Romana Extra Band 63

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SETZ ALLES AUF DIE LIEBE von CARPENTER, TERESA
Millionär Jethro Calder wird in der Glitzercity Las Vegas von den schönsten Frauen umschwärmt. Aber Lexi, die ihn zu einem Event begleiten soll, ist etwas ganz Besonderes. Besonders süß, besonders kess - und besonders geheimnisvoll, denn sie scheint etwas vor ihm zu verbergen …

SÜßE VERFÜHRUNG IN NOTTING HILL von CALLAHAN, NANCY
Ihr kleiner Pralinenladen im angesagten Notting Hill bedeutet Sarah alles - doch dann wird ihr der Mietvertrag gekündigt! Wütend stellt sie den Immobilienbesitzer zur Rede. Der entpuppt sich als Traummann und versucht sogar, mit ihr zu flirten …

IM PALAST DER TAUSEND TRÄUME von MCMAHON, BARBARA
Die Tage mit Scheich Surim in seinem Palast sind für die junge Melissa schön und traurig zugleich. Sie erwidert seine zärtlichen Küsse, obwohl sie ahnt, dass es nie ein Happy End für sie geben wird. Denn der charmante Wüstenherrscher soll in Kürze die standesgemäße Yasine heiraten …

DIE FALSCHE BRAUT DES PLAYBOY-PRINZEN von HANNAY, BARBARA
Ihre Zwillingsschwester ist plötzlich verschwunden, also muss Charlie als Braut von Rafael St. Romain einspringen. Doch mit jedem Tag auf dem fürstlichen Schloss in den Alpen werden ihre Gefühle für ihren adligen Schein-Verlobten zärtlicher …


  • Erscheinungstag 27.12.2017
  • Bandnummer 0063
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744687
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Teresa Carpenter, Nancy Callahan, Barbara McMahon, Barbara Hannay

ROMANA EXTRA BAND 63

TERESA CARPENTER

Setz alles auf die Liebe!

Seit dem Tod ihrer Freundin kümmert Lexi sich um deren kleine Tochter. Ihr zuliebe lässt sie sich auf ein doppeltes Spiel mit dem attraktiven Millionär Jethro Calder ein. Er ahnt nichts von seinem Kind …

NANCY CALLAHAN

Süße Verführung in Notting Hill

Sie ist die süßeste Verführung: Die hübsche Pralinenmacherin Sarah Finley fasziniert den Hotelbesitzer Tom Everdeen. Doch wie soll er diese Frau von sich überzeugen, die ihn offenbar für ihren Feind hält?

BARBARA MCMAHON

Im Palast der tausend Träume

Als Scheich Surim sie küsst, fühlt sich Melissa im siebten Himmel. Sie träumt davon den attraktiven Mann zu heiraten. Oder folgt er der Tradition und nimmt Yasine, die ihm versprochen ist, zur Frau?

BARBARA HANNAY

Die falsche Braut des Playboy-Prinzen

Nur wenige Wochen bis zu seiner Vermählung mit Olivia – da verschwindet die Braut von Fürst Rafael St. Romain spurlos! Nur eine Frau kann einen Skandal verhindern: Olivias Zwillingsschwester Charlie …

1. KAPITEL

Ihre Hand bebte, als Lexi Malone sich die Lippen nachzog. „Tu es für Jazi!“, machte sie sich Mut. Um ihre kleine Patentochter zurückzugewinnen, musste sie einen Fremden auf seine mögliche Vaterschaft hinweisen. Als Tänzerin war sie zwar den Umgang mit fremden Männern gewöhnt, doch sie befand sich auf seinem ureigenen Territorium. Jethro Calder war einer der Geschäftsführer von Pinnacle Enterprises und Besitzer des Beacon, des eleganten Restaurants im Pinnacle-Hotel und Kasino, in dem er auch eine der Penthousesuiten bewohnte.

Falls ihr Verdacht sich bestätigte und er Jazis Vater war, stand es allein in seiner Macht, ihr das Kind zurückzugeben.

Lexi hatte sich gründlich über ihn informiert. Er war einer der Fantastischen Vier, die Pinnacle zu einem der erfolgreichsten Computerspiele-Hersteller gemacht hatten. Kürzlich hatte er in einem Interview geäußert, er wolle sich niemals eine Familie zulegen. Seine Arbeit erfülle ihn weitaus mehr, als Beziehungen es vermochten.

Darauf baute Lexi. Jazis Zukunft lag in seinen Händen – sofern sich ihre Vermutung bestätigte. Das herauszufinden war an diesem Abend ihr Ziel. Sie musste sein Muttermal mit eigenen Augen sehen.

„Für Jazi“, wiederholte sie an der Tür zu dem in dunklem Leder, hellem Holz und funkelndem Kristall gehaltenen Restaurant und trat ein.

Dass Alliyah, ihre beste Freundin und Jazis Mutter, heute Geburtstag gehabt hätte, erschien ihr als gutes Omen. Genau wie Lexi war sie Tänzerin gewesen und hatte nebenbei bei einer renommierten Begleitagentur als Escort-Dame gearbeitet. Sex gehörte zwar nicht zum Job, doch wenn der Funke übersprang … Jazi war das Resultat einer solchen Gelegenheit. Alliyah hatte sofort bei der Agentur gekündigt, als sie von der Schwangerschaft erfuhr, und niemandem verraten, wer der Vater war. Daher hatte das Jugendamt ihr Kind zu Pflegeeltern gegeben, als sie bei einem Autounfall ums Leben kam, was Alliyah, die selbst in staatlicher Obhut aufgewachsen war, niemals gewollt hätte.

Wenigstens das hat Mom mir erspart, dachte Lexi, die in ihrer Kindheit unter dem strengen Reglement ihrer Mutter gelitten hatte. Das gehörte jedoch der Vergangenheit an. Jetzt ging es darum, das Sorgerecht für ihr Patenkind zu erlangen, und Jethro Calder hielt den Schlüssel dazu in seinen Händen.

Sie sah ihn sofort beim Eintreten. Tief in Gedanken versunken, saß er an der Bar. Der elegante schwarze Anzug, das schwarze Haar, die dunklen Augen und markanten Züge ließen ihn unnahbar und zugleich unwiderstehlich wirken.

Äußerlich gelassen, ging Lexi zur Bar und bestellte einen Manhattan, das Signal, dass sie von Excursions geschickt worden war.

Lexi kannte die Chefin von der Agentur, die mehrfach versucht hatte, sie als Mitarbeiterin anzuwerben. Sie hatte diese gebeten, ihr eine Begegnung mit Jethro Calder zu vermitteln. Aus Sorge um ihr Unternehmen hatte Sally jedoch abgewinkt. Doch gerade war eine Escort-Dame kurzfristig ausgefallen, und sie hatte Lexi angeboten, den Platz einzunehmen.

„Darf ich Ihnen diesen Drink spendieren?“ Ein älterer Herr setzte sich viel zu nahe neben sie.

Ehe sie ihm eine Abfuhr erteilen konnte, hörte sie eine Männerstimme sagen: „Sie gehört zu mir.“ Jethro Calder reichte ihr die Hand und half ihr vom Stuhl. „Sie haben sich verspätet“, raunte er ihr zu.

„Ich bin auf die Minute pünktlich“, protestierte sie leise und blickte sich dabei verlegen um. Niemand achtete auf sie bis auf eine Dame mittleren Alters, die zu ihnen herübersah.

„Wieso bekommst du immer die schönen, jungen Frauen, Calder?“, protestierte der aufdringliche Mann frustriert.

Calder ignorierte ihn und wandte sich an den Barkeeper: „Madisons Getränke gehen heute aufs Haus.“

„Wir hatten Streit“, erklärte Lexi dem Enttäuschten und hakte sich bei Calder unter, um keinen Verdacht zu erregen. Im Vorbeigehen stellte sie ihren unberührten Drink vor die Dame, die sie beobachtet hatte. „Der Gentleman dort hat Ihnen einen Drink ausgegeben.“

Der ältere Herr verschluckte sich und hustete noch, als Calder sie wegführte.

„Sie sind spät dran“, beharrte er auf dem Weg zum Lift. „Das lasse ich Ihnen nur durchgehen, weil es höchst amüsant war, wie Sie Ihren Drink ausgerechnet Madisons Exfrau haben zukommen lassen.“

Lexi betrachtete verblüfft seine unbewegte Miene. Sah er immer so ernst aus, wenn er sich amüsierte? „Das war seine Ex?“

„Sie speist jeden Freitag hier.“

„Und er reißt vor ihren Augen junge Dinger auf?“

„Jede Woche seit sechs Monaten.“

„Wie sonderbar!“

„Wer in einem Kasino lebt, wundert sich über nichts mehr.“

„Es genügt, in einem zu arbeiten.“ Lexi hatte ihren Job als Tänzerin aufgegeben, um Zeit für Jazi zu haben, sobald sie das Sorgerecht zugesprochen bekam. Seither war sie Stylistin im Spa des Pinnacle-Hotels.

„Sie arbeiten in einem Kasino?“ Verblüfft wandte er sich ihr zu, und Lexis Herzschlag setzte für einen Moment aus. Seine Augen waren genauso außergewöhnlich dunkelblau wie die von Jazi. Er musste ihr Vater sein!

„Arbeitet nicht jeder, der in Las Vegas lebt, irgendwann in einem Kasino?“

„Das beantwortet meine Frage nicht.“

„Ich bin Stylistin im Modern Goddess Salon hier im Pinnacle. Ist das für Sie ein Problem?“

Er zögerte kurz. „Nein.“

„Wohin gehen wir heute Abend eigentlich? Die Agentur hat es mir nicht mitgeteilt.“

„Das verrate ich grundsätzlich erst, sobald wir unterwegs sind.“ Seine Privatsphäre schien ihm so wichtig zu sein, wie es in dem Interview in der Zeitschrift zum Ausdruck gekommen war.

Mittlerweile waren sie mit dem Lift ins Erdgeschoß gefahren und durchquerten nun das Hotelfoyer. Er ging so schnell, dass Lexi Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. „Woher weiß Ihre Begleiterin dann, was sie anziehen soll?“ Nervös zupfte sie am Saum ihres schwarzen Minikleids.

„Die Agentur wird über die Art des Events informiert.“ Er betrachtete Lexi eingehend, was in ihr ein seltsames Prickeln hervorrief. „Ihr Kleid passt zum Anlass.“

„Da bin ich aber froh!“ Lexi trug ein klassisches kleines Schwarzes mit tiefem V-Ausschnitt, das ihre Figur betonte und ihr dennoch Bewegungsfreiheit ließ. Es wirkte zugleich elegant und sexy und glitzerte bei jedem Schritt.

Vor dem Gebäude stand für sie bereits eine Limousine bereit. Der Portier öffnete ihnen den Wagenschlag. „Guten Abend, Mr. Calder. Lexi.“

„Hi, Miguel. Wie geht’s dem Baby?“, begrüßte sie ihn.

„Es ist so schön wie die Mutter.“

„Miguel und seine Frau haben gerade eine Tochter bekommen“, erklärte Lexi ihrem Begleiter.

Calder nickte. „Glückwunsch. Wir müssen los.“ Er bedeutete ihr einzusteigen.

Kalter Hund, dachte sie. Als sie beim Blick über die Schulter jedoch sah, wie er Miguel einige Hundertdollarnoten in die Hand drückte, änderte das ihre Meinung. Und als er sich neben sie setzte und ihr sein frisches Aftershave in die Nase stieg, wurde ihr ganz heiß.

Reiß dich zusammen, du hast eine Mission!

In dem Interview hatte Jethro Calder zwar betont, dass er auf Familie und Kinder verzichten wolle, dennoch schien er Kindern gegenüber nicht gleichgültig zu sein, sonst hätte er Miguel kein dermaßen großzügiges Trinkgeld gegeben. Das war gut. Jazi musste ihm so wichtig sein, dass er Lexis Plan bestimmt zustimmte.

„Woher kennen Sie Miguel?“ Jethro wunderte sich über sich selbst. Wieso fragte er danach? Seine Begleiterin musste lediglich gut aussehen und in der Lage sein, einem Gespräch eine neue Richtung zu geben, falls nötig.

