Romana Exklusiv Band 261

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DIE LEIDENSCHAFT IST STÄRKER von CLAIR, DAPHNE
Warum nur muss sich Cara ausgerechnet in den Milliardär Zandro verlieben - nach allem, was er ihrer Zwillingsschwester angetan hat? Als sie den attraktiven Unternehmer bei einem Strandspaziergang zur Rede stellen will, gerät sie in einen Zwiespalt der Gefühle …

ICH LEGE DIR DIE WELT ZU FÜßEN von LENNOX, MARION
Es ist wie im Märchen, als Peta und Marcus sich in New York das Jawort geben. Dabei ist Peta nur zu Besuch in der Metropole - und den aufregenden Millionär kennt sie erst seit einer Woche! Seither holt er ihr die Sterne vom Himmel, spricht aber nie von Liebe …

SÜßE EROBERUNG UNTER PALMEN von HART, JESSICA
Als seine Verlobte ihn verlässt, verwandelt der Tycoon Tom seine Hochzeitsreise spontan in einen Business-Trip. Anstatt der Braut begleitet ihn seine Assistentin Imogen. Doch auf den Malediven erkennt er bald: Es ist nicht einfach, Imogen zu widerstehen …


  • Erscheinungstag 28.08.2015
  • Bandnummer 0261
  • ISBN / Artikelnummer 9783733740221
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Daphne Clair, Marion Lennox, Jessica Hart

ROMANA EXKLUSIV BAND 261

DAPHNE CLAIR

Die Leidenschaft ist stärker

Am liebsten würde Zandro Brunellesci seine Schwägerin Lia einfach aus seiner Villa werfen: Wie kann sie es wagen, ihm seinen Neffen wegzunehmen? Zwar behauptet sie, die Mutter des Kindes zu sein, aber kann er ihr glauben? Schließlich wirkt sie so anders als er die Frau seines verstorbenen Bruders in Erinnerung hatte – so begehrenswert und erregend …

MARION LENNOX

Ich lege dir die Welt zu Füßen

Als der Millionär Marcus Benson von ihren Problemen erfährt, schlägt er Peta prompt eine Zweckehe vor: So kann sie ihre Familie retten. Zwar hat er die junge Australierin erst vor Kurzem kennengelernt, aber nie zuvor wollte Marcus einer Frau so gern die Welt zu Füßen legen. Nur eine Liebeserklärung – die darf sie nicht verlangen …

JESSICA HART

Süße Eroberung unter Palmen

„Liebt er dich wirklich?“ scheinen die Palmen leise zu raunen. Doch Imogen weigert sich, an das Ende ihrer traumhaften Malediven-Reise zu denken. Solange wie möglich will sie Toms leidenschaftliche Küsse auf Coconut Island genießen! Denn zurück in England wird er nicht länger ihr zärtlicher Geliebter sein – sondern ihr Boss …

1. KAPITEL

Der Beamte bei der Passkontrolle musterte die dunkelhaarige junge Frau mit den grünen Augen vor seinem Schalter nur flüchtig.

Doch als er nun seinen Blick wieder auf das Bild in ihrem Pass richtete und dann den Kopf schüttelte, wurde sie nervös.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und ihre Wangen wurden brandrot.

Erneut sah der Beamte auf. „Liar Cameron?“

Erleichtert korrigierte sie: „Nein, es heißt Li-ah.“ Dann wiederholte sie bestimmt: „Ich heiße Lia Cameron.“

„Verzeihen Sie.“ Er blätterte den Pass durch. „Waren Sie schon einmal in Australien?“

„Ja.“

Der Mann stempelte die Seite und gab ihr das Dokument mit einem Lächeln zurück. „Ihr Kiwis könnt euch einfach nicht fernhalten, wie? Schönen Urlaub.“

Ihre Knie zitterten, als sie zur Gepäckabholung des Flugs Auckland–Sydney ging. Es war nicht das erste Mal, dass jemand den Namen Lia wie Liar, Lügner, ausgesprochen hatte. Mit ihrem schlechten Gewissen hätte sie sich eben am Schalter beinahe lächerlich gemacht.

Als ihr Koffer auf dem Rollband erschien, griff sie danach und warf einen kurzen Blick auf das Etikett. Lia Cameron. „Das bin ich“, sagte sie mit fester Stimme.

Sie nahm den Bus zur Sunshine Coast, fand ein Hotel und zahlte ihr Zimmer bar und im Voraus, um ihre Kreditkarte nicht benutzen zu müssen.

Morgen würde sie einen Wagen mieten und die Brunellescis ausfindig machen. Insbesondere Zandro Brunellesci.

Bei dem Gedanken an ihn lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Alessandro Gabriele Brunellesci war ein harter Gegner, der es gewohnt war, alles und jeden zu zerschlagen, der sich ihm in den Weg stellte. Einschließlich Lia.

Doch Zorn und Kummer überwogen ihre Furcht. Stress und Trauer hatten ihr eine Kraft verliehen, von der sie nicht einmal wusste, dass sie sie besaß. Zandro würde erkennen, dass sie sich nicht einschüchtern ließe und er sie nicht loswerden konnte. Zu viel stand auf dem Spiel. Es galt, das Unrecht an einem Kind zu korrigieren.

Sie würde nicht eher nach Neuseeland zurückkehren, bis sie getan hatte, wozu sie hierhergekommen war. Und sie würde nicht allein heimkehren.

Das Anwesen der Brunellescis war von einer hohen Backsteinmauer mit schmiedeeisernen Toren umgeben. Hohe Gummibäume und Silberbirken verbargen die Sicht auf das imposante Gebäude beinahe vollständig; nur das Goldgelb der Fassade und Teile der großzügigen Fenster waren zu sehen. Unter dem Haus gab es offensichtlich eine Tiefgarage, durch die das Erdgeschoss höher gelegen war. Das Obergeschoss zierte ein breiter Balkon.

Nachdem sie langsam am Grundstück vorübergefahren war, parkte sie den Wagen im Schatten eines Baumes auf der gegenüberliegenden Straßenseite und begann aufmerksam, die Umgebung in sich aufzunehmen. Eingefasst in eine Rasenfläche war ein Spielplatz zu sehen, auf dem ein paar Bäume Schatten vor der heißen Sonne Queenslands spendeten. Jenseits der Schaukeln und Rutschen und einem kleinen Sportplatz konnte sie einen silbrigen Strand erkennen, den die milchig weißen Zungen der Gischt des Ozeans umspielten.

Die Straße war stark befahren, und es war fast unmöglich, alle Autos und Passanten gleichzeitig im Auge zu behalten.

Das brachte nichts. Seufzend kramte sie in ihrer Tasche, zog eine kaschierende Sonnenbrille hervor, schlang das Haar zu einem Knoten, den sie unter einem Strohhut verbarg, und nahm ein Taschenbuch aus dem Handschuhfach.

In der Nähe des Spielplatzes gab es hölzerne Sitzbänke. Sie wählte eine, die ihr den Blick auf die Straße ermöglichte, und gab vor zu lesen, während sie weiterhin das Tor des Anwesens beobachtete – vergeblich.

Erst gegen Mittag trat eine elegant gekleidete Frau mit einem Buggy in Begleitung eines älteren Herrn hinaus.

Langsam überquerten sie die Straße zum Park und gingen an der jungen Frau vorbei, die so sehr in ihr Buch vertieft zu sein schien.

Sie hatten sie nicht bemerkt. Mit zitternden Händen ließ sie ihre Lektüre sinken und atmete tief durch. Sie durfte sich nicht umdrehen. Sie konnte hören, wie die Frau ihre Stimme hob und mit dem Kind sprach. Auch der alte Mann war zu vernehmen sowie das muntere Plappern des kleinen Jungen.

Ihr Herz zog sich zusammen. Betont gelassen schlenderte sie unter einen Baum und ließ sich dort auf dem Rasen nieder, den Rücken an den Baumstamm gelehnt.

Der alte Mann stützte sich auf seinen Spazierstock und sah zu, wie die Frau das Kind vorsichtig auf der Schaukel anschubste.

Das Gesicht des kleinen Jungen war durch eine blaue Kappe vor der Sonne geschützt, seine Beinchen ragten aus einer kurzen Hose hervor, und er amüsierte sich ganz offensichtlich königlich. Sein entzücktes Lachen wurde vom Wind an ihr Ohr getragen.

Sie sorgen gut für ihn.

Vielleicht sollte sie ihre Mission aufgeben und abreisen. Doch sie verwarf den feigen Gedanken rasch. Ein einziger Augenblick reichte nicht aus, um die Gesamtsituation zu beurteilen.

Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Frau. Sie war Mitte dreißig, hatte ein hübsches Gesicht, das von braunen Locken umrahmt war, und eine schlanke Figur. Zu ihrem grünen Kostüm trug sie einen weißen Gürtel und weiße flache Sandalen. Eine Nanny. Sie hatten eine Kinderfrau für ihn angestellt.

Als das Kind von der Schaukel gehoben wurde und die kleine Gruppe zum Strand hinunterging, blieb sie unter dem Baum sitzen. Nach einer Weile erhob sie sich und schlenderte wieder zum Wagen, wo sie wartete, bis die drei zum Haus zurückkehrten und hinter dem Tor verschwanden.

Jetzt wusste sie immerhin, wo sich der Kleine befand, dass er nicht irgendwo anders hingeschickt worden war. Es war an der Zeit, eine Strategie zu erdenken.

Am nächsten Morgen parkte sie am selben Platz und wartete. Wieder erschien das Trio des Vortages. Die Frau sah sorgfältig nach links und rechts. Ihr Blick verweilte kurz auf dem parkenden Auto, und sie wandte sich an den Mann, bevor sie den Buggy über die Straße schob.

Einbildung. Aber es war Vorsicht geboten. Bleib im Wagen, außer Sichtweite.

Der kleine Junge war bestens gelaunt. Als die Frau ihn nach einer Weile aus der Schaukel hob, zeigte er auf die Rutsche. Die Frau setzte ihn hinauf und fing ihn unten wieder auf. Begeistert klatschte er in die Hände.

Der Großvater ließ sich auf einer Bank im Schatten nieder. Ein leichtes Lächeln lag auf seinem Gesicht.

Für einen Mann, der, wie sie wusste, vor gut fünfzig Jahren sein Heimatland Italien verlassen hatte, um ein ganzes Unternehmen aus dem Nichts aufzubauen, und der für seine Härte und seinen Geschäftssinn bekannt war, wirkte er beinahe gütig.

Medizinischen Studien zufolge wurden harte, starke Männer im Alter durch den allmählichen Testosteronverlust milde.

