Schlaflos in Schottland

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Wenn ein gewagter Plan in einer verführerischen Kutschenfahrt endet … dann geht Karen Hawkins‘ schottische Regency-Saga weiter! Oh nein, die Kutsche fährt los - gen Schottland! Catriona wollte ihre Zwillingsschwester vor einer Dummheit bewahren, stattdessen sitzt sie nun selbst in der Falle. Denn Lord Hugh MacLean entdeckt sie in ihrem Versteck, zieht sie mit einer geschmeidigen Bewegung hervor - und auf seinen Schoß! Welche Verwirrung, dass der stolze Highlander sie zunächst für ihre Schwester hält! Welch überaschende Lust sein heißer Kuss dann in Catriona weckt! Und welch ein Skandal wäre es, wenn diese unziemliche Situation bekannt würde … Es gibt nur einen Ausweg: Hugh muss Catriona heiraten. Süße Freuden im Ehebett verheißt sein Blick - aber keine Liebe …


  • Erscheinungstag 01.03.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739669
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es gibt nichts Schlimmeres als einen Mann, der denkt, er sei immer im Recht – außer einer Frau, die immer recht hat.

So sprach die alte Heilerin Nora in einer kalten Winternacht zu ihren drei jungen Enkelinnen.

Ich verbiete dir, zu gehen.“ William Hurst war zwar erst zwanzig Jahre alt, aber fest davon überzeugt, dass er in Abwesenheit seines Vaters das Sagen im Pfarrhaus von Wythburn hatte. „Ich warne dich, Triona“, bekräftigte er mit tiefstmöglicher Stimme. „Ich werde alles tun, was ich kann, um diese Verrücktheit zu verhindern!“

Seine älteste Schwester Catriona, von ihrer Familie Triona genannt, blickte nicht einmal auf. Ungerührt kramte sie einen abgegriffenen Reisekoffer aus ihrem Kleiderschrank hervor, legte ihn aufs Bett, klappte den Deckel auf und begann zu packen.

„Hast du überhaupt gehört, was ich sage?“, erkundigte sich William gereizt. „Ich verbiete …“

„Was? Oh ja, ich habe dich gehört. Aber irgendjemand muss nach London fahren und Caitlyn zur Vernunft bringen.“

„Ja, aber …“

„… und da Vater und Mutter noch zwei Wochen bei Onkel Traveres bleiben und du mitten in den Vorbereitungen für dein Examen steckst, werde ich wohl dieser Jemand sein müssen.“

William starrte finster vor sich hin. Er war ein gut aussehender junger Mann von beachtlicher Körpergröße und gewohnt, dass man seinen Worten Gehör schenkte. Jeder im Pfarrbezirk zollte ihm den gebührenden Respekt – abgesehen von seiner Familie, in der er nicht einmal dann sonderlich beachtet wurde, wenn er sein blaues Sonntagsjackett mit dem hohen, steifen Kragen und der eindrucksvoll geschlungenen Krawatte trug. „Du bist nicht für Caitlyn verantwortlich.“

„Aber ich bin ihre Zwillingsschwester, also ist es meine Aufgabe, ihr aus dem Schlamassel zu helfen, in den sie sich gebracht hat.“

„Lass sie doch, William“, bemerkte der achtzehnjährige Robert von der Tür aus, wo er lässig am Rahmen lehnte, ein großformatiges, dickes Buch in den Armen. Er grinste seinen älteren Bruder mutwillig an. „Vater hat ausdrücklich Triona die Verantwortung übertragen, als er abreiste. Ich habe es gehört.“

William runzelte die Stirn. „Damit meinte er aber nicht, dass sie nach London durchbrennen soll. Ich bin der älteste Mann im Haus, also sollte das meine Aufgabe sein.“

Lachend rückte Triona ihre Brille gerade. „Aha! Ich verstehe; du willst den Spaß nicht verpassen. Nun, ich verspreche hoch und heilig, dass ich nicht lange genug dort bleibe, um irgendwelchen Spaß zu haben.“ Sie kreuzte die Finger, hielt sie hoch und rezitierte in ernsthaftem Ton: „Versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen.“

„Ich gönne dir ja deinen Spaß“, erklärte William seufzend. „Ich will nur nicht, dass du dich plötzlich in einer kompromittierenden Situation wiederfindest. Eine Frau …“

„… die schon dreiundzwanzig Jahre alt ist.“

„… die allein reist …“

„Nurse begleitet mich.“

„…, und zwar in die verrufenste Stadt der Welt, einen Pfuhl der Sünde und des Lasters …“

„Oh! Das hast du wirklich sehr gut ausgedrückt.“ Sie blickte ihn bewundernd an. „Stammt das aus einem von Vaters Gebetbüchern?“

William lächelte verlegen. „Du weißt, was ich meine.“

„Ich weiß, und ich verspreche, vorsichtig zu sein. Aber ich bin die Einzige, auf die Caitlyn hören wird, also muss ich zu ihr.“

„Ja, aber …“

„William!“ Die siebzehnjährige Mary ließ mit einem gereizten Schnauben ihr Strickzeug in den Schoß fallen. „Es geht um einen Notfall! Caitlyn führt sich so schrecklich auf, dass die arme Tante Lavinia sich gezwungen sah, einen Brief zu schreiben und um Hilfe zu bitten!“ Ihre Lippen zitterten. „Nach dieser Erfahrung wird sie bestimmt niemals wieder einen von uns einladen, die Saison bei ihr in London zu verbringen.“

William stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich sage nicht, dass wir Caitlyn nicht aus jedwedem Ungemach retten sollten, in das sie sich gebracht hat. Ich würde nur vorher gern Vaters Meinung dazu hören, wie wir mit der Sache umgehen sollen.“

„Du wirst ihm nicht von dieser Sache berichten!“, verlangte sein kleiner Bruder Michael in energischem Ton. Er saß vor dem Kamin und war in eine Decke gehüllt, damit er in dem kühlen Zimmer nicht fror. Michael war dünn, blass und anfällig für Krankheiten, verfügte dabei jedoch über einen scharfen Verstand, der weit über die normalen Fähigkeiten eines Fünfzehnjährigen hinausging. Er hatte kürzlich unter derselben Grippe gelitten, die auch Triona davon abgehalten hatte, gemeinsam mit Caitlyn die Saison in London zu genießen, und war, anders als seine robustere Schwester, noch immer nicht vollständig genesen. Seine schmalen Wangen waren unnatürlich gerötet, und sein hartnäckiger Husten wollte einfach nicht besser werden. „Vater ist der Letzte, der davon erfahren sollte. Wenn er wüsste, wie schlecht Caitlyn sich benommen hat, würde er keinem von uns jemals mehr erlauben, Tante Lavinia zu besuchen.“

Sofort pflichtete Mary ihm bei: „Es hat Monate gedauert, bis er endlich zugestimmt hat, Caitlyn und Triona für die Saison nach London gehen zu lassen. Und als Triona krank wurde und nicht reisen konnte, hatte er versucht, die ganze Sache wieder abzublasen. Mutter musste sich einmischen und …“

„Ich weiß!“, unterbrach William sie ärgerlich. „Ich war auch hier.“

„Dann solltest du eigentlich wissen, dass es ein sehr großer Fehler wäre, Vater etwas zu sagen.“

Michael nickte. „Mary hat recht. Vater würde …“ Er musste heftig husten und stieß dabei laute, rasselnde Töne aus, die mitleiderregend klangen.

Triona, die gerade damit beschäftigt war, ihr mit Silberfäden durchwebtes Schultertuch zusammenzulegen, hielt für einen Moment inne und warf ihrem jüngsten Bruder einen besorgten Blick zu. Das Pfarrhaus von Wythburn war ein weitläufiges, zugiges Gemäuer, in dessen Wänden und Decken es zahlreiche undichte Stellen gab. Die ausgetretenen Treppenstufen neigten sich gefährlich zu einer Seite, und die Holzdielen waren so wellig, dass auch Dutzende von Nägeln nicht ausreichten, um eine von ihnen flach am Boden zu halten. Der kalte Wind drang durch Fenster und Türen, und die feuchten Ecken in Zimmern und Fluren wurden niemals richtig trocken.

„Hast du deine Medizin genommen?“, erkundigte sie sich stirnrunzelnd.

Michael zog eine Grimasse. „Nein.“ Bevor sie losschimpfen konnte, fügte er mürrisch hinzu: „Sie macht mich furchtbar schläfrig.“

„Schlaf würde dir guttun.“

„Ich schlafe doch schon die ganze Zeit und mache überhaupt nichts anderes. Langsam bin ich ausgeruht genug.“

William wollte davon nichts hören. „Du kannst mir nicht erzählen, dass du vergangene Nacht gut geschlafen hast. Ich habe dich bis in die frühen Morgenstunden husten hören.“

Triona deutete auf das Fläschchen neben Michaels Ellenbogen. „Nimm sie jetzt ein.“

„Aber …“

Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Michael John Hurst, bring mich nicht dazu, dir etwas vorzusingen.“

William wurde ebenfalls energisch: „Michael, nimm diese Medizin!“

„Bitte!“, bettelte Mary mit ängstlicher Stimme.

