Romana Extra Band 159

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  • Erscheinungstag 10.05.2025
  • Bandnummer 159
  • ISBN / Artikelnummer 0801250159
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Isla Wildbrook, Nina Singh, Karin Baine

ROMANA EXTRA BAND 159

Isla Wildbrook

1. KAPITEL

Das goldene Licht, das durch die gotischen Fenster fiel, tauchte das Atelier in ein sanftes Ambiente. Der Raum war erfüllt vom Geruch frischer Farbe und von Terpentin, der sich mit dem Duft des trocknenden Leinöls vermischte. Hin und wieder drang das Gurren der Tauben auf dem Dach zum Hinterhof an Catalinas Ohr oder das ferne Lachen der Kinder, die in den engen Straßen spielten. Das stetige Surren der alten Klimaanlage begleitete ihre geschmeidigen Bewegungen, als sie den Arm hob, um einen feinen Pinselstrich auf die Leinwand zu setzen.

Schon in ihrer Kindheit hatte sie eine tiefe Liebe zur Kunst entwickelt. Ihre Mutter, eine erfolgreiche Tänzerin, hatte ihr früh Stärke und Durchsetzungsvermögen beigebracht und ihr Vater, ein angesehener Bildhauer, die Liebe zur Kunst und das Erkennen ihres eigenen Wertes. Ihre Eltern erzählten stolz, wie sie als kleines Mädchen stundenlang in ihrem Zimmer sitzen und zeichnen konnte, vollkommen in ihre eigene Welt versunken.

Jeder Strich, jede Farbe war ein Ausdruck ihrer inneren Welt, ein Fenster zu ihrer Seele. Mit jedem Jahr nahm ihre Fertigkeit zu, und nachdem sie mit achtzehn ihr erstes Werk veröffentlichte, sprach die gesamte lokale Kunstgemeinde von dem jungen Talent aus Barcelona. Sie gewann Wettbewerbe und Auszeichnungen, ihre Werke wurden in kleinen Galerien ausgestellt, und es schien, als stände ihr eine glänzende Karriere bevor.

Doch jetzt, zehn Jahre nach ihrem ersten richtigen Erfolg, war alles vorbei. Schon lange hatte sie sich an kein eigenes Gemälde mehr gewagt, arbeitete nun ausschließlich als anerkannte Restauratorin. Es war eine ironische Wendung des Schicksals, dass sie nun, statt selbst Kunst zu erschaffen, beschädigte Werke anderer Künstler heilte. Mit jeder restaurierten Leinwand versuchte sie, auch die Risse in ihrer eigenen Seele zu flicken, jene Wunden, die die Trennung von Rafael und der Verlust ihrer künstlerischen Identität hinterlassen hatten.

Das Atelier, ein kleiner, gemütlicher Raum im Hinterhof eines Wohnhauses an einer belebten Einkaufsstraße Barcelonas, war ihr Zufluchtsort. Hier, umgeben von Werkzeugen und den Kunstwerken, die auf ihre heilenden Hände warteten, fand sie Frieden. Die Stille des Morgens war jedoch trügerisch, denn die Erinnerungen an das, was einst war, lauerten in den Schatten.

Catalina atmete tief durch, trat einen Schritt zurück und betrachtete ihre Arbeit. Der Kunde, ein Atelierbesitzer aus Andorra, würde das Werk am Ende der Woche abholen. Die Fristen, so erdrückend sie manchmal waren, weil sie oft zu kritisch mit sich selbst umging, gaben ihrem Leben Struktur und halfen ihr, nicht in den Strudel der Vergangenheit gezogen zu werden.

Seufzend säuberte sie ihre Finger mit einem weichen Vliestuch und ging zu ihrem Arbeitsbereich in der Ecke, wo ein alter Schreibtisch unter einem Fenster stand, das den Blick auf den efeubewachsenen Hinterhof freigab.

Mit einem Blick auf die Uhr vergewisserte sie sich, dass sie nicht zu spät zu ihrer Verabredung mit ihrer Freundin Lola kam, und klappte den Laptop auf. Sie überflog schnell die E-Mails. Dann stand sie auf, um die Dokumente zusammenzusammeln, die sie für ihr heutiges Nachmittagstreffen benötigte.

Es war ein wichtiges Gespräch mit Eduardo Martínez, dem Leiter des Museums für zeitgenössische Kunst, der eine spezielle Ausstellung plante. Die Chance auf eine Förderung für ihre Restaurationsprojekte lag wie ein Versprechen in der Luft – etwas, das finanzielle Sicherheit und vielleicht die Rückkehr zu einer Form der Kunst, die sie so sehr vermisste, bedeuten könnte.

Als sie die Akten übereinanderlegte, rutschte ein Stapel gebundener Papiere und Bücher über den Rand des Tisches.

„Verdammt“, murmelte Catalina. Als sie sich bückte, um die verstreuten Papiere und Notizen wieder einzusammeln, fiel ihr Blick auf ein Foto, das halb unter dem Schreibtisch verborgen lag.

Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie das lächelnde Paar erkannte, das so vertraut und doch irgendwie fremd wirkte. Als wäre nicht sie es, die in den Armen des Mannes unendlich glücklich in die Kamera lächelte. Rafael, der einzige Mann, den sie wirklich geliebt hatte, schaute sie auf diesem Foto an, als wäre sie sein kostbarster Schatz. Als wäre nicht er es gewesen, der sie verraten hatte.

Die Erinnerungen kamen mit solcher Wucht zurück, dass sie sich mit einer Hand am Schreibtisch festhalten musste. Die warmen Nachmittage in Rafaels Galerie, das weiche Licht, das durch die hohen Fenster fiel, gestohlene Küsse zwischen den ausgestellten Kunstwerken, seine Nähe. Und dann die Zerrissenheit, die Sehnsucht nach dem, was hätte sein können.

Doch es waren nicht nur die Erinnerungen an Rafael, die sie in ihren Bann zogen. Es war das tiefere, schmerzhaftere Verlangen nach der Künstlerin, die sie einmal gewesen war, bevor die Enttäuschung ihre Leidenschaft erstickt hatte.

Catalina sehnte sich nach den Tagen zurück, an denen sie sich mutig und frei entfalten konnte, wo jedes weiße Blatt eine Einladung zu einer neuen Entdeckung war.

Aber diese Welt, ihre Welt, war jetzt so fern. Der Weg zurück zu der ungebändigten Kreativität, die sie einst besaß, war von den Schatten der Vergangenheit versperrt. Mit Rafael hatte sie nicht nur die Liebe verloren, sondern auch einen Teil ihres künstlerischen Geistes. Er hatte sie unterstützt, ja, aber letztendlich hatte die Dynamik ihrer Beziehung sie davon abgehalten, wahrhaftig sie selbst zu sein.

Catalina löste ihre Hand vom Schreibtisch und ließ sie langsam sinken. Dabei spürte sie stille Entschlossenheit in sich aufkeimen, eine Sehnsucht, die sie nicht länger ignorieren konnte.

Vielleicht war es an der Zeit, sich den Schatten zu stellen, die sie umgaben, und die Leere zu erkunden, die ihr Werk und ihr Herz hinterlassen hatten. Vielleicht, nur vielleicht, gab es einen Weg zurück zur Künstlerin, die sie einmal war, eine Chance, die leidenschaftliche Flamme wieder zu entfachen, die früher in ihr gebrannt hatte.

Mit einem tiefen Atemzug richtete sie ihren Blick auf das Foto in ihrer Hand. Rafael und sie, festgehalten in einem Moment des Glücks, der jetzt so weit entfernt schien. Kurz hatte sie das Gefühl, wieder Rafaels herben männlichen Duft zu riechen. Sein Lachen hallte in ihrem Inneren wider. Ein tiefer Bariton, der immer wie Musik in ihren Ohren geklungen hatte. Die Wärme seiner Haut, das Funkeln seiner Augen, wenn er über etwas redete, das ihn begeisterte. Sie hatte ihn innig geliebt, doch diese Zeit war lang vorbei.