Sein Sohn Zandro war Anfang dreißig und würde noch lange brauchen, bis er zahmer wurde. Vielleicht war der alte Domenico ein leichteres Angriffsziel. Sicherlich hatte er einigen Einfluss auf seinen Sohn.

Sie hatte das schwarze Auto nicht kommen sehen, so gefangen war sie in ihren Gedanken gewesen. Bis es direkt vor ihrem zum Stehen kam.

Ein Mann schwang sich aus dem Wagen. Ihr Herz begann zu rasen, noch bevor er ihre Tür erreicht hatte. Zu spät versuchte sie, die Türverriegelung zu betätigen.

Lange, feste Finger schlossen sich um ihr Handgelenk. Und ehe sie sich versah, wurde sie aus dem Wagen gezerrt und gegen die Hintertür gepresst.

Die Hand, die ihr Gelenk in eisernem Griff hielt, fuhr auf das Autodach nieder. In dem markanten Gesicht mit dem zornigen Blick erkannte sie zuerst Misstrauen, dann Ungläubigkeit.

„Lia?“ Seine Stimme klang gefährlich.

Sie schluckte. Es gab keinen Zweifel, wer da vor ihr stand. „Zandro“, sagte sie.

Anders als sein Vater, wirkte der jüngere Brunellesci alles andere als gütig. Sein Griff schmerzte, seine Kraft und die rasende Ungläubigkeit in seinem Blick machten ihr Angst. Dennoch versuchte sie, Haltung zu bewahren.

„Was zum Teufel wird hier gespielt?“

Nicht einschüchtern lassen. Er ist auch nur ein Mensch. „Gar nichts wird hier gespielt.“ Sie reckte das Kinn. „Lass meine Hand los.“

Zandro Brunellesci blinzelte und sah sie überrascht an.

Lia hatte sich ihm nie widersetzt, nie seine Autorität angezweifelt und immer akzeptiert, wie er und seine Familie mit ihr umgegangen waren.

Aber das hier war eine andere Lia, eine, die sich nicht herumschubsen ließ, eine, die wusste, was sie wollte, und es auch zu bekommen gedachte. Die kein Nein akzeptieren würde, ganz gleich, was es sie kosten würde – oder ihn.

Einen Moment starrte er sie noch an, dann ließ er abrupt los. Die andere Hand ruhte jedoch weiterhin auf dem Autodach, sodass er immer noch in einer einschüchternden Geste vor ihr stand.

Automatisch rieb sie ihr schmerzendes Handgelenk.

Zu ihrer Überraschung griff Zandro nach ihrer Hand, sanfter diesmal, obwohl er wiederum ihren Widerstand missachtete.

Er runzelte die Stirn, als er die Rötung sah. „Ich wollte dir nicht wehtun“, sagte er leise. „Ich stand unter Schock.“

„Ich dank dir auch“, gab sie scharf zurück. „Von dem blauen Fleck, den das geben wird, mal ganz abgesehen.“

Verwirrt begegnete er ihrem selbstbewussten Blick. Wieder sah sie, wie in den Tiefen seiner dunklen Augen etwas aufleuchtete, das sie schneller atmen ließ.

Ungeduldig schüttelte Zandro den Kopf und zog dann den Autoschlüssel aus dem Schloss. „Wir gehen besser ins Haus und kühlen dein Handgelenk.“ Er legte ihr vorsichtig die Hand unter den Ellbogen und führte sie über die Straße.

Instinktiv wollte sie zurückweichen, ihren Schlüssel verlangen und davonfahren. Aber obwohl dies wohl kaum als eine Einladung bezeichnet werden konnte, bot er ihr immerhin an, ins Haus zu kommen. Die Gelegenheit musste sie wahrnehmen.

Früher oder später hatte diese Konfrontation sowieso kommen müssen, was aber, wenn sie sich jetzt nicht dafür gewappnet fühlte? Tatsache war, dass sie sich niemals dafür bereit fühlen würde. Sie hatte diese Situation herausgezögert, indem sie das Haus bewacht und verschiedene Möglichkeiten erwogen hatte. Nun war die unerwartete Chance gekommen, und sie musste sie nutzen.

Zandros Hand an ihrem Ellbogen fühlte sich heiß an und machte sie nervös. Ein ungewohntes Kribbeln erfasste sie. Allerdings war sie auch noch nie in einer solchen Situation gewesen. Normalerweise war sie ein ehrlicher Mensch, jetzt aber musste sie ein Täuschungsmanöver überzeugend in die Tat umsetzen.

Noch ist es nicht zu spät, rief ihre innere Stimme. Noch konnte sie einen Rückzieher machen und umgehend nach Neuseeland zurückkehren.

Zögernd sah sie in Zandro Brunellescis Gesicht, ein Gesicht, das wie in Granit gemeißelt wirkte. Die Worte, die ihr auf der Zunge gelegen hatten, erstarben in ihrer Kehle. In seiner Selbstbeherrschung war dieser Mann noch Furcht einflößender. Aber sie hatte hoch und heilig geschworen, dies hier durchzuziehen. Wenn sie dieses Versprechen brach, würde sie sich das niemals verzeihen können.

Zandro schloss seinen eigenen Wagen ab und betätigte, am Tor angekommen, eine Art Fernbedienung, mittels derer sich das Tor lautlos öffnete. Ohne zu fragen, schob er sie hinein.

Als sich die Pforte wieder hinter ihnen schloss, beschlich sie das Gefühl, in ein finsteres Gefängnis gebracht zu werden. Unwillkürlich erschauerte sie.

„Alles in Ordnung?“ Zandros Stimme klang gezwungen freundlich.

„Ja, es ist nur etwas kühl im Schatten.“

Die majestätische Allee war kurz, und so stiegen sie bald die steinernen Stufen zum säulengetragenen Vorbau hinauf.

Zandro gab einen Zahlencode in eine Apparatur an der Tür ein, die sofort aufschwang, und führte sie in einen luftigen großen Raum, der mit dunklen Holzmöbeln und Gobelinstühlen ausgestattet war. „Setz dich, Lia“, sagte er und zeigte auf ein antikes samtbezogenes Sofa. „Ich hole etwas Eis.“

Sie wunderte sich, dass er keinen Bediensteten rief, aber vielleicht schämte er sich, dass er für ihre Verletzung verantwortlich war.

Mit einer Schüssel mit Eis und einem Handtuch kehrte er zurück. Er faltete das Handtuch zu einer Kompresse und kniete sich dann vor sie hin, um es um ihr Handgelenk zu wickeln.

„Das machst du gut“, bemerkte sie überrascht.

„Ich habe öfter mit Sportverletzungen zu tun.“ Er war nun mit ihr auf Augenhöhe und nur wenige Zentimeter von ihr entfernt, als er von ihrem Arm aufsah. Trotz der körperlichen Nähe wirkte sein Blick distanziert.

In seinen Augenwinkeln konnte sie feine Linien erkennen, und trotz seiner akkuraten Rasur fiel ihr ein leichter Bartschatten auf. Ein angenehmer Sandelholzduft entströmte seiner Haut. Sein Haar war schwarz glänzend und ganz leicht gewellt. Er hatte den Knoten seiner Krawatte gelockert und den obersten Hemdknopf geöffnet, sodass ein Stück seiner leicht gebräunten Haut zu sehen war. Fasziniert betrachtete sie den kaum merklichen Puls an seinem Hals.

„Du spielst immer noch?“ Sie erinnerte sich blass, dass er in früheren Jahren Tennis gespielt hatte.

„Nur um mich fit zu halten. Leg den Arm hier drauf.“

Er bettete ihren Arm auf die Lehne des Sofas, doch sie hob ihn sofort wieder an. „Das Polster wird nass.“

Zandro sah sie verblüfft an. Angesichts des Reichtums dieser Familie war ein ruiniertes Sofa wahrscheinlich eine Banalität.

Dennoch nickte er, stand auf und holte ein größeres Handtuch und faltete es so, dass keine Feuchtigkeit hindurchdringen würde. Dann ließ er sich in einem Stuhl ihr gegenüber nieder.

„Was tust du hier, Lia?“

Sie zögerte und befeuchtete ihre Lippen. Jetzt kam die Stunde der Wahrheit. Ihre letzte Chance wegzulaufen. Sie räusperte sich. „Ich komme wegen meines Kindes. Ich hole meinen Sohn heim.“

Zandro schwieg. Sekundenlang war nur ihr ruhiges Atmen zu hören, dann zuckten seine Kiefermuskeln. „Das glaube ich kaum.“

Sie hob das Kinn und sah ihm direkt in die Augen. „Er gehört zu … mir.“

Feindseligkeit stand in seinem Blick. „Du glaubst, wir geben ihn einfach so auf?“

„Ich bin seine Mutter!“ Sie legte alles in diesen Satz, was sie an Überzeugung aufbringen konnte.

„Und ich bin sein gesetzlicher Vormund und muss nach seinen Interessen handeln.“

Das hörte sich eher nach einem Geschäftsvertrag an als nach einer Unterhaltung über die Bedürfnisse eines Kindes. „Du meinst, nach den Interessen der Brunellesci-Dynastie.“

Er hob die Augenbrauen. „Ein Familienunternehmen würde ich wohl kaum so bezeichnen.“

„Gehört Pantheon nicht zu den zehn reichsten australischen Firmen? Wie hoch ist euer Vermögen?“

Sein Blick wurde hart. „Bist du deshalb hier? Du willst Geld? Dann lass uns zur Sache kommen.“

Sie riss empört die Augen auf. „Wie …?“

Aber er hörte nicht zu. „Du hoffst, dass wir dich noch einmal dafür bezahlen, dass du uns in Ruhe lässt, wie?“

Die Beschuldigung machte sie sprachlos. Dann sprang sie auf. „Wie kannst du es wagen? Du bist ja noch schlimmer, als ich dachte!“

Er erhob sich gleichfalls und erwiderte ihren Blick hitzig. „Dieses Kompliment kann ich nur zurückgeben. Wenn ich unrecht habe, was willst du dann also wirklich?“

„Das sagte ich bereits. Ich will Dominic. Ich will … meinen Sohn.“

„Du hast ihn aufgegeben.“

„Ich war nicht ich selbst. Ich wusste nicht, was ich tat.“

„Und“, fragte er mit tödlicher Ironie, „jetzt bist du du selbst, Lia?“

Diese Frage erschreckte sie. Sie wusste, in ihrem Gesicht standen die Schuldgefühle geschrieben. Zandro lachte freudlos auf. „Du wolltest Nicky kidnappen? Damit wärst du niemals durchgekommen.“

Nicky? Wer … Dann dämmerte es ihr. Dominic hatte einen Kosenamen bekommen. „Ich wollte ihn nicht kidnappen!“ Sie brauchte ja nicht zuzugeben, dass ihr diese Idee kurzfristig gekommen war.

