Sie dürfen die Braut jetzt küssen

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Alle wollen die süße Anna! Doch nur, weil die Kleine sehr reich ist. Als ihr Vormund muss die hübsche Haven das Kind beschützen. Zunächst auch vor dem attraktiven Brady, der behauptet, Annas Vater zu sein. Um das Sorgerecht für Anna nicht zu verlieren, heiratet Haven ihn. Eine Zweckehe? Kaum! Heimlich lieben sie sich bereits heiß …


  • Erscheinungstag 24.03.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756055
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Drei Dinge waren für Brady Ross so sicher wie das Amen in der Kirche.

Erstens: Wenn es sein musste, konnte er ohne Sex leben.

Zweitens: 99,9 Prozent aller Männer – und Frauen – sorgten sich nur um ihr eigenes Glück, und wehe dem, der ihnen dabei im Wege stand.

Drittens: Er war nicht dafür geschaffen, Vater zu sein.

Das Erste hatte er während der drei Jahre, sieben Monate und sieben Tage gelernt, die er in Südamerika als Geisel verbracht hatte. Erst seit drei Wochen befand er sich wieder in Freiheit.

Komisch, an was ein Mann alles dachte, wenn er in eine Zelle gesperrt war, die gerade einen Meter breit und drei Meter lang war, und er nichts anderes hatte als Zeit. Zeit zum Nachdenken. Brady hatte endlose Stunden an Dinge gedacht, die er am meisten vermisste: die Wärme eines Kaminfeuers an einem kalten Winterabend; den Energiekick einer starken Tasse Kaffee am Morgen; den frischen Erdgeruch nach einem Sommerregen. Der Spaß am Sex letztendlich verblasste neben dem höchsten Gut: Freiheit.

Seine Kindheit hatte ihn zahlreiche Lektionen über die wahre Natur des Menschen gelehrt. Sein Vater machte sich noch vor seiner Geburt aus dem Staub. Seine Mutter verließ ihn, als er gerade drei Jahre alt war. So wurde Brady bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr von einem Pflegeheim ins nächste geschickt. Außer in den fünf Jahren, die er als Adoptivsohn bei einem einzigartigen, fürsorglichen Mann verbrachte, blieb ihm menschliche Freundlichkeit fremd. Und auch die Erfahrungen als Erwachsener änderten nichts an Bradys Überzeugung, dass seine Mitmenschen im Grunde egoistische, gleichgültige und unmoralische Kreaturen waren.

Und was seine Eignung als Vater betraf, konnte er sich nur von seinem Instinkt, nicht von Erfahrung leiten lassen. Vater zu sein beinhaltete viele Dinge, vor allem das Vermögen zu lieben. Eine Fähigkeit, die er vor langer Zeit verloren hatte.

„Gefühlskalt“ hatte ihn die Frau genannt, mit der er vor seiner Geiselhaft zusammen gewesen war. Andere hatten mehr oder weniger dasselbe gesagt. „Du kannst deine Gefühle nicht zeigen.“

„Ich weiß nie, was du denkst.“

„Dein Herz schlägt schon seit langem nicht mehr, aber dein Verstand hat es noch nicht gemerkt.“

Bevorzugter Zeitvertreib der Geiselnehmer war es gewesen, jene unglückseligen Seelen zu quälen, die nicht in der Lage waren, ihre Gefühle zu verbergen. Brady selbst beherrschte diese Kunst so meisterlich, dass es ihm mittlerweile schwer fiel, auch nur zu lächeln.

Nein, er war nicht zum Vater geschaffen.

Das änderte aber nichts an seiner Vaterschaft – auch wenn er erst vor zwei Wochen davon erfahren hatte. Und so stand er an diesem sonnigen Maimorgen wie angewurzelt vor der „Melinda Dolan Kindertagesstätte“. Irgendwo in diesem roten Backsteingebäude befand sich seine Tochter, ein Mädchen, das bald drei Jahre alt sein würde. Nun musste er nur noch hineingehen.

Der Zeitpunkt hätte nicht unglücklicher gewählt sein können. Nicht nur, dass er sich erst einmal an eine Welt gewöhnen musste, die sich während seiner Abwesenheit radikal – und nicht zum Besseren – geändert zu haben schien. Er musste auch ein Lebensziel finden. Zwei Aufgaben, die auch ohne Kind schwierig genug waren.