Behutsam faltete Catalina das Foto und steckte es in ihre Handtasche. Es wegzuwerfen fühlte sich trotz allem falsch an. Weitere Ablenkung konnte sie sich aber nicht leisten, die Vergangenheit musste ruhen. Sie musste nach vorne schauen.

Ein erneuter Blick auf die Uhr, und Catalina zog ihren fleckigen Arbeitskittel aus, verließ ihr Atelier und trat in die belebte Nachmittagssonne von Barcelona.

Die engen Gassen des Barri Gòtic waren voller Leben, denn hier tummelten sich Touristen und Einheimische. Sie schlängelte sich durch die Menschenmengen, um den kürzesten Weg zu dem kleinen Café zu nehmen, in dem sie Lola treffen würde.

Das La Taza de Oro war ein wahrer Schatz unter den facettenreichen Cafés Barcelonas. Schon beim Betreten wurde man vom Duft frisch gemahlenen Kaffees und gebackener Süßigkeiten empfangen. Die Wände des Cafés zierten alte Bücherregale, die bis zur Decke reichten und in denen zahlreiche Schätze standen. Alles vermittelte einem das Gefühl, in einem Wohnzimmer aus vergangenen Zeiten zu sitzen.

Das Licht im Inneren war trotz der Tageszeit gedämpft und kam von kleinen Lampen, die jedem Tisch ein warmes, einladendes Leuchten verliehen. Die Stühle waren aus dunklem Holz gefertigt und mit grünen Polstern versehen, was den gemütlichen Charme verstärkte. An der Decke hingen Ventilatoren, deren Flügel langsam ihre Runden drehten und eine angenehme Brise durch den Raum wehen ließen. An einer Seite stand eine Vitrine voll mit verführerischen Kuchen und Torten, deren Anblick allein schon ein Lächeln auf Catalinas Gesicht zauberte.

„Hola, Catalina“, begrüßte Toni sie, die neue Besitzerin, die das Café vor einem halben Jahr von ihrer Großmutter übernommen hatte. Toni trug ihre blonden Locken wie immer bei der Arbeit zu einem Zopf geflochten und nickte ihr freundlich lächelnd zu.

„Hola, Toni.“

„Jemand hat nach dem Preis deines Gemäldes gefragt“, sagte Toni grinsend und stützte sich auf der Theke ab.

Catalina hielt einen Augenblick inne und ihr Blick glitt zu dem Bild, das an einer Wand neben dem Verkaufsbereich hing. Als Toni das Café übernahm, hatte sie ihr zur Einweihung eine ihrer alten Arbeiten geschenkt. Da sie diese ohnehin nicht mehr verkaufte, konnte sie sie wenigstens verschenken.

„Was soll ich ihm sagen?“

Catalina spürte ihre innere Zerrissenheit. Mit dem Leben als Künstlerin hatte sie abgeschlossen. Sie fühlte sich von der Kunstwelt entfremdet und käme sich wie eine Heuchlerin vor, wenn sie immer noch Geld für ihre Bilder nähme. Inzwischen fand sie Trost darin, Dinge zu heilen, während sie versuchte, ihre eigenen Wunden zu verarbeiten.

„Es gehört dir, ich habe es dir geschenkt. Ich möchte kein Geld dafür“, sagte sie und scheiterte an dem Versuch eines unbeschwerten Lächelns. Es blieb ihr nur zu hoffen, dass Toni nicht hinter ihre Fassade schauen konnte.

„Und ich fühle mich schäbig, wenn ich eins deiner Geschenke weitergebe, ohne dir den angemessenen Preis dafür zu zahlen“, erwiderte Toni.

„Geschenk ist Geschenk.“ Catalina zuckte mit den Schultern. „Und ein Startkapital für neue Möbel kannst du doch gebrauchen, richtig?“

„Ja, aber …“ Toni trat von einem auf das andere Bein. „Nein, ich werde es definitiv behalten!“

„Überlege es dir, ich habe nichts dagegen.“ Catalina schenkte ihr ein Lächeln und suchte sich einen Tisch in einer abgelegenen Ecke, von wo aus sie das Treiben auf der Straße Carrer dels Comtes beobachten konnte.

Wenige Minuten später traf ihre Freundin ein, ihr Haar leuchtete wie ein Kupferschimmer im Licht der durch die Fenster dringenden Sonne. Sie umarmten sich, und Lola warf ihr einen Blick zu, der Catalina zeigte, dass ihre Freundin spürte, dass irgendetwas nicht stimmte.

„Was ist passiert, Lina?“ In Lolas Stimme lag Sorge.

Noch nie hatte Catalina ihr etwas vormachen können. Lola hatte schon immer ein gewisses Gespür für Menschen gehabt.

Catalina zögerte. „Ich habe ein Foto gefunden … von Rafael und mir“, gestand sie leise. Es war aufgenommen worden während einer Frühlingsausstellung in der renommierten Galería Miró, wo ihre Wege sich das erste Mal kreuzten – ein Ort, der von Kreativität und Leidenschaft pulsierte, genau wie ihre Beziehung damals.

Lolas Augen weiteten sich, und sie legte eine Hand auf ihre. „Das gehört in die Vergangenheit, weißt du?“

Lola hat sich von Anfang an nicht mit dem zurückgehalten, was sie von Rafael hielt, dachte Catalina. Sie hätte eher auf sie hören sollen und sich nicht von seinem guten Aussehen, seiner sportlich trainierten Figur und seinen schmeichelnden Worten einwickeln lassen dürfen.

„Ich weiß“, antwortete sie fest. „Aber es fühlt sich an, als wäre es erst gestern gewesen.“

„Gib dir Zeit zu heilen“, erwiderte ihre Freundin, was Catalina ein leises Seufzen entlockte.

Zwei Jahre. Es waren nun schon zwei Jahre seit der Trennung vergangen und doch fühlte es sich noch immer so schmerzhaft an, über Rafael zu sprechen. Mit der Zeit waren die Erinnerungen an ihn verschwommen. Sie hatten sich gewandelt. Sie schien all seine Fehler zu vergessen und die guten Ereignisse dominierten. Aber Lola verstand sie …

Als sie eine Stunde später das Café verließen, fühlte Catalina sich erleichtert, aber auch müde. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit war anstrengend, doch Lola hatte ihr dabei geholfen, ihre Gedanken zu ordnen und ihre frühere Entscheidung nicht weiter infrage zu stellen. Es war richtig, dass sie und Rafael kein Paar mehr waren. Manchmal reichten Liebe und Leidenschaft eben nicht aus, denn daran hatte es bei ihnen nie gemangelt. Schwierig war eher die Art ihrer Kommunikation.

Als Catalina jetzt durch die Straßen nach Hause ging, fühlte sie sich gestärkt und bereit, sich wieder ihrer Kunst und den Herausforderungen des Lebens zu widmen. Die Zukunft war offen und irgendwann wäre sie stark genug, sich ihr mit allem, was sie hatte, zu stellen.

In diesem Moment der Entschlossenheit, begleitet von Rafaels Lächeln in ihren Gedanken, spürte sie plötzliche, unerklärliche Unruhe. Etwas lag in der Luft, eine Veränderung, ein bevorstehendes Ereignis, das sie noch nicht fassen konnte.

2. KAPITEL

Rafael Torres lehnte nachdenklich an der polierten Theke seiner Galerie in Barcelona, den Blick auf die farbenfrohen Kunstwerke gerichtet, die an den weißen Wänden hingen. Sie erzählten Geschichten von Leidenschaft und Triumph, von Verlust und Neubeginn.

Er war mittlerweile mehr als ein angesehener Galerist, der weit über die Landesgrenzen bekannt war. Er war ein Spezialist auf seinem Gebiet. Aufstrebende Künstler von überall her wollten mit ihm arbeiten, ihre Werke bei ihm ausstellen, um ganz groß herauszukommen.

Mit zweiunddreißig Jahren stand er in der Blüte seines Lebens, verwöhnt von Erfolg und Anerkennung. Hinter der Fassade seines scheinbar makellosen Daseins verbarg sich jedoch ein Hauch von Reue, eine Reue, die ihn seit seiner Beziehung und der anschließenden Trennung von Catalina wie ein Schatten verfolgte. Catalina, mit all ihrem Talent, all ihrer Hingabe für die Kunst.