„Warum hast du ihn dann heimlich beobachtet?“

„Wie kommst du denn darauf?“ Bloß nichts zugeben. Das war am sichersten.

Er sah sie ungeduldig an. „Mein Vater und die Kinderfrau haben dich gestern gesehen, und als sie heute denselben Wagen am selben Platz wieder entdeckten, wurden sie misstrauisch und riefen mich an.“

„Ich wollte nur sichergehen, dass Dominic immer noch hier ist. Und dass gut für ihn gesorgt wird.“

„Er erhält die beste Pflege.“

„Die Beste, die man mit Geld kaufen kann, meinst du. Du hast eine Kinderfrau angestellt.“

Er senkte bedauernd den Blick. „Meine Mutter kommt allein nicht mit dem Jungen zurecht. Und ich muss mich um das Geschäft kümmern. Barbara ist hoch qualifiziert und hat zahlreiche Empfehlungen.“

„Sie kann es sich nicht leisten, sich emotional richtig an ihren Schützling zu binden.“

„Eine gute Kinderfrau ist besser als eine unfähige Mutter.“

„Unfähig?“ Ihre Stimme überschlug sich vor Zorn.

Er sah sie wieder streng an. „Du weißt, dass du nicht in der Lage warst, Verantwortung für ein Kind zu tragen, Lia.“

„Vorübergehend!“, widersprach sie. „Und du hast die Situation ausgenutzt, um mir Dominic wegzunehmen!“

„Wir haben die Verantwortung für ein verletzliches Mitglied unserer Familie übernommen. Seine Sicherheit und sein Wohlbefinden waren unsere erste Priorität. Trotz allem ist er ein Brunellesci.“

„Er ist ein Cameron!“

„Die Tatsache, dass sein Vater dich nicht geheiratet hat, ist bedeutungslos“, hielt Zandro dagegen. „Ricos Name steht auf der Geburtsurkunde, und meine Eltern haben Nicky als ihren Enkelsohn akzeptiert.“

„Das macht ihn noch lange nicht zu ihrem Eigentum.“ Wenn die Brunellescis ihn aufzogen, würden sie dann diesen kleinen lachenden Jungen in einen gefühllosen, harten Geschäftsmann verwandeln, wie sein Onkel und Großvater welche waren? „Die Rechte einer Mutter gehen vor. Jedes Gericht wird so entscheiden.“

„Das Gericht wird die Interessen des Kindes abwägen. Eine drogenabhängige Mutter, die ihr Kind allein gelassen hat, ist wohl kaum vertrauenswürdig.“

„Ich bin nicht …“ Dieses Argument hätte sie erwarten müssen, dennoch zitterte sie und ballte die Hände zu Fäusten, um es zu verbergen. „Ich habe ihn nicht allein gelassen, und du hast unrecht. Ich bin nicht drogenabhängig.“

„Du bist clean?“ Er sah sie forschend an. „Du siehst wirklich besser aus. Aber wie lang kannst du die Hände von dem Zeug lassen?“

Sie biss die Zähne aufeinander. „Ich bin nie abhängig gewesen. Ich war nur … durcheinander.“

„Das ist eine maßlose Untertreibung“, konterte er trocken. „Du wusstest kaum, was um dich herum geschah, und warst überhaupt nicht in der Lage, dich um dein Neugeborenes zu kümmern. Wenn ich nicht eingegriffen hätte, wäre Nicky zur Adoption freigegeben worden.“

„Ich stand unter Schock! Ich trauerte um deinen Bruder … meinen … meinen …“

„Deinen Geliebten“, half Zandro nach.

„Den Vater meines Kindes! Des Kindes, das du mir weggenommen hast.“

Damals war nichts mehr für Lia von Bedeutung gewesen. Sie hatte Tabletten genommen, um den Schmerz zu betäuben, um Schlaf zu finden und die Welt auszusperren. Sie hatte in einer anderen Dimension gelebt und sich an nichts erinnert, außer daran, dass sie mehr Tabletten brauchte … und immer mehr.

„Ich habe versucht, dir zu helfen“, sagte Zandro.

Wieder wallte Zorn in ihr auf. Aber sie musste ruhig bleiben, einen kühlen Kopf bewahren. „Was du getan hast, würde ich nicht als helfen bezeichnen“, wies sie ihn zurecht.

Er sah sie erschöpft an. „Ich glaube nicht, dass du dich an viel erinnerst, so zugedröhnt wie du warst.“

Unsicherheit keimte in ihr auf. Waren damals Dinge geschehen, von denen sie nichts wusste?

Im Flur waren nun Stimmen zu hören. Instinktiv wandte sie den Kopf und erhaschte einen Blick auf die Nanny mit dem Baby auf dem Arm.

Ohne nachzudenken, sprang sie auf, doch Zandro hielt sie zurück. Der alte Mann kam herein und stellte sich ihr in den Weg. Er sah zu Zandro hinüber. „Was will diese Frau hier?“

Sie fühlte sich wie geohrfeigt, straffte jedoch die Schultern und konfrontierte ihn: „Ich habe einen Namen, Mr Brunellesci“, sagte sie, „Lia.“ Sie betonte den Namen wie eine Herausforderung. „Und ich habe ein Recht auf meinen Sohn.“

„Sie haben gar keine Rechte!“ Er stampfte mit seinem Stock auf den Boden. „Wie können Sie es wagen, hierher zu kommen?“

„Papa“, unterbrach Zandro ruhig, aber bestimmt. „Reg dich nicht auf. Ich kümmere mich schon darum.“

Der alte Mann sah seinen Sohn an. Wenn er wirklich im Alter milde geworden sein sollte, so ließ er es sich nicht anmerken. Schließlich nickte er und murmelte im Hinausgehen „Cagna!“

„Bitte setz dich, Lia.“

Zögernd kam sie seiner Aufforderung nach. „Wie hat er mich genannt?“

Zandro blieb stehen. Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte er ihre Frage fort. „Das ist unwichtig. Wie geht es deinem Handgelenk?“

„Es kommt schon wieder in Ordnung.“ Dennoch wollte sie die Kompresse lieber noch ein wenig anbehalten. So könnte er sie nicht gleich hinauswerfen. „Dein Vater hasst mich.“

„Er liebt Nicky.“

Als sei das eine logische Schlussfolgerung. „Ist es wirklich Liebe?“, gab sie zu bedenken. „Oder Besitzanspruch?“ Dominic, auf Ricos Wunsch hin nach seinem Großvater benannt, war der einzige Enkel des alten Brunellesci und der Einzige einer neuen Generation. „Du bist noch nicht verheiratet, oder? Wenn du eines Tages eigene Kinder hast, was wird dann aus Dominic?“

Zandro runzelte die Stirn. „Er wird immer Ricos Sohn bleiben, ein Brunellesci. Daran wird sich nichts ändern.“

„Er ist auch mein Sohn. Daran wird sich ebenfalls nichts ändern.“

Einen Moment wich die Feindseligkeit in seinem Blick einer Art Anerkennung. Dann presste er die Lippen wieder zusammen. „Du hast deine Rechte verwirkt.“

„Du hast mich gezwungen, die Papiere zu unterschreiben, als ich mich nicht wehren konnte!“

„Gezwungen?“ Zorn blitzte in seinem Blick auf. „Überredet, okay, aber gezwungen? Das war nicht nötig. Du warst nur zu froh, mit dem Geld abhauen zu können.“

Die Beschuldigung nahm ihr den Atem. Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber dann ermahnte sie sich, lieber zuerst einmal nachzudenken. „Mit dem Geld hatte das nichts zu tun! Es erschien mir das Beste für Dominic. Aber es gibt Wichtigeres für ein Kind als die Dinge, die man mit Geld kaufen kann.“

„Stimmt. Eine Familie zum Beispiel.“

„Ich bin seine Familie!“

„Verzeih mir, wenn ich diese plötzliche Mütterlichkeit nicht für sehr glaubwürdig halte.“ Er vergrub die Hände in den Taschen seines Jacketts. „Aber wahrscheinlich hast du ein Anrecht, moralisch, nicht rechtlich. Unter gewissen Bedingungen, und wenn Nicky nicht darunter leidet, bin ich bereit, über Besuchsrecht zu verhandeln.“

2. KAPITEL

Besuchsrecht? Er würde der Mutter seines Neffen Besuchsrecht zugestehen? Wie gnädig. „Du erwartest doch wohl nicht, dass ich das akzeptiere.“

„Aber du erwartest, dass ich Nicky einfach so einer Fremden überlasse?“

„Ich bin seine Mutter!“ Wenn sie diese Worte nur oft genug wiederholte, würden sie wohl daran glauben – und sie selbst auch.

Zandro verlor die mühsame Beherrschung. „Du hast ihn nicht gesehen, seit er zwei Monate alt war!“

„Das war aber nicht mein Fehler!“ Er konnte unmöglich das Versprechen vergessen haben, das er Lia abgerungen hatte, und wie er sie genötigt hatte, ihre Unterschrift unter das Dokument zu setzen. „Du hast mich nicht zu ihm gelassen.“

„Kannst du mir das verdenken? In dem Zustand, in dem du damals warst? Es war doch nur zu seinem Besten.“

Hatte er andere Gründe gehabt als den Familienstolz, dass Ricos Sohn als ein Brunellesci aufwachsen sollte?

Nein, dachte sie. Zandro und seine Eltern hätten den Kleinen nicht unbedingt fortholen müssen. Wenn sie wirklich die Interessen des Kindes im Kopf gehabt hätten, hätten sie eine Möglichkeit gefunden, seine Mutter zu unterstützen. „Es war falsch, ihn dir zu überlassen.“

Er sah sie ungläubig an. „Du würdest ihn aus seiner gewohnten Umgebung herausreißen?“

„Ich sehe ein, dass das nicht sofort geht. Ich hatte gehofft, du und deine Eltern würden uns die Gelegenheit geben, uns erst einmal kennenzulernen, bevor ich … ihn mit nach Hause nehme.“

Hier ist er zu Hause.“ Seine Worte duldeten keinen Widerspruch. „Hier wird er bleiben, bis er alt genug ist, für sich selbst zu entscheiden.“

Langsam, aber bestimmt widersprach sie: „Deine Eltern sehen das vielleicht anders. Du weißt nicht, wie es ist, ein Kind zu haben. Deine Mutter hat möglicherweise mehr Verständnis.“

„Ich weiß sehr wohl, wie es sich anfühlt.“

„Hast du Kinder?“

„Ich habe Nicky. Und ich werde ihn nicht gehen lassen.“

In seinem Blick erkannte sie denselben verbissenen Willen, das Kind zu behalten, den er auch damals an den Tag gelegt hatte, um jegliche rechtliche Handhabe durchzusetzen, die es Lia unmöglich machen sollte, jemals ihr Kind zurückzubekommen.