„Aus dem Salon, in dem ich arbeite. Miguel hat seiner Frau nach der Geburt eine Behandlung im Spa geschenkt. Ich fand die Idee gut und habe meiner Chefin vorgeschlagen, ein Angebot speziell für junge Mütter anzubieten und im Kasino und Hotel zu bewerben. Inzwischen wird es gut angenommen.“

„Sie arbeiten im Marketing?“

„Oh nein. Ich bin Stylistin.“

Die Escort-Damen von Excursions waren zumeist Künstlerinnen oder Geschäftsfrauen. Jethro buchte hauptsächlich Letztere, da er auf mehr Berührungspunkte hoffte. Zudem war sein letztes Date mit einer Tänzerin weiter gegangen als geplant. Das durfte nicht noch einmal vorkommen. Er trennte strikt zwischen sozialen und sexuellen Kontakten. Beides zu vermischen führte zu Komplikationen und Erwartungen, die er nicht erfüllen konnte und wollte.

Bedeutungsloser Sex war leicht zu haben. Viel schwieriger war es, Begleiterinnen zu finden, die nach einem Date nicht auf mehr aus waren. Excursions löste dieses Problem. Dass er als Playboy galt, weil er ständig mit anderen Frauen ausging, störte Jethro nicht. Er wollte niemanden beeindrucken, und wenn sein Ruf heiratswütige Frauen abschreckte, umso besser.

Nur ein einziges Mal hatte er mit einer Escort-Dame geschlafen, einer umwerfenden, intelligenten Tänzerin. Alliyah hatte ihn zu einer Gala begleitet, bei der ihm ein wichtiger Preis verliehen worden war. Er hatte mehr getrunken, als ihm guttat, am Ende des Abends waren sie, von dem aufregenden Event noch ganz aufgewühlt, zusammen im Bett gelandet. Am nächsten Morgen beim Aufstehen war sie bereits fort gewesen, und er hatte Excursions angewiesen, ihm künftig ausschließlich Geschäftsfrauen zu schicken. Alliyah hatte er nie wiedergesehen.

Umso verwunderlicher fand er es, dass die Agentur ihm nun offenbar wieder eine Tänzerin schickte. Lexis geschmeidige Bewegungen verrieten sie. Zudem wusste er nichts über sie, während er sonst detaillierte Informationen über jede Begleiterin erhielt. Während er eine Textnachricht in sein Handy tippte, fragte er: „Sind Sie Tänzerin?“

„Wie bereits erwähnt, arbeite ich im Modern Goddess seit einem Monat. Bis dahin war ich allerdings Tänzerin.“ Sie befeuchtete ihre Lippen, was seinen Blick auf ihren verführerischen Mund lenkte. „Jetzt mache ich den Kundinnen im Spa das Haar. Mir gefällt die Idee, junge Mütter zu verwöhnen. Ich weiß noch genau, wie erschöpft und gestresst meine Mitbewohnerin nach der Geburt meines Patenkindes war.“

„Hm. Wie heißen Sie?“

„Oje.“ Sie lachte. „Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Alexa Malone. Bitte nennen Sie mich Lexi. Und Sie sind natürlich Jethro Calder. Ich habe das Interview im Pinnacle Newsletter nach der Preisverleihung für Ihr Spiel gelesen. Sie und Ihre Geschäftspartner sind sicher sehr stolz.“

„Der Preis ist eine schöne Anerkennung.“

„Das Spiel ist ja bereits seit zehn Jahren ein Kassenschlager.“

„Seit fünfzehn. Über die Hälfte der Zeit gehörte es zu den drei bestverkauften Spielen.“

„Wie ist es, mit Jackson Hawke zusammenzuarbeiten?“

Jethro runzelte die Stirn. Die Frage wurde ihm häufig gestellt, meist von Leuten, die durch ihn an Jackson herankommen wollten. Lexi dagegen wirkte schlichtweg neugierig. „Er ist ein begnadeter Programmierer und überlässt mir bereitwillig die Finanzen.“

„Jeder ist auf seine Art talentiert. Meine Begabung liegt in der Musik. Verraten Sie mir jetzt, wohin wir fahren?“

Lexi gestikulierte beim Reden intensiv, und Jethro überlegte noch, ob ihm das gefiel oder nicht, ob sie charmant oder er lediglich von ihrem verführerischen Mund verzaubert war. Außerdem fand er es interessant, dass sie Musik gesagt hatte und nicht Tanzen. „Zu einer Ausstellung im Caesar’s Palace.“ In diesem Moment signalisierte sein Handy, dass eine Nachricht eingetroffen war, die er sofort las. „Zumindest ich fahre dorthin. Was Sie tun, weiß ich noch nicht.“ Er zeigte ihr das Display. „Ihr Name ist bei Excursions nicht registriert. Wer sind Sie?“

Erschrocken sah Lexi ihn an. Er hatte sie ertappt!

Jethro hielt ihr das Handy hin, und dabei rutschten die Ärmel seiner Jacke und seines Hemds hoch und ein Muttermal wurde sichtbar, das dem von Jazi aufs Haar glich.

Es hatte die Form einer Libelle mit gekringeltem Schwanz und war Lexi auf dem Foto im Pinnacle Newsletter aufgefallen, auf dem Calder und seine Freunde den Preis in die Höhe hielten. Seitdem glaubte sie, dass er mit dem Kind ihrer Freundin verwandt sein musste, ja, vielleicht sogar der Vater war. Nun schien sich ihre Vermutung zu bestätigen. Als sie gelesen hatte, dass er sich keine Familie wünschte, war in ihr die Hoffnung aufgekeimt, er würde ihr seine Tochter überlassen.

„Ms. Malone?“

Lexi blinzelte und konzentrierte sich erneut auf den Mann mit der undurchdringlichen Miene und den dunkelblauen Augen. Er hielt ihr Schicksal in Händen und das von Jazi. Das jagte ihr eine Heidenangst ein. Wenn sie versagte, würde sie die Kleine nie zurückbekommen. Sie hatte nur diese eine Chance. „Es stimmt, ich arbeite üblicherweise nicht für Excursions.“ Sie lächelte entschuldigend.

„Wollten Sie sich ein Date mit mir erschleichen?“

Lexi beschloss, möglichst nah an der Wahrheit zu bleiben. „Meine beste Freundin Alliyah hat für die Agentur gearbeitet. Sie ist vor sechs Monaten gestorben. An diesem Tag hätte sie Geburtstag gehabt. Davon wollte ich mich ablenken, deshalb habe ich Sally gebeten, mir ein Date zu verschaffen. Ihr hatte gerade eine Escort-Dame abgesagt, und so gab sie mir diesen Auftrag. Rufen Sie sie ruhig an.“ Lexi hielt die Luft an, denn sie wollte Sally keine Probleme bereiten.

„Wie haben Sie mich erkannt?“

„Dem Artikel im Pinnacle Newsletter war ein Foto beigefügt. Kannten Sie Alliyah zufällig auch? Alliyah West?“

„Sie hat mich gelegentlich begleitet. Wie ist sie ums Leben gekommen?“

„Bei einem Autounfall.“

„Das tut mir leid. Sie war jung, schön und charmant.“

Lexi sah aus dem Fenster. Draußen zog gerade der Las Vegas Strip vorbei. „Mir tut es leid, wenn ich Ihren Erwartungen nicht entspreche. Am besten setzen Sie mich hier ab, dann nehme ich mir ein Taxi zurück zum Pinnacle. Oder legen Sie vielleicht doch Wert auf meine Begleitung?“ Sie schenkte ihm ein verführerisches Lächeln.

„Flirten Sie etwa gerade mit mir?“

„Bestimmt nicht, denn ich halte Sie für einen Spießer. Dennoch würde ich Sie zu dem Event begleiten – sogar kostenlos.“

„Sie würden den Abend mit einem Spießer verbringen?“

„Immerhin fahren Sie eine tolle Limousine.“

„Wenn Sie mich begleiten, zahle ich natürlich dafür.“

„Warum?“

„Das gibt der Beziehung etwas Geschäftsmäßiges.“

„Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen auch noch die Haare schneiden“, neckte sie ihn.

Wie erwartet, begriff er nicht sofort, worauf sie anspielte. „Wie kommen Sie auf diese Idee?“

„Als Stylistin schneide ich auch Haare.“

„Das wollte ich nicht wissen.“

„Ich ziehe Sie nur ein wenig auf, weil Sie so ein Wichtigtuer sind.“

„Soso, ein Spießer und Wichtigtuer!“, stieß er entrüstet hervor.

„Und Sie fühlen sich auch noch wohl dabei.“

„Ich schätze eben klare Verhältnisse.“

„Wenn ich Sie recht verstehe, wollten Sie mir damit sagen, dass wir kein Date miteinander haben.“

„So ist es. Und da Ihre Zeit vermutlich ebenso wertvoll ist wie meine, finde ich es nur fair, dafür zu bezahlen.“ Als sie nickte, lehnte er sich entspannt zurück.

So leicht ließ Lexi ihn jedoch nicht davonkommen und lächelte ihn strahlend an. „Lassen Sie uns lieber als Freunde miteinander ausgehen.“

„Wir sind keine Freunde. Ich kenne Sie nicht.“

„Manchmal funkt es zwischen zwei Menschen, und sie werden Freunde fürs Leben.“

„Bei mir jetzt nicht.“

„Wir waren beide mit Alliyah befreundet.“ Er wirkte so allein, dass Lexi es kaum ertragen konnte. Wenigstens einen Abend lang wollte sie für ihn da sein – schließlich war er Jazis Vater.

Plötzlich ergriff er ihre Hand und drückte sie. „Sie vermissen sie wohl sehr?“

Mit Tränen in den Augen nickte Lexi. Instinktiv erwiderte sie den Druck. „Ich wäre froh, den Abend mit jemandem verbringen zu können, der sie kannte.“

„Also gut.“ Er ließ ihre Hand los. „Vergessen Sie nur nicht, es handelt sich hier um kein Date.“

„Dann bekomme ich keinen Gutenachtkuss zum Abschied?“

Frustriert schüttelte er den Kopf. „Ich mag ja ein Spießer sein, aber Sie sind unmöglich!“

„Ist das etwas Schlechtes?“

Stöhnend ließ er das Kinn auf die Brust sinken. Lexi sah gerade noch, wie es um seine Mundwinkel verdächtig zuckte.

„Wir besuchen die Vernissage in der Maxim-Galerie im Caesar’s Palace“, erklärte Jethro.

„Davon habe ich gehört. Leider verstehe ich nur gar nichts von Kunst.“

„Das ist auch nicht nötig.“ Jethro wunderte sich, dass er sie überhaupt mitnahm. Er war weder impulsiv noch akzeptierte er Lügen. Lexi hatte nichts mit seinen bisherigen Begleiterinnen gemein. Allein die Tatsache, dass sie eine ehemalige Tänzerin war, hätte ihn dazu veranlassen sollen, sie umgehend auf dem Strip abzusetzen.

Ihre Unbeschwertheit und Natürlichkeit waren zwar Balsam für seine Seele, ihre Unverschämtheit sprengte jedoch jedes Maß. Niemand hatte ihn bislang jedoch einen Spießer und Wichtigtuer genannt.

„Ich merke natürlich, ob mir ein Bild gefällt oder nicht. Dabei mag ich alles Mögliche, angefangen bei einem Elvis-Samtbild bis hin zu einem Porträt einer freundlichen alten Dame. Den künstlerischen Wert eines Gemäldes erkenne ich dagegen nicht.“

„Elvis-Bilder auf Samt sind bestimmt nicht von besonderem kunsthistorischem Wert.“

Lexi lachte fröhlich und stupste ihn mit der Schulter an. „Das ist mir bewusst. Umso bedeutsamer war sein Beitrag zur Musikwelt. Und ich liebe die kräftigen Farben. Ich sehe mir die Bilder an und hoffe, dass er seinen Frieden gefunden hat.“

Jethro nickte nachdenklich. Er war ebenfalls ein großer Fan von Elvis Presley. Es irritierte ihn jedoch, etwas mit ihr gemeinsam zu haben. „Sie glauben also nicht, dass er noch lebt und lediglich untergetaucht ist?“

Traurig schüttelte sie den Kopf. „Er hätte nicht jahrelang auf die Musik verzichten können, und wenn er irgendwo aufgetreten wäre, hätte es sich unweigerlich herumgesprochen.“

„Wie alt sind Sie? Drei-, vierundzwanzig? Viel zu jung, um Elvis-Fan zu sein.“

„Gute Musik überdauert die Jahre. Im Übrigen bin ich siebenundzwanzig.“

Nicht ganz so jung, wie er befürchtet – oder gehofft – hatte. Es mochte zwar unklug sein, doch er begann, ihre Gesellschaft zu genießen. Sicherheitshalber beschloss er, einige Regeln aufzustellen, kam aber zunächst nicht dazu, denn in diesem Moment hielt die Limousine an. Der Wagenschlag wurde geöffnet, und Jethro stieg aus.

