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Obwohl Olivia ihren Mann, den engagierten Arzt Sebastian Bridges, noch liebt, will sie die Scheidung, denn nie hat er Zeit für sie. Aber wie so oft verhindert ein Notfall ihre Aussprache. Erst ihr gemeinsamer Kampf um die Verletzten zeigt Olivia, wie es wirklich um ihr Herz steht ...


  • Erscheinungstag 25.12.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512411
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Freitag, 15.00 Uhr

Der Himmel war bleigrau. Ein Sturm kündigte sich an. Dr. Olivia Bridges lenkte ihren Wagen in eine Haltebucht und griff nach der Straßenkarte. Wenn tatsächlich ein Sturm aufkommen würde, musste sie versuchen, so schnell wie möglich an ihr Ziel zu gelangen.

Sie fuhr mit dem Finger die Route entlang und seufzte. Es waren bestimmt noch fünfzig Meilen bis zu dem Krankenhaus. Vielleicht sollte sie Sebastian anrufen und ihm sagen, dass sie auf dem Weg zu ihm war. Dann würde er sie dort erwarten. Er hatte ihr zwar vor Monaten geschrieben, dass er umgezogen war, aber sie war noch nie dort gewesen und fürchtete, sie würde seine neue Adresse nicht finden.

Sie nahm ihr Handy aus der Tasche, die neben ihr auf dem Beifahrersitz lag, aber als sie gerade die Kurzwahltaste mit seiner Rufnummer drücken wollte, änderte sie ihre Meinung. Wenn sie ihm sagte, sie sei auf dem Weg zu ihm, würde er wissen wollen, warum. Und sie konnte ihm wohl schlecht am Telefon sagen, dass sie ihn bitten wollte, in die Scheidung einzuwilligen. Das erschien ihr allzu brutal. Ihre Ehe war vielleicht nicht besonders glücklich gewesen, aber Olivia wollte sie wenigstens mit Anstand und Würde beenden.

Sie steckte das Handy wieder in die Tasche und fuhr los. Das Gespräch mit Sebastian würde alles andere als angenehm sein, aber sie musste es hinter sich bringen.

Olivia hatte sehr häufig über alles nachgedacht, aber es gab wohl keine Chance, dass Sebastian und sie wieder zueinanderfanden. Sie kannten sich seit ihrer Schulzeit, hatten gemeinsam Medizin studiert und einen Tag nach dem Examen geheiratet. Aber sie waren nicht mehr die unkomplizierten, bis über beide Ohren verliebten jungen Leute von damals …

Die Erinnerung an die gemeinsamen Träume, an die Zukunftspläne, die sie voller Begeisterung geschmiedet hatten, war schmerzlich. Sie waren sich so sicher gewesen, dass ihre Liebe allen Belastungen standhalten würde, aber dann hatten die beruflichen Anforderungen, die endlosen Arbeitsstunden ihren Tribut gefordert.

Es gab Wochen, in denen sie sich kaum gesehen hatten, wenn sie und Sebastian zu unterschiedlichen Zeiten Nacht- oder Wochenenddienst hatten machen müssen. Sie hatten schließlich beide ihren Job in dem Krankenhaus aufgegeben und eine Tätigkeit in einer Praxis für Allgemeinmedizin angenommen.

Zuerst schien das auch besser zu funktionieren und ihrer Ehe gut zu bekommen – aber dann war Sebastian ein Traumjob im Nordosten des Landes angeboten worden, weit weg von ihrem bisherigen Wohnort im Süden Englands.

Olivia verzog bitter den Mund, als sie daran dachte, dass sie ihren ersten großen, handfesten Krach bekommen hatten, als er ihr davon erzählte. Gerade hatte sie begonnen, sich in der Praxis in Sussex wohlzufühlen. Sie hatte Sebastian vorgeworfen, er sei egoistisch, weil er erwartete, sie würde ihren Job aufgeben und mit ihm kommen. Er hatte sie daraufhin beschuldigt, engstirnig und bockig zu sein. Der Streit war eskaliert, keiner von beiden hatte nachgeben wollen. Schließlich war Sebastian wütend in das kleine Gästezimmer gezogen und hatte Olivia im Schlafzimmer allein gelassen.