Die Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, war mehr als nur eine flüchtige Affäre. Es war ein Jahr intensiver Nähe gewesen, in dem sie gemeinsam Träume gewebt hatten. Zwölf Monate, die seine Welt in einer Weise verändert hatten, wie er es niemals erwartet hätte.

Catalina war die erste Frau, die je eine echte Verbundenheit zu ihm aufgebaut hatte, die seine Welt in einer Weise bereichert hatte, die er sich nie hätte vorstellen können. Sie war die Frau, die ihm gezeigt hatte, was es bedeutete, zu leben und zu lieben.

Die Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit waren für ihn sowohl Trost als auch Qual. Sie hatten die gleichen Träume geteilt, an die gleiche Zukunft geglaubt. Ihre Trennung hatte ihn überrascht und ihn zutiefst erschüttert. Er machte sich Vorwürfe, nicht nur wegen des Endes ihrer Liebe, sondern auch für die tiefen Wunden, die er ihr unwissentlich zugefügt hatte.

Ein schmerzhafter Gedanke führte ihn zurück zu dem tragischen Unfall, der den Tod seines Freundes zur Folge hatte – ein Ereignis, das seine Welt auf den Kopf gestellt und ihn gelehrt hatte, dass das Leben zerbrechlicher war, als er es sich jemals hätte vorstellen können. Es kam ihm fast so vor, als hätte er ein Händchen dafür, private Beziehungen in seinem Leben zu zerstören, wohingegen sein Geschäft daneben aufblühte.

Aus dem Grund hatte er sich mit kurzen Affären und flüchtigen Bekanntschaften abgefunden, während seine Arbeit den Großteil seines Lebens einnahm. Glück im Spiel, Pech in der Liebe war definitiv sein Motto geworden. Trotz allem blieb die Sehnsucht, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, ein ständiger Begleiter.

Sicherheit war zur obersten Priorität geworden, doch die Frage blieb: Wie lange konnte er vor den Geistern seiner Vergangenheit davonlaufen, bevor sie ihn endgültig einholten?

Sergio, sein persönlicher Assistent, war offenbar die einzige Beziehung, die zu halten schien und einer respektvollen Freundschaft am ehesten glich. Zumindest war sie sicher, denn jeder wusste, was er vom anderen zu erwarten hatte.

Sicherheit war ohnehin Rafaels Priorität in den letzten zwei Jahren geworden. Doch die bevorstehende Ausstellung im Museum für zeitgenössische Kunst und die separate Herbstausstellung in seiner eigenen Galerie waren beides kritische Ereignisse, die seinen Ruf als angesehenen Geschäftsmann festigen sollten.

„Um sechzehn Uhr ist der Termin im Museum für zeitgenössische Kunst mit Señor Martinez.“

Die Stimme seines Assistenten holte ihn aus seinen Gedanken zurück. Rafael versuchte, sich seine furchtbar nervenaufreibende Melancholie nicht anmerken zu lassen, und schaute ihn an. Sergio war der Fels in der Brandung in seinem chaotischen Leben, ein unverzichtbarer Teil des täglichen Betriebs.

Sergio schob sich mit dem Zeigefinger seine rotumrandete Brille zurück auf die Nase und ging am Bildschirm seines PCs die Termine für die Woche durch. „Außerdem habe ich einen Stapel alter Skizzen von potenziellen Bewerbern für die Plätze in der Herbstausstellung zusammengestellt und auf Ihren Schreibtisch gelegt.“

Diese Veranstaltung war nicht nur eine weitere Gelegenheit, die lokale Kunstszene zu beeindrucken, sie war auch ein entscheidender Moment für Rafael. Nach einem früheren, öffentlich gewordenen Fehlschlag mit gefälschten Kunstwerken, die er nicht als solche erkannt hatte, war seine Reputation nachhaltig erschüttert und er sah in dieser Ausstellung eine Chance zur Wiedergutmachung.

Es war ein Moment, in dem er der Welt und sich selbst beweisen konnte, dass seine Galerie mehr als nur ein Raum voller Bilder war. Sie war ein Zentrum der Kreativität und des Erfolgs, ein Ort, wo neue Talente entdeckt und gefördert wurden und wo Kunst nicht nur ausgestellt, sondern gelebt wurde.

Es hing viel vom Erfolg dieser Ausstellung für ihn ab. Dies war die Gelegenheit, die Skeptiker zum Schweigen zu bringen und seinen Kritikern zu zeigen, dass er aus seinen Fehlern gelernt hatte und bereit war, seine Vision und sein Geschick als Galerist erneut unter Beweis zu stellen.

Er wollte, dass die Herbstausstellung nicht nur eine Sammlung schöner Werke war, sondern die Verkündung seiner eigenen künstlerischen und geschäftlichen Erneuerung. Jedes ausgewählte Stück sollte seine sorgfältige Hand und sein Auge für das Außergewöhnliche widerspiegeln.

Mit diesem Ziel prüfte Rafael jeden einzelnen Beitrag mit einer Mischung aus kritischer Aufmerksamkeit und persönlicher Anteilnahme. Jede Skizze, jedes Gemälde, das einen Platz in seiner Ausstellung finden würde, sollte nicht nur die Besucher beeindrucken, sondern auch ein Stück seiner eigenen Reise und seines Strebens nach Exzellenz widerspiegeln.

Er war fest entschlossen, diese Herbstausstellung zu einem Wendepunkt zu machen, einem Ereignis, das sowohl seine Galerie als auch seine Karriere in ein neues, erfolgreicheres Kapitel führen würde.

„Danke, Sergio“, bedankte er sich. „Wenn das alles ist, würde ich vor meinem Nachmittagstermin gerne noch einiges durchgehen.“ Er wusste, dass jede Skizze, jede Zeichnung, die er auswählte, seinen Ruf weiter festigte oder ihn gefährdete. In der Welt der Kunst, wo jede Entscheidung unter die Lupe genommen wurde, konnte er sich keine weiteren Fehltritte leisten.

„Ja, das war dann alles“, erwiderte sein Assistent und schenkte ihm ein professionelles Lächeln.

Rafael klopfte zweimal auf den Tresen, hinter dem Sergio saß, ein stummes Zeichen des Dankes für seine Loyalität und Diskretion, dann trat er den Weg zu seinem Büro an. Die beruhigende Stille in seiner Galerie wurde nur vom leisen Knarren der Holzdielen unter seinen Schuhen unterbrochen. Es war ein Soundtrack zu seinen Gedanken, die heute unaufhörlich zwischen Vergangenheit und Zukunft hin und her zu springen schienen.

Zurück an seinem Mahagonischreibtisch, zog Rafael sich den Stapel Skizzen heran. Er betrachtete jede einzelne mit kritischem Auge. In seiner Brust rumorte ein Wirrwarr aus Stolz, Hoffnung und unbestimmter Furcht.

Jedes Kunstwerk, das er präsentierte, war ein Spiegelbild seiner Fähigkeit, Qualität zu erkennen und zu fördern. In der letzten Zeit hatte er sich jedoch gefragt, ob seine Fähigkeit, echte Verbindungen zu erkennen und zu halten, verloren gegangen war.

Auf den meisten der Skizzen befanden sich gelbe Post-it-Aufkleber mit einer Kurzbeschreibung des jeweiligen Künstlers oder der Künstlerin. Er konnte gut und gerne behaupten, dass die meisten Arbeiten gut waren, doch allen von ihnen fehlte das gewisse Etwas. Das Besondere. Die unverkennbare Sprache eines Kunstwerks, das die Menschen in ihren Bann zog, sie innehalten ließ, um sie in eine andere Welt zu entführen.

Ein wahres Kunstwerk sollte das Verlangen auslösen, mehr über die Geschichte des Bildes zu erfahren und selbst darin zu lesen. Ein Gefühl, das er schon lange nicht mehr gefunden hatte, wenn er die Werke anderer Künstler und Künstlerinnen betrachtete.