„Guten Abend, Mr. Calder“, begrüßte ihn der Portier. „Willkommen im Caesar’s Palace.“

„Danke. Wir wollen die Kittrell-Ausstellung besuchen.“

„Eine gute Wahl. Die Besucher strömen in Scharen dorthin.“

„Gut zu wissen.“ Jethro gab dem jungen Mann ein Trinkgeld, ehe er Lexi aus dem Wagen half.

„Sean! Du bist wieder in der Stadt“, rief sie und umarmte den Bediensteten. „Wie geht es deiner Mutter?“

Der junge Mann warf Jethro einen verlegenen Blick zu, ehe er sich Lexi zuwandte. „Sie ist wieder ganz auf den Beinen.“

„Wie schön. Grüß sie von mir.“

In diesem Moment ergriff Jethro ihre Hand und führte Lexi zum Eingang des Gebäudes. „Kennen Sie eigentlich jeden Portier in Las Vegas?“

„Für Entertainer ist Las Vegas geradezu ein Dorf. Viele Künstler haben hier einen Nebenjob. Haben Sie ein Problem damit?“

„Nein.“

„Irgendetwas irritiert Sie doch! Hätte ich nicht mit den Portiers reden sollen? Das wäre meiner Meinung nach grob unhöflich gewesen.“

„Portiers arbeiten im Hintergrund, Diskretion ist in ihrem Job wichtig.“

„Deswegen soll ich also unhöflich zu ihnen sein?“

„Sie erledigen schließlich einen Job.“

„Was für ein Snob Sie doch sind!“

„Das bin ich nicht. Ich halte nur nichts von belanglosem Gerede.“

„Ich auch nicht. Mich interessiert es wirklich, wie es Seans Mutter geht.“

„Das ist nicht der Punkt.“

„Sondern?“

„Ich finde nur, Sie sollten keinen Wirbel um einen Mann machen, während Sie in Begleitung eines anderen sind.“

„Wir haben doch kein Date miteinander“, erinnerte Lexi ihn selbstgefällig.

„Es genügt, dass wir miteinander ausgehen.“

„Ich soll also unhöflich zu den Valets sein, nicht aber zu Ihnen?“

„Genau. Nein! Kommen Sie mir nicht so! Sie bereiten mir Kopfschmerzen.“

Lexi lachte vergnügt. „Wenn Sie etwas lockerer wären, würden Sie keine bekommen.“

„Sie sind ein einziger Kopfschmerz.“

„Was für ein Kompliment! Sehen Sie nur, ein Gewitter zieht auf. Ich liebe Gewitter! Haben wir genügend Zeit, es uns anzusehen?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, setzte sie sich auf die steinerne Einfassung eines Brunnens. Jethro ließ sich neben ihr nieder, fasziniert von ihrer Begeisterungsfähigkeit.

Plötzlich sprang sie erschrocken auf. „Verzeihung – Sie wollen bestimmt möglichst schnell in die Ausstellung.“

„Nehmen Sie nur wieder Platz, und genießen Sie die Show. Im Gegenzug können Sie in der Galerie etwas für mich tun.“

Lexi setzte sich und berührte dabei mit den Knien seine. Erwartungsvoll sah sie an die Decke der Einkaufsmeile, an der sich dunkle Wolken aufzutürmen schienen, ehe erste Blitze darüber zuckten. „Dasselbe, was Ihre Begleiterinnen sonst für Sie tun?“

Irritiert sah er sie an. Was war schon dabei, wenn er seinen Begleiterinnen kleine Aufgaben zuteilte? Er entlohnte sie schließlich gut. „Schon gut, Sie brauchen nichts für mich zu erledigen.“

„Seien Sie nicht so empfindlich.“ Erneut stieß sie ihn mit der Schulter an. Als in diesem Moment grollender Donner ertönte, rief sie: „Es geht doch nichts über ein anständiges Gewitter! Wie können die anderen Leute nur ignorieren, was über ihren Köpfen vor sich geht?“

„Sie haben das Gewitter bestimmt schon gesehen, sind aber vielleicht in Gedanken oder in ein Gespräch vertieft, oder sie haben es einfach nur eilig.“ Jethro konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wann er sich jemals die Zeit genommen hatte, sich das Spektakel anzusehen. Es war eindrucksvoll und passte gut zu der einer römischen Stadt nachempfundenen Szenerie. „Etwas Ähnliches würde sich auch im Pinnacle-Kasino gut machen“, dachte er laut nach.

„Gewitter an der Decke, Kämpfe, eine Stadt in Flammen … Oder Sie schaffen ein Weltuntergangsszenario mit Meteoritenhagel, Blitzen … Sie könnten sogar die Wände mit einbeziehen. Möglicherweise würde es jedoch den Betrieb im Kasino beeinträchtigen.“

„Die Touristen würden es jedenfalls lieben. Sie würden sich stärker ins Spiel einbezogen fühlen als in der derzeitigen Dekoration.“ Jethro bewunderte Lexis Kreativität und ihre Spontaneität. Er hatte jedoch gelernt, dass nichts im Leben umsonst war. Nicht einmal Geistesblitze. Sie wollte etwas von ihm, davon war er überzeugt.

Sobald die Wolken sich lichteten, stand Lexi auf. „Ich finde die Idee jedenfalls toll. Leider haben Sie mir immer noch nicht verraten, was ich auf der Party für Sie tun kann.“

2. KAPITEL

Auf der Party? dachte Jethro verblüfft. Meinte Lexi etwa die Ausstellung? Plötzlich hatte er gar kein Interesse mehr daran, doch als Besitzer der Galerie und Mäzen des Künstlers musste er sich dort blicken lassen.

Der Erfolg von Pinnacle Enterprises genügte Jethro längst nicht mehr. Im Bestreben, sich und anderen zu beweisen, dass er auch ohne seine Freunde zurechtkam, hatte er unter anderem die Galerie und das Restaurant im Pinnacle gegründet.

„Ihre Aufgabe ist nicht weiter schwierig“, erklärte er Lexi im Weitergehen. „Sie sollen mir lediglich die Leute vom Leib halten, die mir ihre Ideen für neue Computerspiele, Songs und so weiter aufdrängen wollen.“

„Mit denen werde ich schon fertig. Erzählen Sie mir jetzt bitte etwas über den Künstler.“

„Er schneidet einzelne Elemente aus Fotos aus, fügt sie neu zusammen und haucht ihnen mithilfe einer von ihm selbst entwickelten Software neues Leben ein. Das Resultat sind überraschende Werke in lebhaften Farben.“

„Das klingt interessant.“ Zum ersten Mal an diesem Abend wirkte Jethro lebhaft, ja geradezu begeistert, wie Lexi fand. Er schien von dem Künstler sehr angetan zu sein. Seit sie dem Gewitterspektakel beigewohnt und Ideen bezüglich der Umgestaltung des Pinnacle ausgetauscht hatten, wirkte er ohnehin weniger spießig als zuvor.

Vor der Galerie wartete eine lange Schlange Neugieriger auf Einlass.

„Die Ausstellung scheint ein großer Erfolg zu werden“, stellte Lexi fest und hakte sich bei Jethro unter, um ihn in der Menge nicht zu verlieren. „Man versteht sein eigenes Wort kaum. Bei dem Lärm kann Ihnen kein Spielentwickler seine Ideen vorstellen.“

„Sie unterschätzen den Eifer dieser Leute, und in einer Menschenmenge können sie sich mir viel einfacher nähern.“

„Das liegt bestimmt an Ihrer warmherzigen Art“, scherzte Lexi.

Ein eisiger Blick traf sie. „Leben Sie gern gefährlich?“

„Die Versuchung ist einfach zu groß.“ Sie lachte schalkhaft. Eigentlich sollte ich ihn bei Laune halten, damit er meinen Plan unterstützt, überlegte sie. Doch sie hatte sich jahrelang verbiegen müssen und nicht sie selbst sein dürfen. Außerdem machte es riesigen Spaß, ihn aufzuziehen.

Gleich darauf standen sie vor dem ersten Werk des Künstlers. Lexi war hingerissen von der farbenfrohen tropischen Landschaft, in der der Bug eines kleinen Flugzeugs und ein Pavillon mit wehenden Vorhängen zu sehen war. Darin standen ein gedeckter Tisch und zwei Stühle. Daneben waren Fotografien der Lagune, des Flugzeugs und des Pavillons aufgehängt und der Name des Bildes genannt: Escape – Flucht.

„Am liebsten würde ich sofort dorthin hinfahren“, flüsterte sie.

„Es wirkt in der Tat einladend.“

„Mehr haben Sie nicht dazu zu sagen? Dann nehme ich jemand anders dorthin mit.“

„Jemanden mit Sinn fürs Abenteuer?“, fragte in diesem Moment eine Stimme hinter ihnen.

Lexi wandte sich zu dem großen, modisch gekleideten Mann mit langem dunklem Haar und grünen Augen um. „Und für Romantik und Lebenslust.“

„Das trifft genau die Stimmung, die ich einfangen wollte.“ Der Fremde reichte ihr die Hand. „Ich bin Ethan Kittrell.“

„Der Künstler“, erklärte Jethro und stellte ihm Lexi vor.

„Wie schön, dass mein Mäzen hier ist, noch dazu in so charmanter Begleitung.“

So attraktiv der Künstler auch war, neben Jethro verblasste er förmlich. Wie gut, dass wir kein Date miteinander haben, dachte Lexi. Jethro raubte ihr die Fassung. Da sie ihn an diesem Abend lediglich kennenlernen wollte, brauchte sie sich glücklicherweise ihm gegenüber nicht zu verstellen. Sie durfte entspannt ihren Spaß haben – solange sie ihm dabei nicht zu fest auf die Füße trat.

„Als er mir vorhin Ihre Bilder beschrieben hat, ist er geradezu übergesprudelt vor Begeisterung“, verriet sie Ethan.

„Ich habe noch nie gesprudelt!“

„Eben schon, und zwar aus gutem Grund. Diese Bilder sind atemberaubend!“ Sie betrachtete das nächste Bild. „Haben Sie hier mit einer Tüpfeltechnik gearbeitet?“

„Gut beobachtet. Dadurch lassen sich dramatische Schatten erzeugen.“

Lexi trat zurück, um das Bild aus der Entfernung auf sich wirken zu lassen, und Jethro stellte sich neben sie und umfasste ihre Taille. „Die Schatten lassen die Grenzen zwischen den einzelnen Schichten verschwinden und verleihen dem Bild Tiefe“, erklärte er. Dabei streifte sein Atem ihre Haut und ließ sie erschauern.

„Ethan, da sind Sie ja. Und Jethro. Wunderbar.“ Eine Frau mit kurzem schwarzem Haar und kräftigem Make-up hakte sich bei den Männern unter. „Die Presse ist da. Kommen Sie mit.“

Lexi folgte ihnen durch das Gedränge, wurde aber bald abgehängt. Kurzerhand beschloss sie, die Ausstellung auf eigene Faust zu erkunden. Jethro würde sie kaum vermissen.

Beim Herumschlendern begegnete sie alten Bekannten: dem Besitzer ihrer letzten Tanztruppe, dem Chefcroupier aus dem Pinnacle und einer Kundin aus dem Modern Goddess. Sie unterhielt sich mit ihnen, schwärmte dabei in den höchsten Tönen von dem Künstler und bewegte sogar ihren ehemaligen Chef zu einem Kauf.

Immer wieder vergewisserte sie sich, dass Jethro sie nicht brauchte. Die Schwarzhaarige, die Managerin der Galerie, wie sich herausstellte, verteidigte ihn wie eine Löwin ihr Junges und ließ niemanden an ihn heran.

