Sinnliche Mittsommernacht mit dem Wikinger

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Im hellen Mondlicht nimmt die junge Wren ein Bad im Teich. In den kühlen Fluten fühlt sie sich frei, nicht länger geknechtet als Sklavin ihrer Herrin Ingrid. Doch in dieser Nacht wird sie von einem breitschultrigen Fremden überrascht. Nackt flieht sie vor dem hochgewachsenen blonden Wikinger. Dennoch hinterlässt er ein vages, nie gekanntes Gefühl prickelnder Sehnsucht in ihr – ist es Verlangen? Am nächsten Tag reitet Jarl Knud mit seinem Gefolge in die Siedlung. Es heißt, dass er eine Vernunftehe mit Ingrid eingehen wird. Schockiert erkennt Wren den Mann aus der Mondnacht wieder …


  • Erscheinungstag 05.08.2025
  • Bandnummer 433
  • ISBN / Artikelnummer 0814250433
  • Seitenanzahl 256

Leseprobe

Sarah Rodi

Sinnliche Mittsommernacht mit dem Wikinger

1. KAPITEL

Festung Boer, im Königreich von Dänemark, 9. Jahrhundert

Im Langhaus herrschte größte Betriebsamkeit. Wren sah, wie von den anderen Sklaven letzte saubere Krüge und Schüsseln auf die Tische gestellt wurden. Sämtliche Leibeigenen eilten umher, fegten den Boden, legten Felle auf die Bänke und bereiteten die Halle für Freyja Ingrids Gäste am nächsten Tag vor.

Der Wikingerhäuptling einer benachbarten Siedlung kam zu Besuch – und es gab Gerüchte, dass Jarl Knud von Nedergaard Heiratspläne hätte.

Noch ein Däne, den ich verabscheuen kann, dachte Wren. Noch ein Däne, der zweifellos von vertrauensseligen Dorfbewohnern nahm, was immer er wollte, nur um dann zerstörte Häuser und vernichtete Familien zurückzulassen. Wren wusste nur allzu gut, wozu diese rücksichtslosen Befehlshaber fähig waren, da genau ein solcher Mann sie als Kind während eines Überfalls ergriffen und den Armen ihrer weinenden Mutter und damit auch ihrem Zuhause entrissen hatte.

Als Geschenk für Ingrid, die Tochter des Wikingerfürsten von Boer, um ihre persönliche Dienerin zu sein, war Wren mit Ingrid zusammen aufgewachsen und sogar fast so etwas wie eine Kameradin geworden. Doch während Ingrid die einzige Nachfahrin ihrer Familie war und damit selbst Wikingerfürstin von Boer geworden war, war Wren immer noch im Leben einer Sklavin gefangen, an einem Ort, den sie niemals ihr Zuhause nennen konnte.

Sie fuhr sich jetzt mit einer Hand übers Gesicht und versuchte, ihre düsteren Gedanken abzuschütteln. Die Lage war gar nicht so schlimm. Freyja Ingrid behandelte sie schließlich nicht so schlecht, und Wren hatte gelernt, innerhalb ihrer täglichen Aufgaben Zufriedenheit zu finden und Trost aus ihren Freundschaften mit den anderen Dienstboten zu schöpfen. Als Wren schon in jungen Jahren Talent und Mut im Kampf gezeigt hatte, hatte Ingrid ihr sogar erlaubt, mit ihr und ihren Schildmaiden an Übungskämpfen teilzunehmen. Wren diente Freyja Ingrid treu. Umgekehrt suchte Ingrid privat oft ihre Gesellschaft und hörte manchmal sogar auf ihren Rat. Doch es verging kein Tag, an dem Wren sich nicht wünschte, sich so bewähren zu können, dass man sie für ihren Dienst belohnte und endlich freiließ.

Diese Gerüchte von einer Vermählung der Anführer von Nedergaard und Boer beunruhigten sie, denn eine solche Verbindung hätte Auswirkungen auf alle Bewohner Boers. Wren blickte sich nachdenklich in der Halle um. Wenn Freyja Ingrid heiratete, hätten sie alle einen neuen Befehlshaber, und Wren hatte schon gehört, wie beeindruckend Jarl Knud sein konnte. Er war berühmt für seine körperliche Erscheinung, und die Legenden seiner Taten auf dem Schlachtfeld waren oft genug erzählt worden. Entsprechend bildete Ingrid sich bereits ein, in ihn verliebt zu sein.

Er war bekannt für seine rücksichtslosen Raubzüge in weit entfernte Länder westlich des Meeres und es hieß, er hätte gegen zahllose Stämme im Norden gekämpft, bevor er schließlich der mächtige Wikingerhäuptling von Nedergaard wurde – dem Knotenpunkt des Handels an der Mündung des Vesterhavet. Aber was Jarl Knuds Charakter betraf, ob er seinem Ruf als beeindruckender Anführer gerecht wurde, das musste sich erst noch erweisen.

Wren wischte sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn. Trotz der einbrechenden Dunkelheit war es immer noch warm für eine Mittsommernacht. Ein Schimmer Mondlicht fiel durch die Tür, lockte sie nach draußen. Rücksichtslose Rebellion machte sich in Wren breit, und sie wünschte den anderen Dienstboten eine Gute Nacht. Gewiss würde doch niemand bemerken, wenn sie selbst für eine Weile verschwand? Schließlich hatte sich Freyja Ingrid bereits in ihr Schlafgemach zurückgezogen und die Arbeit des Tages war erledigt.

Es war ein offenes Geheimnis, dass man an der Küste des Landes mit Krieg rechnete, da der Wikingerfürst von Forsa, was im Süden lag, angeblich einen Angriff plante. Es hieß, er wolle den Küstenstreifen für sich selbst beanspruchen, doch bislang gab es noch keine Anzeichen dafür, dass der Feind sich heute Abend ihrer Grenze näherte. Alles war ruhig, die Siedlung schien sicher zu sein.

