihrem Leben. Sie brauchen die Treuhänder nur davon zu überzeugen, dass Sie mein Ehemann sind und derjenige, der alle Entscheidungen über die Geschäfte trifft, während Sie die ganze Arbeit mir überlassen können.“

Es klang erschreckend. Zuerst sagte sein Vater ihm, er sei ein Taugenichts, und jetzt bot diese Frau an, ihn zu bezahlen, als wolle sie seinem Vater recht geben. „Nein … also, wirklich …“

„Oh bitte, weisen Sie mich nicht ab“, sagte sie.

Und warf ihm den Blick zu – den Blick, den Dutzende von Frauen in den vergangenen Jahren bei ihm angewendet hatten –, einen flehenden, vertrauensvollen Blick, der nur noch verstärkt wurde von einem Hauch von Tränen und mehr als nur einem Anflug von Verzweiflung.

Für gewöhnlich wurde der Blick noch von Worten begleitet wie: „Ach bitte, Gem, du bist meine letzte Hoffnung.“ Oder: „Nur bis zum nächsten Quartalstag, Gem, damit ich mir den Büttel vom Leib halten kann.“ Oder: „Du wirst doch nicht zulassen, dass sie mich auf die Straße werfen, oder? Nach all dem Spaß, den wir miteinander hatten?“

Er schrak zurück. Nein, zum Henker! Er würde sich von keiner hübschen Jungfrau in Not zum Narren machen lassen. Sie hatten ihn in den Ruin getrieben. Keine einzige von ihnen hatte ihre Schulden bei ihm zurückgezahlt. Nicht, dass er es erwartet hatte. Aber als sein Vater erfahren hatte, dass sein Sohn sein ganzes Geld an Frauen von üblem Ruf, wie er sie nannte, verteilt hatte, hatte er sofort das Schlimmste angenommen und Gem verstoßen.

„Ich werde Nein sagen müssen“, brachte er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Denn obwohl er wusste, dass es Narrheit wäre, diesem Blick in ihren Augen nachzugeben, rührte es doch tief in ihm etwas an – einen Teil in ihm, der ganz besonders empfindlich reagierte, wenn Frauen ungerecht behandelt wurden. Walter, der seit der Schulzeit mit ihm befreundet war, behauptete immer, Frauen seien seine Achillesferse. Und hatte prophezeit, dass es eines Tages sein Untergang sein würde.

„Hören Sie“, sagte er mit aller Entschlossenheit, die er aufbringen konnte, „Sie werden leider …“ Er wollte sagen, dass sie einen anderen würde finden müssen. Aber im selben Moment wurde ihm klar, dass diese Frau so verzweifelt war, dass sie wirklich einen anderen Mann um dessen Hilfe bitten und sehr wahrscheinlich am Ende irgendeinen gewissenlosen Kerl heiraten würde. Und der würde ihr Geld nehmen und unterschlagen, was immer die Treuhänder zurückzuhalten versuchten, nur um sie dann entweder mit einer Schar von Geliebten zu demütigen oder sie gar zu misshandeln, indem er auf sein Recht als Ehemann pochte.

Und Gem würde das Gefühl haben, an allem schuld zu sein, weil er ihr in ihrer Bedrängnis den Rücken zugekehrt hatte.

„Verdammt!“ Er wandte sich ab und machte einige Schritte. Oder wenigstens versuchte er es, stieß aber mit dem Schienbein gegen das Brett an der Wand.

Er fluchte wieder, setzte sich schwerfällig auf die Bank und überlegte angestrengt, während er sich das schmerzende Bein rieb. Warum fiel es ihm so verdammt schwer, eine Frau, die seine Hilfe brauchte, zu ignorieren? So närrisch sie auch sein mochte. Und sosehr sie ihre Lage auch selbst verschuldet hatte. Warum konnte er nicht einfach mit der Achsel zucken und seiner Wege gehen, wie es jeder seiner Bekannten tun würde, und sagen, dass es ihn nichts anging?

Sicher, er könnte es tun. Genauso wie er ein Glas Essig trinken könnte, wenn es sein musste. Was hieß, dass es eine verflucht unangenehme Erfahrung sein würde, die einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen und ihm den Magen verderben würde.

„Überlegen Sie es sich noch einmal?“, kam ihre Stimme hoffnungsvoll von der Tür.

Wie konnte sie ihn noch immer heiraten wollen? Nachdem alles, was sie über ihn wusste, die Tatsache war, dass er den Friedensrichter angelogen hatte und ins Gefängnis gesperrt worden war? Einen Mann in zerlumpter Kleidung, der nach Schafdung stank?

Sie musste nicht ganz richtig im Kopf sein.

Man sollte sie wirklich nicht frei herumlaufen lassen.

Tatsächlich brauchte sie unbedingt jemanden, der sich um sie kümmerte.

Aber nicht ihn.

Allerdings … war er nicht gerade dabei gewesen, einen Weg aus dieser misslichen Lage zu finden, der nicht von ihm verlangte, seinem Bruder zu schreiben?

Und es wäre nicht einmal aus gänzlich egoistischen Gründen. Natürlich würde er froh sein, nicht zugeben zu müssen, dass er gleich bei der ersten Aufgabe, die ihm jemals jemand anvertraut hatte, ein riesiges Chaos angerichtet hatte. Aber es wäre ihm ebenfalls lieber, er bräuchte James überhaupt nicht zu behelligen, jetzt, da er die erste Frau, in die er sich je verliebt hatte, für sich zu gewinnen versuchte.

James war noch nie locker gewesen, wenn es um Frauen ging, und hatte seine Werbung um das Mädchen, dem sein Herz gehörte, vollkommen in den Sand gesetzt. Nach allem, was James ihm anvertraut hatte, würde er alle Hände voll damit zu tun haben, sie zu überreden, ihm zu vergeben. Also konnte er jetzt wirklich keinen Hilferuf von seinem Bruder gebrauchen, der ihn womöglich im entscheidenden Moment erreichen und jeden Fortschritt zerstören könnte, den er bereits gemacht hatte.

Gem stöhnte, denn es sah so aus, als müsse er in jedem Fall jenes Glas Essig trinken, welche Entscheidung er auch treffen würde.

„Wenn wir heiraten sollen“, sagte er, hob den Kopf und sah resigniert zur Tür hinüber, „verrate ich Ihnen wohl besser, dass meine Freunde mich Gem nennen, aber mein wahrer Name ist Jasper Patterdale.“

Sie stieß einen leisen Freudenschrei aus. 

„Und ich bin Miss Brinsley“, erwiderte sie. Dann holte sie tief Luft und fügte hinzu: „Aber da wir heiraten werden, können Sie mich genauso gut Penelope nennen.“

3. KAPITEL

Penny musterte den modisch gekleideten jungen Mann, der am Altar auf sie wartete, und fragte sich, ob sie nicht doch im Begriff war, einen enormen Fehler zu begehen.

Einen enormen und teuren Fehler.

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