Sie seufzte. Zum ersten Mal seit ihrer Heirat hatten sie getrennt geschlafen. Das war wahrscheinlich ihr größter Fehler gewesen. Denn von da an hatte sich immer einer von ihnen in das Gästezimmer zurückgezogen, wenn sie sich stritten. Und das kam damals ziemlich häufig vor. Heute wusste sie, dass es besser gewesen wäre, sie hätten sich den Problemen gestellt und sie ausdiskutiert.

Nachdem Sebastian dann eine Stelle als Oberarzt auf der Notfallstation des neuen Krankenhauses an der Nordostküste antrat, nahmen sie an den Wochenenden abwechselnd die lange Autofahrt auf sich, um zusammen sein zu können. Aber schon bald wurde ihnen klar, dass diese ständige Fahrerei keine Dauerlösung sein konnte. Immer häufiger fanden beide Gründe, auf die Wochenendfahrt zu verzichten. So war ihre Ehe schließlich auf der Strecke geblieben. Und jetzt ging es nur noch darum, auch offiziell einen Schlussstrich zu ziehen. Dann blieben ihnen wenigstens ein paar schöne Erinnerungen an die gemeinsame Zeit.

„Fertig!“

Dr. Sebastian Bridges presste die Elektroden auf die Brust des Jungen und schickte einen neuen Stromstoß durch den Körper des Neunjährigen. Liam Baxter war auf dem Weg von der Schule nach Hause von einem Bus angefahren und schwer verletzt worden.

„Nun komm schon“, murmelte Sebastian beschwörend. Er hoffte, das Herz des Jungen würde wieder zu schlagen anfangen.

„Sinusrhythmus ist da!“, rief eine der Schwestern.

Alle atmeten erleichtert auf.

Sebastian nickte anerkennend in die Runde. „Gut gemacht, Leute. Wir haben es wieder einmal geschafft. Wenn wir so weitermachen, werden wir noch einen Preis gewinnen.“

Alle lachten. Im staatlichen Gesundheitssystem gab es keine Preise zu gewinnen, obwohl die Erwartungen immer höhergeschraubt wurden.

„Im Süden hattet ihr wohl ein angenehmeres Leben“, meinte Cathy, die Oberschwester. „Das scheinst du zu vermissen, Sebastian.“

„Hältst du mich etwa für einen Träumer, Cathy?“, fragte er zurück, wobei er den nordenglischen Dialekt der Schwester perfekt imitierte.

„Wenn du dir den Hut aufsetzen willst …“

Er lachte. Was ihm an seinem Job hier ausnehmend gut gefiel, waren die Stimmung in seinem Team und die Loyalität und Zuverlässigkeit seiner Mitarbeiter. Jeder gab stets sein Bestes. Ja, der Wechsel hierher in den Norden hatte sich für ihn beruflich als Glücksfall erwiesen.

Ein plötzlicher Schmerz ließ ihn zusammenzucken. Schnell drehte er sich weg, damit seine Mitarbeiter nicht mitbekamen, wie sich seine Miene verdüsterte. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Mehrere Patienten warteten auf ihn. Das war nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu grübeln, wodurch seine Ehe mit Olivia scheitern musste. Und außerdem war es jetzt längst zu spät, daran noch etwas ändern zu wollen.

Er ging aus dem Behandlungszimmer und sah auf den Bettenplan der Station. Jedes Zimmer war belegt. Selbst für seine Abteilung, in der es immer hektisch zuging, war das ein außergewöhnlich turbulenter Tag gewesen. Dafür hatten mehrere Verkehrsunfälle gesorgt. Die Notfallstation des Grace-Darling-Krankenhauses hatte einen ausgezeichneten Ruf und wurde deshalb von verschiedenen Rettungsdiensten bevorzugt angefahren. Es war längst zum Versorgungszentrum für eine Region mit mehreren Hunderttausend Einwohnern geworden.