Wren schlüpfte aus der Halle und ging ohne Hast über den Platz, um keine besondere Aufmerksamkeit von den Wachen auf den Wallgängen auf sich zu ziehen. Sie schlich sich an den Gehöften vorbei, aus deren Dächern Rauch aus dem Rauchfang stieg, und durch die Felder mit Roggen, deren Halme sich sanft in der Abendbrise wiegten. Noch einmal sah Wren sich kurz um, ob niemand in der Nähe war, denn sonst würde sie sicher für ihren Ungehorsam bestraft werden, dann zwängte sie sich durch den versteckten Durchschlupf im Ringwall der Festung, wie sie es schon so oft vorher getan hatte. Auf der anderen Seite angelangt, atmete sie bewusst tief durch, um die Luft der Freiheit einzuatmen, bevor sie dann im Schutz der Dunkelheit das Marschland durchquerte.

Die Flut hatte sich zurückgezogen und gab die Weite des Wattenmeeres frei, in dem sich schmale, aber tiefe Bäche den Weg hinaus ins offene, aufgewühlte Meer bahnten. Es war ein gefährlicher Ort, doch Wren schüttelte mit jedem Schritt mehr von ihren unsichtbaren Fesseln ab. Sie warf noch einen letzten Blick zur Festung, bevor sie in einen leichten Laufschritt fiel, und achtete im Mondlicht darauf, innerhalb der Schatten zu bleiben.

Sie hielt nicht an, bis sie das Gezeitenbecken erreicht hatte, ihre geheime und einzige Zuflucht des Nachts. Dort streifte sie ihre fadenscheinige Tunika und ihre abgenutzten Stiefel ab und behielt nur ihre Unterwäsche an. Dann sprang sie ausgelassen ins Wasser, als wäre sie immer noch das kleine Mädchen, das gerade fünf Winter alt war und völlig frei. Glücklich ließ sie sich in das frische Wasser sinken. Sie genoss das Gefühl, wie das Wasser die Anstrengungen des Tages wegwusch und ihre müden, schmerzenden Muskeln entspannte.

Erst als sie wieder auftauchte und sich das Wasser aus den Augen wischte, bemerkte sie etwas – und erstarrte. Dort, an der nördlichen Grenze von Boer, standen etwa zwanzig weiße Zelte aufgereiht. Kleine Lagerfeuer brannten und der gedämpfte Ton von Männern, die sich in einiger Entfernung unterhielten, wurde vom Wind zu ihr getragen. Wrens Haut prickelte – ein gewisses Pflichtgefühl und ein Drang, die Menschen von Boer zu beschützen, ergriff sie.

Wie konnte ihr das vorher entgangen sein? Wenn sie es bemerkt hätte, wäre sie niemals so dumm gewesen, allein hierher zu kommen. Stattdessen wäre sie sofort umgedreht und hätte das Horn ertönen lassen. Kamen diese Männer aus Forsa? Wren bemühte sich, irgendetwas zu verstehen, und bemerkte, dass die Männer herzlich lachten, manche sangen sogar. Eigenartig – aber jedenfalls war das nichts, was sie tun würden, hätten sie einen Überraschungsangriff geplant.

Dennoch drehte Wren sich besorgt um und wollte zurück zu den schlammigen Dünen waten, wo sie so unbesorgt ihre Kleidung abgelegt hatte – zusammen mit dem kleinen hölzernen Messer, das sie heimlich in ihrem Stiefel trug, da es ihr verboten war, eine eigene Waffe zu besitzen. Als sie das Knacken eines Zweigs vernahm und zwei näher kommende Männerstimmen, lief es ihr eiskalt über den Rücken.

„Du weißt, es ist noch nicht zu spät, deine Meinung zu ändern …“

Wren duckte sich tiefer ins Wasser, suchte Schutz im hohen Schilfgras. Wenn man sie hier entdeckte, konnten diese Männer ihr wer weiß was antun.

„Wir sind schon so weit gekommen“, sagte der Größere der beiden. Im schwachen Schein des Mondlichts konnte sie nur seine unglaublich breiten Schultern und eine dunkelblonde Haarmähne ausmachen, die gerade lang genug war, um im Nacken mit einem Band zusammengehalten zu werden. Er hatte einen dichten, gepflegten Bart und volle Lippen.

„Diese Frau mag vielleicht in der Lage sein, die Risse in unseren Ländern zu flicken, sogar unsere Grenzen zu stärken, aber kann das Gleiche von deinem Herzen gesagt werden?“ Der Kamerad des Blonden war dunkel, mit einer tiefen Narbe quer über der Stirn.

Sie glichen einander, was die Größe betraf, und nach dem Aussehen ihrer Rüstung und ihrer Waffen zu urteilen, die in ihren Gürteln steckten, waren diese Männer zweifellos gefährliche Krieger. Wren schluckte. Sie war eine Närrin. Sie hätte ihren Beobachtungsposten am Eingang zum Langhaus nicht verlassen sollen.

„Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, aber Herzensangelegenheiten sind mir egal, das weißt du“, sagte der Blonde abwehrend. „Ihr Rang und ihre Armee, dies sind für mich die einzigen Dinge von Belang. Du magst aus Liebe geheiratet haben, Raedan, aber ich werde mich den Zwängen einer Ehe erneut nur aus einem viel wichtigeren Grund unterwerfen – der Macht.“

Typisch Dänen, dachte Wren verärgert.

„Diese Berechnung bei der Wahl einer Frau gefällt mir nicht“, fuhr derjenige mit Namen Raedan fort und klang besorgt. „Das erinnert mich zu sehr an die Herrscher meiner Vergangenheit.“ Zumindest dieser Mann schien über etwas Verstand zu verfügen.