Robert, der mit einem Arm immer noch sein Buch umklammerte, deutete auf das Fläschchen. „Tu es für uns!“

Michaels schwaches Lachen wurde sofort von einem rasselnden Husten abgelöst. Nachdem er wieder zu Atem gekommen war, griff er nach der Flasche und dem bereitliegenden Löffel. „Na gut, aber nur weil ihr mir leidtut. Mir macht es nicht das Geringste aus, wenn Triona singt.“

„Wie kann das sein?“, fragte Mary entgeistert.

Er grinste. „Weil diese Grippe meine Ohren verstopft hat. Ihr klingt alle so, als würdet ihr aus weiter Ferne zu mir reden.“

Triona wartete, bis sie sicher war, dass er die vorgeschriebene Menge geschluckt hatte, dann wandte sie sich wieder ihrem Koffer zu. „Wenn alles gut geht, bin ich aus London zurück, bevor Vater wieder da ist. Und wenn ich Tante Lavinia dazu bringen kann, ihm nichts zu sagen, wird er es wahrscheinlich nie erfahren.“

Marys Miene hellte sich auf. „Dann hat er vielleicht auch nichts dagegen, wenn Tante Lavinia jemand anderen von uns für die nächste Saison einlädt.“

Triona nickte. Falls Mary nicht zu viele Cremetörtchen aß, würde sie mit ihrem Aussehen eines Tages womöglich Caitlyn Konkurrenz machen. Einstweilen stand Caitlyn jedoch konkurrenzlos in voller Blüte, und man konnte sich kaum eine berückendere Schönheit vorstellen.

Obwohl Triona und Caitlyn Zwillinge waren und durchaus einige Gemeinsamkeiten aufwiesen, überwogen doch die Unterschiede. Caitlyn war klein und zierlich, mit goldblonden Haaren, dunkelbraunen mandelförmigen Augen und einem herzförmigen Gesicht. Wenn sie anmutig durchs Zimmer schwebte, blieb sämtlichen anwesenden Männern der Mund offen stehen, während sie ihr fasziniert mit den Blicken folgten. Triona war größer und üppiger als ihre Schwester. Ihre Haare schimmerten goldbraun und ihre haselnussfarbenen Augen, die hinter einer Brille verborgen waren, hatten nicht diese Mandelform, die Caitlyns Blick so besonders machte. Und so sehr sehr Triona sich auch bemühte, sie konnte einfach nicht anmutig durchs Zimmer schweben, ebenso wenig wie sie ein paar Inches von ihrer Größe loswerden konnte, durch die sie immer ein wenig unbeholfen wirkte.

Doch da war noch mehr. Die Art, wie Caitlyn lachte, wie sie die Menschen bezauberte und … oh, Triona konnte es nicht in Worte fassen. Ebenso wenig wie die verliebten jungen Männer, es waren wohl Dutzende, die versuchten, Caitlyns Vorzüge in unglaublich schlechten Gedichten und überschwänglichen Komplimenten zu beschreiben.

„Bevor Triona losfährt, müssen wir unbedingt noch eine Sache erledigen“, verlangte Michael in strengem Ton. „Wir müssen alle schwören, dass wir Vater nichts von Trionas Reise verraten werden. Wir alle.“ Er schaute mit zusammengekniffenen Augen in Roberts Richtung.

„Ja“, stimmte William ihm sofort zu, und auch sein Blick wanderte zu Robert hinüber. „Wir müssen alle einen Eid ablegen, den Mund zu halten.“

Roberts Gesicht färbte sich dunkelrot. „Ich denke nicht dran, so etwas zu schwören! Vater würde nicht wollen, dass wir Geheimnisse vor ihm haben.“

Robert war ein eifriger Student und hatte dadurch die besondere Anerkennung seines Vaters gewonnen. Wenn er dessen eher spirituelle Fragen beim Abendessen wieder mal in tadellosem Griechisch oder Latein beantwortete, blieb seinen Geschwistern nur, ihn von ihren jeweiligen Plätzen am Esstisch aus sprachlos anzustarren.

„Vielleicht ist dir die Situation nicht ganz klar.“ Triona nahm einen Brief, der auf dem Bett neben ihrem offenen Koffer lag, und reichte ihn Robert. „Tante Lavinia ist völlig ratlos und weiß nicht, was sie noch tun soll. Und so sehr ich unsere Tante für ihre Gutmütigkeit und ihre Großzügigkeit schätze – wir wissen doch alle, wie Caitlyn manchmal sein kann.“

Mary nickte. „Ich kenne niemanden, der dickköpfiger ist.“

„Oder so impulsiv“, murmelte Michael etwas undeutlich, offenbar begann die Medizin zu wirken.

Nachdem Robert den Brief gelesen hatte, schnaubte er verächtlich. „Tante Lavinia kann doch nicht wirklich glauben, dass es die Situation verbessert, wenn sie versucht, Caitlyn herumzukommandieren! Damit erreicht sie doch nur, dass sie sich noch wilder aufführt.“

William seufzte. „Ganz gleich, wie sehr Caitlyn sich danebenbenimmt – keiner von uns hat genug Geld, um für längere Zeit in London zu bleiben. Das heißt, unsere Schwester kommt entweder sehr bald wieder zur Vernunft, oder Tante Lavinia wird nie wieder einen von uns einladen.“

„Aber stellt euch vor“, mischte Mary sich in ernsthaftem Ton ein. „Wenn es Caitlyn trotz allem gelingt, sich vorteilhaft zu verheiraten, kann sie uns zu sich nach London einladen und zu Bällen und ins Theater und zu allen möglichen gesellschaftlichen Anlässen mitnehmen. Es lohnt sich also auf jeden Fall, die Sache wieder in Ordnung zu bringen.“

Triona legte zwei Bücher in ihren Koffer. „Ich würde gern ins Britische Museum gehen“, sagte sie und lächelte verträumt.

Roberts Miene hellte sich auf. „Das wäre mal was! Ich habe gehört, dass dort gerade die Elgin Marbles gezeigt werden. Ihr wisst schon, der Skulpturenschmuck von den Bauten der Akropolis in Athen.“

„Ich würde gern Tattersalls Pferdeauktionshaus besichtigen“, seufzte Michael.

Triona, die gerade auf dem Weg zum Schrank war, um ihre Stiefeletten zu holen, blieb neben Michael stehen und zerzauste ihm liebevoll die Haare. „Das wäre schön.“

Williams Augen leuchteten. „Oh ja, das würde ich auch gern sehen! Und Gentleman Jackson’s Boxing Saloon und den Park in Vauxhall und …“

Triona lachte. „Caitlyn sollte auf jeden Fall einen Mann mit einem sehr großen Haus heiraten, damit wir alle darin Platz haben.“

„Und sie würde uns sicher zu sich einladen, denn sie ist sehr großzügig“, fügte Mary hinzu.

„Und dumm“, ergänzte Robert. „Und unbedacht und …“

William ballte seine Hände zu Fäusten.

„Das stimmt doch!“, bekräftigte Robert, fuhr aber mit Blick auf die Fäuste seines großen Bruders hastig fort: „Natürlich ist das nicht ihre Schuld. Die lockeren Sitten der Londoner Gesellschaft, in der sie sich jetzt bewegt, sind schuld an ihrem schlechten Benehmen …“

„Ich bitte dich!“ Triona legte ein Nachthemd zusammen. „Caitlyn war genauso ungestüm und gedankenlos, während sie hier auf dem Land lebte.“

„Sie hat aber nicht ständig mit Männern herumgeschäkert“, beharrte Robert.

„Doch, das hat sie“, widersprach Triona in bedauerndem Ton. „Der arme Mr Smythe-Laughton ist vor Kummer fast vergangen, als sie nach London abreiste, und dann waren da Mr Lyndon und Lord Haverhams ältester Sohn und … ach, es sind mehr, als ich an den Fingern meiner Hände aufzählen kann.“

„Es waren Dutzende“, stimmte Mary neidisch zu. „Vater hat sie ja oft getadelt. Aber einmal habe ich gehört, wie er zu Mutter sagte, dass Caitlyn gar nicht klar ist, welche Wirkung sie auf Männer hat, und dass ihr Herumtändeln ganz unschuldig sei, aber er mache sich doch Sorgen, dass es sie eines Tages ins Unglück stürzen würde.“

Robert schnaubte. „Vater war immer viel zu nachsichtig.“

„Ich werde ihm auf jeden Fall erzählen, dass du das gesagt hast“, erklärte Triona trocken.