Er blickte auf, als sein Assistenzarzt Gary Parr aufgeregt auf ihn zukam. „Das war mal wieder ein Tag wie im Irrenhaus“, sagte er zu dem jungen Mann.

„Und er ist noch nicht zu Ende“, stieß Gary hervor. „Es kommt vielleicht noch viel schlimmer. Wir hatten gerade die Küstenwache am Telefon. Offenbar treibt ein Tanker steuerlos in der schweren See und ist dabei, mit einer Bohrplattform zusammenzustoßen.“

„Verdammt! Was hat der Tanker geladen?“

„Irgendwelche Chemikalien. Genaues weiß man noch nicht. Die Küstenwache versucht, über die russische Reederei mehr zu erfahren, aber die geben sich sehr wortkarg.“

„Kann man den Tanker nicht wegschleppen?“, wollte Sebastian wissen. Wenn der Tanker mit der Bohrplattform zusammenstieß, leckschlug und die Chemikalien ausliefen, würden nicht nur die Tankerbesatzung und die Arbeiter auf der Plattform in Gefahr geraten, dann drohte eine Verseuchung vieler Kilometer Küste und die Vergiftung Tausender Menschen.

„Mehrere Hochseeschlepper sind auf dem Weg zu dem Tanker, aber es sieht wohl nicht gut aus.“ Gary zog eine Grimasse. „Die Küstenwache sagt, es käme ein Sturm auf. Dann können die Schlepper nicht eingesetzt werden. Und eine Kollision mit der Plattform wäre sehr wahrscheinlich.“

„Dann müssen wir vom schlimmsten Fall ausgehen und uns entsprechend vorbereiten.“ Sebastian drehte sich um und ging eilig zu seinem Büro.

Gary folgte ihm. „Heißt das, wir müssen die höchste Alarmstufe ausrufen?“ Der junge Mann war sehr blass geworden.

„Ja, wir sollten alle Mitarbeiter alarmieren, auch die, die eigentlich dienstfrei haben. Wir dürfen nicht riskieren, dass wir kalt erwischt werden.“

Sebastian rief in der Unfallzentrale der Polizei an und verlangte den Offizier vom Dienst zu sprechen. Er wurde sofort durchgestellt.

Man stellte ihm keine Fragen über den Grund seines Anrufes, denn die Küstenwache hatte bereits Alarm gegeben.

Sebastian nickte zustimmend, als man ihm erklärte, es würde gerade eine Rundfunknachricht zur Warnung der Bevölkerung vorbereitet und in der nächsten halben Stunde ausgestrahlt.

Er hängte auf, nahm die Personalliste für Notfälle aus seinem Schreibtisch und reichte sie Gary. „Finde heraus, wer schon hier ist, und versuch, die anderen zu erreichen. Ich werde mit denen sprechen, die hier sind. Wir müssen die Patienten, die schon hier sind, so schnell wie möglich verarzten. Sonst gibt es nachher das große Chaos.“

„Was ist mit dem Luftrettungsdienst? Soll ich die Hubschrauberstaffel informieren?“

„Ruf dort zur Sicherheit an, aber die wissen wahrscheinlich schon Bescheid.“

Sebastian blickte aus dem Fenster auf den bedrohlich schwarzen Himmel. „Es sieht so aus, als ob das eine lange, harte Nacht werden könnte.“

Freitag, 16.00 Uhr

Der Sturm brach mit aller Macht los, als Olivia auf den Parkplatz des Grace-Darling-Krankenhauses fuhr. Schwere Regentropfen klatschten auf die Windschutzscheibe und zwangen sie, ganz vorsichtig und langsam zu fahren. Die Scheibenwischer, selbst auf schnelle Gangart geschaltet, wurden mit den Wassermassen nicht fertig.