Sie würde nicht aufgeben. Aber es würde seine Zeit brauchen, ihren Willen durchzusetzen.

„Ich würde ihn jetzt gerne sehen.“

„Er macht gerade Mittagsschlaf.“

„Dann warte ich.“ Da er sie wohl kaum hinauswerfen konnte, würde sie einfach hier sitzen bleiben.

Er sah sie überrascht an und drückte dann den Knopf der Sprechanlage. „Zwei Tassen und eine Kanne Kaffee bitte, Mrs Walker. Und etwas zu essen.“

Nachdenklich trat er ans Fenster und schaute in den Garten. „Seit wann beschattest du uns?“

„Seit gestern.“

„Und seit wann bist du in Australien?“

„Vorgestern.“

„Wo wohnst du?“

Sie sagte es ihm, aber er kannte den Namen der kleinen Pension nicht. „Sauber und ruhig.“

Er sah sie an. „Ich habe lange versucht, deine Spur nicht zu verlieren, aber du bist oft umgezogen. Ich wusste nicht, dass du wieder in Neuseeland bist.“

„Du hast mich beobachten lassen?“ Empörung lag in ihrer Stimme. „Warum?“

Zandro presste die Lippen aufeinander. „Ich wollte sichergehen, dass es dir gut ging. Immerhin bist du Nickys Mutter. Und Rico liebte dich.“

Rico, sein jüngerer Bruder, der das Leben geliebt und für den Augenblick gelebt hatte, war den Beschränkungen und Erwartungen der Brunellesci-Familie entflohen. Er hatte seinen Preis gezahlt und war viel zu früh im Wrack seines schnellen Autos umgekommen. Ein Baby und eine verzweifelte junge Frau, die mit ihrem Schicksal nicht fertig geworden war, blieben zurück.

Hatte sich Zandro, nachdem er das Kind seines Bruders zu sich genommen hatte, Sorgen um Lia gemacht? Schwer zu glauben.

„Ich bin zurechtgekommen. Meine … meine Freunde haben mir geholfen, als ich wieder in Neuseeland war.“

„Bessere Freunde als die, die ich in Sydney gesehen habe, hoffe ich.“

In Sydney hatten sich Lia und Rico kennengelernt; sie hatte dort einen Ferienjob angenommen, er wollte seiner Familie entfliehen.

Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, das hatten sie zumindest geglaubt. Als er Lia gesehen hatte, waren alle anderen Frauen für Rico Luft gewesen. Und sie hatte ebenso für ihn empfunden. Ihre Beziehung wurde von ihrem Lebenswandel bestimmt, schnell und wild. Sie waren jung, interessierten sich nur füreinander und genossen jeden Augenblick, als hätten sie geahnt, wie wenig Zeit ihnen vergönnt war. Vielleicht wussten sie tief in ihrem Inneren, dass eine solche Liebe nicht ewig währen konnte. Dass sie so grausam enden musste, hätte Lia sich jedoch nie träumen lassen.

Als sie zurück nach Neuseeland kam, hatte sie erkannt, wie wenige verlässliche Freunde sie noch hatte, seit ihr stets lustiger Geliebter tot und mit ihm sein Geld versiegt war. Nur ein schreiendes Baby und ein gebrochenes Herz waren ihr geblieben.

Eine untersetzte Frau mittleren Alters kam mit einem Tablett herein. Überrascht sah sie auf den Arm des Gastes. „Sie sind verletzt? Kann ich Ihnen etwas bringen?“

Zandro warf einen Blick auf die Kompresse. „Vielleicht noch ein bisschen Eis? Was denkst du, Lia?“

„Nein, danke, es geht schon. Vielleicht könnten Sie das hier mitnehmen?“ Sie wickelte die Kompresse von ihrem Arm und reichte sie der Hausangestellten.

Zandro schenkte ihnen Kaffee ein. „Du hast dich ziemlich verändert.“

„Findest du?“ Sie seufzte. „Nach Ricos Tod und dem Verlust des Babys konnte ich wohl kaum die Alte bleiben.“

In seinem Blick glaubte sie so etwas wie Mitgefühl aufflackern zu sehen, aber da täuschte sie sich sicher. Sofort war sein Gesicht wieder eine harte Maske. „Tatsache ist, dass du keine Handhabe hast. Du hast damals zugestimmt, und alles ist legal abgelaufen.“

Er war so viel cleverer gewesen als Lia. Er hatte sie zum Anwalt gebracht – zu seinem Anwalt – und sich zum Vormund ihres Babys machen lassen. Natürlich war der Vertrag wasserdicht.

Sie biss die Zähne aufeinander und blickte in ihre Kaffeetasse. „Soweit ich weiß, können Eltern eine Vormundschaft auch wieder rückgängig machen.“

„Und du würdest deine Tauglichkeit als Mutter vor Gericht prüfen lassen?“

Sie war sich bewusst, dass sie sich auf unsicherem Boden bewegte, dennoch sagte sie mit voller Überzeugung: „Wenn du so weit gehen willst. Ich habe nichts zu verbergen.“ Was für eine Lüge. Aber in einer verzweifelten Situation musste man bisweilen zu anderen Mitteln greifen.

„Nichts?“ Er sah sie ungläubig an.

Er konnte unmöglich von ihrem Geheimnis wissen. Seine Skepsis beruhte auf seinem mangelnden Wissen über Lias Zustand kurz nach dem Tod seines Bruders.

Wenn ihre gewagte Aktion aufflöge, würde sie dennoch vor Gericht gehen, die Wahrheit sagen und alles tun, um Dominic nach Hause zu holen, wo er hingehörte. In ein anständiges Zuhause, wo er um seiner selbst willen geliebt werden würde. Wo er den Lebensweg wählen durfte, der ihm behagte, und nicht mit den Vorstellungen der Brunellescis indoktriniert werden würde. Und wo er niemals in eine Rolle gedrängt werden würde, an der er zerbrechen könnte.

Zandro starrte sie an. „Eine alleinerziehende Mutter“, sagte er ruhig, „mit … sagen wir zweifelhaften Verbindungen. Hast du seitdem übrigens einmal einen Job gehabt?“

„Natürlich.“ Kein Grund zur Panik. Sie war nicht verpflichtet, seine Fragen zu beantworten. „Ich bin nicht vermögend, aber ich besitze ein Haus.“ Ihre Eltern hatten ihr das Haus nach ihrem Tod vererbt. Es war zwar nur ein kleiner Vorstadt-Bungalow in Auckland, aber es war ein Haus. Natürlich könnten sie und Dominic nicht dort bleiben. Sie würde das Haus verkaufen, aber das ging Zandro nichts an. „Ich werde gut für Dominic sorgen. Ich werde alles für ihn aufgeben.“

„Und wie lange wird dieser plötzliche Lebenswandel anhalten?“

„Das ist kein plötzlicher Lebenswandel. Das ist Mutterliebe.“ Sie hielt seinem Blick stand.

Er seufzte theatralisch.

„Du könntest es ihm leichter machen“, erwiderte sie, ohne auf seinen Sarkasmus einzugehen.

Zandro leerte hastig seine Tasse und ließ sich ihr gegenüber in einen Sessel gleiten. „Hier ist er glücklich, hat alles, was er braucht, und wenn du die liebende Mutter wärst, die du vorgibst zu sein, dann würdest du ihn einfach hier lassen.“

Sie musste sich zur Ruhe zwingen und tief durchatmen. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, fuhr er fort: „Ich schlage vor, du besuchst ihn so oft du kannst, solange du hier bist. Dann kannst du dich überzeugen, dass er es nirgends besser hätte. Und wenn es funktioniert, können wir über ein Besuchsrecht sprechen.“

„Das ist wohl kaum ein Ersatz für ein Zusammenleben unter einem Dach.“ Besuche waren nicht dasselbe, wie mit dem Jungen in einem Haus zu wohnen, ihn aufwachsen zu sehen, ihn jeden Abend zu Bett zu bringen, all die Dinge, die Eltern so machten.

Zandro schien nachzudenken, dann, nach einer kleinen Pause, sagte er: „Ich weiß, dass es nicht dasselbe ist. Willst du hier einziehen?“

Einen Moment begriff sie nicht, was er meinte. Dann blinzelte sie. „Du lädst mich hierher ein?“

Er sah aus, als bereute er es schon. „Du könntest dich selbst überzeugen, dass er in den besten Händen ist, und mit einem guten Gefühl heimreisen.“

Keine Chance. Aber das sagte sie nicht laut, sonst würde er sein Angebot womöglich zurückziehen. „Okay.“ Sie zwang sich, sogar noch ein Dankeschön hinzuzufügen.

Sie würde nicht mit offenen Armen empfangen werden, dessen war sie sich bewusst. Wie würden Zandros Eltern auf diese sonderbare Einladung reagieren? Nach dem Verhalten seines Vaters zu urteilen, musste sie mit Abweisung, wenn nicht gar Beleidigungen rechnen. Aber sie war nicht hergekommen, um eine gemütliche Zeit zu verleben. Dominic brauchte sie, und allein darum ging es.

Offenbar hatte sie Zandro mit ihrer Reaktion wieder überrascht. Seine Finger umschlossen fest die Lehne seines Sessels, bevor er sie allmählich entspannte. „Ich werde meine Mutter bitten, dir ein Zimmer richten zu lassen.“

Sie fühlte sich ein wenig schwindelig. Die Dinge entwickelten sich schneller, als sie erwartet hatte. Und obwohl er nichts versprochen hatte, außer dass er Dominic nicht aufgeben würde, hatte sie Hoffnung. Er konnte doch nicht ernsthaft glauben, sie würde einfach ein bisschen hier bleiben und dann kampflos abziehen.

„Wann soll ich hier sein?“ Besser, sie nagelte ihn fest, bevor er es sich anders überlegen konnte.

Er zuckte mit den Schultern, obwohl er sehr offensichtlich um Gelassenheit rang. „Gib mir ein bisschen Zeit, um zunächst mal meine Eltern zu informieren …“

Sie setzte die Kaffeetasse ab. „Gut. Ich gehe dann jetzt und packe meine Sachen.“ Das würde nicht lange dauern. Sie würde ihm nicht die Gelegenheit geben, sich aus der Affäre zu ziehen. „Ich habe mir ein Auto gemietet. Kann ich es hier unterstellen? Ich werde es nicht oft brauchen.“

„Gib es zurück. Du wirst heute Abend abgeholt werden.“ Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „So gegen sieben. Du kannst mit uns zu Abend essen.“

Wie aufmerksam, dachte sie ironisch, verkniff sich aber eine Bemerkung. Ob der alte Herr wohl sein Veto einlegen würde?