Bei fast allen nicht.

Zwischen den rauen Blättern Papier steckte eine Arbeit, auf der sich kein Aufkleber befand. Trotzdem erkannte Rafael sofort deren Ursprung. Catalinas Handschrift war unverkennbar, ihre Linienführung dynamisch und voller Leben. In diesem Kunstwerk lag so viel von ihr, so viel von ihrem unvergleichlichen Wesen, von ihrer Leidenschaft und ihrer Liebe.

Allein die Gedanken daran schmerzten ihn beinah körperlich. Das Bild war so greifbar, dass es ihn augenblicklich zurück in eine Zeit warf, in der Liebe und Kunst unzertrennlich schienen. Ein Stich des Bedauerns durchzuckte ihn.

Rafael berührte die Skizze sanft, als könnte er dadurch die Zeit zurückdrehen und die Worte ungesagt machen, die zwischen ihnen gefallen waren. Er spürte denselben Schmerz wie damals, als seine Gedanken ihn nun zurückführten zu jenem Tag, als all die Magie ein unbegreifliches Ende fand.

Empfand er nur so, weil der Jahrestag ihrer Trennung nahte oder weil er das Gefühl des Bedauerns nie wirklich hatte abschütteln können?

Dabei hatte er es versucht. Und wie er das hatte …

Seine Affären in den letzten Jahren hatten erwartungsgemäß für einen gewissen Ruf gesorgt, doch das interessierte ihn nicht. Sollten die Leute doch denken, dass keine Frau vor ihm sicher war. Es entsprach vielleicht sogar der Wahrheit.

Keine Frau war sicher, bis er nicht eine gefunden hatte, die ihm das geben konnte, was Catalina ihm gegeben hatte.

Allerdings hatte bisher keine der Frauen, mit denen er sich zur Ablenkung getroffen hatte, Catalina oder ihrer leidenschaftlichen Ausstrahlung je das Wasser reichen können. Kein Whisky hatte ihn vergessen lassen, wie groß die Sehnsucht nach ihr war, doch die Angst, ihr wieder zu schaden, hielt ihn zurück, Kontakt mit ihr aufzunehmen.

Er hatte es schon zu oft erlebt, die Tatsache, dass er jeden Menschen verletzte, den er zu nah an sich heranließ, doch wahrscheinlich hatte er niemanden so sehr verletzt wie Catalina – und dafür hasste er sich noch immer.

Rafael schob die Skizze in eine der Schreibtischschubladen, doch obwohl er sie wegschloss, schien es, als flüsterte sie ihm etwas zu. Sätze aus der Vergangenheit, Erinnerungen an Catalina.

Er schüttelte den Kopf, verbannte die ermüdenden Gedanken und wandte sich stattdessen den Papieren zu, die seine volle Aufmerksamkeit verlangten. Er musste arbeiten. Die nächsten Wochen waren entscheidend für die erfolgreiche Fortführung des Familienerbes, da blieb keine Zeit für irgendwelche Ablenkungen. Erst recht nicht für Grübelei über Catalina.

Ein zaghaftes Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken an eine bessere Zeit, die er trotz aller Ermahnungen nicht ruhen lassen konnte.

„Rafael?“, erklang Sergios Stimme zögerlich, als er den Kopf ins Zimmer steckte. „Ich … es tut mir leid, mir ist versehentlich eine ältere Skizze in den Stapel gerutscht. Es war nicht meine Absicht.“

Ihm hatte er es also zu verdanken, dass ihn die Gedanken an Catalina und die Vergangenheit wieder zu verschlucken drohten.

Rafael wusste, dass sein Assistent Catalina immer gemocht hatte. Die beiden hatten sich auf Anhieb verstanden, und auch wenn Sergio es in seiner Position als sein Angestellter nicht zustand, hatte Rafael oft die Frage in den Augen des Mannes gesehen, wieso es überhaupt zur Trennung gekommen war. Angesprochen hatten sie beide es aber nie. Es war Rafael immer falsch vorgekommen, mit jemandem darüber zu reden, obwohl es ihm vielleicht ein wenig die Last von den Schultern hätte nehmen können.

Dass Sergio dies absichtlich eingefädelt haben sollte, um seine Erinnerungen erneut auf Catalina zu lenken, traute er seinem längsten Mitarbeiter allerdings nicht zu. Dennoch, ein Beigeschmack blieb. Rafael nickte nur und setzte eine unleserliche Miene auf. „Es ist in Ordnung, Sergio. Ich habe sie zu den anderen privaten Unterlagen gelegt.“

„Soll ich sie nicht lieber gleich …“, begann sein Assistent, doch Rafael unterbrach ihn mit einer Geste.

„Nein, es ist alles gut so. Danke.“ Er würde dieses Blatt Papier jetzt nicht noch einmal aus der Schublade holen, um erneut einen Blick darauf zu werfen. Es hatte schon genug angerichtet für den heutigen Tag.

Sergio ging, und Rafael war wieder allein mit den Kunstwerken und seinem Schweigen. Mit einer Resignation, die ihm fremd war, schloss er die Augen und lehnte sich im Schreibtischsessel zurück. Die Stille im Raum war wie eine Decke, die ihm half, sich von der Außenwelt abzuschirmen. So hatte er sich schon immer in seiner Galerie gefühlt, die Ruhe hatte ihn geerdet, während sein Leben mit rasenden Schritten vorangestürmt war und ihm die Veränderungen kaum Luft zum Atmen gelassen hatten.

Bei Catalina hatte er einfach nur er selbst sein können, obwohl das Leben trotzdem an ihm gezerrt hatte und er es allen recht machen wollte, vor allem seinem Großvater.

Wahrscheinlich gab es unzählige Menschen, die mit einem Familienerbe etwas Wundervolles verbanden. Den romantischen Gedanken daran, ausgesorgt zu haben und sich nichts eigenständig aufbauen zu müssen, doch er kannte die Schattenseiten, die mit einem solchen Erbe zusammenhingen. Den Druck, der auf seinen Schultern lastete. Die Erwartungen, die man niemals erfüllen konnte und die man doch zu erfüllen versuchen musste.

Rafael versuchte auch diesmal, sich von den Gedanken an Catalina zu lösen, aber das Bild von ihr, wie sie leidenschaftlich über ihre Kunst sprach, verharrte unauslöschlich in seinem Gedächtnis.

Der feine Strich ihrer Skizzen, die Intensität ihrer haselnussbraunen Augen – sie waren weit mehr als nur Erinnerungen. Sie waren Gefühle, die sich tief in sein Herz gebrannt hatten. Gefühle, die man nicht einfach wegradieren konnte. Sie würden für immer dort sein, ob er das nun wahrhaben wollte oder nicht.

Entschlossen erhob er sich, zog die Schublade auf, nahm ihre Skizze wieder heraus und legte sie vor sich auf den Tisch. Seine Finger strichen über das raue Papier, folgten den Linien, die so viel von Catalinas Wesen eingefangen hatten. Es war, als spürte er ihre Anwesenheit, ihre Energie, die von dem Blatt ausging.

Unter all dem spürte er noch etwas anderes – ihre Berührungen, ihren heißen Atem auf seiner Haut, ihre Leidenschaft, die ihm so oft die Fähigkeit genommen hatte, sich zu kontrollieren. Und er wusste mit einem Mal, dass er sich ihr stellen musste.

Wenn nicht persönlich, dann durch ihre Kunst. Vielleicht war das der Weg, endlich mit seiner Vergangenheit Frieden zu schließen.

Mit dieser Erkenntnis nahm Rafael die Skizze und verließ das Büro. Er würde sie heute noch in die Ausstellung integrieren. Als Hommage an die ehemalige Liebe und als Schritt auf dem Weg, die eigenen Dämonen zu besiegen. Es war Zeit, nach vorne zu sehen. Zeit, endlich wieder zu sich selbst zu finden.