Die Frontscheibe war von innen beschlagen. Olivia versuchte, die Scheibe mit der Hand wenigstens so weit freizuwischen, dass sie die Hinweisschilder erkennen konnte. Bei dem prasselnden Regen schien der Parkplatz riesengroß. Sebastian hatte ihr vor Monaten mal gesagt, dass ein neuer Anbau kurz vor der Fertigstellung stand, aber sie hatte nicht geahnt, wie gewaltig der ganze Gebäudekomplex wirkte.

Irgendwie passte das zu ihm. Er liebte es, mitten im dicksten Getümmel zu stecken. Sie selbst bevorzugte mehr einen überschaubaren Rahmen und die Arbeit in einem kleinen Team. Verwundert stellte sie fest, dass ihr bisher nicht bewusst gewesen war, wie sehr sich ihre und Sebastians berufliche Vorstellungen unterschieden.

Sie fuhr in eine Parklücke und schaltete den Motor ab, griff nach ihrem Regenschirm und stieg aus. Sofort riss ihr der heftige Wind den Schirm aus der Hand und wirbelte ihn über den Parkplatz. Sie konnte noch sehen, wie er zerfetzt und weit weggetrieben wurde. Es hatte keinen Sinn, hinter dem Schirm herzulaufen.

Seufzend schloss sie die Wagentür. Die Vorstellung, Sebastian völlig durchnässt gegenüberzustehen, war zwar nicht berauschend, aber unter den gegebenen Umständen nicht zu vermeiden. Olivia hoffte nur, nicht von den Sturmböen zu Boden geschleudert zu werden. Es hätte ihr gerade noch gefehlt, schlammbedeckt bei Sebastian aufzutauchen.

Sie ging zum Eingang. Es war erst vier Uhr nachmittags, aber es wurde schon dunkel. Der Sturm wurde immer stärker. Olivia atmete erleichtert auf, als sie endlich in der trockenen Eingangshalle stand. Der Empfang war direkt vor ihr. Daneben gab es eine offene Wartehalle mit mehreren Reihen bequemer Sessel und einem Getränkeautomaten. Das alles sah genauso aus, wie Olivia es sich von einem modernen Krankenhaus vorgestellt hatte. Nur eines war ungewöhnlich – kein Mensch war zu sehen.

Eigentlich hätten um diese Zeit am Freitagnachmittag Dutzende von Patienten warten müssen. Verblüfft sah Olivia sich um. Sebastian hatte ihr doch immer erzählt, wie beschäftigt er war und dass er es kaum schaffte, mit dem Ansturm von Patienten fertig zu werden. Es gab nur eine Erklärung – etwas Ungewöhnliches musste geschehen sein …

„Tut mir leid, aber die Notfallstation ist zurzeit geschlossen.“

Olivia drehte sich um, als sie die Stimme hinter sich hörte. „Ich bin keine Patientin“, sagte sie zu der Schwester, die urplötzlich aufgetaucht war. „Ich suche Dr. Bridges.“

„Dr. Bridges hat heute leider keine Zeit“, sagte die Schwester. „Ich muss Sie bitten, morgen wiederzukommen.“

„Olivia!“

Die beiden Frauen drehten sich um, als sie Sebastians Stimme vernahmen.

Olivia versuchte zu lächeln, was ihr jedoch nicht besonders gut gelang. Sebastian schien ziemlich fassungslos über ihr unangemeldetes Erscheinen zu sein. „Hallo, Sebastian. Offenbar habe ich keinen guten Zeitpunkt für meinen Besuch gewählt.“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Schließlich konntest du nicht wissen, dass wir gerade Katastrophenalarm haben.“

Er lächelte abwesend, und Olivia konnte erkennen, dass er unter enormer Anspannung stand. Fragte er sich wohl, warum sie plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war? Es lag mehr als drei Monate zurück, seit Sebastian nach Sussex gekommen war und sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Aber das Wochenende war alles andere als angenehm verlaufen. Sie hatten kaum miteinander geredet. Offensichtlich hatten sie sich schon weiter voneinander entfernt, als sie wahrhaben wollten.