Wenn es Einwände gegeben hatte, dann hatte Zandro sie ausgeräumt. Der Wagen, eine Limousine mit dem Firmenlogo auf der Seite, traf pünktlich ein und fuhr sie auf direktem Weg zu dem Anwesen der Brunellescis. Mrs Walker öffnete ihr die Tür.

Als der Fahrer gerade dabei war, ihren Koffer aus dem Kofferraum zu nehmen, kam Zandro dazu. „Ich kümmere mich darum, Mrs Walker.“

Er musterte seinen Gast kritisch. Sie hatte sich umgezogen und trug nun ein kühles Baumwollkostüm und dazu schlichte, aber elegante Sandaletten.

„Guten Abend, Lia. Mrs Walker wird dich hochführen. Ich bringe den Koffer gleich zu deinem Zimmer.“ Dann wandte er sich an den Fahrer.

Die Hausangestellte brachte sie in einen großen, elegant eingerichteten Schlafraum. Eine edle Tapete in Cremegold verlieh dem Zimmer eine mediterrane Note, die bronzefarbene Satintagesdecke über dem breiten Bett rundete die gelungene Komposition perfekt ab. Das angrenzende Bad war großzügig und ebenfalls sehr elegant eingerichtet.

Mrs Walker zog sich diskret zurück, als Zandro mit dem Koffer eintrat und ihn in die Ecke stellte. „Brauchst du noch etwas?“

„Nein, danke.“ Sie konnte sich ebenso kühl und höflich geben.

„Du kennst den Weg zum Esszimmer. Wir erwarten dich in circa zwanzig Minuten.“ Er sah sie fragend an. „Wenn du vorher noch einen Drink möchtest, findest du uns im Salon.“

„Ich hätte gerne einen Gin Tonic“, bat sie.

Er neigte den Kopf und ging hinaus.

Sie durchmaß den Raum, schloss die Tür hinter ihm und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Mit einem Mann wie Zandro Brunellesci in einem Raum zu sein, war sehr anstrengend. Immer wenn er sich in ihrer Nähe befand, fühlte sie seine Kraft und Autorität. Das machte sie nervös.

Aber wenn sie mit Dominic in einem Haus leben wollte, musste sie die aufreibende Gegenwart Zandros und ihre beunruhigende Wirkung auf sich akzeptieren.

Ein Blick in den Spiegel über dem antiken Schminktischchen verriet ihr, dass sie zufrieden sein konnte. Ihre Wangen hatten eine gesunde Farbe, ihre Augen glänzten herausfordernd.

Ganz gleich, wie Respekt einflößend Zandro auch sein mochte, sie musste sich gegen ihn behaupten. Er durfte niemals erfahren, auf welch wackligen Beinen ihre Argumentation stand. Also straffte sie die Schultern.

Sie musste ihre Mission durchführen. Schritt für Schritt. Und der erste Schritt war, hinunterzugehen und sich dem Feind zu stellen. Allein gegen die drei Brunellescis.

3. KAPITEL

Im Salon, hatte Zandro gesagt. Sie folgte den Stimmen zu einer offen stehenden Tür. Zandros Gesicht sah sie als Erstes. Er stand da und sprach mit seinem Vater. Über die Schulter des alten Mannes hinweg fanden sich ihre Blicke, und er verstummte sogleich.

Domenico drehte sich um. Sein Blick ruhte auf ihr, als sie in der Tür stehen blieb. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und nickte ihr kurz zu: „Guten Abend, Lia.“

Ruhig erwiderte sie den Gruß und trat ein. Eine mütterlich wirkende Frau in einem geblümten Seidenkleid, deren ergrautes Haar zu einem Knoten geschlagen war, saß mit ihrem Enkel auf dem Sofa.

Die alte Dame sah verunsichert auf: „Buona sera, Lia.“

Dominic trug einen gelben Schlafanzug mit aufgedruckten Teddybären. Schwarze Locken fielen ihm in die Stirn. Aus großen dunklen Augen sah er die fremde Frau neugierig an, die nun mit geöffneten Armen auf ihn zukam.

Plötzlich barg er sein Gesichtchen am Busen der Großmutter.

Sie ließ die Arme fallen, fühlte sich verunsichert und wusste nicht, was sie tun sollte.

Dann war Zandro an ihrer Seite. Er hielt ihr ein Glas hin. „Dein Gin Tonic.“

Seine Stimme war tief und rau. Er nahm sie beim Arm und führte sie zu einem Sofa.

Natürlich erkannte der Junge sie nicht. Ihr Verstand wusste das, aber sie hatte sich zu dieser emotionalen Geste hinreißen lassen.

Zandro verzichtete auf eine besserwisserische Bemerkung und nippte stattdessen an seinem Bier. „Nicky ist bei Fremden anfangs etwas schüchtern. Aber am Ende siegt immer die Neugier.“

Als wollte er Zandros Aussage bestätigen, drehte der Kleine den Kopf, bis er sie mit einem Auge beobachten konnte. Als er sah, dass sie seinen Blick erwiderte, drückte er sein Gesicht schnell wieder an seine Großmutter.

Zandro lachte, aber sie konnte nicht einstimmen. Sie hatte nicht geahnt, dass sie ihren Gefühlen derart ausgesetzt sein würde. Die Vorstellung, Kinder zu haben, hatte sie immer vage in die Zukunft geschoben, bevor sie von Dominic erfahren hatte. Nun aber wurde sie mit einem lebendigen, atmenden Baby konfrontiert, und das schockierte sie. Mit einem Mal wurde aus dem „Baby“ eine Persönlichkeit, die ihrer Verantwortung unterstand.

Erneut schwor sie, alles zu tun, um ihn glücklich zu machen.

Mrs Brunellesci sah zu dem Kind auf ihrem Schoß, strich ihm über die weichen Locken und murmelte etwas auf Italienisch.

Sie liebt ihn.

Der Gedanke traf sie wie ein Blitz. Sie sollte froh sein, dankbar. Wenn Zandro den Kleinen als eine Verantwortung, eine Pflicht ansah, der alte Mann ihn als Garantie für die Zukunft seines Unternehmens, dann gab es immerhin eine Person, die das Kind um seiner selbst willen liebte.

Aber ich muss ihn hier wegholen.

Zweifel kamen ihr. Ist es fair? Kann ich ihm das antun? Oder ihr? Ihr Magen verkrampfte sich.

Der Gin tat seine entspannende Wirkung. Zandro war großzügig damit und sparsam mit dem Tonic gewesen.

Mrs Brunellesci fragte mit starkem Akzent: „Sind Ihre Räume in Ordnung, Lia?“

Sie versuchte ein Lächeln. „Sie sind wunderbar. Danke, dass ich bleiben darf.“

„Zandro sagte, Sie möchten Ihren Sohn kennenlernen. Er sagt, Sie haben ein Recht darauf.“

Unwillkürlich sah sie Zandro an. Wieder empfand sie die starke Männlichkeit, die ihn umgab.

Ein Räuspern des alten Herrn lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ihn. Auf seinen Stock gestützt, blickte er sie finster an.

Zandro erhob sich. „Bitte setz dich doch, Papa, ich hole dir noch etwas zu trinken.“ Er geleitete seinen Vater zu einem Sessel.

Domenico schüttelte seine Hand ab und murmelte aufgebracht etwas auf Italienisch, bevor er erschöpft in den Sessel sank.

Zandro grinste unbeeindruckt, gab seinem Vater ein Glas Rotwein, das dieser missmutig nahm. Noch während er trank, brummte er vor sich hin.

Mittlerweile schien der Junge seinen Mut wiedererlangt zu haben. Neugierig hob er den Kopf und sah sich um. Er strampelte sich vom Schoß seiner Großmutter, glitt auf den Boden und krabbelte auf Händen und Füßen zu seinem Onkel.

Dieser beugte sich zu dem Kleinen hinunter, hob ihn auf und warf ihn in die Luft. Mit seinen starken Händen fing er ihn sicher wieder auf. Dominic jauchzte vor Freude, und Zandro lächelte zu ihm auf. Liebevoll küsste er das Kind auf die rosigen Wangen.

Es war erstaunlich. Keine seiner Bemerkungen hatte darauf hingewiesen, was er wirklich für seinen Neffen empfand. Panik stieg in ihr auf.

Jetzt kam Zandro mit dem Baby im Arm auf sie zu, setzte sich neben sie und nahm Dominic auf den Schoß.

Schüchtern starrte der Kleine die fremde Frau neben sich an, und Zandro sagte leise: „Nicky, das ist deine Mutter.“

„Ma?“ Das Kind sah ihn fragend an.

„Mutter“, wiederholte Zandro. „Ma-ma.“

„Mama“, kicherte Dominic und richtete sich auf den Knien seines Onkels auf. Er verlor das Gleichgewicht, aber Zandro fing ihn wieder auf.

Diesmal sah der Junge die Frau länger an, und schließlich streckte er die Hände aus. Sie streckte ihm ihre entgegen, und er schloss seine kleine Hand um zwei ihrer Finger. Sie fühlte sich, als hätte der kleine Junge nicht nur ihre Hand gedrückt, sondern ihr ganzes Herz.

Die Kinderfrau trat ein. „Bettzeit?“ Sie warf Dominic einen fragenden Blick zu. Der Kleine kletterte vom Schoß seines Onkels und wollte zu seiner Oma krabbeln, aber die Nanny schnappte ihn sich, und er lachte. Mrs Brunellesci gab ihrem Enkel einen Kuss.

Dann trat Zandro vor. „Barbara, das hier ist Lia Cameron, Nickys Mutter. Lia, das ist Barbara Ayreshire.“

Die Frau wirkte kaum überrascht. Vielleicht war sie vorgewarnt worden. „Hallo.“ Sie lächelte. „Er ist ein süßer Junge, nicht wahr?“

„Ja.“ Mehr brachte sie nicht hervor, obwohl sie der Frau dafür gratulieren sollte, wie gut sie mit Dominic umging, auch wenn es nur ein bezahlter Job war.

Barbara Ayreshire aß mit ihnen zu Abend. Das Babyfon lag auf dem Sideboard. Sie saß zu Domenicos Rechten, neben Zandro, während die alten Brunellescis an den Kopfenden Platz nahmen. Lia sollte zur Linken Domenicos sitzen.

Sie war sich seiner Ablehnung während des ganzen Essens bewusst. Zandro saß ihr gegenüber. Er musterte sie aus seinen dunklen Augen über den Tisch hinweg, und sie weigerte sich, den Blick abzuwenden, denn das hätte Schwäche bedeutet. Also starrte sie zurück, bis seine Aufmerksamkeit auf anderes gelenkt wurde oder die Haushälterin den nächsten Gang servierte.