„Und ich muss, wie diese, an den strategischen Gewinn denken. Es ist ein Vermächtnis, das ich suche, keine Liebe.“

„Ein Vermächtnis. Du meinst Berühmtheit oder Kinder … oder beides? Also hast du wenigstens vor, diese Ehe zu vollziehen?“

„Ich habe schon genug Frauen beigewohnt – ich kann mir nicht vorstellen, dass ich diesen Teil schwierig finden sollte.“ Er grinste. „Und wenn doch, werde ich ihr Bett nur so lange teilen müssen, bis ein Erbe gezeugt wurde.“

„Du klingst, als würdest du sie in eine Art Konkubine verwandeln oder als wäre sie jemand, mit der du eine Zucht beginnen willst.“

Der Blonde lachte und Wren biss sich voller Abscheu auf die Unterlippe. Seine offene Beleidigung von Frauen ließ sie vor Wut kochen. Sie bedauerte die arme Frau, die dieser Mann heiraten wollte. Wie konnte er so gering von seiner zukünftigen Frau und von Frauen im Allgemeinen sprechen? Bei diesem Gedanken duckte sie sich noch tiefer ins Wasser. Ein Mann wie er würde sie wohl nicht gerade freundlich behandeln, wenn er sie hier beim Lauschen ertappte.

„Ich hoffe, du weißt, was du tust.“

„Glaub mir, das weiß ich …“

„Dann lass uns zu den anderen zurückkehren und ein wenig Metbier trinken, denn dies könnte eine deiner letzten Nächte in Freiheit sein, mein Freund“, sagte jener, der Raedan genannt wurde, und schlug dem anderen kameradschaftlich auf die Schulter.

Wren schöpfte Hoffnung. Gingen sie jetzt? Dies wäre ihre Chance zu entkommen und die Bewohner von Boer zu warnen, dass eine kleine Armee vor ihren Toren lagerte.

„Geh du nur vor. Ich komme bald nach.“

Nein! Wren duckte sich noch stärker ins Schilf und achtete nicht auf die scharfen Steine, die an ihrer Haut schabten, während sie entsetzt zusah, wie der Dunklere von beiden davonging, zurück zum Lager, während der andere ein paar Schritte auf das Gezeitenbecken zumachte. Er runzelte die Stirn und starrte gedankenverloren aufs Wasser. Weiche Schatten umspielten sein Gesicht und einen Moment lang raubte ihr sein Anblick den Atem. Er war ein Löwe von Mann, kräftig und schön, und doch – erinnerte sie sich selbst nachdrücklich – waren seine Worte so hässlich und gefühllos gewesen.

Erst als er das Tierfell von seinen Schultern streifte und sein Kettenhemd ablegte, erschrak sie. Blinde Panik überkam sie bei dem Anblick, wie er seine Tunika anhob und damit seinen flachen, muskulösen Bauch zeigte. Seine breite Brust war mit dunklen Ornamenten bedeckt. Die Körperbemalungen zogen sich über seine Schultern und seine Narben – und von Letzteren hatte er viele. Die beeindruckenden Muskeln in seinen Armen wurden sichtbar, als er die Tunika auf den Boden warf, und jetzt wurde klar: Er hatte vor, ins Gezeitenbecken zu steigen.

Wie sollte sie ihn davon abhalten, näher zu kommen? Was würde er tun, wenn sie einen Warnruf ausstieß, ein mächtiger Krieger, der nachts auf eine Frau traf, die ganz allein war und kaum etwas anhatte? Eine Frau mit verräterisch kurzem Haar und einem Sklavenhalsband … Sie wäre für ihn und seine Männer Freiwild. Und doch konnte sie ihn nicht warnen, dass sie hier war, als er jetzt seine Stiefel abstreifte, und nach der Kordel um seinen Hosenbund griff. Innerhalb der nächsten Momente würde er zu ihr in das Becken steigen, völlig nackt.

„Halt!“, rief sie nun doch. Furcht zwang sie, ihre Anwesenheit zu erkennen zu geben, während sie darauf achtete, dass ihr Körper und ihr Hals unter der Wasseroberfläche blieben. „Komm nicht näher.“ Sie musste unbedingt zu ihrer Kleidung und zu ihrer Waffe kommen, um sich in Sicherheit zu bringen.

Er verharrte auf der Stelle. „For helvede – zur Hölle“, murrte er und suchte mit zusammengekniffenen Augen die Quelle der Stimme in der Dunkelheit. Schließlich trafen sich ihre Blicke im Mondlicht und Wren stockte fast der Atem.

„Wer bist du?“, fragte der Mann unwirsch. „Und was zur Hölle tust du hier draußen?“

„Ich wollte dir die gleiche Frage stellen“, erwiderte sie schnippisch.

„Badest du etwa?“, fragte er ungläubig. „So spät in der Nacht?“

„Ich wusste nicht, dass es Regeln gibt, zu welcher Zeit man baden darf …“

„Die sollte es geben!“ Er beugte sich vor und hob rasch seine Tunika vom Boden auf.

„Das ist ja merkwürdig. Es sah so aus, als wolltest du das Gleiche tun?“, sagte sie und hielt sich durch Wassertreten in ihrer Position.

Er zog sich die Tunika über und Wren atmete erleichtert auf.