Olivia hatte erleichtert aufgeatmet, als er dann früher als geplant wieder zurückgefahren war. Aber an diesem Wochenende war ihr klar geworden, dass es so nicht weitergehen konnte. Ihre Ehe war nicht mehr zu retten.

Jetzt war sie hier, um einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Aber das konnte sie schlecht auf dem Krankenhausflur ansprechen. Da sie eine ganze Reihe von Fragen mit Sebastian zu klären hatte, musste sie sich in Ruhe mit ihm zusammensetzen. Aber das passte jetzt offenbar gar nicht.

„Entschuldige meine Unhöflichkeit. Darf ich euch miteinander bekannt machen? Cathy, das ist meine Frau Olivia, ebenfalls Ärztin.“

Olivia musste lächeln, doch als Sebastian sich ihr wieder zuwandte, bemerkte sie die Wachsamkeit in seinen Augen. Er schien zu ahnen, warum sie so überraschend gekommen war. Sie fragte sich, ob er erleichtert oder enttäuscht von ihrem Entschluss sein würde.

„Olivia … und das ist Cathy Watts, unsere Oberschwester. Ohne sie ginge hier alles drunter und drüber.“

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen“, sagte Olivia und reichte Cathy die Hand.

„Ganz meinerseits, Dr. Bridges.“

Die Schwester schüttelte ihr die Hand, aber Olivia blieb Cathys kühle Zurückhaltung nicht verborgen. Sie war offensichtlich nicht begeistert über den Besuch.

Olivia ahnte warum. Vielleicht hatte die Schwester mehr als nur ein berufliches Interesse an Sebastian … Sie hatte sich einige Male gefragt, ob Sebastian sich in den letzten Monaten mit anderen Frauen getröstet haben könnte. Er selbst hatte nicht die geringste Andeutung gemacht. Aber Olivia war nicht so naiv, davon auszugehen, dass ein so gut aussehender Mann lange allein bleiben würde.

Unauffällig musterte sie ihn. Sein schlanker, hochgewachsener und durchtrainierter Körper hatte immer eine erregende Wirkung auf sie ausgeübt. Und zwar vom ersten Tag an. Für sie war Sebastian der erste und einzige Mann gewesen.

Konnte sie erwarten, dass ein so vitaler und attraktiver Mann wie ein Mönch lebte? Obwohl es sie eigentlich nichts mehr anging, hätte sie liebend gern gewusst, ob er mit Cathy oder einer anderen Frau eine Affäre hatte.

Sebastian war verwirrt und beunruhigt. Dass Olivia plötzlich vor ihm stand, hatte ihn stärker berührt, als er vermutet hätte. In einem ersten Reflex hatte er sie in die Arme nehmen und ihr einen Kuss geben wollen. Nur die Vermutung, warum sie sich auf den Weg zu ihm gemacht hatte, hielt ihn zurück. Wollte sie die Scheidung von ihm verlangen? Er konnte es nicht glauben, er wollte es nicht glauben – aber er wusste, dass sein Verdacht begründet war.

Er fühlte einen Schmerz, der immer schlimmer wurde. Aber bevor er etwas sagen konnte, wurde die Eingangstür aufgestoßen, und ein Mann stürmte herein.

„Meine Frau … sie ist draußen im Wagen … bitte, helfen Sie uns.“

„Ich bin sofort da“, versicherte ihm Sebastian. „Such Marilyn und sag ihr, ich brauche sie im Behandlungsraum“, sagte er zu Cathy. „Jayne soll alles vorbereiten. Ich bringe die Patientin sofort dorthin.“

Er eilte nach draußen. Direkt vor dem Eingang parkte ein Wagen mit geöffneten Türen. Auf der Rückbank lag eine junge Frau. „Was ist mit ihr passiert?“, fragte er den Ehemann.

„Keine Ahnung.“ Der junge Mann versuchte hektisch, seine Frau aus dem Wagen herauszuziehen.