Irgendwann kam Ethan zu Lexi. „Gut, dass ich Sie allein antreffe. Ich wollte Jethro als Dank für seine Unterstützung eines meiner Bilder schenken. Helfen Sie mir, eins auszusuchen?“

„Ich kenne ihn doch kaum.“

„Aber Sie verstehen ihn. Und er mag Sie.“

„Wie kommen Sie denn darauf?“

„Als Fotograf und Künstler lernt man, Menschen zu beurteilen. Bei Jethro ist das zugegebenermaßen schwierig. Er zeigt selten Gefühle und lässt niemanden an sich heran.“

„Damit widersprechen Sie sich selbst.“

„Gar nicht. Ich habe mitbekommen, dass Sie ihn ebenfalls durchschauen. Sie haben seine Begeisterung für meine Arbeit bemerkt, Sie necken ihn sogar.“ Er schüttelte den Kopf. „So herausfordernd wie Sie spricht sonst niemand mit ihm. Dass er es Ihnen durchgehen lässt, zeigt, wie sehr er Sie mag.“

Lexi hätte ihm nur zu gern geglaubt, denn Ihr Plan würde nur funktionieren, wenn Jethro sie sympathisch fand.

„Hinzu kommt noch die Art, wie er Sie ansieht. Er lässt Sie kaum aus den Augen.“

Unwillkürlich sah sie zu Jethro hinüber, der tatsächlich gerade zu ihr blickte, während er mit jemandem sprach. Als sie ihm zuwinkte, runzelte er die Stirn.

„Sie müssen die Entscheidung schon selbst treffen“, sagte sie zu Ethan.

„Ich wäre aber dankbar für Ihre Hilfe.“

„Also gut.“

„Es dauert nicht lange, und er schließt sowieso gerade Geschäfte ab. Schließlich gehört ihm die Galerie.“ Ethan nahm sie am Arm und führte sie von Bild zu Bild. Neben etlichen klebten rote Punkte, ein Zeichen dafür, dass sie bereits verkauft waren.

„Ich wusste gar nicht, dass er der Eigentümer ist. Wird die Galerie ins Pinnacle umziehen?“

„Das bezweifle ich. Die nächste Ausstellung ist hier bereits in Planung.“

Lexi fand es seltsam, dass Jethro die Galerie in einem anderen Kasino beließ als seinem eigenen. Andererseits gehörten neben dem Pinnacle-Hotel und – Kasino noch diverse andere Firmen zu Pinnacle Enterprises, die ebenfalls anderswo angesiedelt waren.

„Hat Jethro besonderes Interesse an einem der Bilder bekundet?“, erkundigte sie sich.

„Nein, denn er gibt, wie gesagt, wenig von sich preis. Deswegen dachte ich ja, Sie könnten mir helfen.“

In diesem Moment fiel ihr Blick auf das Bild eines altmodischen Salons. Eine glimmende Zigarre lag in einem Aschenbecher aus Kristall, daneben stand eine Flasche alter Bourbon. Es war in gedämpften Farben gehalten und dennoch ausdrucksstark, zugleich erinnerte es sie an die dezente Eleganz von Jethros Restaurant. „Das ist es. Es passt perfekt ins Beacon.“

Ethan betrachtete das Bild nachdenklich, ehe er nickte. „Stimmt, es spiegelt seine Persönlichkeit wieder. Ich markiere es besser sofort, ehe es verkauft wird. Vielen Dank.“ Er zog sie an sich, küsste sie auf die Stirn und eilte davon.

„Wenn er sich an meine Begleiterin heranmacht, muss ich ihn mir vorknöpfen“, flüsterte in diesem Moment ihr jemand ins Ohr.

Lexi fuhr erschrocken herum. „Wie lange stehen Sie schon hier?“, fragte sie.

„Seit einer Sekunde. Warum? Gibt es etwas, was ich nicht wissen soll?“

„Sie haben mich erschreckt, das ist alles.“ Um ihn abzulenken, deutete Lexi auf die vielen Menschen in den Räumen. „Sie müssen hochzufrieden sein. Ethan hat mir erzählt, die Galerie gehört Ihnen?“

„Erst seit Kurzem.“

„Calder!“ Ihr ehemaliger Chef und seine Frau gesellten sich zu ihnen. „Mit Ethan Kittrell haben Sie einen guten Fang gemacht“, stellten beide fest.

„Thomas und Irene! Wir bieten unseren Sammlern gern etwas Außergewöhnliches.“

„Das ist Ihnen wirklich gelungen. Irene hat sich auf Anhieb in eins der Bilder verliebt.“

„Ich bewundere Ihren Geschmack, Irene.“

Die ältere Dame lächelte geschmeichelt. „Und ich muss meine Meinung über Ihren Frauengeschmack revidieren. Natürlich respektiere ich, dass ein junger Mann Abwechslung sucht, dennoch hoffe ich, Sie erkennen, welchen Schatz Sie in Lexi gefunden haben.“

Schlagartig wurde seine Miene undurchdringlich. „Sie kennen sich?“

Lexi fand es an der Zeit, um einzugreifen, denn Jethro fühlte sich offensichtlich angegriffen und suchte jetzt nach höflichen Worten, um einer guten Kundin zu verstehen zu geben, dass sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollte.

„Wir sind lediglich Freunde und kein Paar. Heute hätte Alliyah Geburtstag, und wir feiern ihn sozusagen gemeinsam.“ Sie lächelte traurig. „Das hätte ihr bestimmt gefallen.“

„Ganz bestimmt.“ Irene betrachtete Jethro voller Mitgefühl. „Entschuldigen Sie. Was für eine Tragödie. Sie war noch so jung. Wissen Sie …“

„… was ihre Familie macht?“, unterbrach Lexi sie hastig, ehe Irene auf Alliyahs Tochter zu sprechen kam. „Sie kommen einigermaßen zurecht, vermissen sie aber schrecklich.“

„Geben Sie uns Bescheid, falls wir helfen können.“

„Und vergessen Sie nicht: In meiner Truppe ist immer ein Platz für Sie frei“, ergänzte ihr Mann.

„Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“ Nachdem die beiden sich entfernt hatten, wandte Lexi sich Jethro zu. „Es tut mir leid.“

Insgeheim war sie erleichtert, dass die Rede nicht auf Jazi gekommen war. Sie wollte diejenige sein, die Jethro von dem Kind berichtete, um ihn zu überzeugen, ihrem Plan zuzustimmen.

„Worauf haben Sie es eigentlich abgesehen?“, fragte er sie wie aus heiterem Himmel, packte Lexi am Arm und zog sie in einen nur schwach beleuchteten Flur.

„Hey!“ Vergebens versuchte sie, seine Hand abzuschütteln.

„Wer sind Sie?“

„Was soll die Frage? Ich bin Lexi.“

„Und wieso kennt jeder Sie?“

„Keine Ahnung. Sie tun mir weh!“

„Hören Sie auf, sich zu wehren, dann tut es auch nicht weh.“ Dennoch lockerte er seinen Griff, ohne sie jedoch freizugeben, und führte sie den Flur entlang in ein Büro, das vermutlich der Managerin der Galerie gehörte. Dort erst ließ er sie los und betrachtete mit gerunzelter Stirn den roten Abdruck auf ihrem Arm. „Sie haben aber eine empfindliche Haut.“

Lexi setzte sich auf einen Stuhl und warf Jethro einen bösen Blick zu.

„Es tut mir leid“, sagte er. „Aber vielleicht verraten Sie mir, woher Sie all die Leute kennen, mit denen Sie gesprochen haben?“

„Ich nehme Ihre Entschuldigung an. Dass ich mit jemandem rede, bedeutet nicht gleich, dass ich ihn auch kenne. Sind Sie etwa sauer, weil ich Sie nicht vor besonders aufdringlichen Leuten beschützt habe? Ich dachte, bei Ihrer Geschäftsführerin wären Sie in guten Händen.“

„Sparen Sie sich Ihre Scherze, und beantworten Sie meine Frage. Sie haben sich aus einem bestimmten Grund an mich herangemacht, Ms. Malone, und ich wüsste gern, aus welchem.“

Schwer atmend warf Lexi die Wohnungstür hinter sich ins Schloss und verriegelte sie.

Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich im Stillen. Jethro hatte sicher wichtigere Dinge zu tun, als ihr nachzulaufen. Als Ethan und die Managerin der Galerie kurz nach Jethro und ihr ins Büro gekommen waren, hatte sie kurzerhand die Gelegenheit zur Flucht genutzt. Sie war nicht in der Lage gewesen, ihm auf seine Frage eine vernünftige Antwort zu geben, sodass er jetzt vermutlich glaubte, sie hätte lediglich eine Nacht mit ihm verbringen wollen.

Mit hängenden Schultern ging sie ins Schlafzimmer, schnappte sich ihr Nachthemd, einen Traum aus lavendelfarbener, mit schwarzer Spitze besetzter Seide, und ging unter die Dusche.

Jethros durchdringender Blick hatte ihr Furcht eingeflößt, und sie fragte sich, ob sie ihm jemals wieder unter die Augen treten konnte? Dabei musste sie es für Jazi tun.

Auf dem Weg nach Hause hatte sie beschlossen, ihn am nächsten Morgen anzurufen und um einen Termin zu bitten. Und falls er bereit war, sie anzuhören, würde sie ihm die Lage erklären.

Unter der Dusche beruhigte sie sich ein wenig, und während sie sich anschließend abtrocknete und mit duftender Lotion einrieb und ihr Haar föhnte, begann sie, sich eine Erklärung für ihn zurechtzulegen. Ihr Haar war noch nicht ganz trocken, als sie meinte, ein Klopfen an der Tür zu hören.

Sie war zwar nicht in der Stimmung, mit Freunden bei einer Tasse Kaffee den neuesten Klatsch durchzuhecheln, jedoch auf andere Gedanken zu kommen war sicher auch nicht schlecht. Deshalb ging sie zur Wohnungstür und öffnete sie. „Hall…“ Beim Anblick von Jethro Calder stockte ihr der Atem. „Was? Wieso?“

Als er einen Schritt vortrat, wich sie so weit zurück, bis er in der Wohnung stand und die Tür hinter sich schloss.

„Sind Sie verrückt? Sie können doch nicht die Tür aufmachen, wenn Sie nicht wissen, wer draußen steht! Noch dazu, wo Sie fast nackt sind“, fuhr er sie mit finsterer Miene an.

„Wieso kommen Sie hierher?“, flüsterte Lexi und wich immer weiter zurück.

„Das steht nicht zur Diskussion.“ Als sie rücklings ans Sofa stieß und umzufallen drohte, packte er sie am Arm. „Sie wollten mich, und jetzt haben Sie mich.“ Dann zog er sie an sich, neigte den Kopf und küsste sie auf den Mund.

Lexi wollte ihn von sich stoßen, doch … sein Kuss, so stürmisch er auch war, verriet keinen Zorn, sondern Leidenschaft und Verlangen.

Seine Küsse waren fordernd, doch so verführerisch, dass sie sich instinktiv auf die Zehenspitzen stellte und ihm die Arme um den Nacken legte. In ihrem Kopf ging es drunter und drüber, ihr Körper stand in Flammen, während er sie zärtlich streichelte und hin und wieder aufstöhnte.

Ein Rausch der Sinne erfasste Lexi, während Jethro sie fest im Arm hielt und ihr so Sicherheit und Halt gab. Zugleich empfand sie Gefühle, die sie noch nie gespürt hatte. Sie wollte mehr. Und zwar auf der Stelle. Wollte ihn schmecken, seine Hitze spüren, ihn berühren. Überall.

Plötzlich stieß sie mit den Kniekehlen gegen etwas und landete auf dem Po. Verwirrt sah sie sich um und stellte fest, dass sie in ihrem Schlafzimmer war. Irgendwie hatte Jethro sie dorthin manövriert, und sie hatte es nicht einmal bemerkt.

Schon knöpfte er sein Hemd auf. Das Jackett hatte er offenbar bereits auf dem Weg ins Schlafzimmer abgestreift.

Wo war nur ihr Nachthemd geblieben? Schlagartig kehrte ihr gesunder Menschenverstand zurück.

„Stopp!“ Sie zerrte die Steppdecke vom Bett und wickelte sie sich um. Als Tänzerin war sie freizügige Kostüme gewöhnt, dennoch fühlte sie sich unter seinem Blick entblößt und verletzlich. „Daraus wird nichts.“

„Wie bitte?“ Die Hände auf dem letzten Hemdknopf, runzelte er die Stirn.