„Bitte tu das nicht!“, bat Robert sie so inbrünstig, dass Triona lachen musste. Ihr Bruder grinste. „Vielleicht bin ich ein bisschen zu streng“, räumte er ein. „Aber du musst zugeben, dass London einen sehr schlechten Einfluss auf Caitlyn hat. Es stimmt wohl, dass sie schon hier mehr, als es schicklich war, mit Männern geflirtet hat. Aber sie hätte sich nie derart über Sitte und Anstand hinweggesetzt wie jetzt. Vor einem ganzen Ballsaal voller Menschen zu erklären, sie werde noch vor Jahresende heiraten, ‚auf die eine oder andere Art‘, das ist nun wirklich skandalös.“

„Sie hätte das nie getan, wenn sie nicht von jemandem dazu angestachelt worden wäre“, gab Michael zu bedenken. „Caitlyn ist leicht zu begeistern. Vielleicht hat sie das wegen irgendetwas gesagt, das Alexander MacLean gesagt oder getan hat.“

Triona wickelte ein Paar Schuhe in braunes Papier und legte sie in den Koffer. „Großmutter erzählt uns ständig etwas vom Stolz der MacLeans. Manchmal denke ich, es wäre besser, wenn sie uns vor dem Stolz der Hursts warnen würde. Der ist mindestens genauso furchterregend.“

„Oh ja, Mam spricht sehr gern vom Fluch der MacLeans“, bestätigte Mary und erschauderte dabei vergnügt. „Man stelle sich das nur einmal vor! Eine ganze Familie, die dazu verflucht wurde, Unwetter heraufzubeschwören, wann immer einer von ihnen die Beherrschung verliert!“

Williams Augen funkelten, während er seine Finger zu Krallen krümmte, seine Schultern hochzog und mit der Stimme einer alten Frau krächzte: „Vergesst nicht, meine Lieben, auf den MacLeans liegt ein Fluch! Sie sind verflucht, sage ich euch. Verflucht von der geheimnisvollen weißen Hexe. Und jetzt tobt der Sturm, wann immer sie wütend werden.“

Alle außer Mary lachten vor sich hin. „Du sollst dich nicht über Mam lustig machen“, rügte sie. „Sie ist eine sehr weise alte Frau. Vater sagt, das halbe Dorf wäre nicht mehr am Leben, wenn sie nicht so viel über Heilkunst und über die Wirkung von Kräutern wüsste. Außerdem, wer sagt denn, dass es so etwas wie Flüche nicht gibt?“

„Vater zum Beispiel“, erwiderte Robert. „Er sagt, das sei alles Unsinn. Und da Mam seine Mutter ist, sollte er das wohl wissen.“

Michael rutschte unruhig auf dem Sessel hin und her. „Was auch immer mit MacLean los ist, er ist wahrscheinlich nicht besonders glücklich darüber, dass Caitlyn so ein Theater um ihn macht.“

„Für mich hört sich das Ganze so an, als hätten sich beide danebenbenommen, Caitlyn und MacLean. Glücklicherweise sind wir für MacLean nicht verantwortlich“, sagte Triona. Sie stellte den Koffer neben die Tür und suchte ihren Umhang, ihr Halstuch und ihre gute Haube zusammen. „Ich höre die Kutsche vor der Tür, und Nurse wartet bestimmt schon auf mich.“

Michael lächelte schläfrig. „Viel Glück, Triona. Denk dran, dass wir Vater am nächsten Freitag zurückerwarten.“

„Ich will mindestens zwei Tage vorher wieder zu Hause zu sein. Vater wird niemals etwas von der ganzen Angelegenheit erfahren, wenn wir alle“, sie sah Robert streng an, „den Mund halten.“

„Und falls du ihn nicht hältst“, fügte Mary an Robert gewandt hinzu, „erzähle ich Vater, wer Milch über seine Lieblingsausgabe der Odyssee geschüttet hat.“

Robert zuckte zusammen. „Woher weißt du …?“ Als Mary ihn amüsiert ansah, errötete er.

„Also bist du entweder still, oder du stellst dich Vaters Zorn“, ermahnte sie ihn.

Robert hob eine Hand, um Mary zum Schweigen zu bringen. „Gut! Aber wenn während dieser Reise irgendetwas Schlimmes passiert, werde ich Vater sagen, dass ich Triona davor gewarnt habe, nach London zu fahren.“

Triona zog aus der Tasche ihres Umhangs ein Paar alte Handschuhe und streifte sie über. „Ich bitte dich, Robert, hör doch auf, dir so finstere Gedanken zu machen. Es wird garantiert nichts Schlimmes geschehen. Außerdem hat Vater gesagt, ich dürfe nach London fahren, sobald er zurück sei. Du könntest sagen, dass ich nur ein bisschen früher als geplant losgefahren bin.“

„Vater wollte dich persönlich begleiten.“

„Und das wird er auch – nächstes Mal.“ Triona schaute in den Spiegel und schob eine Haarsträhne, die sich gelöst hatte, zurück unter ihre Haube. „Es wird langsam Zeit aufzubrechen.“

William griff nach ihrem Koffer. „Wenn ich nicht wüsste, dass Mr Olson sofort Vater informieren würde, sobald ich eine Unterrichtsstunde bei ihm versäume, würde ich dich begleiten.“

„Es wärmt mein Herz, zu wissen, dass du bereit bist, ein so großes Opfer zu bringen“, sagte Triona lächelnd zu ihrem Bruder.

„Es wäre ein großer Spaß“, erwiderte William grinsend.

Lachend drehte Triona sich zu Robert. „Blick nicht so düster drein und umarme mich zu Abschied. Ich werde dich vermissen!“

Seine ernsten Gesichtszüge wurden weicher, und er legte die Arme um seine ältere Schwester.

Dann war Michael an der Reihe. Sie beugte sich zu ihm hinunter und umarmte ihn besonders lange und herzlich. „Bleib im Haus und denk immer daran, die Medizin zu nehmen, die Dr. Felters dir hiergelassen hat.

Michael zog die Nase kraus, und seine braunen Augen sahen in seinem schmalen Gesicht riesengroß aus. „Wenn es unbedingt sein muss.“

„Es muss sein.“

Als Nächste umarmte Mary ihre Schwester und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich werde Michael im Auge behalten. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“

„Danke.“ Triona lächelte ihre Schwester an und verkündete dann so laut, dass alle es hören konnten: „Ich übergebe dir die Verantwortung, Mary. Sorge dafür, dass William pünktlich bei seinem Lehrer ist und dass Michael seine Medizin nimmt und dass Robert keine Milch über irgendwelche Bücher schüttet und …“

Während ihre Brüder protestierten, erwiderte Mary lachend: „Das werde ich tun.“

„Sehr gut! Auf Wiedersehen, meine Lieben. Ich komme wieder, sobald ich Caitlyn dazu gebracht habe, ihr Temperament ein wenig zu zügeln.“ Triona ging die Treppe hinunter, und William folgte ihr mit dem Koffer.

Lächelnd nickte sie der alten Kinderfrau zu, die von allen nur liebevoll „Nurse“ genannt wurde und tatsächlich bereits auf sie wartete, und ging weiter zur Kutsche. Mit ihren Gedanken war sie schon in London. Trotz der munteren Worte, die sie an ihre Geschwister gerichtet hatte, konnte sie nicht anders, als sich Sorgen zu machen.

Trionas erste Erinnerung an Caitlyn war der Anblick ihrer Zwillingsschwester, wie sie versuchte, aufs Treppengeländer zu steigen. Sie wollte unbedingt hinunterrutschen, obwohl ihnen das ausdrücklich verboten worden war. Später, als ihr gebrochenes Bein geschient war, hatte Caitlyn ihren Eltern gesagt, sie sei froh, es getan zu haben. Es habe großen Spaß gemacht.

Schon mit fünf war Caitlyn ein Temperamentsbündel gewesen, während Triona stets pflichtbewusst gehandelt und ihren Eltern niemals Sorgen bereitet hatte. Vater und Mutter erfuhren nie, wie oft Triona verhindert hatte, dass Caitlyn in noch schlimmere Schwierigkeiten geriet. Triona verstand ihre Zwillingsschwester besser als die meisten anderen Menschen. Sie wusste, dass Caitlyns ruheloser Geist sie nach Aufregung dürsten ließ. Sie liebte das Chaos, das überall entstand, wo sie auftauchte. Sie löste es nicht unbedingt absichtlich aus, aber sie tat auch nichts, um die Lawine aufzuhalten, wenn sie einmal ins Rollen gekommen war.

Triona dagegen liebte Ordnung über alles. Daher war es von klein auf ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass auch im Leben ihrer Geschwister Ordnung herrschte. Es war also nichts Neues für sie, Caitlyn zu Hilfe zu eilen. Doch diesmal konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass alles anders war als sonst.

In welche missliche Lage hast du dich dieses Mal hineinmanövriert, Caitlyn?

2. KAPITEL

Ach, meine Mädchen! Ihr wisst ja nicht, wie viel Kummer euch ein Mann bereiten kann – besonders einer, der sich nicht für euch interessiert, ganz gleich, was ihr anstellt.

So sprach die alte Heilerin Nora in einer kalten Winternacht zu ihren drei jungen Enkelinnen.

Was soll das heißen – sie ist durchgebrannt?“

Tante Lavinia presste ein Taschentuch gegen ihre bebenden Lippen. Sie saß auf einem dick gepolsterten Kanapee mit pinkfarbenen Fransen. Ihr ebenfalls dick gepolsterter Körper war in feinste Seide gehüllt, die Fettschicht auf dem Spann ihrer Füße quoll über den oberen Rand ihrer schwarzen Satinschuhe, und sie sah im Großen und Ganzen so aus, als würde sie jeden Moment platzen.