Sie schrie vor Schmerz auf.

Sebastian fasste nach dem Arm des Mannes und zog ihn zurück. „Lassen Sie mich zuerst nach ihr sehen“, sagte er. Er beugte sich zu der Frau. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt, und sie hielt die Arme über dem Bauch verkrampft. „Ich heiße Sebastian Bridges und bin der Oberarzt. Seit wann haben Sie diese Schmerzen?“

„Ich weiß nicht … seit ungefähr einer Stunde … vielleicht etwas länger.“ Sie stöhnte auf. „Oh, es tut so weh!“

Sebastian blickte sich um und wollte ihrem Mann sagen, er solle hineingehen und einen Rollstuhl anfordern.

Olivia stand hinter ihm. „Brauchst du eine fahrbare Liege?“

Er nickte. „Ja. Und ein Pfleger soll mitkommen. Ich brauche jemanden, der mir hilft, die Frau auf die Trage zu legen.“

Olivia eilte in die Empfangshalle zurück.

Sebastian hockte sich neben die Patientin und versuchte ganz sanft, ihre Hände von ihrem Bauch zu lösen. Er hielt sofort inne, denn sie schrie wieder vor Schmerz auf. „Ich weiß, es tut weh, aber ich muss Sie untersuchen, um festzustellen, was Ihnen fehlt. Schreien Sie, wenn es Ihnen hilft, Sie brauchen auf mich keine Rücksicht zu nehmen.“

Sein Tonfall schien sie zu beruhigen. Sie ließ ihn weitermachen und stöhnte nur leise vor sich hin. Der Bauch war unten auf der rechten Seite bretthart, die Muskeln zuckten spastisch. Wenn er auf eine bestimmte Stelle drückte, schrie die Patientin auf.

Er drehte sich um, als Olivia mit einem Krankenpfleger zurückkam, der eine fahrbare Liege vor sich her schob.

„Wir müssen Ihre Frau leider auf die Liege heben, auch wenn sie starke Schmerzen hat“, sagte er zu dem jungen Ehemann, der kreidebleich danebenstand.

Der Mann wurde noch bleicher. „So habe ich Alison noch nie schreien hören. Sie ist immer so tapfer und klagt nie.“

„Das beweist nur, dass es ihr jetzt wirklich sehr schlecht geht.“ Olivia legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.

Es gab Sebastian einen Stich, als er sah, dass sie den jungen Mann anlächelte. Wann hatte sie ihn das letzte Mal so angelächelt?

„Zeigen Sie ihr, dass Sie ihr helfen wollen“, fuhr Olivia fort. „Halten Sie ihre Hand und reden Sie mit ihr, während wir sie hochheben. Sie hat schlimme Schmerzen, und sie braucht jemanden, der ihr Kraft gibt.“

„Ich … ich versuche es.“

Der junge Mann hockte sich neben sie und sprach leise auf sie ein.

Sie schien sich wirklich zu beruhigen.

Sebastian bat den Krankenpfleger, auf die andere Seite zu gehen, sodass sie die Patientin anheben konnten. Bewundernd dachte er, wie schnell Olivia das junge Paar beruhigt hatte.

Das war schon immer eine ihrer Stärken gewesen. Er selbst neigte zur Ungeduld und wollte in kürzester Zeit zum Ziel kommen. Häufig hatte er gedacht, dass sie sich in idealer Weise ergänzten. Und dann war es ihm wieder so vorgekommen, als ob sie so gegensätzliche Charaktere waren, dass sie die Dinge nur von zwei ganz unterschiedlichen Standpunkten sehen konnten.

Er seufzte innerlich. Die zweite Erklärung war wohl wahrscheinlicher. Sie ergänzten sich nicht, sie waren wie Feuer und Wasser. Deshalb war ihre Ehe auch gescheitert.