„Es tut mir leid.“ Das war nicht einmal gelogen. Er hatte ein Feuer in ihr entfacht, dem sie sich nur zu gern hingegeben hätte. Nur durfte sie das nicht. Nicht mit ihm. „Deshalb habe ich Sie nicht aufgesucht.“

„Weshalb dann?“

Eigentlich hätte Lexi Angst vor ihm haben müssen. Sie hatte es jedoch nicht. Er war viel zu beherrscht, um einer Frau körperlich wehzutun. In anderer Hinsicht konnte er sie möglicherweise jedoch tief verletzen, wenn sie nicht gut aufpasste.

„Lassen Sie mich erst etwas anziehen.“

Er schien protestieren zu wollen, nickte dann aber und verließ den Raum.

„Im Kühlschrank steht eine Flasche Wein, Gläser finden Sie im Schrank rechts“, rief Lexi hinter ihm her. Sie musste mit ihm reden, ohne ihn völlig gegen sich aufzubringen. Es war ihre einzige Chance.

Hastig schlüpfte sie in Jeans und ein hellblaues Sweatshirt und lief ins Bad, um ihr Haar zu kämmen. Beim Blick in den Spiegel bemerkte sie, dass bei jeder Bewegung ihr Nabel unter dem Shirt hervorguckte, doch zum Umkleiden fehlte ihr die Zeit.

Als sie zu Jethro zurückkehrte, lehnte er an der Küchentheke, ein Glas Wein in der Hand. Sein durchdringender Blick löste ein seltsames Prickeln in ihr aus.

„Sie haben fünf Minuten“, sagte er drohend, woraufhin das Prickeln sich verstärkte.

Um sich zu fassen, schenkte Lexi sich ebenfalls ein Glas Wein ein und setzte sich auf einen der Hocker am Tresen.

„Jetzt sind es nur noch vier Minuten. Stellen Sie meine Geduld nicht auf die Probe.“

„Ich hätte Sie besser in Ihrem Büro aufgesucht …“ Sie nahm ein Foto vom Regal über der Küchenzeile und hielt es ihm hin. „Alliyah hatte eine Tochter. Jasmin, Jazi genannt, ist dreiundzwanzig Monate alt.“

„Was hat das mit mir zu tun?“

„Auf dem Bild von Ihnen im Pinnacle Newsletter habe ich das Muttermal an Ihrem Handgelenk bemerkt.“

Verblüfft zog er eine Braue hoch. „Und?“

Lexi blieb nur zu hoffen, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Falls nicht, würde sie Jazi an ihn verlieren und nie wieder zurückbekommen. „Jazi hat dasselbe Mal.“

Seit Lexi das Beacon betreten hatte, war Jethro von ihr wie gebannt, und weil sie seine Neugier geweckt hatte, war er ihr nach Hause gefolgt. Mit dieser Wendung hatte er jedoch nicht gerechnet.

Ihr Anblick im Seidennegligé hatte ihn für einen Moment aus dem Gleichgewicht gebracht. Doch inzwischen hatte er es wiedererlangt und begriff auf Anhieb, was Lexi andeuten wollte: dass Jasmin seine Tochter war.

Das Timing stimmte zwar, nicht aber die Umstände, denn er hatte nie ungeschützt Sex gehabt. Niemals.

„Das ist ein Zufall“, tat er die Unterstellung ab.

Lexi schüttelte den Kopf. „Sie sehen nicht aus, als glaubten Sie an Zufälle.“

Das traf zwar zu, dennoch würde er nicht in die Falle gehen. Außerdem wollte er keine Familie haben. Vor Jahren hatte er gelernt, sämtliche Gefühle auszuschalten, um zu überleben. Er war unfähig, Beziehungen aufrechtzuerhalten. Seit seinem dreißigsten Lebensjahr versuchte er es nicht einmal mehr, und Excursions war ihm damals gerade recht gekommen.

Wer ihn kannte, wusste, dass er mit dem Wort Familie nichts am Hut hatte. Daran würde sich gewiss nichts ändern, schon gar nicht durch eine Frau, die er kaum kannte. Die ihn allerdings so weit um den Verstand gebracht hatte, dass er bei der erstbesten Gelegenheit über sie hergefallen war. Was hast du dir dabei nur gedacht? fragte er sich.

Das Problem war, er hatte nicht seinen Verstand eingesetzt, sondern nur auf sein Gefühl gehört. Ein weiterer Beweis dafür, dass man Gefühlen nicht trauen konnte.

„Sie haben den Falschen erwischt.“

Lexi stand auf und hielt ihm das Foto vors Gesicht. „Sie hat Ihre Augen.“

Sieh nicht hin, das ist nur ein Trick. Sie sucht nur einen reichen Mann, der die arme Waise unterstützt, sagte er sich. Dennoch gewann seine Neugier die Oberhand.

Das kleine Mädchen mit den zerzausten dunklen Locken und dem süßen breiten Lächeln sah zum Anbeißen aus. Auf dem Foto tanzte sie, die Arme über den Kopf gehoben, ein Bein in der Luft. Über einem Handgelenk entdeckte er einen undeutlichen Fleck, vermutlich das Muttermal. Mit ihrem zarten Teint, einer niedlichen Stupsnase und dunkelblauen, von dichten Wimpern umkränzten Augen wirkte sie wie eine kleine Elfe.

Das Mal konnte man auf dem Bild nicht gut genug erkennen, die Augen hatten jedoch dieselbe Farbe wie seine, auch ihre Form und die der Augenbrauen stimmten.

„Ich will weder Ihr Geld, noch erwarte ich, dass Sie Ihr Leben für Jazi ändern“, sagte Lexi. „Mir ist bekannt, dass Sie keine Familie haben wollen.“

„Was wollen Sie dann, Ms. Malone?“ Er legte das Foto beiseite und konzentrierte sich ganz auf die Frau vor ihm.

„Nennen Sie mich Lexi. Wir haben gerade …“ Errötend sah sie zur Schlafzimmertür. „Es wäre verrückt, jetzt noch auf Förmlichkeiten zu bestehen.“ Sie verschränkte die Arme vor dem Oberkörper, was seinen Blick auf ihre kleinen, festen Brüste lenkte. Unter ihrem Shirt guckte ein Stückchen heller Haut hervor und weckte sein Verlangen von Neuem.

„Weil Sie nicht alles unter Kontrolle hatten?“, fragte sie. „Weil Sie sich amüsiert haben? Es mag neu sein für Sie, aber so etwas passiert anderen Leuten häufig.“

„Weil nichts davon wahr ist. Was wollen Sie nun von mir?“

Sie seufzte und gab ihre abweisende Haltung auf. „Ich möchte Jazi adoptieren.“

Verblüfft blickte er sie an. Das hatte er nicht erwartet. Und wieso empfand er außer Erleichterung so etwas wie Enttäuschung?

„Sie scheinen sich das ja bereits genau überlegt zu haben. Wozu brauchen Sie mich dann?“

„Ich bin Jazis Patin, und Alliyah hätte sie mir anvertraut. Als Single und Tänzerin entspreche ich jedoch nicht den staatlichen Anforderungen an Adoptiveltern.“ Sie zuckte die Schultern, als erklärte das alles. „Wenn Sie Ihren Anspruch auf Jazi geltend machen, kann ich sie anschließend privat adoptieren.“

„Wo ist sie im Moment?“

„Das Jugendamt hat sie zu Pflegeeltern gegeben.“

Der Gedanke, dass seine Tochter bei Pflegeeltern lebte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Womöglich ist sie nicht dein Kind, sagte er sich, und das Muttermal und die gleiche Augenfarbe können Zufall sein. Andererseits hatte er selbst zu lange in staatlicher Obhut gelebt, um ungerührt zuzusehen, wie ein unschuldiges Kind der Behördenwillkür ausgesetzt war.

„Ich besuche sie, sooft man es mir gestattet. Wenn jedoch nicht bald etwas geschieht, wird sie zur Adoption freigegeben, und ich sehe sie nie wieder.“ Lexi blickte ihn flehend an. „Sie müssen mir helfen!“

„Ich muss gar nichts.“ Jethro war sich bewusst, dass er jetzt gehen sollte. Doch diese Frau ging ihm unter die Haut, und zwar seit dem ersten Augenblick ihrer Begegnung. Wenn er nicht aufpasste, würde er ihr versprechen, ihr den Mond vom Himmel zu holen. „Zunächst werde ich alles gründlich überdenken.“ Er ging zur Tür, wo er sein Jackett aufhob. „Mein Assistent wird sich bei Ihnen melden und mit Ihnen einen Termin ausmachen. Das hier leihe ich mir aus.“ Er schnappte sich das Foto.

Lexi nickte. Sie hatte die Arme erneut vor der Brust gekreuzt, wie um sich zu schützen.

3. KAPITEL

In dieser Nacht fand Lexi keinen Schlaf. Sich im Bett herumwälzend, ging sie im Geist immer wieder das Gespräch mit Jethro durch. Nach zwei Stunden stand sie frustriert auf, kochte sich in der Küche Kaffee und setzte sich auf die Couch, um nachzudenken.

Glaubte Jethro ihr? Oder hatte er nur die Flucht ergriffen?

Unwahrscheinlich, dachte sie. Sie hatte sein Mienenspiel beobachtet, als er das Foto betrachtet hatte. Er würde bestimmt in irgendeiner Form reagieren, denn er hatte ganz offensichtlich bemerkt, wie ähnlich Jazi ihm sah. Oder doch nicht?

Hör auf, dich im Kreis zu drehen, ermahnte sie sich und leerte ihre Tasse. Plötzlich hatte sie das dringende Bedürfnis zu tanzen.

Sie hatte ihren Beruf zwar aufgegeben, brauchte das Tanzen jedoch wie die Luft zum Atmen. Ganz besonders, wenn sie unter Stress stand. Beim Bewegen baute sie Spannungen ab, und ihr Kopf wurde wieder frei. Kurz entschlossen zog sie sich um und ging ins nächste rund um die Uhr geöffnete Fitnesscenter.

Gedankenverloren stand Jethro am bodentiefen Fenster seiner Wohnung, ohne die bunten Leuchtreklamen des Las Vegas Strip zu seinen Füßen wahrzunehmen. Stattdessen ging ihm das Bild des tanzenden Kleinkindes mit den dunkelblauen Augen nicht aus dem Sinn.

Vor Jahren hatte er beschlossen, niemals eine Familie zu gründen. Sollte sich Lexis Vermutung allerdings bestätigen, änderte das alles. Oder nicht? Sie hatte angeboten, das Kind zu adoptieren und ohne seine Hilfe aufzuziehen.

Es klopfte, und Clay Hoffman, sein Pflegebruder und Freund, betrat den Raum. Dem großen, blonden Ex-Militär unterstand der Sicherheitsdienst bei Pinnacle.

„Du hast mich gerufen, wo brennt’s?“ Er setzte sich auf die braune Ledercouch. „Wo sind Jackson und Ryan?“

„Die habe ich nicht hergebeten. Es geht um Persönliches.“ Jeth­ro setzte sich ihm gegenüber auf einen Stuhl.

„Geht es um eine deiner Firmen? Die Jungs helfen dir, auch wenn es nicht Pinnacle betrifft.“

„Lass es vorerst unter uns bleiben: Es scheint, als hätte ich eine Tochter.“

„Als hätte …?“ Clay lachte. „Komm schon, was ist los?“

Wortlos sah Jethro ihn an, und Clay schüttelte fassungslos den Kopf. „Du meinst es ernst! Du hast eine Tochter?“

„Vielleicht. Wahrscheinlich.“ Jethro nahm das Foto vom Tisch und reichte es Clay.