„Ich bin ein Mann, du bist eine Frau. Bist du ganz allein hier draußen?“, fragte er und blickte sich um. „Und das in der Nacht?“

„Ich dachte, ich sei allein. Genau aus dem Grund kam ich hierher. Ich dachte nicht, dass jemand hier eindringen könnte – schon gar nicht eine Horde grässlicher fremder Männer!“

„Grässlich?“, wiederholte er spöttisch. Und sie verspürte sofort einen gewissen Ärger. „Wir sind wohl kaum eine Horde. Dies ist Jarl Knuds Lager“, sagte er und deutete mit dem Kopf auf die Zelte in einiger Entfernung hinter sich. „Wir wollen Boer am Morgen einen Besuch abstatten.“

Erleichterung durchfuhr sie, dass dies nicht einer von Forsas Männern war, sondern einer der Soldaten von Nedergaard. „Tja, du kannst deinem Anführer ausrichten, dass ihr zu früh dran seid“, sagte sie. „Freyja Ingrid erwartet ihn nicht, bevor die Sonne an ihrem höchsten Punkt am Himmel steht.“

„Was soll ich sagen? Er kann es eben kaum erwarten.“ Er schnitt eine Grimasse und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, während er zu ihr spähte, als versuche er, einen besseren Blick auf sie zu bekommen. „Bist du aus Boer?“

„Was geht es dich an?“, erwiderte sie grob, denn ihre Beine begannen langsam müde zu werden.

„Wenn ja, dann solltest du jedenfalls nicht hier sein“, sagte er. „Das hier ist keines Mannes Land. Du solltest wissen, dass es zwischen Boer und Nedergaard unsicher ist. Man sagt, Forsas Männer seien unterwegs. Sie könnten jeden Tag angreifen.“

„Richtig. Keines Mannes Land. Wie du bereits festgestellt hast, bin ich eine Frau.“

Er hob eine Augenbraue. „Nicht, dass du dich wie eine benähmst. Jetzt komm schon raus aus dem Wasser.“

„Auf keinen Fall. Woher soll ich wissen, dass du mich nicht sofort angreifst?“

„Glaub mir, ich habe Besseres zu tun, als eine wilde und vorlaute Frau anzugreifen!“

„Dann könntest du ja vielleicht gehen?“

Er faltete die Arme vor der Brust und grinste plötzlich. „Eher nicht.“

Sie sah ihn aufgebracht an. Er machte sie so wütend! Zweifellos war er ein unglaublich attraktiver Mann, doch sie hatte seine unfreundlichen Worte über seine zukünftige Braut gehört, mit denen er die Frau praktisch zur Handelsware gemacht hatte.

Dennoch glaubte sie nicht, dass er ihr etwas tun würde. Ohne seine Männer zu rufen, nachdem er sie entdeckt hatte, hatte er sofort seine Kleidung wieder angelegt. Wenn ihm etwas vorzuwerfen war, dann, dass er sich über sie lustig machte. Doch wie es aussah, hatte er auch nicht vor wegzugehen und sie in Ruhe zu lassen.

Nun, sie würde sich nicht von ihm einschüchtern lassen. Das hier war ihr Geheimort, zu dem sie immer gern allein herkam, und er hatte sie gestört und dann beleidigt. Ihr Stolz überlagerte alle Vernunft, als sie auf die andere Seite des Beckens watete. Sie wollte ihn dazu bringen, wegzugehen, und außerdem unbedingt ihre Waffe und ihre Kleidung erreichen und so sprang sie aus dem Wasser und achtete darauf, dass ihr dunkles Haar das Metallband um ihren Hals verdeckte.

For helvede!“, fluchte er entsetzt und hob abwehrend die Hände, während er sich rasch umdrehte. „Ich habe gescherzt und nicht erwartet, dass du mich beim Wort nimmst!“

Sie verspürte einen Anflug von Triumph, der allerdings von dem plötzlichen Windstoß kalter Nachtluft auf ihrer nassen Haut davongeweht wurde. Sie zwang sich, den Aufschrei zu unterdrücken, der unwillkürlich über ihre Lippen kommen wollte. Stattdessen eilte sie hinüber zu den wenigen Dingen, die sie besaß, und befahl sich, dabei ruhig zu bleiben. Der Mann sollte nicht merken, dass sie furchtbare Angst vor ihm hatte.

„Dein Benehmen ist mangelhaft, genau wie deine Kleidung!“, sagte er, anscheinend hatte er nicht widerstehen können, einen Blick über seine Schulter zu werfen.

Sie blickte ebenfalls kurz über ihre Schulter, während sie ihre Tunika aufhob und sie über ihre nasse, an ihrem Körper klebende Unterkleidung zog, so schnell, wie ihre zitternden Finger es ihr gestatteten. Sie schlang die Finger um den Griff des versteckten Messers.

„Genau wie deines, wenn du so abfällig über Frauen sprichst. Mir tut die arme Frau leid, über die ihr geredet habt“, sagte sie und schlich sich daraufhin leise an ihm vorbei.

„Hast du uns etwa ausgekundschaftet?“ Er stand noch immer mit dem Rücken zu ihr.

„Nein, aber vielleicht hätte das jemand tun sollen, um dir Benehmen beizubringen“, sagte sie und drückte leicht die Spitze ihres Messers in seinen Rücken.

Er seufzte und hob langsam die Hände als Zeichen seiner Aufgabe. „Wer bist du?“, fragte er und klang jetzt gereizt, nachdem sie ihn überrumpelt hatte.

„Das geht dich nichts an. Und jetzt schließ deine Augen und zähle langsam bis zehn …“ Und genau wie das fünf Winter alte Mädchen, nach dessen Leben sie sich immer noch sehnte, streckte sie seinem breiten Rücken die Zunge heraus, nahm ihre Stiefel unter den Arm und rannte los.