„Es ist schrecklich!“, jammerte sie. „Vor ein paar Minuten bin ich in Caitlyns Zimmer gegangen – ich habe ihr das blaue Zimmer gegeben, weißt du, es hat die hübscheste Aussicht und …“

„Tante Lavinia, bitte.“

„Ja, ja. Es tut mir ja so leid.“ Tante Lavinias Augen, die normalerweise in einem fröhlichen Blau leuchteten, füllten sich mit Tränen. „Ich wollte Caitlyn fragen, ob sie zum Dinner lieber Hammel oder kaltes Rindfleisch möchte. Die Köchin hat beides zubereitet, weißt du. Sie geht jeden Mittwoch auf den Markt und …“

„Tante Lavinia!“ Triona zählte im Stillen bis zehn.

„Entschuldige, meine Liebe. Wie ich schon sagte, ging ich in ihr Zimmer und stellte fest …“ Tante Lavinia atmete zittrig ein. „… dass sie fort ist!“

Triona wartete einen Moment. „Und?“, fragte sie dann.

Tante Lavinia blinzelte verwirrt und machte angesichts dieser unaufgeregten Reaktion ein enttäuschtes Gesicht. „Nichts und. Sie war einfach fort, und ich habe keine Ahnung, wo sie sein könnte. Also setzte ich mich hier hin, mit meinem Riechsalz, um mich von dem Schrecken zu erholen und darüber nachzudenken, was nun zu tun ist.“

„Und dann?“

„Dann muss ich eingeschlafen sein, und als ich wieder aufgewacht bin, warst du hier.“

Nurse räusperte sich missbilligend.

„Aber … woher weißt du denn, dass sie durchgebrannt ist? Könnte sie nicht einfach nur mit Freundinnen ausgegangen sein?“, erkundigte Triona sich.

„Oh nein! Ich habe die Dienstboten befragt, und sie sagten mir, niemand habe Caitlyn abgeholt. Sie hat auch nicht die Kutsche genommen oder sich ein Pferd satteln lassen … nichts!“

Im Stillen ging Triona den Inhalt der vielen Briefe durch, die sie während der vergangenen Wochen von Caitlyn bekommen hatte. „Sie geht doch sehr gern einkaufen. Könnte sie nicht in den Laden dieser Modistin außerhalb von St. James gegangen sein? Oder vielleicht ins Britische Museum? Sie liebt die Porträtausstellung dort.“

„Es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen, dort nach ihr zu suchen, meine Liebe“, erklärte Tante Lavinia und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich nehme an, das hätte ich tun sollen, aber da in der Nachricht stand …“

„Sie hat eine Nachricht hinterlassen?“ Trionas Stimme überschlug sich beinahe, und Nurse stieß ein ersticktes Geräusch aus, das irgendwo zwischen verzweifeltem Röcheln und verächtlichem Schnauben anzusiedeln war.

„Natürlich gibt es eine Nachricht“, erklärte Tante Lavinia und blinzelte vor lauter Verwirrung schon wieder. „Wie hätte ich sonst wissen sollen, dass sie durchgebrannt ist?“

„Gute Frage“, stieß Triona zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Darf ich die Nachricht bitte sehen?“

Mit ihrer fleischigen Hand, an der eine erstaunliche Anzahl Ringe funkelten, zeigte Tante Lavinia auf den mit Blattgold verzierten Schreibtisch in einer Ecke des mit Möbeln vollgestopften Wohnzimmers. „Der Brief liegt irgendwo da drüben. Ich konnte es nicht mehr ertragen, ihn zu sehen! Oh, wie übel mir deine Schwester mitgespielt hat! Und das, nachdem ich so großzügig war, sie für die ganze Saison einzuladen und überall einzuführen. Ich wünschte, du hättest mit ihr nach London kommen können, Triona. Sicher hättest du ihr Einhalt gebieten können!“

Ich hätte es zumindest versucht. Es gelang Triona, ihren Mund zu einem schwachen Lächeln zu verziehen. „Vielleicht gibt es in ihrer Nachricht einen Hinweis, wo sie hinwollte.“

Sie ging zu dem kleinen Schreibtisch. Ihr Rücken und ihre Beine schmerzten, denn sie hatte sich auf dem Weg nach London nur kurze Pausen und wenige Stunden Schlaf in den harten Betten eines Gasthofs direkt an der Straße gegönnt. Die Reise hatte zwei Tage gedauert, und jeder Stoß der Kutsche, jedes Ruckeln auf der unebenen Fahrspur hatten sie und Nurse kräftig durchgerüttelt. Bei ihrer Ankunft waren beide unglaublich erschöpft, und so war es, gelinde gesagt, eine herbe Enttäuschung, feststellen zu müssen, dass Caitlyn verschwunden war.

Triona ließ ihren Blick über die Schreibtischplatte schweifen und entdeckte auf einem Stapel Briefe und Einladungen einen zusammengefalteten Zettel, der mit den vertrauten krakeligen Buchstaben bedeckt war.

Liebste Tante Lavinia, stand dort in Caitlyns ungleichmäßiger Schrift, verzeih mir, denn wenn Du dies liest, werde ich schon fort sein. Ich kann Dir nichts Näheres verraten, außer dass Du bei meiner Rückkehr sehr glücklich sein wirst und wir gemeinsam über die Dummheit, die ich gemacht habe, lachen werden.

Trionas Herz wurde schwer. Caitlyn schien der Meinung zu sein, durchzubrennen sei einfach nur ein großer Spaß. Hatte sie vollkommen den Verstand verloren und ihre Manieren gleich mit?

Sei ganz beruhigt, bei meiner Rückkehr wird alles gut sein. Das Wort „gut“ hatte Caitlyn so dick unterstrichen, dass das Papier ein Loch hatte. Bis bald, Deine usw. Miss Caitlyn Hurst.

Das „Miss“ war ebenfalls unterstrichen. Hatte sie das getan, weil sie keine „Miss“ mehr sein würde, wenn sie zurückkehrte?

Triona reichte den Brief an Nurse weiter, die ihn überflog und dann missmutig feststellte: „Da steht nich’ drin, wo sie is’ oder wo sie nich’ is’.“

Tante Lavinia stöhnte und wedelte sich mit dem geöffneten Riechsalzfläschchen unter der Nase herum.

„Wir kommen zu spät“, fügte die alte Kinderfrau hinzu. „Miss Caitlyn is’ weg und wird sich entehren lassen und ihre Zukunft ruinie…“

„Sag es nicht!“ Allein bei der Vorstellung drehte sich Trionas Magen um. „Wir müssen sie finden, bevor ein wirklicher Schaden entstanden ist. Wo ist Onkel Bedford? Er wird wissen, was in dieser Lage zu tun ist.“

Tante Lavinia schniefte geräuschvoll. „Er ist in seinem Club. Bei White’s. Ich habe ihm eine Nachricht geschickt, aber ich könnte wetten, dass die Türsteher dort Briefe von Ehefrauen gar nicht erst weiterleiten, damit die Männer länger bleiben und mehr Geld ausgeben für …“

„Gut. Dann werden wir die Suche auf eigene Faust beginnen. Seit wann ist Caitlyn weg?“

Ihre Tante schaute auf eine kleine Uhr aus vergoldeter Bronze, die auf dem Kaminsims stand. „Seit zwei Stunden.“

Triona entspannte sich. „Erst seit zwei Stunden? Das ist nicht sehr lange!“

„Wir hatten spät Lunch und haben uns dabei sehr nett über ihren neuesten Plan unterhalten. Dann ist sie nach oben gegangen, um ein Nickerchen zu machen.“

„Ihren Plan?“

„Oh ja. Ich habe ihr gesagt, er sei viel zu riskant und würde niemals funktionieren.“

Triona setzte sich auf das Kanapee und nahm die Hand ihrer Tante, wobei es sie eine Menge Selbstbeherrschung kostete, der älteren Frau nicht einfach auf die Finger zu hauen. „Wenn wir Caitlyn finden sollen, musst du uns von diesem Plan erzählen, Tante Lavinia. Was hatte sie vor?“

„Nun, sie wollte natürlich Alexander MacLean mit einem Trick dazu bringen, ihr einen Heiratsantrag zu machen!“

Triona öffnete den Mund und schloss ihn sofort wieder.

Tante Lavinia nickte, und ihre weichen braunen Löckchen wippten unter ihrer Spitzenhaube auf und ab. „Als sie mir zum ersten Mal von diesem Vorhaben erzählt hat, muss ich ebenso entsetzt geschaut haben wie du jetzt gerade. Doch dann erklärte sie mir, es ginge um eine Wette, die MacLean mit ihr abgeschlossen hat. Er hat mit ihr gewettet, er werde ihr niemals einen Heiratsantrag machen, egal was geschieht.“

„All das wegen einer Wette?“

„Du weißt doch, sie verliert nicht gern.“ Tante Lavinia seufzte tief. „Ich muss schon sagen, deine Schwester hier zu haben, war doch überaus anstrengend für mich. Im Haus ist es niemals ruhig, seit sie da ist, es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. An die Blumen darf ich gar nicht denken! Den ganzen Tag läutet es an der Tür. Das ständige Geklingel hat mich schrecklich nervös gemacht.“

„Erzählst du bitte von der Wette, Tante Lavinia?“

„Ich bin ja schon dabei.“ Tante Lavinia warf einen Blick hinüber zur offenen Tür, dann beugte sie sich vor und fuhr mit gesenkter Stimme fort: „Deine Schwester wollte herausfinden, wann MacLean die Stadt verlässt, und sich dann im Gepäckfach unter der Sitzbank seiner Kutsche verstecken.“

„Was?“

„Ha! Genau das habe ich auch gesagt! Und wenn sie dann erst einmal eine gute Strecke zurückgelegt hätten, wollte sie unter der Sitzbank hervorspringen und ihn überraschen. Wenn sie sich lange genug versteckt hielte, bis er so weit von London entfernt war, dass er sie nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit zurückbringen konnte, würde ihr guter Ruf dahin sein. Dann würde MacLean ihr einen Antrag machen müssen, und damit würde sie die Wette gewinnen.“

Triona starrte ihre Tante entgeistert an. „Bitte sag mir, dass du sie ermahnt hast, auf keinen Fall so etwas Skandalöses zu tun, Tante Lavinia!“

Nurse schnaubte verächtlich.