„Ist sie das? Verdammt! Sie hat deine Augen.“

„Und angeblich auch das Muttermal.“

Clay sah sich das Foto gründlich an. „Das müsste ich aus der Nähe sehen. Wir brauchen einen DNA-Test. Wer ist die Mutter?“

„Deswegen habe ich dich gerufen.“ Jethro bat selten jemanden um Hilfe, diesmal brauchte er jedoch seinen diskreten Freund. Nach und nach weihte er ihn in die Details ein. „Ehe ich eine Entscheidung treffe, muss ich wissen, ob Jazi tatsächlich von mir ist.“

„Selbstverständlich. Deine DNA habe ich ja schon.“ Nachdem Jackson, der Spieleerfinder der Fantastischen Vier, im vergangenen Jahr für eine Weile spurlos verschwunden war, hatte Clay vorsichtshalber DNA-Proben von allen Fantastischen Vier genommen. „Das Jugendamt überlässt mir bestimmt eine Probe des Kindes. Ich habe ein Labor an der Hand, das das Ergebnis innerhalb eines Tages liefert.“

„Gut.“ Jethro stand auf. „Anschließend will ich sie sehen.“

„Das ist keine gute Idee, wenn du sie zur Adoption freigeben willst.“

„Findest du denn, ich sollte sie zu mir nehmen?“

„Das kannst nur du beantworten.“

„Ich bin mein Leben lang gut ohne Familie zurechtgekommen.“

„Dann ist das kleine Mädchen vielleicht sozusagen die einzige Familie, die du jemals haben wirst. Überleg es dir gut, ehe du deine Rechte an ihr abtrittst.“

„Ich kann kein Kind aufziehen. Der Gedanke, für ein kleines Mädchen verantwortlich zu sein, versetzt mich in Panik. Andererseits reiße ich mir lieber ein Bein aus, als sie in den Klauen des Jugendamts zu belassen.“

„Es muss ja nicht gleich alles oder nichts heißen. Als Vater stellst du die Bedingungen.“

Jethro schüttelte den Kopf. Sich das Sorgerecht mit dem temperamentvollen Rotschopf zu teilen würde seinen Seelenfrieden gefährden. „Lexi hat ihre Absichten deutlich gemacht, und ich werde nichts tun, um Jasmins Zukunft zu gefährden.“

„Jackson und Grace könnten sie aufziehen“, schlug Clay vor.

„Sie sind noch nicht einmal verheiratet. Außerdem würde ich mich ständig einmischen. Nein, Lexi Malone ist die Patin des Kindes, und sie liebt es. Es ist die beste Lösung.“

„Dann verzichte wenigstens darauf, es zu sehen.“

„Wenn Jazi wirklich von mir ist, muss ich sie sehen.“ So rational Jethro sonst Entscheidungen traf, diesmal ließ er sich von seinen Gefühlen leiten.

„Wie du willst. Ich organisiere es, sobald das Labor den Beweis geliefert hat.“

Das Warten wurde Lexi zur Qual. Jethros Assistent hatte ihr erst einen Termin für den kommenden Tag gegeben, und Jethro Calder ging ihr nicht aus dem Sinn. Dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, machte die Situation nicht einfacher. Er raubte ihr den Seelenfrieden, seit er sie in ihrem Apartment zu verführen versucht hatte. Zum Glück war sie gerade noch rechtzeitig zur Vernunft gekommen. Zuvor hatte sie noch nie den Kopf verloren! Gerade dem Vater ihres Patenkindes gegenüber musste sie standhaft bleiben, so schade das auch war.

Sie sehnte sich so sehr nach Jazi, dass sie bei deren Pflegemutter anrief und bat, sie am nächsten Tag besuchen zu dürfen. Anschließend legte sie eine Extraschicht im Modern Goddess ein, um die Wartezeit zu überbrücken, dennoch verlief der Tag quälend langsam. Abends wurde Lexi bewusst, dass sie dringend unter Menschen sein musste, und beschloss, essen zu gehen.

Als sie wenig später das Beacon betrat, sah sie Jethro Calder an der Bar sitzen. Erst wollte sie kehrtmachen, dann besann sie sich aber, setzte sich neben ihn und bestellte sich ein Glas Weißwein, ehe sie ihn begrüßte. „Hallo. War Ihr Tag auch die Hölle?“

„In Vegas ist es um diese Jahreszeit immer so heiß.“

„Ich dachte schon, Sie hätten keinen Sinn für Humor.“

„Eigentlich wollte ich in aller Ruhe etwas trinken.“

„Da haben Sie Pech gehabt, denn ich muss unbedingt mit jemandem reden.“

In diesem Moment brachte ihr der Barkeeper den Weißwein, und sie bedankte sich bei ihm. „Sie gehen der Sache vermutlich nach, denn sonst hätten wir uns bestimmt schon wieder getroffen.“

„Das Ergebnis des DNA-Tests steht noch aus.“

„Möchten Sie dann lieber über etwas anderes sprechen?“

„Sie könnten auch verschwinden.“

„Und mein Wein?“

„Erwarten Sie etwa, dass ich Sie zum Essen einlade?“

„Ich hätte nichts dagegen.“

Resigniert winkte Jethro den Barkeeper herbei. „Sam, ich hätte gern einen Tisch für zwei Personen.“

„Sofort, Sir.“ Der junge Mann eilte davon, und wenig später führte der Oberkellner sie an einen Platz in einer intimen Nische. Jethro bestellte für Lexi und sich das Tagesmenü und eine Flasche Mineralwasser.

Neugierig sah sie sich um. Über einer Attrappe von einem Kamin hing das Bild von Ethan Kitrell. Es fügte sich harmonisch ins Restaurant ein.

Jethro deutete darauf. „Ethan hat mir gesagt, Sie hätten es ausgewählt.“

„Das Bild hat mich an das Beacon erinnert, und ich dachte, es müsste Ihnen gefallen.“

„Das stimmt. Es gefällt mir sogar sehr.“

„Er ist Ihnen überaus dankbar für Ihre Unterstützung.“

„Talente muss man fördern.“ In diesem Moment brachte ein Kellner einen Korb mit frischen Brötchen. „Haben Sie schon einmal hier gegessen?“

„Leider nicht, aber ich habe sehr viel Gutes über das Beacon gehört. Wer hätte gedacht, dass ich jemals mit dem Besitzer am Tisch sitze?“

„Die Wege des Schicksals sind unergründlich.“

„Wie wahr!“ Lexi bestrich eins der warmen Brötchen mit Butter. „Hätte ich damals den Tanzkurs nicht besucht, hätte ich Alliyah nicht kennengelernt. Dann hätte es mich auch nicht nach Las Vegas verschlagen, und ich hätte Sie nie getroffen.“

„Womöglich gäbe es dann auch keine Jasmin.“

„So war es aber nicht.“ Sie biss genüsslich ins Brötchen. „Köstlich! Es zergeht förmlich auf der Zunge.“ Energisch schob sie den Korb Jethro zu.

„Ich habe natürlich Erkundigungen über Sie eingezogen“, lenkte er vom Thema ab. „Möchten Sie mir dennoch etwas von sich erzählen?“

„Ich galt als musikalisches Wunderkind. Mit fünfzehn Jahren habe ich die Schule abgeschlossen, mit sechzehn bei den Michigan Philharmonics gespielt, neben dem Musikstudium.“

„Sie haben einen Doktortitel in Musikwissenschaft? Wieso arbeiten Sie dann als Stylistin?“

„Ich war ausgebrannt. Musik war zwar mein Leben, aber die Bedingungen stimmten nicht.“

„Als Sechzehnjährige bei den Philharmonikern spielen zu dürfen ist etwas Besonderes.“

„Ich bereue es auch nicht. Viel lieber aber hätte ich tanzen wollen. Doch meine Mutter hat es nicht zugelassen. Deshalb ging ich mit achtzehn von zu Hause fort, nachdem ich in den Besitz einer kleinen Erbschaft gekommen war.“

„Wohin?“

„Nach New York, dem Traumziel aller Tänzer. Das Leben dort ist teuer und die Konkurrenz ausgesprochen groß. Außerdem war ich eine blutige Anfängerin. Alliyah hat mir allerdings sehr geholfen.“

„Weshalb haben Sie den Beruf aufgegeben?“

Nachdenklich stocherte Lexi in ihrem Essen herum. Das Tanzen würde immer fester Bestandteil ihres Lebens bleiben, jedoch nur als Hobby. „Mit dem Tanzen ist ein unkalkulierbares Risiko verbunden. Man bekommt nur Zeitverträge, und das Verletzungsrisiko ist groß. Außerdem arbeitet man nachts. Ich will aber möglichst oft für Jazi da sein. Als Stylistin kann ich meine Arbeitszeiten so legen, dass ich einen Teil des Tages mit ihr verbringen kann.“ Sie legte ihre Gabel auf den Teller und sah Jethro an. „Vielen Dank, dass Sie mich gestern Nacht angehört haben und Sie meine Bitte in Erwägung ziehen.“

Jethro hielt ihrem Blick stand, schüttelte aber den Kopf. „Noch wissen wir nicht, ob ich Grund habe, etwas zu erwägen.“

„Dennoch danke ich Ihnen. Sie haben mir etwas geschenkt, was mir lange gefehlt hat: Hoffnung.“

„Guten Morgen.“ Clay betrat Jethros Büro, einen großen braunen Umschlag in der Hand.

Jethro bedeutete ihm, die Tür zu schließen, erleichtert, dass die Warterei nun ein Ende hatte. Den ganzen Morgen über war er fahrig, unkonzentriert und so schlecht gelaunt gewesen, dass seine engsten Mitarbeiter in die Mittagspause geflüchtet waren. „Sind das endlich die Ergebnisse?“

„Ich habe das Labor angewiesen, den Test doppelt durchzuführen.“ Clay reichte Jethro den Umschlag.

Dieser legte ihn vor sich auf den Tisch. „Und?“

„Glückwunsch, Daddy!“ Clay musste über Jethros finstere Miene grinsen. „Das musste einmal gesagt werden. Es ist ein wichtiges Ereignis, und, wie ich dich kenne, bestimmt ein einmaliges.“

„Das ist auch besser so.“

„Wirklich?“

Es klopfte, und Jackson Hawke und Ryan Green kamen herein.

„Du lebst ja noch“, sagte Jackson und setzte sich auf einen freien Besucherstuhl.

„Aber blass ist er!“ Ryan lehnte sich gegen die Anrichte am Fenster.

„Haha. Mir geht’s gut.“ Jethro ließ die Schultern kreisen. „Ich muss gerade etwas verdauen.“ Ursprünglich hatte er seinen Freunden nichts verraten wollen, doch sie witterten Geheimnisse wie Bluthunde das Blut. Ryan musste ihm demnächst ohnehin beim Aufsetzen des Adoptionsvertrags helfen, somit konnte er auch Jackson nicht im Dunkeln lassen. Doch es fiel ihm schwer, den Schleier zu lüften. Fast wünschte er, Clay würde mit der Neuigkeit herausplatzen und ihm die Mühe ersparen.

Als könnte er Gedanken lesen, sah Clay ihn fragend an. Jethro schüttelte jedoch den Kopf und räusperte sich. „Ich habe gerade erfahren, dass ich eine Tochter habe.“

Kaum waren die Worte heraus, da geschah etwas Seltsames. Die Anspannung fiel von ihm ab, und er konnte wieder frei atmen und klar denken.

„Eine Tochter?“ Jackson raufte sich die Haare. „Kein Wunder, dass du blass bist.“ Als Einziger der Freunde kannte er Jethros größtes Geheimnis.

„Sollen wir dich nun Daddy nennen?“, wollte Ryan wissen.

Unwillkürlich verspannte sich Jethro wieder, und sein Herzschlag beschleunigte sich. „Sie wird nicht bei mir leben“, erwiderte er und erklärte die Situation. „Es ist besser, sie wächst bei jemandem auf, der sie liebt.“

„Das ist aber eine schwierige Entscheidung.“ Ryan war plötzlich todernst. „Ich könnte so etwas nicht durchziehen.“

„Was Beziehungen angeht, bin ich ein Versager, und ich habe keine Ahnung von kleinen Mädchen.“

„Du bist nicht allein. Vier Männer und ein Baby – wir könnten es schaffen.“

„Außerdem sind da noch Grace und Sierra“, brachte Jackson seine Verlobte und seine Assistentin ins Spiel.

Die bedingungslose Unterstützung seiner Freunde beschämte Jethro. „Danke für das Angebot. Es bedeutet mir viel, nur kann ich eure Leben nicht aufmischen wegen einer überraschenden Wendung in meinem. Nicht, wenn es eine akzeptable Alternative gibt.“

Jethro glaubte, einem unschuldigen Kind nichts bieten zu können. Er war nicht in der Lage, eine Beziehung zu führen, nicht einmal seine eigene Mutter hatte ihn gewollt. Sie hatte ihn weggeworfen wie Müll. Er war in einem Abfallcontainer gefunden worden, drei Wochen alt, halb verhungert und kränklich. Niemand hatte ein krankes Baby adoptieren wollen, und so war er von einer Pflegestelle zur nächsten weitergereicht worden. Gesundheitlich hatte er sich erholt, blieb aber ein Problemkind, das sich ständig zu beweisen versuchte. Bis zu diesem Tag.