Zwei Jahre lang hatte er versucht, vor Catalina zu fliehen, die Gedanken an sie zu verbannen, doch ein einziger Blick auf ihre Skizze reichte aus, um all die alten Gefühle wieder heraufzubeschwören. So konnte es nicht weitergehen.

3. KAPITEL

Catalina betrachtete ihr blasses Spiegelbild und spürte, wie die Jahre der Zurückgezogenheit sie verändert hatten. Ihre Hand glitt zögernd über die Fläschchen auf ihrem Waschtisch. Eine leise Stimme in ihr flüsterte, dass es an der Zeit war, wieder ins Leben zurückzukehren. Sie konnte nicht ewig in ihrem Kokon der Sicherheit verharren, abgeschirmt von der Welt, die sie einst geliebt hatte.

Mit zittrigen Händen machte sie sich daran, ihr Make-up aufzutragen, und mit jedem Pinselstrich fühlte sie, wie ihre innere Barriere zu bröckeln begann. Manche Menschen versteckten sich hinter ihrer perfekten Fassade aus Make-up, doch für sie fühlte es sich an, als würde sie zurückkehren. Zurück zu sich selbst. Zu der Frau, die sie einst war, bevor die Isolation ihr Herz mit aller Macht eingeschnürt hatte.

Eben dieses Herz pochte wild, als sie ihr schwarzes Kleid überstreifte und sich schließlich in die Welt hinauswagte, die sie so sehr fürchtete und nach der sie sich gleichzeitig sehnte. Raus aus ihrem Atelier, raus aus ihrer kleinen Blase, in der sie versuchte, die Welt mit all den Schmerzen, die sie ihr zufügen konnte, auszublenden.

Als sie die edle, cremefarbene Einladung zu der Veranstaltung des Museums für zeitgenössische Kunst mit dem Namen „Neue Pfade“ erhalten hatte, begriff sie, dass dies mehr für sie bedeutete als nur die Anfrage ihrer Teilnahme. Es war ein Ruf, ein Signal, dass es an der Zeit war, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und einen neuen Weg einzuschlagen. Nicht als Künstlerin, sondern als Restauratorin. Als eine Frau, die einen neuen Abschnitt in ihrem Leben begonnen hatte. Eine Frau, die entschlossen war, zu sich selbst zu stehen und sich nicht länger zu verstecken.

Señor Martinez, der Museumsdirektor und ein langjähriger Bekannter, hatte ihr in der Vergangenheit viele Türen geöffnet. Er hatte sie nicht nur als die talentierte Künstlerin gesehen, die sie war, sondern sie auch immer mit seiner freundlichen, väterlichen Art als ehrlichen Menschen wahrgenommen.

Diese Einladung schien sein Weg zu sein, ihr zu zeigen, dass sie immer noch einen Wert hatte, dass ihre Stimme in der Kunstwelt immer noch Gewicht hatte. Es war schmerzhaft, nicht als die alte Catalina zurückzukehren, doch gleichzeitig gab es ihr auch die Chance, neu anzufangen. Nicht nur in ihrem Atelier, sondern auch in der Kunstwelt, die ihr einst alles bedeutet hatte.

Señor Martinez und sie kannten sich schon seit einigen Jahren, und er war es gewesen, der ihr die Zusammenarbeit angeboten hatte, die ihr einen Teil ihres Lebensunterhalts sicherte. Regelmäßig durfte sie alte Kunstwerke für das Museum restaurieren, was eine Ehre war und gleichzeitig wie eine Erholung für ihre aufgewühlten Gedanken wirkte. Doch diesmal war es anders.

Der cremefarbene Umschlag kündigte keine neue Restaurationsarbeit an. Sie fragte sich daher, wieso sie zu einer öffentlichen Veranstaltung im Museum eingeladen wurde, und wunderte sich. Gleichzeitig bemühte sie sich, ihre Gedanken zu zügeln. Sie wollte diesen Abend einfach nur genießen und nicht enttäuscht sein, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden.

Anfangs hatte sie so sehr gezögert und überlegt, ob sie die Einladung überhaupt annehmen sollte. Schlussendlich überwogen ihre Neugierde und das Vertrauen in Señor Martinez. Wenn er sie einlud, musste es einen triftigen Grund geben.

Vielleicht war es an der Zeit, ihm mit ihrer Expertise, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, um passende Künstler und Künstlerinnen für diese Ausstellung auszuwählen. Egal, was es war, es fühlte sich gut an, eine neue Herausforderung anzunehmen. Catalina war bereit, nach ihrem Rückzug wieder ins Licht zu treten. Nach all der Zeit, die sie im Schatten verbracht hatte, musste es einfach sein, auch wenn ihre Rolle jetzt eine andere war.

Sie würde ihren Platz finden. Mit dieser Selbstsicherheit straffte sie die Schultern. Es war an der Zeit, nach vorne zu blicken, nicht zurück. Die Gedanken an die Vergangenheit hatten sie in den letzten Tagen schon genug beschäftigt.

Sie öffnete die Museumstür und es war wie der Eintritt in eine andere Welt. Ein Gewirr aus flüsternden Stimmen und gedämpften Schritten auf dem glänzenden Boden empfing sie. Catalina zog den Saum ihres schwarzen Kleides gerade, und ihr Blick fiel auf die vielen Kunstwerke an den weißen Wänden, doch dies war nur ein Bruchteil des Talents, das es in dieser Stadt zu entdecken gab.

Der pure Anblick verursachte ihr Herzklopfen und ließ sie leicht erschauern. Sie fragte sich, ob ein Leben ausreichen würde, um all diese Talente zu finden. Sie erkannte in einigen Werken den unverwechselbaren Ausdruck verlorener Träume und unerfüllter Sehnsüchte – ein Echo ihrer eigenen Geschichte.

Es gab eine Unmenge an Kunststile und darin eine Unmenge an Abweichungen. Jeder Künstler und jede Künstlerin brachte ihre eigene Seele mit in ihre Arbeiten. Keiner glich dem anderen, das machte das alles so spannend und aufregend.

Auch sie hatte sich in ihrem Leben als Künstlerin mehrmals neu erfunden, ihren Stil weiterentwickelt und angepasst. Doch auf dem Höhepunkt ihrer kreativen Arbeit hatte sie sich zurückgezogen, überwältigt von einer inneren Blockade. Es war, als hätte der Schmerz der Trennung von Rafael nicht nur ihr Herz betäubt, sondern auch ihre Fähigkeit, Außergewöhnliches zu erschaffen.

In den langen Monaten der Stille hatte Catalina sich den beschädigten Werken anderer gewidmet, in der Hoffnung, mit der Reparatur von Rissen und Verfärbungen auch ihre eigenen Wunden zu schließen.

Tief in ihr, hinter der Fassade der professionellen Restauratorin, pochte jedoch nach wie vor der stumme Schrei der Künstlerin, die sich danach sehnte, wieder eigene Spuren auf leeren Leinwänden zu hinterlassen. Spuren, die sie hier in den Kunstwerken sah, die sie fühlte. Der Anblick all dieser Leinwände setzte etwas in ihr in Bewegung. Eine Erkenntnis, die sie vorher nicht wahrgenommen hatte.

Vielleicht war es diese Sehnsucht, die sie in Wahrheit dazu veranlasst hatte, Señor Martinez’ Einladung anzunehmen.

Tief atmete sie durch und durchquerte die ersten Räume des Museums, das sie mittlerweile wie ihre eigene Wohnung kannte. Hin und wieder flog ihr Blick zu einem Kunstwerk, das sie ausgebessert hatte. Sie war ein Teil nicht nur dieses Ortes, sondern ein Teil der gesamten Kunstbranche in Barcelona. Ob sie es nun wollte oder nicht.

Schließlich erreichte sie den kleinen Raum, der als Treffpunkt für die Veranstaltung diente. Am Eingang begrüßte Veronica sie, die persönliche Assistentin von Señor Martinez. Die Frau kontrollierte ihre Einladung und führte einen kurzen Small Talk mit ihr, ehe Catalina eintrat.