Tante Lavinia warf der Kinderfrau einen unbehaglichen Blick zu, bevor sie antwortete: „Natürlich habe ich das getan. Allerdings muss ich doch sagen, dass der Plan ziemlich gut ist.“ Plötzlich fing sie an zu kichern. „Kannst du dir Alexander MacLeans Gesicht vorstellen, wenn er Caitlyn im Gepäckfach unter seiner Sitzbank findet? Wir hatten so viel Spaß, als wir uns darüber unterhielten, wie schockiert er sein würde. Er ist so ein stolzer Mann, der …“

„Gütiger Gott, rette mich vor den Verrückten auf dieser Erde!“, rief Nurse aus.

Tante Lavinia lief rot an. „Ich hätte nie gedacht, dass sie es tatsächlich tun würde!“, verteidigte sie sich.

Die alte Kinderfrau wandte sich an Triona. „Deine Schwester war seit dem Augenblick ihrer Geburt ein unbesonnenes Ding. Ich versteh’ nich’, wieso sie glaubt, ihr verrückter Plan würd’ funktionieren. MacLean könnt’ sie einfach mit der Postkutsche zurück nach London schicken und seiner Wege gehen.“

„Oh nein“, widersprach Tante Lavinia voller Überzeugung. „Wenn die MacLeans eines sind, dann ehrenhaft. Aber … Caitlyn hatte gar nicht vor, seinen Heiratsantrag anzunehmen. Sie wollte einfach nur die Wette gewinnen.“

„Aber dann wäre ihr Ruf vollkommen ruiniert!“

Darauf habe ich sie hingewiesen, doch Caitlyn war sicher, sie könnte dafür sorgen, dass die Geschichte nicht an die Öffentlichkeit dringt. Ich sagte ihr, das müsse sie auch unbedingt tun, denn sie ist bei den Devonshires eingeladen, und diese Einladungen sind sehr schwer zu bekommen.“

Nurse räusperte sich ungnädig. „Das is’ verrückt, so wahr ich hier stehe!“

Triona musste ihr zustimmen. Caitlyns Plan war nicht nur äußerst unschicklich, ihre Schwester hatte ihr Vorhaben offenbar nicht mal sorgfältig geplant. Ganz abgesehen davon, dass sie glaubte, ihren Streich geheim halten zu können – die Einzelheiten waren nicht gut durchdacht. Sicher, einige Kutschen hatten unter den Sitzbänken Stauraum für Decken, Kissen und Fußwärmer, doch selbst in den luxuriösesten Wagen war dieses Fach ziemlich klein. Allein bei der Vorstellung, dort zusammengekrümmt hocken zu müssen, überlief Triona ein kalter Schauer.

„Dieses Mal nimmt es ein böses Ende mit Caitlyn, denk an meine Worte. Wenn man mit dem Feuer spielt, verbrennt man sich die Finger“, prophezeite Nurse kopfschüttelnd.

Tante Lavinia legte ihr pausbäckiges Gesicht in missbilligende Falten. „Ich kann Caitlyns Verhalten sehr gut verstehen.“ Als Triona sie erstaunt anschaute, fügte sie erklärend hinzu: „Dir ginge es genauso, wenn du miterlebt hättest, wie unhöflich Alexander MacLean sie seit seiner Ankunft in London behandelt hat. Und das, obwohl sie in dieser Saison die Ballkönigin ist, die schönste aller jungen Frauen!“

Triona seufzte und stellte im Stillen fest, dass sie wohl eigentlich nicht hätte überrascht sein dürfen. Caitlyn war nun mal jederzeit bereit, sich einer Herausforderung zu stellen, ganz gleich worum es ging. „Ich dachte, sie sei so beschäftigt damit, die Saison zu genießen, dass sie keine Zeit haben würde, sich in Schwierigkeiten zu bringen.“

Sofort hellte Tante Lavinias Miene sich auf. „Wir sind mit Einladungen überschüttet worden! Dukes und Earls und Viscounts – alle wollten deine Schwester sehen.“

Das Entzücken in Tante Lavinias pausbäckigem Gesicht war unbeschreiblich. Sie hatte sich offensichtlich im Glanz von Caitlyns gesellschaftlichem Erfolg gesonnt, erkannte Triona. „Das alles wird meiner Schwester nicht helfen, wenn ihr guter Ruf erst ruiniert ist.“

Tante Lavinias Lächeln verblasste. „Das stimmt wohl. Alles lief so gut, bevor Alexander MacLean in der Stadt ankam. Seitdem ist deine Schwester nicht mehr dieselbe.“

„Was hat er denn getan?“

„Er mochte sie vom ersten Augenblick an nicht! Sie haben sich im Hyde Park kennengelernt. Ihr Pferd ist mit ihr durchgegangen. Sie wollte unbedingt die preisgekrönte Stute deines Onkels Bedford reiten, obwohl sie doch gerade erst reiten gelernt hat …“

„Und dann traf sie also Lord MacLean, und er war nicht im Mindesten beeindruckt von ihr.“

„Schlimmer noch. Er beachtete sie kaum und sagte mehreren Leuten – noch dazu waren es alles schreckliche Klatschmäuler –, dass sie zwar schön sei, seiner Meinung nach aber keinen Charakter habe.“

Triona runzelte die Stirn. „Wie unhöflich von ihm.“

„Genau!“, stimmte Tante Lavinia ihr eifrig zu. „Dann traf sein Bruder Hugh in der Stadt ein, und es wurde noch schlimmer. Wo Alexander sich kühl verhielt, war Hugh eiskalt. Er beachtete Caitlyn überhaupt nicht.“

„Er schnitt sie?“

„Ja! Die Leute fingen an zu reden und zu lachen. Das konnte Caitlyn natürlich nicht auf sich sitzen lassen! Ich sagte ihr, sie solle einfach nicht darauf achten, denn Hugh MacLean ist allen Damen gegenüber kühl.“ Wieder schaute Tante Lavinia hinüber zur Tür, bevor sie im Flüsterton hinzufügte. „Er hat überhaupt keine Achtung vor Frauen. Er soll über ein Dutzend illegitime Kinder haben.“

Nurse schnalzte mit der Zunge. „So sind sie eben, die MacLeans. Sie sind allesamt verflucht und behandeln Frauen wie Dreck.“

Tante Lavinia warf der Kinderfrau einen wachsamen Blick zu. „Das ist wohl so. Wie auch immer, Caitlyn war schrecklich wütend und dumm genug, es auch noch zu zeigen. Da begann Alexander, sich ganz offen über sie lustig zu machen, und sie hatten einen Streit – auf einem der wichtigsten Bälle der Saison! Alle beide sagten Dinge, die sie nicht hätten sagen sollen. Und später erzählte er überall herum, sie könne ihn nicht für sich einnehmen, und wenn sie sich noch so sehr bemühe.“

„Gütiger Gott! So etwas kann Caitlyn ganz sicher nicht auf sich sitzen lassen.“

„Keine Frau könnte das“, erklärte Tante Lavinia in hitzigem Ton. „Natürlich musste sie sich rächen, also wettete sie, dass sie ihn dazu bringen könne, vor ihr auf die Knie zu sinken – und zwar buchstäblich.“

„Hast du versucht, ihr diese dumme Idee auszureden?“

Tante Lavinia zog die Nase kraus. „Ich habe sie ermahnt, diskret vorzugehen, obwohl das Kind natürlich vollkommen recht hatte, Genugtuung zu verlangen.“

Na großartig! Gerade als Caitlyn einen ruhigen, logisch denkenden Menschen gebraucht hätte, der ihre unbesonnenen Handlungen und Pläne unter Kontrolle brachte, war sie an Tante Lavinia geraten – die sie sogar noch ermutigte.

Trotzdem, irgendwas stimmte nicht. Caitlyns Pläne waren sehr extrem – selbst wenn man berücksichtigte, dass es sich eben um Caitlyn handelte. Triona runzelte die Stirn. „Caitlyn ist doch nicht etwa in Alexander MacLean verliebt, Tante Lavinia?“

Verwirrt blinzelte die Tante sie an. „Du liebe Güte, nein! Sie wird jedes Mal wütend, wenn er in ihrer Nähe auftaucht.“

„Das hört sich für mich nach Liebe an“, bemerkte Nurse mürrisch.

„Oh nein, auf gar keinen Fall. Das ist einfach nur dummer Stolz“, widersprach Tante Lavinia.