2. KAPITEL

Freitag, 17.00 Uhr

„Danke, Dr. Bridges. Ich übernehme die Patientin jetzt.“

Olivia trat zur Seite, als Cathy Watts herbeieilte. Die Oberschwester erwartete offensichtlich, dass Olivia die Station wieder verlassen würde. Aber aus einem unerfindlichen Grund hatte sie das keineswegs vor. Fragend sah sie zu Sebastian, der neben dem Bett stand, in das die Patientin gelegt werden sollte. Sie empfand keine Eifersucht, dass die Schwester ihm von jetzt an assistierte.

„Auf mein Kommando …“, sagte Sebastian. „Eins … zwei … drei!“

Ohne Schwierigkeiten schafften sie es, die junge Frau auf das Bett zu heben. Dann wurde das Team aktiv. Während Sebastian noch einmal vorsichtig den Unterbauch abtastete, schloss Cathy die Patientin an die notwendigen Überwachungsgeräte an. Eine zweite Schwester – ihr Name war Marilyn Maddox, nach dem Namensschild an ihrem Kittel – begann, die Patientin auszuziehen. Und eine Assistenzärztin nahm Blutproben für die Laboruntersuchungen.

Olivia war beeindruckt, wie professionell und effizient das gesamte Team arbeitete. Dennoch überraschte es sie nicht, denn Sebastian hatte an seine Mitarbeiter immer die höchsten Anforderungen gestellt, weil er auch von sich selbst Höchstleistungen verlangte.

„Haben Sie nur Schmerzen im Bauch, Alison, oder auch noch woanders?“

Der Klang von Sebastians tiefer, sonorer Stimme ließ Olivia leicht erschauern. Sie hatte seine Stimme immer geliebt. Es war auch diese unverwechselbare Stimme gewesen, die sie bei ihrem ersten Zusammentreffen am meisten fasziniert hatte.

Auf einem Studentenfest an der Universität waren sie sich zum ersten Mal begegnet. Olivia hatte vergeblich versucht, ein Glas Wein am Tresen zu bestellen, aber mit ihrer Stimme drang sie nicht gegen den hohen Lärmpegel des überfüllten Saales durch. Dann tauchte Sebastian auf, zwinkerte ihr zu und fragte, was sie trinken wolle. Wie durch ein Wunder hielt er Sekunden später ein Glas in der Hand.

Er zog sie ein Stück weiter zu einem Tisch. Typisch, dass er bei dem allgemeinen Gedränge sofort einen freien Tisch fand. Dann unterhielten sie sich lange und angeregt. Noch vor Mitternacht war ihr klar, dass sie sich gerade verliebt hatte. Und am Ende des Monats war sie zu ihm in seine kleine Wohnung gezogen. Sie hatten die ganze Studienzeit zusammengelebt, und obwohl sie das Medizinstudium manchmal sehr hart fand, war Sebastian, dem das Studium leichtfiel, immer da gewesen, um ihr zu helfen und sie zu ermutigen.

Sie seufzte. Damals hatte sie geglaubt, so würde es immer zwischen ihnen sein. Aber es war anders gekommen. Jetzt hatte sie innerlich akzeptiert, dass die Scheidung unausweichlich war. Sie wusste, dass auch nach der Scheidung die Erinnerung an Sebastian schmerzlich sein würde. Ihre Beziehung war einfach etwas ganz Besonderes gewesen. Aber sie konnte auch nicht so weiterleben wie seit einem Jahr. Nein, lieber jetzt ein Ende machen, auch wenn es wehtat.

Sebastian runzelte die Stirn und sah die Patientin fragend an. „Wo, sagten Sie, spüren Sie noch Schmerzen?“

Autor

Jennifer Taylor

Jennifer Taylor ist Bibliothekarin und nahm nach der Geburt ihres Sohnes eine Halbtagsstelle in einer öffentlichen Bibliothek an, wo sie die Liebesromane von Mills & Boon entdeckte. Bis dato hatte sie noch nie Bücher aus diesem Genre gelesen, wurde aber sofort in ihren Bann gezogen. Je mehr Bücher Sie las,...

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