Obwohl die Versuchung groß war, schaffte er es nicht, der Kindertagesstätte den Rücken zu kehren. Dies war die Realität, und er musste sich ihr stellen. Seine Auffassung von Pflicht- und Ehrgefühl erschien den meisten vielleicht lachhaft, für Brady aber bedeutete sie alles. Jahrelang hatte er pflichtbewusst seinem Land gedient, jetzt konnte er sich nicht vor der Verantwortung seinem Kind gegenüber drücken. Egal was geschah, er würde seine Tochter nicht im Stich lassen.

Er straffte die Schultern und ging den ersten Schritt auf die gläserne Haustür zu.

„Ob ich will oder nicht“, murmelte er. „Hier bin ich.“

Seufzend ließ sich Haven Adams auf ihren Stuhl fallen, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Die Ruhe in ihrem Büro beruhigte ihre Nerven, und sie entspannte sich ein wenig.

„Fünf Minuten“, murmelte sie. „Nur fünf Minuten, und dann kann ich wieder …“

Ein lautes Klopfen unterbrach ihre Meditation.

Was war denn jetzt schon wieder? Sie hoffte, dass nicht Chad vor der Tür stand, eines der schwierigsten Kinder in ihrer Tagesstätte. Schon zweimal war sie während der vergangenen Stunde in seine Gruppe gerufen worden, und sie war mit ihrer Geduld fast am Ende. Allerdings waren die Probleme mit Chad lächerlich, verglichen mit den anderen, die sie heute Morgen schon lösen musste.

Wieder wurde an die Tür geklopft. Haven holte tief Luft. Sie liebte ihre Arbeit, aber es gab Tage, an denen sie besser im Bett geblieben wäre. Der heutige gehörte dazu.

Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar, setzte ein höfliches Lächeln auf und sagte: „Herein.“

Die Tür wurde geöffnet, und ein großer schlanker Mann Anfang dreißig trat herein. Er hatte hellblonde, schulterlange Haare, scharf geschnittene, nordische Gesichtszüge und graue, kalte Augen. Eigentlich hätte sie bei seinem Blick zu einer Eissäule erstarren müssen, doch merkwürdigerweise wurde ihr plötzlich ganz warm.

„Kann ich ihnen helfen?“, fragte sie und erhob sich.

„Ich suche Haven Adams.“ Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Keine Spur von einem Lächeln war zu erkennen.

„Sie steht vor Ihnen“, erwiderte Haven.

Als er zu ihr vor den Schreibtisch trat, merkte sie, dass er ein wenig humpelte und trotz seiner breiten Schultern und muskulösen Arme viel zu dünn war, fast dürr. Weiter fiel ihr seine ungewöhnlich blasse Haut auf.

„Ich bin Brady Ross.“ Er sagte es so, als müsste ihr der Name etwas bedeuten, doch er rief keine Erinnerung wach.

„Bitte nehmen Sie doch Platz.“ Sie deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch.

„Ich bin wegen meiner Tochter hier“, erklärte er, als sie beide saßen.

Haven war stolz darauf, die Namen aller zweihundert Kinder zu kennen, die ihre Tagesstätte besuchten. Doch ein Mädchen mit Nachnamen Ross war nicht darunter.

„Entschuldigen Sie, aber würden Sie mir bitte den Namen Ihrer Tochter nennen?“

„Dolan. Anna Dolan. Ich glaube, sie befindet sich in Ihrer Obhut“, fügte er ruhig hinzu.

Ganz offensichtlich hatte er erwartet, dass seine Erklärung sie aus der Bahn werfen würde. Hätte es wahrscheinlich auch, wenn sie diese Situation nicht schon oft erlebt hätte. Zu oft.

Nicht schon wieder einer, war ihr erster Gedanke. Als Nächstes verspürte sie Enttäuschung. Irgendwie hatte sie etwas Besseres von ihm erwartet.

Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. Von allen Krisen des heutigen Morgens würde diese am einfachsten zu meistern sein.

„Sie kommen spät“, stellte Haven fest.

Überrascht sah er sie an. „Wie bitte?“

„Die anderen waren schon vor Wochen hier.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Die anderen?“

Oh, er war sehr gut, aus ganz anderem Holz geschnitzt als die restlichen Männer. Er zeigte seine Habgier nicht so deutlich, wie die anderen es getan hatten.