„Ich wünschte, ich könnte mit ihr reden, sie überzeugen“, sagte Triona und seufzte. „Normalerweise wäre ich wegen ihrer Nachricht in großer Sorge, doch nach dem zu schließen, was du uns erzählt hast, ist sie noch hier in London. Solange MacLean die Stadt nicht verlässt, müssen wir uns wohl keine Gedanken machen.“

Tante Lavinia presste ihr Taschentuch an die Lippen.

Triona musterte sie kritisch. „Er ist doch noch in der Stadt? Oder etwa nicht?“

„Er hatte vor, heute Nachmittag abzureisen. Das hat deine Schwester mir beim Lunch erzählt. Zu der Zeit dachte ich nicht … hätte ich niemals gedacht … wer hätte das vorhersehen können? Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke …“

„Dann sind sie schon fort“, stellte Triona mit tonloser Stimme fest. „Doch selbst wenn es so ist, gebe ich nicht auf! Ich werde Caitlyn finden, bevor es zu spät ist. Und wenn ich ihr bis in die Hölle und wieder zurück folgen muss.“

Vor dem Stadthaus der MacLeans im eleganten Stadtteil Mayfair zog Hugh MacLean seine Handschuhe an. „Hast du die Stalltüren unverschlossen gelassen, wie ich es angeordnet habe?“

„Ja, Mylord“, erwiderte sein Stallknecht mit gesenkter Stimme, während er nervös zur Kutsche hinüberschaute. „Und ich habe die Lieblingskutsche vom Laird mitten auf die Auffahrt gestellt, damit sie nich’ mit einem von den anderen Wagen verwechselt wird.“

„Danke. Das hast du gut gemacht.“

Ferguson beugte sich vor und flüsterte: „Ich habe Sägespäne vor die Türen gestreut, wie Sie gesagt haben, und heut’ Nachmittag war ein Fußabdruck zu sehen.“

Hugh lächelte grimmig. Es würde ihm Spaß machen, dem unverschämten Luder eine Lektion zu erteilen. Seit dem Augenblick, in dem sie verkündet hatte, sie werde Alexander unter allen Umständen dazu bringen, ihr einen Antrag zu machen, war Hugh auf der Hut gewesen. Alexander mochte über sie lachen, doch Hugh wusste ein oder zwei Dinge mehr über Ränke schmiedende Frauen als sein Bruder.

Deshalb hatte Hugh einen der Dienstboten dafür bezahlt, ein Auge auf die umtriebige Miss Hurst zu haben. Auf diese Weise hatte er von ihrem Plan erfahren, sich in Alexanders Kutsche zu verstecken und so einen Heiratsantrag zu erzwingen. Allein beim Gedanken daran verkrampfte sich Hughs Kiefer. Die Frau war schamlos. Vollkommen schamlos.

Ohne Alexander von seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen, hatte Hugh ihn überredet, den Besitz der MacLeans bei Stirling zu besuchen, um dort einen lukrativen Handel abzuschließen, bei dem es um ein Stück Land ging. An dem Abend, an dem Alexander abgereist war, hatte Hugh seinen Plan in Angriff genommen. Er war zu einer Dinnerparty gegangen und hatte in Hörweite von Miss Hurst erzählt, sein Bruder habe vor, am nächsten Tag die Stadt zu verlassen und werde selbstverständlich in seiner Lieblingskutsche reisen.

Damit war die Falle vorbereitet.

Erneut warf Ferguson einen unsicheren Blick hinüber zur Kutsche. „Sie werd’n aber dem Mädchen nichts Schlimmes tun, Mylord, nich’ wahr?“

Hugh lächelte, wenn auch nicht freundlich. „Miss Hurst wird bekommen, was sie verdient, nicht mehr und nicht weniger.“

„Das is’ nich’ sehr beruhigend.“

„Mach dir keine Sorgen, ich will ihr bloß Angst machen.“

Bedenklich wiegte Ferguson den Kopf hin und her. „Ich hoffe nur, Sie tappen nich’ selbst in die Falle, die Sie aufgestellt ham.“

Hugh schnaubte verächtlich. „Das Letzte, was Miss Hurst will, ist ein jüngerer Sohn, der nicht den Titel und den größten Teil vom Vermögen erbt. Sie wird verlangen, dass ich sie sofort wieder in die Stadt zurückbringe. Was ich auch gern tun werde, nachdem ich ihr meinen Standpunkt klargemacht habe.“

Ferguson machte ein finsteres Gesicht. „Ich kann’ s Ihnen nich’ verdenken, Mylord. Sie is’ ein ziemliches wildes Frauenzimmer, das is’ sie wohl.“

Hugh nickte. Viele Leute hielten ihn für den ausgeglichensten der MacLean-Brüder, und das war er normalerweise auch. Er sah keinen Grund, seine Probleme und Launen an anderen auszulassen und verlor selten die Beherrschung – was in Anbetracht des Fluchs, der auf seiner Familie lag, nur von Vorteil war.

Das Gerücht, eine weiße Hexe habe die MacLeans derart verflucht, dass sich nun jedes Mal die Schleusen des Himmels öffneten, wenn einer von ihnen wütend wurde, ging seit langer Zeit um. Leider handelte es sich nicht nur um Gerede. Hugh hatte sein Temperament meist unter Kontrolle, und man musste ihn schon sehr reizen, um ihn wirklich zornig zu machen. Seine Brüder hatten nicht so viel Glück. Sie waren heißblütige Männer, die ebenso leidenschaftlich kämpften, wie sie liebten, und sie ließen in ihrem Kielwasser eine Spur von gebrochenen Herzen und wilden Unwettern zurück.

Alle außer Alexander. Dessen Reaktion auf den Fluch war, alle Menschen auf Armeslänge von sich fernzuhalten, selbst seine Brüder. Nur ihr jüngster Bruder Callum, der vor Jahren unter verdächtigen Umständen gestorben war, hatte es geschafft, Alexanders eisenharte Schale zu durchdringen. Nach seinem Tod hatte Alexander sich noch mehr zurückgezogen. Obwohl er über geschäftliche Angelegenheiten sprach und mit Hugh auch Familienangelegenheiten diskutierte, wechselten sie ansonsten kaum ein persönliches Wort.

Hugh hatte versucht, Alexander vor dem Hurst-Luder zu warnen, aber sein Bruder hatte nur mit den Schultern gezuckt und das Thema gewechselt. Er wollte die Gefahr einfach nicht sehen, und so fühlte Hugh sich gezwungen, eigenmächtig zu handeln. Er hoffte, dass Alexander seine Bemühungen zu schätzen wissen würde, doch wahrscheinlich würde sein Bruder eher ärgerlich über die Einmischung sein. Das war Pech. Hugh war entschlossen, die Sache durchzuziehen, aber es wäre schon hilfreich gewesen, wenn Alexander sich offener über seine Gefühle in dieser Angelegenheit geäußert hätte. Callum hätte gewusst, wie er ihn dazu bringen konnte. Aber eben nur Callum.

Beim Gedanken an seinen jüngsten Bruder, der so reizend gewesen war und so gern gelacht hatte, wurde Hughs Herz schwer. Callum war strahlender Mittelpunkt der Familie gewesen, und er fehlte ihnen allen sehr, doch keinem mehr als Alexander. Die Wochen nach Callums Tod waren dunkel und bitter gewesen, denn der MacLean-Fluch hatte für wilde Unwetter gesorgt, die mit Regen und Sturm über das Land tobten.

Ihre Schwester Fiona hatte versucht, Alexanders dunkle Stimmung aufzuhellen, nicht ganz ohne Erfolg. Doch jetzt war sie verheiratet und mit ihrem Ehemann und ihren Kindern beschäftigt. Und Alexander war einsamer als je zuvor.

Es tat Hugh in der Seele weh, dass sein Bruder so allein war, doch er sah keine Möglichkeit, seine harte Schale zu durchdringen. Aber das Mindeste, was er tun konnte, war, Ränke schmiedende Frauen wie Caitlyn Hurst aus Alexanders Nähe zu vertreiben.

Ferguson sah hinauf zur Sonne. „Es is’ schon spät. Sollen wir jetz’ losfahren, Mylord?“

„Ja. Und um der Dame eine Lektion zu erteilen, lass auf der Straße zwischen hier und Stirling kein einziges Schlagloch aus. Es gibt keinen Grund, ihr die Reise angenehm zu machen.“

Die Augen des Stallknechts funkelten. „Dann werden Sie aber auch eine unbequeme Fahrt ham“, gab er heiter zu bedenken.

„Ja. Aber ich werde auf einem Kissen sitzen, während sie in ihrem engen Gefängnis kauert.“ Die Vorstellung besserte seine Laune. Hugh ging zum Wagen.

„Bitte, Mylord!“ Der Knecht öffnete ihm die Tür.

Das Innere von Alexanders Kutsche war ebenso luxuriös wie das Äußere. Die Außenseite glänzte vor schwarzem Lack und Silber, und das Familienwappen war dezent hinter einem der Fenster befestigt. Innen gab es weichen roten Samt und prächtiges Holz mit Silberbeschlägen.

Hugh blickte auf den Boden und sah eine Spur von Sägespänen vor der Sitzbank in Fahrtrichtung. Der Riegel des Gepäckfachs zeigte in die falsche Richtung. Er fand die Berechenbarkeit dieser Frau schrecklich langweilig.