Wren stand auf dem großen Dorfplatz hinter Wikingerfürstin Ingrid, als sich am nächsten Tag die Tore für die Abordnung aus Boer langsam öffneten, um Jarl Knud von Nedergaard und seine Männer willkommen zu heißen. Schweiß rann von Wrens Stirn und sie war sich nicht sicher, ob es von der mittäglichen Sonne kam, die auf sie niederbrannte, oder von der Unsicherheit, die sie quälte. Auf einmal betrachtete sie die näher kommenden Pferde und ihre Reiter mit einem Anflug von Panik. Sie musterte deren Waffen und Rüstungen, beurteilte die Gefahren, das Risiko. Konnte man ihnen trauen? Und gleichzeitig war sie abgelenkt, konnte nicht aufhören, den Mann zu suchen, den sie letzte Nacht getroffen hatte. War er hier? Und wenn ja, würde er erkennen, dass sie nur eine Sklavin war, und ihr Vergehen enthüllen?

In dem Augenblick, in dem ihr Blick auf ihn fiel, wurde ihr richtiggehend schlecht. Ganz bestimmt hatte sie nicht erwartet, dass seines das erste Gesicht wäre, dem sie entgegenblickte und er den Konvoi anführte, mit dem die Reiter durchs Tor kamen. Der Mann, den sie unglücklicherweise letzte Nacht am Gezeitenbecken getroffen hatte, würde doch nicht etwa das dänische Oberhaupt von Nedergaard selbst sein? Nein, nein, nein …

Wren wünschte sich, der Boden würde sich unter ihr auftun und sie verschlingen. Sie wünschte sich nichts mehr, als zurück in das tröstende Becken zu können, um diese unglückliche Situation hinter sich zu lassen und von sich abzuwaschen. Sie schüttelte unmerklich den Kopf, während sie versuchte, das Ganze zu begreifen. Wie hatte sie alle Anzeichen übersehen können?

Schließlich hatte er von einer Heirat gesprochen, die seine Macht stärken sollte. Er war ein Mann von Macht und Ehrgeiz. Er wollte mehr, als sich nur einen Namen zu machen. Er wollte ein Vermächtnis hinterlassen. Natürlich war er es! Wie hatte sie bei seinen Worten nicht die Zusammenhänge erkennen können? Weil sie befangen gewesen war, als sie sich gegen sein beeindruckendes Aussehen und seinem lächelnden Spott hatte behaupten müssen. Deshalb!

Er war nicht das, was sie erwartet hatte. Sie hatte jemand Älteren erwartet, jemand, der weit weniger gut aussah. Doch er war beeindruckend, ein selbstbewusster Mann in den besten Jahren und heute mit goldenen Ringen und silbernen Armreifen ausgestattet, die seinen Stand und seinen Reichtum zeigten. Er zog die Blicke auf sich wie ein glänzendes, poliertes Juwel – und Wren war noch nie einen Mann begegnet, der so perfekt aussah.

Seine goldene Mähne war ordentlich gezähmt und er trug ein Kettenhemd und eine Lederweste über einer exotischen blauen Seidentunika mit einem Saum aus Goldfäden. Ein roter Umhang mit einem Saum aus Pelz war über seiner rechten Schulter mit einer Gewandnadel befestigt. Er war ein Mann, der auffallen wollte, und sie wusste warum – denn Macht und Status waren das Einzige, was für ihn zählte. Das hatte er selbst zu seinem Freund gesagt. Und was die Worte über seine zukünftige Braut betraf … Ingrid … Jetzt wusste Wren, dass – auch wenn er einen beeindruckenden Ruf als Krieger hatte – sein Charakter jedenfalls zu wünschen übrigließ.

Doch wenn man glauben durfte, was über seine Erfolge in Schlachten und Handelsrouten im Westen geredet wurde, konnte man in Boer sicherlich einen Verbündeten wie ihn brauchen. Und ein Blick in das Gesicht ihrer Anführerin verriet Wren bereits, dass Freyja Ingrid von seinem guten Aussehen beeindruckt war. Wren hätte beinahe missbilligend mit der Zunge geschnalzt – die gute Ingrid sabberte ja praktisch schon.

„Freyja Ingrid, es ist eine Ehre, Euch endlich kennenzulernen. Wir danken Euch für die Erlaubnis zu diesem Besuch“, grüßte Jarl Knud, stieg von seinem prächtigen Pferd und ging mit einem gewinnenden Lächeln auf sie zu. Wren drehte sich beinahe der Magen um bei dem strahlenden Lächeln mit seinen perfekten Zähnen und dem Klang seiner tiefen Stimme. Die Anspannung veranlasste sie, den Blick zu senken. Sie konnte nicht preisgeben, dass sie ihn kannte – wenn ja, würde er sie erkennen und wer weiß, was Freyja Ingrid tun würde, wenn sie erfuhr, dass Wren letzte Nacht die Siedlung verlassen hatte.

Sie versuchte, sich zu beruhigen … wieso sollte ein dänisches Oberhaupt den Blick einer Sklavin suchen. Gewiss würde er sie nicht einmal bemerken.

Freyja Ingrid machte einen Schritt auf Jarl Knud zu, um ihn zu begrüßen. „Willkommen in Boer, Jarl Knud. Wir haben schon viel über Euch gehört. Ich hoffe, Ihr hattet eine gute Reise?“

„Das hatten wir, danke. Faszinierende Gegend habt Ihr hier.“

„Ja, man findet sich nicht so einfach zurecht! Aber wie ich sehe, hat es Euch nicht abgehalten.“

„Natürlich nicht. Es wäre mehr nötig als Regen und Schlamm, um uns aufzuhalten.“

Wren musste sich beherrschen, um bei seiner Arroganz nicht die Augen zu verdrehen.

„Ihr und Eure Männer müsst hungrig sein. Wir haben ein Festmahl vorbereitet, sobald Ihr die Pferde versorgt habt.“ Freyja Ingrid drehte sich zu ihr. „Zeig unseren Gästen den Weg zu den Ställen und dann zum Langhaus, Wren, ja?“

Das Oberhaupt drehte sich zu ihr und Wren nickte und hielt dabei unwillkürlich den Atem an. Es war jetzt unmöglich, seinem Blick zu entgehen – doch das bedeutete nicht, dass sie seinen Blick erwidern musste.