„Richtig“, erwiderte sie. „Die anderen Väter. Sie standen hier Schlange, nachdem der Artikel in der ‚Post Gazette‘ erschienen war.“

Es war ein Bericht über die drei Familien gewesen, die das Stahlgeschäft in Pittsburgh aufgebaut hatten. Besondere Bedeutung war dabei der Familie Dolan zugemessen worden.

Der Journalist hatte gründlich recherchiert und geschrieben, dass Anna Alleinerbin eines großen Vermögens wäre. Außerdem hatte er Haven als Vormund genannt, die Kindertagesstätte erwähnt und enthüllt, dass der Vater des Kindes unbekannt war.

Und genau das bereitete ihr jetzt Probleme. Die Freundschaft mit Annas Mutter hatte sie gelehrt, dass es Menschen gab, die mit allen Mitteln versuchten, an das Geld anderer heranzukommen. Nach dem Artikel hatte sich Haven auf das Schlimmste gefasst gemacht.

Und hatte recht behalten. Die erste Woche nach Erscheinen des Artikels war der Strom falscher Väter nicht abgerissen. In der zweiten Woche floss er spärlicher, in der dritten versiegte er ganz.

So ärgerlich und entmutigend das Erscheinen all dieser Betrüger gewesen war, so war es doch erstaunlich einfach gewesen, sie zu entlarven. Ein paar gezielte Fragen und die Bitte, einen DNA-Test vornehmen zu lassen, hatten genügt, sie zu verjagen.

Gerade, als sie dachte, die Sache wäre ausgestanden, erschien dieser Mann auf der Bildfläche.

Brady Ross lehnte sich zurück. Offensichtlich hatte er es nicht eilig, ihr Büro zu verlassen. Auch schien es ihn nicht zu entmutigen, dass sie ihn so schnell durchschaut hatte. Im Gegenteil, er wirkte eher amüsiert.

„Sie müssen mich aufklären“, sagte er. „Ich fürchte, ich habe den Artikel nicht gelesen.“

Sie glaubte ihm nicht. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Schließlich war er nicht zu übersehen. Und er war recht informativ. Von Annas Vermögen war die Rede, und dass ihr Vater unbekannt sei.“

„Verstehe. Und Sie glauben, dass ich deshalb hier bin.“

„Ist es nicht so?“, fragte sie herausfordernd.

„Ich bin kein Kind, Miss Adams. Sie müssen nicht in diesem schulmeisterlichen Ton mit mir reden.“

Nein, ein Kind war er ganz sicher nicht. Er war überaus männlich. Aufregend männlich. Es ärgerte sie, dass sie sich so zu ihm hingezogen fühlte.

„Wollen Sie etwa behaupten, Sie seien nicht wegen des Geldes hier?“

„Ich bin gekommen, weil Anna Dolan meine Tochter ist. Punkt.“

„Haben Sie einen Beweis für Ihre Behauptung?“

Er griff in seine Hemdtasche und zog ein Stück Papier heraus. Nachdem er es aufgefaltet hatte, legte er es auf ihren Schreibtisch.

Es war die Fotokopie eines Briefes. Haven schnappte nach Luft, als sie die vertraute Handschrift erkannte.

Mit zittrigen Händen nahm sie das Blatt Papier und setzte ihre Lesebrille auf. Dann überflog sie die Worte, die Annas Mutter geschrieben hatte:

„Lieber Brady,

ich bin nicht sicher, ob Du Dich an mich erinnerst, aber vielleicht hat der dreizehnte August eine gewisse Bedeutung für Dich. Ich bin die Frau, die Du in jener Nacht kennen gelernt hast. Ich schreibe Dir, um Dir mitzuteilen, dass Du Vater wirst. Nicht weil ich Unterstützung von Dir erwarte, sondern weil ich meine, dass Du ein Recht darauf hast, es zu wissen. Falls Du Anteil am Leben deines Kindes haben möchtest, melde Dich bei mir. Falls nicht, verstehe ich es.

Deine Melinda Dolan.“

Haven zitterte am ganzen Körper, als sie zu Ende gelesen hatte, und ihr Herz schlug so laut, dass Brady es sicherlich hören konnte. Ihr erster Gedanke war, ihn hinauszuwerfen, aber damit war das Problem noch lange nicht vom Tisch.