Er ließ sich auf dem dick gepolsterten Sitz nieder und rief dem Pferdeknecht mit lauter, klarer Stimme zu: „Nach Stirling.“

„Sehr wohl, Mylord!“ Ferguson zwinkerte und schloss, noch immer grinsend, die Tür.

Die Kutsche fuhr an, und Hugh lehnte sich genüsslich in die dicken Kissen. Es war typisch für Alexander, dass er eine Karosse besaß, um die ihn vermutlich sogar der Prinz beneidete. Hugh schwor eher auf Wirtschaftlichkeit und schlichten Komfort, sein eigener Wagen war wesentlich einfacher. Er war ein Mann, der seinen Wert kannte und seinen Reichtum nicht zur Schau trug. Von Alexander als dem Laird, dem Titelerben des Clans, erwartete man hingegen, dass er seine Stellung auch nach außen zeigte. Er präsentierte seinen Wohlstand mit einer natürlichen Überheblichkeit und einer Eleganz, die jeder heiratswütigen Frau den Atem verschlug.

Hugh wurde ebenfalls viel Aufmerksamkeit zuteil, wenn er es denn wünschte – tatsächlich erregte er mehr Interesse, als ihm gerechterweise zugestanden hätte. Doch die Tatsache, dass er nicht der erstgeborene Sohn war, hielt die meisten der verzweifelt nach einem passenden Ehemann suchenden Frauen davon ab, ihm nachzulaufen. Was ihm nur recht war.

Während die Kutsche in raschem Tempo über das Kopfsteinpflaster ratterte, stellte Hugh sich vor, wie unbequem es Miss Hochnäsig Hurt in diesem Moment hatte, und grinste vor sich hin. Er hoffte, dass sie hungrig, durstig und ordentlich durchgerüttelt sein würde, wenn sie Cadesleeds erreichten.

Niemand übervorteilte die MacLeans. Absolut niemand.

Zufrieden zog er die Hutkrempe über die Augen, lehnte sich im Sitz zurück und schlief ein.

Nurse klammerte sich mit beiden Händen an den Ledergriff über dem Fenster und stöhnte. Sie war grün im Gesicht. „Muss dieser Kutscher wie ein Verrückter fahren?“

Triona lehnte sich aus dem Fenster und genoss, wie der Wind an ihren Haaren zerrte. „Wir müssen Caitlyn einholen. Sie hat eine gute Stunde Vorsprung. MacLeans Diener sagte, die Kutsche sei um vier Uhr abgefahren“

„Das weiß ich, aber …“ Der Wagen fuhr durch ein weiteres tiefes Schlagloch auf der Straße, und Nurse wurde auf ihrem Sitz so hoch geschleudert, dass ihr Kopf gegen das niedrige Dach der altmodischen Karosse stieß.

Auch Triona konnte sich nicht mehr am Fenster festhalten, fiel quer über die Sitzbank und krachte mit der Stirn gegen die seitliche Holzvertäfelung „Autsch!“

Mit einem grimmigen Lächeln in ihrem blassen Gesicht lehnte Nurse sich zurück. „Der Teufel selbst hat diese Straße verflucht.“

Triona rutschte über die Sitzbank, um wieder aus dem Fenster zu schauen. Soeben näherten sie sich einem kleinen Gasthaus. Obwohl sie den Diener auf dem Dach der Kutsche beauftragt hatte, nach MacLeans Wagen Ausschau zu halten, war sie nicht sicher, ob er aufmerksam genug sein würde. Sie starrte in den Hof des Gasthofs, während sie daran vorbeirasten, konnte aber keine vornehme Karosse entdecken. Sie seufzte.

„Hast du sie geseh’n?“, erkundigte sich Nurse.

„Nein, aber Tante Lavinias Kutscher sagte, dass es an dieser Straße mehrere Gasthäuser gibt, in denen der Adel gern absteigt.“ Durch die herabsinkende Dämmerung hielt Triona nach den Lichtern des nächsten Gasthofs Ausschau und schnappte dann nach Luft. „Da ist einer davon!“ Sie reckte sich und schlug mit der Faust gegen das Dach.

Sofort wurde der Wagen langsamer und bog von der Straße in ein kleines Wäldchen ab, durch dessen Bäume der Hinterhof des Wirtshauses zu sehen war. „Da steht die Kutsche! Ich kann das Wappen sehen. Es sieht genauso aus, wie Tante Lavinia es beschrieben hat!“

„Gott sei Dank!“ Die alte Kinderfrau schloss für ein kurzes Gebet die Augen.

Tante Lavinias Kutscher kam zur Tür. „Das is’ die richtige Kutsche, Miss! Ich hab’ sie auch geseh’n, genau wie Sie!“

„Können Sie erkennen, ob MacLean darin sitzt?“

Fletcher spähte durch die Bäume. „Sieht leer aus … Ah! Ich sehe MacLean mit seinem Kutscher vor dem Gasthaus stehen.“

Fragend schaut Nurse Triona an. „Sollen wir das Reh in seinem Versteck aufstöbern?“

Die Sonne war schon fast hinter dem Horizont versunken, und ihre letzten Strahlen warfen lange Schatten. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Triona die Kutsche. Fast konnte sie Caitlyns Gegenwart spüren.

„Scheint alles sehr ruhig zu sein“, stellte Fletcher fest. „Vielleicht ist Miss Caitlyn noch nicht hervorgekommen.“

„Wir sind immer noch so dicht bei London, dass der Laird sie zurückbringen könnte. Sie würde sich nicht zeigen, bis sie weit genug weg sind.“

Die Nurse schüttelte den Kopf. „Das is’ wirklich schlechtes Benehmen von einer Frau, einen Mann so in die Falle zu locken und …“

„Sehen Sie!“ Mit einer Kopfbewegung deutete Fletcher hinüber zum Gasthaus. „Sie haben angefangen, die Pferde zu wechseln, Miss. Jetzt werden sie nicht mehr lange bleiben.“

Triona öffnete den Riegel der Tür und sprang hinaus auf den weichen, feuchten Boden. Der Geruch der vermodernden Blätter unter der dünnen Schicht frisch gefallenen Schnees kitzelte sie in der Nase. „Wenn ich nur mit Caitlyn sprechen könnte, während niemand sonst in der Kutsche ist. Es würde mir sicher gelingen, ihr klarzumachen, wie dumm ihr Plan ist.“ Caitlyn war ganz in der Nähe. Sie durfte die Kutsche mit ihrer Schwester darin nicht wegfahren lassen, ohne etwas zu unternehmen. Aber was?

„Ich muss in diese Kutsche gelangen!“

„Auf keinen Fall wirst du so etwas machen!“, schimpfte die alte Kinderfrau.

Auch Flechter schüttelte den Kopf. „Das ist ein gefährlicher Plan, Miss. Sie könnten erwischt werden.“

Triona zuckte mit den Schultern. „MacLean will nichts von Caitlyn. Wenn ich ihm sage, dass sie sich in seiner Kutsche versteckt hat, um ihn dazu zu zwingen, ihr einen Heiratsantrag zu machen, ist er mir sicher dankbar.“

Nachdenklich nahm sie die Karosse in Augenschein. „Wenn ich nicht entschlossen wäre, dafür zu sorgen, dass Caitlyns guter Ruf erhalten bleibt – was bedeutet, dass MacLean nichts von ihrem Plan erfahren darf – würde ich einfach mit ihm reden. So aber muss ich Caitlyn dazu bringen, aus der Kutsche zu steigen, während die Pferde gewechselt werden. Auf diese Weise wird niemand etwas erfahren, und wir können nach London zurückkehren und die Dinge mit meiner Tante in Ordnung bringen.“

„Sie haben vermutlich recht“, räumte Fletcher ein.

„Mir gefällt das nich’!“, fauchte Nurse.

„In Anbetracht der Umstände bleibt uns nichts anderes übrig.“ Triona wandte sich an die Dienstboten. „Ihr bleibt hier. Ich laufe durch das Wäldchen und schleiche mich so dicht an die Kutsche heran, dass ich mit ihr sprechen kann.“ Ein plötzlicher Windstoß brachte ihren Umhang und ihre Röcke zum Flattern. Triona erschauderte.

Nachdem die Kinderfrau und Fletcher besorgte Blicke getauscht hatten, nickten beide widerwillig.

Triona zwang sich zu einem hoffnungsvollen Lächeln. „Dann gehe ich jetzt los. Ihr haltet hier Wache.“ Sie zog den Umhang eng um ihren Körper und lief hinüber zum Gasthaus. Ihr Herz klopfte wie wild. Dafür schuldest du mir etwas, Caitlyn!

3. KAPITEL

Die Hursts sind bekannt für ihre ehrlichen Seelen und ihr leidenschaftliches, ungestümes Temperament. Lasst euch gesagt sein, meine Mädchen, genau das und nichts anderes hat die Mitglieder dieser Familie schon auf so manchen Irrweg geführt.

So sprach die alte Heilerin Nora in einer kalten Winternacht zu ihren drei jungen Enkelinnen.

Als Triona den Rand des Wäldchens erreichte, sah sie, dass MacLeans Kutsche soeben zur Tür des Gasthauses gefahren wurde. Die ihr zugewandte Seite des Wagens lag im Schatten.