Überall waren runde Stehtische mit weißen Hussen aufgestellt worden. Es wurden Sekt und Häppchen gereicht, die Unterhaltungen der Anwesenden schufen eine angenehme Atmosphäre. An den Wänden hingen Kunstwerke, bei denen Catalina von einigen die Handschrift der Künstler und Künstlerinnen erkannte, bei anderen aber nicht.

In der Einladung hatte nur gestanden, dass es sich um eine Veranstaltung handelte, die den Fokus auf die Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Galeristen hervorheben sollte. Ein Thema, das ihr nach der Beziehung zu Rafael nur zu sehr ein Begriff war. Catalina sah ihre Anwesenheit aber auch als Möglichkeit, Wunden endlich heilen zu lassen, auch wenn sie dabei einen Hauch des alten Schmerzes spüren musste. Aber war es so nicht immer mit der Heilung?

Sie sah Señor Martinez, der auf der anderen Seite des Raumes mit einem hübschen, jungen Paar stand. Sie wirkten vertraut und glücklich, und Catalina ließ ihren Ausdruck kurz auf sich wirken, ehe Señor Martinez sie erkannte und die Hand hob, um sie zu sich zu winken.

Entschlossen setzte sie ein professionelles Lächeln auf und durchquerte den Raum, traf auf Leute, die sie kannte und mit denen sie ausmachte, sich später noch einmal zu einem Gespräch zusammenzutun.

„Catalina, wie schön, Sie hier zu sehen!“, sagte der Museumsdirektor und begrüßte sie mit zwei flüchtigen Wangenküsschen.

„Señor Martinez“, erwiderte sie mit einer Stimme, die leicht zitterte. Sie konnte ihre Aufregung nicht verbergen, obwohl sie normalerweise dazu neigte, ihre Emotionen tief in sich einzuschließen. Heute jedoch schwankten ihre Gefühle zwischen absoluter Überzeugung, hierher zu gehören, und dem Eindruck, dass dieser Besuch sich als der größte Fehler ihres Lebens erweisen könnte. „Danke für die Einladung, es hat mich sehr gefreut.“

„Sie sind Teil des Museums, Catalina, es wäre fatal, Sie nicht einzuladen“, sagte er mit einem warmen Lachen. „Das sind übrigens Lucia und Mateo, zwei absolute Ausnahmetalente!“

Ausnahmetalente … so hatte die Kunstwelt früher auch einmal über sie gesprochen – und doch existierte diese Welt weiter, ohne dass sie ihr noch etwas beisteuerte.

Lucia wirkte ein wenig verlegen. „Ach, Señor Martinez, Sie übertreiben wie immer.“

Catalina begrüßte beide mit einem Handschlag, und da sie fast gleichen Alters waren, boten sie sich das Du an.

„Señor Martinez war tatsächlich so verrückt, die Arbeiten zwei so unbekannter Künstler, wie meine Schwester und ich es sind, auszustellen“, erklärte Mateo lachend.

Überrascht nahm Catalina zur Kenntnis, dass es sich bei den beiden nicht um ein Paar handelte, aber dennoch erklärte sich ihre Vertrautheit, da sie Geschwister waren.

„Ich würde es nicht verrückt nennen“, widersprach Señor Martinez. „Es war kein großes Risiko. Sie müssen unbedingt nachher bei ihren Gemälden auf der anderen Seite des Raumes vorbeigehen, Catalina, und sich die ansehen! Sie werden die Besonderheit spüren, die davon ausgeht. Da hege ich keine Zweifel.“

„Mache ich“, bestätigte sie.

„Auch wenn ich jetzt vielleicht merkwürdig rüberkomme …“, begann Lucia. „Aber du bist Catalina Garcia?“

Catalina nickte ein wenig verlegen. Sie war es immer noch nicht gewöhnt, fremde Menschen zu treffen, die sie anhand ihrer Arbeiten kannten. Aber ja, vielleicht musste sie auch das Rafaels Geschäftssinn zuschreiben, der sie immer ermutigt hatte, größere Träume zu haben. Auch wenn er hin und wieder über das Ziel hinausgeschossen war, denn er hatte sie dabei auf ein Podest gehoben, das sie nie hatte betreten wollen. Seine Visionen von Erfolg und Anerkennung stimmten nicht immer mit ihren eigenen Vorstellungen von Kunst und Leidenschaft überein. Der feine Unterschied zwischen einer Künstlerin und einem Galeristen.

Er hatte ihre Kunst kommerzialisieren wollen, sie einem breiteren, zahlenden Publikum präsentieren. Darauf bedacht, auch den Namen seiner Galerie bekannter zu machen. Sie hingegen hatte ihre Werke als intime Ausdrücke ihrer selbst gesehen, nicht als Ware, die verkauft werden sollte. Dieser Unterschied in ihren Ansichten hatte oft zu Missverständnissen und Konflikten geführt. Rafael hatte davon gesprochen, ihr zu helfen, ihre Karriere voranzubringen, aber für sie fühlte es sich an, als würde er ihre Kunst und ihre Integrität verkaufen.

Auch mit zwei Jahren Abstand konnte sie diesen Punkt nicht anders betrachten.

„Das bin ich wohl“, sagte sie.

„Wow, ich kenne fast alle deine Arbeiten. Wenn ich ein Vorbild nennen müsste, dann würde definitiv dein Name fallen. Deine Linienführung, die Farbwahl … Ich muss mich als Fangirl outen“, schwärmte Lucia.

Catalina wurde nur umso verlegener. Es fühlte sich unglaublich gut an und gleichzeitig tat es doch unendlich weh. „Ich würde mich wohl selbst nicht als Idol bezeichnen“, gab sie zurück.

Señor Martinez legte eine Hand auf ihre Schulter. „Sie ist einfach zu bescheiden.“

Catalina versuchte, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken, weil sie diese Art des Augenmerkes auf sich immer noch etwas unangenehm fand, was glücklicherweise funktionierte. Während Señor Martinez erzählte, wie es ihm gelungen war, Dina Alvarez als Jurymitglied anzuwerben, deren Familie seit Jahrzehnten junge Talente unterstützte, ließ Catalina ihren Blick durch den Raum schweifen, der sich immer mehr füllte.

Plötzlich zog etwas in ihrem Augenwinkel ihre Aufmerksamkeit auf sich. Ihr Herz begann zu rasen und ihre Kehle schnürte sich zu, sodass ihre Atmung schwerer wurde.

Es war keine Einbildung. Keine Erinnerung, die sie überkam. Ein Mann stand am Türrahmen, den sie unter Tausenden sofort wiedererkannt hätte: Rafael.

Er befand sich nur wenige Meter entfernt, eine Hand locker in die Tasche seiner Anzughose geschoben. Sein Blick schweifte durch den Raum.

Er sah atemberaubend aus. Die Ärmel seines schwarzen Hemds waren ein Stück hochgeschoben, die oberen zwei Knöpfe am Hals geöffnet, sodass man seine muskulöse Brust erahnen konnte. Eine Brust, von der sie noch zu genau wusste, wie sie sich anfühlte.

Catalina spürte, dass er wie immer sämtliche Blicke auf sich zog. Die der Frauen, die sich wünschten, an seiner Seite sein zu dürfen, und die der Männer, die so sein wollten wie er, erfolgreich, angesehen und teuflisch attraktiv.

Catalina wusste genau, wieso sie sich damals auf ihn eingelassen hatte. Und natürlich erinnerte sie sich an ihren ersten Kuss in seiner Galerie, der so leidenschaftlich war, dass sie das sehnsüchtige Ziehen immer noch in ihrem Körper spürte.

Damals waren gerade neue Kunstwerke eingetroffen und sie glaubte, dass sie die frische Farbe hatte riechen können. Der Geruch hatte sich mit Rafaels herbem, männlichem Duft vermischt, als er ihr unweigerlich näher gekommen war. Ihr verräterisches Herz hatte so schnell geschlagen, dass sie glaubte, er könnte es nicht nur hören, sondern auch in ihrer Brust pochen sehen.

Seine Lippen waren so unglaublich weich gewesen, so sinnlich wie seine Berührungen und die Worte, die er ihr ins Ohr geflüstert hatte. Dieser Kuss hatte ihre Welt aus den Angeln gehoben, sie um den Verstand gebracht und sie vollkommen wahnsinnig werden lassen.