Seine Tochter verdiente etwas Besseres. Jemanden, der sich für sie einsetzte, sich zum Beispiel die Zeit nahm, mit ihr ein künstliches Gewitter anzusehen. Jemanden, der ihretwegen Fremde ansprach, der dafür sorgte, dass junge Mütter verwöhnt wurden.

Jazis Leben bei Lexi würde laut, bunt und lustig werden, voller Abenteuer, Musik und Tanz, während seines um langweilige Zahlen kreiste. Lexi würde sie schätzen und lieben. Das war das größte Geschenk, das er seiner Tochter machen konnte.

„Wie du willst.“ Clay warf einen Blick auf die Uhr. „Du kannst sie heute Morgen noch sehen.“

Jackson und Ryan sahen sich überrascht an. „Hältst du das für klug?“, fragte Jackson.

Jethro schob den braunen Umschlag in die oberste Schreibtischschublade. „Nein, aber ich muss es tun.“ Wenigstens einmal in seinem Leben wollte er seine Tochter im Arm halten.

4. KAPITEL

Als Lexi das Gartentor zu dem adretten, zweistöckigen Gebäude öffnete, trat eine rundliche Blondine aus der Haustür und winkte ihr zu. Gleich darauf schoss ein Kleinkind an ihr vorbei. Lexi floss das Herz über vor Liebe. Sie kauerte sich hin und fing ihre quirlige Tochter auf.

Jazi legte ihr die Arme um den Nacken und presste sich an sie.

„Du hast mir schrecklich gefehlt“, flüsterte Lexi.

Die Kleine umfasste ihr Gesicht mit klebrigen Händen. „Nach Hause!“

„Ich arbeite daran, Süße.“ Erst jetzt begrüßte sie Jazis Pflegemutter, die bei ihren Besuchen immer dabei sein musste. „Hallo, Diana. Wie geht’s?“

„Prima. Heute ist Jazi anscheinend eine gefragte Person. Kommt ihr rein? Ihr würdet vermutlich lieber draußen spielen, aber ich muss dringend aufräumen.“

„Bei dir ist es doch immer ordentlich. Holst du ein Buch?“, wandte sie sich dann an ihre Tochter. „Ich lese dir vor. Wer will sie denn noch sehen?“, fragte sie dann Diana leise.

Diana spähte vorsichtig zu dem Kind hinüber, ehe sie flüsterte: „Ihr Vater. Das Jugendamt hat mich informiert, dass er sich dort gemeldet hat. Er möchte sie heute Morgen besuchen.“

„Fischli.“ Jazi ließ ihr Lieblingsbuch in Lexis Schoß fallen.

Diese schlug es auf und deutete geistesabwesend auf die bunten Fische. Wie meistens wollte Jazi lediglich die Bilder ansehen und darin herumblättern. Dass Lexi ganz außer sich war, merkte sie nicht.

Lass Jethro nicht beschließen, Jazi selbst aufzuziehen, sobald er sie kennenlernt, sandte sie ein Stoßgebet zum Himmel hinauf.

„Ist das nicht toll?“, fragte Diana. „Wo wäre sie besser aufgehoben als bei ihrem D-A-D.“ Das kritische Wort buchstabierte sie vorsichtshalber.

„Da hast du vermutlich recht.“

In diesem Moment klingelte es. Die Frauen sahen sich schweigend an, und Jazi lief auf die Tür zu. Sie liebte Besuch.

„Nein, Jazi.“ Geschickt fing Diana sie ein und trug sie zu Lexi zurück.

„Soll ich wieder gehen?“, bot diese an.

„Warten wir ab, was er dazu meint.“

Das Herz schlug Lexi bis zum Hals. Sie wusste nicht, ob sie ­Jethro vertrauen konnte. Ohne ein gewisses Maß an Rücksichtslosigkeit hätte er bestimmt kein riesiges Imperium aufbauen können. Ängstlich nahm sie Jazi wieder auf den Schoß, küsste sie auf den Kopf und lenkte ihre Aufmerksamkeit erneut auf das Buch. Falls sie gerade ihre letzten gemeinsamen Minuten erlebte, wollte sie diese wenigstens auskosten.

Als Jethro vor dem hübschen zweistöckigen Haus vorfuhr, ging Lexi gerade darauf zu. Fasziniert beobachtete er ihre geschmeidigen Bewegungen, und Verlangen regte sich in ihm.

„Das ist sicher die Frau vom Jugendamt“, meinte Clay und wollte aussteigen, doch Jethro hielt ihn zurück.

„Warte. Das ist Lexi Malone. Was macht sie hier?“

Aus der Ferne beobachtete Jethro, wie die Tür aufging und ein Kleinkind sich in ihre Arme warf. Es war rührend anzusehen. „Weshalb hat nicht sie das Sorgerecht bekommen? Sie behauptet, es läge daran, dass sie Single ist, aber da muss weit mehr dahinterstecken.“

„Ich versuche das bereits herauszufinden.“ Clays Handy klingelte. „Vielleicht erfahre ich jetzt mehr.“ Er nahm den Anruf entgegen.

Ein wenig neidisch verfolgte Jethro die bewegende Szene vor dem Haus. In seinem ganzen Leben hatte niemand ihn je so herzlich begrüßt, und es bestärkte ihn in seinem Entschluss, dass es grausam wäre, die beiden zu trennen.

„Ich hab’s“, sagte Clay in diesem Moment und verstaute sein Handy wieder. „Man hat ihr vorgeworfen, dass sie Jasmin ohne offizielle Genehmigung bei sich behalten hat.“

Jethro entspannte sich. „Diese Bürokraten! Sie hielt es nach Alliyahs Tod bestimmt für das Beste, sich um die Kleine zu kümmern.“

„Zudem spricht gegen sie, dass sie bislang nicht als Stylistin gearbeitet hat. Wie auch immer, ihre Story stimmt. Das schließt jedoch nicht aus, dass sie etwas im Schilde führt.“

In diesem Moment fuhr ein dunkler Wagen vor dem Haus vor, und eine Frau in grauem Anzug stieg aus.

„Das wird die Sozialarbeiterin sein“, sagte Clay. „Hast du es dir inzwischen überlegt und belässt Jasmin doch bei den Pflegeeltern?“

„Eher nehme ich sie zu mir!“

Als Mrs. Leslie mit Jethro und einem großen blonden Mann den Raum betrat, war Lexi klar, dass der Bluttest positiv ausgefallen war.

Die Mitarbeiterin des Jugendamts begrüßte sie verlegen. „Ich wusste nicht, dass Sie heute hier sind.“

„Ich gehe sofort und überlasse Mr. Calder das Feld.“ Sie stand auf und setzte Jazi ab. Diese protestierte jedoch lautstark und streckte ihr die Arme entgegen, sodass sie die Kleine wieder hochhob. Jazi legte daraufhin den Kopf an ihre Schultern und sah die Männer skeptisch an.

Lexi wollte sie der Pflegemutter übergeben, doch Jazi klammerte sich an sie. „Schon gut, Schatz. Ich komme bald wieder. Sei brav und geh zu Diana.“ Als sie die Arme um ihren Hals lösen wollte, begann die Kleine zu weinen.

„Mich stört es nicht, wenn Ms. Malone bleibt“, mischte sich Jethro ein. „Das macht es für das Kind sicher leichter.“

Erleichtert pflichtete Mrs. Leslie ihm bei.

Mit Jazi im Arm setzte Lexi sich aufs Sofa, während Diana sich in die Küche zurückzog. „Du bist doch mein großes Mädchen. Nun sag schon Guten Tag.“ Lexi kitzelte die Kleine. „Komm schon.“

Jazi lächelte verlegen und schmiegte sich an Lexi.

„Gut so. Alles wird gut“, raunte Lexi ihr zu. „Ich hab dich lieb.“

Mrs. Leslie nahm auf einem Sessel Platz und bedeutete Jethro, sich zu Lexi und Jasmin zu setzen. „Verraten Sie mir, woher Sie Ms. Malone kennen?“

Jethro so nahe zu sein irritierte Lexi. Sie wollte von ihm abrücken, doch das Sofa war so klein, dass sie sich unausweichlich berühren musste.

„Ms. Malone hat mich von Jasmins Existenz unterrichtet.“

„Sie hätten sämtliche Informationen bezüglich des Kindes dem Jugendamt geben müssen“, schalt die Angestellte des Jugendamts Lexi.

„Es war nur eine Vermutung. Beweise hatte ich keine“, rechtfertigte sich Lexi.

Mrs. Leslie wirkte nicht überzeugt, beließ es aber dabei und bat Lexi sogar, die Vorstellung zu übernehmen.

„Jazi, das ist Mr. Calder. Er würde dir gern Hallo sagen. Kannst du ihn auch begrüßen?“

Jazi warf ihm einen kurzen Blick zu und sah dann wieder verlegen weg.

„Er ist sehr nett“, versicherte Lexi dem Kind. Sie wusste nicht recht, was sie tun sollte. Jethro ihren Daddy zu nennen kam nicht infrage, schließlich würde er Jazi nicht bei sich behalten. Andererseits sollte Mrs. Leslie nichts von der beabsichtigten Adoption erfahren. „Mr. Calder war ein Freund von deiner Mummy. Er möchte auch dein Freund sein. Sagst du Hallo?“

Als Jazi den Kopf schüttelte, schlug Lexi vor: „Vielleicht solltest du ihn erst einmal kennenlernen.“ Sie setzte sich das Kind so auf den Schoß, dass es Jethro ansehen konnte, und lehnte den Kopf an seine Schulter. „Lexi mag ihn.“

Jethro lächelte – schmallippig, aber immerhin.

„Was ist deine Lieblingsfarbe?“, fragte sie Jethro, wobei sie ihn einfach duzte.

„Blau.“

„Ich mag Grün am liebsten und Jazi …“

„Rosa?“, riet er.

„Gelb wie ihr Rock.“ Lexi deutete auf den gelben Rock des Kindes.

„Gelb“, Jazi nickte bestätigend.

„Wann hast du Geburtstag?“

Verlegen räusperte er sich. „Im Mai.“

Lexi fand es seltsam, dass er kein genaues Datum nannte. „Jazis ist im November. Was möchtest du noch wissen, Jazi?“

„Hündchen?“, flüsterte die Kleine.

„Hast du einen Hund oder ein anderes Haustier?“

„Leider nein. Weder das eine noch das andere.“

„Er hat Fische“, mischte Clay sich ein und wies auf das Bilderbuch auf dem Couchtisch.

„Stimmt, ich habe welche.“ Jethro nahm das Buch in die Hand. „Magst du die?“

Jazi nickte.

„Ich liebe bunte Fische. Meine sind blau, gelb, orange und rot.“

„Oh!“ Begeistert rutschte Jazi von Lexis Schoß auf seinen und begann, die Seiten umzublättern und auf die Fische zu deuten.

Im ersten Augenblick saß Jethro wie erstarrt da, dann umfasste er Jazi behutsam und begann, ihr aus dem Buch vorzulesen. Sobald er aber begriff, dass sie lediglich ihre Lieblingsbilder betrachten wollte, ging er darauf ein.

Mrs. Leslie zog sich zufrieden zu Diana in die Küche zurück. Clay folgte ihr, und Lexi wäre ebenfalls gegangen, befürchtete aber, dass Jazi dann Angst bekäme.

Und Jethro vielleicht auch, dachte sie und musste sich ein Lächeln verkneifen.

Nach einer Weile ging Jazi ein anderes Buch holen, und Lexi nutzte die Gelegenheit, ihm zu versichern: „Sie mag dich.“

„Woraus schließt du das?“

„Sie hat sich freiwillig auf deinen Schoß gesetzt. Könnte sie dich nicht leiden, würde sie mich bedrängen, mit ihr draußen zu spielen.“

„Klein, wie sie ist, besitzt sie eine ausgeprägte Persönlichkeit.“

„So ist es.“ Da Jazi noch immer nach dem richtigen Buch suchte, stellte sie die Frage, die ihr auf der Seele brannte: „Wieso bist du hier?“

„Um meine Tochter kennenzulernen.“

„Sag, dass ich sie adoptieren darf.“

In seinen Augen blitzte es kurz auf, und ehe er antworten konnte, stand Jazi wieder vor ihm. Er half ihr auf seinen Schoß. Über ihren Kopf hinweg sagte er: „Wir müssen unbedingt miteinander reden.“

Nervös lief Lexi in Jethros Büro auf und ab, vom bodentiefen Fenster mit Blick über den Strip zu der bequemen Sitzgruppe und zurück. Worüber wollte er mit ihr reden? Er wusste doch, dass sie beabsichtigte, Jasmin zu adoptieren. Und wo blieb er so lange? Nach dem Besuch bei Jazi hatte er ihr per SMS mitgeteilt, dass er sie in seinem Büro erwartete. Nun war sie da, er aber nicht.