Sie sah sich in dem Raum um, in dem sie so viele angenehme Stunden verbracht hatte, seit sie die „Melinda Dolan Kindertagesstätte“ vor zwei Jahren eröffnet hatte. An einer Wand hingen ihre gerahmten Diplome und Zertifikate und einige Zeichnungen der Kinder. An der anderen stand ein Regal mit Büchern über Kindererziehung. Auf ihrem Schreibtisch stapelten sich Papiere. Nichts hatte sich geändert.

Und doch hatte sie das Gefühl, als stände ihre Welt plötzlich auf dem Kopf.

„Glauben Sie mir jetzt, dass ich Annas Vater bin?“, hörte sie Brady fragen.

Haven legte ihre Brille und den Brief auf den Schreibtisch. „Zuerst möchte ich das Original sehen“, sagte sie.

Er nickte. „In Gegenwart eines Anwalts.“

Natürlich, damit sie den Brief nicht zerreißen konnte.

Diese Situation war unglaublich. Sie hatte Melinda nach dem Vater des Kindes gefragt, doch ihre beste Freundin hatte die Frage als unwichtig abgetan.

„Annas Vater will nichts mit dem Kind zu tun haben“, hatte Melinda gesagt. Sie war absolut überzeugt davon gewesen. „Er wird dich nicht belästigen.“

Haven hatte seinen Namen also nie erfahren. Er stand weder auf der Geburtsurkunde, noch wollte Melinda ihn ihr anvertrauen. Den Wunsch ihrer Freundin respektierend, hatte Haven schließlich nicht weiter gebohrt.

Sie wünschte jetzt, sie hätte es getan.

Warum hatte Melinda ihr nichts von dem Brief erzählt?

Weil es eine Fälschung ist, entschied Haven. Ja, so musste es sein. Melinda hatte ihr von dem Brief nichts erzählt, weil sie ihn gar nicht geschrieben hatte.

„Ich muss auf einen DNA-Test bestehen“, sagte sie so ruhig wie möglich.

„Natürlich. Je schneller wir die Angelegenheit geklärt haben, desto eher lerne ich meine Tochter kennen.“

Haven hatte das Gefühl, als legte sich eine eiskalte Hand um ihr Herz. Der Mann war zu ruhig, sich seiner Sache zu sicher. Alle anderen hatten die Flucht ergriffen, als sie den Test erwähnte. Aber nicht dieser hier. Entweder hatte er Nerven aus Stahl, oder er glaubte wirklich, Annas Vater zu sein.

War es möglich, dass sie Anna verlor? Nein. Haven weigerte sich, daran zu denken. Anna war Melindas Geschenk an sie, die Erfüllung ihres Herzenswunsches.

„Melinda war etwa zwei Monate schwanger, als sie diesen Brief schrieb. Das war vor …“, sie rechnete schnell nach, „… vor mehr als dreieinhalb Jahren, Mr. Ross. Sie waren nicht für Melinda da, als sie schwanger war. Sie waren nicht für sie da, als sie krank wurde und starb. Sie waren nicht hier, als Anna geboren wurde. Wo waren Sie?“

Einen Moment lang glaubte sie, in seinen Augen einen unglaublich tief sitzenden Schmerz zu erkennen. Eine Sekunde später war sein Gesicht jedoch wieder so ausdruckslos wie eine Maske.

„Ich glaube nicht, dass das wichtig ist“, erwiderte er.

„Ich bin sicher, ein Richter wird es für wichtig erachten“, entgegnete sie. „Sie sagen, dass Sie ihre Tochter kennen lernen möchten. Wenn Sie so viel Wert darauf legen, warum haben Sie dann so lange damit gewartet?“

„Ich habe den Brief erst vor zwei Wochen erhalten.“

„Sie wollen doch nicht behaupten, die Post habe so lange gebraucht, ihn zuzustellen!“

„Nein.“

„Aber Sie haben gerade gesagt, dass Sie ihn erst vor zwei Wochen erhalten haben.“

„Stimmt. Ich … ich war kurz vorher umgezogen. Der Brief hat mich jetzt erst erreicht.“

Haven schüttelte verärgert den Kopf. Für wie dumm hielt er sie? Selbst wenn sich eine Adresse änderte, brauchte die Post keine dreieinhalb Jahre, um einen Brief zuzustellen. Warum wollte er ihr nicht sagen, wo er gewesen war?