Mrs Brunellesci richtete ab und zu ihr Wort an Lia und versuchte, eine höfliche Konversation aufrechtzuerhalten. Auch Zandro und Barbara bemühten sich, sie an den Gesprächen teilhaben zu lassen. Dennoch waren alle gleichermaßen erleichtert, als das Essen vorüber war.

Der Kaffee wurde im Salon serviert. Während die anderen sich setzten, entschuldigte sich Barbara und ging mit ihrer Tasse nach oben. Beneidenswert.

„Lia?“ Zandro reichte ihr eine Tasse. „Ich habe ihn für dich gesüßt.“

„Danke.“ Er hatte sich daran erinnert, wie sie ihren Kaffee trank. Sie sollte sich entspannen. Stattdessen wurde sie nervös. Seinem Blick entging nichts. Sie fühlte sich, als könne er bis in ihre Seele sehen und ihre tiefsten Geheimnisse erraten.

Und sie hatte definitiv ein Geheimnis zu viel. Er durfte es niemals herausfinden.

Rasch trank sie den Kaffee aus und erhob sich. „Wenn Sie entschuldigen …“

„Sicher sind Sie erschöpft“, stellte Mrs Brunellesci mitfühlend und doch offensichtlich erleichtert fest. „Wie sagten Sie, in Neuseeland ist es schon zwei Stunden später?“

Zandro brachte sie zur Tür. „Gute Nacht, Lia. Wenn du noch etwas brauchst, wird sich Mrs Walker darum kümmern.“

Nicht im Traum würde sie daran denken, die Haushälterin zu behelligen, aber sie nickte. „Danke.“

Als sie die Treppe hinaufschritt, spürte sie ein Kribbeln im Rücken. Zandros Blick ruhte immer noch auf ihr. Es kostete sie viel Kraft, sich nicht umzudrehen. Und dann hatte sie endlich die Sicherheit ihres Zimmers erreicht.

Sie würde sich nicht von ihm einschüchtern lassen. Von ihm nicht und von niemand anders.

In welchem Zimmer wohl Nicky schlief? Jetzt nannte sie ihn auch schon so. Zuerst hatte es sie geärgert, dass er einen Kosenamen trug, den seine eigene Mutter nicht kannte. Aber der Name passte zu ihm. In den Namen seines Großvaters mit allen Erwartungen würde er vielleicht später hineinwachsen. Würde er dann ebenso gefühllos und richtend wie die anderen männlichen Mitglieder der Familie werden?

Nicht wenn sie es verhindern konnte! Die Worte, laut ausgesprochen, hallten im Raum wider. Trotz der Hitze draußen erschauerte sie. Heute hatte sich die Familie liebevoll gegeben, aber einem Baby gegenüber war das auch nicht schwer. Wenn er heranwüchse, würde er nicht unausweichlich wie Rico unter den Erwartungen leiden? Würde er so lange unter Druck gesetzt werden, bis er sich entweder fügte oder rebellierte?

Rico hatte rebelliert, aber der Schatten der Familie hatte in der kurzen Zeit mit Lia stets auf ihm gelastet, sodass die beiden sich in ihre eigene Welt zurückgezogen hatten.

In diese Welt war Zandro eingedrungen. Lias Gegenwart hatte er arrogant ignoriert, und seinem Bruder hatte er von Familienehre, Verpflichtungen und der Enttäuschung seiner Eltern gepredigt. Und er hatte ihm immer wieder gesagt, dass es einen Ort gäbe, an dem er immer willkommen wäre, wenn er zur Vernunft kam.

„Das ist emotionale Erpressung!“, hatte Lia später geschimpft. „Hör nicht auf ihn. Er will dir nur Schuldgefühle einreden und dich manipulieren.“ Sie hatte nicht glauben können, dass Zandro irgendwelche echten Gefühle hegte. Sein Blick war eiskalt gewesen. Für sie und das kleine Apartment, das Lia und Rico geteilt hatten, hatte er kein Verständnis aufbringen können. Und ihren Lebensstil hatte er kategorisch abgelehnt.

Natürlich hatte er sie für verantwortungslos gehalten. Er hatte Rico sogar mit Enterbung gedroht.

„Deine Freundin“, hatte er seinen jüngeren Bruder versucht einzuschüchtern, „fände das sicher nicht schön. Meinst du, sie wird noch so große Stücke auf dich halten, wenn du kein Geld mehr hast?“

Danach hatte Rico ihn einfach aus der Wohnung geworfen. Er hatte sich damit ein einziges Mal gegen seinen älteren Bruder Zandro aufgelehnt. Um Lia zu verteidigen.

Frühstück, so hatte sie Mrs Walker informiert, wurde um halb acht serviert. Bevor Zandro ins Büro ging. „Ich kann Ihnen aber auch später etwas bringen.“

„Nein, halb acht ist wunderbar.“ Sie wollte der Haushälterin nicht noch mehr Arbeit machen. Und obwohl es sie viel Kraft kostete, sich der Familie zu stellen, wollte sie doch möglichst viel von ihrem Alltag mitbekommen.

Fünf Minuten vor halb verließ sie ihr Zimmer und vernahm die gedämpfte Stimme von Barbara Ayreshire aus einem der Räume. Dann hörte sie Nickys zartes Kinderstimmchen.

Sie folgte den Stimmen, bis sie vor einer angelehnten Tür stand, die sie vorsichtig aufschob.

In der einen Ecke des Zimmers stand ein blaues Kinderbettchen mit zerwühlten Bettdecken. Darüber hing ein Clown-Mobile.

Die Nanny beugte sich gerade zu dem kleinen Jungen hinunter, um ihn aus dem Bett zu heben. Über ihre Schulter hinweg zeigte er auf die Frau in der Tür und sagte: „Da!“

„Oh, guten Morgen, Miss Cameron.“

„Guten Morgen.“ Ihr Blick ruhte auf dem Kind. „Nennen Sie mich doch Lia, bitte.“ Sie bemühte sich, gelassen, freundlich zu klingen.

Die Art, in der sich der Kleine vertrauensvoll an die Kinderfrau schmiegte, eine Hand an ihrem zartrosa Kragen, die Wange an ihrer Schulter, löste sonderbare Gefühle in ihr aus.

„Meinen Sie, er würde auf meinen Arm kommen?“ Sie machte einen zaghaften Schritt auf die beiden zu.

„Wir können es versuchen. Vielleicht kennt er Sie noch von gestern Abend.“

Diesmal würde es keine Zeugen außer der Kinderfrau geben, wenn er sich von ihr abwandte. „Nicky?“

Der Junge blickte Barbara fragend an. „Das ist deine Mama“, erklärte sie. „Möchtest du mit ihr kuscheln?“

Dominic sah auf die einladend geöffneten Arme und streckte dann seine aus, und die Kinderfrau reichte ihn hinüber.

Er war überraschend schwer, als er sich an sie schmiegte. Er war warm und duftete nach Shampoo und … Baby. Vertrauensvoll lehnte er sich an ihre Brust, griff nach einer Haarsträhne und sah sie an, als erinnere er sich an ihre Gesichtszüge.

Kam sie ihm trotz allem vertraut vor? Sicher gab es auch gewisse Ähnlichkeiten zwischen ihnen beiden.

Dann lächelte er, wobei eine Reihe Mausezähnchen sichtbar wurde, und sie musste die Tränen zurückhalten. Schöne und traurige Erinnerungen regten sich in ihr.

Er war ein süßes Kind, und es war ungerecht, dass er seiner Mutter beraubt worden war, dass sie seine Entwicklung in den letzten zehn Monaten nicht hatte miterleben dürfen, sein erstes Lächeln, seinen ersten Zahn, wie er anfing zu krabbeln. Selbst seinen ersten Geburtstag hatte sie um ein paar Wochen verpasst.

Wie konnten die Brunellescis entscheiden, dass ein Kind besser ohne seine Mutter aufwuchs? Lia war vielleicht mittellos gewesen und hatte wenig Erfahrung gehabt, aber Ersteres hätte sie mithilfe der Brunellescis überwinden können, und Letzteres hätte sich mit der Zeit gegeben.

Dominic zog an ihren Haaren. „Vorsichtig, Nicky“, mahnte Barbara.

„Schon in Ordnung.“ Zärtlich lockerte sie die kleine Hand, die sich prompt um ihren Finger schloss. Sie drückte einen Kuss auf seine rosige Wange.

Nicky grinste sie verschmitzt an. Dann bot er ihr seine andere Wange zum Kuss, und als sie ihn küssen wollte, duckte er sich schelmisch. Sie musste lachen. Er genoss das Spiel ganz offensichtlich.

„Du kleiner Frechdachs.“ Barbara zwinkerte ihr zu. „Später wird er den Mädchen den Kopf verdrehen.“ Sie sah auf die Uhr. „Gehen Sie zum Frühstück hinunter?“

„Ja. Sie auch?“

„Nicky und ich frühstücken in der Küche. Seine Tischmanieren lassen etwas zu wünschen übrig, nicht wahr, junger Mann?“

Er wurde also nicht am Familientisch geduldet? Am liebsten hätte sie die beiden in die Küche begleitet, aber das wäre ihrer Mission wenig dienlich.

Als sie hinunterging, saßen die drei Brunellescis bereits an dem ovalen Marmortisch. Ein Teewagen mit Müsli, Brot, Obst und Brotaufstrichen sowie diversen Marmeladen stand in Reichweite.

„Verzeihen Sie die Verspätung“, entschuldigte sie sich. Zandro erhob sich, um ihr den Stuhl zurechtzurücken. Domenico nickte ihr über seine Zeitung hinweg zu.

Seine Frau sah sie entschuldigend an. „Buon giorno, Lia.“

Zandro schenkte ihr Kaffee ein. „Hast du gut geschlafen?“ Er klang kühl, aber höflich.

„Ja, danke.“

„Möchtest du eine Scheibe Toast?“

„Ich esse morgens nicht viel. Ein bisschen Obst und Müsli reicht mir aus.“ Sie nahm sich eine Schale mit Cornflakes und setzte sich wieder. Glücklicherweise zitterte ihre Hand kaum.

Zandros Blick ruhte auf ihr, erforschte ihren Körper interessiert, aber leidenschaftslos. „Damals warst du sehr dünn …“

Mrs Brunellesci wies ihn unerwartet zurecht: „Zu knochig. Domenico!“ Sie wandte sich an ihren Mann. „Lia sieht viel besser aus, findest du nicht? Gesünder. Eine Frau sollte wie eine Frau aussehen, was meinst du?“

Das Familienoberhaupt musterte sie eisig. „Besser“, stimmte er zu und raschelte dann wieder geschäftig mit seiner Zeitung.