„Ich werde Euch und Eure Männer in der Halle erwarten, Jarl Knud“, sagte Freyja Ingrid, bevor sie ging.

Wren spürte den Blick des Jarls auf sich und senkte das Kinn in einem Versuch, ihr Sklavenhalsband unter dem Ausschnitt ihrer Tunika zu verbergen. Aus irgendeinem Grund wollte sie nicht, dass dieser Mann sie als schwach ansah. Und ganz gewiss wollte sie nicht sein Mitleid.

„Ah, die wilde Frau von letzter Nacht. Also lebst du hier. Ich fragte mich schon, ob wir uns wiedersehen.“ Sein Kopf war leicht zur Seite geneigt, um sie genauer zu betrachten. Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, dass sein Lächeln sich vertiefte.

„Tut mir leid, Jarl Knud, Ihr müsst Euch täuschen. Ich erinnere mich nicht, dass wir uns getroffen haben könnten. Ich bin sicher, ich würde mich an einen Mann wie Euch erinnern“, erwiderte sie kurz und knapp und versuchte, den Blick auf eine beliebige Stelle oberhalb seiner linken Schulter zu richten.

Sein Grinsen schien sich bei ihrer Lüge noch zu verstärken, und sie bemerkte, dass seinem Gesichtsausdruck ein gewisser Schalk innewohnte. „Ich muss sagen, ich bin verletzt. Frauen sagen normalerweise, ich sei unvergesslich.“

„Dessen bin ich sicher“, antwortete sie und versuchte, Desinteresse vorzuspielen.

Er bedeutete seinen Männern mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen, und Wren drehte sich auf dem Absatz um und ging über den Platz, erleichtert, seiner Musterung zu entkommen. „Hier entlang bitte.“

Er begann sein Pferd hinter sich zu führen und konnte mit seinen langen Schritten problemlos mit Wren Schritt halten. „Es ist erstaunlich, dass ich dich in deiner Kleidung erkannt habe.“

For helvede … zur Hölle!“, fluchte sie und blieb abrupt stehen. Einen Augenblick lang hob sie den Blick, um sich zu sammeln, und merkte, wie sie rot wurde. Und dann zwang sie sich selbst, sich zu ihm zu drehen, jedoch ohne ihm in die Augen zu sehen. „Verzeiht mir, ich hätte nicht allein draußen im Wasser sein dürfen“, sagte sie leise. „Und ich würde es sehr schätzen, wenn wir unsere … Begegnung letzte Nacht … für uns behalten könnten.“

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er sie interessiert musterte, und nach einem Moment nickte er zustimmend. „Freyja Ingrid weiß nicht, dass du eine Vorliebe für nächtliches Baden hast?“ Das Lächeln spielte noch immer um seine Mundwinkel und war sehr irritierend. Doch natürlich wusste er nicht, was hier auf dem Spiel stand. Er wusste nicht, mit wem er sprach oder welche Bestrafung sie erwartete, wenn er sie verriet. „Anscheinend glaubst du nicht, dass es ihr gefiele, wenn sie es wüsste?“

Sie hob das Kinn. „Habt Ihr vor, es ihr zu verraten?“

Er studierte ihr Gesicht und sie hoffte, er sähe nicht ihre Betroffenheit unter ihrem Stolz.

„Nein, ich glaube nicht, dass das nötig sein wird.“

Sie atmete fast unmerklich auf.

„Wieso sollte ich schließlich die Badegewohnheiten einer Frau stören?“ Er genoss es offensichtlich, seinen Spott mit ihr zu treiben. Genau, wie er letzte Nacht über Frauen gesprochen hatte …

Wie kann ich mich nur vor diesem Mann so zur Närrin gemacht haben, ärgerte sie sich über sich selbst und blieb in der Türöffnung mit verschränkten Armen stehen. Er trat neben sie und Wren weigerte sich, zurückzuweichen, dennoch war sie sich seiner Nähe überaus bewusst. Ihr stockte beinahe der Atem. Trotzdem konnte sie nicht anders, als mit einer bissigen Bemerkung zu kontern. „Ihr habt es letzte Nacht sehr deutlich gemacht, dass Euch die Gefühle von Frauen völlig egal sind.“ Sie war ihm so nahe, dass sie seinen Geruch nach Leder einatmete. Das war ärgerlicherweise sehr anziehend.

Er senkte den Kopf und die Stimme. „Ich hätte das nicht gesagt, wenn ich gewusst hätte, dass ich Zuhörer habe. Aber dennoch habe ich teilweise die Wahrheit gesagt. Eine Allianz zwischen Boer und unserer Festung wird auch Freyja Ingrids Macht stärken, nicht nur meine. Ja, Nedergaard braucht eine größere Zahl an Kriegern, doch eine Vereinigung zwischen uns wird auch Boer helfen, eine Haupthandelsroute zwischen England, Nedergaard und Boer zu sichern. Diese Vermählung ist für uns beide nützlich.“

Sie wusste nicht, weshalb er sich ihr gegenüber erklärte. Hatte er das Metallband um ihren Hals noch nicht gesehen? „Es klingt, als hättet Ihr alles bereits gut geplant.“

„Richtig. Und ich gestehe, ich konnte nicht widerstehen, ein wenig zu spotten, besonders als mir klar wurde, dass du nicht wusstest, wer ich war.“

Sie wollte ihn abermals zurechtweisen, doch als sie ihn ansah, bemerkte sie, dass seine bernsteinfarbenen Augen auf ihre Lippen blickten, und so verbiss sie sich ihre Bemerkung.

„Ich habe das Gefühl, wir hatten einen schlechten Anfang … Wren, ist das dein Name?“

Sie nickte.