Ein Gefühl, das Catalina wohl niemals vergessen würde. Auch nicht nach all der Zeit.

Sie beobachtete, wie Rafael sich eine der Sektflöten von einem Tablett nahm und sofort von einigen Anwesenden unter Beschlag genommen wurde. Jeder wollte seine Aufmerksamkeit. Die Kunstschaffenden, weil sie hofften, in seiner Galerie ausgestellt zu werden, einige Frauen, weil sie sich wünschten, seine heutige Eroberung zu sein.

Zwar hatte Catalina immer wieder versucht, sich von ihm und von den Gedanken an ihn fernzuhalten, doch Rafael war so bekannt in der hiesigen Klatschpresse, dass es ihr nie komplett gelang. Es gab unzählige Berichte über ihn und über seine Galerie und unzählige Fotos. Jedes Mal mit einer neuen Begleitung an seiner Seite.

Während sie ihre Wunden geleckt und sich mit Eiscreme vor den Fernseher gekuschelt hatte, hatte er sein Leben weitergelebt, als wäre sie nie ein Teil davon gewesen. Als hätte es sie niemals gegeben. Er hatte sie ersetzt, ohne mit der Wimper zu zucken.

Sie hatte sich den neuen Job als Restauratorin gesucht, um sich nicht ständig an das zu erinnern, was sie verloren hatte, während er weiter in der Galerie tätig war. Ihre Tage waren gefüllt mit Routine, die keinen Raum für die leidenschaftliche Flamme ließ, die einst in ihr gebrannt hatte, doch davon ahnte Rafael nichts, während er sich mit anderen Frauen vergnügte.

Ihre Freunde hatten ihre Veränderungen bemerkt, doch auch sie hatten das Unvermeidliche nicht aufhalten können. Wo einst Lebensfreude und Kreativität sprudelten, herrschte inzwischen stille Resignation.

Catalina war klar, sie hatte nicht nur Rafael, sondern auch einen Teil von sich selbst verloren. Jeden Morgen blickte sie in den Spiegel und sah darin das Gesicht einer Frau, die nicht wusste, wie sie die Bruchstücke ihres Lebens wieder zusammensetzen konnte. Mit Rafael war auch ein großer Teil ihrer Persönlichkeit verloren gegangen.

Definitiv ein Grund, weshalb sie sich nicht wieder auf ihn einlassen würde. Etwas, das sie sich gerade in diesem Moment vehement vor Augen rief, als ihr Blick erneut auf Rafael fiel. Auf alles, was dieser Mann ausstrahlte. Auf sein Lachen, auf die Art, wie er sein Gegenüber beim Sprechen betrachtete. Wie er an seinem Getränk nippte und schallend auflachte, wie immer ein bisschen zu laut.

Sie wollte mehr sein als eine Kerbe an seinem Bettpfosten voller Kerben für all seine Eroberungen. Allerdings hatte es sie überrascht, dass ihre Beziehung deutlich länger gegangen war als alle seine vorherigen Bekanntschaften. Ein ganzes Jahr hatten sie ihre Leben geteilt.

Zwölf Monate voller Leidenschaft und Glück, aber auch Schmerz und Einschränkungen. Denn genauso feurig wie ihr Miteinander war, war es auch voller Auseinandersetzungen gewesen, die sie nicht selten mit neuer Leidenschaft und berauschendem Sex gelöst hatten.

Sie waren nie wie Feuer und Wasser gewesen, sondern wie Feuer und Öl, wie Lava, die man nicht aufhalten konnte und von der immer mehr nachfloss. Bis der Vulkan irgendwann erstarb, genau wie ihre leidenschaftliche und wilde Liebe zueinander.

Catalina erinnerte sich schmerzlich an die anfängliche Faszination, die sie für Rafael empfunden hatte. Ihre Welten waren so verschieden, wie sie nur sein konnten: Sie, die ungebundene, leidenschaftliche Künstlerin, und er, der erfolgreiche, geschäftsmäßige Galerist.

Anfangs hatten diese Unterschiede ihre Beziehung spannend und lebendig gemacht, aber mit der Zeit führten sie zu Spannungen, die sie nicht ignorieren konnte. Catalina hatte sich zunehmend in Rafaels Welt des Kommerzes verloren gefühlt, und er verstand ihren tiefen Drang nach authentischem Ausdruck nicht.

Der Bruch kam, als sie erkannte, dass ihre künstlerische Integrität für ihn nur eine weitere Ware war, die es zu vermarkten galt. Rafael, der sinnliche Liebhaber, der unwiderstehliche Kerl, der knallharte Geschäftsmann. Dieser Verrat an ihren tiefsten Überzeugungen hatte eine schmerzende Kluft zwischen ihnen geschaffen, die sie letztendlich nicht überbrücken konnten. Dieses Hin und Her war ihr irgendwann zu viel gewesen. Nein. Das wollte sie definitiv nicht mehr.

Jetzt, da sie ihm gegenüberstand, spürte Catalina, wie ihr Herz schneller schlug. Ein Teil von ihr wäre am liebsten geflohen, dem Schmerz und der Konfrontation entkommen, doch ein stärkerer Teil wusste, dass sie sich dieser Situation stellen musste, wenn sie jemals Frieden finden wollte.

Sie war hier, um einen neuen Anfang zu wagen, um wieder ins Leben zurückzukehren, und Rafael war ein unvermeidlicher Teil dieses Prozesses. Es konnte kein Zufall sein, dass er ebenfalls in diesem Raum war, an diesem Abend, der für sie so besonders war. Ein Abend, der ihr ihre Freiheit zurückbringen sollte.

Es war an der Zeit, ihren Fluchtinstinkt zu überwinden und ihren Mut zusammenzunehmen.

Mit einem tiefen Atemzug raffte sie all ihre Kraft zusammen und entschied, dass sie diesen Abend durchstehen würde, und das nicht, indem sie Rafael mied. Sie musste sich ihm und ihrer Vergangenheit stellen. Nicht, um ihn zurückzugewinnen, sondern um sich selbst zu befreien.

Ihr Blick wurde entschlossen, und sie spürte, wie ein Funke ihres alten Kampfgeistes in ihr erwachte. Sie würde ihre Wunden heilen und aus den Schatten ihrer Vergangenheit heraustreten. Heute Abend war der erste Schritt auf diesem Weg, und sie wollte ihn mit erhobenem Haupt gehen.

4. KAPITEL

Sofort als er das Museum betrat, wurde Rafael von diversen Leuten in ein Gespräch verwickelt. Aber es war ihm bewusst gewesen, dass es so sein würde, als er sich heute auf den Weg zu dieser Veranstaltung gemacht hatte.

Es war wie ein Haifischbecken, nur dass er der Hai war, den alle anbettelten, sie zu verspeisen. Die meisten von ihnen wollten sich selbst in ein gutes Licht rücken, um ihn um einen Ausstellungsplatz anzubetteln. So lief sein Auswahlverfahren aber nicht, er war nicht jemand, der sich leicht beeindrucken ließ. Für ihn zählten die Werke selbst, ihre Authentizität und ihre Fähigkeit, Emotionen zu wecken. Es ging ihm um mehr als leere Versprechungen und geschickte Selbstvermarktung.

Worte konnten vieles sein. Eine Lüge. Ein Versprechen. Ein Geständnis. Sie konnten zerstören und gleichzeitig voller Aufrichtigkeit sein. Rafael hatte von seinem Großvater, der ihn in das Geschäft eingearbeitet und unter seine Fittiche genommen hatte, früh gelernt, dass man bloßen Worten nicht trauen durfte.

Daher wusste er, dass dieser Abend mehr als nur ein gesellschaftliches Ereignis war. Es war eine Gelegenheit, die Beziehungen zu pflegen, die sein Großvater sorgfältig aufgebaut hatte. Rafael hatte von ihm gelernt, dass in ihrer Welt nicht nur die Kunst selbst, sondern auch Beziehungen von entscheidender Bedeutung waren.