Seine Assistentin hatte Lexi in sein Allerheiligstes geführt und ihr versichert, er käme gleich. Seither waren zwanzig Minuten vergangen, eine gefühlte Ewigkeit.

Sie setzte sich auf den riesigen schwarzen Ledersessel hinter dem massiven Schreibtisch aus schwarzem Glas. In dem Bewusstsein, dass es Jethro wahrscheinlich wahnsinnig machen würde, zeichnete sie auf die Schreibunterlage um den Laptop herum lauter kleine Herzen. Anschließend arrangierte sie die Gegenstände auf dem Tisch neu: den eleganten Kugelschreiber, den Brieföffner und einen marmornen Briefbeschwerer in Form eines Tigers. Fotos gab es keine. Was hatte das zu bedeuten?

Wieso wollte er Jazi überhaupt sehen, wenn er sie doch hergibt? fragte sie sich zum wiederholten Mal. Es ergab keinen Sinn. Hatte er womöglich seine Meinung geändert? Jazi gehört zu mir! Lexi liebte sie wie ein eigenes Kind. Sie fehlte ihr schmerzlich.

Nach weiteren unerträglichen Minuten zog Lexi ihr Handy aus der Tasche und schrieb ihm eine SMS. Wo bist du? Wieso lässt du mich hängen? Sicherheitshalber schickte sie gleich eine zweite Nachricht hinterher: Wenn du nicht bald kommst, stelle ich deine Möbel um.

Sie stieß sich mit dem Stuhl vom Schreibtisch ab und wirbelte damit im Kreis herum, immer wieder. Dann tippte sie mit den Zehen auf den Boden, ließ die Schultern kreisen, stand auf und gab endlich dem Bedürfnis nach, ihre Gefühle in Bewegung umzusetzen, und begann zu tanzen.

Verblüfft blickte Jethro auf sein Handy. Sie wollte seine Möbel umstellen? Die Frau war verrückt. Die Drohung wirkte jedoch, denn er liebte Ordnung.

„Was ist?“, fragte Clay, der mit ihm im Aufzug stand.

„Lexi ist schon da. Sie wird ungeduldig.“

„Der Stopp beim Jugendamt war nicht geplant.“ Der Lift hielt an, und Clay stieg aus. „Soll ich dich heute Nachmittag begleiten?“

„Ich nehme Lexi mit, sofern sie meine Bedingungen akzeptiert. Andernfalls rufe ich dich an.“

„Viel Glück mit dem Wildfang.“

Die Tür schloss sich hinter ihm, und der Aufzug fuhr zwei Etagen höher, wo Jethro ihn verließ.

„Was macht sie da drinnen?“, fragte er seine Assistentin, als er seine Geschäftsräume betrat.

„Warten.“

„Hast du nach ihr gesehen?“

„Nein, sie ist schließlich kein Kind mehr.“

„Bist du dir da so sicher?“, murmelte er und öffnete die Tür zu seinem Büro. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, verflog die Sorge um sein Mobiliar allerdings sofort.

Lexi tanzte mitten im Raum mit vollem Körpereinsatz zu Musik, die nur sie hören konnte. Jede ihrer Bewegungen drückte Emotionen aus, ob sie die Arme ausbreitete, sich hinkauerte oder reckte, als wollte sie etwas ergreifen, das weit außerhalb ihrer Reichweite lag. Die schwarze Hose und das kurzärmlige T-Shirt betonten ihre aufregende Figur.

Der ausdrucksvolle Tanz bewegte Jethro tief. Er hatte bereits beschlossen, ihr Jasmin zu überlassen, und die Hingabe, die ihr Tanz zum Ausdruck brachte, bestätigten ihn darin.

In genau diesem Moment sank sie auf die Knie, sprang dann wieder auf, stellte sich auf die Zehenspitzen, die Arme ausgestreckt, als wollte sie die Welt umfassen. Schließlich kreuzte sie die Hände über dem Herzen und senkte den Kopf in einer Haltung tiefster Verzweiflung.

Am liebsten hätte Jethro sie tröstend in seine Arme geschlossen. Stattdessen sagte er leise: „Alles wird gut.“

Wie in Trance hob sie den Kopf. „Worüber müssen wir dann reden? Du hast bestimmt deine Meinung geändert und willst sie behalten, stimmt’s?“

„Das habe ich nicht.“

„Ich darf sie also adoptieren?“

Die Versuchung, sie zu berühren, war zu groß. Jethro ließ den Daumen über ihre Wange gleiten und wischte eine Träne fort, die sie vermutlich gar nicht wahrgenommen hatte. Dann riss er sich zusammen, ballte die Hände zu Fäusten und kehrte ihr den Rücken zu. Damit sein Plan funktionierte, brauchte er Abstand. „Genau darüber müssen wir reden.“

Er zog einen der Besucherstühle, die sie beiseite geschoben hatte, zurück an den Tisch und bedeutete ihr, sich zu setzen, ehe er zu seinem Platz am Schreibtisch ging. Dann sah er, dass sie ihre Schuhe auf seinen Bürosessel gestellt hatte. Er stellte sie auf den Schreibtisch und sah Lexi an, die mit gefalteten Händen auf der Stuhlkante saß.

„Ich will weder Geld noch sonstige Unterstützung von dir“, platzte sie heraus.

„Das hast du bereits erwähnt.“ Die Zurückweisung tat Jethro erstaunlicherweise weh.

Lexi lehnte sich zurück, zog die Knie hoch und stütze das Kinn darauf. „Du willst sie doch behalten!“

„Das nicht“, wiederholte er und zeichnete geistesabwesend mit dem Finger eines der Herzen nach. „Allerdings habe ich Bedingungen.“

„Bedingungen?“ Hoffnungsvoll sah sie ihn an. „Ich tue alles, was du willst.“

„Gut. Dann macht es dir bestimmt nichts aus, bei mir einzuziehen.“

Verblüfft schnappte Lexi nach Luft. „Würdest du das bitte wiederholen?“

„Ich möchte, dass du mit Jasmin bei mir einziehst“, sagte Jethro.

„Bedeutet das, du willst das Sorgerecht gemeinsam mit mir ausüben?“ Ausgeschlossen! dachte Lexi. Er war ein Kontrollfreak und würde erwarten, dass sie über jeden Schritt Rechenschaft ablegte. Das kam nicht infrage. Sie hatte zu hart um ihre Freiheit gekämpft, um sie jetzt aufzugeben. Nur Jasmin zuliebe war sie bereit, ihn überhaupt weiter anzuhören.

„Das kommt überhaupt nicht infrage.“

„Es wäre nur für einen begrenzten Zeitraum. Ich will mich nur vergewissern, dass es Jasmin bei dir gut geht.“

„Du willst uns ausspionieren!“

„Vorsicht, Ms. Malone.“ Er vermied es, sie anzusehen. „Ich mag kein geeigneter Vater sein, doch Jasmins Wohlergehen liegt mir sehr am Herzen.“

Du bist ein Spießer, ein Kontrollfreak und obendrein kalt wie eine Hundeschnauze, dachte Lexi. Wenn er wenigstens hässlich oder nichts sagend wäre! Dann müsste sie sich nicht ständig gegen die enorme Anziehungskraft wehren, die er auf sie ausübte. Zumindest wird Jazi mich ablenken, solange wir bei ihm leben, dachte sie. „An welchen Zeitraum dachtest du?“

„An drei Monate.“

Entsetzt sah sie ihn an. „Das ist ja eine Ewigkeit!“

„Die Zeit wird im Handumdrehen um sein.“

„Du hast gut reden. Du gehst deinem gewohnten Leben nach, während ich entwurzelt und ausspioniert werde.“

„Immerhin wirst du mit Jasmin zusammen sein. Das möchtest du doch, oder?“

„Ja“, brachte sie mühsam heraus. „Warum aber so lange?“

„Weil ich ganz sichergehen will. Mit einem Kind ist eine enorme Verantwortung verbunden. Sein Wohlergehen muss für dich an erster Stelle stehen.“

„Ich liebe Jazi wie eine Tochter und würde nichts tun, was ihr schadet.“

„Dann brauchst du dir ja keine Sorgen zu machen.“

Das klang bitter. Unwillkürlich fragte sich Lexi, was er als Kind durchlitten haben mochte. War er vernachlässigt worden oder noch schlimmer?

Als könnte er ihre Gedanken lesen, fuhr er fort: „Wenn man in der Obhut des Jugendamts aufwächst, erlebt man unausweichlich Übles. Ich möchte über meine diesbezüglichen Erfahrungen nicht reden.“

„Es könnte dir aber guttun.“

„Willst du bei mir Psychiater spielen?“

„Oh nein. Ich habe lediglich gelernt, dass Schweigen alles schlimmer machen kann.“ Lexis Mutter hatte das Leben ihrer Tochter bis ins letzte Detail durchgeplant und ihr jedes Freizeitvergnügen oder Tanzunterricht verboten. Irgendwann hatte Lexi aufgehört, darum zu betteln. Sie hatte ihre Unzufriedenheit in sich hineingefressen und war bei der ersten Gelegenheit von zu Hause weggegangen.

„Wie stellst du dir unser Zusammenleben praktisch vor? Ich möchte weder meinen Job noch meine Wohnung verlieren.“

„Ich übernehme deine Miete für diesen Zeitraum, und Clay hat bereits mit deiner Chefin vereinbart, dass sie dir deine Stelle freihält. Falls ich verreise, möchte ich, dass ihr mich begleitet.“

„Du könntest eins der Kindermädchen im Hotel damit beauftragen, mich zu überwachen, solange du weg bist.“

„Das werde ich nicht tun. Geh nach Hause, und pack deine Sachen. Um vier Uhr holen wir Jasmin ab.“

Lexi hatte gerade den Kühlschrank leer geräumt, als es an der Tür klopfte. Sie schnappte sich den Müllbeutel und öffnete sie. „Gut, dass du schon da bist“, begrüßte sie Jethro und drückte ihm den Abfall in die Hand. „Kannst du den in den Müllschlucker dort drüben werfen? Danke.“

Ein letztes Mal überprüfte sie, ob in ihrer Abwesenheit alles geregelt war, dann schnappte sie sich ihre Handtasche und die Kiste mit den verderblichen Lebensmitteln und stürmte zur Tür hinaus, wo sie mit Jethro zusammenprallte, der mit vor der Brust gekreuzten Armen auf der Schwelle stand. Nur sein rasches Zupacken verhinderte, dass sie stürzte.

„Was machst du hier?“, fragte sie, sobald sie sich wieder gefasst hatte.

„Du hast mich ausgesperrt.“

„Bist du etwa beleidigt? Ich dachte, wir wären schneller, wenn du den Müll entsorgst, während ich die Lebensmittel für meine Nachbarin hole. Außerdem muss ich noch einige Besorgungen machen“, erklärte sie und klopfte an die nächste Tür.

Eine grauhaarige Frau öffnete und freute sich, die Lebensmittel geschenkt zu bekommen. „Ist das dein neuer Freund?“, fragte sie. „Er sieht gut aus. Ich wünschte, ich wäre dreißig Jahre jünger.“

Lexi verkniff sich ein Lachen. Rasch trug sie die Sachen in die Wohnung der alten Dame, dann kehrte sie zu Jethro zurück, der mit finsterer Miene vor der Tür wartete.

„Was ist los?“

Autor

Barbara Mc Mahon
<p>Barbara McMahon wuchs in einer Kleinstadt in Virginia auf. Ihr großer Traum war es, zu reisen und die Welt kennenzulernen. Nach ihrem College-Abschluss wurde sie zunächst Stewardess und verbrachte einige Jahre damit, die exotischsten Länder zu erforschen. Um sich später möglichst genau an diese Reisen erinnern zu können, schreib Barbara...
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