Sie musterte ihn eingehend, und erneut fiel ihr seine Blässe auf. „Waren Sie im Gefängnis, Mr. Ross?“

Wieder erkannte sie den Anflug einer Gefühlsregung in seinen Augen. Diesmal bemerkte sie nicht nur Qual, sondern auch Bewunderung. Und sie hätte schwören können, dass die Bewunderung ihr galt.

„Wenn es Sie beruhigt, Miss Adams, ich war nicht im Gefängnis. Jedenfalls nicht in der Art von Gefängnis, die Sie meinen. Wenngleich auch das nichts an der Tatsache ändern würde, dass ich Annas Vater bin.“

Haven hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Welche Rechte hatte sie? Sie war Annas Vormund. Aber wenn Brady Ross tatsächlich Annas Vater war, hatte er mehr Rechte als sie.

Anna. Die Tochter ihrer besten Freundin, das wundervolle kleine Mädchen, das Haven über alles liebte, befand sich in einem Saal über ihnen. Wollte dieser Mann Anna wirklich aus der ihr vertrauten Umgebung reißen? Dem konnte Haven unter keinen Umständen zustimmen.

Oder ging es doch um Geld? In diesem Fall könnten sie sich einigen. Sie würde zusammenkratzen, was er verlangte, auch wenn sie dafür betteln, leihen oder stehlen müsste.

„Wie viel?“, fragte sie.

„Bitte?“

„Wie viel muss ich Ihnen zahlen, damit Sie von hier verschwinden und niemals wiederkehren?“

„Wollen Sie mich bestechen?“

Seine Stimme klang gefährlich leise, und Haven lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Brady Ross war kein leichter Gegner.

„Ich sage nur, dass wir eine Möglichkeit finden werden, falls Sie Geld haben wollen. Ohne die lästige Pflicht, sich um ein kleines Kind kümmern zu müssen.“

Seine Augen waren nur noch schmale Schlitze. „Empfinden Sie es als lästige Pflicht, sich um meine Tochter zu kümmern?“

„Natürlich nicht“, erwiderte sie hastig. „Für Anna zu sorgen ist eine große Freude.“

Wütend biss sie sich auf die Lippe. Sie hatte schon zu viel preisgegeben. Wenn er merkte, wie wichtig ihr Anna war, würde er einen Preis nennen, der bei weitem das überstieg, was sie zahlen konnte.

„Warum sollte es dann für mich lästig sein?“, fragte er.

„Wollen Sie damit sagen, dass Sie kein Geld wollen?“

„Ich will damit sagen, dass ich für kein Geld der Welt meine Tochter aufgeben würde.“

Sie wich seinem durchdringenden Blick nicht aus. „Jeder hat seinen Preis, Mr. Ross.“

„Sie auch?“

Haven schwieg.

„Sie würden alles tun, um Anna zu behalten, nicht wahr?“

Sie hob das Kinn. „Ja.“

„Schön.“ Er nickte zufrieden. „Dann stimmt der Bericht also.“

Verwirrt sah sie ihn an. „Welcher Bericht?“

„Ich habe Sie von einem Privatdetektiv beobachten lassen.“

Ihr wurde kalt. „Wie bitte?“

„Ich musste etwas über den Charakter des Menschen herausfinden, der sich um meine Tochter kümmert.“

So, wie er es sagte, klang es vernünftig. Was hatte er herausgefunden? Welche Geheimnisse waren gelüftet worden? Welches Urteil hatte er sich gebildet?

Haven fühlte sich plötzlich nackt und verletzlich. Kein besonders angenehmes Gefühl. Vor allem, da sie sich trotz der widrigen Umstände zu Brady Ross hingezogen fühlte. Er konnte ihr Leben und ihre Träume zerstören, trotzdem war sie gefesselt von ihm. Sie war verrückt! „Verstehe“, sagte sie langsam.

„Sind Sie gar nicht neugierig, was in dem Bericht steht?“

„Nicht besonders“, log sie.

„Ich denke, es wird Sie vielleicht interessieren, dass ich beschlossen habe, Anna nicht von hier fortzunehmen. Jedenfalls im Moment nicht.“

Überrascht blickte sie auf. „Sie nehmen mir Anna nicht weg?“

„Ich halte nichts davon, ein Kind aus seiner vertrauten Umgebung zu reißen. Es sei denn, die Umstände erfordern es. Ich erwarte natürlich, dass ich sie besuchen darf.“

„N-natürlich“, stammelte Haven eher verwirrt als erleichtert. Wer war Brady Ross, und warum forderte er nicht das Sorgerecht für seine Tochter? Falls Anna wirklich seine Tochter war!