Sein Großvater war ein Meister darin gewesen, Bindungen zu knüpfen und zu erhalten, eine Fähigkeit, die Rafael zwar respektierte, aber nie ganz zu seiner eigenen machen konnte. Während er also in einem Kreis von Menschen stand, die sich alle in das beste Licht rücken wollten, hörte er nur mit einem Ohr zu. An passenden Stellen nickte er oder zeigte ein Lächeln, nebenbei suchte er jedoch mit den Augen nach Eduardo Martinez, dem alten Freund seiner Familie, um ihm für die Einladung zu danken.

Eduardo hatte vor vielen Jahrzehnten mit Rafaels Großvater in der ersten Galerie der Stadt, der Sala Parés, als Galerist gearbeitet. Die beiden freundeten sich an und gründeten wenige Jahre später ihre eigene Galerie. Während Rafaels Großvater das Geschäft mit dem Profit liebte und voll darin aufging, ergatterte Eduardo einen Posten als Museumsmanager und die geschäftlichen Wege der zwei trennten sich.

Privat waren sie jedoch bis zum Tod von Rafaels Großvater vor fünf Jahren Freunde gewesen, und Eduardo unterstützte seitdem nun ihn in allen möglichen Belangen.

Als Rafaels Blick endlich auf Eduardo traf, spürte er einen kurzen Stich inmitten seiner Brust. Welliges, kastanienbraunes Haar ergoss sich über den Rücken einer schlanken Frau, die bei ihm stand. Ihr schwarzes Kleid betonte jede ihrer perfekten Rundungen und reichte ihr bis knapp über das Knie. Mit ihr hatte er nicht gerechnet.

Sofort fühlte er diese enorme Anziehung, die Catalina schon immer auf ihn ausgeübt hatte. Auch wenn sie mit ihren hohen Schuhen und in dem Kleid atemberaubend aussah, hatte sich ein anderes Bild in sein Gedächtnis gebrannt: ihr Anblick in ihrem karierten Arbeitshemd mit enger Jeans und einem weißen Trägertop, das Haar unordentlich zusammengebunden.

Er schaffte es nicht mehr, der Unterhaltung zu folgen, stattdessen hing sein Blick wie von einem Magneten angezogen an ihr. In seinem Kopf lief ein Film ab mit all den Dingen, die sie miteinander getan hatten. Er sah jeden einzelnen Kuss, hörte ihr leises, süßes Stöhnen, wenn er sie küsste, sie auf ihren Schreibtisch in ihrem Atelier hob und sich zwischen ihre Beine stellte. In Gedanken knöpfte er langsam ihr Hemd auf und strich es behutsam von ihren Schultern, ohne die Regung ihres hübschen Gesichts aus den Augen zu lassen.

Himmel, er musste sich unbedingt unter Kontrolle kriegen. Vor allem weil sein Plan nun war, mit ihr zu sprechen, auch wenn sie sich wahrscheinlich besser aus dem Weg gehen sollten. Doch nun waren sie schon mal beide hier. Kurz fragte Rafael sich, ob Eduardo das nicht so eingefädelt hatte.

Eduardo hatte ihm schon während ihrer Beziehung mitgeteilt, er sei der Meinung, dass Catalina ihm guttat, doch der Mann wusste längst nicht alles, was zwischen ihnen passiert war und wofür sie ihn nun hasste.

Leidenschaft und Hass lagen nah beieinander, und die Beziehung mit Catalina war die leidenschaftlichste gewesen, die er jemals geführt hatte.

Und in diesem Moment passierte es. Catalina drehte leicht ihren Kopf in seine Richtung, als würde sie spüren, dass er sie musterte, so wie früher. Ihre Blicke trafen sich, und eine erneute Welle der Sehnsucht überwältigte ihn. So war es schon damals gewesen. Immer, wenn er sie angesehen hatte, hatte es irgendwas mit ihm gemacht.

Nicht nur, weil ihre hübschen Augen von langen Wimpern umrahmt und in der Farbe von sattem Whisky waren, sondern weil sie durch seine Fassade geschaut hatten. Von Anfang an. Und auch jetzt taten sie das. Als könnte Catalina jedes einzelne Gefühl lesen, das in ihm wütete. Verdammt.

Seine Finger verkrampften sich um den Stil der Sektflöte, die andere Hand ballte er zur Faust, um sich davon abzuhalten, zu ihr zu gehen und sie zu berühren, durch ihre dichten, kastanienbraunen Strähnen zu streichen und sie daran sanft an sich zu ziehen, um ihre weichen Lippen mit seinen zu kosten.

So wie damals, bei ihrem allerersten Kuss.

Ob sie noch dieses Parfum trug, das ihm die Sinne noch zusätzlich benebelt hatte?

Es war jedoch nicht nur Catalinas Aussehen, das Wirkung auf ihn hatte, es war ihre Hingabe an die Kunst, ihre Art, sich vor die zu stellen, die sie liebte, ihre Intelligenz, ihre Wachsamkeit bei den kleinen Dingen. All das machte sie zu der ultimativen Versuchung, der er niemals hatte widerstehen können. Und auch jetzt hatte er Schwierigkeiten damit.

In ihrem Blick erkannte er Schmerz, Sehnsucht und Verletztheit. Er konnte in ihren Augen dieselben Empfindungen entdecken, die auch ihn umtrieben.

Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den jungen Mann neben sich und lachte, als der sie sanft am Arm berührte, und das weckte bei Rafael einen unnatürlich starken Drang, sie von hier zu entführen und mit ihr alleine zu sein.

Wer war dieser Kerl? Und wieso störte es ihn, dass sie auf einen seiner Scherze reagierte, dass der Fremde sie zum Lachen brachte, so wie er es früher getan hatte?

„Was halten Sie davon, Rafael?“

Diese Frage eines Umstehenden, von dem ihm nicht einmal mehr der Name einfiel, riss ihn aus seiner Grübelei. Ihm fiel gar nichts mehr ein, so sehr war er damit beschäftigt gewesen, zu überlegen, wie er es hinbekommen könnte, wenigstens einen Moment mit Catalina allein zu sein.

Er lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf die Leute um ihn, die ihn gespannt anschauten und auf seine Antwort warteten. Dabei hatte er keine verdammte Ahnung, worum es überhaupt in den letzten Minuten gegangen war. Er wusste nur eins: Er würde mit Catalina sprechen. Heute noch.

Catalina fühlte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Rafael war hier. In diesem Raum. Nur wenige Schritte von ihr entfernt. Sie hatte seinen Blick gespürt, als würde er sie körperlich berühren. Und großer Gott, er sah noch viel besser aus als in ihrer Erinnerung.

Das Hemd schmiegte sich perfekt an seinen breiten Oberkörper, dazu trug er eine passende Anzughose. Sein schwarzes Haar hatte die perfekte Länge, um leidenschaftlich hindurchstreichen zu können, und seine Augen … Grundgütiger! Seine moosgrünen Augen schafften es jedes Mal, sie völlig durcheinanderzubringen.

Als er sie ansah, zog er seine dichten Brauen etwas zusammen, was seinen Blick noch intensiver machte.

Catalina war froh, als Mateo das Wort an sie richtete und sie ihre Aufmerksamkeit endlich aus Rafaels Bann ziehen konnte. Sie wollte sich nicht in seinem Blick verlieren.

Ihr Herzschlag stolperte in ihrer Brust, ihre Hände waren feucht, und sie hatte Schwierigkeiten, der Unterhaltung zu folgen. Auch wenn sie Rafael nun den Rücken zuwandte, wusste sie, dass eine Konfrontation unweigerlich be...

Autor

Nina Singh
Nina Singh lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und einem sehr temperamentvollen Yorkshire am Rande Bostons, Massachusetts. Nach Jahren in der Unternehmenswelt hat sie sich schließlich entschieden, dem Rat von Freunden und Familie zu folgen, und „dieses Schreiben doch mal zu probieren“. Es war die beste Entscheidung ihres Lebens. Wenn...
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Karin Baine
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