Sehr gut! So konnte sie zur Kutsche schleichen und hineinschlüpfen, ohne dass jemand etwas bemerkte.

Auf der anderen Seite des Wagens fragte gerade der Kutscher: „Sind Sie sicher, Mylord, dass Sie weiterfahr’n woll’n? Es wird bald schnei’n. Ich kann es schmecken.“

MacLeans Stimme klang kultiviert, obwohl eine leichte schottische Färbung darin mitschwang. „Schmecken? Demnächst sagst du mir noch, du kannst den Schnee auch riechen, bevor er vom Himmel fällt.“

Fast hätte Triona die Augen geschlossen, um die Stimme dieses Mannes zu genießen. Tief und volltönend umhüllte ihr Klang sie wie ein warmer Mantel. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie Caitlyn auf diese Stimme reagierte. Ihre Schwester liebte schöne Dinge, und deshalb würde sie im Bann dieser samtigen Töne dahinschmelzen. Und wenn der Mann genauso war wie seine Stimme … Ein heißer Schauer durchlief Triona. In diesem Fall hatte ihre Schwester Caitlyn keine Chance gehabt.

Sie dagegen war aus anderem Holz geschnitzt. Obwohl eine Stimme wie rauer Samt auch ihr Herz zum Pochen brachte, war die Versuchung nicht groß genug, um sie dazu zu bringen, ihren guten Ruf aufs Spiel zu setzen.

Bevor Triona sich dazu durchringen konnte, in gebückter Haltung über den Hof zu huschen, tauchte ein Stallbursche mit einem Ledersack voll Hafer auf und ging zum vorderen Ende des Wagens. Sie stieß einen unterdrückten Seufzer aus, und ihre Brille beschlug. Sie rieb die Gläser mit dem Saum ihres Umhangs blank, schaute erneut zum Hof hinüber und stellte fest, dass der Stallbursche an der Kutsche vorbeigegangen war. Sie sah nur noch einen der Diener, der einem weiteren Knecht beim Anschirren der frischen Pferde half.

Das war ihre Chance! Tief gebückt lief sie zur Kutsche, erreichte ungesehen die Tür und zog den Riegel zurück. Das Klicken hallte laut durch eine unerwartete Pause inmitten des Lärms mit Pferden und Geschirr, und Triona erstarrte. Hatten sie es gehört? Ihre Finger, die den Messinggriff umklammerten, wurden eiskalt, und sie nahm überdeutlich jedes Geräusch um sich herum wahr.

Im Wald hinter ihr knackte ein Ast und fiel auf den Boden. Triona zuckte erschrocken zusammen, die Brille rutschte von ihrer feuchten Nase und landete vor ihren Füßen.

Verdammt noch mal! Vorsichtig ließ sie den Türgriff los und suchte den schlammigen Grund ab, konnte ihre Brille aber nicht entdecken. Laute Geräusche von der anderen Seite der Kutsche ließen keinen Zweifel daran, wie leicht sie hier entdeckt werden konnte.

Mit zusammengebissenen Zähnen griff sie erneut nach dem Türknauf. Sie würde ihre Brille finden, nachdem sie ihre Schwester gerettet hatte.

Als sie die Tür öffnete, hörte sie MacLean auf der gegenüberliegenden Seite des Wagens sagen: „Wir müssen unterwegs besonders auf frisch gefallenen Schnee achten. Er kann uns Probleme bereiten.“

„Genau. Ganz besonders, wenn wir so viel Neuschnee kriegen, wie mein krankes Knie vorhersagt.“

„Schon möglich. Lass uns noch den Fuß des Handpferds anschauen. Es schien mir zu lahmen, als es vom Stall hierher geführt wurde, und ich will nicht, dass es sich mühsam durch den Schneesturm schleppen muss, den du prophezeist.“

Die Stimmen wurden leiser, während die Männer zu den Pferden gingen.

Vorsichtig schlüpfte Triona in die Kutsche und achtete besonders darauf, dass sie das gut gefederte Gefährt nicht in Schwingung versetzte.

Das Innere des Wagens war so luxuriös, wie sie es erwartet hatte. Die Sitzbänke waren mit dickem Samt bezogen, und an den dunklen Ebenholzwänden prangten schwere Silberlampen, die sicher jede Ecke ausleuchten konnten. Die Vorhänge vor den Fenstern waren zugezogen, und auf dem Boden lag ein Fußwärmer, dessen sanftes Zischen darauf hindeutete, dass er soeben mit heißen Kohlen gefüllt worden war.

Triona beugte sich zu einem der Verschläge unter den Sitzen hinab. „Caitlyn?“, flüsterte sie.

Sie bekam keine Antwort. Ihre Schwester musste unter der anderen Bank hocken. Triona ging hinüber, presste ihre Wange gegen den Sitz und wisperte so laut, wie sie es gerade eben noch wagte. „Caitlyn? Kannst du mich hören?“

Furchterregende Stille umgab sie. Sie griff nach der Lasche unter dem Sitz, während sie gleichzeitig angestrengt lauschte, was um sie herum vorging. Sie hörte das gelegentliche Klirren des Zaumzeugs und den leichten Wind, der durch die Bäume strich. Dann aber nahm sie etwas wahr, das ihr Blut gefrieren ließ – die Stimme des Kutschers wurde lauter, und MacLean antwortete ihm.

Sie kamen zurück! Verzweifelt versuchte Triona, die Lasche hochzuziehen, aber sie hatte sich verklemmt.

Direkt vor der Tür klangen die Worte des Kutschers unnatürlich laut. „Verspotten Sie mich nur, Mylord, aber ich riech’ den Schnee. Mindestens so viel Schnee wird fallen, dass er mir bis zu den Knien reicht.“

MacLean lachte leise, und als sie den samtigen Ton seiner Stimme hörte, erschauderte Triona erneut. „Ach Ferguson, das ist mehr Schnee, als sie hier während der vergangenen fünf Jahre insgesamt hatten.“

„Vertrau’n Sie meinem kaputten Bein, Mylord. Das irrt sich nie.“

Endlich öffnete sich die Lasche mit einem leisen Kratzen von Metall auf Metall. Triona hob den Sitz und schaute in die Box darunter. Keine Caitlyn. Allerdings war ihre Schwester offenbar hier gewesen, denn ihr Lieblingsmuff lag neben einer Hutschachtel und einem silberfarbenen Ausgehumhang mit Hermelinbesatz in einer Ecke des Hohlraums.

Triona runzelte die Stirn. Die Sachen wirkten kein bisschen zerdrückt. Hätte der Umhang nicht zerknittert sein müssen, der Muff platt gedrückt und die Hutschachtel ebenfalls, wenn Caitlyn in dem kleinen Verschlag gehockt hätte? Bei so viel Gepäck wäre kaum noch genug Platz für Caitlyn gewesen.

Triona schloss den Deckel und ging hinüber zur anderen Sitzbank. Auch dort öffnete sie den Haken und schob den Riegel vorsichtig zur Seite. Er quietschte nur ein sehr leise. Draußen stockte für einen Moment die Unterhaltung. Dann redeten die beiden Männer weiter. Nun unterhielten sie sich über die Straße, die sie nehmen wollten.

Aufatmend spähte sie in den Verschlag. Die Box war mit dünnen Decken, Kissen, einer ledernen Schreibunterlage und einem Reiseschachspiel gefüllt.

Vorsichtig klappte Triona den Sitz wieder herunter und hockte sich auf ihre Fersen. Caitlyn, wo bist du? Ihre Schwester musste hier gewesen sein, irgendjemand hatte den Umhang, den Muff und die Hutschachtel in das …

„Wir sind fertig, Mylord!“, rief einer der Diener von der Vorderseite der Kutsche.

„Dann lasst uns losfahren“, erwiderte MacLean. „Ferguson, bring mein Pferd. Ich werde ein wenig reiten, bevor es zu dunkel wird.“

„Ja, Mylord.“ Der Knecht rief etwas Unverständliches, dann hörte Triona das Geräusch von sich nähernden Schritten, die durch den festgetretenen Schnee knirschten.

Da kommt jemand! Sie streckte die Hand nach der Tür aus, um zu fliehen, doch in dem Augenblick, in dem sie den Griff berührte, fuhr die Kutsche abrupt an. Sie fiel gegen die Tür und krachte mit einem Knie hart auf den Boden. Als der Schmerz durch ihr Bein schoss, schnappte sie keuchend nach Luft.

Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie wischte sie fort und kroch auf den Sitz, während die Kutsche weiterrollte.

Gütiger Himmel! Was sollte sie jetzt tun? Wenn sie sich jetzt bemerkbar machen würde, wäre das furchtbar peinlich. Wie sollte sie ihre Anwesenheit in der fremden Kutsche erklären?

Autor

Karen Hawkins
Karen Hawkins wuchs im Kreise einer großen, gastfreundlichen Familie in Tennessee auf. Sie studierte Politikwissenschaft und lehrte an einem College. 1998 schrieb sie ihren ersten historischen Liebesroman, der von ihrer Leserschaft begeistert aufgenommen wurde. Karen Hawkins lebt mit ihren beiden Kindern in Florida. Ihre beiden größten Schwächen sind Schuhe und...
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