„Darf ich sie sehen? Aus der Ferne?“ Er verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. „Ich verspreche auch, dass ich sie nicht entführen werde.“

Haven erhob sich. Es konnte ja nichts passieren, wenn er einen Blick auf Anna warf. Aus der Ferne, hatte er gesagt. Außerdem, wenn er wirklich der Vater war, wollte sie ihn sich nicht zum Feind machen. Irgendwie mussten sie einen Weg finden. Gemeinsam.

„Kommen Sie bitte mit.“

Ich hätte ihr sagen sollen, warum ich den Brief erst jetzt bekommen habe, dachte Brady, als er Haven Adams folgte. Vor allem, da die Wahrheit vielleicht dazu beigetragen hätte, ihr verständliches Misstrauen ihm gegenüber abzubauen. Die Abneigung, über persönliche Dinge zu sprechen, steckte tief in ihm. Doch das war nicht der Grund für sein Schweigen gewesen. Hätte er gesprochen, hätte er einen Schwur gebrochen.

Die letzten drei Jahre, sieben Monate und sieben Tage waren die Hölle gewesen. Nach seiner Freilassung hatte er seinen Vorgesetzten diese Hölle detailliert beschrieben. Es war mehr gewesen, als Brady ertragen konnte. Er hatte dabei das Gefühl gehabt, die Jahre noch einmal zu erleben. Auf dem Rückflug nach Pittsburgh hatte er sich geschworen, die schrecklichen Erlebnisse zu vergessen, alle Gedanken an jene qualvolle Zeit zu verbannen. Er würde mit niemandem darüber sprechen, es sei denn, irgendein Gericht verlangte es.

Außerdem war es wirklich egal, ob er Haven Adams sympathisch war oder nicht. Das Gesetz war auf seiner Seite, und sie wusste es. Sonst ließe sie ihn nicht zu seiner Tochter.

Sein Blick folgte ihren wiegenden Hüften. Neben anderen herrlich weiblichen Attributen hatte sie fantastische Beine.

Sie war ganz anders als erwartet. Brady hatte sich eine schüchterne, unauffällige Frau vorgestellt, eine Mischung aus Bibliothekarin und Nonne. Stattdessen musste er sich auf einen Kampf mit einer Raubkatze einlassen, einer wohlproportionierten Frau mit roten, wilden Locken und blauen Augen, die so dunkel waren, dass sie schon fast schwarz wirkten. Damals, als ihn Frauen noch interessierten, hatte er eine Schwäche für rote Haare und blaue Augen gehabt …

Doch nicht nur ihr Äußeres machte sie so anziehend. Besonders imponierte ihm, dass sie einen kühlen Kopf behalten hatte und seinem Blick nicht ausgewichen war. Was muss ein Mann anstellen, fragte er sich, damit sie diese eiserne Selbstbeherrschung verliert? War sie dann so wild und leidenschaftlich, wie ihre rote Mähne und ihre vollen, sinnlichen Lippen es versprachen? Schade, dass er keine Antwort auf diese Fragen finden würde. Als Vormund seiner Tochter war Haven Adams für ihn tabu.

Als sie die fröhlich dekorierten Räume durchquerten, in denen lachende Kinder tobten, zog Brady unwillkürlich einen Vergleich mit dem spärlich eingerichteten Büro. Wer ist Haven Adams? fragte er sich.

Dem Bericht des Privatdetektivs zufolge, war sie fünfundzwanzig Jahre alt gewesen, als sie ihren gut bezahlten Job als Chemikerin aufgab, um Melinda Dolan in ihrem Kampf gegen den Krebs beizustehen, den sie schließlich verlor, als Anna gerade sieben Tage alt war. War es des Geldes wegen gewesen oder aus Freundschaft? Wahrscheinlich Geldgier.

Allerdings, wenn es ihr wirklich allein um das Geld gegangen war, warum hatte sie dann ihr Erbe benutzt, um diese Kindertagesstätte zu gründen? Nicht gerade eine kluge Investition. Sie würde niemals reich damit werden; wahrscheinlich konnte sie froh sein, wenn sie kostendeckend arbeitete.