„Dann, Wren“, sagte er und kam noch näher, sodass sie ihre verschränkten Arme öffnen musste, „lass uns doch die letzte Nacht hinter uns lassen und Freunde sein.“

Sie wich zurück. Seit wann freundete sich ein Wikingerhäuptling mit einer Sklavin an oder unterhielt sich mit ihr? Diese ganze Unterhaltung war absurd. Er würde sie sowieso vergessen, sobald er das Langhaus betreten hatte. „Ihr braucht euch nicht zu bemühen“, entgegnete sie in schneidendem Ton. „Wir brauchen keine Freunde oder gar Verbündete zu sein, Jarl Knud. Schließlich bin nicht ich es, die Ihr beeindrucken müsst, nicht wahr? Ich nehme an, Ihr und Eure Männer findet allein den Weg zur Großen Halle?“

2. KAPITEL

Als Jarl Knud sich im Langhaus umsah, während alle auf den Bänken um die Tische herum Platz nahmen, stellte er fest, dass die Einwohner von Boer sich gar nicht so sehr von seinen Leuten in Nedergaard unterschieden. Die geräumige Halle war mit verschiedenen Jagdtrophäen dekoriert, eine Feuerstelle in der Mitte hielt alle warm, und das selbstgebraute Metbier floss in Strömen. Er genoss die Fröhlichkeit der Menge, die Kameradschaft und das Geplänkel an den Tischen. Doch auch wenn er sich leutselig gab, war er stets auf der Hut.

Er wusste aus Erfahrung, wie schnell ein Fest sich in ein Massaker verwandeln konnte – ein Feind konnte schlauerweise einen Moment wählen, in dem ein Dorf nicht mehr auf einen Angriff gefasst war. Und er durfte nie vergessen, dass genau das der einzige Grund war, weshalb er jetzt hier war. Dieses Bündnis war lebensnotwendig – es würde seine Siedlung gegen die Stämme im Süden unterstützen und helfen, seine Leute zu beschützen.

Von seinem Platz direkt gegenüber Ingrid nahm er die Gelegenheit wahr, seine mögliche zukünftige Braut zu begutachten. In ein exotisches Seidengewand gekleidet, die Zöpfe ihres langen, dunklen Haars durchwoben mit Goldfäden, war sie durchaus attraktiv – wie man ihm bereits berichtet hatte. Zweifellos war sie eine starke Anführerin, da es Boer gutging. Und doch empfand er ihr gegenüber gar nichts – kein bisschen Interesse und auch nicht den geringsten Anflug von Begehren. Aber das war gut, oder? Das war es schließlich, was er wollte.

Seine erste Erfahrung mit der Ehe als junger Mann hatte ihn beschämt zurückgelassen, weshalb er eigentlich nie mehr hatte heiraten wollen. Doch die Dinge hatten sich geändert. Sie lebten in gefährlichen Zeiten. Die Streitkräfte des Wikingerhäuptlings von Forsa im Süden kamen jeden Tag näher, und das Wohlergehen und Glück seiner Leute bedeutete ihm mehr als sein eigenes. Und bei dieser Vermählung wäre alles anders. Er würde sich nie mehr durch Liebe oder gar Lust schwächen lassen.

Sein Blick wanderte zu der Frau, die hinter Ingrid stand und versuchte, unauffällig mit dem Hintergrund zu verschmelzen, was ihr jedoch überhaupt nicht gelang. Wren. Sie hatte dunkles, kurz geschnittenes Haar, das ihr gerade bis zu den Schultern reichte, die Hälfte davon war zurückgebunden und in einem Knoten oben auf ihrem Kopf zusammengefasst. Das war schlicht und praktisch, genau wie ihre Kleidung – und doch war ihr Gesicht, gebräunt von der Sonne, unvergleichlich schön. Ihre Augen hatten eine einzigartige Grauschattierung und sie hatte fein geschnittene Gesichtszüge. War sie tatsächlich eine Kriegerin von Boer? Wenn ja, wo war ihre Waffe von letzter Nacht? Und doch war sie auf jeden Fall eine starke Frau in Worten und Haltung – all das war ihm aufgefallen.

Seine Blicke wurden immer wieder von ihr angezogen – schließlich hatte er sie einen kurzen Moment ohne Kleidung gesehen, und das war ein Anblick, den er nicht so leicht vergaß. Er ballte eine Hand zur Faust. Was war nur los mit ihm? Es war ja nicht so, als hätte er noch nie vorher eine fast nackte Frau gesehen. Nach Meinung mancher Leute hatte er davon bereits zu viele gesehen.

Und doch, als sie sich zu seiner Verblüffung unvermittelt aus dem Wasser erhoben hatte wie Ran, die nordische Göttin des Meeres, und versucht hatte, ihn mit Worten herauszufordern und mit ihrem Messer einzuschüchtern, war seine Kehle trocken geworden. Ein plötzlicher Anflug von Begehren – etwas, was er sehr lange nicht mehr verspürt hatte – hatte ihn erfasst, und sein Herz hatte schneller geschlagen.

Es war albern und äußerst unpassend. Er war hierhergereist, um seine neue Braut kennenzulernen – um Vereinbarungen zu treffen –, und jetzt konnte er den Blick nicht von diesem Mädchen wenden. Eine junge Frau, die wenigstens sechs oder sieben Winter später als er selbst geboren war – und die nach seinen achtlosen nächtlichen Worten bereits das Schlechteste von ihm dachte. Hatte sie ihn belauscht, um etwas gegen ihn zu verwenden? Sie war zweifellos auf der Seite von Freyja Ingrid, auch wenn er sich fragte, warum sie als eine vertrauenswürdige Kriegerin nicht am Tisch neben ihr saß. Seine rechte Hand, Raedan, war immer an seiner Seite.