Zandros Lippen zuckten. Er versuchte, nicht zu lachen.

Dieser Mann hatte immerhin Sinn für Humor. Und die Tatsache, dass er über seinen Vater schmunzeln musste, ließ Domenico milder wirken.

Mit einem kleinen Lächeln nickte sie Zandro zu, der ihren Blick ohne mit der Wimper zu zucken erwiderte. Diesmal wich sie ihm zuerst aus. Rico hatte gesagt, die beiden seien aus demselben Holz geschnitzt, beide hart und eiskalt. Sie interessierten sich mehr für das Unternehmen als für alles andere. Um die Firma und den Familiennamen zu schützen, opferten sie alles, selbst Rico, ihren Sohn … Sie durfte sich nicht von Zandros Zuneigung zu Nicky blenden lassen. Diese Sympathie würde sicher nicht über das Kleinkindalter hinausgehen.

Zandro verließ den Tisch als Erster, wahrscheinlich musste er ins Büro. Kurz darauf entschuldigte sie sich ebenfalls.

In ihrer Abwesenheit war ihr Bett gemacht worden. Sie war es nicht gewohnt, dass jemand ihr die Arbeit abnahm, und beschloss, ab morgen ihr Zimmer vor dem Frühstück in Ordnung zu bringen. Außerdem würde sie Mrs Walker fragen, wann die Betten frisch bezogen würden und wo sich die Bettwäsche befand.

Sie hörte Schritte auf dem Teppich im Flur und sah Barbara vorübergehen. „Wo ist Nicky?“

„Bei seiner Großmutter“, gab Barbara zurück. „Das ist ihre gemeinsame Zeit, während ich unsere Zimmer aufräume. Später gehen wir in den Park.“ Sie zögerte. „Möchten Sie uns vielleicht begleiten?“

Es war unmöglich, dass die Kinderfrau die Kälte und Anspannung, die seit ihrer Ankunft im Haus herrschte, nicht bemerkt haben könnte. Vielleicht fürchtete sie sogar um ihren Arbeitsplatz. Dennoch war sie freundlich.

Obwohl der Gedanke, mit dem alten Brunellesci durch den Park zu spazieren, nicht reizvoll war, sollte sie jede Gelegenheit nutzen, das Kind zu sehen.

Sie atmete tief durch. „Sehr gerne, vielen Dank.“

„Um zehn dann. Wir sehen uns unten.“

Um kurz vor zehn war sie unten. Barbara setzte Nicky gerade in den Buggy. „Mr Brunellesci kommt heute nicht mit.“

„Ist er wütend, weil Sie mich eingeladen haben mitzukommen? Ich hoffe, Sie haben meinetwegen keinen Ärger.“

„Ich kriege keinen Ärger. Bruce begleitet uns, Mrs Walkers Mann. Er kümmert sich um den Garten. Gehen wir?“

Sie klang, als wäre alles in Ordnung, aber sie vermied Blickkontakt. Es war nicht schwer zu erkennen, dass sie aufgebracht war.

Gemeinsam stiegen sie die Treppe hinab, als ein untersetzter Mann in Hemd, Jeans und Stiefeln zu ihnen stieß. „Bruce“, stellte Barbara vor, „das ist …“

„Lia. Ich bin Nickys Mutter.“ Seine Frau hatte ihn offenbar schon informiert, denn er machte keinen überraschten Eindruck und lächelte sie freundlich an.

Draußen wölbte sich der blaue Himmel endlos über ihnen, und der Ozean verlor sich am Horizont.

Im Park hob Barbara Nicky auf die Schaukel und schubste ihn ein paar Mal an. „Möchten Sie weitermachen, Lia?“

„Sehr gerne.“ Sie stand vor der Schaukel, denn sie wollte sein Gesicht sehen, damit sie erkennen konnte, wie hoch sie ihn anschaukeln durfte.

Er strampelte mit den Beinchen. „Er möchte höher schaukeln“, bemerkte Barbara.

Sie schubste ihn fester an, und er jauchzte auf. Sein Lachen war ansteckend. Es kam ihr vor, als habe sie ewig nicht mehr wirklich gelacht.

Nach einer Weile gingen sie zum Strand hinunter, und Nicky wollte sofort ins Wasser. „Du kannst später in deinem Planschbecken sitzen“, vertröstete ihn Barbara.

Sie zog ihm die Sandalen aus, um seine Füße vom Sand zu befreien.

„Die muss er wahrscheinlich tragen, nicht wahr?“ In Australien gab es Schlangen und Giftspinnen und anderes, mit dem sich Neuseeländer nicht herumschlagen mussten.

Barbara sah zu ihr auf. „Die Brunellescis sind sehr vorsichtig. Sie wollen, dass ihm nichts zustößt.“

„Ist deshalb auch Bruce bei uns?“ Der Mann saß einige Meter entfernt sichtlich gelangweilt in der Sonne. „Glauben sie, ich würde Nicky kidnappen?“

„Ich weiß nicht, was sie denken. Zandro meinte, Sie möchten Nicky kennenlernen. Er hat mich um meine Meinung gebeten.“

„Wirklich?“ Sie war überrascht, dass Zandro sich überhaupt für eine andere Meinung interessierte als für die eigene. „Und was haben Sie gesagt?“

Barbara schloss die andere Sandale. „Dass ich es gutheiße. Ich kenne zu viele Eltern, die sich nichts aus ihren Kindern machen.“

„Danke!“

„Jedes Kind hat das Recht, seine Mutter zu kennen. Niemand kann sie ersetzen.“

Nach dem morgendlichen Ausflug zog sie sich in ihr Zimmer zurück und sah sich die Bücher im Regal an, eine Mischung aus Klassikern und modernen Thrillern. Doch es gelang ihr nicht, sich abzulenken. Stattdessen grübelte sie die ganze Zeit darüber nach, wie sie das Vertrauen des Jungen gewinnen und ihn mit nach Hause nehmen konnte.

Unsicherheit quälte sie, aber sie durfte dem nicht nachgeben. Wenn sie sich daran erinnerte, wie die Familie skrupellos Nicky von seiner Mutter getrennt hatte, wurde sie wieder zornig.

Jeglicher Gedanke, dass Zandro sie aus schlechtem Gewissen eingeladen hatte, war sicherlich fehl am Platz. Er traute ihr nicht und wollte sie unter Aufsicht wissen.

Zwischen den Büchern entdeckte sie ein Taschenwörterbuch Italienisch-Englisch und versuchte, sich an das Wort zu erinnern, mit dem Domenico sie betitelt hatte … irgendetwas mit C. Unten auf der Seite fand sie es: Cagna. Hexe.

Ein hartes Wort für einen so eleganten alten Herrn.

Die Zeit nach dem Lunch, an dem Domenico nicht teilnahm, verbrachte sie mit Nicky und Barbara im Garten, während Mrs Brunellesci in ihrem Zimmer ruhte. Umgeben von einem kindersicheren Zaun befand sich ein kleiner Pool, und daneben war ein Planschbecken aufgebaut. Darin planschte Nicky glücklich, umgeben von einer ganzen Flotte Plastikspielzeug.

Als er seines Spiels schließlich müde geworden war, streifte er im Garten umher und fand unzählige Dinge, die sein Interesse weckten. Ein Gänseblümchen, eine unscheinbare Motte, ein heruntergefallenes Blatt. Er liebte die bunten Vögel, die in den Bäumen zwitscherten, und klatschte begeistert in die Hände, als erfreue er sich an dem Schauspiel der ganzen Welt.

Später wurde er zu einem späten Mittagschlaf hingelegt, und Mrs Brunellesci ließ sich mit einer Nadelarbeit unter ihrem Sonnenschirm auf der Veranda nieder.

„Lia“, rief sie. „Setzen Sie sich zu mir. Möchten Sie etwas trinken? Die Sonne ist stark heute, auch wenn wir noch nicht Sommer haben.“

„Nein, danke. Ich hole mir etwas, wenn ich Durst bekomme. Haben Sie gut geschlafen?“ Diese Frau war ihre einzige Chance, den alten Herrn und den Sohn zu beeinflussen. Momentan stellte Domenico das größte Hindernis dar, obwohl sie darauf tippte, dass Zandro sich am Ende als schwieriger erweisen würde.

„Ich habe geruht, nicht geschlafen.“ Mrs Brunellesci runzelte die Stirn über ihren dunklen Augen, die sie ihrem Sohn vererbt hatte.

Eine Weile kramte sie in ihrer Kiste mit den bunten Seidenfäden. Dann wählte sie einen leuchtend roten und schnitt ein Stück ab. Sie setzte sich die Brille auf und seufzte. „Alt zu werden ist ein Fluch. Meinen Domenico macht es ganz unleidlich.“

„Ich denke, vieles macht ihn unleidlich.“ Das war sicher kein kluger Anfang. Sie musste ihre Zunge hüten. „Es tut mir leid, ich meinte …“

Die alte Dame sah auf. In ihren Augen funkelte es amüsiert. „Das ist wahr“, stimmte sie zu. „Dieser Mann hat Temperament.“

Ganz offensichtlich war sie stolz auf ihren Domenico. Die Launen ihres Mannes vermochten sie nicht zu erzürnen.

Mit gesenktem Kopf begann Mrs Brunellesci zu sticken. „Vielleicht“, fuhr sie leise fort, „wäre mein Rico nicht davongelaufen, wenn Domenico sein Temperament gezügelt hätte. Vielleicht wäre er nicht …“

Gestorben. Das grausame Wort hing in der Luft.

„Es tut mir leid.“ Wie sollte man eine Mutter trösten, die immer noch um ihren Sohn trauerte?

„Er hat mir das Herz gebrochen. Aber eine Mutter hört nie auf zu lieben.“

„Ja.“

Die Nadel stand still. Wieder hob die alte Dame den Kopf. „Wir lieben unseren Nicky“, sagte sie. „Wir kümmern uns gut um ihn, nicht wahr? Wir lieben ihn sehr.“

„Ich weiß.“ Aber Rico hatten sie auch geliebt, und dennoch hatten Zandro und Domenico ihn aus seiner Familie vertrieben, weil ihre Liebe begrenzt gewesen war und nicht bedingungslos wie die von Mrs Brunellesci.

„Ich liebe Nicky auch.“

Das stimmte, auch wenn viel Zeit vergangen war und sie jetzt erst kurze Zeit mit ihm verbracht hatte. Blutsbande waren mächtig. Sie wünschte, ihre eigenen Eltern könnten ihr Enkelkind sehen, es halten und wären in der Gewissheit gestorben, dass sie in ihm weiterlebten.