Die Einrichtung lag in einem der ärmeren Viertel von Pittsburgh, und Haven betreute hauptsächlich die Kinder von allein erziehenden Müttern mit schlecht bezahlten Jobs. Der monatliche Beitrag, den Haven von ihnen erhielt, deckte kaum die Kosten, und sie war auf Spenden angewiesen. Jedes Kind bekam mittags ein heißes Essen und manchmal auch noch ein Frühstück. Nein, sie konnte keine geldgierige Frau sein, wenn sie eine solche Tagesstätte führte.

Sie blieb vor einem Raum stehen, in dem zehn Kleinkinder um eine Frau herumsaßen, die ihnen eine Geschichte vorlas.

„Welches Mädchen ist Anna?“, flüsterte er.

„Dort drüben. In der blauen Hose und dem roten T-Shirt.“

Sie ist so klein, war sein erster Gedanke, und er verspürte plötzlich den dringenden Wunsch, sie in die Arme zu schließen und vor der harten Wirklichkeit dieser Welt zu beschützen.

„Sie sieht mir gar nicht ähnlich.“

„Sie ist das Ebenbild ihrer Mutter“, erwiderte Haven leise.

Er versuchte, sich an Melinda Dolans Gesicht zu erinnern, doch vor seinem geistigen Auge erschien nur ein undeutliches, verschwommenes Bild. Woran er sich genau erinnerte, war der Schmerz und die Hoffnungslosigkeit, die er in jener Nacht verspürt hatte, als Anna gezeugt worden war. Melinda Dolan hatte ebenfalls große Probleme gehabt. Sie hatten sich gegenseitig getröstet und einige Stunden lang ihren Kummer vergessen.

„Was ist mit ihrem Arm passiert?“, fragte Brady.

Haven verzog das Gesicht. „Sie ist vom Klettergerüst gestürzt und hat sich das Handgelenk gebrochen. Der Gips kommt nächste Woche wieder ab.“

„Sie ist also ein kleiner Wildfang?“

„Ein absolutes Energiebündel“, bestätigte Haven, und er hörte den Stolz aus ihrer Stimme heraus.

Er stand so nah bei ihr, dass er den Duft ihrer Haut wahrnehmen konnte. Während der Jahre seiner Gefangenschaft hatte er viel Zeit in völliger Dunkelheit verbracht. Um das zu kompensieren, waren seine übrigen Sinne geschärft worden. Vor allem sein Geruchssinn. Und so nahm er die verschiedensten Düfte wahr, die Haven Adams umgaben, bis er nicht mehr wusste, was er lieber tun würde: den Arm ausstrecken und mit der Hand in ihren wilden Locken wühlen oder sie an sich ziehen und küssen, bis ihr schwindelig war.

„Ich habe genug gesehen“, sagte er abrupt und drehte sich um.

„Wann werde ich wieder von Ihnen hören, Mr. Ross?“, fragte sie.

Er sah sie von der Seite an. „Mein Name ist Brady, Haven. Da wir uns von jetzt an häufig sehen werden, sollten wir mit diesen Förmlichkeiten aufhören. Wir werden uns morgen früh in dem Labor sehen, das den Vaterschaftstest vornehmen wird. Ich habe Adresse und Zeit auf die Rückseite des Briefes geschrieben, den ich Ihnen gezeigt habe.“

„Wir haben einen Termin?“

„Anna und ich haben den Termin. Aber ich dachte, Sie würden vielleicht gern mitgehen.“

In Wahrheit hatte er gewusst, dass Haven darauf bestehen würde. Solange seine Vaterschaft nicht bewiesen war, würde sie ihn mit dem Mädchen nicht allein lassen. „Schließlich kann nur nachgewiesen werden, dass ich der Vater bin, wenn man auch von ihr eine Blutprobe nimmt, nicht wahr?“

2. KAPITEL

„Und von dem Tag an“, las Haven, „sprach Evangeline nie wieder mit Fremden. Ende der Geschichte.“

Sie schloss das Buch und küsste Anna, die sich an sie gekuschelt hatte, zärtlich auf die Stirn.

„Noch einmal, Binny!“, bettelte Anna. „Bitte, lies die Geschichte noch einmal.“

Lachend strich Haven über die braunen Locken des Kindes. „Ich habe sie dir heute Abend dreimal vorgelesen. Außerdem ist es schon spät. Es wird Zeit, dass du schläfst.“

„Bitte, Binny. Bitte, bitte!“

Autor

Shelley Cooper
Mehr erfahren