„Wren, diese Männer wollen mehr Metbier!“, befahl Ingrid über ihre Schulter. Und Wren trat sofort vor und begann mit dem Füllen der Krüge.

„Schildmaid bei Tag, Dienstmagd am Abend?“, fragte Knud überrascht.

Wren sah ihn entsetzt an, bevor sie sich abrupt wegdrehte, doch nicht bevor ihm nicht ein weiteres Mal die Kehle trocken wurde, als ihre Blicke sich begegneten. Sie hob das Kinn auf diese hochmütige Weise, die ihn amüsierte. Er wusste, manche Menschen hielten ihn für sehr beeindruckend, doch war er so einschüchternd, dass sie ihm nicht einmal in die Augen blicken konnte?

Wren beugte sich über einen seiner Männer, um seinen Krug zu füllen, und der Mann, Ivar, lehnte sich zurück, anscheinend um ihr Zugang zum Tisch zu gewähren. Doch plötzlich fasste er ihren Arm und zog sie auf seinen Schoß. „Willst du mir nicht zeigen, was du sonst noch tun kannst, hübsches Kind?“

Aufgrund der plötzlichen Bewegung wurde ihre Kleidung zur Seite gezogen und das Metallband um ihren Hals wurde für alle sichtbar. Jarl Knuds ganzer Körper stand wie unter Strom. Die in Wrens grauen Augen aufflackernde Wut glich seiner eigenen. Seine Wut über das Benehmen des Mannes veranlasste ihn sofort, von der Bank aufzustehen, um einzugreifen, doch ihre Reaktion war schneller – sie zögerte nicht. Sie zog den Arm zurück, nahm ein Messer vom Tisch und stieß es zwischen den Fingern von Ivars anderer Hand in den Tisch. Stille breitete sich unter der Gruppe aus und Ivar zog seine immer noch unbeschädigte Hand ungläubig zurück, sodass Wren seinem Griff entkommen und aufstehen konnte.

Jarl Knud hätte fast bewundernd gelächelt, obwohl er wegen des Verhaltens dieses Mannes, der zu seiner Mannschaft gehörte, sehr wütend und über den Anblick des Sklavenhalsbands entsetzt war. Diese Frau konnte sich auf jeden Fall selbst verteidigen – sie hatte Ivar ziemlich erschreckt. Dennoch würde er dafür sorgen, dass er bestraft würde! Wie konnte er es wagen, sie zu belästigen? Ivar wusste genau, dass er sich Frauen gegenüber so nicht benehmen durfte und schon gar nicht, wenn sie hier zu Gast waren. Jarl Knud atmete tief durch und setzte sich wieder auf seinen Platz. 

„Wren! Du wirst dich sofort bei diesem Mann entschuldigen!“, befahl Freyja Ingrid.

Wren stand mit bebenden Nasenflügeln und dem Rücken zur Wand, jedoch hoch aufgerichtet. Sie schüttelte leicht den Kopf.

„Sofort!“

„Keine Sorge, Freyja Ingrid. Es war nicht mehr, als mein Mann verdiente“, warf Jarl Knud rasch und beschwichtigend ein. „Aber sagt, sind Eure Schildmaiden keine freien Frauen?“

„Wren ist keine Schildmaid, Jarl Knud, sie ist eine Art bryti“, antwortete Ingrid, hob einen Krug an ihre Lippen und nahm einen tiefen Schluck.

„Was ist das?“

„Sie war ein Geschenk meines Vaters an mich und ist meine Leibeigene …“

Jarl Knud sah, wie Raedan abrupt den Kopf hob, und die beiden Männer wechselten über den Tisch einen Blick.

„Ich verstehe.“ Also konnte er Grausamkeit auf der Liste der Attribute seiner zukünftigen Braut hinzufügen. Seit Jarl Knud in Nedergaard regierte, hatte er es zu seiner Aufgabe gemacht, Sklaverei abzuschaffen. Er wusste besser als die meisten, welch schreckliche Auswirkungen Sklaverei auf jedes Leben hatte …

„Doch da ich Wren schon so lang kenne und man ihr normalerweise vertrauen kann, hat sie mehr Verantwortung als die meisten anderen.“

Verletzlich, doch ungebrochen, hatte Wren nun seine ganze Aufmerksamkeit, denn sie erinnerte Knud an die Geister der Vergangenheit. Er wusste, viele Männer würden das Metallband um ihren Hals bemerken und es als akzeptabel betrachten, diese Frau so zu behandeln, wie immer sie wollten – sie war schließlich ihrer Gnade ausgeliefert –, doch Knud wollte sie instinktiv beschützen. Allerdings war ihm auch seine eigene aufflammende Eifersucht bewusst.

Er legte sein Messer weg, plötzlich war er nicht mehr hungrig. Über seine Gedankengänge war er selbst entsetzt. Was zum Teufel war los mit ihm? War er nicht besser als Ivar? Schließlich wollte er wegen keiner Frau so empfinden. Und für einen Mann seines Standes wäre es der Ruin seiner sorgfältig aufgebauten Reputation, wenn er mit einer Sklavin ins Bett ginge.

Sein Blick suchte erneut den von Wren, doch sie sah weiter mit ausdruckslosem Gesicht geradeaus und griff geistesabwesend nach dem jetzt freigelegten Metallband um ihren Hals. Die Tatsache, dass sie eine Sklavin war, erklärte natürlich ihre Feindseligkeit, ihre abweisende Haltung und die Vermeidung seines Blicks. Ihr Status erklärte auch ihren Wunsch, ihren nächtlichen Ausflug geheim zu halten, und jetzt war er froh, dass er nichts davon erwähnt hatte – er wollte nicht, dass sie seinetwegen in Schwierigkeiten kam.

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