Aber sie waren zu früh gegangen, wie Rico. Sie waren nicht so jung gewesen wie er, aber dennoch zu jung, um zu sterben. Sie waren Opfer eines betrunkenen Fahrers geworden, der mit dem Wagen in ihr Auto gerast war und sie so weit von der Straße gedrängt hatte, dass sie in den Fluss gestürzt und dort ertrunken waren. Der Fahrer hatte Fahrerflucht begangen und nicht einmal versucht, ihnen zu helfen.

Lia hatte sich während des Begräbnisses zusammengerissen. In den darauf folgenden Monaten hatte sie jedoch immer häufiger zur Flasche gegriffen. Mit den falschen Leuten und zur falschen Zeit.

Als der Alkohol dann mit der Zeit ihre Arbeit beeinträchtigte, wurde ihr gekündigt, obwohl sie ihren Job als Reiseleiterin so geliebt hatte.

Vor lauter Scham hatte sie versucht, vom Alkohol loszukommen. Sie wollte einen neuen Anfang machen. Australien schien ideal.

Mit dem mageren Erbe ihrer Eltern hatte sie einen Flug nach Sydney gebucht, sich ein billiges Apartment gemietet und schließlich einen guten Job gefunden. Und dann war Rico aufgetaucht.

„Rico.“ Seine Mutter seufzte erneut und schüttelte den Kopf. „Er war schön, wie sein Sohn. Glücklich, lachte immer, als er noch ein kleiner Junge war.“ Sie hob die Hand und wischte eine Träne von ihrer Wange. „Ach, mein Rico. Sie haben ihn auch geliebt, Lia, nicht wahr?“

Es war eine Bitte, ein Flehen um Zustimmung dafür, dass er, auch nachdem er seine Familie verlassen hatte, geliebt worden war.

„Ja.“ Das war die einzige Antwort, die sie geben durfte, auch wenn es sich nicht richtig anfühlte. „Ich liebte ihn von ganzem Herzen.“

4. KAPITEL

Ein leises Geräusch ließ sie aufblicken.

Überrascht sah sie Zandro, der gerade auf die Veranda trat, in die Augen. Sie waren sehr dunkel und funkelten zornig, und er hatte die Lippen aufeinander gepresst.

Mrs Brunellesci lächelte. „Zandro! Du bist früh zurück.“

„Ja, Mamma.“ Sein Gesicht wurde weich, als er sich zu seiner Mutter hinunterbeugte und sie küsste. Mrs Brunellesci streichelte seine Wange.

„Lia.“ Er nickte ihr kurz zu. Sein Blick war kalt.

Sie versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen. „Hallo, Zandro.“

Zandro zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zwischen die beiden Frauen. „Mrs Walker bringt gleich kühle Getränke. Sie hat mir gesagt, dass ihr hier seid.“ Er sah einen Moment lang zu, wie seine Mutter stickte, dann fragte er: „Hast du etwas Zeit mit Nicky verbracht, Lia?“

„Wir waren heute Morgen mit Barbara im Park.“ Sie sah Mrs Brunellesci an, die sich über ihre Arbeit beugte. „Du brauchst keinen Bodyguard für ihn.“

Ihr Einwand schien ihn nicht im Geringsten zu interessieren. „Es ist meine Pflicht, den Jungen zu beschützen.“

Die Röte schoss ihr in die Wangen. „Bei mir ist er vollkommen sicher.“

Mrs Brunellesci sah unsicher von einem zum anderen. „Zandro tut das Beste für Nicky, Lia. Dafür solltest du Verständnis haben.“

„Das versuche ich“, entgegnete sie weich. Es brachte nichts, wenn sie jetzt die Beherrschung verlor. Jede Art von Unausgeglichenheit würde gegen sie sprechen. „Aber ich werde nicht gerne wie eine Verbrecherin behandelt.“

„Wenn ich eine Kriminelle in dir sähe, hätte ich direkt die Polizei gerufen, als du meine Familie bespitzelt hast.“

„Deine Familie? Dominic ist mein Sohn“, rief sie. „Außerdem habe ich niemanden bespitzelt.“

„Wie auch immer du es nennen willst“, gab er kühl zurück.

„Ich wollte nur sichergehen, dass er hier ist und es ihm gut geht.“

„Hoffentlich bist du diesbezüglich jetzt beruhigt.“

Erwartete er, dass sie nun, da sie ihr Kind gesehen hatte, ihre Sachen packte und nach Hause fuhr? Sie versteifte sich. „Ich bin erst einen Tag hier. Außerdem denke ich auch an sein zukünftiges Wohlergehen.“

„Genau wie ich.“ Seine Stimme hatte einen unnachgiebigen Unterton. „Nur weil du dir plötzlich in den Kopf gesetzt hast, ihn zurückzuholen …“

„Das ist keine Laune von mir!“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Ich habe ein Anrecht …“

Zandro schnitt ihr das Wort ab. „Du hast ein Anrecht darauf zu wissen, dass es deinem Sohn gut geht. Obwohl du bis gestern reichlich wenig Interesse an ihm gezeigt hast. Es hätte mich nicht gewundert, wenn du vergessen hättest, dass du überhaupt ein Kind hast.“

„Das stimmt nicht“, widersprach sie heiser. „Ich war krank. Erst als ich wieder gesund war, habe ich erkannt, zu welch schrecklicher Entscheidung du mich überredet hattest.“

„Krank.“ Süffisant zog er eine Augenbraue nach oben. „Klar doch.“

Zorn und Kummer überwältigten sie. „Du hast ja keine Ahnung!“ Sie stieß den Stuhl zurück und sprang auf. Sie musste fort von hier, bevor sie sich vergaß und ihm die Wahrheit an den Kopf warf. Dann würde sie ihm nämlich sagen, für welch großes Leid er und sein Vater verantwortlich waren und dass Rico noch leben würde, wenn sie ihn in Ruhe gelassen hätten. Und dass sein Kind das Recht hatte, bei der eigenen Mutter aufzuwachsen.

Tränen verschleierten ihren Blick, und sie wandte sich ab. Sie durfte diese Dinge nicht aussprechen. Zandro war nicht dumm. Er würde ihre Emotionalität ausnutzen.

Tränenblind rannte sie direkt in Mrs Walker, die gerade mit dem Tablett in der Hand auf die Veranda trat. Eiskalte Flüssigkeit tränkte ihre Bluse. Zwei Gläser zerbarsten auf den Fliesen.

„Es tut mir so leid!“ Die erstaunte Haushälterin hielt das Tablett immer noch fest. „Ich helfe beim Saubermachen.“

Als sie sich hinunterbeugte, um die Scherben aufzusammeln, schloss sich eine feste Hand um ihren Arm. „Nicht mit bloßen Händen“, sagte Zandro. Er sah auf ihr durchnässtes Oberteil. „Zieh dich lieber um. Ich helfe Mrs Walker.“

Die Haushälterin lächelte sie an. „So etwas kann passieren. Ziehen Sie sich ruhig um, und treten Sie nicht in die Scherben.“

Zandro hielt noch immer ihren Arm, und wie immer wenn er sie berührte, spürte sie ein beunruhigendes Kribbeln in ihrem ganzen Körper. Er führte sie um die Scherben herum zum Haus.

Im Haus war es im Vergleich zum sonnigen Garten dunkel, und Zandro wirkte wie eine schwarze Gestalt neben ihr. „Alles in Ordnung?“

„Ich bin nicht verletzt. Und ich sollte Mrs Walker helfen …“

„Mach dir darum keine Gedanken.“

In ihrem Zimmer streifte sie ihre Bluse ab und legte sie im Bad ins Waschbecken mit kaltem Wasser. Dann wickelte sie sich ein Badehandtuch um und ging ins Zimmer zurück. Es klopfte an der Tür.

„Wer da?“

Es war Mrs Walker, die ihr anbot, ihre Sachen zu waschen.

„Ich weiche sie gerade im Waschbecken ein. Danke, aber ich komme zurecht, wenn Sie mir verraten, wo die Waschmaschine steht.“

„Wenn Ihnen das lieber ist. Aber ich wasche sowieso zweimal die Woche für die ganze Familie. Da macht es mir wirklich nichts aus. Sie können Ihre Schmutzwäsche einfach in den Wäschekorb im Bad legen.“

„Danke, das ist lieb.“ Wie ist es wohl, wenn einem jeder Handgriff abgenommen wird, dachte sie, als die Haushälterin gegangen war. War das wirklich gut für ein Kind?

Rasch zog sie frische Unterwäsche und ein luftiges Sommerkleid an. Damit sie Zandro nicht sofort wieder begegnete, blieb sie am Fenster stehen und sah in den wunderschönen Garten hinunter. Für die Pflege des Gartens wurden keine Kosten gescheut. Ebenso wenig wie für Nickys Pflege.

Selbstredend konnte sie ihm so viel materiellen Reichtum nicht bieten, aber Rico hatte seiner Familie den Rücken gekehrt, denn er wollte nicht, dass Nicky hier groß wurde. Sie hatte versprochen, Nicky Liebe und eine gute Erziehung angedeihen zu lassen. Das wäre nicht billig, aber sie würde es schaffen, wenn sie darauf hinarbeitete.

Von den Brunellescis wollte sie keine Hilfe annehmen. Ihr Plan war es, so bald wie möglich mit dem Kind zu verschwinden und, sobald sie Neuseeland erreicht hätten, den Kontakt vollkommen abzubrechen. Das wäre der einzige Ausweg aus dieser Scharade.

In ihrem Herzen flackerte ein Schmerz auf. Sie dachte daran, wie Nicky sich in den Schoß seiner Großmutter gekuschelt hatte. Und wie glücklich er war, wenn Zandro mit ihm spielte. Sie sah sogar Domenico vor sich, wie er Nicky einen zärtlichen Gutenachtkuss gab.

Vor fast einem Jahr hatte Lia geglaubt, ihren Sohn abzugeben wäre das Beste für den Kleinen. Aber sie war vor Kummer blind gewesen. Wenn sie das Kind jetzt wieder nach Hause holte, machte sie nur ein altes Unrecht wieder gut.

Wieder klopfte es. Groß und dunkel stand Zandro in der Tür. „Lass mich herein, ich muss mit dir sprechen.“

Sie zögerte, trat dann aber zur Seite. Er schloss die Tür und bemerkte, dass sich ihre Augen weiteten.

„Keine Sorge, ich bin nicht an deinem Körper interessiert, Lia.“ Er musterte sie mit einem gleichgültigen Blick, den sie als Beleidigung empfinden musste.

Sie errötete vor Scham. „Du hast mir etwas zu sagen?“

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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